1 - All die lieben Kinderchen

Die milchigen Glastüren öffneten sich elektronisch und die ersten Passagiere verließen den Sicherheitsbereich. Unter ihnen befand sich eine Frau um die Dreißig. Sie trug ihre dunkelblonden Haare schulterlang und fransig geschnitten. Langsam schob sie ihren Gepäckwagen aus den Strom der Ankommenden und Wartenden und schaute sich neugierig in der Flughafenhalle um. Endlich war sie am Ziel ihrer Träume angekommen. Sie blieb stehen und ließ die neue und verlockende Atmosphäre auf sich wirken.

„Sind Sie Susanne Frank?" Die junge Frau drehte sich überrascht um. Ein Mann im dunklen Anzug und Krawatte war an sie herangetreten.

„Ja", bestätigte sie nickend.

„Mein Name ist Andrew Bell. Ich soll Sie abholen und zu Ihrer Wohnung fahren." Stellte sich der Mann vor und schüttelte ihre Hand.

„Das ist wirklich nett."

Susanne Frank kam sich etwas unpassend gekleidet vor. Zu der hellen, leichten Tuchhose hatte sie ein unifarbenes himmelblaues T-Shirt gewählt und ihre Leinenschuhe.

„Kommen Sie." Bell nahm ihr den Kofferwagen ab und wandte sich zum Ausgang. Kaum waren sie aus dem Flughafengebäude getreten, war sie froh über ihre leichte Bekleidung. Eine warme, fast stickige Luft des Sommertages Ende Juli schlug ihr entgegen.

„Sie haben Glück Miss Frank, das Wetter zeigt sich heute von seiner schönsten Seite." Bell öffnete auf Knopfdruck den Kofferraum eines schwarzen BMW und verstaute ihr Gepäck.

„Ja, ich sehe es als gutes Omen."

Sie stiegen ein und ließen bald das Flughafengelände des Ronald Reagan Washington National Airport hinter sich.

Da war sie endlich. Sie kam heute spät. Aber schön sah sie aus! Seine Wahl war richtig. Jetzt kam es darauf an…

„Hallo Mandy."

„Hey Logan. Was machst du hier? Ist Brandon auch da?" Suchend schaute sich die blonde junge Frau um.

„Nein. Er bat mich dich abzuholen und zur Hütte zu bringen."

„Ich kann nicht, ich muss nach Hause. Das weiß Brandon auch genau." Mandy rastete fast aus.

Die dicke warme Luft stand heute förmlich und sie fühlte sich klebrig und verschwitzt. Dabei trug sie einen kurzen schwarzen Rock, hochhackige Sandalen und ein weit ausgeschnittenes buntes T-Shirt.

„Lassen sie euch so in die Schule gehen?" Logan versuchte sie etwas herunterzufahren.

„Ich hatte noch Theater-AG. Wir haben heute in Kostüm geprobt." Langsam änderte sich ihre Stimmung. „Nächste Woche ist Prämiere. Du kommst doch und schaust dir das Stück an?!"

„Ja, Brandon hat mich gebeten ihn zu begleiten,… wo du ihm doch absagen musstest!" Lachend lehnte er sich auf sein Autodach.

Über Mandys Gesicht legte sich langsam ein Lächeln. „Ja,…" sagte sie mit gespieltem wehleidigem Ton, „ich kann ihn leider nicht begleiten."

„Nun komm, steig ein."

„Hat Brandon gesagt, worum es geht? Wir wollten uns erst gegen acht treffen."

„Nein, er schien aber ziemlich aufgeregt, als er anrief… Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube er hat was von einer Überraschung gemurmelt."

„Gut, dann fahren wir zuerst zur Hütte."

Über Logans Gesicht legte sich ein verschmitztes Lächeln, als dieses kleine naive Ding sich in den Beifahrersitz gleiten ließ.

„Und es wird unserer Tochter wirklich nichts passieren?" Eine Frau Anfang vierzig saß auf einem hellen Ledersofa. Sie hielt krampfhaft ein Taschentuch in ihren Händen und schaute mit Tränen in den Augen zu ihrem Mann hoch, der im Wohnzimmer mit energischen Schritten hin und her lief.

„Nein. Die beiden anderen Mädchen sind auch ohne den kleinsten Schaden wieder nach Hause gekommen." Meldete sich ein uniformierter Mann mit ruhiger Stimme von der Tür her.

„Schon zwei! Sheriff Donovan, was gedenken sie gegen diesen Schweinehund zu unternehmen?!"

„Mr. Johnson, ich habe schon Verbindung mit der Außenstelle des FBI in Knoxville aufgenommen. Sie schicken Agents und ein S.W.A.T.-Team. Der ganze Park in dem die Lösegeldübergabe stattfinden soll wird umstellt sein. Keiner wird hinein oder hinaus können ohne gesehen zu werden."

„Warum soll unbedingt meine Frau das Geld an der Bank abstellen? So weit drinnen im Park. Ich werde gehen!" Mr. Johnson war ein Hüne von einem Mann, blond. Nach seinem Aussehen zu schließen, stammte er einem alten Wikingerstamm ab.

„Das geht nicht! Wenn wir uns nicht exakt an seine Forderungen halten, könne er Mandy doch noch etwas antun!" Donovan betonte jedes seiner Worte. Ihm tat der Mann leid, denn er konnte das Verhalten des Vaters so gut nachvollziehen. Aber er wusste auch, dass nur kleine Abweichungen von Forderungen oder plötzliche unvorhergesehene Situationen am Übergabeort den Täter zurückschrecken konnten. Dann wäre Mandy wirklich in Gefahr.

„Wir sind schon längst abgewichen. Wir haben Ihnen Bescheid gegeben."

„Aber das war richtig und wichtig Mr. Johnson.

Lassen Sie uns nun das Vorgehen besprechen." Ernst schaute der Sheriff die aufgelöste Frau auf dem Sofa an. „Mrs. Johnson, Sie werden gegen 7p.m. losfahren. Haben Sie keine Angst, es ist immer jemand in ihrer Nähe. Sie werden nie alleine sein, das dürfen Sie nicht vergessen." Sheriff Donovan wandte sich an ihren Mann: „Haben Sie bis dahin das Geld zusammen?"

„Ja", nervös schaute dieser auf seine Armbanduhr, „ich kann es in einer Stunde von der Bank abholen."

„Gut. Versuchen Sie bitte ruhig zu bleiben. Wir können Mandy nicht helfen, wenn dem Täter irgendetwas passiert. Er alleine weiß wo wir sie finden können."

Die Johnsons nickten verstehend.

Eine dunkle Gestalt stand im Schatten einiger Bäumen. Vor ihm eröffnete sich eine kleine Schneise mit tiefgrünem Rasen. Mittig durch den Rasen lief ein dunkler Streifen, ein Trampelpfad. Er wartete nun schon seit mindestens zwei Stunden und bis auf ein verspätetes Liebespaar war kein Mensch hier vorbei gekommen. Aber das sollte sich hoffentlich in der nächsten viertel Stunde ändern. Und tatsächlich da kam jemand den Pfad entlang. Die Person drehte sich immer wieder nach allen Seiten um. Sie schien Angst zu haben.

Helle Zähne blitzten in der Dämmerung auf. ‚Hab keine Angst, du wirst gut bewacht…' Leichte Erheiterung schien seinen Körper zu beflügeln.

Nur die Polizisten waren an einen ganz anderen Ort. Die Idee war brillant gewesen. Bis diese Schlauköpfe merkten, dass das Geld seinen Besitzer bereits gewechselt hatte, war er schon über alle Berge.

Er zog eine Pistole aus seiner Jackentasche und schlich sich aus seinem Versteck, als die dunkle Frauengestalt auf seiner Höhe war. Als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt stand, sprach er sie leise an: „Geben Sie mir die Tasche und gehen Sie einfach den Weg weiter hinunter. Ich werde immer in ihrer Nähe sein und sie beobachten. Sollten sie es wagen zu schreien oder zu laufen, werden Sie ihre liebe Mandy nie wiedersehen."

Mrs. Johnson war so überrascht, dass sie nur nicken konnte und die Tasche, die ihr von hinten aus der Hand genommen wurde, losließ.

„Gehen Sie weiter." Sie ging los und wagte nicht sich umzudrehen.

Vorsichtig schaute sich der Mann nach allen Seiten um. Sie schienen ihn wirklich an der vereinbarten Bank zu erwarten. Tja, leider in die Falle getappt. Endlich drehte er sich um und lief zurück in den Wald. Hier kannte er sich aus. Er brauchte kein Licht, um durch die Bäume zurück zum Parkplatz zu finden. Schon hatte er seinen Wagen erreicht, stieg ein und warf die Tasche auf den Beifahrersitz. Er startete den Motor und bald konnte man nur noch die roten Rücklichter des davonfahrenden Wagens erkennen.

„Danke Lindsay." Der Direktor des FBI nickte seiner Sekretärin zu. „Ach Hotch, das ging aber schnell. Kommen Sie herein." Der Direktor sah den Teamleiter der BAU das Vorzimmer betreten.

Eilig kam Aaron Hotchner weiter ins Büro. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit einem weißen zugeknöpften Hemd und korrekt gebundener Krawatte. Diese brachten den einzigen farblichen, wenn auch dezenten, Akzent. In Verbindung mit seinem strengen Auftreten, war er eine Respektsperson und verkörperte für viele Menschen den wahren FBI-Agent.

Der Anruf des Direktors hatte Aaron Hotchner im Büro von Jennifer Jareau erreicht. JJ war die Medienbeauftragte des Teams und traf eine erste Vorwahl der neu eingetroffenen Fälle. Viele Fälle ließen sich durch Begutachtung der Fakten durch einen Agent am Schreibtisch erledigen. Dieser erstellte einen Bericht für die Polizei vor Ort nach welchen Kriterien sie den Täter finden konnten.

Doch immer wieder passierten kriminelle Taten, die nur das Team der BAU vor Ort lösen konnte. Dann hieß es schnellst möglichst seine Sachen zu packen und alles andere stehen und liegen zu lassen.

Genau so ein Fall war vor einer Stunde auf JJs Schreibtisch gelandet. Sie hatte sofort ihren Teamleiter informiert. Die Fakten waren eindeutig. Das Team musste schnell handeln.

Nachdem Hotchner das Telefonat beendet hatte, spürte JJ die Angespanntheit ihres Chefs. Er schien nicht glücklich über diese Störung. Und sie wusste woran es lag. Der neue Fall! Eine Entführung. Bei Entführungen kam es auf jede Stunde an. Besonders bei Kindern und Jugendlichen. Zeit, die er jetzt womöglich im Zimmer des Direktors vertrödelte.

„Was will er?"

Hotchner hob seine Schultern. „Hat er nicht gesagt."

„Ich gebe den Anderen Bescheid, dass wir uns in einer Stunde im Flugzeug treffen. Das Briefing können wir dort abhalten."

„Ist gut." Hotchner ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. „In einer dreiviertel Stunde JJ. Wir müssen uns beeilen. Die Polizei in Lexington hat schon zu viel Zeit vergeudet."

JJ warf ihm ihr wissendes Lächeln zu und nahm ihr Handy zur Hand. Geschäftig begann sie eine Nachricht für das Team zu verfassen, um sie aus der Mittagspause zurückzurufen.

Aaron Hotchner verließ eilig den Raum und ging zielstrebig zu den Fahrstühlen. Er grüßte die Personen im Fahrstuhl mit einem Kopfnicken, als er einstieg und beschäftigte sich mit seinen Gedanken, die plötzlich wie wild durch seinen Kopf rasten: ‚Was musste er noch alles organisieren? Er musste noch mal in sein Büro zurück, seine Tasche holen. Jack, seinen sechsjährigen Sohn, würde er wieder einmal aus dem Flugzeug anrufen und ihm eine gute Nacht wünschen müssen. Doch Jack wusste warum sein Dad seine Zeit nicht frei planen konnte. Verbrecher nahmen keine Rücksicht auf Dienstzeiten. Täter wurden durch ihren Trieb in bestimmten Situationen zu dem entsprechenden Handeln gezwungen.'

Ein kleiner Anflug eines Lächelns legte sich über sein Gesicht. ‚Jack! Er war das einzige, was ihm von Haley geblieben war…'

Der Fahrstuhl hielt mit einem Ping an und öffnete seine Türen. Ahnungslos, was ihn im Büro des Direktors erwarten würde, verließ Hotchner den Fahrstuhl. Meistens sprach der Direktor mit ihm nur durchs Telefon, da sein Team überall im Lande unterwegs war. Es musste wichtig sein, denn er ließ seine Ausweichversuche schon zu Beginn des Gespräches abblitzen. –

Der Direktor erhob sich jetzt, als der Teamleiter der BAU in sein Büro trat. Hotchner nickte Lindsay kurz grüssend zu, bevor diese das Zimmer verließ und die Tür hinter sich ins Schloss zog. Als er seine Aufmerksamkeit wieder dem Direktor zuwandte, bemerkte er erst die weitere Person, die sich jetzt ebenfalls aus dem Sessel vor dem Schreibtisch erhob. Der Direktor war um seinen Schreibtisch herum getreten und hielt dem Neuankömmling seine Hand entgegen.

„Agent Hotchner. Schön, sie mal wieder persönlich zu Gesicht zu bekommen. So weit ist in ihrem Team alles in Ordnung?"

Hotchner erwiderte den Händedruck und bestätigte: „Ja Direktor Sanders, es geht allen gut."

„Schön das zu hören. Ich möchte sie auch nicht lange aufhalten Hotch. Sie sind bestimmt wieder an einen neuen Fall dran?!"

„Ja, gerade kam die Bitte, dass wir bei einem Fall von Kindesentführung helfen sollen."

„Da ist wirklich Eile geboten…" Der Direktor schaute sich zu der Person um, die bislang ruhig gewartet hatte. „Hotch, das ist Susanne Frank. Sie ist Agent in Deutschland und man hat uns gebeten, sie für ein Jahr bei ihrem Team Erfahrungen sammeln zu lassen." Er wandte sich an die fremde Frau, die in einem dunkelblauen Kostüm vor ihnen stand und schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Miss Frank, dies ist ihr Teamleiter Supervisory Special Agent Aaron Hotchner."

Überrascht durch die neue Situation, zögerte Aaron Hotchner einen kurzen Moment. Susanne Frank lächelte ihm offen entgegen, doch die eh schon angespannten Muskeln im Gesicht des Mannes ihr gegenüber schienen sich nur noch kräftiger zu verkrampfen. Frank überkam ein ungutes Gefühl. Doch dann entspannten sich seine Züge und er trat näher an sein neues Teammitglied heran. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht reichte er ihr die Hand. „Es freut mich sie kennenzulernen Miss Frank."

Da Hotchner offen auf die Menschen zuging, sah er die Frau vor sich direkt in die Augen. Sein erster Eindruck war schon der Beginn eines Profils, das er sich über die Menschen machte, die ihm begegneten. Die Erwiderung durch ihren festen Händedruck zeigte ihm ihre innere Stärke, die sie aber anscheinend äußerlich nicht gerne preisgab. Sie schien sich selber gerne klein zu machen. Aber doch war da etwas an ihr… Etwas, das ihn verwirrte… Nun, jetzt hatte er keine Zeit sich mit Miss Frank eingehend zu befassen, aber er schien ja ein ganzes Jahr zu haben. Wenn sie so lange aushalten würde…

„Ich freue mich schon auf unserer Zusammenarbeit Agent Frank… Ich würde mich jetzt auch gerne mit ihnen befassen, aber der neue Fall ist momentan wirklich wichtiger. Vielleicht könnten wir uns nach meiner Rückkehr unterhalten!?" Fügte er entschuldigend an.

