Kapitel 32 – Überraschender Besuch
Die zwanzig rotgewandeten Krieger zogen ihren Kreis enger. Sonea gab mehr Magie in ihren Schild und wich zurück. Die Kraft- und Hitzeschläge ihrer Angreifer prallten indes wirkungslos an ihrem Schild ab. Sie lächelte grimmig. Auch nach vier Monaten mussten Balkans Krieger offenkundig noch an ihrer Strategie arbeiten. Für Sonea war es hingegen keine Herausforderung, ihre Einheit mit ein paar einfachen Tricks aufzulösen und sie über die Arena zu zerstreuen. Sie machte einen weiteren Schritt rückwärts und stieß gegen Akkarins Rücken, der die Angreifer auf seiner Seite beschäftigte. Sie tastete nach seiner Hand.
- Wenn die noch sehr viel näher kommen, werde ich bedauern, dass ich mein Messer nicht dabei habe, sandte sie.
- Du würdest dich unterstehen, es zu benutzen, antwortete er streng.
Hinter seiner Missbilligung konnte Sonea jedoch auch Erheiterung spüren. Sie begann sich zu fragen, ob er sich ebenso langweilte, wie sie.
Ihr Kampf gegen die Krieger dauerte inzwischen schon fast eine Stunde an. An diesem Nachmittag waren auch einige Absolventen des letzten Halbjahres dabei, die wegen der Schneestürme nicht zu ihren Familien gereist waren. Nach dem tagelangen Ausharren in geschlossenen Räumen war dieser Übungskampf für alle Beteiligten eine willkommene Abwechslung.
Am vergangenen Tag war der Himmel endlich aufgeklart. Sonea und Akkarin waren fast den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen, den Weg von der Arran-Residenz zur Universität wieder begehbar zu machen. Sie waren aufgehalten worden, weil sie ihren Nachbarn geholfen hatten, die Zugangswege zu ihren Haustüren von Schnee zu befreien. Zu Soneas Überraschung hatte meisten der hochbetagten Magier sich über die unerwartete Hilfe ihrer schwarzmagischen Nachbarn gefreut.
Den Rest des kurzen Nachmittags hatte Sonea in der Magierbibliothek verbracht, um nach geeigneten Büchern für ihre Hausarbeit in Theoretischer Kriegskunst zu suchen. Eigentlich war es Novizen nur in Begleitung ihres Mentors erlaubt, sich dort aufzuhalten. Doch Akkarin hatte Lord Jullen mit wenigen Worten und seiner kühlen, furchteinflößenden Art davon überzeugt, dass Sonea sich für einige Stunden ohne seine Aufsicht in der Kriegskunst-Abteilung aufhalten durfte, während er den Sachakanisch-Kurs leitete.
Da der Sprachkurs auf Grund der Schneestürme während der vergangenen Woche ausgefallen war, hatte er dementsprechend länger gedauert. Sonea war das nur recht gewesen. Auch wenn die erste Ferienwoche wie in einem Rausch vorbeigegangen war, war sie erleichtert gewesen, nicht mehr in der Arran-Residenz festzusitzen, und hatte die zusätzliche Zeit genutzt, um unter Lord Jullens Aufsicht mit ihren Recherchen zu beginnen.
Nach dem Sprachkurs hatte Akkarin sie abgeholt und die Nachricht, dass Balkan ihn und Sonea zu einem Übungskampf mit seinen Kriegern herausgefordert hatte, mitgebracht.
Anfangs war Sonea ob dieser Aussicht noch begeistert gewesen. Nach Tagen der Muße sehnte sie sich danach, endlich wieder etwas Aufregendes zu tun. Sie hatte jedoch bald festgestellt, dass der Kampf gegen Balkans Krieger ihre Erwartungen nicht im Geringsten erfüllte. Sie fühlte sich unterfordert. Die Angriffe der Krieger erschienen ihr zusehends einfallsloser. Für gewöhnlich bereitete es ihr Freude, sie mit einer List zu verwirren, doch im Augenblick hätte sie diesem Elend lieber ein schnelles Ende gesetzt. Eine Partie Kyrima, schwarzmagische Experimente oder das Praktizieren gewisser Unanständigkeiten in der Behaglichkeit ihres Zuhauses erschienen ihr mit einem Mal reizvoller.
- Mir reicht's, erklärte sie. Wenn das so weiter geht, habe ich mich noch vor dem Abendessen zu Tode gelangweilt.
- Dann lass dir etwas einfallen.
- Warum ich?
- Weil du die Novizin bist.
Sonea unterdrückte ein Stöhnen. Sie hatte Ferien und das galt auch für ihren Einfallsreichtum. Wahrscheinlich hatte Akkarin gleich mehrere Ideen, wie sie diese Runde gewinnen konnten, bevor die Krieger wieder die geschlossene Formation erreicht hatten. Doch wie so oft ließ er ihr den Vortritt, damit sie die Gelegenheit hatte, sich zu verbessern und schritt nur dann ein, wenn es wirklich notwendig war.
Während Akkarin ihre Gegner auf Distanz hielt, dachte sie fieberhaft nach.
- Ich habe eine Idee, teilte sie ihm schließlich mit. Wenn auch keine besonders gute.
- Dann fang an. Solange es funktioniert, ist mir das egal.
- Aber du musst tun, was ich dir sage, wandte sie ein. Ihm einen Befehl zu erteilen, erschien ihr absolut unangemessen.
- Meinetwegen, antwortete er zu ihrer Erleichterung.
- Antworte ihnen mit denselben Angriffen, die sie benutzen.
Akkarin drückte kurz ihre Hand zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Sonea lächelte grimmig und ließ den Arenasand aufwirbeln. Zugleich verstärkte sie den Schild unter ihnen. Bei dieser Sorte von Gegnern war das eine überflüssige Aktion, doch sie würde diesen Fehler nicht noch einmal machen.
Als der Sandsturm bis über ihre Köpfe tobte, sah Sonea sich um. Ihre Gegner waren noch immer als schemenhafte Figuren zu erkennen. Das genügte ihr jedoch nicht, da die Krieger sie und Akkarin ebenfalls noch sehen konnten. Sie streckte erneut ihren Willen aus und fügte dem in der Arena tobenden Sturm hinzu eine weitere Schicht Sand hinzu.
Jetzt konnte sie die Krieger nur noch anhand der Richtung, aus der die Angriffe kamen, lokalisieren.
- Wenn ich jetzt sage, bring uns auf die Tribüne.
- Nichts kann durch den Schild nach außen gelangen, erinnerte Akkarin. Das solltest du eigentlich wissen.
Sonea verdrehte die Augen. Natürlich nicht! Sonst wäre der Schild ja völlig sinnlos.
- Dann bring uns einfach so weit nach oben, wie es geht.
Sie schickte ein paar Hitzeschläge zu den Angreifern vor ihr, dann wandte sie sich um und griff nach Akkarins Arm.
- Jetzt!
Sie schwebten empor, bis der Schild dicht über ihren Köpfen summte. Erheitert stellte Sonea fest, dass die Krieger sich nun gegenseitig angriffen. Womöglich würden sie es nicht herausfinden, bis sie den Sandsturm wieder verebben ließ.
- Genau, wie ich beabsichtigt habe, dachte sie befriedigt.
„Eine wirkliche gute Strategie, Sonea", lobte Akkarin.
Sie strahlte und sah zu ihm auf. „Vielen Dank, Lord Akkarin."
Eine Weile beobachteten sie das Geschehen unter ihnen.
„Eigentlich hatte ich von Balkans Kriegern mehr Verstand erwartet", bemerkte Akkarin. Unter ihnen duellierte Lord Garrel sich gerade mit zwei der neuen Krieger.
Sonea lachte. „Ich freue mich schon auf ihre Gesichter, wenn sie herausfinden, dass sie die ganze Zeit gegeneinander gekämpft haben."
„Nun, da wirst du nicht mehr lange warten müssen. Sie haben sich bald erschöpft."
„Oh, schon?", fragte sie mit gespieltem Bedauern.
„Du solltest es bald beenden."
„Aber es ist gerade so schön."
„Wäre es dir lieber, wenn sie heute Abend im Dunklen sitzen, weil ihnen die Kraft fehlt, eine Lichtkugel zu erschaffen?"
Sonea unterdrückte ein Kichern. „Nein. Und wir wollen doch ganz bestimmt auch nicht, dass Balkans Roben schmutzig werden."
„Was Luzille wohl dazu sagen würde?", murmelte Akkarin mehr zu sich selbst.
Sonea kicherte erneut. „Sie wäre sicher alles andere als erfreut."
Sie spürte Akkarins Erheiterung ob ihrer Bemerkung, während sie ihren Willen zu dem unter ihr wirbelnden Sand ausstreckte. Innerhalb weniger Augenblicke war die Luft in der Arena wieder still. Die Angriffe der Krieger dauerten indes noch einige Augenblicke an, bis auch der letzte erkannt hatte, dass Akkarin und Sonea nicht mehr unter ihnen waren.
„Wo sind sie?", rief Garrel und sah sich verwirrt in der Arena um. „Sie können sich doch unmöglich unsichtbar gemacht haben."
Sonea entfuhr ein glucksendes Geräusch, woraufhin Akkarin warnend ihren Arm drückte.
„Sie haben uns zum Narren gehalten", sagte Balkan. Von oben betrachtet wirkte seine Miene besonders grimmig.
Akkarin ließ Soneas Arm los und applaudierte. Sonea schauderte, als für einen Augenblick nur die unsichtbare Scheibe aus Magie unter ihren Füßen sie davor bewahrte, in die Tiefe zu stürzen. Dreißig Köpfe wandten sich zu ihnen in die Höhe.
„Ein bemerkenswerter Kampf", sagte Akkarin und schwebte mit Sonea zu Boden. „Ihr habt Euch tapfer geschlagen."
Sonea glaubte, einen leisen Spott aus seiner Stimme herauszuhören.
„ … und uns um ein Haar gegenseitig besiegt", knurrte Garrel.
„Euer Täuschungsmanöver ist geglückt", sagte Balkan, der sich als Erster wieder gefasst hatte. „Ich gratuliere."
„Es war Soneas Idee", erwiderte Akkarin kühl.
„Dann gratuliere ich dir, Sonea."
„Vielen Dank, Hoher Lord", sagte Sonea, noch immer zu erheitert um die übliche Befangenheit zu verspüren. Ein Teil von ihr weigerte sich vehement, Balkan als Hohen Lord zu akzeptieren. Das machte es indes umso seltsamer, wenn sie gezwungen war, das Wort an ihn zu richten.
„Luzille lässt dich grüßen. Sie lädt dich für den letzten Ferientag nachmittags zum Sumi ein. Ihr Schneider hat dann Zeit."
„Richtet ihr bitte meinen Dank aus", erwiderte Sonea erfreut. Das war schneller gegangen, als sie erwartet hatte. Anscheinend schien Luzille es mit ihren Bemühungen, die Hochzeitsplanung zu übernehmen, ernst zu meinen. „Ich werde selbstverständlich kommen."
Balkan nickte. „Das werde ich."
„Nun, möchten die Lords in den nächsten Tagen ein weiteres Mal gegen uns antreten?", fragte Akkarin.
Einige der Krieger sahen einander zweifelnd an.
„Ich denke, das hat Zeit, bis der Unterricht wieder beginnt", erklärte Garrel. „Die Ferien scheinen mir nicht die richtige Zeit für solche Unternehmungen zu sein." Er schenkte Akkarin ein zähnebleckendes Lächeln. „Sofern Euch das nichts ausmacht, Lord Akkarin."
„Ganz und gar nicht, Lord Garrel", erwiderte Akkarin glatt. „So habt Ihr mehr Zeit, an Eurer Strategie zu feilen." Er legte eine Hand zwischen Soneas Schulterblätter. „Komm Sonea, gehen wir nach Hause."
Sie verließen die Arena und bogen den Weg zu den Residenzen an. Der Schnee knirschte leise unter ihren Stiefeln. Die tiefstehende Sonne schien schräg durch die kahlen Gerippe der Bäume. Dort, wo ihre Strahlen die Schneedecke berührten, schimmerte der Schnee rötlich.
Als die Gebäude der Universität hinter den Bäumen verschwunden waren, brach Akkarin plötzlich in Gelächter aus.
Sonea hielt erschrocken inne und starrte ihn an. Es geschah nur selten, dass er seine Erheiterung derart offen zeigte.
