Es war ein stürmischer Tag gewesen und eine noch stürmischere Nacht sollte Demacia bevorstehen. Bis auf wenige streunende Hunde und Katzen regte sich kaum ein Schatten in den engen Gassen des Handwerkerviertels. Es begann zu regnen, die Tropfen schlugen gegen die Fensterläden einer Kneipe, aus der laute Rufe und betrunkenes Gelächter durch die Gasse hallte. Geräusche, die der junge Mann gar nicht leiden mochte, als er, den Mantel dicht zugezogen und mit aufgestelltem Kragen auf die Kneipe zuschritt.
Er öffnete die schwere Holztür und wich sofort einem Bierkrug aus, der in seine Richtung geschleudert wurde. Er machte einen großen Bogen um eine Pfütze mit Erbrochenem und versuchte, nicht über den betrunkenen Soldaten zu stolpern, der im Saufkoma auf dem Boden lag. Noch immer den Mantel zugezogen setze er sich an den Tresen und hob die Hand. Der stämmige Barkeeper kam zu ihm, einen Krug putzend und fragte, was es denn sein dürfe. Ohne aufzusehen erwiderte der Mann „Etwas kräftiges. Schnaps oder so. Deinen Besten." Der Barkeeper verschwand in einem Nebenraum und kam mit einer Flasche Wahlnussgeist und einem kleinen Glas wieder. Er schenkte dem Mann ein, der das Glas sofort leerte und ohne ein weiteres Wort zu verlieren ein zweites Glas bestellte.
Ein Klirren war zu hören, dann wurden Stühle polternd zurückgezogen. Der Barkeeper rümpfte die Nase und hob den Kopf in Richtung der Männer, die drohten, in einer Schlägerei auszubrechen. „Regelt das draußen. Ich will neben eurer Kotze nicht noch euer Blut wegwischen müssen."
Die Männer fluchten leise vor sich hin, einer von ihnen nannte ihn 'Bastard' und sie verließen grummelnd die Kneipe. Die Tür schlug zu und der Barkeeper lehnte sich an den Tresen. „Eine stürmische Nacht haben wir uns da ausgesucht, was?"
Der Mann an der Bar brummte vor sich hin und leerte das zweite Schnapsglas.
„Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Kommen sie aus einem anderen Teil Demacias?"
Der Mann brummte erneut und ließ sich ein drittes Glas einschenken. Nicht sehr gesprächig. Doch der Barkeeper ließ nicht locker und wollte ein drittes Mal anheben, kam aber nicht dazu, da die Tür erneut aufsprang und mit dem peitschenden Regen ein weiterer Mann hereinkam. Er schritt auf den Tresen zu und hinterließ dort, wo er entlang schritt, kleine Wasserpfützen.
Der Barkeeper schloss hinter ihm die Tür und begann, die Pfützen und das Erbrochene wegzuwischen. Den am Boden liegenden Mann ignorierte er. Als er damit fertig war und sich bei dem neuen Gast versicherte, dass er nicht bestellen wollte, verzog er sich in ein Hinterzimmer.
Der Mann ließ sich neben dem anderen Mantelträger nieder und starrte auf den Tresen.
„Du solltest nicht hier sein, Garen."
Garen brummte und kippte ein weiteres Schnapsglas hinunter. Der Mann fuhr fort: „Deine Schwester hat dich vorhin gesucht. Sie macht sich Sorgen um dich."
Garen ignorierte ihn und starrte auf das leere Glas. Ungeduld machte sich in dem Mann breit und er legte eine Hand vor ihn. Dann beugte er sich hinüber und sprach leise: „Du bist dabei, der oberste Befehlshaber meiner Armee zu werden. Du hast dann fast noch mehr zu sagen als ich und ich bin der Kronprinz dieses armseligen Königreichs."
Garen sagte noch immer nichts, hörte ihm aber zu. Der Mann fing an zu knurren: „Außerdem bin ich dein bester Freund und mache mir ebenfalls Sorgen um dich."
Garen sah seinen Freund mit hasserfüllten Augen an. „Wir haben zweitausend unserer Männer verloren in der letzten Schlacht gegen Noxus. Zweitausend. Das ist eine Zwei mit drei Nullen dran. Unsere beiden Einheiten sind ebenfalls auf ein Minimum von dreißig Mann geschrumpft. Ich mache mir ebenfalls Gedanken. Aber meine eigene Gesundheit ist ein Scheiß gegen das Wohl DEINES Landes. Und da dein Vater dazu nicht imstande ist, sich um 'dieses armselige Königreich'" Er machte Gänsefüßchen, „zu kümmern, werden du und ich uns Gedanken machen müssen, wie wir fortfahren, Jarvan."
