Kapitel 37 – Akkarins Erfolg

„Sonea, aufstehen." Akkarins Stimme war sanft, aber von einer Autorität erfüllt, der sie sich nur ungern widersetzte. Trotzdem wollte Sonea nichts lieber, als ihn zu ignorieren. Und das nicht nur, weil er sie gerade unsanft aus ihren Träumen gerissen hatte. Ihr Körper sagte ihr, dass es noch mitten in der Nacht war.

„Nein."

„Das solltest du aber."

„Es ist noch dunkel."

„Du hast ab heute wieder Unterricht."

„Dann werde ich mich nachher etwas mehr beeilen." Unwillig zog sie die Decke über den Kopf.

Sofort wurde sie ihr unbarmherzig wieder weggerissen.

„Was soll das?" Sie fuhr hoch und funkelte Akkarin wütend an. „Es ist kalt!"

„Das soll es auch", sagte er ungerührt. Die Tatsache, dass er bereits vollständig angekleidet war, verlieh seinen Worten einen nur schwer zu ignorierenden Nachdruck. „Steh auf. Ich werde nicht dulden, dass du in deiner Selbstdisziplin nachlässig wirst."

„Es ist der erste Tag nach den Winterferien", protestierte Sonea. „Ich muss mich erst wieder daran gewöhnen, früh aufzustehen. Bitte lass mich noch eine halbe Stunde schlafen."

„Nein."

„Ich verspreche, pünktlich zur ersten Stunde zu erscheinen."

Akkarins Mundwinkel zuckten. „Wie kann man in zwei Wochen nur so träge werden?"

Sonea schnappte empört nach Luft und sprang auf. „Du machst dich über mich lustig!"

Hätte er sie nicht zumindest ein wenig netter wecken können? In dieser Hinsicht hatten die Ferien sie, so wie er es zu ihrem Beginn prophezeit hatte, wahrhaftig verwöhnt. Aber selbst davor war er morgens nicht so brutal gewesen. Sie streckte ihren Willen nach ihrem Morgenmantel aus und warf ihn sich über. „Du bist grausam und gemein!"

„Das ist mir egal", erwiderte er ruhig. „Irgendwann wirst du mir dafür dankbar sein."

Verärgert erkannte Sonea, dass ihr Zorn ihn unbeeindruckt ließ. Sie betrachtete ihn finster. „Im Augenblick nicht", gab sie zurück.

„Meinetwegen. Aber das wird mich nicht davon abhalten, dich zu heiraten."

Sonea warf ihm einen weiteren finsteren Blick zu und stapfte ins Bad. Sie ärgerte sich über ihre schlechte Laune. Die Ferien waren vorbei, sie musste wieder früh aufstehen. Früher hätte sie das begrüßt, doch das war, bevor sie und Akkarin ein Paar geworden waren. Auf diese Ferien hatte sie sich hingegen gefreut und sie hatte sie mehr genossen, als alle vorherigen Ferien zusammen.

Zumindest die erste Hälfte.

Es war absurd. Sonea hatte die ganzen zwei Wochen über gewusst, dass dieser Tag kommen würde, aber das machte das frühe Aufstehen nicht angenehmer. Und eigentlich ärgerte sie sich gar nicht über Akkarin. Es war nur einfacher, ihm die Schuld zu geben, als einer Reihe von Umständen, die sie nur schwerlich benennen konnte. Wäre sie ernsthaft wütend auf ihn, so würde sie ihn das auch spüren lassen.

Als sie das Speisezimmer betrat, hatte sich ihre Laune nicht gebessert. Zudem schien ihr Kopf immer noch zu schlafen. Hinter den Fenstern dämmerte ein trüber Wintermorgen. Sonea runzelte die Stirn. Hatten sie vor den Ferien auch im Dunkeln gefrühstückt?

„In einigen Tagen wirst du dich wieder an deinen alten Tagesrhythmus gewöhnt haben", sagte Akkarin.

Sonea griff nach der Dose mit dem Raka. „Mag sein", brummte sie, während sie das feingemahlene Pulver in ihre Tasse löffelte. „Aber das hilft mir jetzt auch nicht."

„Sonea, wie viel Raka möchtest du eigentlich noch in deine Tasse geben? Das ist bereits der fünfte Löffel."

„Soviel, dass es mich wach macht", gab sie einen sechsten Löffel hinzufügend zurück. Sie goss Wasser aus einer Karaffe dazu. Während sie Pulver und Wasser verrührte, erhitzte sie das Gebräu mit Magie. „Vielleicht solltest du dir lieber die Nase zuhalten", fügte sie trocken hinzu.

Akkarin überging diese Bemerkung. „Hast du Fragen zu deinem neuen Stundenplan?"