„Was ist denn mit dir los?", fragte sie verstört.
Akkarin rang nach Luft. „Ah, ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so amüsiert habe! Hast du ihre Gesichter gesehen? Du hast sie wahrhaftig hereingelegt! Zu schade, dass du ihre Verwirrung und ihren Ärger nicht spüren konntest."
Sonea hatte ganz vergessen, dass sie nicht die Einzige war, deren Gedanken und Gefühle er seit dem Unfall ohne eigenes Zutun lesen konnte. Während sie selbst ihren Geist vor ihm abschirmen musste, um ihn nicht ständig mit ihren Oberflächengedanken zu penetrieren, konnte Akkarin dies bei anderen ausblenden. Sonea vermutete indes, dass er seine seltsame Fähigkeit bewusst einsetzte, wenn es ihm nützlich war. Es mochte unmoralisch sein, aber sie fand, die Krieger hatten es nicht anderes verdient, wenn er seine Gabe nutzte, um sich auf ihre Kosten zu amüsieren.
„Ja, es war wirklich lustig", stimmte sie zu. Was würden die Krieger wohl denken, wenn sie wüssten, dass sie gerade derart ausgelacht wurden?
„Zu bedauerlich, dass die nächste Runde erst nach den Ferien stattfinden wird", fügte er wieder ruhiger hinzu.
„Oh, das hast du doch provoziert!", erwiderte Sonea und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. „Gib zu, das konntest du dir nicht verkneifen."
„Hinsichtlich dieser Tatsache bin ich wohl schuldig."
Sonea lachte und wollte ihn ein weiteres Mal mit ihrem Ellenbogen stoßen, doch er bekam ihren Arm zu fassen und hielt sie fest.
„Untersteh dich", sagte er leise. „Wo bleibt dein Respekt?"
„Ihr seid mir nicht gerade ein leuchtendes Vorbild, Lord Akkarin", gab sie frech zurück.
Akkarin musterte sie schweigend. „Das ist mir egal", sagte er streng, doch seine dunklen Augen blitzten. Er hob sanft ihr Kinn und küsste sie.
„Hat dich das vorhin mehr amüsiert, wie als Osen dich zu einem Duell herausfordern wollte?", fragte sie, nachdem er wieder von ihr abgelassen hatte.
„Absolut."
„Und du hattest mehr Spaß, als an dem Tag, wo wir zu dem See gegangen sind?"
„Das war etwas anderes", antwortete Akkarin plötzlich wieder ernst und nahm ihre Hände zwischen seine.
„Ich wäre gekränkt, wäre es anders", sagte sie und sah zu ihm auf.
Akkarin bedachte sie mit seinem Halblächeln und beugte sich erneut zu ihr hinab. Sonea schloss die Augen.
Dann traf etwas ihren Rücken.
„Was soll das?", fuhr sie Akkarin an.
Seine Miene drückte offenkundige Verwirrung aus. „Was denn?"
„Oh, nun tu doch nicht so unschuldig!" Sonea tastete mit ihrer Hand nach der Stelle, wo sie getroffen worden war, und spürte etwas Kaltes zwischen ihren Fingern. „Du hast einen Schneeball nach mir geworfen!"
Erheitert hob Akkarin die Augenbrauen. „Sonea, denkst du wirklich, ich würde so etwas tun?"
„Wenn du wüsstest, was ich dir alles zutraue", gab sie finster zurück. „Willst du etwa behaupten, Garrel wäre uns gefolgt, um sich auf niederträchtige Weise für seine Niederlage zu rächen?"
„Selbst Garrel ist über dieses Novizenniveau hinaus", erwiderte er ernsthaft.
Ein zweiter Schneeball traf sie. Dieses Mal war es ihre Schulter. Sie sah Akkarin erbost an. „Das ist doch wirklich …", begann sie.
„Sonea, ist dir schon einmal die Idee gekommen, es könnte tatsächlich jemand anderes den Schneeball nach dir geworfen haben?", fragte Akkarin. „Warum verdächtigst du als Erstes mich?"
Sonea stemmte ihre Fäuste in die Hüften und reckte herausfordernd ihr Kinn vor. „Außer uns ist niemand hier draußen. Und überhaupt wer wäre so töricht, das in deiner Gegenwart zu wagen?"
„Vielleicht er?" Akkarin deutete auf die Bäume neben dem Weg, den sie gekommen waren. Sonea folgte seinem Blick und entdeckte eine kleine, unscheinbare Gestalt, die grinsend hinter einem Baum hervortrat. Ihr Herz machte einen Sprung.
„Cery!"
Sie riss sich von Akkarin los und rannte auf ihren Freund zu.
Cery grinste und breitete die Arme aus, als die kleine Magierin in den schwarzen Roben auf ihn zustürmte. Er traute seinen Augen kaum, weil sie so glücklich und unbeschwert wirkte. Zuletzt hatte er sie so erlebt, als sie in ihrer Kindheit die Hüttenviertel unsicher gemacht hatten. Obwohl sich seit jener Zeit ihre beider Leben gewandelt hatten, schien sich in diesem Augenblick nichts in all den Jahren geändert zu haben.
Als Sonea ihn erreicht hatte, flog sie im um den Hals. Cery fing sie auf und wirbelte sie herum.
„Was machst du denn hier?", fragte sie atemlos, nachdem er sie wieder abgesetzt hatte.
„Ich wollte sehen, wie's dir geht", antwortete Cery. „Du hast so lange nix von dir hören lassen, und da ich zufällig weiß, dass du Ferien hast, dachte ich, das wäre 'ne gute Gelegenheit, dich zu besuchen."
Er schob seine Freundin auf Armeslänge von sich und betrachtete sie. Ihre blassen Wangen waren von der Kälte gerötet. Die dunklen Haare waren zu beiden Seiten ihres Kopfes geflochten und verschwanden mit dem Rest ihrer Haare in einem Zopf im Nacken. Sie war schöner denn je.
„Oh, es geht mir sehr gut." Sonea strahlte. „Aber was ist mit dir? Du siehst aus, als wärst du gewachsen."
„Ich war schon immer größer als du."
Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wahr, Cery!", protestierte sie. „Du hast mich erst in den letzten Jahren eingeholt."
Cery lachte. „Das kommt auf's selbe raus."
Jetzt, wo sie sich gegenüberstanden, fiel ihm erst wirklich auf, wie sehr er ihre Gesellschaft vermisst hatte. Seit der Schlacht im Sommer hatte Cery oft an sie gedacht, doch der Wiederaufbau der Hütten und seine neue Arbeit als Stadtwache hatte ihm keine Zeit für einen Besuch gelassen.
Und dann war Savara wieder aufgetaucht und Cery hatte sich gezwungen gesehen, den Großteil seiner freien Zeit mit ihr zu verbringen, um zu vermeiden, dass sie sich bei der nächsten Gelegenheit erneut in die Stadt schlich. Nachdem sie wegen der Schneestürme eine Woche in unfreiwilliger Gefangenschaft in seinem Versteck hatte verbringen müssen, hatte Savara sich gelangweilt. Also hatte Cery sich beeilt, die Räumung der Straßen in seinem Bezirk zu organisieren, um anschließend ein paar Stunden mit ihr im Freien zu verbringen.
Während Savara sich in Imardin allmählich sicher zu wähnen begann, wurde Cery mit jedem verstreichenden Tag nervöser. Irgendwann würden die Leute, vor denen sie sich versteckte, in der Stadt auftauchen. Um vorbereitet zu sein, hatte er seine Männer angewiesen, nach Sachakanern und mysteriösen Todesfällen die Augen offenzuhalten und sich einen Plan zurechtgelegt, wie er das Problem mit Savaras Jägern lösen würde. Zugegebenermaßen war das einer der Gründe für seinen Besuch.
„Was für Neuigkeiten gibt es bei dir?", fragte Sonea aufgeregt.
„So einige", antwortete Cery. „Es hat sich mehr geändert, als mir lieb war. Ich musste viele Dinge völlig neu regeln. Am Anfang war's nicht leicht. Aber inzwischen hab' ich mich an mein neues Leben gewöhnt."
Sonea neigte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn mit ihren dunklen Augen. „Du musst mir alles erzählen!", verlangte sie.
„Auf jeden Fall!", versprach Cery. „Das heißt, wenn du so viel Zeit und Geduld hast."
„Wir haben uns so lange nicht gesehen. Natürlich habe ich Zeit für dich, Cery."
Cery lächelte. „Wie läuft's mit deinem Studium?", erkundigte er sich. „Dein Abschluss rückt immer näher, oder?"
Bereits wenige Wochen nach der Schlacht von Imardin hatten seine Kontakte in der Gilde ihm berichtet, dass Sonea wieder zum Unterricht ging. So hatte er auch erfahren, dass sie wiederholt Ärger mit einigen anderen Novizen gehabt hatte. Trotzdem war er begierig darauf, ihre Version zu erfahren und was sie darüber hinaus seit dem Sommer erlebt hatte.
Sonea nickte. „Ich musste die Sommerprüfungen nachholen. Und kurz darauf musste ich mich für eine Disziplin entscheiden, damit ich noch genügend Stoff aus den entsprechenden Vertiefungskursen lernen kann. Von da an ging es erst richtig los. Aber das ist eine lange Geschichte."
Cery deutete auf ihre Robe. „Schwarze Magie also?"
Sonea wurde ernst. „Schwarze Magie ist keine Disziplin", erwiderte sie hart. „Und das ist auch gut so. Nein, ich habe die Kriegskunst gewählt." Sie hielt inne und sah ihn direkt an. „Sag jetzt nichts. Ich weiß, ich habe damit alles verraten, weswegen ich mich der Gilde überhaupt angeschlossen habe."
Das war etwas, das Cery tatsächlich noch nicht wusste. Es muss passiert sein, als ich bei der Stadtwache angefangen habe, überlegte er. Ungefähr ab da hatte er aufgehört, sich nach Soneas Wohlbefinden zu erkundigen. Doch er war nicht überrascht, dass sie so entschieden hatte.
Er schüttelte den Kopf. „Sonea, ich hab' mir schon im Sommer gedacht, dass du keine Heilerin wirst", sagte er. „Glaub' mir, die Hüttenleute fühlen sich nicht von dir gesquimpt. Sie sind stolz auf dich." Es gab kaum jemanden in den Hüttenvierteln, der Akkarin und Sonea seit der Schlacht nicht verehrte. Die Hüttenleute würden alles begrüßen, was Sonea für ihr Wohl tat. Und das schloss den Kampf gegen die Sachakaner mit ein.
„Oh Cery, ist das wirklich wahr?"
Er nickte. „Du hast's wirklich weit gebracht."
Sie lächelte. „Aber du hast dich dagegen kein bisschen verändert", sagte sie dann mit einem Funkeln in den Augen. „Noch immer der kleine Unruhestifter."
Cery blinzelte unschuldig. „Wieso Unruhestifter?"
„Ich sage nur, die Schneebälle, die du nach mir geworfen hast."
Cery grinste. „Irgendwie musste ich euch doch auf mich aufmerksam machen. Als ich dich und Akkarin besuchen wollte, sagte man mir, ihr seid in der Arena. Doch als ich dort ankam, wart ihr bereits auf dem Heimweg. Also bin ich euch gefolgt. Aber ihr wart so miteinander beschäftigt, dass ihr mich nicht gehört habt."
Soneas Augen verengten sich. „So wie du das sagst, klingt es, als hätten wir etwas Unanständiges gemacht."
Cery lachte. „Es war einfach zu lustig, wie du zuerst Akkarin beschuldigt hast", sagte er, den missbilligenden Ausdruck seiner Freundin ignorierend. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen!"
Mit unverhohlener Erheiterung beobachtete er, wie sich die Miene seiner Freundin zusehends verfinsterte.
„Und das will ein Dieb sein!", erklang Akkarins tiefe Stimme plötzlich hinter ihnen.
Cery zuckte zusammen und fuhr herum. Als er den anderen Mann erblickte, erstarrte für einen Moment in Ehrfurcht.
„Lord Akkarin", sagte er und verneigte sich.
Der einstige Hohe Lord musterte ihn mit undurchdringlicher Miene. „Was machen die Geschäfte?", fragte er. „Wie ich gehört habe, waren die ersten Wochen nach der Schlacht für die meisten Diebe nicht einfach."