Er schenkte sich ein weiteres Glas ein, doch bevor er es zum Mund führen und runter kippen konnte, nahm Jarvan es ihm ab und trank es selber leer. „Der geht auf mich", murmelte er und stellte das Glas ab. Sie schwiegen und starrten auf den vor sich liegenden Tresen.
Hinter ihnen wurde es unruhig. Der am Boden liegende Soldat war aufgewacht und sah sich irritiert um. Er stand mit wackligen Beinen auf und stützte sich auf dem Tisch ab, der unter dem Gewicht umzukippen drohte. Schnell sprang Jarvan zu ihm und half ihm auf, ohne ein Wort zu sagen. Kurz darauf setzte er sich wieder neben Garen, der ihn kopfschüttelnd ansah. „Wir sollten langsam die Kurve kratzen, bevor noch irgendwer uns erkennt."
Jarvan nickte und die beiden Männer standen auf. Garen hinterließ dem Barkeeper einige Goldstücke und Jarvan steuerte seinen Teil dazu bei. Sie schritten auf die Tür zu. Als Garen sie öffnete, hörten sie hinter sich den betrunkenen Soldat grunzen. Sie drehten sich zu ihm um und er zeigte auf sie. Mit betrunkenem Blick starrte er sie an. „Ey, Sie swei da. Ssie komm' mir so bekannt voar." Garen schluckte und Jarvan spannte sich ein wenig an. Der Soldat grinste breit und fing an keuchend zu lachen. „Man, der Alkohol brennt mir echt die Birne wech. Ich seh scho' mein' obersten Befehlshaber vor mir. Ha. Ha. Ha."
Garen und Jarvan lachten gezwungen mit und verließen ohne ein weiteres Wort die Kneipe. Draußen auf der Straße zog Jarvan seinen Mantel weiter zu, um gegen den peitschenden Wind anzukommen. Sie liefen die Gasse entlang und machten einen großen Bogen um die Pfützen, die sich gebildet hatten. Sie kamen an einer Straßenkreuzung an und Jarvan blickte noch einmal zu der Kneipe zurück. „Das ist noch einmal glimpflich verlaufen. Der ist so betrunken, dass er sich morgen nicht einmal mehr an das erinnern kann, was er nach dem ersten Bier getan hat." Garen nickte stumm und sie folgten dem Straßenverlauf bis zum Ende. Dort angekommen standen sie am Rande der Stadt und blickten auf das tosende Meer hinaus. Blitze zuckten am Horizont und schlugen im Wasser ein.
Garen lachte auf. „Ein Glück, dass keiner bei diesem Wetter da draußen ist." Jarvan nickte und sah zu seinem Freund. „Und wir sollten auch mal nach Hause gehen. Kann ich mich darauf verlassen, dass du zu Hause ankommst?" Garen sah zu ihm und lächelte. „Kannst du. Ich hau mich direkt hin, bevor der Alkohol mich umhaut."
Sie trennten sich und während Jarvan in Richtung Schloss marschierte, machte Garen sich auf den Weg zu dem kleinen Haus im noblen Viertel Demacias, das seine Schwester und er bewohnten. Er öffnete leise die Tür, um sie nicht zu wecken und hing den nassen Mantel am Haken auf. Seine nassen Schuhe stellte er an den Kamin, in dem noch ein Feuer brannte. Bevor er sich umzog, wollte er noch ein Glas Wasser trinken und schritt zu dem Küchentisch, an dem seine schlafende Schwester saß, den Kopf auf den Tisch gelegt. Leise stellte er das Glas ab, das er sich geholt hatte, legte seine Arme um Lux und trug sie in ihr Schlafzimmer. Er legte sie in ihr Bett und deckte sie zu. Zum Abschied gab er ihr noch einen sanften Kuss auf die Stirn und drehte sich um. „Du riechst nach Alkohol", murmelte sie schlaftrunken und Garen seufzte leise. Lux setzte sich auf. „Du warst wieder trinken, hab ich Recht?"