Sonea trank einen Schluck Raka. Er war wahrlich stark geworden war, wie sie befriedigt feststellte. Sie hoffte, es würde helfen.

„Nein", antwortete sie verwirrt. Warum fing er schon wieder damit an? Ihr war nicht an überflüssiger Konversation gelegen. Konnte er sich nicht etwas Sinnvolleres überlegen? Die Konstellation ihrer Kurse stand fest. Bei einigen ihrer Vormittagskurse hatten sich nur die Zeiten geändert. Dieses Halbjahr hatte sie sogar einen Grund zur Freude. Nachdem sie bei den Winterprüfungen das von Akkarin gesetzte Ziel in Strategie übertroffen hatte, hatte er ihr erlaubt, wieder jeden Tag Privatunterricht bei Lady Vinara zu nehmen. Sollte Sonea dennoch etwas an ihrem Stundenplan auszusetzen zu haben, würde ihr Protest nicht viel dagegen ausrichten können.

„Gut", sagte er.

Zu ihrer Verwirrung wirkte Akkarin erleichtert. Er glaubte doch nicht ernsthaft, sie würde sich wegen so etwas mit ihm streiten wollen? Und warum? Sie hatte seine Gefühle für Isara akzeptiert. Sie hatte ihm seine Unsensibilitäten verziehen. Dennoch hatte Sonea das Gefühl, ihn schneller zu verurteilen, während er in ihrer Gegenwart seltsam zurückhaltend schien. Ihre Beziehung war irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten. Sie versuchte, sich davon nicht beunruhigen zu lassen. Wenn sie Rothens Worten Glauben schenkte, würde das mit der Zeit wieder in Ordnung kommen.

Wahrscheinlich möchte er nur vermeiden, mich noch mehr zu verärgern, dachte Sonea und nahm sich ein paar Kuchen von einem silbernen Tablett. Sie hoffte, etwas Süßes würde ihre Gemütslage ein wenig heben.

„Ich muss jetzt los", sagte sie, als sie ihr Frühstück beendet hatte. Sie stand auf und warf sich den Riemen ihrer Tasche über die Schulter. „Bis heute Nachmittag", sagte sie und gab ihm einen raschen Kuss auf die Wange.

Akkarin bekam ihren Ärmel zu fassen. „Willst du dich nicht richtig verabschieden?"

Sonea erstarrte.

„Das willst du nicht", antwortete sie. „Ich bin nicht gerade in bester Stimmung."

„Das respektiere ich."

„Danke", erwiderte Sonea sich zu einem Lächeln zwingend. „Ich verspreche, bis heute Abend wieder bessere Laune zu haben."

Sie verließ die Arran-Residenz. Der Himmel über Sarikas Hügel leuchtete in einem feurigen Rot, das allmählich heller wurde. Der unter ihren Stiefeln knirschende Schnee war das einzige Geräusch auf ihrem Weg durch den Wald. Sonea genoss die Stille und die klare kalte Luft, die ihre Lebensgeister vollends weckte und ihre Stimmung hob. Nach all der Aufregung der Ferien freute sie sich sogar wieder ein wenig auf den Unterricht.

Obwohl es noch früh war, herrschte auf den Fluren bereits reger Betrieb. Novizen und Lehrer eilten zu ihren Unterrichtsräumen. Ein paar Novizen, die Sonea noch nie gesehen hatte, starrten ihr ehrfurchtsvoll hinterher. In diesem Halbjahr hatte die Gilde erstmals Novizen aufgenommen, die nicht aus den Häusern kamen. Darunter sogar drei aus den Hüttenvierteln, die während der nächsten Monate jedoch ausschließlich, in Lesen, Schreiben und den Grundrechenarten unterrichtet werden würden, bevor sie offiziell der Gilde beitraten und ihr Studium der Magie begannen. Rothen hatte ihr erzählt, dass er sich bereit erklärt hatte, diese Novizen zu unterrichten. Die höheren Magier hatten diese Aufgabe jedoch an Lord Larkin übergeben, damit Rothen sich intensiver um sein Forschungsprojekt kümmern konnte.

Als sie vor dem Raum stand, in dem sie während des letzten Halbjahres Theoretische Kriegskunst gehabt hatte, sank ihre Stimmung erneut. Der Unterricht war in ein anderes Klassenzimmer verlegt worden.

Sonea fluchte. Hätte sie einen gründlicheren Blick auf ihren Stundenplan geworfen, wäre ihr das aufgefallen. Sie ärgerte sich über sich selbst. Der neue Raum lag in einem anderen Stockwerk und am anderen Ende der Universität.

Sie begann zu rennen. Novizen sprangen erschrocken zur Seite, doch Sonea ignorierte sie. Sie wollte nicht gleich am ersten Tag nach den Ferien eine Strafarbeit bekommen.