„Trotz ein paar kleiner Schwierigkeiten habe ich meine Position unter den Dieben gefestigt", antwortete Cery stolz. Er war nicht überrascht, dass Akkarin über das Geschehen in den Hüttenvierteln informiert war. Seine Methoden an Informationen zu gelangen waren gleichsam mysteriös als auch beneidenswert. „Ich hatte schließlich ein paar Jahre Zeit, um mich in meinen Beruf zu üben."
Sonea grinste. „Als wenn Dieb ein Beruf wäre", bemerkte sie spöttisch.
„Wenn du wüsstest!", erwiderte Cery. Dann wurde er wieder ernst. „Leider lief's nicht lange so gut. Vor ein paar Monaten ist was passiert, was für die Diebe alles verändert hat."
„Ich kann mir schon denken, worauf du anspielst", sagte Akkarin.
Cery beobachtete, wie Sonea stirnrunzelnd von ihm zu Akkarin und wieder zurück sah.
„Wovon sprecht ihr?", fragte sie mit offenkundiger Verwirrung.
Akkarin legte einen Arm um ihre Taille. „Gehen wir nach Hause", sagte er. „Dort kann Ceryni uns alles in Ruhe berichten." Er sah zu Cery. „Ich werde Takan über dein Kommen informieren. Ich hoffe, du magst Würzwein."
Die spontane Einladung freute Cery. Nicht nur, weil er so gespannt auf das Haus war, in dem Akkarin und Sonea wohnten, oder weil er sich schon so lange darauf gefreut hatte, sie wiederzusehen. Inzwischen war er trotz seines dicken Mantels bis auf die Knochen durchgefroren. Ein verschneiter Wald war nicht gerade der behaglichste Ort für ein Wiedersehen.
Er lächelte. „Sehr gern sogar."
Als Sonea das Speisezimmer betrat und das sich ihr dort bietende Bild betrachtete, musste sie unwillkürlich lächeln. Akkarin saß auf dem Sofa. Verglichen mit ihrem besten Freund, der sich in einem Sessel lümmelte, wirkte er fast noch ehrfurchtgebietender und distinguierter als sonst. Cery hingegen schien sich alle Mühe zu geben, der Rolle eines Diebes gerecht zu werden. Seine Körperhaltung und sein Benehmen wiegten seine unscheinbare Statur in jeder Hinsicht auf. Seit Sonea ihn zuletzt gesehen hatte, hatte er sich einen kurzen Bart wachsen lassen, was ihm überraschend gut stand und ihn erwachsener wirken ließ.
Wenigstens hat er den Anstand, nicht die Füße auf den Tisch zu legen, dachte sie erheitert und war überrascht, als sie erkannte, wie unterschiedlich diese zwei der wichtigsten Menschen in ihrem Leben waren.
„Ah, da bist du ja", sagte Akkarin, als sie auf die Sitzgruppe zu schritt. Er bedeutete ihr, sich neben ihn zu setzen. „Dein Freund hat ein paar interessante Neuigkeiten für uns."
„Und natürlich konntet ihr damit nicht warten, bis ich da bin", bemerkte Sonea und setzte sich.
„Du hast nicht viel verpasst", beruhigte Cery sie.
Sie warf Akkarin einen zweifelnden Blick zu.
„Das stimmt", sagte er und zog sie zu sich.
Sonea gab vor, ihm zu glauben. Sie würde später noch alles aus ihm herauskriegen. Sie mochte es, wenn er distanziert und mysteriös war, und wollte ihn gar nicht anders. Doch das hörte auf, wenn er ihr Dinge verschwieg, die auch sie etwas angingen.
Auf dem Tisch vor ihr standen ein Krug aus Ton und drei Becher mit Würzwein, von dem einer noch voll war. Um sich nicht von Akkarin lösen zu müssen, streckte sie ihren Willen danach aus. Die darin enthaltene Flüssigkeit war lauarm, doch nachdem Sonea sie mit Magie wieder aufgewärmt und einen Schluck getrunken hatte, breitete sich eine wohlige Wärme in ihr aus.
Bevor sie fragen konnte, was für Neuigkeiten Cery hatte, ging die Tür auf und Takan trat ein. „Wünscht der Dieb zum Abendessen zu bleiben?", fragte er sich verneigend.
Cery lächelte. „Danke Takan, aber so lange wollte ich nicht bleiben. Ich hab' noch was zu erledigen."
„Wie Ihr wünscht", erwiderte Takan.
Sonea konnte ihm seine Enttäuschung jedoch ansehen. „Oh Cery, bitte bleib doch noch", drängte sie. „Wir haben uns so lange nicht gesehen. Und es gibt noch so viel zu erzählen!"
„Ich denke, Takan möchte sich revanchieren, weil du ihn für ein paar Wochen bei dir aufgenommen hast", fügte Akkarin hinzu. „Du würdest ihn sehr enttäuschen, wenn du nicht zum Essen bleibst. Deine Arbeit kann doch sicher bis morgen warten oder von deinen Leuten erledigt werden."
Cery lachte. „Also wenn ihr alle drei so sehr darauf besteht, hab' ich wohl keine Wahl."
„Es ist mir eine Ehre für Euch zu kochen, Meister Dieb", erklärte Takan und verneigte sich leicht.
Sonea grinste. „Du hast gerade jemanden sehr glücklich gemacht", sagte sie. Sie rückte ein wenig dichter an Akkarin. „Und jetzt will ich deine Neuigkeiten hören."
Sie spürte, wie Akkarins Brust vibrierte, während er sprach. „Du solltest von vorne beginnen", sagte er zu Cery mit unterdrückter Erheiterung. „Sie wird sonst nicht locker lassen."
Ihr Freund musterte sie neugierig. Sonea fragte sich, was er jetzt dachte. Für ihn musste es seltsam sein, sie und Akkarin so zu erleben.
Cery beugte sich nach vorne und griff nach seinem Würzwein. „Es ist möglich, dass sich bald wieder Sachakaner in der Stadt herumtreiben", begann er an seinem Becher nippend. Er warf einen Blick zu Sonea. „Bevor du fragst, ich muss meine Quelle geheim halten."
Sonea nickte ernst. So genau wollte sie auch nicht wissen, woher Cery seine Informationen bezog. Sie erschauderte, als ein Prickeln ihre Wirbelsäule entlanglief und ihre Anspannung wuchs. Es war also soweit. Die Sachakaner wurden allmählich aktiv.
„Und du willst, dass Akkarin und ich sie jagen?", folgerte sie.
„Das ist doch eure Aufgabe, oder nicht?"
„Schon, aber wir dürfen nicht einfach in die Stadt und Leute töten. Selbst dann nicht, wenn es Sachakaner sind. Die Gilde …"
„ … braucht davon nichts zu erfahren", beendete Akkarin ihren Satz. Seine Hand strich sachte über ihren Arm. „Genau wie du dachte ich zunächst, es hätte mit den Plänen unserer Feinde zu tun. Doch Ceryni hat mir versichert, dass diese Angelegenheit nur ihn allein betrifft. Wir sollten dies vertraulich behandeln."
Sonea runzelte die Stirn. Das alles klang sehr seltsam. Sie wusste noch nicht, was sie davon halten sollte. „Was soll das heißen, Cery?", fragte sie. „Was hast ausgerechnet du mit den Sachakanern zu tun?"
„Das kann ich dir nicht sagen", antwortete ihr Freund. „Es würde zu viel über meine Quellen preisgeben. Grob gesagt geht's dabei um 'ne Gefälligkeit, die ich jemandem gegeben hab'. Ich muss euch bitten, mir zu vertrauen."
„Ich vertraue dir", sagte Sonea. Sie konnte spüren, wie Akkarin in ihrem Rücken nickte. Die Bedenken, die sie bei dieser Sache hatte, waren jedoch anderer Natur. „Trotzdem verlangst du ziemlich viel von uns. Wenn wir dir helfen, verstoßen wir damit gegen die Auflagen, unter denen uns die Gilde wieder aufgenommen hat."
„Sonea, wir können nicht zulassen, dass schwarze Magier aus Sachaka sich an der Bevölkerung von Imardin stärken", sagte Akkarin. „Egal, welche Auflagen mit zweifelhaftem Sinn die Gilde uns auferlegt." Er wandte sich an ihren Freund. „Während der letzten beiden Jahre warst du mir ein wertvoller Verbündeter, Ceryni. Dass du dich während meiner Abwesenheit um Takan gekümmert hast, werde ich dir nie vergessen. Zumindest ich für meinen Teil bin dir diese … Gefälligkeit schuldig."
„Danke", erwiderte Cery leise.
„Ich finde natürlich auch, dass wir Cery helfen sollten." Sonea drehte ihren Kopf und sah Akkarin an. „Aber dir ist doch hoffentlich klar, dass wir uns ziemlichen Ärger einhandeln, wenn die Gilde davon erfährt."
„Die Gilde wird nichts davon erfahren, weil dann auch Cery in Konflikt mit dem Gesetz geraten würde", erwiderte Akkarin. „So ist es doch, nicht wahr?"
Cery nickte. „Ich hab' nicht gegen das Gesetz verstoßen. Aber ich würde in ziemliche Reibereien mit der Gilde und der Stadtwache kommen, wenn diese Sache rauskommt. Es könnte alles gefährden, was ich in den letzten Monaten erreicht habe."
„Das verstehe ich", sagte Sonea.
Nachdenklich trank sie einen Schluck Würzwein. Die Flüssigkeit war inzwischen wieder abgekühlt und sie musste sie erneut erhitzen. „Aber, wenn die Sachakaner Stadtbewohner ermorden, wird das auffallen", sagte sie dann. „Inzwischen werden die meisten Leute wissen, woran man erkennt, ob jemand durch schwarze Magie gestorben ist. Die Gilde wird davon erfahren."
- Ich dachte, du würdest dich über ein wenig Abwechslung freuen, sandte Akkarin, während er noch immer über ihren Arm strich. Wieso hast du so starke Bedenken?
- Wieso bist du so leichtsinnig?, gab sie zurück.
Akkarin schien erheitert.
- Sonea, ich habe acht Jahre lang sachakanische Spione in Imardin gejagt, ohne dass die Gilde es bemerkt hat. Ich weiß, was ich riskieren kann und was nicht. Worüber machst du dir Sorgen?
- Dass sie uns bestrafen und erneut verbannen.
- Dafür brauchen sie uns viel zu dringend.
Es waren weniger seine Worte, als das Gefühl, das er ihr zugleich sandte, das sie beruhigte. Eigentlich war das hier genau das, was Sonea sich vorgestellt hatte, als er begonnen hatte, sie in schwarzer Magie zu unterweisen. Sie hatte gedacht, sie würden für den Rest ihres Studiums nachts Sachakaner in der Stadt jagen.
Und danach …
Nun, über das Danach hatte sie nie nachgedacht. Trotzdem war es damals etwas anderes gewesen, denn sie hatten völlig im Verborgenen arbeiten können. Jetzt hingegen hatte die Gilde immer ein Auge auf sie.
„Ceryni und seine Leute arbeiten sehr diskret", sagte Akkarin. „Jetzt, wo die Diebe in den Hüttenvierteln die Aufgaben der Stadtwache übernommen haben, bieten sich zudem weitaus mehr Möglichkeiten, die Sachakaner aufzuspüren."
Sonea glaubte, sich verhört zu haben. „Cery arbeitet für die Stadtwache?", entfuhr es ihr.
Ihr Freund lachte. „Du weißt es noch nicht? Es ist Stadtgespräch!"
„Nein." Verwirrt wandte sie sich zu Akkarin. „Hast du davon gewusst?"
„Ja. Bei meinem letzten Gespräch mit König Merin hat er eine Andeutung in diese Richtung gemacht. Daraufhin habe ich ihm meine Empfehlung für deinen Freund ausgesprochen."
Er hatte ihr schon wieder etwas verschwiegen! Sonea funkelte ihn an. Sie fand, das gehörte zu den Dingen, die er ihr nicht vorenthalten durfte. Aber anscheinend hatte Akkarin davon eine andere Auffassung als sie.
- Ich habe es dir nicht gesagt, weil wir damals andere Sorgen hatten, sandte er. Außerdem ist das etwas, was Cery dir lieber selbst erzählen sollte.
Sonea begnügte sich damit, ihm vorerst nur ihren Unwillen zu zeigen und wandte sich dann zu ihrem Freund.
„Ich will alles darüber hören!", verlangte sie.