„Danke Agent Hotchner, ich freue mich auch auf die Zusammenarbeit. Und ich weiß, dass sie sich erst ein Bild von mir machen müssen. Aber wenn sie nichts dagegen habe, würde ich sie gerne begleiten. Kinder sind die leichtesten und unschuldigsten Opfer die sich ein Täter suchen kann…"

Hotchner war erstaunt, fing sich aber schnell wieder.

„Okay, wenn vom Direktor aus nichts dagegenspricht."

„Nun, wir sind für heute fertig."

„Dann sollten sie schnell eine Tasche zusammenpacken." Hotchner schaute auf seine Uhr: „In einer guten halben Stunde ist Abflug."

Aufregung erfasste Susanne Frank. Jetzt wurde ihr Traum war. Irgendwie konnte sie es noch immer nicht fassen, dass man ihr diese Möglichkeit bot.

„Direktor, ich muss noch einiges erledigen." Hotchner wandte sich wieder an seinen Vorgesetzten.

„Ich weiß… Wenn sie wieder zurück sind, möchte ich sie bitte zu einem Gespräch in mein Büro sehen."

„Sicher Direktor. Ich werde Ihnen Bescheid geben, wenn wir wieder zurück sind." Hotchner gab ihm zum Abschied die Hand und wandte sich an sein neues Teammitglied. „Es wird Zeit. Kommen Sie!"

„Ich weiß sie in den besten Händen." Susanne Frank spürte einen festen Händedruck auf ihrer Schulter.

„Danke Direktor." Agent Frank folgte Hotchner aus dem Büro hinüber zu den Fahrstühlen.

„Wo steht ihr Wagen? In der Tiefgarage?"

„Nein, draußen auf dem Parkplatz. Ich muss nur meine Tasche herausholen."

„Gut. Wir treffen uns dann unten vorm Haupteingang. Sagen wir in einer viertel Stunde. Ich muss noch eben in mein Büro."

Der Fahrstuhl hielt zwei Etagen tiefer an und Hotchner stieg mit einem kurzen Gruß aus. Frank konnte ihn noch gerade hinter zwei Flügeltüren aus Glas, in denen jeweils das Logo des FBI eingelassen war, verschwinden sehen, ehe sich die Fahrstuhltüren wieder vor ihr schlossen.

Goethe:

„Aller Anfang ist leicht, und die letzten Stufen werden am schwersten und seltensten erstiegen."

„Das Flugzeug mit dem wir zu den verschiedenen Einsatzorten fliegen. Es wird ein häufiger Begleiter für Sie werden." Hotchner ging auf die Stufen zu, ließ seiner Begleiterin aber höfflich den Vortritt. „Kommen Sie Agent Frank."

Frank stieg die Metallstufen zum Eingang des Flugzeuges hinauf. Sie hörte weitere Schritte auf dem Blech hinter ihr und wusste, dass ihr neuer Vorgesetzter ihr eilig folgte.

„Ich werde Sie mit dem Team leider nur kurz bekannt machen können. Der Flug ist nicht allzu lang und wir müssen uns noch in den Tatbestand einarbeiten."

„Das geht schon in Ordnung. Schließlich habe ich mich Ihnen selber aufgedrängt. Ich verspreche Ihnen, dass ich mich ruhig verhalten werde."

Hotchner konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Doch als sie durch die Tür traten, war sein Gesicht schon wieder ernst und hart.

„Okay. Aber ich verlasse mich darauf, dass Sie ihre Gedanken bezüglich des Falles ohne Bedenken offen aussprechen. Durch die verschiedenen Betrachtungsweisen und Denkmuster eines jeden von uns stoßen wir auf mögliche Tätergruppen oder ihr potentielles Umfeld." Im Flugzeug übernahm Hotchner nun die Führung und trat durch den beigefarbenen Vorhang in den Passagierbereich.

„Einverstanden." Frank folgte ihm auf den Fuß. Nervös atmete sie tief durch und schon sah sie sich einer Gruppe von Männern und Frauen jeden Alters gegenüber. Mit Blicken und Gesten machte man sich untereinander auf den Gast aufmerksam und die Stimmen, die ihnen zuvor noch entgegenschalten, verstummten. Mit einem schweifenden Blick konnte Frank vier Augenpaare ausmachen, die sie interessiert musterten.

„Wo ist Reid?" Hotchner fehlte wohl noch einer aus seinem Team.

„Bin schon da." Auf der anderen Seite des Raumes erschien ein weiterer junger Mann. Eine Tasse mit dampfendem Inhalt in der Hand, dem Geruch nach Kaffee, trat dieser hinter einem weiteren ebenfalls beigefarbenen Vorhang hervor. Eine kleine Bordküche, wie Frank mutmaßte. Der schlaksig wirkende junge Mann strich seine schulterlangen Haare hinter sein rechtes Ohr und ließ sich auf den freien Platz gegenüber einer jungen blonden Frau nieder. Frank schätzte ihn auf Ende Zwanzig. Er trug ein gelbes Hemd, eine dazu passende locker gebundene schwarz-gelb gestreifte Krawatte sowie eine dunkle Tuchhose. Einen kurzen Moment breitete sich in Franks Gesicht Überraschung aus. In den ausgetretenen dunklen Schuhen blitzten zwei verschiedenfarbige Socken hervor. Die eine gelb, die andere bunt geringelt.

„Leute, ich werde es kurz machen: Dies ist Susanne Frank, sie ist Agent in Deutschland und hat sich auf einen partnerschaftlichen Austausch mit der USA beworben. Sie wird für ein Jahr unser Team erweitern."

Ein Schlag, der durch das Flugzeug ging, ließ die Insassen wissen, dass die Tür geschlossen wurden. Das Flugzeug begann leicht zu vibrieren und kurz darauf setzte es sich in Bewegung. ‚Bitte Anschnallen' – Das Schild leuchtete über den beiden Ausgängen auf. Eilig begann Hotchner zu seiner Rechten mit der Vorstellung: „Doktor Spencer Reid", Reid begrüßte Frank kopfnickend. „Jennifer Jareau, unsere Medienvertreterin."

„JJ für meine Freunde." Die blonde ebenfalls noch reichlich junge Frau streckte Frank lächelnd ihre Hand entgegen, dessen festen Griff sie herzlich erwiderte. „David Rossi. Einer der Mitbegründer der BAU und mit seiner Erfahrung eine große Hilfe."

„Willkommen im Team." Eine raue aber angenehm ruhige Stimme schlug ihr entgegen. Auch seinen Händedruck erwiderte Frank herzlich: „Danke."

„Dann haben wir noch Derek Morgan und Emily Prentiss." Morgan, der neben Rossi am Fenster saß, hob grüßend die Hand und schenkte ihr ein Lächeln seiner strahlend weißen Zähne. Dank seiner afroamerikanischen Herkunft schien es, als strahlten seine Zähne automatisch so hell.

„Hey", Susanne Frank grüßte zurück und wandte sich der letzten Person zu, die direkt links neben ihr auf dem Doppelsitzer saß.

„Herzlich Willkommen. Ich bin Emily." Frank lachte sie befreit an. Jetzt war das Schlimmste überstanden und nach ihrem momentanen Gefühl waren ihre Ängste der letzten Tage wegen der neuen Kollegen hinfällig.

„Setzten Sie sich neben Prentiss, wir heben gleich ab."

Frank nickte und ließ sich in den Sitz rutschen, den ihre neue Kollegin gerade freigemacht hatte. Eilig schnallte sie sich an. Hotchner ging den Gang hinunter und setzte sich hinter Reid.

„Ist Garcia schon auf Empfang?"

„Ich bin da Chef." Susanne Frank schrak zusammen, als sich eine Stimme aus dem Laptop meldete. Kurz darauf erschien auf dem Bildschirm eine ebenfalls blonde Frau. Ihre Haare fielen im Gegensatz zu JJ's lockig auf ihre Schultern hinab. Frank fielen als erstes die vollen dunkelroter Lippen und die schwarzumrandete Brille ins Auge.

„Oh, wer ist denn das? Ein neues Gesicht?"

„Hey Süße, das ist Susanne Frank, sie wird unser Team für ein Jahr verstärken." Morgan übernahm die Vorstellung. Er wandte sich an seine neue Kollegin. „Penelope Garcia, unsere Computertechnikerin und der Zugang in die weite Welt."

„Hallo…" grüßte Frank, lehnte sich in ihrem Sitz vor und wollte noch etwas hinterher schicken, als sie die Stimme aus dem Laptop unterbrach: „Hey, ich bin sicher, wir werden uns gut verstehen. Lass dir von den Anderen meine Nummer geben, dann kannst du mich immer erreichen, wenn du eine Frage an das große Netz der Computerwelt hast."

„Danke, werde ich machen." Frank war verblüfft. Bei der Schnelligkeit, mit der Garcia sprach, musste sie höllisch aufpassen nichts zu verpassen.

Als Frank sich wieder zurücklehnte, wurde sie sich bewusst, dass sie von vielen neugierigen Augenpaaren umringt war.

„Du kommst wirklich aus Deutschland?" Morgan schaute sie offen lächelnd an.

„Ja."

„Wo genau?" Frank sah den Seniorermittler ihr gegenüber überrascht an. „Sie kennen Deutschland?"

„Kennen ist zu viel gesagt. Ich war mal in Frankfurt und habe dort einen Vortrag gehalten. Schöne Stadt."

Frank lächelte: „Ich bin jetzt seit einem Jahr in Frankfurt. Vorher war ich in Hannover stationiert. Mein Heimatort ist noch kleiner, das wird überhaupt niemand kennen."

„Also hast du mit Großstädten kaum Erfahrung?" Morgan sah skeptisch aus.

„Mit euren Städten kann man unsere sowieso nicht vergleichen. Ich werde mich hier also erst zurechtfinden müssen. Aber ich konnte mir die Chance nicht entgehen lassen eure Arbeitsweise kennenzulernen."

„Nun, nachdem was man so aus Europa hört, geht man nicht unbedingt bedingungslos davon aus, dass unsere Verfahren dort eins zu eins umgesetzt werden könnten." Rossi fand das Thema interessant.

„Ja, das sagt man."

„Entschuldige Dave, wenn ich unterbreche. Aber wir fliegen nicht allzu lange. Darum sollten wir uns an die Arbeit machen, damit wir nach der Landung sofort agieren können. Ich denke Miss Frank wird uns nicht weglaufen." Hotchner sah sie entschuldigenden an. Und doch meinte Frank ein kleines Zwinkern in seinen Augen erkannt zu haben. Anscheinend wollte er sie vor den löchernden Fragen der Profiler schützen. Sie hätten ihr gesamtes Leben wahrscheinlich in kürzester Zeit umgegraben.

Dankbar durchatmend lehnte sie sich in ihren Sitz zurück und lächelte den Agent ihr gegenüber freundlich an: „Wir werden bestimmt Zeit für dieses Thema finden."

„Das wäre schön." Rossi nickte kurz zurück.

Es wurde ruhig im Flugzeug. Hotchner hatte Recht. Sie wussten alle, dass bei Entführungen, besonders von Kindern, schnelle Arbeit gefragt war. Wenn man sie nicht innerhalb von 24 Stunden befreien konnte, schrumpfte die Chance sie lebend zu finden gegen Null.

Reid hat in der Zwischenzeit seine Sitzsperre geöffnet und drehte sich mit dem Rücken zur Kabinenwand. Dadurch konnten sie ihre Runde erweitern und Hotchner saß nicht wie ein Außenseiter abseits des Geschehens.

„JJ." Hotchner nickte seiner Kollegin auffordernd zu.

Jennifer Jareau zog Fotos aus der Mappe, die während des Starts auf ihrem Schoß gelegen hatte und legte das Foto eines blonden Mädchens auf den Tisch.

„Das ist Mandy Johnson. Sie ist siebzehn. Sie kam Vorgestern Nachmittag von der Schule nicht nach Hause."

„Vorgestern?" Morgan war entsetzt. „Was hat die Polizei in der Zwischenzeit gemacht?"

„Morgan", mischte sich Hotchner ruhig ein, „das klärt sich gleich auf, lass JJ weitermachen." Ernst geworden nickte er der jungen Kollegin zu.

„Am Abend wurde den Eltern eine Lösegeldforderung überbracht." JJ zog die Kopie eines Schreibens hervor. Reid griff sofort danach und überflog den Text. JJ lächelte amüsiert vor sich hin. Sie musste kein ausgebildeter Profiler sein, um zu bemerken, dass sich die Kollegen mit Feuereifer an die Arbeit machten. Anscheinend wollten sie sich vor ihrer neuen Kollegin aufspielen… Und scheinbar schien dieses auch zu funktionieren. Denn Reid warf nur einen kurzen Blick auf den Zettel und gab ihn an Rossi weiter. Frank zog ihre Augenbrauen hoch. Was hatte dieser schlaksige junge Mann in diesen paar Sekunden auf den Zettel wirklich wahrgenommen?

Hotchner hatte das Mienenspiel von Agent Frank auch beobachtet und gab eine kurze Erklärung ab: „Er kann 20.000 Wörter pro Minute lesen."

„Aha." Sagte Frank gedehnt und schaute nicht gerade überzeugt.

„Dazu habe ich ein eidetisches Gedächtnis. Was ich einmal gelesen oder gehört habe, kann ich jederzeit wieder abrufen." Erklärte Reid. Und Hotchner wurde bewusst, wie sich sein Kollege in den letzten Jahren verändert hatte. Er war Fremden gegenüber sehr viel selbstsicherer geworden. Am Anfang entschuldigte er sich fast für seine Intelligenz.

JJ hatte in der Zwischenzeit wieder begonnen mit ihrem Bericht fortzufahren: „…Das Geld wurde im Warriors Path State Park übergeben. Doch das Mädchen ist nicht wieder aufgetaucht."

„Aber wieso gehen wir hier von einer Kindesentführung aus? Mandy ist schon fast erwachsen. In ihrem Alter hat sie viel größere Chancen zu überleben." Warf Reid ein.

JJ schaute ihn direkt an: „Weil sie nicht die Erste ist." Sie legte ein weiteres Foto eines jungen Mädchens auf den Tisch. Ihre langen Haare waren kastanienbraun. „Vor zwei Wochen wurde Sara Brown, zwölf, aus Morristown entführt. Sie tauchte drei Stunden nach der Geldübergabe wieder auf. Sie kam mit einem Linienbus aus Knoxville. Ihre Eltern bekamen die Nachricht, dass sie ihre Tochter an der Bushaltestelle um 11p.m. abholen könnten." JJ machte eine kurze Pause, in der aber keiner einen Ton sagte. Sie legte das dritte Foto zu den beiden anderen.

„Dies ist Amanda Paul, zehn. Sie lebt mit ihrer Familie in Bristol und verschwand letzte Woche Dienstag. Sie war nach der Übergabe innerhalb von vier Stunden wieder zu Hause. Auch sie wurde in einen Überlandbus gesetzt. Beide Mädchen sind genauso wie Mandy auf offener Straße entführt worden. Sara war auf den Weg zu einer Freundin, Amanda wartete vor der Sporthalle auf ihre Mutter."