Zu ihrer Erleichterung war Lord Vorel noch nicht da, als sie endlich ihr Klassenzimmer erreichte. Im Gegensatz zum Rest ihrer Klasse. Hal und Benon jagten einander mit Schneebällen durch Raum, die offenkundig mit einem Schild umgeben waren, um sie am Schmelzen zu hindern. Moren und Farlend sahen aus, als würden sie nur auf eine Aufforderung warten, mitmachen zu dürfen, während die übrigen wild durcheinanderredeten.

Was für ein Haufen Kinder, dachte Sonea. Während sie sich auch vor den Ferien nicht an den Späßen ihrer Klassenkameraden beteiligt hatte, konnte sie sich jetzt nicht einmal im Stillen darüber amüsieren.

Sie ließ ihren Blick durch das Klassenzimmer schweifen. In der vordersten Reihe neben Regin war noch ein Platz frei. Ohne Zweifel hatte ihr Freund dafür gesorgt, dass er frei blieb. Ausnahmsweise einmal dankbar für Regins ständigen Drang, sich wichtigzumachen, steuerte sie darauf zu und ließ sich auf den leeren Stuhl fallen.

Ihr Freund sah auf. „Hast du wieder verschlafen?", feixte er.

Sonea spürte einen Anflug von Ärger in sich aufwallen. „Nein, ich dachte wir hätten noch im selben Raum, wie letztes Halbjahr", grollte sie.

„Trotzdem siehst du heute ziemlich unausgeschlafen aus", bemerkte er.

„Das könnte daran liegen, dass ich heute wieder früh aufstehen musste", brummte Sonea unwirsch. Während der Ferien hatten sie oft bis in die Nacht experimentiert. Sie waren nie vor Mittag aufgestanden. Es hatte gut getan, morgens einfach liegenzubleiben und sich nahe zu sein. Nach ihrer Jagd auf die Sachakaner war ihr Tagesrhythmus dann völlig durcheinandergeraten.

Regin lachte. „Du wirst wahrhaftig noch eine von uns!"

Sonea entschied, ihn nicht zu fragen, wie er das gemeint hatte. Sie ahnte, seine Antwort würde sie noch mehr verärgern.

„Hast du nach dem Mittagessen auch den Grundkurs Alchemie bei Lord Elben?", wechselte sie das Thema.

Regin nickte. „Zeigst du mir deinen Stundenplan? Ich will sehen, welche Kurse wir dieses Halbjahr gemeinsam haben."

Sonea zog eine Mappe aus ihrer Tasche. Sie suchte eine Weile zwischen beschriebenen und leeren Notizblättern und zog schließlich eine Tabelle heraus. „Hier", sagte sie achselzuckend und reichte ihm den Plan. Da sie beide die Kriegskunst gewählt hatten, würde sich da nicht viel geändert haben.

Ihr Freund nahm den Zettel entgegen und studierte ihn mit interessierte Miene. Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Wir haben dieses Halbjahr gemeinsam Schwertkampf!", sagte er begeistert. „Dann werden wir endlich alle erfahren, ob Akkarin dir da überhaupt etwas beibringen konnte!"

Sonea verdrehte die Augen. Sie war nicht in der Stimmung für solche Späße. „Willst du mich herausfordern?", fragte sie. „Das kannst du gerne haben!"

Regin grinste, während sein Blick auf ihrem Stundenplan verweilte. Dann hellte sich sein Gesicht plötzlich auf. „Bei dir steht Schwarze Magie wirklich als Kurs! Ist das jetzt eine richtige Disziplin?"

„Nein ist es nicht", antwortete Sonea kurz angebunden. „Und das wird auch so bleiben."

„Aber du bekommst doch sicher Noten und hast Prüfungen?"

„Nein. Denn das würde es zu einer Disziplin machen."

„Das zu lernen muss Spaß machen." Er lächelte versonnen. „Ich wünschte, ich könnte es auch lernen."

Sonea verdrehte die Augen. „Glaub mir, das willst du nicht", sagte sie trocken. Meinte er das wirklich ernst? Schwarze Magie war eine faszinierende Kunst, doch es war auch eine ebenso schreckliche und gefährliche Kunst. Sonea wünschte keinem ihrer Freunde, das lernen zu müssen.

„Und du hast jetzt deine Einzelstunden in Kriegskunst immer im Dome!", fuhr Regin fort. „Du bist wirklich zu beneiden!"

Sonea erstarrte. „Was?"

Sie riss Regin den Stundenplan aus der Hand und betrachtete ihn genauer. Tatsächlich hatte sie an drei Tagen pro Woche eine Doppelstunde Kriegskunst im Dome. Mit Akkarin allein. Der Vierttag war nach wie vor für Balkan und seine Krieger in der Arena reserviert.