Während der nächsten halben Stunde erzählte Cery wie ein Berater des Königs auf ihn zugekommen war und ihm angeboten hatte, an Stelle der Stadtwache in den Hüttenvierteln für Recht und Ordnung zu sorgen. Sonea erfuhr von ihrem Freund, wie er die anderen Diebe überzeugt hatte, dass es besser war, sich ihm anzuschließen, als die Vollstreckung des Gesetzes fürchten zu müssen. Am Ende waren sich die Diebe einig gewesen, es zu versuchen. Jetzt hatte jeder Dieb in seinem Territorium ein Wachhaus, das er selbst als Captain leitete. Wenn die Diebe ihre Arbeit einige Monate lang ordentlich erledigt hatten, würden sie und ihre Leute Uniformen erhalten, um das Ganze offiziell zu machen.
Tatsächlich waren diese Neuigkeiten gar kein Geheimnis, wie Sonea zuerst gedacht hatte. In den Häusern und unter den Magiern war dieses Thema sogar heftig diskutiert worden. Sie war in den vergangenen Monaten jedoch so sehr mit ihrem Studium und den Sachakanern beschäftigt gewesen, dass die ganze Aufregung an ihr vorbeigegangen war.
„Oh, Cery! Ich freue mich so für dich!", sagte sie, nachdem er geendet hatte. „So eine Chance bekommt nicht jeder. Vielleicht wird aus dir ja doch noch etwas Anständiges."
„Du hattest aber auch ziemliches Glück", erwiderte er augenzwinkernd.
Takan erschien mit einem Tablett, das mit Platten und Schüsseln beladen war, die er auf dem Esstisch anrichtete.
„Du und die anderen Diebe haben das einzig Richtige getan", sagte Akkarin, während sie zum Tisch gingen. „Auch wenn das das Ende der Diebe bedeuten mag, so ist es besser als die Alternative."
Cery nickte. „Kein Dieb will, dass die Stadtwache in seinem Territorium rumschnüffelt. Wobei sie von Zeit zu Zeit Kontrollen durchführen, um sicherzugehen, dass wir uns an die Abmachungen halten." Sein Blick fiel auf den reichlich gedeckten Tisch. „Hai! Wer soll denn das alles essen?"
Sonea war das hinterhältige Funkeln in Cerys Augen indes nicht entgangen. Sie war sicher, er führte seine Geschäfte im Geheimen weiter. So wie es wahrscheinlich der Rest der Diebe tat. Es würde sie wundern, wäre auch nur einer von ihnen plötzlich hochanständig geworden. Sie hoffte, ihr Freund war vorsichtig genug, sich nicht dabei erwischen zu lassen.
Dennoch fand sie, der König hatte ausnahmsweise einmal eine gute Entscheidung getroffen. Würde sie noch in den Hüttenvierteln leben – oder dem Äußeren Ring, wie sie jetzt offiziell hießen – würde sie die Diebe als Gesetzeshüter der Stadtwache vorziehen.
„Du würdest dich wundern, was Sonea nach einem Nachmittag in der Arena vertilgen kann", bemerkte Akkarin.
Sonea lachte. „Jetzt übertreibst du aber. Wir können es Takan einfach nicht ausreden, weniger zu kochen." Sie musterte die über den Esstisch verteilten Platten und Schüsseln. Akkarins Diener hatte sich ohne Zweifel wieder einmal selbst übertroffen. „Ich nehme an, deinetwegen hat er sich heute ganz besonders viel Mühe gegeben, Cery."
Sie setzten sich. Akkarin ging zu einer Anrichte und öffnete eine Flasche Anurischen Dunkelwein. Er schenkte ihnen ein, dann setzte er sich Sonea gegenüber. Sie stießen an und begannen zu essen.
„Jetzt haben wir die ganze Zeit fast nur über mich geredet, aber ihr habt noch gar nicht erzählt, was ihr so getrieben habt", sagte Cery plötzlich. „Wie ist das Leben in der Gilde so, seit ihr wieder zurück seid?"
Soneas Wangen wurden heiß. „Oh, da gibt es nicht viel zu erzählen", sagte sie ausweichend und trank einen Schluck Wein. „Ich mache eigentlich nicht viel, außer Lernen und Schlafen. Ich bezweifle, dass du dich für mein Studium interessierst."
„Als ob dein Leben so trostlos wäre, Sonea", sagte Akkarin streng. „Soll Ceryni denken, ich wäre zu hart zu dir?"
Sonea kicherte und griff nach seiner Präsenz.
- Womit wir bei Themen wären, die bei Tisch unangemessen sind.
- Daran hatte ich nicht gedacht. Doch ich finde es äußerst interessant, dass du es tust, entgegnete er trocken.
- Woran das wohl liegen könnte?, gab sie zurück.
- Pass auf. Was du sagst, es könnte Konsequenzen haben, warnte er.
Sonea verkniff sich eine Bemerkung darüber, dass sie es genau darauf anlegte. „Dann erzähl du Cery doch, was es bei uns Neues gibt", sagte sie laut.
„Ich bin sicher, du machst das viel besser als ich", erwiderte Akkarin.
Sonea verdrehte innerlich die Augen und erzählte Cery von ihrem Studium, ihren neuen Freunden und wie es ihr und Akkarin ergangen war, seit sie wieder in der Gilde waren. Sie erzählte von Garrels Intrige, ihrem Angriff auf Regin und der darauffolgenden Strafe. Selbst das Bankett, bei dem sie am liebsten im Erdboden versunken wäre, ließ sie nicht aus. Über viele andere Dinge, wie die Jagd auf den Sachakaner in den Bergen oder den wahren Grund für die Wahl ihrer Disziplin, behielt sie jedoch Stillschweigen. So auch über die Pläne der Gilde bezüglich der Sachakaner, von denen sie nur wusste, weil Akkarin sie eingeweiht hatte. Wenn Cery in Schwierigkeiten geriet, weil bald Sachakaner in die Stadt kamen, wäre er der Letzte, der davon wissen sollte.
„Ist das alles?", fragte Cery, nachdem sie geendet hatte. Er hob die Augenbrauen und lehnte sich zurück. „Du hast nicht zufällig was vergessen, was ich als dein bester Freund wissen sollte? Es sei denn, du ziehst diesen Mistkopf Regin jetzt vor."
Sonea schnaubte. „Als ob Regin dich ersetzen könnte!"
Sie mochte Regin und sie waren bessere Freunde geworden, als Sonea je für möglich gehalten hätte. Möglicherweise würde sie ihm eines Tages sogar ihr Leben anvertrauen. Aber Cery war ein ganz besonderer Freund Sie kannten einander, seit sie Kinder waren. Er hatte sie viele kleine Tricks gelehrt, um in den Hüttenvierteln zu überleben, und er hatte sie versteckt, als die Gilde nach ihr gesucht hatte. Einen besseren Freund als ihn würde sie niemals haben.
„Ich denke, das hat sie", stimmte Akkarin zu. Seine Augen bohrten sich in ihre.
- Oder liege ich da falsch?
- Tust du nicht, antwortete sie, ein Grummeln unterdrückend.
Sie wusste sehr wohl, worauf die beiden Männer hinauswollten. Es hätte das Erste ein müssen, das sie Cery bei ihrem Wiedersehen erzählt haben sollte, aber Sonea hatte noch nicht entschieden, wie sie es ihm am besten beibrachte. Seit er ihr vor langer Zeit seine Liebe gestanden hatte, war sie bei Themen dieser Art vorsichtig geworden. Sie schloss einen Moment die Augen und holte tief Luft.
„Akkarin und ich werden im Frühjahr heiraten."
Zu ihrer Erleichterung breitete sich ein Grinsen auf Cerys Gesicht aus. „Glückwunsch!", rief er. „Das ist 'ne tolle Neuigkeit! Nicht dass ich's nicht schon längst gewusst hätte!"
Sonea starrte ihn an. „Du hast es gewusst?"
Cery lachte. „Na, die ganze Stadt redet davon!"
„Ist das wahr?"
Cery nickte grinsend. „Ich sagte doch, ihr zwei seid in der Stadt sehr beliebt."
Sonea strahlte. Seine Reaktion erleichterte sie mehr, als sie je für möglich gehalten hatte. Wäre es anders, so hätte sie sich nicht wohl bei dem gefühlt, was sie ihm als Nächstes beibringen musste.
„Du wirst selbstverständlich zur Feier erscheinen, Ceryni", sagte Akkarin.
„Natürlich komm' ich", antwortete Cery. „Das lass' ich mir doch nicht entgehen!"
„Nein, das solltest du nicht", sagte Sonea. „Schon gar nicht als unser Trauzeuge."
Cery Augen weiteten sich. „Hai! Ist das dein Ernst?"
Sie nickte. „Wenn es dir nichts ausmacht, dass der König uns vermählt."
Ihr Freund wirkte nicht begeistert. Mit einiger Erheiterung erzählte Sonea ihm, wie es dazu gekommen war.
„Du willst das doch nur, damit du dem König eins auswischen kannst", sagte er als, sie geendet hatte.
Sonea verkniff sich ein Grinsen. Bis zu einem gewissen Grad hatte ihr Freund nicht unrecht. Trotzdem musste Cery einer der beiden Trauzeugen sein. Was den anderen betraf, so hatte Akkarin noch keine Entscheidung getroffen.
„Oh, bitte Cery, sag nicht nein", bettelte sie. „Wir hatten so fest mit dir gerechnet."
„Dann bleibt mir wohl kaum 'ne Wahl", erwiderte Cery lachend.
„Nein", sagten Sonea und Akkarin gleichzeitig.
Cerys Blick huschte flüchtig von ihr zu Akkarin und wieder zurück. „Wann wollt ihr heiraten?"
„Den genauen Tag haben wir noch nicht festgelegt, aber du bekommst selbstverständlich eine Einladung, sobald alles endgültig …" Sonea brach ab, als ihre Aufmerksamkeit abgelenkt wurde.
- Akkarin!
- Balkan!
- Kommt unverzüglich in Osens Büro.
- Wir haben Besuch. Was auch immer es ist, es muss bis morgen warten.
- Nein, es gibt etwas zu besprechen, das nicht warten kann. Macht Euch sofort auf den Weg. Sonea soll Euren Besuch unterhalten. Spätestens, wenn sie Eure Frau ist, muss sie die Rolle der Gastgeberin perfektioniert haben.
- Ich bin unterwegs.
Sonea verdrehte die Augen. Akkarin runzelte missbilligend die Stirn.
„Das macht er absichtlich!", sagte sie.
Akkarin schüttelte den Kopf. „Etwas muss passiert sein."
„Was ist los?", fragte Cery verwirrt.
„Ich muss in die Universität." Akkarins Roben raschelten leise, als er sich erhob. „Bitte entschuldigt mich. Ceryni, du kannst selbstverständlich bleiben, solange du willst."
„Danke", erwiderte Cery.
Sonea schob ihren Stuhl zurück und folgte Akkarin in die Empfangshalle.
„Lord Akkarin, wieso lasst Ihr Euch das gefallen?", fragte sie ihr Kinn in einer rebellischen Geste vorschiebend. Balkan hatte nicht das Recht, ihren Abend zu ruinieren. Für einen Moment fragte sie sich, ob er das tat, weil er ihnen ihr Glück nicht gönnte. Sie bezweifelte, dass er bis jetzt viele schöne Stunden in seiner Ehe mit Luzille erlebt hatte.
Akkarin blieb stehen und wandte sich zu ihr um. „Weil er der Hohe Lord ist", antwortete er. „Du hast ihn gehört. Es kann nicht warten."
Sonea unterdrückte ein Seufzen. „Wird es lange dauern?"
„Das weiß ich nicht. Ich versuche, mich zu beeilen und sinnlose Diskussionen zu unterbinden."
„Dann viel Erfolg dabei", wünschte sie, wobei sie sich einen gewissen Sarkasmus nicht verkneifen konnte. „Grüß Rothen von mir."
„Das werde ich", versprach er und küsste sie zum Abschied auf die Stirn. „Falls es sehr spät werden sollte, warte nicht auf mich."
Er schritt durch die Empfangshalle, seine schwarzen Roben wallten sich hinter ihm. Die Türen schwangen auf. Ein Schwall eiskalter Luft wehte Sonea entgegen, als die Türen hinter ihm ins Schloss fielen. Fröstelnd schlang sie die Arme um den Leib und ging zurück ins Speisezimmer.