„Hast du von denen auch die Lösegeldforderungen?"

JJ sah zu Reid hinüber. „Man will sie uns zufaxen. Vor dem Start war noch nichts da. Aber ich gehe gleich nachsehen."

Sie stand auf und verschwand im hinteren Teil des Flugzeuges. Anscheinend war das Flugzeug mit allem ausgestattet, was man so gebrauchte.

„Und Mandy ist bis jetzt noch nicht wieder aufgetaucht?" Morgan bekam nur ein bedauerndes Kopfschütteln von Hotchner. „Wann war die Übergabe?"

„Heute Morgen gegen 4a.m. Das Geld wurde der Mutter abgenommen, doch keine Nachricht hinterlassen, wann und wo man Mandy erwarten konnte."

„Wieso haben sie ihn nicht geschnappt?" Morgan zweifelte langsam an die Polizeigewalt in Kingsport.

„Sie hatten den Übergabeort umstellt. Doch unser UnSub hat sich das Geld schon vorher geholt."

„Diesmal scheint alles anders. Es fängt damit an, das Mandy sehr viel älter als die beiden ersten Opfer ist." Prentiss meldete sich zu Wort.

„Auch sehen sie sich nicht ähnlich." Morgan zog die Fotos näher an sich heran. „Die beiden ersten Mädchen hatten mittelbraune Haare. Mandy würde ich als dunkelblond einstufen."

„Wurden sie sexuell Missbraucht?" Rossi wandte sein Gesicht Hotchner zu.

„Nein. Keines der beiden Mädchen. In den Berichten steht, das unser UnSub die Mädchen in einem großen schönen Zimmer eingeschlossen habe. Mit einem Himmelbett und voller Spielzeug."

„Dann steuert ihn wohl eher die Sorge um die Kinder."

„Oder sie sind zu zweit!" Warf Prentiss ein. „Der Dominante, der die Mädchen entführt und die Übergabe macht. Und der Unterwürfige, der sich um die Kinder sorgt."

„Möglich. Obwohl die Mädchen nur von einer Person sprachen…" Hotchner lehnte sich in seinem Sitz vor. „Am besten reden wir noch einmal mit den Beiden. Vielleicht fällt ihnen noch ein wichtiges Detail ein, das uns unserem UnSub näher bringt."

„Wie viel Lösegeld wurde bei den ersten Opfern gefordert?" Aus Frank sprudelte die Frage einfach so heraus.

Als sie die erstaunten und amüsierten Blicke der Menschen um sie herum wahrnahm, legte sich ein verlegendes Lächeln über ihr Gesicht. Doch sie musste jetzt zu ihrer Frage stehen und richtete daher ihren interessierten Blick auf JJ.

„Im dritten Schreiben wurden 250.000 Dollar verlangt." Reid gab sein Wissen über den Inhalt des dritten Schreibens weiter.

„Nicht gerade die riesigste Summe." Wandte Morgan ein.

„Für die Eltern aber viel Geld. Mit Hilfe der Banken, Freunden und Verwandten konnten sie das Geld zusammenbekommen." Ergänzte Hotchner. „Merkwürdigerweise wurden bei den ersten beiden Entführungen sogar nur 14.999 Dollar verlangt."

Morgan schaute über die Lehne zu Hotchner. „Wie kommt man auf so einen außergewöhnlichen Betrag?"

Hotchner zog seine Schultern hoch und schüttelte leicht seinen Kopf. „Frag unseren Unbekannten, wenn wir ihn haben."

„Es könnte sich um einen Nachahmungstäter handelt. Die dritte Entführung passt so gar nicht zu den ersten Beiden." Prentiss warf ihren Gedanken in die Runde, als JJ zurückkam.

„Die Faxe sind noch nicht da. Wir werden sie wohl erst in Kingsport bekommen."

„Gut, ich glaube, damit können wir starten." Hotchner überlegte sich das weitere Vorgehen. „Wir richten uns heute noch ein. Vielleicht können wir noch mit den Eltern von Mandy sprechen. Für die beiden kleinen Mädchen wird es zu spät werden. Bis wir da sind, werden sie schon schlafen. Morgen früh sollten wir sie als erstes aufsuchen. JJ wir müssten den Eltern Bescheid geben, dass wir Morgen gerne mit ihnen reden würden."

„Ich kümmere mich darum." Kam die kurze Antwort.

Kurz darauf landeten sie auf dem Flugplatz von Knoxville. Hier sollten sie sich mit den zuständigen FBI Agents der Außenstelle treffen. Während das Team sich auf den Weg hinaus machte, hielt Prentiss JJ am Arm zurück. „Du, was ist mit Reid und Morgan los?"

„Hast du das auch bemerkt?" JJ konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Als wenn sie auf der Jagd wären."

„Selbst Hotch schien gelöster zu sein als sonst. Er hat sogar so etwas wie ein Lächeln gezeigt." Prentiss ging kopfschüttelnd zum Eingang und JJ folgte ihr.

„Ich denke, er ist einfach nur froh, wenn sich Susanne schnell in unser Team einarbeitet. Er hat momentan mit Jack und der normalen Arbeit schon genug zu tun."

„Ja, du wirst recht haben. Aber nett scheint sie zu sein… Du, was hältst du heute Abend von einer gemütlichen Kennenlernrunde zu dritt?"

„Lass uns erstmal abwarten, was der Tag noch so alles bringt. Du weißt genau, das Hotch uns gerade in diesem Fall besonders treiben wird."

„Okay, aber ich werde Susanne schon mal eine kleine Andeutung zuspielen."

„Dann pass aber auf, dass du sie alleine erwischst." Lachend traten sie in die letzten Sonnenstrahlen des warmen Sommertages.

„Was heckt ihr beiden schon wieder aus?" Morgan schaute mit schräg geneigtem Kopf zu ihnen hoch. Er stand unten am Fuße der Flugzeugtreppe.

„Nichts." Bekam er von Prentiss lachend zur Antwort. Sie schnappte sich ihre Tasche, die zu Morgans Füßen stand und ging davon.

JJ und Morgan holten sie bald ein und gemeinsam traten sie lachend aus dem Flughafengebäude heraus. Zwei schwarze SUV standen schon für sie bereit, die von dem Rest des Teams mit ihrer Ausrüstung beladen wurden.

„Es ist schon spät. Lasst uns losfahren. Nach Kingsport ist es noch ein gutes Stück. Wir sehen dort weiter." Hotchner trieb sie an und bald jagten die beiden SUV mit Blaulicht hintereinander her durch die immer höher ansteigende Landschaft.

Die SUV hielten vor dem Polizeirevier in Kingsport. Die Dunkelheit hatte sie während der Fahrt völlig eingenommen und die Zeit war unaufhörlich vorangerückt.

Sie stiegen aus und gingen geschlossen auf das Backsteingebäude zu. Die Fliegengittertür quietschte etwas in ihren Angeln, als Hotchner sie öffnete. Drinnen erwartete sie das helle, grelle Licht der Leuchtstoffröhren und eine röhrende Klimaanlage, die eine angenehm kühle Luft verbreitete.

JJ trat neben Hotchner, als ein junger Polizist hinter dem Tresen auf sie zukam und forderte ohne große Umschweife nach dem hiesigen Revierchef. „Wir werden von Sheriff Donovan erwartet."

„Sie sind die FBI-Leute, oder?" Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er den Hörer des Telefons hoch, das auf der Theke stand und sagte nur knapp: „Sie sind da."

Hotchner zog seine Augenbrauen zusammen. Ihm gefiel dieser Typ nicht sonderlich und nahm daher auch nur leicht nickend die folgenden Sätze zur Kenntnis.

„Sie kommen sofort. Wenn Sie mir bitte folgen wollen. Wir haben für Sie unser Besprechungszimmer reserviert. Ich hoffe, sie kommen damit zu recht. Wenn Sie irgendetwas benötigen, geben Sie mir einfach Bescheid."

Kurz nachdem sie das Besprechungszimmer betreten hatten, wurde es auf dem Flur lauter. Stimmen bewegten sich auf sie zu. Ein Mann im kurzarmigen Hemd und dunkler Anzugshose und ein weitere Mann in Uniform traten ein. JJ ging ihnen entgegen und sprach sie an: „Agent Herbst?" Als dieser nickte fuhr sie fort, „Ich bin Agent Jareau, wir haben telefoniert." Sie schüttelten einander die Hände.

„Sheriff Donovan", stellte der Agent seinen Begleiter vor. „Er ist für Kingsport und Bristol zuständig."

„Das ist Agent Aaron Hotchner, unser Teamchef." Hotchner hielt dem Sheriff und dem Agent die Hand zur Begrüßung hin, während JJ die weitere Vorstellung ihrer Teammitglieder übernahm: „Die Agents Morgan, Prentiss und Rossi. Doktor Reid und Agent Frank."

Hotchner wartete bis JJ's Stimme verstummte und wandte sich seinerseits an die Beamten. „Gibt es Neuigkeiten über den Verbleib von Mandy Johnson?"

„Nein. Keine Nachricht und bisher auch keinen Beweis das Mandy noch lebt." Gab Agent Herbst Auskunft.

„Wie wollen Sie vorgehen?" Sheriff Donovan schien wenig begeistert noch mehr FBI-Agents in seinem Revier zu haben.

„Sie haben uns diesen Raum zugedacht?" Hotchner sah den Sheriff freundlich an.

„Ja."

„Gut, dann werden wir uns hier jetzt einrichten." Begann Hotchner.

Das Team schien nur auf dieses Stichwort gewartet zu haben. Sie stoben auseinander und bereiteten alles für den neuen Fall vor. Reid und Morgan schlossen die beiden Laptops an und stellten die Verbindung mit Garcia her. Prentiss hatte sich Frank geschnappt und gemeinsam befestigten sie die Fotos der Mädchen an eine Wandtafel. Kleine Notizen erweiterten den aktuellen Kenntnisstand des neuen Falles.

JJ verschwand aus dem Raum, um die nötigen Anrufe bei den Eltern zu machen und die Kollegen für den nächsten Tag anzumelden.

„Heute ist es zu spät, um noch mit den Befragungen zu beginnen. Morgen früh werden wir uns mit den beiden Mädchen unterhalten und mit den Eltern von Mandy. Vielleicht kommen wir so auf eine Spur des Täters."

„Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, dass Mandy noch lebt?" Sheriff Donovan hatte das emsige Treiben der Agents beobachtet, wandte sich jetzt aber direkt an Hotchner und Rossi. Er schien ratlos. „Ihre Eltern fragen mich ständig und ich weiß nicht mehr was ich ihnen noch antworten soll."

„Nach der Statistik, sind Mandys Chancen noch zu leben sehr hoch. Wenn Sara oder Amanda sich noch in seiner Gewalt befinden würden, stände es wesentlich schlechter." Übernahm Reid die Erklärung.

Erstaunte Blicke des Sheriffs und seines jungen Polizeibeamten ließen Rossi erklären: „Mandy ist siebzehn, fast erwachsen. Kinder hingegen haben nach vierundzwanzig Stunden so gut wie keine Überlebenschance."

„Was hältst du gleich von einer kleinen gemütlichen Begrüßungsrunde zu dritt?" Flüsterte Prentiss Frank leise ins Ohr. Erstaunt schaute diese hoch. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht mit dieser Offenheit. Mit strahlenden Augen nickte sie kaum merklich.

„Süße, setz dich endlich hin", der Ton von Logans Stimme wurde strenger, „und halte dein kleines Plappermaul. Du machst mich ganz wirr…" Er schüttelte seinen Kopf, als wollte er die Geister darin vertreiben. Übermüdet trat er ans Fenster und beobachtete durch den Vorhang die Zufahrt zur Hütte. „In zwei Stunden ist Abfahrt."

„Wohin fahren wir?"

„Ich zeige dir meinen Lieblingsplatz. Da sind wir endlich alleine und ungestört." Sein liebevoller Blick ließ Mandy erschauern.

„Oh nein… Wer?… Brandon."

„Brandon?!" Mandys Hoffnung stieg. Er würde sie hier herausholen und seinen Freund zur Vernunft bringen.

Logan begann aufgeregt herumzulaufen. Mandy verfolgte ihn mit den Augen. Als er in der Küche verschwand sah sie ihre Chance gekommen. Eilig lief sie zur Tür. Doch sie war verschlossen und der Schlüssel fehlte. Voller Wut versuchte sie mit ihrer ganzen Kraft am Türknauf zu ziehen. Tränen der Hilflosigkeit traten ihr aus den Augenwinkeln. Verzweifelt begann sie zu rufen: „Brandon, ich bin hier! Hilf mir!"

In aller Eile kam Logan zurück in den Wohnraum und hatte mit einem Blick die Veränderung erkannt. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst sitzen bleiben und deinen Mund halten!?" Rot anlaufend vor Zorn zerrte er Mandy zurück zum Stuhl und drückte sie nieder. Er nahm ein Seil zur Hand, das er zuvor aus der Küche mitgebracht hatte und fesselte sein Opfer nicht gerade sanft am Stuhl feste.

„Jetzt benimm dich. Ich muss weg." Er war schon zur Tür gegangen.

„Warum sollte ich? Ich werde solange schreien, bis mich jemand hört und befreit." Mit bedrohlicher Miene kam er zurück. Nach kurzem Überlegen stopfte ihr ein Küchentuch in den Mund und band es hinter ihrem Kopf zusammen.

„Dann mal los." Mit einem höhnischen Lächeln ging er davon und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

JJ kam zurück in ihr provisorisches Büro und legte zwei Zettel auf den Tisch. „Leute, die beiden ersten Lösegeldforderungen sind jetzt da."

Reid, der vor dem Computer saß und ihr am nächsten, griff nach den Papieren und überflog den Inhalt.

„Von der Schreibweise sind alle drei gleich. Das war wahrscheinlich der gleiche Täter." Reid reichte die Papiere an seine Kollegen weiter, die inzwischen zu ihnen getreten waren. „Aber die ersten beiden Texte weichen sehr vom Inhalt des Dritten ab. Er schreibt ‚unser liebes Mädchen' anstatt ‚euer Kind'. ‚Das liebe kleine Töchterchen'…"

„Er scheint zu Sara und Amanda eine persönlichere Verbindung zu haben. Ich würde sagen, er hat sie schon lange vorher gekannt." Rossi schaute von den Texten auf und gab sie an Morgan weiter, der neben Reid saß. Dieser sprach: „Dann hat er sie wahrscheinlich beobachtet."

„Das hört sich für mich an, als wenn er ein Verwandter wäre oder sich zumindest zugehörig fühlt." Frank hob kurz ihre Stimme und verstummte dann wieder.

„Ein Verwandter kann es nicht sein." Begann Hotchner. „Sara Brown lebt alleine mit ihrer Mutter. Nach den Angaben in der Akte gibt es keine weiteren Verwandten."

„Und es war auf jeden Fall der gleiche Typ." Morgans Stimme klang bestimmt, als er sich vorlehnte und die Texte so auf den Tisch legte, dass alle sie sehen konnten. „Es wurde immer die gleiche Schreibmaschine benutzt. Der Buchstabe h hat einen kleinen Fehler und wird nicht sauber abgedruckt."