Ohne sie anzusehen schloss er die Augen. „Es ist meine Schuld, dass-..." „Unsinn. Keiner konnte ahnen, was an der Front passiert. Hör auf, dir solche Flausen in den Kopf zu setzen." Garen seufzte erneut und lehnte eine Hand an den Türrahmen. Lux stand aus ihrem Bett auf und umarmte ihren Bruder. Während sie sprach, rannen ihr Tränen das Gesicht hinunter. „Seit der Sache, als du von der noxischen Assassine angegriffen wurdest, bist du so anders." „Wärst du dabei fast draufgegangen, würdest du auch anders denken", konterte er. Lux schritt um ihn herum und sah ihm in die Augen. „Ich denke auch anders seitdem. Ich hätte beinahe meinen Bruder verloren. Mit Mühen nur konnten der Magister und ich dich am Leben halten. Denkst du nicht, ich hätte Angst gehabt? Glaubst du ernsthaft, mich hat es kalt gelassen, als du im Lazarett lagst und um dein Leben rangst?" Sie wurde immer lauter. „Denkst du wirklich, ich hätte nicht tagelang gezittert und gebebt, als du da lagst, so verletzt und dich nicht gerührt hast?" Sie schlug mit den Fäusten auf seinen Brustkorb mit einer Härte, die ihren Bruder kurz zusammenzucken ließ.
Lux ließ sich auf die Knie fallen und sah zu Boden. „Ich hatte schreckliche Angst um dich. Und nach der letzten Niederlage erst recht. Ich hatte Angst, dass man dir wieder die Kehle durchgeschnitten hatte. Angst darum, dich nun vollständig zu verlieren. Jarvan hat gesehen, wie sehr mich das mitgenommen hat, weshalb er mir und dir erlaubt hat, wieder hierher zu ziehen." Sie blickte hoch. „Niederlagen passieren nun mal, Garen. Aber damit muss man auch leben."
Er kniete sich zu ihr und nahm sie fest in den Arm. Er begriff langsam, worauf seine Schwester hinauswollte, doch unfähig, etwas zu sagen, stand er wieder auf und verließ den Raum. Lux schloss seufzend die Augen. „Gute Nacht, Garen", flüsterte sie. „Nacht, Lux."
Der nächste Morgen begann für Garen mit einem leichten Kater, obwohl er die Wirkung des Alkohols nicht gespürt hatte am Vorabend. Er trat leicht verschlafen aus seinem Zimmer heraus und setzte sich an den Küchentisch. Sein Kopf sank müde in seine großen rauen Hände und er atmete tief durch. Als seine Schwester das Zimmer betrat, brummte er nur leise „Guten Morgen." Lux lächelte, gab ihm einen Kuss auf die Wange und ging um den Tisch herum. „Guten Morgen, Brüderchen." Garen sah lächelnd auf, wenigstens hatte Lux nach dem Streit gut geschlafen. Sie war bereits bester Laune und machte sich daran, das Frühstück vorzubereiten.
Nach dem Essen zog Garen sich um und machte sich auf den Weg zum Schloss, um sich mit Jarvan zu treffen und über die Einteilungen der Stadtwache zu sprechen. Kurz und knapp entschied er, dass eine Einheit, bestehend aus ihm selber, Garen und zwei weiteren Wachen zur Frühschicht an der Bucht und dem dazugehörigen Strand eingeteilt werden sollten. An Garen gewandt fügte Jarvan hinzu: „Du brauchst auch mal etwas Abwechslung in deinem Leben. Sieh den Aufenthalt am Strand eher als amüsanten Ausflug." Garen schmunzelte in sich hinein und die beiden Freunde brachen mit den zwei weiteren Wachen auf. Eine von ihnen war die Assassinen-Jägerin Quinn. Ihren Familiennamen kannte er nicht. Musste er auch nicht, denn zusammen mit ihrem Raubvogel Valor bildet sie ein unschlagbares und tödliches Duo. Erst vor kurzem hatten sie einen der gefährlichsten noxischen Assassinen im Alleingang überwältigt und an ein Gericht übergeben.
Die andere Wache kannte Garen nicht. Er fand jedoch heraus, dass er ein junger Rekrut war, der vor fünf Monaten die Ausbildung abgeschlossen hatte. Er wechselte ein paar knappe Worte mit dem Jungen und sie schritten in Richtung Bucht.