Auf einer mit Kissen gepolsterten Fensterbank sitzend blickte Cery sich anerkennend um. Soneas Studierzimmer war der letzte Raum auf ihrer Runde, die sie nach dem Dessert durch die Arran-Residenz gemacht hatten. Obwohl das Haus kleiner als die Häuser im Inneren Ring war, in die Cery sich bis jetzt geschlichen hatte, war es nicht weniger beeindruckend.
„Du hast's wirklich geschafft", sagte er, ein Glas mit Anurischem Dunkelwein in der Hand schwenkend. „Du hast alles, was du dir nur wünschen kannst. Du musst überglücklich sein."
„Ja, das bin ich." Sonea lächelte. Sie saß ihm gegenüber, den Rücken gegen die Wand der Fensternische gelehnt. „Aber es war nicht immer so. Die ersten Wochen nach unserer Rückkehr waren für uns beide ziemlich wild. Während die Novizen uns gefeiert haben, haben uns die meisten Magier misstraut. Außerdem musste ich so unglaublich viel für meine neuen Kurse lernen. Aber am schlimmsten ist ..."
Sie hielt inne und ein gehetzter Ausdruck erschien in ihren Augen.
„Was ist es?", fragte Cery. „Ist es, weil du mit deinem Mentor zusammen bist?"
Er hatte bereits aus ihren Erzählungen herausgehört, dass Akkarin ein sehr strenger und anspruchsvoller Mentor war. Cery nahm an, sie hatte in Akkarins Anwesenheit absichtlich so getan, als würde ihr das nichts ausmachen, um eine Art perfekte Fassade aufrechtzuerhalten. Bestimmt war sie nicht immer glücklich mit ihrer Situation.
Sonea schüttelte den Kopf. „Nein, das ist es nicht", sagte sie. „Akkarin ist wirklich großartig. Wir trennen ziemlich strikt zwischen Studium und Privatem." Ihre Miene war mit einem Mal sehr ernst. „Es geht um etwas völlig anderes."
„Magst du drüber reden?"
Sie zögerte. „Oh, Cery ich weiß nicht. Eigentlich dürfte ich gar nichts davon wissen. Ich vertraue dir, aber nachdem, was du uns vorhin erzählt hast, wäre es keine gute Idee." Sie runzelte die Stirn. „Ein paar Details kann ich dir vielleicht nennen, ohne dich in Gefahr zu bringen."
„Geht es um die Sachakaner?"
Daran, wie sie zusammenzuckte, erkannte er, dass er richtig geraten hatte.
Sonea nippte an ihrem Wein, dann begegneten ihre dunklen Augen denen Cerys. „Ja."
Jetzt begriff Cery auch einige von Akkarins Andeutungen während des Essens.
„Wird's 'nen weiteren Krieg geben?", fragte er atemlos.
Sonea nickte. „Das heißt, es ist möglich. Aber wenn es soweit kommt, wird es sehr viel schlimmer als die Schlacht gegen die Ichani werden."
„Heißt das, die Sachakaner kommen mit 'ner ganzen Armee?", fragte er atemlos.
Sonea nickte. „Akkarin vermutet, es könnten mehrere hundert sein."
Cerys Herz setzte einen Schlag aus. Sonea und Akkarin hatten die Ichani nur einzeln besiegen können. Aber wenn sehr viel mehr von ihnen nach Kyralia kamen …
„Aber warum?", fragte er. „Ich dachte, sie wären froh, dass du und Akkarin ihr Problem mit den Ichani gelöst habt."
„Die Sachakaner wissen jetzt, dass es nur zwei schwarze Magier in den Verbündeten Ländern gibt", erklärte Sonea. „Sie wollen sich für das rächen, was wir ihnen im letzten Krieg angetan haben."
Das alles ergab für Cery keinen Sinn. „Aber wozu brauchen sie dann so viele?"
„Weil sie denken, dass Akkarin und ich die Ichani alle auf einmal besiegt haben. Deswegen fürchten sie uns. Und sie fürchten, wir könnten weitere schwarze Magier ausbilden. Die Sachakaner haben viel weniger magisches Wissen als die Gilde, musst du wissen. Wären alle Gildenmagier schwarze Magier, so wären wir ihnen überlegen."
Obwohl Cery nicht besonders viel Ahnung von Politik und schon gar nicht von Magie hatte, verstand er. Niemand, der noch bei Verstand war, würde einen Rachefeldzug planen, um seine Ehre wiederherzustellen, wenn er sich seines Erfolgs nicht sicher sein konnte.
War Savara deswegen nach Kyralia geflohen? Verweigerte sie ihrem König die Loyalität, weil sie nicht gegen die Gilde kämpfen wollte? Oder wurde sie gejagt, weil sie irgendwie an geheime Informationen über die Pläne ihres Königs gekommen war?
„Bitte behalte das für dich, Cery", fügte Sonea hinzu. „Am besten, du vergisst es einfach wieder."
„Geht klar", erwiderte er. Es brachte ihm nichts, wenn er sich deswegen grämte. Wenn es soweit war, würde er die Leute in seinem Territorium in Sicherheit bringen. Alles andere war Aufgabe der Magier.
Sonea lächelte und starrte dann in ihr Weinglas. „In letzter Zeit vermisse ich Jonna und Ranel sehr oft", wechselte sie das Thema. „Ich würde ihnen so gerne persönlich von meiner Verlobung erzählen."
Ihre Familie wohnte irgendwo im besseren Teil der Hüttenviertel, wusste Cery. Kurz vor der Schlacht hatte er ein Treffen mit Jonna arrangiert. Auf Grund des Ausgehverbots konnte Sonea ihre Familie nicht mehr besuchen, während diese die Magier zu sehr fürchteten, als dass sie in die Gilde kommen würden.
„Glaubst du nicht, dass die Gilde dir erlauben würde, sie zu besuchen, wenn du sie nett fragst?"
Sie bedachte ihn mit einem unwirschen Blick. „Wohl kaum. Als wir auf diesem Bankett waren, wurden wir von dreißig Kriegern eskortiert. Wir durften nur dorthin, weil es der Wille des Königs war. Balkan wird niemals die halbe Gilde ausrücken lassen, damit ich meine Familie besuchen darf."
„Hai!", entfuhr es Cery. „Das ist doch völlig bescheuert! Sind die Magier wirklich so dumm, dass sie glauben, du und Akkarin würdet von 'nem Bankett verschwinden, das euch zu Ehren gegeben wird?"
„Manchmal sind sie ziemlich dumm, Cery."
„Aber irgendwann werden sie das Ausgehverbot doch wieder aufheben. Sie sollten doch langsam wissen, dass ihr keine Gefahr seid."
Sonea lachte trocken. „Das glaube ich nicht." Sie kicherte in ihr Weinglas. „Kurz vor den Ferien haben wir einen ganzen Nachmittag bei einem See hier auf dem Gelände verbracht. Balkan ist richtig nervös geworden, weil er uns nicht finden konnte. Und ich weiß, dass Akkarin sich nicht an das Ausgehverbot hält. Er muss schon mindestens zweimal in der Stadt gewesen sein."
Cery lachte. „Woher willst du das wissen?"
„Deswegen." Sonea wies auf ihren Verlobungsring.
Natürlich!, dachte Cery, den schmalen Silberring mit dem winzigen Diamanten betrachtend. Er hatte Sonea und Akkarin einander Ringe machen sehen in der Nacht vor der Schlacht von Imardin. Zu einer solch filigranen Arbeit gehörte jedoch neben Geschick eine langjährige Erfahrung, die Akkarin kaum besitzen würde. Insbesondere, um solch einen winzigen Diamanten zu schleifen. Er runzelte die Stirn. Ob Sonea sich des Wertes dieses Schmuckstücks überhaupt bewusst war?
Wohl kaum, überlegte er dann. Sie machte sich nichts aus Gold, Silber und Juwelen. Und wahrscheinlich war es deswegen besser, sie nicht darauf hinzuweisen und sie nicht in Verlegenheit zu bringen.
„Und wie ist er unbemerkt rausgekommen?", fragte er.
„Durch die Geheimgänge. Er weiß, wie man die Schutzschilde der Gilde senkt, aber er wird es mir niemals zeigen. Und das ist auch besser so."
„Wieso?", fragte Cery. „Das wär' doch ziemlich nützlich für dich. Du könntest Jonna und Ranel besuchen, ohne dass die Magier es mitkriegen."
„Wenn das herauskäme, würde das nicht gerade unsere Vertrauenswürdigkeit bestätigen. Tatsächlich könnten Akkarin und ich die Gilde verlassen, ohne dass die Magier etwas dagegen unternehmen könnten. Aber das können wir nicht tun. Sie brauchen uns, Cery."
Das war natürlich ein Argument. Die Gilde trifft wirklich eine lächerliche Entscheidung nach der anderen, fuhr es Cery durch den Kopf. Die einzigen beiden Magier, die sie vor den Sachakanern beschützen konnten, wurden wie Gefangene gehalten. Nach allem, was sie für die Gilde getan hatten, hatten Sonea und Akkarin etwas Besseres verdient als das.
„Wenn du und Akkarin doch mal zusammen für 'nen Tag 'raus wollt, kann ich euch da vielleicht helfen", bot er an.
Sonea musterte ihn mit unverhohlenem Misstrauen „Wie willst du uns denn dabei helfen?"
„Naja." Cery lächelte sein Dieb-Lächeln und trank einen Schluck Wein. „Ich hab' so meine Verbindungen. Und mir fallen da auf Anhieb zwei Diener in der Gilde ein, die mir noch'n paar Gefälligkeiten schulden."
Sonea lachte. „Etwas anderes hätte ich von dir auch kaum erwartet!" Dann wurde sie wieder ernst. „Aber ich wüsste nicht, wo wir hingehen sollten. In der Stadt wird uns jeder erkennen. Selbst ohne Roben. Ich meine, was sollen wir …" Ihre Augen leuchteten auf. „Kannst du uns vielleicht ans Meer schmuggeln? Also nicht zum Hafen. Irgendwohin, wo man baden kann. Aber nicht zu weit weg von der Stadt. Und es sollte im Sommer sein."
Cery lachte. „Sicher kann ich euch ans Meer schmuggeln. Aber ich hätte da noch 'ne bessere Idee. Was hältst du von 'ner Insel?"
Soneas Augen weiteten sich. „Eine Insel?", wiederholte sie. „Wie sollen wir da an einem Tag hin und wieder zurück kommen?"
„Mit 'nem Boot. Zufällig hab' ich eins. Und es ist auch nicht sehr weit. Nur ungefähr 'ne Stunde vom Hafen bei gutem Wind. Dort leben nur ein paar Bauern und die würden euch beide nicht erkennen. Wenn du willst, dann zeig ich's dir."
„Oh Cery, dazu müsste ich deine Gedanken lesen. Eigentlich darf ich nicht …"
Cery zuckte die Achseln. „Das ist in Ordnung." Es war nicht das erste Mal, dass ein Magier seine Gedanken las. Akkarin hatte es vor Jahren getan, um Ferguns Intrige aufzudecken und es war weder unangenehm gewesen, noch hatte er viel davon mitbekommen.
Sonea zögerte. „Dann schließ deine Augen und denke an die Insel", sagte sie dann. Sie beugte sich vor und ihre Finger berührten sachte Cerys Schläfen.
Während er an die Insel, auf der er die heißere seiner Schmuggelware zwischenlagerte, dachte, spürte Cery kaum etwas von ihrer Anwesenheit in seinem Geist. Hin und wieder stellte sie Fragen, um seine Gedanken auf bestimmte Details wie auf den Strand oder die dort lebende Bauernfamilie zu lenken und bevor er wusste, wie ihm geschah, war sie fertig.
„Also wenn das möglich wäre, dass wir dorthin könnten …" Mit einem seligen Lächeln starrte sie ins Leere. „Das wäre wirklich wundervoll!"
„Ich werd' sehen, was ich tun kann", versprach Cery. „Sag mir nur rechtzeitig Bescheid, damit ich alles arrangieren kann."
Sonea nickte. „Aber Akkarin darf nichts davon erfahren."
„Solange er nicht auf die Idee kommt, meine Gedanken zu lesen, wird er von mir nix erfahren."
„Pass auf, er kann das auch, ohne absichtlich Magie zu benutzen", warnte sie.
Cery runzelte die Stirn. So wie sie das sagte, musste das etwas Außergewöhnliches sein.
„Wie das?"