Reid zog seine Stirn kraus. Wie konnte er so etwas übersehen?

JJ fing den amüsierten Blick von Prentiss auf und zwinkerte ihr, das Lachen verkneifend, kurz zu.

„Damit wäre der Nachahmungstäter aus dem Spiel." Hotchner schaute von den Texten hoch. „Morgan und Prentiss, ihr fahrt Morgen früh gleich nach Morristown und befragt Sara Brown. Reid und Rossi, ihr nehmt Frank mit und redet mit Amanda Paul und ihren Eltern. JJ und ich werden Mandys Eltern aufsuchen."

„Brandon! Wo kommst du denn jetzt her?" Logan stand an der Hauswand des Mehrfamilienhauses gelehnt und sah den dunkelhaarigen Mann interessiert an.

Brandon hatte Logans Stimme sofort erkannt und erleichtert drehte er sich zu ihm um. „Ich war einkaufen. Die neue Arbeitswoche steht bevor. Und da ich Mandy am Dienstag zum Essen eingeladen habe…"

‚Mandy… haa, als wenn du nicht genau wüsstest, dass sie sich in meiner Gewalt befindet.' Ein Lächeln aufsetzend ging er auf das Spiel ein: „Bist du immer noch nicht von ihr los. Ich habe dir schon so oft gesagt, dass sie viel zu jung für dich ist."

„Ich werde mich nicht von ihr trennen und sie sich nicht von mir."

„So, wo ist sie denn jetzt?"

„Zu Hause, wo sonst? Wir haben uns erst wieder für Morgen Nachmittag verabredet. Du weißt doch, ihre Eltern wissen nichts von uns."

„Und das soll ich dir abkaufen?"

Brandon blieb überrascht stehen und drehte sich zu seinem Freund um, der ihm die Treppen zu seiner Wohnung hinauffolgte. „Was sollen alle diese Anspielungen? Du scheinst mir mein Glück nicht zu gönnen und dabei dachte ich, du wärest mein Freund."

Völlig überrascht von den neuen Erkenntnissen stieg Brandon die Treppenstufen weiter hinauf. Logan folgte ihm in einigem Abstand und behielt die Umgebung dabei genau im Auge. Kurz vor der Wohnungstür holte er auf: „Hey Kumpel, es war nicht so gemeint. Ich mache mir doch nur Sorgen um dich."

Wie selbstverständlich folgte er Brandon in die Wohnung und schloss die Tür.

Frank hatte gerade die letzten Sachen aus ihrer Tasche ins Bad gestellt, als es auch schon an der Zimmertür klopfte. Eilig warf sie einen Blick durch das Zimmer und ging dann zur Tür.

Sie hörte leise Stimmen und sah, als sie öffnete ihre beiden neuen Kolleginnen vor der Tür stehen. Sie schienen noch irgendwo einkaufen gewesen zu sein, denn Prentiss hielt eine kleine Plastiktüte in der Hand.

„Hey, da sind wir."

Frank trat erfreut zur Seite und ließ beide eintreten. „Schön… Das war eine gute Idee. Ich habe mich eben schon gefragt, was ich wohl angestellt hätte, wenn ich hier heute ganz alleine herumgehangen hätte."

„Meistens wirst du froh sein, wenn du dich endlich für ein paar Stunden aufs Ohr legen kannst. Hotch kann einen ganz schön treiben."

„Aber in den meisten Fällen müssen wir so viel Arbeiten JJ, um den UnSub endlich einen Schritt zuvor zukommen."

„Setzt euch doch."

Prentiss wandte sich zu Frank um: „Hier", sie stellte eine Einkaufstasche auf den Tisch ab, „wir waren gerade noch einkaufen. Nichts besonderes, aber wir wollten dich wenigstens gebührend empfangen."

Sie zog eine kleine Flasche Sekt hervor und stellte sie auf den Tisch. Einige kleine Knabbertüten folgten.

JJ zog entschuldigend ihre Schultern leicht hoch. „Wir wussten nicht, was du magst und haben halt ein paar mehr mitgebracht." Sie wandte sich um und ging zielsicher an die Kommode, die dem Bett gegenüber an der Wand stand. Wie selbstverständlich entnahm sie drei Longdrinkgläser und kam zum Tisch zurück.

„Andere sind leider nicht da."

„Macht nichts." Prentiss hatte inzwischen das Papier um den Verschluss der Flasche entfernt und zog den Korken heraus.

„Wie habt ihr es geschafft noch einkaufen zu gehen?"

„Mit der Zeit wird es zur Routine. Du holst am Besten sowieso nur das Wichtigste aus der Tasche. Es kann nämlich mal vorkommen, dass du schnell weiter musst." Prentiss füllte die Gläser.

„Danke, das ist ein guter Tipp."

„Dann lasst uns anstoßen." JJ nahm ein Glas und hielt es in die Luft. „Auf ein schönes Jahr, auf gute Zusammenarbeit,…"

„Ich würde sagen: Einfach auf uns!" Frank stieß an die Gläser und sie nippten an dem Sekt.

„Bevor du nun von dir erzählst Susanne, müssen wir erst noch etwas anderes bereden."

„Was?" Frank sah die neuen Kolleginnen verwundert und doch interessiert an. Sie hatte damit gerechnet jetzt auf Herz und Nieren ausgefragt zu werden.

„Klar, das es dir nicht aufgefallen ist, du kennst unsere Kollegen nicht. Aber sie haben sich heute wirklich nicht gerade normal benommen. Wahrscheinlich sind sie anderer Ansicht, aber als Frau spürt man so etwas."

„Was Emily meint, ist das Morgan und Reid sich gegenseitig versucht haben auszustechen. Dave und Hotch waren da wesentlich ruhiger."

„Obwohl Hotch heute auch einen äußerst höflichen Ton angeschlagen hat."

„Ja, du hast recht. Dabei war er erst etwas stinkig, als er noch zum Direktor hoch musste. Aber bestimmt wollte er Susanne nicht sofort am ersten Tag vergraulen. Du musst wissen Susanne, Hotch ist streng. Mit sich und seinen Kollegen."

„Aber auch sehr gerecht. Du kannst mit allem zu ihm kommen. Du brauchst dich wegen nichts zu schämen."

„Das ist gut zu wissen."

„Habt ihr bemerkt, wie es Spencer geärgert hat, als Derek den Fehler der Schreibmaschine festgestellt hat?" Prentiss lachte bei dem Gedanken belustigt auf.

„Nun, wer schreibt seine Texte heute auch noch auf einer Schreibmaschine."

„Gutes Argument Susanne. Das kannst du Morgen bestimmt noch irgendwo anbringen." Prentiss schien echt beeindruckt.

„Im Übrigen waren sie doch alle sehr erstaunt, als du dich so einfach eingemischt hast."

Frank sah verwundert von Einer zur Anderen. „Aber genau das hat Hotch doch von mir verlangt. Ich soll meine Gedanken nicht zurückhalten."

Die Drei tauschten erstaunte Blicke aus, dann lachten sie lauthals…

Es wurde später und später. Doch der Gesprächsstoff schien kein Ende zu finden…

Früh am nächsten Morgen standen JJ und Hotchner in Begleitung von Agent Herbst vor dem Haus der Johnsons. Die Oakland Street war eine reine Wohngegend der mittleren Schicht. Die Häuser in der Straße waren meistens eingeschossig, mit hellen Farben bemalt und alles wurde sauber gehalten und gepflegt.

Agent Herbst klopfte an die Tür und machte die Personen miteinander bekannt. Sie folgten Mr. und Mrs. Johnson ins Wohnzimmer. Eine dunkle Ledercouch stand gegenüber dem großen Panoramafenster. Der Blick hinaus in den Garten erfüllte das Herz. Blumen sämtlicher Arten bereiteten ein farbenfrohes Spiel.

Während sich die Johnsons auf die Couch setzten, nahmen JJ und Hotchner in den beiden aus dunklem Holz gefertigten Stühlen ihnen gegenüber platz.

„Wir wollen Ihnen helfen Mandy zu finden. Dazu müssen wir ihnen aber noch einige Fragen stellen."

Mrs. Johnson nickte zustimmend.

„Hat sich in den letzten Wochen irgendetwas in Ihrem Leben verändert? Hatten Sie das Gefühl beobachtet zu werden?"

Die Johnsons sahen sich an und schienen über die Fragen nachzudenken: „Nein." Antwortete Mr. Johnson kopfschüttelnd.

„Hat Mandy Ihnen von etwas derartigem erzählt?"

„Nein." Diesmal antwortete Mrs. Johnson. „Können Sie uns bitte verraten, warum ausgerechnet Mandy? Sie ist so ein lieber Mensch. Zu allen freundlich."

„Ma'am", JJ lächelte Mrs. Johnson beruhigend an, „das bezweifeln wir auch gar nicht."

„Wir sammeln momentan noch alle Fakten Mrs. Johnson. Daraus werden wir ein Profil des Täters erstellen. Dann wird man auch sagen können, ob Mandy nur zufällig in die Hände des Unbekannten fiel, oder ob er alles lange geplant hat." Hotchner wartete einen kurzen Moment, bevor er die nächste Frage stellte. „War an Mandys Tagesablauf am Donnerstag etwas anders als sonst?"

„Sie haben etwas länger geprobt. Sie ist in der Theater-AG. Nächste Woche ist Prämiere." Mrs. Johnson wischte sich eine Träne von der Wange.

„Hätten Sie eventuell ein aktuelles Foto für uns?"

„Ja, sicher." Mrs. Johnson stand auf und holte eine gerahmte Fotographie vom Schrank. Sie hielt sie JJ hin.

„Dürfen wir sie mitnehmen?"

Die Johnsons nickten und JJ öffnete den Bilderrahmen.

Währenddessen saßen Rossi, Reid und Frank Amanda Paul und ihren Eltern gegenüber. Die zehnjährige saß verängstigt zwischen ihren Eltern. Frank schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Langsam entspannt sich das Gesicht der Zehnjährigen.

Ihre Mutter musste sie früh bekommen haben. Frank schätzte Mrs. Paul auf Ende zwanzig. Sie war schön, ihre blonden langen Haare trug sie zu einem Pferdschwanz zusammengebunden, der ihr beim Gehen vorhin lustig über die Schultern gehüpft war. An diesem warmen Sommertag trug sie eine einfache kurze Jeans und einen hellblauen Neckholder dazu.

Der Vater ebenfalls locker in Jeans und T-Shirt gekleidet, war groß gewachsen und durchtrainiert. Seine fast schwarzen Haare trug er extrem kurz. Wahrscheinlich wollte er damit die beginnende Glatze überspielen. Frank schätzte ihn auf gut zehn Jahre älter als seine Frau.

„Amanda, hast du den Mann vorher schon mal gesehen?" Rossi sprach ruhig und mit seiner rauen Stimme klang er wie ein liebender Großvater.

„Nein. Er sagte Mummy hätte ihn geschickt, um mich abzuholen."

„Hat er dir gesagt, wer er ist?"

„Onkel Tom."

„Was habt ihr gemacht während du bei ihm warst?"

„Gespielt." Amanda wurde lebhafter, ihre Augen begannen zu leuchten. „Onkel Tom hat ein riesiges Zimmer voll mit Spielzeug und ein wunderschönes Himmelbett."

„War er die ganze Zeit bei dir?"

Das Mädchen überlegte kurz, schüttelte dann ihren Kopf. „Nein, er ging einmal kurz weg. Und dann war er Abendessen holen. Das hat lange gedauert."

„Hattest du großen Hunger?" Frank mischte sich ein.

„Nein… Er hat lange warten müssen."

„Das hat Onkel Tom gesagt?"

Amanda nickte zustimmend.

„Mrs. Paul", wandte sich Rossi jetzt an die Mutter, „wodurch wurden Sie aufgehalten, als sie Amanda abholen wollten?"

„Wollen Sie jetzt mir die Schuld geben?" Entsetzt sah die junge Mutter den älteren Agent an.

„Nein Mrs. Paul, beruhigen Sie sich. Daran hat niemand Schuld… außer vielleicht Onkel Tom."

Frank erhob sich und wandte sich an das Mädchen: „Amanda, kommst du mit mir und zeigst mir dein Zimmer?"

Amanda hatte vertrauen zu Frank gefasst und stand sofort auf. „Komm!" Lachend ergriff sie Franks Hand und zog sie hinter sich her aus dem Wohnzimmer.

Rossi war beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, mit der sich die neue Kollegin scheinbar in das Team einfügte. Jetzt konnte er offener mit den Eltern reden.

„Mrs. und Mr. Paul, wir geben Ihnen keine Schuld an dem was geschehen ist. Wir versuchen nur herauszufinden, wieso er gerade Amanda ausgesucht hat. Dazu brauchen wir so viele Informationen, wie wir bekommen können, okay?"

Das Ehepaar nickte.

„Oh, du hast aber ein schönes Zimmer." Frank schaute sich mit einem Blick in dem Raum um. „Du bist eine richtige Puppenmutti, was?" Amanda lachte zu ihr hoch.

„Das sind Lena und Sophia. Sie sind meine Lieblingskinder."

Susanne bestaunte die beiden Puppen gebührend, dann sah sie den Schreibtisch unter dem Fenster und die vielen bunten Stifte. „Malst du gerne?"

„Ja."

„Malst du mir ein Bild? Als Andenken?"

„Was soll ich denn Malen?" Das Mädchen setzte sich an den Tisch und zog ein Blatt hervor.

„Was fällt dir gerade ein? Vielleicht ein Bild deiner Familie?"

Amanda überlegte kurz. Dann nickte sie und machte sich an die Arbeit.

Die Agents verabschiedeten sich an der Haustür von den Johnsons.

„Wir versuchen Mandy so schnell wie möglich zu finden. Nachdem, was wir von den anderen Mädchen wissen, wird ihr nichts passieren. Er hat sich gut um die beiden gekümmert." Hotchner reichte den Eltern zum Abschied die Hand.

„Danke, das hilft etwas." Mrs. Johnson versuchte ein kleines Lächeln.

„Ach, eine Frage hätte ich da noch." JJ stand schon vor den Stufen der Veranda und sah zu den Eltern hoch. „Hat Mandy eine beste Freundin?"

„Sie hat viele Freunde, aber Claire und sie sind unzertrennlich. Sie haben sich schon im Kindergarten kennengelernt."

„Könnten wir ihre Adresse bekommen?"

JJ schrieb sich diese auf und verabschiedete sich dann endgültig.

„Wohin fahren wir jetzt?" Agent Herbst öffnete den Wagen und sah über die Kühlerhaube hinweg zu Hotchner, als erwartete er neue Befehle.

Die Agents stiegen ein.

„Du meinst die Freundin weiß mehr JJ?"

„Sie ist siebzehn. Mandy wird ihre Geheimnisse nicht mehr mit ihren Eltern geteilt haben."

Hotchner drehte sich im Sitz nach hinten und schaute seine Kollegin an: „Wohl eher mit der besten Freundin."

„Genau."

„Also fahren wir zu dieser Adresse Herbst."

„Ich bin fertig Susanne." Amanda Paul hatte den Stift aus der Hand gelegt und strahlte Agent Frank stolz an. Frank war während sie wartete durch das Kinderzimmer gewandert und hatte versuchte sich ein Bild von dem Leben des Kindes zu machen.

