Kapitel 1: Robb I
„Jeder normale Mensch verspürt manchmal den Drang, sich in die Hände zu spucken, die schwarze Flagge zu hissen und damit zu beginnen Kehlen aufzuschlitzen." (Argyll Mindcull)
Zwillinge, 300 n. A. E.
Das letzte was Robb Stark, der König des Nordens, spürte, war die Klinge in seinem Bauch. Roose Bolton, sein Vasall, schickte ihm Grüße von den Lennister.
Freys, Lennister, Bolton. Sie hatten ihn verraten.
Schmerz und Enttäuschung war alles was ihn in die andere Welt begleitete. Es tat weh. Der Schmerz breitete sich von seinen Bauch in seinen gesamten Körper aus. Er konnte es nicht aufhalten. Wie sehr er auch dagegen ankämpfte, das Gefühl überwältigte ihn.
Seine Welt war schwarz und er spürte seine Wunde, die nie verging. Er schrie, doch niemand konnte ihn hören. Er wollte sich bewegen, laufen, doch er kam nirgendwo an. Es ging weder vor noch zurück. Robb war gefangen.
Winterfell, 296 n. A. E.
Mit kalten Schweiß wachte Robb auf. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet und er fasste sich sofort an den Bauch. Aber da war nichts. Obwohl er das Gefühl hatte, dass es schmerzen musste, blutete nichts.
Hektisch stand Robb aus seinen Bett auf und tastete über seinen nackten Bauch. Er war unversehrt und makellos. Ungläubig runzelte er die Stirn und sah sich um. Er erkannte das Zimmer. So viele Jahre lang hatte er darin gelebt. Aber es war unmöglich. Theon hatte alles zerstört.
Dennoch ging er langsam zum Fenster und sah hinab in den Hof. Auch wenn alles in Robb schrie, dass es eine Illusion war, schien der Ort Winterfell zu sein. Sein Zuhause. Wahrscheinlich träumte er das alles nur. Aber wie konnte er träumen? Das letzte an das er sich erinnerte, war Lord Boltons Messer in seinem Bauch.
Mehrmals schlug Robb sich mit der flachen Hand gegen die Wange, aber das änderte gar nichts. Er blieb wach. Das Bild veränderte sich nicht.
Winterfell.
War alles nur ein Traum gewesen? Aber es konnte kein Traum gewesen sein. Nein. Niemals. Es war alles viel zu real gewesen. Sein Vater im Süden. Brans Sturz. Die Lennisters. Vaters Hinrichtung. Der Krieg. Er, der König des Nordens. Seine Siege. Theons Verrat. Seine Verletzung. Jeyne. Karstarks Hinrichtung. Die Zwillinge. Sein Tod. Wie konnte ein Traum nur so detailliert sein? Es fühlte sich nicht an wie ein Traum, sondern wie lebendige Erinnerungen.
Robb fasste wieder nach seiner Wunde, die nicht da war. Sie fühlte sich noch immer so real an. Obwohl sie nicht da war, fühlte er den Schmerz. Er hatte das Gefühl in jedem Moment vor Ohnmacht umzufallen. Aber nichts geschah.
Ein wenig, wie in Trance, begann er sich anzuziehen. Seine alte Kleidung passte perfekt. Ein Diener klopfte irgendwann und brachte ihm eine Schale mit warmem Wasser. Er wollte erst fragen, was vor sich ging, unterließ es dann aber.
Als Robb hinaus ging, da schlug er nicht den Weg ins Esszimmer ein, wie er es vielleicht in der Vergangenheit getan hatte. Er ging in eine andere Richtung. Eine, die er nur sehr selten einschlug. Aber nachdem er so viel Zeit im Süden verbracht hatte und so viel dort erlebt hatte, hatte er auch zum ersten Mal das Bedürfnis danach den Ort aufzusuchen.