Sonea hob die Schultern. „Es ist so seit dem … Unfall. Irgendwie sind seine Kräfte dadurch gewachsen. Ich würde dir zeigen, wie ich meine Gedanken vor ihm verberge, aber dazu braucht man Magie. Und ich weiß auch nicht, ob seine Fähigkeit bei Menschen ohne magisches Potential überhaupt funktioniert. Aber am besten du denkst einfach nicht an unseren Plan, wenn er in der Nähe ist."
„Das sollte nicht schwierig werden", versicherte Cery. Es gab genug andere Dinge, über die er sich permanent den Kopf zerbrach. Wahrscheinlich ist's besser, auch daran nicht zu denken, wenn Akkarin in der Nähe ist, überlegte er. „Aber danke für die Warnung."
Eine Weile saßen sie nur da und tranken Wein. Cery genoss es, wieder mit seiner alten Freundin zusammen zu sein und Sonea schien es nicht anders zu ergehen.
„Was ist eigentlich mit dir und den Frauen?", fragte sie plötzlich. „Hast du irgendwann vor zu heiraten?"
Cery schüttelte den Kopf. „Ich hab' noch nicht die Richtige gefunden", antwortete er ausweichend. „Einmal dacht' ich, ich hätte sie. Doch es hat nicht funktioniert."
„Was ist passiert?"
„Wir haben uns nicht vertraut." Wenn Akkarin Gedankenlesen konnte, war es besser, Sonea die Details seiner Beziehung mit Savara zu verschweigen. Und auch Nenia wollte er lieber nicht erwähnen. Sonea würde es missbilligen, wenn sie erfuhr, dass er es eine Weile ausgiebig mit einer Hure getrieben hatte.
„Oh, Cery, das tut mir leid", sagte seine Freundin mitfühlend. „Aber es ist sicher auch nicht leicht, einem Dieb zu vertrauen. Zumindest, wenn man sich noch nicht sehr lange kennt."
Cery seufzte. „Ja, das fürchte ich auch", stimmte er zu. „Mit meiner neuen Arbeit ändert sich das vielleicht bald. Ich hab' gehört, Frauen stehen auf Männer in Uniform. Das wird sicher …"
Ein Klopfen unterbrach sie.
„Herein!", rief Sonea und die Tür schwang wie von selbst auf.
Für einen flüchtigen Moment dachte Cery, Akkarin sei von seiner Besprechung zurück.
Doch es war nur Takan. „Mylady", sagte der Diener und verneigte sich unterwürfig.
Sonea runzelte die Stirn. „Was gibt es Takan?"
Der Blick des Dieners huschte kurz zu Cery. „Der Meister hat mich gebeten, Euch auszurichten, dass er Eure Anwesenheit und die des Diebs im Büro des Administrators wünscht", teilte er ihr mit.
Augenblicklich wurde Sonea ernst. Auch Cery hatten die Worte des Sachakaners in Aufregung versetzt.
„Warum?", verlangte sie zu wissen.
„Das hat er nicht gesagt. Doch er hat mich angewiesen, Euch das hier zu geben." Takan reichte ihr ein kleines hölzernes Kästchen und zwei juwelenbesetzte sachakanische Messer. Als Soneas Blick darauf fiel, weiteten sich ihre Augen. „Ihr sollt diese Sachen mitbringen. Doch zuvor sollt Ihr meine Kraft nehmen und anschließend noch zum Dome gehen."
Takan nahm eines der Messer und hielt es ihr über seine Handgelenke gelegt, entgegen. Dann ging er zu Cerys Verwunderung auf die Knie.
Sonea seufzte und verdrehte die Augen. „Takan, du weißt genau, dass Akkarin es nicht schätzt, wenn du das tust", sagte sie streng. „Er wäre nicht erfreut, wenn er dir in diesem Augenblick zusieht. Also setz dich." Sie runzelte die Stirn. „Bitte", fügte sie ein wenig weicher hinzu.
Dann wandte sie sich zu Cery. „Cery, geh bitte nach unten und warte dort auf mich. Ich will nicht, dass du das hier siehst."
„Diese Versuchsreihe könnte vielversprechend werden." Farand füllte die Lösung aus dem Rundkolben in mehrere kleine Phiolen, in denen sich bereits eine unterschiedliche Menge von einer reaktionsfreudigen Substanz befand. Dann verschloss er die Gefäße mit Magie, indem er das Glas an der Öffnung schmolz, bevor sich das darin enthaltene Gemisch entzünden konnte.
Rothen sah von den niedergeschriebenen Gedanken zu ihrem heutigen Experiment auf. Neben ihm stand ein Tablett mit den Überresten des Abendessens, das Tania ihnen gebracht hatte. Trotz der fortgeschrittenen Stunde verspürte er noch keinerlei Müdigkeit.
Während der gesamten ersten Ferienwoche hatten sie ihr Labor nur zum Schlafen verlassen. Oft hatten sie bis spät in die Nacht experimentiert und hatten nach einem späten Frühstück in Rothens Apartment die Arbeit erneut aufgenommen. Es hatte einige Fehlschläge gegeben, weil die Experimente selbst für einen erfahrenen Alchemisten anspruchsvoll waren und sie dabei wissenschaftliches Neuland betraten. Am vergangenen Tag war ihnen zu Rothens Freude jedoch ein erster Durchbruch gelungen.
„Wie kommst du darauf?", fragte er.
„Im Gegensatz zu unserem letzten Experiment haben wir dieses Mal gleich mehrere Substanzen, die ihre Wirkung gegenseitig verstärken, wenn man sie mischt", antwortete sein Novize.
„Das ist richtig", bestätigte Rothen. „Aber es könnte auch sein, dass einige Stoffe einander abschwächen, wenn man sie zusammenmischt." Es gab Methoden, das zu vermeiden. Rothen hatte darüber bereits ausgiebig mit Lord Sarrin diskutiert. Allerdings beinhaltete das nie mehr als die Verbindung von drei unterschiedlichen Chemikalien. In diesem Fall hatten sie es allerdings mit sieben zu tun, die allesamt das Potential hatten, die Wirkung der Mixtur zu schwächen, wenn sie nicht korrekt miteinander vermischt wurden.
Sein Novize nickte ernst.
„Bisher hat noch niemand Versuche wie diese durchgeführt", fuhr Rothen fort. „Wir werden sehen, wie sich die Substanzen aufeinander auswirken, wenn wir sie austesten."
Farands Augen leuchten auf. „Ich kann es kaum erwarten."
Rothen lächelte. „Soll ich dir etwas verraten?"
Sein Novize nickte.
„Ich auch nicht."
Farand grinste unwillkürlich.
Zuerst war es nur eine kühne Idee ohne wirkliche Aussicht auf Erfolg gewesen. Doch inzwischen verspürte Rothen wieder den Enthusiasmus eines Novizen ob der Aussicht auf gefährliche Experimente. Er hatte sich noch nicht vollständig überlegt, wie er die Resultate ihrer Versuchsreihe auf ihre Tauglichkeit testen wollte. Er wollte die fertigen Mixturen ungern an Akkarin und Sonea testen, wenn er nicht wusste, wie verheerend die Wirkung sein würde. Vielleicht sollte er sie mit Farand zunächst im Steinbruch testen. Dann würde er den schwarzen Magiern wenigstens sagen können, worauf sie sich einstellen mussten.
„Sobald ich die Umstände für unsere Tests geklärt habe, können wir anfangen", teilte er seinem Novizen mit. „Ich denke spätestens ..."
- Rothen!
Die in seinem Kopf noch lauter als sonst dröhnende Stimme ließ ihn zusammenzucken.
- Balkan!
- Kommt sofort in Osens Büro. Ihr werdet alles Weitere dort erfahren.
Das verhieß nichts Gutes. Wenn Balkan den Grund für das Treffen nicht per Gedankenrede nannte, musste es um etwas gehen, von dem die Sachakaner nichts erfahren durften und es musste sehr dringend sein, wenn er keinen Boten schickte. Ob es um Dannyls und Kitos Geheimauftrag ging? Dass der Auslandsadministrator nach Elyne aufgebrochen war, lag mehr als einen Monat zurück. Inzwischen mussten er und Dannyl Arvice erreicht haben.
Rothen konnte nur hoffen, dass es seinem Freund gutging.
- Ich bin unterwegs, sandte er.
„Ich muss zu einer Besprechung", teilte Rothen seinem Novizen mit. „Leider weiß ich nicht, wie lange es dauern wird." So wie er die höheren Magier kannte, würde es nach dem Treffen zu spät sein, um das Experiment noch an diesem Abend fortzuführen.
„Das ist schon in Ordnung, Lord Rothen", sagte Farand. „Ich kann hier alles aufräumen und den Raum verschließen. Wenn Ihr wollt, werde ich das Protokoll fertigschreiben."
„Das wäre großartig!" Rothen erhob sich von seinem Stuhl. „Wir sehen uns dann morgen zum Frühstück. Gute Nacht, Farand."
„Gute Nacht, Lord Rothen", erwiderte sein Novize.
Rothen nickte ihm zu und verließ den Versuchsraum. Während seine hastigen Schritte durch den verlassenen Flur hallten, versuchte er sich nicht von seiner Sorge um Dannyl beherrschen zu lassen. Sein Freund konnte auf sich aufpassen. Bestimmt ging es nur um Informationen, die er der Gilde übermittelt hatte.
Als er in Osens Büro trat, waren die meisten höheren Magier noch nicht eingetroffen. Außer Balkan und Osen befand sich nur ein weiterer Mann im Raum, der in die Uniform der Stadtwache gekleidet war.
Rothen runzelte die Stirn. „Hoher Lord, was ist passiert?", fragte er, nachdem er die Anwesenden begrüßt hatte.
„Es hat einen Zwischenfall gegeben, der eine Lockerung des Ausgehverbots von Lord Akkarin und Sonea erzwingt", antwortete Balkan finster.
Also ging es offenkundig nicht um Dannyl und seine Mission. Rothen atmete innerlich auf. Doch zugleich alarmierten ihn Balkans Worte.
„Was für eine Art Zwischenfall ist das?"
„Dazu komme ich, wenn alle versammelt sind. Ich habe keine Lust, alles dreimal zu erklären."
Die Tür öffnete sich und Lady Vinara und Lord Telano traten ein. Wenig später folgten die beiden Krieger und Rothens Vorgänger, Lord Peakin.
„Bevor ich zu dem eigentlichen Grund dieser Versammlung komme, möchte ich, dass alle sich eine Sache bewusstmachen", begann Balkan, als alle bis auf Akkarin eingetroffen waren. „Was ich Euch gleich mitteilen werde, wird die Lockerung von Lord Akkarins und eventuell auch Soneas Ausgehverbots und das damit verbundene Zugeständnis gewisser Sonderrechte erfordern. Die Zeit ist zu knapp, um eine Gildenversammlung einzuberufen und darüber abzustimmen. Deswegen muss jeder der hier Anwesenden sich über alle daraus folgenden Konsequenzen bewusst sein, wenn wir gleich darüber abstimmen."
Es ist also soweit, dachte Rothen schaudernd. Unsere Assassinen kommen zum Einsatz.
Den Weg zur Universität rannten sie. Sonea hatte eine Lichtkugel vorausgeschickt, die ihnen den Weg durch die mondlose Nacht wies. Obwohl Cery in Form war, hatte er Mühe mit ihr Schritt zu halten. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie früher auch so ausdauernd gewesen war. Sonea hatte ihm erzählt, dass sie Schwertkampf hatte lernen müssen, um ihre Ausdauer zu verbessern. Lag es daran? Oder benutzte sie ihre Magie, um so schnell zu rennen?
„Hast du 'ne Ahnung, warum gleich wir beide zu 'nem nächtlichen Treffen der höheren Magier gerufen werden?", fragte Cery atemlos, während er neben ihr her hastete. Er fand das alles ziemlich seltsam.
Sie zuckte die Achseln. „Vielleicht brauchen sie für irgendetwas die Hilfe der Diebe. Oder ..." Sie blieb stehen und starrte ihn aus geweiteten Augen an. „Die Sachakaner, vor denen du uns gewarnt hast, sind in der Stadt eingetroffen."
Cerys Herz setzte einen Schlag aus. Das würde bedeuten, dass Savara sich in Gefahr befand. Er war hin und her gerissen. Er wollte zurück in sein Versteck, um sie zu warnen, doch er fühlte sich dazu verpflichtet, Akkarin und Sonea zu helfen.
Er unterdrückte einen obszönen Fluch, weil er das Amulett, das sie ihm einst geschenkt hatte, nicht trug. Seit er wusste, was es war, hatte er es kein einziges Mal wieder angerührt. Weil er sich dennoch nicht dazu hatte überwinden können, es zu zerstören, bewahrte er es an einem sicheren Ort auf, den niemand außer ihm kannte.