„Oh, das ist dir aber sehr gut gelungen." Lobte Frank und ging neben Amanda in die Knie, um mit ihr auf Augenhöhe zu kommen. Sie zeigte auf eine Figur: „Das bist du, richtig?"

„Ja, und Mummy und Daddy und Sam." Amanda zeigte auf die jeweiligen Personen.

„Sam ist dein kleiner Bruder, richtig?"

Amanda nickte. „Er ist bei Ben."

„Und der schwarze Hund, wer ist das?"

„Teddy, aber er ist tot."

„Oh, der Arme. Du hast ihn bestimmt ganz lieb gehabt."

„Ja. Er war mein Freund."

„Und wen hast du dort noch gemalt?" Susanne zeigte auf eine Person, die etwas abseits der Familie stand.

„Onkel Tom."

„Sieht er wirklich so aus?" Susanne verglich die Menschen auf dem Bild miteinander.

„Ja. Er hat ein ganz liebes Gesicht und er lacht viel."

„Und er hat die gleiche schöne Haarfarbe wie du!?"

Stolz nickte das Mädchen.

„Amanda hat er noch irgendetwas gesagt?" Frank sah ihr tief in die Augen.

„Ich darf es nicht verraten."

„Was Amanda?"

„Onkel Tom hat gesagt, er wäre mein Vater." Susanne schaute erstaunt das Mädchen an, dann erhob sie sich.

„Malst du mir noch ein Bild Amanda? Versuchst du das Gesicht von Onkel Tom zu malen?"

„Mmh…okay." Nickend stimmt Amanda zu.

„Ich bin gleich wieder zurück." Frank nahm das fertige Bild und verschwand aus dem Raum. Kurz darauf stand sie in der Tür zum Wohnzimmer.

Die Personen im Raum schauten überrascht zu ihr hin, als sie eintrat und sich direkt neben den Pauls vor dem Tisch niederließ und das Bild darauf ablegte.

„Sie sind nicht Amandas Vater, oder Mr. Paul?" Frank schaute den Mann zu ihrer Rechten gerade ins Gesicht.

„Doch ist er!" Mrs. Paul schrie fast.

„Anna…" Beruhigend legte ihr Mann seine Hand auf ihren Unterarm und sprach ruhig an die Agents gewandt weiter: „Nein, ich bin nicht ihr Vater. Aber wie kommen Sie darauf? Amanda weiß es nicht!"

„Amanda hat ein Bild ihrer Familie gemalt…" Frank versuchte sich innerlich zu fassen. „Sie hat Onkel Tom auch gemalt…"

„Was?" Mrs. Pauls war sichtlich entsetzt.

Frank reichte das Blatt Papier ihren Kollegen. „Er hat ihr gesagt, er sei ihr Vater… Nach der Haarfarbe könnte das auch gut hinkommen."

„Sara hat auch einen ähnlichen Farbton." Reid erinnerte sich an das Foto des dritten Mädchens.

Rossi beobachtete die Mutter interessiert. Dann kam ihm eine Idee: „Mrs. Paul, wer ist Amandas Vater?" Tränen schossen der Angesprochenen augenblicklich in die Augen. Schützend legte ihr Mann seinen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. „Wir müssen wissen was damals passiert ist."

„Ich bin mit siebzehn auch entführt worden." Brachte Mrs. Paul mühsam hervor. „Er hat mich fünf lange Wochen festgehalten."

„Und Vergewaltigt." Beendete Reid den Satz.

Mrs. Paul nickte unter Tränen.

„Hat er Lösegeld von ihren Eltern gefordert?"

Sie sah zu Rossi hinüber und schüttelte den Kopf.

Dieser stand auf und zog sein Handy aus der Tasche. Während er die Kurzwahltaste drückte, trat er hinaus in den Flur.

„Morgan." Meldete sich sein Kollege am anderen Ende der Leitung.

„Seid ihr noch bei den Browns?"

„Ja."

„Ist Mrs. Brown blond, Ende zwanzig, Anfang dreißig?"

„Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment." Morgan stand aus dem buntgeblümten Sessel auf und ging hinüber in das anschließende Esszimmer.

„Deine Vermutungen stimmen, Dave. Warum?"

„Soweit ich mich erinnere, ist sie alleinerziehend."

„Richtig."

„Fragt sie bitte, wer der Vater von Sara ist. Wahrscheinlich ist sie mit siebzehn entführt worden, keine Lösegeldforderungen, aber sexuelle Übergriffe."

Morgan überlegte kurz: „Wenn das, was ich mir gerade zusammenreime stimmt, müssen wir Mandy so schnell wie möglich finden!"

„Das denke ich mir auch… Gut, wir fahren dann jetzt zurück. Wir treffen uns in Kingsport."

„Okay… Wenn sich unser Verdacht hier bestätigen sollte, werde ich umgehend Hotch bescheid geben." Sie unterbrachen die Verbindung.

Morgan ging zurück zu Miss Brown, ihrer Tochter und Prentiss. Ohne umschweife wandte er sich an Sara. „Wenn du möchtest, kannst du jetzt wieder zu deinen Freundinnen gehen. Wir haben nur noch ein paar Fragen an deine Mum."

Sara schien erleichtert und erhob sich sofort.

Morgan wartete bis er eine Tür im Obergeschoss hörte, dann wandte er sich an Miss Brown: „Es ist nicht einfach über schreckliche Momente der Vergangenheit zu sprechen Miss Brown, aber kann es sein, das Sara während ihrer Entführung als siebzehnjährige gezeugt wurde?"

Prentiss ließ sich keine große Regung anmerken, aber innerlich war sie doch sehr erschrocken. Miss Brown schaute hingegen gefasst zu Morgan und ihre Stimme brach nur kurz: „Ja, sie haben recht."

„Es wurde damals kein Lösegeld gefordert, oder?"

„Nein… Er hat mich nur sieben Wochen in einer abgelegenen Hütte eingesperrt."

„Wir kennen die Akten noch nicht… Wurde damals ein Phantombild erstellt?"

„Ja. So gut wie ich mich eben erinnern konnte… Ich habe in diesen Wochen versucht alles was passierte,… die Geschehnisse, zu verdrängen." Sie stockte, dann begann sie von ganz alleine zu erzählen. „Erst habe ich mich noch gegen ihn gewehrt. Aber er war stärker. Er schlug mich… Da habe ich mich einfach meinem Schicksal ergeben. Es machte es leichter zu ertragen."

„Wie alt würden sie ihn damals geschätzt haben?" Prentiss sah die Frau ihr gegenüber interessiert an.

„Ich weiß nicht. Damals fand ich ihn ganz schön alt. Aber wenn ich ihn heute einschätzen sollte", sie überlegte kurz, „würde ich sagen, war er um die dreißig."

„Vielen Dank Miss Brown, das sie sich Zeit für uns genommen haben. Sollten wir noch weitere Fragen haben, werden wir uns melden." Morgan und Prentiss erhoben und verabschiedeten sich an der Haustür von Miss Brown.

„Claire Fields?" JJ trat auf ein schwarzhaariges junges Mädchen zu, die im Vorgarten der Adresse der Fields stand und sich um die Blumen kümmerte.

„Ja." Überrascht drehte sie sich um. JJ und Hotchner hatten ihre Marken gezogen und hielten sie dem Mädchen hin: „Ich bin Agent Jareau vom FBI, mein Kollege Agent Hotchner… Sie wissen, dass ihre Freundin Mandy entführt wurde?" Tränen stiegen in die Augen des Mädchens und sie konnte zur Bestätigung nur nicken. „Wir würde mit Ihnen gerne über Mandy sprechen."

„Okay." Ihre Stimme war sehr dünn. Sie zog die Arbeitshandschuhe aus und ließ sie in den Eimer mit den Pflanzenabfällen fallen.

„Hat sich Mandy in der letzten Zeit verändert? Hat sie sich verfolgt gefühlt?"

„Nein", Claire Fields schüttelte den Kopf und schaute JJ an, als sie weiter sprach, „das hätte sie mir erzählt."

„Ihre Eltern sagten uns, sie wäre überall beliebt gewesen. Da wart ihr doch bestimmt viel unterwegs."

„Ja, meistens. Aber seit Mandy mit Brandon zusammen ist, darf ich ihr nur noch Alibis für ihre Eltern liefern."

„Dann war ihr Verhältnis in der letzten Zeit nicht so gut?" Hotchner verzog keine Miene.

„Nein… Ich meine doch... Es ist nur nicht so spaßig immer als Anhängsel dabei zu sein."

„Seit wann sind die beiden zusammen?"

Claire verzog ihr Gesicht und schien über JJ's Frage nachzudenken: „Sie haben sich bei Fred auf dem Geburtstag kennengelernt. Drei Wochen später kam Mandy überglücklich an und hat mir erzählt, dass sie zusammen sind… Das war dann so Ende Mai."

„Können Sie uns noch etwas mehr über diesen Brandon sagen?" Hotchner wusste, dass sie jede neue Spur zum Ziel und somit zu Mandy führen konnte.

„Sein Name ist Brandon Harris. Er kommt aus Johnson City. Er ist Ende zwanzig. Mandy hat Angst, dass ihre Eltern etwas gegen sein Alter haben. Darum hat sie ihnen noch nichts von ihrem erzählt."

„Würden ihre Eltern eine Trennung fordern?"

„Ich weiß es nicht…" Sie stockte. „Mandy hat mal gesagt, dass sie lieber mit Brandon verschwinden würde, als ihn zu verlassen."

„Vielen Dank, dass sie sich Zeit genommen haben Miss Fields." Die Agents verabschiedeten sich und gingen zurück zum Wagen, als Claire sie aufhielt: „Agent Hotchner,… lebt Mandy noch? Werden Sie sie finden?" Die Agents hatten sich Claire wieder zugewandt, der plötzlich Tränen über die Wangen liefen.

„Wir denken schon Miss Fields. Es sieht alles danach aus."

Rossi, Reid und Frank saßen schon an dem großen Tisch in der Polizeistation, als Hotchner und JJ mit Agent Herbst eintraten.

„Habt ihr schon Garcia angerufen?" Hotchner setzte sich neben Rossi und schaute in die Runde.

„Ja", antwortete Reid. „Sie sucht gerade nach den Fallakten von damals."

Morgan und Prentiss traten ein.

„Gut." Hotchner nickte und sah den ankommenden Kollegen entgegen.

„Wie seid ihr darauf gekommen, dass unser UnSub der Vater der Mädchen ist?" Morgan sah Rossi fragend an, als er um den Tisch herum ging und sich ihnen gegenüber niederließ. Prentiss nahm auf dem Stuhl neben ihm platz und schien sofort interessiert die Ohren zu spitzten.

Rossi schmunzelte und forderte Frank mit einer Handbewegung auf, ihre Entdeckung zu erklären. Reid lächelte auch munter vor sich hin, als er die erstaunten Blicke der Kollegen sah.

„Das war reiner Zufall." Frank hob abwährend ihre Hände. „Ich hatte das Gefühl, dass Amanda irgendein Geheimnis beschäftigte. Da habe ich sie gebeten, mir ein Bild zu malen." Sie legte das Bild der Familie auf den Tisch. „Ihre Familie, … mit Onkel Tom."

„Unser UnSub hat ihr gesagt, er wäre Onkel Tom." Unterbrach Reid erklärend. Morgan und Prentiss nickten zustimmend. Das hatten sie auch herausgefunden.

Hotchner griff über den Tisch und zog das Bild zu sich heran. „Die Haarfarbe gibt aber noch keinen schlüssigen Verdacht. Sie könnte einige Generationen übersprungen haben."

„Ich weiß, aber es brachte mich auf die Idee… Außerdem hat unser Unbekannter Amanda gesagt, er wäre ihr Vater. Und da sie niemanden etwas davon sagen sollte, rotierten ihre Gedanken."

„Gute Arbeit. Du fügst dich gut ins Team ein Frank."

„Danke."

„Und Miss Brown hat die sexuellen Übergriffe in ihrer Jugend bestätigt?" Hotchner wandte sich an Morgan.

„Ja, sie hat uns sogar genauere Angaben…" Hotchners Blick fiel auf Frank und seine Gedanken schweiften vom Thema ab. Sie überraschte ihn. Und doch fühlte er sich in seiner ersten Einschätzung bestätigt. Sie würde sich für das Team grenzenlos einsetzen. Egoismus schien ihr fern. Es schien ihr sogar etwas peinlich zu sein im Mittelpunkt zu stehen.

Hotchner kam wieder in die Wirklichkeit zurück, als sich Garcias Stimme aus dem Laptop meldete. „Hallo zusammen. Ich habe euch gerade die Akten zu gemailt. Aber die Angaben sind nicht sehr aufschlussreich. Da hat man sich damals nicht sehr viel Mühe gemacht. Hängt aber vielleicht auch damit zusammen, das zwei Jahre zwischen den Entführungen lagen und noch dazu in verschiedenen Orten geschahen."

„Garcia, versuch bitte herauszufinden, ob es in den, sagen wir letzten zwanzig Jahren weitere Entführungen gab." Hotchner war jetzt wieder voll bei dem Fall.

„Du meinst es gibt noch mehrere Opfer?" Garcia schüttelte es leicht.

„Die Vermutung liegt nahe, solange wir nicht wissen, wo er in den letzten zehn Jahren gesteckt hat."

„Wir sollten aber einen etwas größeren Radius schlagen", wandte Reid ein. „Das innerhalb von zwei Jahren zwei Entführungen geschehen, ist möglich. Mehrere in der näheren Umgebung wären aufgefallen."

„Gut." Frank sah, wie sich Garcia mit einem federbesetztem Kugelschreiber Notizen machte.

„In der Akte von Miss Brown müsste ein Phantombild sein." Warf Morgan in den Raum.

„Ja, aber wie schon gesagt, alles sehr stümperhaft."

„Vielleicht kann uns dieses Bild etwas helfen." Frank zog ein weiteres gemaltes Bild hervor. Alle sahen schon von weitem, dass es ein Gesicht zeigte. „Es ist zwar von einer Zehnjährigen, die Verhältnisse werden nicht unbedingt stimmen, aber es gibt vielleicht doch den einen oder anderen Hinweis. Zum Beispiel diese hellen blauen Augen."

„Garcia wir mailen es dir gleich durch. Schick es durch sämtliche Datenbanken, vielleicht haben wir ja Glück."

„Wird erledigt Chef… Ich schau mir die Bilder mal an, vielleicht kann ich ja noch etwas mit dem alten Phantombild zaubern." Sie schwenkte den pinkfarbenen Kugelschreiber wie einen Zauberstab durch die Luft und schon war der Bildschirm schwarz.

„Wir haben herausgefunden, dass Mandy einen Freund hat." JJ zog die Aufmerksamkeit ihrer Kollegen auf sich. „Brandon Harris, neunundzwanzig. Mandys Eltern wissen angeblich nichts von ihm. Wir sollten ihn überprüfen."

„Richtig. Prentiss, das wirst du übernehmen." Prentiss nickte.

„Wir wissen noch, dass er die Mädchen damals in einer Hütte festgehalten hat. Wie wahrscheinlich ist es, das Mandy auch da ist?" Morgan sah in die Runde. „Sara und Amanda waren nur gute zwei Tage bei ihm, aber Mandy wird er bestimmt wieder länger festhalten."