Die Sonne hatte gerade den Horizont passiert und leuchtete groß und rund auf die fünf hinab, als sie an den Klippen ankamen. Der Sturm der vergangenen Nacht hatte einige Dinge an den Strand gespült und einige Trümmer trieben noch im seichten Wasser der Bucht. Garen stemmte die Hände in die Hüften und blickte auf das Trümmerfeld. „Hier wird es einiges aufzuräumen geben." Jarvan trat neben ihn und nickte. „Die Hafenbewohner werden sich darum bald kümmern, sie warten meistens einen weiteren Tag noch, um sicher zu stellen, dass der nächste Seegang die letzten Trümmer auch noch an den Strand spült." Quinn, die den ganzen Marsch über geschwiegen hatte, sah zu ihnen. „Ich laufe mal hinunter und sieh nach dem Rechten." An den Jungen gewandt fügte sie hinzu: „Kommst du mit, Travis?" Der Junge nickte und folgte ihr. Sie sprangen über die Grenzsteine, die den Weg von dem Hang trennten und liefen den Hügel hinunter zum Strand.
Garen schloss die Augen und holte tief Luft. „Es ist herrlich, hier zu sein. Ich sollte mal öfters Spaziergänge machen." Jarvan lächelte erwidernd. „Ja, das stimmt. Ich bin früher gerne hier her gekommen." Sie setzten sich schweigend auf die Grenzsteine und beobachteten Quinn, Valor und Travis, wie sie zwischen den Trümmern umherliefen. Nach einer Weile hob Jarvan an: „Das Wasser sieht so ruhig aus, aber gleichzeitig bedrohlich, wenn man an die brausenden Wellen vergangene Nacht denkt." „Ich wünschte, dass sich alles so ruhig verhalten würde. Es wirkt so friedlich."
Vom Strand schallte ein Lachen zu den Beiden hinauf und sie sahen zu den anderen. Quinn stand im seichten Wasser und hielt Travis eine Hand hin, der über etwas gestolpert und im Wasser gelandet war. Selbst von weitem konnte Garen das breite Grinsen des Jungen erkennen, der Quinns Hand nahm und sie ebenfalls ins Wasser zog. Er sah von dem Geschehen weg und blickte zu Jarvan, der die beiden mit einem seltsamen Glanz in den Augen beobachtete. Garen legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Alles okay, Jarvan?" Er reagierte nicht und sah weiter in die Ferne. „Jarvan?" Garen schob sich vor ihn und sah ihm in die Augen. Jarvan blinzelte traurig und schüttelte sich. „Tut mir leid. Was hast du gesagt?" „Ich habe gefragt, ob alles okay ist." Er nickte langsam und seufzte. „Ja. Also nein. Also ich weiß nicht." Garen legte die Stirn in Falten. „Was ist denn los?" Jarvan sah wieder zu den beiden, die es mittlerweile aus dem Wasser geschafft hatten. „Wenn man mit Quinn spricht oder sie kämpfen sieht, dann wirkt sie so verdammt Weise und so reif. Kaum zu glauben, dass sie gerade mal so alt ist wie wir."
Garen sah ebenfalls hinunter. Quinn hatte ihren Rucksack erreicht und warf Travis ein Handtuch zu, bevor sie sich den Rucksack schnappte und hinter einem Bootsfrack verschwand. Garen verstand, was sein Freund meinte. Würden sie sich nicht dauerhaft im Krieg befinden, hätte Garen vermutlich auch Zeit und Motivation gehabt, mal mit Lux an den Strand zu gehen und die Seele baumeln zu lassen. Aber in seiner aktuellen Lage ging dies nicht. Überhaupt nicht.
Sie beobachteten Travis, der sich abtrocknete und das Handtuch um sich wickelte. Kurze Zeit später hatte Quinn sich ihre trockenen Sachen angezogen und legte die Nassen auf einem Felsen aus zum Trocknen. Sie schnappte sich ihre Armbrust und schloss zu Travis auf, der bereits weiter gelaufen war. Jarvan und Garen blieben sitzen und starrten in die Ferne. Garen schloss erneut die Augen und sog die Meerluft ein. „Ich habe mich heute Nacht wieder mit Lux gestritten." Jarvan sah zu ihm. „Wars sehr schlimm?" Garen lächelte und fügte mit einem Zwinkern hinzu: „Sie war heute Morgen wieder der hellste Sonnenschein." „So wie immer also", ergänzte Jarvan und die beiden lachten. Garen erzählte ihm, worüber sie gestritten hatten. „Allerdings gebe ich ihr Recht", schloss er. „Ich muss anfangen, über gewisse Dinge in der Vergangenheit hinweg zu kommen. Ich muss aufhören, nach der Vergangenheit zu leben. Sie hat es schließlich auch getan." Jarvan klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Es tut gut, dich das sagen zu hören." Garen wollte etwas erwidern, als sie von einem japsenden Travis unterbrochen wurden. „Schnell, kommt mit! Da treibt wer im Meer!"
