A/N: Ich hatte nicht vor, so schnell wieder zurück zu Clove und Cato zu kehren, doch sie haben mich nicht losgelassen. Numquam Retro zeigt eine ganz andere Sicht der Dinge; eine Sicht, in der zwei Wege sich kreuzen, sich entfernen und doch nie voneinander lassen können. – Ich benutze nicht gerne berühmte Zitate, da man ihnen ja doch nie gerecht wird, doch die Worte, die John Milton (in der Übersetzung Adolf Böttgers) dem am tiefsten gefallenen aller Engel in den Mund legt, scheint mir wie nichts anderes auf die Karrieretribute Panems zu passen. – Liebe Grüße und viel Spaß beim Lesen, Liz.
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Numquam Retro
„Und wie mich dünkt, ist Herrschen würd'ger Lohn
Und wär's auch in der Hölle; besser ist
Der Hölle Herr sein, als des Himmels Sclave."
(Satan, in: John Milton, Das verlorene Paradies, Erster Gesang)
I
Clove konnte sich nur noch bruchstückhaft an die Zeit erinnern, in der sie noch nicht als zukünftiges Tribut auserwählt worden war.
Manchmal, in den langen schwarzen Nächten, die sie durchwachte, oder an den nie enden wollenden hellen Tagen, an denen sie inmitten der anderen beim Essen saß, beschwor sie die Erinnerungen an jene Zeit hervor. Es waren nicht wirklich Bilder, sondern vor allem die Gefühle, nach denen sie sich sehnte, die sie abhängig machten, die sie vergessen ließen.
Diese freie Unbeschwertheit, in der die größte Sorge war, in der letzten Schularbeit nicht durchgefallen zu sein. Sorgen, die sich auflösten, nach einer Nacht, nach zwei Nächten, nach einer Woche. Zufriedenheit und Lachen und trotz aller Probleme diese hoffnungsvolle Leichtigkeit, mit der man dem Leben entgegenblickte.
Doch diese Zeiten waren lange vorbei.
Sie richtete sich auf, als sie schwere Schritte den Gang entlangkommen hörte. Würde er das sein?
Doch es war nur Brutus. Brutus, dem nachgesagt wurde, einer der brutalsten aller Gewinner zu sein. Clove zwang sich, äußerlich entspannt zu wirken, auch wenn es ihr innerlich nicht gelang. Sie betrachtete seine kantigen, rauen Gesichtszüge, als er sich gegenüber von ihr niederließ. Für sie war er nur der Mann, der ihr mehr beigebracht hatte, als ihre Eltern es jemals hätten tun können. Der Mann, dem sie am Ende vielleicht ihr Leben schulden würde.
Er lehnte sich vor und blickte sie erwartend an. „Und, bist du aufgeregt?"
Sie wog ihren Kopf langsam hin und her, eine Augenbraue hochgezogen, der Klang ihrer Stimme leicht spöttisch. „Sollte ich?"
Das plötzliche, amüsiert-charmante Grinsen, das sich auf Brutus Gesicht zeigte, ließ schnell vergessen, dass er es gewesen war, der zwei seiner Gegner mit bloßen Händen erwürgt hatte, während sie als letztes ebendieses Grinsen gesehen hatten.
„So kenne ich mein Mädchen."
Beim entfernten Klang einer sich öffnenden Tür erhob er sich von seinem Platz und nickte in Richtung des Eingangs. „Dort kommen sie, dann kannst du dir selbst ein Bild machen. Ich glaube, ihr seid euch ziemlich ähnlich. Du wirst ihn mögen."
Nicht genug mögen, um ihn am Ende nicht auch umzubringen, das war so klar, dass es nicht ausgesprochen werden musste.
Die Schritte, sehr stoisch und gleichmäßig, kamen näher, bis sich das von außen einfallende Licht verdunkelte und zwei Gestalten im Eingang der Halle standen.
Clove erhob sich und blickte in ein Paar stahlblaue Augen.