„Es gibt zig Hütten da draußen, am Holsten River reihen sie sich aneinander." Agent Herbst, der die ganze Zeit interessiert zugehört hatte, mischte sich zum ersten Mal ein.

„Ich brauche eine Karte von der Gegend… Wenn die Hütten zu nahe stehen, könnte es sein, dass jemand ihre Schreie hören könnte. Das Risiko würde er nicht eingehen… Sie muss abgelegen liegen." Reid übernahm damit die Eingrenzung der möglichen Aufenthaltsorte von Mandy.

„Dann lasst uns mit dem Profil des Täters beginnen." Schloss Hotchner das Gespräch.

„Hast du auch seine Adresse?" Prentiss griff sich einen Stift und ein Stück Papier.

Garcia tippte eifrig auf der Tastatur. „2 Ross Drive. 37604 Johnson City, Tennessee. Apartment 43."

„Danke." Prentiss sah sich im Raum um, doch alle waren so sehr mit ihren Aufgaben beschäftigt, dass sie wohl nicht auf sie achten würden. Leiser begann sie dann: „Penelope, was hältst du von einem kleinen Umtrunk, wenn wir wieder zurück sind? Du solltest die Chance bekommen Susanne näher kennenzulernen. Sie wird dir bestimmt gefallen."

„Ich bin immer dabei, das weißt du doch."

„Perfekt. Dann bis später." Prentiss unterbrach die Verbindung und ging zu Hotchner hinüber. Er sah von seinen Papieren hoch, als er sie neben sich bemerkte.

Ohne ein Wort zu sagen legte sie ein Foto vor ihm hin.

„Harris?" Ein freundlich lächelndes Gesicht strahlte ihm entgegen. Seine Augen waren dunkel, genauso wie seine Haare, die ihm lang bis auf die Schultern herunter hingen.

„Ja. Er passt nicht zu den Beschreibungen der Opfer. Außer er hat sich jedes Mal verkleidet."

„Möglich. Hast du sonst noch etwas herausgefunden?"

„Seine Akte ist sauber."

„Was hast du jetzt vor?"

„Ich habe die Adresse von Harris. Am Telefon meldet sich niemand. Ich würde gerne hinfahren."

„Gut, nimm Morgan mit." Nickend verschwand Prentiss. Hotchner sah noch, wie sie Morgan andeutete ihr zu folgen und wandte sich dann seinen Papieren wieder zu.

Morgan klopfte an die Wohnungstür mit der Nummer 43. Nichts rührte sich hinter der Tür. Wieder klopfte er. „Brandon Harris, hier ist das FBI! Machen Sie bitte auf!" Noch immer nahmen sie keine Bewegung hinter der Tür war.

„Er ist nicht da. Wir sollten uns an den Hausmeister wenden."

Zustimmend nickte Morgan zu Prentiss Worten und gemeinsam machten sie sich auf den Weg hinunter.

Kurz darauf standen sie mit einem Mann von gut fünfzig Jahren vor der Tür. Er trug eine abgewetzte Jeans und ein rot kariertes Holzfällerhemd, dessen Ärmel er bis über die Ellenbogen aufgeschlagen hatte.

„Wann haben Sie Mr. Harris zu letzt gesehen, Mr. Mason?" fragt Prentiss.

„Ich weiß nicht, Anfang der Woche, Dienstag…" Er machte sich am Schloss zu schaffen. Dann richtete er sich plötzlich auf. „Nein, es war bestimmt Mittwoch. Ich habe mich noch so geärgert."

„Warum?" Morgan kribbelte es in den Fingern. Konnte er nicht einfach den verdammten Schlüssel im Schloss umdrehen!

„Er kam mit seinem Freund. Sie stritten sich lauthals den ganzen Weg hinauf in die Wohnung." Mr. Mason zweigte auf die Wohnung vor ihnen und drehte den Schlüssel. Er schob die Tür auf und Morgan zog vorsichtshalber seine Waffe.

„Sie bleiben hier Mr. Mason." Morgan nickte seiner Kollegin zu und Prentiss folgte, ihre Waffe ebenfalls in der Hand, in die Wohnung.

„Sicher." Morgan war bis in den Wohnraum vorgedrungen und fand keine Menschenseele vor.

Prentiss stieß eine Tür auf und hielt die Pistole im Anschlag. Sie trat einen Schritt in den Raum und ruckartig richtete sie den Lauf hinter die Tür. „Sauber." Leicht enttäuscht steckte sie die Waffe zurück in den Holster.

„Prentiss, komm mal." Sie folgte Morgans Stimme durch die Wohnung und fand ihn schließlich in dem am Wohnraum angrenzenden Schlafzimmer.

„Hast du was gefunden?" Morgan kniete hinter dem zerwühlten Bett und als Prentiss zu ihm trat, sah sie sofort die kleine Blutlache. „Er ist verletzt."

Morgan nickte. „Harris oder sein Gegner…" Er stand auf. „So wie es hier aussieht, gab es einen kleinen Kampf. Wir sollten die Spurensicherung rufen, vielleicht können sie etwas Brauchbares finden."

Prentiss nickte zustimmend. „Und wir sollten nochmals mit Mr. Mason reden, vielleicht kann er uns den Freund beschreiben."

„Mach du das, ich werde inzwischen Hotch bescheid geben."

Neugierige Augenpaare erschienen überall im Haus und in den Wohnungstüren, als sich eine Gruppe von Polizeibeamten und Technikern auf den Weg in die Wohnung machten.

Prentiss hatte Mr. Mason befragt und ihn nun fortgeschickt. Sie trat zu Morgan, der gerade am telefonieren war.

„Prentiss ist da. Ich stelle dich auf laut Hotch."

Prentiss berichtete was sie von dem Hausmeister erfahren hatte.

„Also wäre sein Freund unser UnSub?" Hotchners Stimme drang durch den Lautsprecher.

„Nachdem wie er ihn beschrieben hat, ja. Es kann natürlich auch Zufall sein, dass sie sich so ähnlich sehen."

„Ich denke, wir sollten davon ausgehen, dass er es ist… Dann stellt sich die Frage: Sind sie Komplizen oder weiß Harris nichts von den Taten seines Freundes?" Morgans Augen schweiften durch den Wohnraum.

„Harris hat keinerlei negativen Eintragungen. Nicht mal den kleinsten Strafzettel." Prentiss hatte sich mit diesem Menschen eingehend beschäftigt.

„Wenn wir dann davon ausgehen, dass unser UnSub fast zehn Jahre nicht zugeschlagen hat, weil er zum Beispiel weggesperrt war, muss die Freundschaft noch sehr jung sein." Hotchner versuchte eine Verbindung zu ihrem jetzigen Profil herzustellen.

„Vielleicht hat Harris herausgefunden was für ein Schwein sein Freund ist."

„Oder sie kennen sich aus Kindertagen…" warf Prentiss ein.

Morgan schüttelte genervt den Kopf. „Wie kommen wir näher an diesen Typen heran? Er wird gewalttätig gegenüber Menschen, die sich ihm in den Weg stellen."

„Durchsucht alles, vielleicht findet ihr ja noch einen weiteren Hinweis… Ach ja, wir haben gegen sieben eine Versammlung einberufen, um unser vorläufiges Profil bekanntzugeben."

„Wir werden pünktlich da sein." Morgan unterbrach die Verbindung und entschlossen machten sich die beiden Agents daran, die Wohnung systematisch zu durchsuchen.

„Danke, dass sie sich so spät noch Zeit genommen haben." Hotchner wandte sich an die versammelten Polizisten. „Wir suchen einen hellhäutigen Mann, der Ende Dreißig Anfang Vierzig ist. Er hat kastanienbraune, kurzgeschnittenes Haar."

„Er hat im Zeitraum von1997 bis 2001 jedes Jahr ein Mädchen entführt. Bis Anfang dieses Jahres sind keine Entführungen mehr erfolgt, die seine Handschrift tragen. Daher gehen wir davon aus, dass unser UnSub sich in den Jahren dazwischen entweder im Gefängnis oder einer Klinik befunden hat." Rossi zog die anwesenden Personen in seinen Bann.

Morgan fuhr fort: „Der Täter bewegt sich völlig unauffällig durch das tägliche Leben. Er hat die Familien von Amanda und Sara beobachtet, bevor er sie gekidnappt hat. Auszuschließen ist auch nicht, dass der Täter hier aus Kingsport oder der näheren Umgebung kommt. Er hat zwei Gegenden, denen er sich anscheinend verbunden fühlt. Das ist hier um Kingsport und um Jackson/Ohio."

„Wir haben um Jackson zwei weitere frühere Opfer gefunden. Vom ersten Opfer wurde Anfang des Jahres der Sohn entführt und gegen ein Lösegeld ausgetauscht." Rossi erklärte den Zusammenhang der beiden Gebiete.

„Außerdem ist er der Vater der Kinder. Er verleiht, vermietet seine Kinder an die Mütter und fordert dafür seinen Lohn. Da er bei Mandy nun diesen höheren Betrag gefordert hat, gehen wir davon aus, dass er erst um die Jahreswende freigekommen ist und keine Arbeit gefunden hat. Er benötigt Geld, um seinen Kindern etwas bieten zu können."

„Und sich einzuschleimen." Warf einer der Polizisten ein. Hotchner sah ihn mit strengem Blick an. „Für zweimal zwei Tage stattet er ein ganzes Zimmer mit Spielzeug aus."

„Jim, halt dich etwas zurück." Sheriff Donovan wies seinen Polizisten zurecht.

„Nein, er hat Recht. Irgendwo muss er das Spielzeug gekauft haben. Vielleicht können wir eine Spur finden. Wir sollten JJ darauf ansetzen." Wandte Rossi ein.

Hotchner nickte bestätigend und wandte sich wieder an die versammelte Mannschaft: „Bitte halten Sie nach diesem Typ Mann Ausschau wenn sie unterwegs sind."

„Wir haben ihnen hier noch ein Phantombild des Gesuchten ausgelegt." Morgan wies auf einen Stapel Papier. „Unten drunter finden Sie ein weiteres Foto. Dieser Mann heißt Brandon Harris und wird als Zeuge gesucht. Er wurde das letzte Mal am Mittwochabend in seiner Wohnung gesehen." Während Morgan weiter sprach, verteilten die Polizisten die Zettel untereinander und nickten verstehend zu seinen Ausführungen.

„Gut, das wäre es dann für heute." Ein allgemeines Stühlerücken begann, als Hotchner die Versammlung beendete.

Am nächsten Morgen machte sich das BAU-Team unverzüglich wieder an die Arbeit und versuchten die neuen Erkenntnisse vom Vortag in ihr Profil einzubauen.

Reid stand vor seiner Karte und besaß sich das Ergebnis. Mit blauen Fähnchen hatte er die Orte markiert, aus denen die Mütter damals entführt worden waren, gelbe zeigten die heutigen Entführungen an.

Die Hütten am Holsten River schloss Reid als Versteck sehr schnell aus. Alle Entführungen fanden im Sommer statt. Da waren einfach zu viele Familien in den Wäldern unterwegs. Es fällt nicht auf, wenn der Vater mit der Tochter Urlaub macht, aber wie hätte er erklären sollen, dass er die Mädchen einfach für mehrere Wochen einsperrte.

Würde der Täter erst eine Hütte hier am Fluss mieten, sie mit einer Unmenge an Spielzeug ausstatten, um dann eine andere Hütte für den Übergriff an Mandy zu wählen? Sehr unwahrscheinlich. Also gibt es irgendwo hier eine Hütte, die ein Paradies für kleine Mädchen war und zum Schrecken für Ältere wurde.

Prentiss und Morgan gruben sich mit Garcias Hilfe tiefer in das Leben von Brandon Harris. Doch wie Prentiss schon am Vortag herausgefunden hatte, schien er nicht zu den schlimmen Typen zu gehören. Er war guter Durchschnitt in der Schule und arbeitete heute in einem Architekturbüro in Kingsport. Jagen und fischen schienen seine Hobbys zu sein, er stand mit mehreren Ehrungen im Netz. Aber Agent Herbst erklärte ihnen schnell, dass die meisten Menschen in dieser Gegend diesen Hobbys nachgingen.

„Schöne ruhige Wochenenden in Gottes freier Natur." Prentiss schien von dem Gedanken nicht sehr begeistert.

„Aber sind die Hütten in den Sommermonaten nicht von den vielen Urlaubern besetzt?"

Morgan führte Garcias Gedanken weiter: „Das hieße, sie müssten jeden Abend zurück in die Stadt fahren."

„Das brauchen sie nicht." Agent Herbst schüttelte leicht seinen Kopf. „Es gibt unter den Eigentümern eine Vereinbarung: Man erkundigt sich bei der Vergabestelle welche Hütte noch frei ist und benutzt einfach die des Nachbarn."

„Garcia…", begann Morgan.

„Bin schon dabei. Ich gebe den Namen Harris ein und suche alle Immobilien in der Umgebung. Wenn er eine Hütte hat, kann er sich eingemietet haben."

Während Garcia im fernen Quantico noch sprach hörten die Anderen in Kingsport ihre Finger über die Tastatur fliegen.

„Es gibt hier einen Lloyd Harris."

„Das ist sein Vater."

„Er besitzt zwei Hütten am Holsten River."

„Kannst du nachsehen, wer welche Hütte gemietet hat?"

„Tut mir leid Sonnenschein, aber dazu müsste ich mich erst in das System hecken." Kam die Antwort aus dem Laptop.

„Dann werden wir dem örtlichen Büro für die Vergabe der Hütten mal einen Besuch abstatten." Morgan stand auf. „Danke für die Hilfe Zuckerpuppe. Wir sehen uns."

Garcia verschwand vom Bildschirm und Prentiss und Agent Herbst folgten Morgan zu Hotchner.

„Hey Garcia, du bist heute eine viel gefragte Person, was?" JJ lachte ihre Kollegin durch die Webcam amüsiert an.

„Kann man wohl sagen. Wie kann ich dir helfen JJ?"

„Ich habe mir eine Rute herausgesucht, die ich nehmen würde, wenn ich zwischen Kingsport und Jackson verkehren würde. Wir müssten versuchen in den anliegenden Orten Spielzeuggeschäfte zu finden, in denen unser UnSub eventuell eingekauft hat."

„Vorausgesetzt er hat mit Karte bezahlt." Wandte Garcia ein.

„Stimmt, aber bei den Mengen, die er gekauft haben muss, wird es aufwendig mit Bargeld."

„Gut, lass uns starten, das werden eine ganze Menge Daten werden. Jeder kleine Store hat Spielzeug."

„Wir sollten uns vielleicht erst nur auf die großen Läden konzentrieren. Ein Fremder würde denen nicht so schnell auffallen."

„Also suchen wir nach einem Mann, der in den letzten vier Wochen viel eingekauft hat. Gib mir mal die Städte, die du herausgesucht hast…"

„Hallo, wie kann ich Ihnen helfen?" Ein Mann im mittleren Alter, schon leicht ergraut an den Schläfen sah freundlich von seinen Papieren hoch.

Die Agents zogen ihre Marken und Morgan stellte sie vor. Überrascht veränderten sich die Gesichtszüge des Mannes. Morgan fuhr fort: „Wir benötigen eine Auskunft von ihnen. Wir suchen nach Brandon Harris und würden gerne wissen, ob und welche Hütte er gemietet hat."