Im Götterhain fiel Robb vor dem Herzbaum auf die Knie und senkte den Kopf. Seine Gebete hatte er an diesem Ort nur selten ernsthaft gesprochen. Brans Sturz und vor den Aufbruch in den Süden, waren die einzig wirklich wichtigen Momente in Winterfell für ein Gebet gewesen. Alle seine anderen Gebete hatte er im Süden gesprochen und nur selten hatte er dafür einen Götterhain oder gar einen Herzbaum zu Verfügung gehabt.
Doch jetzt war er wieder hier. Nach all dem Leid, den er erlebt hatte, war er wieder an dem Ort seiner Kindheit angekommen und wenn das kein Grund zu beten war, dann wusste er es auch nicht. Noch nie hatte er sich den Göttern so nah gefühlt. Hatte sie diese große Gabe vollbracht? Hatten sie ihm sein Leben zurückgegeben? Ihn an den Anfang gesetzt? Aber er fragte sich, was der Anfang war. An welchen Punkt war er angelangt?
Robb wusste nicht, wie lange er im Schmutz kniete und betete. Es war ihm auch egal. Im Angesicht der Götter spürte er keine Kälte und wie durch ein Wunder verblasste an diesem Ort der Schmerz seiner Wunde. Seiner unsichtbaren Wunde. Wie sollte er jemals erklären, dass er eine Klinge spürte, die es nie gegeben hatte? Alle würden ihn für verrückt halten.
Alle… Waren sie wieder da? Lebte sein Vater? Seine Brüder? Bran und Rickon? Seine Schwestern? Waren wie wieder da? Genau wie er?
Plötzlich fühlte Robb sich beflügelt und leicht. Mit einem Ruck stand er wieder auf und wandte sich um. Etwas Motivierendes brach in ihm aus und er lief aus dem Götterhain. Er sprang ungeachtet der Heiligkeit des Ortes über Äste und Steine. Keiner tadelte ihn dafür und wenn glaubte Robb nicht, dass ihn in diesem Moment etwas aufhalten konnte.
In dem geschäftlichen Treiben des Hofes blieb er stehen und sog die Präsenz von Winterfell in sich auf. Von der Burg und allen seinen Bewohner. Fleisch war von der Jagd aufgehangen. Das Backhaus verströmte einen verführerischen Duft. In der Schmiede war voller Betrieb. Alle waren dort. Jeder, den er kannte und liebte war da. Nicht seine Eltern, aber alle seine Freunde. Die einfachen Leute und… seine Geschwister.
Robb sah hinauf zu dem Ort, wo sein Vater immer stand und sie beim Training beobachtete. Dort oben stand Arya mit ihren unordentlichen Haaren. Ihre Hände umklammerten das Geländer und wachsam sah sie hinab.
Langsam folgte er ihren Blick und sah eine Szene, die ihn glücklich machte, aber doch ein Stirnrunzeln gab. Jon und Sansa, die sich meist aus dem Weg gingen, fielen sich glücklich in die Arme. Hatten sie Tränen in den Augen? Lächelnd sahen sie einander an und dann packte Sansa seine Hand und die beiden verschwanden vom Hof. Wohin auch immer. Seit wann, verstanden sie sich so gut?
Dann sah Robb seine kleinen Brüder, Bran und Rickon. Lebendig und gesund. Er wollte zu ihnen laufen, sie umarmen und ihnen sagen, wie leid es ihm tat, als er jemand erblickte. Jemand, der ihn in rasende Wut versetzte. Hass quoll in ihm, wie schwarzer Teer hinauf.
Theon Graufreud.
Der Mann, den er als seinen Freund betrachtet hatte. Der Mann, den er vertraut hatte. Der Mann, der sein Bruder gewesen war. Der Mann, der seine Brüder aufgehangen und verbrannt hatte. Der Mann, der sein Zuhause zerstört hatte.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten und bevor er sich besinnen konnte, lief er auf ihn zu. Bevor jemand begreifen konnte, was er vor hatte, oder ihn aufhielt, schlug er zu. Immer wieder schlug Robb zu und nichts konnte ihn aufhalten, diesen Mann zu töten.