Aber wenn sie in seinem Versteck geblieben war, war sie für den Augenblick sicher.
„Um wie viele Sachakaner geht es bei deinem Problem?", fragte Sonea.
Genug um Savara zu erledigen. Cery hatte keine Ahnung, wie viele schwarze Magier es dafür benötigte. Er wusste nicht, wie stark sie gemessen an anderen Magiern war. Die drei Ichani im Palast hatten sie gefürchtet.
„'Ne Handvoll vielleicht", antwortete er. „Vielleicht auch mehr. Aber keine ganz Armee."
„Sehr beruhigend", murmelte Sonea trocken. Sie fasste ihn am Ärmel und zog ihn weiter. „Komm."
Sie rannten weiter. Nach wenigen Minuten tauchten zu Cerys Erleichterung die ersten Gebäude der Universität zwischen den Bäumen auf. Doch anstatt darauf zuzulaufen, hielt Sonea auf einen kugelförmigen Bau zu, der aussah, als wäre er in den Erdboden eingesunken.
Cery unterdrückte ein Stöhnen. Für seinen Geschmack hatten sie schon zu viel Zeit verloren.
„Sonea, was machen wir hier?", fragte er nervös.
„Das ist der Dome", erklärte Sonea. „Seit wir von den Kriegsplänen der Sachakaner wissen, geben die Magier hier jeden Abend ihre verbleibende Kraft hinein, damit Akkarin und ich sie nehmen können, wenn es soweit ist. Wenn Akkarin will, dass ich diese Magie anzapfe, dann heißt das, dass wir uns auf einen Kampf gegen einen oder mehrere schwarze Magier vorbereiten sollen."
Sie legte eine Hand auf die steinerne Wand und schloss die Augen. Nach einer Zeit, die Cery wie eine halbe Ewigkeit erschien, öffnete sie ihre Augen wieder und trat einen Schritt zurück.
„Jetzt gehen wir zu Osens Büro", sagte sie.
Cery blinzelte verwirrt. „Bricht der Dome denn nicht zusammen?"
Sonea lachte. „Es befindet sich noch genug Magie darin, damit er nicht einstürzt." Sie bedeutete ihm, ihr zu folgen und eilte auf die Universität zu.
Es war nicht das erste Mal, das Cery die Universität betrat. Doch jedes Mal staunte er von neuem, wie imposant die Eingangshalle gearbeitet war. Es blieb ihm jedoch keine Zeit, das ausgiebig zu bewundern, weil Sonea ihn in einen kurzen Korridor scheuchte.
Vor einer Tür blieben sie schließlich stehen. Sonea klopfte und trat dann in den dahinterliegenden Raum. Cery folgte ihr neugierig.
In dem kleinen Büro hatten sich mehrere Magier versammelt. Einige von ihnen kannte Cery, wenn auch vielmehr vom Sehen. Er entdeckte Soneas früheren Mentor Rothen der ihm zunickte, doch er erkannte auch das Oberhaupt der Heiler Lady Vinara und Balkan, der Akkarins Nachfolge angetreten hatte. Der Mann in den roten Roben mit der schwarzen Schärpe, der neben Akkarin am Fenster stand, musste das neue Oberhaupt der Krieger sein.
Cery verkniff sich ein Grinsen. Sonea hatte ihm an diesem Abend bereits einige erheiternde Geschichten über diesen Mann erzählt.
Hinter einem massiven Schreibtisch saß ein Magier in dunkelblauen Roben. Cery erinnerte sich an ihn von der Gildenversammlung, bei der Ferguns Intrige aufgedeckt worden war. Damals war er noch der Assistent des früheren Administrators Lorlen gewesen. Die übrigen Magier kannte Cery nicht. Weil sie Morgenmäntel über ihren Nachtgewändern trugen, konnte er auch nicht erraten, welcher Disziplin sie angehörten. Doch das Gesicht des Mannes, der die Uniform eines Captains der Stadtwache trug, war ihm bekannt. Er musste irgendwann in den vergangenen Wochen mit ihm zu tun gehabt haben, als seine Leute die Spur eines Mörders bis ins Nordviertel verfolgt hatten. Obwohl diese Zusammenarbeit mit der „richtigen" Stadtwache erfolgreich gewesen war, hatte Cery sie als zweifelhaftes Vergnügen empfunden.
Als Akkarins Blick auf Sonea fiel, lächelte er. Doch Cery sah, dass das Lächeln nicht seine Augen erreichte.
„Nun Sonea, was hältst du zur Abwechslung von einem echten Kampf?", fragte er.
Soneas Augen weiteten sich. „Was ist passiert?"
„Vor ungefähr zwei Stunden ist Ikaro aus dem Stadtgefängnis ausgebrochen", erklärte Balkan finster. „Dabei sind zehn Gefängniswächter getötet worden."
Es hat also doch nichts mit Savara zu tun, dachte Cery, eine unendliche Erleichterung verspürend. Doch zugleich wuchs seine Neugier. Was konnten die Magier dann von ihm wollen?
„Wie ist das möglich?", fragte Sonea atemlos.
„Das untersuchen wir gerade."
„Könnte es ihm gelungen sein, seine Kräfte wieder zu entfesseln?"
„Ohne fremde Hilfe ist das mit der Blockade, die wir verwendet haben, unmöglich", antwortete das Oberhaupt der Alchemisten.
„Den Berichten der überlebenden Wachen und einiger Gefangenen zufolge, hatte er Hilfe", fügte der Mann von der Stadtwache hinzu. „Wir untersuchen noch, wie es dem Komplizen gelingen konnte, unbemerkt bis zur Zelle zu gelangen. Die Gefangenen der Nachbarzellen berichten, er habe sein Gesicht unter einer Kapuze verborgen. Alles, was wir wissen ist, dass er nicht besonders groß ...", sein Blick fiel auf Cery, „... dass er etwa Eure Größe hatte und sich sehr geschmeidig bewegt hat. Wahrscheinlich hat er eine spezielle Ausbildung genossen."
Mit einem Mal wusste Cery wieder, wer dieser Mann war. Captain Barran, der die Morde an den sachakanischen Spionen und dessen Opfern untersucht hatte. Cery hatte ein paar seiner Leute bestochen, um wichtige Informationen an ihn weiterzugeben oder zu erhalten. Es war das erste Mal, dass sie offiziell miteinander zu tun hatten.
„Nach seiner Befreiung überwältigte der Gefangene die nächste Wache und bemächtigte sich ihres Messers", fuhr Barran fort. „Wie die überlebenden Zeugen berichten, tötete er mit diesem Messer neun weitere Wachen auf seinem Weg in die Freiheit auf ziemlich brutale Art und Weise."
„Wir brauchen die Hilfe der Diebe, um ihn möglichst schnell zu finden", erklang Akkarins tiefe Stimme. Sein Blick fiel auf Cery. „Das ist Captain Ceryni von der Stadtwache im Äußeren Ring", stellte er vor. „Er und seine Leute sind darin erfahren, schwarze Magier aus Sachaka in der Stadt ausfindig zu machen. Ihre Unterstützung würde uns eine effiziente Suchaktion ermöglichen."
„Ich werde tun, was ich kann", versprach Cery, darum bemüht sich den Hüttenslang vor den Magiern zu verkneifen. „Aber dazu muss ich mehr über diesen Mann wissen."
„Ikaro ist ein sachakanischer Spion. Vor ein paar Monaten wurde er zusammen mit einigen anderen ausgesandt um unsere Grenze zu erkunden", klärte Akkarin ihn auf. „Die Gilde hätte nie von seiner Anwesenheit erfahren, hätte er nicht einige Einheimische entführt. Wir haben ihn aufgespürt und nach Imardin gebracht. Nachdem seine Kräfte blockiert waren, wurde er im Stadtgefängnis eingekerkert."
Deswegen also hatten Akkarin und eine Schar von Kriegern im Herbst die Stadt verlassen! Cery hatte davon durch seine Leute erfahren. Doch weder Akkarin noch Sonea hatten an diesem Abend ein Wort darüber verloren. Er nahm an, dass dies zu den Dingen gehörte, über die sie nicht sprechen durften.
„Könnten unter den Wachen einige Geldblinde gewesen sein?", fragte er den anderen Captain. Er runzelte die Stirn. Wahrscheinlich kannte Barran diesen Begriff nicht. „Also wurden sie bestochen, damit sie wegsehen, wenn der Mann befreit wird?"
Barran schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht mit absoluter Gewissheit sagen, ob die Gefängniswachen bestechlich sind. Doch ich bin sicher, für keine Summe der Welt würden sie einem Sachakaner zur Flucht verhelfen", antwortete er. „Nein, ich halte es für wahrscheinlicher, dass seine eigenen Leute ihn befreit haben, weswegen die ich Gilde um Unterstützung durch ihre schwarzen Magier gebeten habe."
„Dafür müssten sie unerkannt in die Stadt gekommen sein", murmelte das Oberhaupt der Krieger.
„Das ist gar nicht so unwahrscheinlich", sagte Barran. „Hunderte von Menschen passieren tagtäglich die Stadttore. Ein einzelner Sachakaner könnte ohne aufzufallen die Stadt betreten. Jetzt im Winter sind die meisten Reisenden zudem vermummt, um sich vor der Kälte zu schützen."
„Ist es nicht die Aufgabe der Stadtwache, dies zu kontrollieren?", schnarrte Garrel.
„Ist es nicht die Aufgabe der Patrouillen in den Bergen und der Krieger am Fort, es zu melden, wenn Sachakaner unser Land betreten?", gab der Captain kühl zurück.
„Gegenseitige Schuldzuweisungen nützen niemandem etwas", fuhr Balkan dazwischen. „Wir haben nicht genug Krieger, um eine lückenlose Bewachung der Grenze zu gewährleisten. Für einen einzelnen Magier ist es durchaus möglich, zwischen unseren Leuten hindurchzuschlüpfen, wenn er oder sie sich geschickt anstellt."
Garrel schwieg verbissen.
„Wenn in den letzten Tagen oder Wochen tatsächlich ein Sachakaner in die Stadt gekommen wäre, so hätte die Stadtwache davon erfahren", fuhr Barran fort. „Denn er hätte sich an der Stadtbevölkerung gestärkt."
Akkarin winkte Sonea zu sich.
„Hast du mitgebracht, worum ich dich gebeten habe?", fragte er leise.
Sonea nickte und reichte ihm seinen Dolch. Als sie zu ihm aufsah, glaubte Cery etwas in ihren Augen zu erkennen, das er so ähnlich auch bei Takan gesehen hatte. Früher hätte er alles darum gegeben, damit Sonea ihn so ansah. Aber Cery wusste, das wäre nie geschehen. Gegen einen Mann wie Akkarin war er nur das kleine, unscheinbare Nagetier, dessen Namen er trug: Ceryni.
Doch seit er erkannt hatte, dass sie nicht für ihn bestimmt war, blieb der erwartete Stich von Eifersucht endlich aus.
Akkarin nahm den Dolch wortlos entgegen und befestigte ihn an seinem Gürtel. Dann wandte er sich wieder Sonea zu und nahm seinen Blutring an sich. Als er ihre Hände umfasste, schloss sie mit einem ähnlich konzentrierten Gesichtsausdruck wie wenig zuvor beim Dome die Augen. Als sie sie wieder öffnete, ließ Akkarin ihre Hände noch nicht sofort wieder los. Für einen Augenblick schien sein Blick beinahe zärtlich, doch als Sonea sich neben ihn stellte und Balkan das weitere Vorgehen erläuterte, wurde seine Miene wieder hart und undurchdringlich.
„Es wäre besser gewesen, Ikaro auf der Stelle zu töten", hörte Cery den schwarzen Magier murmeln.
„Sag das nicht mir", erwiderte Sonea unwirsch. „Aber warum muss es ausgerechnet dann passieren, wenn Cery uns besucht?"
Cery horchte auf. Ihre Verärgerung machte ihn auf einen Zusammenhang aufmerksam, den er bis jetzt übersehen hatte. Captain Barran hatte erklärt, es wären keine Sachakaner in den letzten Tagen in der Stadt gesichtet worden. Und die Patrouillen in den Bergen hatten ebenfalls nichts bemerkt. Ohne Magie war es nahezu unmöglich, aus dem Stadtgefängnis auszubrechen. Wenn es kein Sachakaner war, den diesen Spion befreit hatte, musste es ein Kyralier gewesen sein. Aber welcher Kyralier würde einem schwarzen Magier aus Sachaka helfen, aus dem Gefängnis zu entkommen?