Der Mann schien sich nicht ganz sicher, ob er diese Auskunft erteilen durfte. Prentiss trat vor und mit einem Blick auf sein Namensschild sagte sie: „Hören Sie, Mr. Crane, Mr. Harris ist verschwunden und er scheint verletzt zu sein."

„Wir können uns natürlich auch einen Durchsuchungsbefehl holen, aber Sie könnten uns viel Zeit dadurch ersparen."

„Brandon ist in der Hütte seines Vaters, Nummer 62. Er hat die Hütte schon seit mindestens drei Monaten jedes Wochenende. Dadurch ist es schwer sie an Feriengäste zu vermieten." Morgan hörte nicht mehr länger zu und verschwand aus dem gut klimatisierten Raum.

„Geschäftsschädigend?!" Prentiss versuchte den Mann von Morgans Auftritt abzulenken.

„Ja, zumal sie so zentral liegt. Aber wer zu erst kommt, der hat das Vorrecht."

„Vielen Danke für ihre Auskunft." Sie lächelte ihn freundlich an und gemeinsam mit Herbst folgte sie Morgan nach draußen.

Dieser unterbrach gerade die Verbindung seines Handys und drehte sich zu ihnen um.

„Kommt, fahren wir. Die Anderen stoßen gleich zu uns."

Sie gingen zum SUV zurück und stiegen ein.

Mit eingeschaltetem Blaulicht, aber ohne Sirene rasten die beiden SUV des FBIs und zwei weitere Wagen der örtlichen Polizei den unbefestigten Weg entlang und hielten vor der großen Blockhütte.

Die Agents sprangen heraus. Mit kugelsicheren Westen vor möglichen Schüssen geschützt, eilten sie mit gezogenen Waffen zum Gebäude. Mit einem Handzeichen schickte Hotchner Morgan, Prentiss und Herbst auf die Hinterseite der Hütte. Während zwei weitere Polizisten ihnen folgten, nahmen die restlichen Agents links und rechts der Eingangstür Aufstellung.

Einen kurzen Blick zum Wagen ließ Hotchner Agent Frank erkennen. Er hatte ihr nicht erlauben können an diesem Einsatz teilzunehmen. Sie durfte ohne bestandenen Schießtest keine Waffe in den USA führen. Glücklicherweise hatte sie sich sehr verständig gezeigt und nicht versucht ihn zu überreden. Wer konnte schon ahnen, was sie in diesem Gebäude erwarten würde.

Hotchner hob sein linkes Handgelenk, wo an der Armbanduhr das Mikrophon für den Sprechfunk befestigt war und sprach hinein: „Auf Position."

Hinterm Haus fanden die Agents zwei weitere Türen vor. Morgan schickte Prentiss und Herbst zu dem kleinen Anbau und machte sich mit den Polizisten bereit zu stürmen. Prentiss gab das Zeichen, dass sie bereit waren und Morgan gab die Bestätigung durchs Mirkophon.

„Los." Hotchner gab den Befehl und Reid, der seine Hand schon während sie warteten auf den Türknauf gelegt hatte, öffnete die Tür ruckartig. Rossi stieß seine Pistole vor, leuchtete mit seiner Taschenlampe in das Dämmerlicht und betrat den Wohnraum. Schnell füllte sich die Hütte mit Ermittlern, die jede Ecke des Hauses untersuchten.

Morgan öffnete die Tür und verschwand mit den beiden Polizisten in der Hütte. Er zog seine Taschenlampe und fand sich in der Küche wieder. Vorsichtig leuchtete er die Ecken der Küche aus und Schritt für Schritt tastete sie sich vor.

Herbst tat es Morgan gleich und stieß die Tür auf. Prentiss folgte ihm und fand sich im nächsten Moment in einem kleinen Raum wieder, dessen Boden mit roten Flecken übersät war. Blutgeruch stieg ihr in die Nase und ein kontinuierliches Summen drang an ihr Ohr.

„Sicher." Rossi hatte die linke Seite des Wohnraumes übernommen und gab Entwarnung.

„Sicher", gab auch Prentiss durch.

Hotchner öffnete vorsichtig eine weitere Tür, die ihn ins Bad führte. Ein Blick hinter die Tür, hinter den Vorhang der Dusche. Nichts. „Sauber."

Morgans Begleiter traten durch die Verbindungstür zur Küche. Sie schüttelten ihre Köpfe: „Nichts."

Sheriff Donovan ließ fast enttäuscht seine Waffe sinken und steckte sie wieder weg: „Wir sind falsch. Hier ist keiner."

Morgan war um den Küchenblock herumgeschlichen und beleuchtete nun die gegenüberliegende Wand, die mit Regalen voll frischer Wäsche gefüllt war. Langsam schweifte der Lichtstrahl von Fach zu Fach. Dann sah er die Umrisse eines menschlichen Körpers, der auf dem Boden lag. Er leuchtete ihn an.

„Harris?!" Morgan steckte seine Waffe ein und kniete sich neben den Mann, der gefesselt dalag. „Hey Harris, hören Sie mich?" Er drehte ihn auf den Rücken und sah dann die dunkle Verfärbung auf dem Boden. Seine Hand fuhr an den Hals des jungen Mannes und tastete nach dem Pulsschlag.

„Wir brauchen dringend einen Krankenwagen!" Morgan sprach in sein Funkgerät. „Habe Harris in der Küche gefunden. Er ist bewusstlos, gefesselt und verletzt."

Hotchner und Rossi erschienen kurz darauf in der Tür. Rossi legte den Lichtschalter um, doch nichts passierte. Hotchner griff sich Rossis Taschenlampe und kniete sich Morgan gegenüber hin. Das Licht der zwei Taschenlampen hielt er auf den Gesuchten gerichtet. Rossi ging zum Fenster, öffnete es und stieß die Luken davor schwungvoll auf. Der Staub tanzte in dem Lichtstrahl der sengenden Nachmittagssonne. Nachdem er auch das zweite Fenster geöffnet hatte, konnten sie immerhin soviel erkennen, dass das Blut aus einer Wunde im Brustkorb herausdrang.

„Wir müssen die Wunde abdrücken." Hotchner drückte Rossi die Lampen in die Hand. Während er seinen Blick durch den Raum gleiten ließ, stand er auf und nahm schließlich einen Stapel Handtücher aus dem Regal hinter sich. Neben Harris kniend drückte er die Tücher auf die Wunde.

„Die Tatwaffe fehlt. Mit dieser Wunde ist er nicht durch die ganze Hütte gelaufen, hat es versteckt und sich dann noch selber so gefesselt." Morgan sah zu Rossi hoch.

„Er ist nicht unser Täter. Es scheint eher, als wäre er dem Täter unerwartet in sein Vorhaben geplatzt."

Die Barre wurde herausgefahren und in den Krankenwagen geschoben.

„Ich fahre mit. Wenn er aufwacht brauchen wir den Namen seines Freundes." Morgan hatte schon einen Fuß in den Wagen gesetzt.

„Gut, melde dich. Wir werden uns inzwischen hier umsehen und das Profil erweitern."

„Wir sollten noch einmal mit Claire Fields sprechen und ihr das Phantombild zeigen." JJ trat heran. „Vielleicht hat sie den Mann ja in ihrer Nähe unbewusst wahrgenommen."

„Versuch es. Nimm Prentiss mit. Wir sehen uns dann später im Büro."

Die vier übriggebliebenen Agents der BAU betraten wieder die Hütte und schauten sich um. Die Polizisten hatten inzwischen sämtliche Fensterläden geöffnet, so dass das Dämmerlicht durch das helle Sonnenlicht verschwunden war.

„Sie können noch nicht sehr lange fort sein." Hotchner trat neben den Stuhl, der in der Mitte des Wohnraumes stand.

Reid stand vor einem Regal und besah sich die Buchrücken: „Nach dem Zustand von Harris und der Blutlache würde ich auf gut zwei Stunden tippen."

Rossi kam von seinem Rundgang zurück. „Hotch, weißt du was hier fehlt?"

Sein Kollege nickte verstehend, doch Sheriff Donovan sah die Profiler verständnislos an. „Was?"

„Das gut ausgestattete Kinderzimmer von denen Sara und Amanda erzählt haben. Keine Spur."

„Die beiden Mädchen waren nicht hier." Hotchner schüttelte, wie zur Bestätigung, leicht seinen Kopf. „Es gibt noch einen anderen Ort."

„Miss Fields?" JJ hatte die Freundin von Mandy vor der Kirche in einer Gruppe Teenager entdeckt und rief sie an. „Hätten Sie einen kurzen Moment für uns?"

Claire Fields kam sofort zu ihnen. Aufgeregt überschlug sich fast ihre Stimme: „Haben Sie Mandy gefunden?"

„Leider noch nicht…" JJ tat es leid, ihr noch keine bessere Nachricht bringen zu können, aber es half nichts, sie mussten sich beeilen. „Das ist meine Kollegin Emily Prentiss. Wir würden Ihnen gerne noch ein Paar Fragen stellen."

Die beiden Agents lächelten das junge Mädchen beschwichtigend an, sie wurde ruhiger und schließlich nickte sie zustimmend.

Prentiss öffnete ein Blatt Papier und reichte es Claire mit den Worten: „Kennen Sie vielleicht jemanden, zudem dieses Bild passen könnte? Er war vielleicht öfter in ihrem näheren Umfeld."

Die Freundin warf nur einen kurzen Blick auf das Gesicht und sah die Agents beunruhigt an. „Soll das der Typ sein, der Mandy hat?"

„Es sieht alles danach aus. Kennen Sie ihn?" JJ fühlte, dass dem Mädchen das Gesicht nicht unbekannt war.

„Das ist Logan. Er ist ein Freund von Brandon. Sie haben sich jedes Wochenende in eine der Hütten zum Jagen eingemietet. Brandon wollte aber wohl eher Mandy nahe sein."

„Was wissen Sie noch über diesen Logan?" Prentiss führte das Mädchen zurück zu dem Verdächtigen.

„Nicht viel. Er interessierte mich nicht und er hatte an mir kein Interesse." Prentiss wusste auch sofort warum. Claire war nicht sein Typ. Sie war dunkelhaarig, trug die Haare extrem kurz und war auch sonst sehr robust.

Im Hintergrund verstummten die Kirchglocken und Claire wurde nervös.

„Kennen Sie seinen Nachnamen?" JJ suchte jede Möglichkeit noch mehr zu erfahren. Doch Claire schüttelte nur den Kopf. „Ist er nicht vielleicht irgendwann gefallen? ... Etwa, als er sich am Telefon meldete, oder jemanden auf der Straße traf?"

„Nein. Ich glaube daran würde ich mich erinnern."

„Dann möchten wir Sie auch nicht länger aufhalten." JJ entließ das junge Mädchen, das sich eilig in die Kirche begab.

JJ sah ihr wissend nach. In einer Kleinstadt wie dieser wurden solche ‚Vergehen', wie zu spät zur Messe zur kommen, streng verurteilt, selbst heute noch.

Sie machten sich auf den Weg zurück zum Wagen, als JJ's Handy sich bemerkbar machte.

„Hey Pen, Emily ist hier bei mir. Was hast du für uns?"

„Ich habe die Daten der Bankkarten verglichen und habe sie bisher auf fünf Namen eingrenzen können."

„Gut. Hast du einen dabei, der mit Vornamen Logan heißt?"

„Ja, einen Logan Flynn."

„Such alles zu ihm heraus, was du finden kannst. Wir fahren zurück und sagen den anderen Bescheid."

Hotchner, Rossi, Reid und Frank kamen in die Polizeistation geeilt. JJ und Prentiss erwarteten sie schon im Besprechungsraum.

„Habt ihr Morgan schon angerufen?" Hotchner setzte sich auf den Stuhl vorm Tischende und seine Teammitglieder, Agent Herbst und Sheriff Donovan ließen sich zu beiden Seiten nieder.

„Ja, er dürfte sofort da sein. Garcia wartet auch schon in der Leitung. Wir können jederzeit starten." Prentiss wies auf den Laptop vor sich.

Da kam Morgan auch schon durch die Tür. „Hey Leute, da bin ich."

„Wie geht es Mr. Harris?" Hotchner folgte dem Agent mit den Augen zu seinem Platz.

„Sie haben ihn wieder zusammengeflickt, er wird es schaffen. Aber er ist noch nicht aus der Narkose erwacht."

Reid lehnte gemütlich in seinem Stuhl. „Er hatte Glück, das wir ihn so früh gefunden haben. Sehr viel länger hätte er nicht durchgehalten."

„Okay, dann lasst uns nun Mandy retten… Garcia, du hast was für uns?" Hotchner sah auf den Laptop, der auf dem Tisch stand.

„Unser UnSub heißt Logan Flynn, ist einundvierzig und Single. Er wohnt seit Februar in Johnson City. Davor hatte er sich für zwei Monate in Jackson/Ohio eingemietet."

Die Agents in Kingsport verfolgten interessiert ihren Ausführungen.

„Wo war er in den letzten zehn Jahren?" Rossis ruhige raue Stimme durchbrach die absolute Stille im Raum.

„Vor zehn Jahren wechselte er seinen Arbeitgeber und wurde von der neuen Firma an die Westküste geschickt. Seitdem hat er durchschnittlich jedes Jahr seinen Standort verändert."

„Jedes Mal ein neuer Job?" Prentiss unterbrach sie.

„Nein. Er wurde jedes Mal von seiner Firma versetzt."

„Es ist schon merkwürdig, dass er nur einmal im Jahr zugeschlagen hat." Hotchner merkte, wie ihm die Aufmerksamkeit der Kollegen gehörte. „Aber zehn Jahre warten? Entweder ist er hochgradig organisiert und stabil um seine Bedürfnisse zu unterdrücken, oder er hat in jedem Bezirk der letzten zehn Jahre weitere Kinder."

Prentiss sah, wie Garcia schon bei der bloßen Vorstellung die Kinnlade herunter klappte und ihr für einen Moment die Sprache verschlug. „Ich könnte", sie räusperte sich, „die Jahreszahlen mit möglichen Entführungsfällen in den Umgebungen abgleichen."

„Mach das bitte." Hotchner saß aufrecht da und schien auf das Ergebnis zu warten.

„Wenn er sich so lange unter Kontrolle halten kann, haben wir es womöglich mit einem zweiten Reaper zu tun… Entschuldige Hotch." Morgan schaute entsetzt zu ihm hinüber. Dieser schüttelte aber nur seinen Kopf. „Ich habe auch gerade an diese Möglichkeit gedacht. Aber dafür ist er eigentlich zu jung. Ich gehe eher davon aus, dass Garcia fündig wird. Er wird von mal zu mal seine Vorgehensweise verbessert und verfeinert haben."

„Hotch, ich habe die ersten drei Städte und ihre Umgebung durchsucht." Garcias aufgeregte Stimme klang durch das Mikrophon. „Ich habe hier drei Treffer. Blonde Mädchen immer im Alter von siebzehn und achtzehn Jahren."

Rossi, der die Unterhaltung bisher schweigend verfolgte hatte, lehnte sich vor und stützte seine Arme auf der Tischplatte ab.

„Wenn wir davon ausgehen, dass er in Jackson begonnen hat und Ann heute dreizehn ist… vierzehn… geben wir noch ein Jahr dazu. Was war vor fünfzehn Jahren? Er dürfte da ungefähr achtzehn, neunzehn gewesen sein!? Irgendwo da muss der Stressauslöser sein."

„Oh nein!"

„Was Garcia?" Prentiss sah das schmerzlich verzerrte Gesicht der Technischen Analystin.

„Ein Autounfall. Seine Freundin starb im Alter von siebzehn Jahren. Er kam mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus."

„Volltreffer! Jetzt müssen wir ihn nur noch finden. Garcia, Schätzchen, schau doch bitte mal nach, ob es ein Gebäude gibt, das auf Logan Flynn eingetragen ist." Morgan wusste, wenn sie nicht bald eine Spur von Flynn fanden, solange sie noch frisch war, würden sie Mandy, bis er sie freiließ, nicht mehr finden.

„Nichts." Garcias Stimme klang immer noch leicht belegt.

„Versuche es mit Grundstücken. Speziell in den Bergen zwischen Kingsport und Jackson." Reid mischte sich ein.

„Oh…", erklang es aus dem Laptop. „Diesmal gibt es Punkte für Reid. Ein Gebiet von fast zehntausend Quadratkilometern. Mitten in der Wildnis."

„Vielleicht gibt es ja dort eine leerstehende Hütte, die nicht mehr vermietet wird." Warf Prentiss ein.

„Gibst du mir die geographischen Koordinaten?!" Reid war aufgestanden und an seine Karte getreten. Er steckte nach den Koordinaten den Punkt ab und versah ihn mit einem roten Fähnchen. „Hier ist nichts. Keine Hütte."

„Garcia nimm Satellitenbildern zur Hilfe. Vielleicht ist die Hütte nicht in der Karte eingetragen." Hotchner war aufgestanden und zu Reid getreten.

„Gut Chef."

„Ich habe hier zwei Gebäude oder Überdachungen gefunden. Ich vergrößere die Ausschnitte und schicke sie euch herüber." Hotchner und Reid traten zum Laptop.

Zwei Dateien öffneten sich auf dem Bildschirm. Prentiss schob sie nebeneinander und zusammen mit Morgan und Frank schauten sie auf die Satellitenbilder.

„Dort." Hotchner wies auf das linke Bild. Garcia kannst du das Linke noch etwas weiter vergrößern?"

„Wir können es versuchen. Aber langsam wir das Bild unscharf. Ich müsste es erst bearbeiten."

„Soviel Zeit haben wir nicht." Hotchner wartete, dann füllte der Ausschnitt der Erdeoberfläche den ganzen Bildschirm aus. „Ich würde vermuten, dass dieser Fleck vor der Hütte ein Auto ist."

„Von wann ist die Aufnahme?" Frank warf die Frage ein.

„Vom 13. diesen Monats 2p.m." Kam Garcias Stimme aus den Lautsprechern.

„An diesem Tag war die Lösegeldübergabe für Sara Brown." Reid war die Daten in seinem Kopf durchgegangen.

„Treffer." Rossi stand auf und eilte zur Tür.

„Garcia schick uns noch die Koordinaten aufs Handy."

„Bin schon dabei Chef." Garcia war verschwunden.

„Diesmal würde ich gerne mit hineingehen. Ich halte mich auch im Hintergrund." Frank sah Hotchner, der den Wagen fuhr entschlossen an. Sie konnte seinen Blick im Rückspiegel sehen und hätte nie gedacht, dass er seine dunklen Augenbrauen noch weiter zusammenschieben konnte. Alle im Wagen schienen gespannt auf seine Antwort zu warten. Während er zu überlegen schien, wanderte sein Blick auf die Karte in seinem Handy.

„Ich habe meine Waffe nicht dabei. Ich kann sie also nicht einsetzen."

„Gut. Halte dich an Prentiss…" Er schaute wieder hoch. „Aber mit äußerster Vorsicht!"

Frank schaute in die dunklen Augen im Rückspiegel und nickte verstehend. Prentiss stieß sie in die Seite und gab ihr zwinkernd eine der schusssicheren Westen mit dem Aufdruck FBI.

Hotchner bremste den Wagen etwas ab. Sie verließen die Straße und folgten einem unbefestigten Waldweg über mehrere Kilometer.

Vor der letzten Kurve stoppten sie und schlichen sich leise an die Hütte heran. Ein älterer dunkelblauer SUV stand davor. Rossi und Morgan, gefolgt von drei Polizisten, betraten leise die Holzveranda und gingen zur Tür.

Prentiss, Herbst, Ried und Frank gingen rechts am Haus entlang, während Hotchner mit JJ und Sheriff Donovan die linke Seite übernahmen.

„Zugriff", erklang Hotchners Stimme über Funk und die Agents drangen durch Vorder- und Hintertür in die Hütte ein. Leise schwärmten sie im Gebäude aus.

Vor Morgan und Rossi breitete sich ein gemütlich eingerichteter Wohnraum mit einer Küchenzeile an der gegenüberliegenden Wand und einem Kamin an der Längsseite aus. Doch sie fanden keine Spur von Mandy oder Logan Flynn. Auch die Toilette direkt hinter der Eingangstür war leer. Die zweite Truppe betrat die Hütte direkt neben der Küchenzeile. Direkt vor ihnen und zu ihrer Rechten führten Türen in angrenzende Räume.

Mit Handzeichen verständigend verteilten sie sich und drangen nahezu gleichzeitig in die Räume ein.

Sheriff Donovan öffnete die rechte Tür und zusammen mit Reid fand er sich im Badezimmer wieder. Es schien in der letzten Zeit benutzt worden zu sein. Doch keine Menschenseele war hier. Reid konnte nur hoffen, dass die Kollegen fündig geworden waren.

Der zweite Raum bot mindestens für acht Menschen Schlafmöglichkeiten. Hotchner und JJ tasteten sich von einem Hochbett zum Nächsten vor und überprüften jedes einzelne. Auf diesen Matratzen hatte schon seit Jahren keiner mehr gelegen. Der Staub lag Zentimeter dick. Hinten in der Ecke fanden sie Umzugskartons. Neugierig öffnete Hotchner den ersten besten. Ihm lachten die Augen einer Puppe entgegen. „JJ, … Spielzeug."

Die blonde Agentin trat neben ihm und schaute ebenfalls in den Karton. Ein elegantes Holzpferd stand in einer Ecke, daneben saß ein Teddybär, dessen flauschiger Pelz jedes Kinderherz erobern würde. JJ sah ihren Sohn Henry vor sich. Er spielte so gern mit seinem Teddy. JJ schüttelte die Gedanken über ihre Familie ab und versuchte sich wieder auf den Fall zu konzentrieren. „Lass uns gehen. Vielleicht hatten die Anderen Glück."

Als sie zu ihren Kollegen in den Wohnraum traten, schüttelte Hotchner auf ihre fragenden Blicke nur den Kopf,

Morgan zeigte auf eine Steigleiter, die in das obere Geschoss führte. Langsam stieg er hinauf und lugte vorsichtig über die Bodenkante. Nachträglich eingezogene Wände schirmten den restlichen Bereich der Hütte von dem Obergeschoss ab. Morgan gab Prentiss und Herbst ein Zeichen ihm zu folgen, bevor er durch das Loch in der Decke verschwand.

Gemeinsam drangen sie durch die schmale Tür in den letzten Raum der Hütte ein.

„Logan Flynn", Morgan sprach den Mann im Raum an. „Lassen Sie das Messer fallen! Sie haben keine Chance." Drei Waffen waren auf den Täter gerichtet.

„Verschwinden Sie, oder das Mädchen wir sterben!"

Als Flynn die Gefahr erkannte, hatte er sich Mandy gegriffen und war mit ihr rücklings an die Wand zurückgetreten. Er hatte ein Messer aus seiner Tasche gezogen und hielt es dem Mädchen nun entschlossen an die Kehle.

„Logan, sie töten nicht. Sie könnten Mandy nie weh tun." Prentiss sprach ruhig aber bestimmt auf den Mann vor ihnen ein. Als Flynn nicht reagierte trat Prentiss einen Schritt vor.

„Ich weiß, dass sie das alles nur für ihre Familie getan haben Logan. Ihre eigene kleine Familie."

„Sie wissen gar nichts!"

„Ich weiß, dass sie in den Frauen ihre verstorbene Freundin sehen. Und die Kinder sind ihr Familienersatz."

Logan Flynn schien in die Wirklichkeit zurückzufinden. Wütend erklang seine Stimme: „Es sind meine Kinder!"

„Ja, aber doch geben Sie sie weg! Amanda möchte ihren Vater gerne wiedersehen."

Die Agents merkten, wie Flynn langsam einbrach. Mit ruhiger Stimme fuhr Prentiss fort: „Lassen Sie Mandy los." Auffordernd streckte sie ihren Arm aus.

Flynn ließ langsam den Arm mit dem Messer sinken und ließ es schließlich auf den Boden fallen. „Mandy komm zu mir." Prentiss sprach das Mädchen in seinen Armen direkt an. „Hab keine Angst, Logan wird dir nichts mehr tun."

Zitternd schob Mandy den Arm, der sie noch umschlang weg und eilte auf die gegnerische Seite. Prentiss legte ihr einen Arm um die Schultern und führte sie ohne zu zögern aus dem Raum.

„Nehmen Sie die Hände hoch, so dass ich sie sehen kann." Morgan und Herbst gingen langsam auf Flynn zu. „Drehen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand." Morgan steckte seine Waffe weg und durchsuchte ihn.

Die Einsatzfahrzeuge hielten vor dem Polizeirevier. Nur Morgan lenkte den SUV weiter die Straße entlang bis zum Krankenhaus.

Hier wurden sie schon von Mandys Eltern erwartet, die eiligst auf sie zueilten. Mandy erwiderte herzlich die Umarmungen ihrer Eltern. Als wäre ihre Blockade dadurch gelöst, kamen Mandys Erinnerungen zurück. Sie schaute mit entsetztem Blick die Agents an: „Brandon! Haben Sie Brandon gefunden? Er muss in der Hütte am Holsten River sein! … Er hat vor Schmerz geschrien."

Prentiss trat heran und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Es geht ihm gut. Er ist aus der Narkose erwacht und wird wieder ganz gesund."

Mandy liefen vor Erleichterung Tränen über die Wange. „Kann ich zu ihm?"

Prentiss sah die verwirrten Blicke von Mr. und Mrs. Johnson. „Ich denke, die Ärzte werden es dir erlauben…" Gemeinsam gingen sie den Weg hinunter zum Krankenhaus.

Mark Aurel:

„Der Mensch kommt immer wieder in Konflikt mit dem Leben, nach dem er sich sehnt, und dem Leben, das er führen muss."

Im Flugzeug saß Prentiss mit geschlossenen Augen da. Frank hatte sich auf den einzelnen Platz auf der anderen Seite des Ganges niedergelassen. Erstaunt stellte sie fest, dass sich die Teammitglieder über das ganze Flugzeug verteilt hatten und sich ruhig mit sich selbst beschäftigten.

Wenn sie so erschöpft waren, wie sie sich nach ihrem ersten Fall fühlte, dann konnte sie das Verhalten nachvollziehen. Doch sie fühlte sich auch euphorisch. Stolz und Erleichterung erfüllten sie ob den positiven Ausgang.

Ihr Blick traf jeden einzelnen. Morgan hatte Kopfhörer aufgesetzt und seine Augen ebenfalls geschlossen. Reid saß eine Reihe dahinter und hielt ein dickes Buch in seinen Händen. Wenn er so schnell lesen konnte, wie er die Seiten des Buches umblätterte, dann gab es bestimmt bald keine Bücher mehr, die er nicht schon kannte.

Rossi hatte sich auf die Reihe von Sitzen entlang der Flugzeugwand ausgestreckt und schien zu schlafen. Frank konnte ihr Lächeln kaum unterdrücken.

Sie wandte sich wieder nach vorne. Am Tisch saß JJ und hatte lauter Mappen vor sich ausgeteilt. Waren das alles Fallakten? Konnten so viele Verbrecher allein in den USA unterwegs sein?

Hotchner, der vor ihr saß und einen kleinen Einbautisch aus der Wand hochgeklappt hatte, befasste sich anscheinend mit dem Papierkram des abgeschlossenen Falls. Sie wollte nicht neugierig erscheinen und unterdrückte den Drang ihm über die Schulter zu schauen.

Als hätte er ihren Blick im Rücken gespürt, drehte er sich um und sah sie entspannt lächelnd an. „Nun, wie findest du unser Team?"

Frank, noch völlig entsetzt, nickte im ersten Moment nur und suchte verzweifelt nach Worten. „Ich denke, es ist nahezu perfekt zusammengestellt. Es wird mir eine Ehre sein, diesem Team beiwohnen zu dürfen und seine Vorgehensweise zu erlernen."

„Gut. Dann führen wir gleich Morgen Vormittag dein Einzelgespräch… Ach, und bevor ich es vergesse, JJ hat dir gegen 9a.m. einen Termin für die Schießprüfung organisiert. Danach bist du dann offiziell ein vollwertiges Mitglied dieses Teams."

Hotchner, der gesehen hatte, wie sich die Aufmerksamkeit der Teammitglieder auf ihr Gespräch konzentriert hatte, sah zu Prentiss hinüber. „Du begleitest sie zum Schießstand, nicht dass sie sich noch auf dem großen Gelände verfährt und zu spät kommt."

Amüsiert entspannten sich alle wieder und fielen zurück in ihre Abgeschiedenheit.

Frank klopfte an Hotchners Bürotür.

„Herein." Erklang seine Stimme von innen und sie trat ein. Hotchner sah kurz auf. „Ist es schon so spät?"

„Nein, fünf Minuten früher."

Hotchner sah erstaunt, aber leicht amüsiert hoch. Er legte seinen Stift aus der Hand und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

„Setzt dich. Was gibt es?" Frank ließ sich auf die vordere Spitze des ersten Stuhles vor dem Schreibtisch nieder.

„Ich wollte das Gespräch nicht durch andere Sachen stören, deshalb habe ich mir gedacht, vielleicht hättest du vorher kurz Zeit."

„Sicher…" Er machte eine einladende Geste zu beginnen.

„Ich weiß nicht, wie ihr es hier handhabt… Ich habe Amanda versprochen, ihr das Bild, was sie gemalt hat, zurückzugeben. Oder zumindest eine Kopie. Ich wollte fragen, ob das möglich ist."

„Nun, das Original muss in der Akte bleiben, zumal es ein Beweismittel ist. Aber ich denke, es hat niemand etwas dagegen, wenn wir eine Kopie davon machen und es ihr schicken." Amüsiert zwinkerte er ihr zu. „Wir brauchten die Kopie für unsere Ermittlungen."

„Danke." Frank schien wirklich erleichtert.

Hotchner ergriff eine Mappe auf seinem Tisch und reichte sie Frank hinüber. „Hier, mach die Kopie. Wenn du zurück bist, führen wir dann das Gespräch."

Frank erhob sich. Wortlos nahm sie die Mappe und verschwand durch die Tür. Hotchner sah ihr durch das große Fenster zum Großraumbüro hinterher.

‚Wenn du es nicht selber unbedingt willst, wirst du nie wieder gehen. Du wirst dich für das FBI unentbehrlich machen, dafür werde ich sorgen. Ich werde dir alles beibringen, was ich über das Profiling weiß… Innerhalb eines Jahre wird das nicht gerade leicht, aber mit einem strammen Plan sollte es zu schaffen sein.'