Keiner, der noch ganz bei Trost war, lautete die Antwort.
Nein, es musste so sein, wie Barran vermutete. Es waren wieder Sachakaner in der Stadt. Aber sie waren weder der Wache am Stadttor aufgefallen, noch hatten sie gemordet, um sich zu stärken. Während die höheren Magier und der Captain der Stadtwache weiterhin die Situation diskutierten, ging ihm Soneas Frage noch immer durch den Kopf.
Warum muss es ausgerechnet dann passieren, wenn Cery uns besucht?
Mit einem Mal fügte sich alles zusammen. Plötzlich wusste er, wer Ikaro befreit hatte. Sie war zurückgekommen, kurz nachdem der Spion nach Imardin gebracht worden war. Sie hatte heimliche Streifzüge in die Stadt unternommen. Sie hatte eine Menge Fragen über seine Arbeit als Captain der Stadtwache in den Hüttenvierteln gestellt. Und sie verstand es, sich unsichtbar zu machen.
Sie hatte die Gelegenheit seines Besuchs bei Akkarin und Sonea nicht ungenutzt gelassen. Sie hatte ihn schon wieder hintergangen.
Diese Erkenntnis traf Cery wie ein Schock. Er war hin und hergerissen zwischen seinen Gefühlen und seiner Loyalität. Savaras neuerlicher Verrat schmerzte ihn. Als sie im Sommer hier gewesen war, hatte sie auf niemandes Seite gestanden. Jetzt stand fest, sie stand auf der Seite ihres Volkes. Und die Sachakaner bereiteten sich auf einen Krieg gegen Kyralia vor. Cery hatte keine Wahl, er musste den Magiern helfen. Aber sie brauchten nicht zu erfahren, dass Savara schon einmal in der Stadt gewesen war.
„Ich glaube, ich weiß, wer diesem Kerl bei der Flucht geholfen hat", sagte er.
Die höheren Magier wandten sich ihm überrascht zu. Unter ihren finsteren Blicken fühlte Cery sich zusehends unbehaglicher.
„Vor ein paar Wochen kam eine Sachakanerin zu mir, weil sie den Schutz der Diebe brauchte", begann er. „Sie hat behauptet, dass sie aus ihrem Land fliehen musste. Sie war ziemlich überzeugend, also habe ich ihr geglaubt. Wenn ich gewusst hätte, worauf sie aus ist …"
Sonea starrte ihn entsetzt an. „Du versteckst Sachakaner?"
„Ich … sie …" Er spürte, wie er errötete und sah zu Boden. „Es war ein Fehler, ihr zu vertrauen."
„Oh, Cery!" hauchte Sonea. „Was hast du getan?"
„Ceryni, wie auch immer Euer Verhältnis zu dieser Frau ist, Ihr müsst uns helfen sie zu finden", sagte Akkarin.
Die ungewohnte Härte in der Stimme des schwarzen Magiers lies Cery erschaudern. Er fühlte sich ertappt. „Das werde ich", versicherte er. „Vielleicht kann ich sie aufhalten."
„Wir werden sehen", sagte Akkarin kühl. „Ist sie eine Magierin?"
Cery nickte.
„Wisst Ihr wie stark sie ist?"
Cery zögerte. Er hatte Savara nie in Aktion gesehen, aber er wusste, sie hätte es mit den Spionen aufnehmen können. Selbst die Ichani im Palast hatten sie gefürchtet. Allerdings lag dies ein halbes Jahr zurück. Inzwischen konnte sie sehr viel stärker oder auch sehr viel schwächer sein.
„Ich weiß es nicht genau", antwortete Cery. „Ich glaube sie ist ziemlich stark. Aber ich kann Euch versichern, sie hat sich nicht an der Stadtbevölkerung vergangen. Mit ihrem Messer ist sie dagegen sehr gefährlich."
Zumindest hoffe ich, dass sie das nicht getan hat, dachte er verzweifelt. Als Kind der Hüttenviertel konnte er einschätzen, wer ein kaltblütiger Mörder war und wer nicht. Auf Savara trafen die entsprechenden Merkmale nicht zu. Allerdings hatte er gerade erkannt, welch gute Schauspielerin sie war. Auf ihren Streifzügen hätte Savara genügend Gelegenheit gehabt, sich zu stärken. Sie hätte dazu nur Cerys Territorium verlassen müssen und er hätte erst Wochen später davon erfahren. Wenn überhaupt.
„Captain Ceryni, Ihr scheint diese Frau recht gut zu kennen", wandte sich Lord Garrel an ihn. „Was glaubt Ihr, was sie tun wird? Wird sie mit Ikaro schnellstmöglich zur Grenze fliehen oder wird sie in der Stadt untertauchen, bis sie sich sicher wähnt? Vertraut sie Euch genug, dass sie Euch erneut um Hilfe bitten würde?"
Das war eine wirklich gute Frage. Doch Cery hatte soeben herausgefunden, dass er Savara überhaupt nicht kannte. Er fragte sich, was er an ihrer Stelle tun würde.
„Wenn ich sie wäre, würde ich mich in der Stadt verstecken, bis sich sie Aufregung gelegt hat", antwortete er. „Die Stadt ist groß genug, um darin zu verschwinden. Sogar ohne die Hilfe der Diebe. Seit sie mir einmal entwischt ist, kennt sie einen Teil der Straße der Diebe. Wie viel weiß ich allerdings nicht. Außerhalb der Stadt hätte sie sicher weniger Möglichkeiten."
„Dennoch sollten wir den Hafen und die Stadttore schließen", schlug der Krieger vor. „Und die Wachen verstärken."
„Wenn sie wirklich zur Grenze wollte, dann wird sie die Stadt bereits verlassen haben", sagte Akkarin.
„Diese Frau und Ikaro werden mit der Verfolgung durch die Gilde rechnen", sagte der andere Krieger, von dem Cery wusste, dass er den Rang unter Lord Garrel bekleidete. „Tatsächlich wäre es strategisch klüger, sich in der Stadt zu verstecken, als zur Grenze zu fliehen, wo wir ihrer Spur leichter folgen können."
Der Hohe Lord runzelte die Stirn. „Wenn sie in der Lage ist, ohne die Hilfe der Diebe unterzutauchen, warum hat sie Euch dann überhaupt um Schutz gebeten?", fragte er und musterte Cery aufmerksam.
Cery schluckte. Vielleicht war es besser, gleich alles zu gestehen. Diese Magier würden es ohnehin herausfinden. Er erwiderte den Blick des Hohen Lords mit aller Gelassenheit, die er aufbringen konnte.
„Weil sie mir vertraut."
„Dann kanntet Ihr sie bereits vorher?", unterstellte Garrel.
Cery nickte. „Sie war schon einmal hier. Es war letzten Sommer."
„Interessant", murmelte Akkarin. „War sie während der Invasion hier?"
Cery nickte erneut. „Sie kam ein paar Wochen vorher. Sie hat mir geholfen, die Sachakaner aufzuspüren." Er sah zu Akkarin. „Es tut mir leid."
Sein ehemaliger Geschäftspartner bedachte ihn mit einem kalten Blick. „Ihr hättet es mir sagen müssen", sagte er leise und mit einem unterdrückten Zorn, der Cery das Blut in den Adern gefrieren ließ. Und Cery begriff, dass er diesen Mann nicht zum Feind wollte. Doch wahrscheinlich hatte er das soeben getan.
Der Hohe Lord räusperte sich. „Lord Akkarin, Ihr und Sonea werdet Ikaro und diese Frau ausfindig machen. Wenn möglich, versucht aus dieser Frau Informationen herauszubekommen. Doch die Priorität lautet, die beiden zu töten. Politische Konsequenzen hin oder her – wir können es uns nicht leisten, dass sie nach Sachaka fliehen und das weitergeben, was sie über uns in Erfahrung gebracht haben."
„Natürlich, Hoher Lord", erwiderte Akkarin.
Cerys Herz setzte einen Schlag aus. Der Hohe Lord hatte gerade den Befehl erteilt, Savara zu töten. Obwohl er sich von ihr hintergangen fühlte, konnte er das nicht einfach so hinnehmen. Er musste verhindern, dass Savara starb.
„Ich komme mit Euch", sagte er zu Akkarin. „Ich kann Euch helfen, sie zu finden."
Akkarin musterte ihn so durchdringend, dass Cery zu fürchten begann, der andere Mann würde in diesem Augenblick seine Gedanken lesen. Sich an Soneas Worte erinnernd zwang er sich, an etwas Belangloses zu denken.
„Nun, ich denke, das ist das mindeste, was Ihr tun könnt, um Euren Fehler wiedergutzumachen", sagte der schwarze Magier schließlich. Er wandte sich zu Balkan. „Hoher Lord, mit Eurer Erlaubnis brechen wir jetzt auf. Wir werden die Stadt durch das Tunnelsystem der Universität betreten."
Balkan wirkte nicht begeistert, nickte jedoch. „Ich werde Krieger zu den Stadttoren und zum Hafen schicken."
„Gut. Doch sie sollen darauf achten, nicht als Magier erkannt zu werden. Und schickt zwei Krieger in Richtung Calia für den Fall, dass Ikaro und die Frau zur Grenze fliehen. Sie sollen mich umgehend informieren, wenn sie die Flüchtigen sichten."
„Natürlich", erwiderte der Hohe Lord. „Das Codewort wird Schneesturm sein."
„Eine gute Idee. Ich werde zudem die Krieger an den Pässen und entlang der Grenze anweisen, in den nächsten Tagen vermehrt die Augen offen zu halten."
Balkan nickte. „Wie steht es um Eure Kraft? Wird sie ausreichen?"
„Sonea hat mir die Hälfte dessen gegeben, was sie aus dem Dome bezogen hat", antwortete Akkarin. „Jeder von uns hat jetzt ungefähr die dreißigfache Stärke eines durchschnittlichen Magiers zusätzlich zu unserer eigenen Magie. Es wäre mehr, hätten wir uns nicht bei dem Übungskampf heute Nachmittag geschwächt."
„Dasselbe gilt für die meisten anderen, die daran teilgenommen haben", brummte Garrel.
Der Hohe Lord runzelte die Stirn. Er trat auf Akkarin zu und hielt ihm seine Hände hin. „Teilt Euch auf", wies er die übrigen Magier an. „Jeder, der noch etwas Magie übrig hat, gibt sie entweder Lord Akkarin oder Sonea."
Zu Cerys Verwunderung reihten sich die höheren Magier vor den beiden schwarzen Magiern auf, um ihnen ihre Kraft zu geben. Er hatte immer gedacht, man bräuchte dazu einen von diesen Dolchen, doch unter Magiern funktionierte es anscheinend auch so.
Er beobachte, wie Rothen vor Sonea trat und ihr seine Hände reichte. „Pass auf dich auf", sagte der alte Magier leise. „Und kommt wieder. Alle beide."
Sonea lächelte aufmunternd. „Macht Euch keine Sorgen, Rothen. Wir haben schon Schlimmeres überstanden."
„Ist das genug?", fragte Balkan, nachdem der letzte der Magier seine Kraft gegeben hatte. Einige gähnten herzhaft.
„Es muss reichen", antwortete Akkarin. „Wir haben keine Zeit, die Gilde aufzuwecken oder noch einmal zum Dome zu gehen. Je mehr Zeit wir hier vergeuden, desto schwieriger wird es werden, Ikaro und die Frau aufzuspüren."
Er schritt zu dem Porträt, das an der Wand rechts von ihm hing. Er starrte kurz darauf, dann glitt es zur Seite und gab den Blick auf einen finsteren Gang dahinter frei. Ein eisiger Luftzug wehte Cery entgegen. Er fröstelte, als er sich an das eine Mal erinnerte, das er in diesen Tunneln gewesen war. Es war vor drei Jahren gewesen und es war Winter gewesen. Dieses Mal würde es jedoch in die Stadt gehen.
Der ehemalige Hohe Lord bedeutete Cery und Sonea durch die Geheimtür zu treten. Dann folgte er ihnen. Für einen Augenblick wurde es dunkel, als er den Zugang wieder verschloss. Dann erhellten zwei Lichtkugeln den Tunnel und sie begannen ihre Wanderung in die Stadt.