„Das ist gar nicht gut", murmelte sie.

Regin runzelte die Stirn. „Wieso? Ich dachte, du magst es nicht, wenn ihr Zuschauer habt."

Genau das ist es ja, dachte Sonea. Wenn ihre Einzelstunden von nun an im Dome stattfanden, bedeutete das, dass Akkarin keine Zuschauer mehr haben wollte. Und das bedeutete, dass er das vorhatte, wovor ihr seit Wochen graute.

Lord Vorel betrat den Raum. Sein Blick verfinsterte sich, als er sah, wie einige der Novizen einander noch immer mit Schneebällen jagten. Plötzlich explodierten die Schneebälle und regneten als Eiskristalle hinab. Hastig eilten die Novizen zu ihren Plätzen.

„Guten Morgen allerseits", grüßte er streng. „Ich hoffe, ihr habt die Ferien für Sinnvolleres als Schneeballschlachten genutzt. Holt bitte eure Hausarbeiten hervor, damit ich sie einsammeln kann."

Der gesamte Vormittag entwickelte sich zu einer Herausforderung für Soneas Nerven. Auf die Doppelstunde Theoretische Kriegskunst folgte eine Doppelstunde Strategie. Lord Vorel und Lord Daron gaben ihnen so viele Hausaufgaben auf, dass selbst sie aufstöhnte, und die Geschichten, die über die Jagd nach den Sachakanern kursierten, wurden mit jedem Mal haarsträubender. Inzwischen war aus Savara und Ikaro eine ganze Armee von Sachakanern geworden, und Sonea und Akkarin hatten sie tagelang durch die Hüttenviertel gejagt und einen ganzen Bezirk in Schutt und Asche gelegt. Regin sorgte nicht gerade dafür, dass ihre Laune sich besserte, da er an diesem Tag überaus nervtötend war.

Als es endlich zur Mittagspause läutete, atmete Sonea innerlich auf. Das Essen mit Rothen hob ihre Stimmung ein wenig, wenn auch ihr keine Gelegenheit blieb, ihre Sorgen und Ängste anzusprechen, weil Farand ihnen Gesellschaft leistete. Anschließend war sie mit Trassia in der Novizenbibliothek verabredet. Sonea war erleichtert, dass Regin zusammen mit seinen beiden Freunden einen Tisch weiter saß. Sie bedachte ihn mit einem finsteren Blick und setzte sich zu ihrer Freundin.

„Was ist mit dir los?", fragte Trassia. „Du siehst aus, als ob du dich über irgendetwas ärgern würdest."

„Regin hat sich in den Kopf gesetzt, dass er ein schwarzer Magier werden will", antwortete Sonea grimmig.

Trassias Augen weiteten sich. Sie lehnte sich zu Regin und gab ihm einen Klaps. „An so etwas solltest du nicht einmal denken!", schalt sie ihn.

„Zumal du dafür ungeeignet wärst", fügte Sonea säuerlich hinzu. „Du tätest besser daran, dir diese Idee wieder aus dem Kopf zu schlagen."

„Du hast doch nur schlechte Laune, weil du heute früh aufstehen musstest, anstatt bei deinem Liebsten im Bett zu bleiben und dich mit ihm zu vergnügen." Regin grinste selbstgefällig. „Du wirst wirklich noch eine von uns."

Kano und Alend lachten.

Jetzt reicht es, dachte Sonea. Heute treibt er es wirklich zu weit. Sie erhob sich und baute sich, die Fäuste in die Hüften gestemmt, vor Regin auf.

„Bist du eifersüchtig?", fragte sie leise. „Wenn kein Mädchen mit dir gehen will, solltest du vielleicht einmal überlegen, woran das liegt."

Regin lachte. „Ah, ich weiß da ein paar, die das gerne würden."

Sonea schnaubte verächtlich. „Und wer soll das sein? Ein paar von den Neuen? Dein Glück, dass sie noch nicht wissen, was für ein Ekel du sein kannst."

„Bei deiner Kratzbürstigkeit wundert es mich, dass du sogar jemanden gefunden hast, der bereit ist dich zu heiraten", gab er zurück. „Oder lässt du das nur hier heraus, weil du zuhause immer brav sein musst?"

Sonea schnappte wütend nach Luft. „Das ist doch ..."

„Schluss jetzt!" Trassia fasste Soneas Arm und zog sie zurück. „Willst du Ärger bekommen?"

Sonea schüttelte den Kopf. Sie hatte beschlossen, dass Regin – auch wenn sie Freunde geworden waren – es nicht wert war, sich Ärger einzuhandeln. Sie funkelte ihn an und setzte sich wieder auf ihren Platz.

„Am Freitag", sagte Regin und beugte sich zu ihr, „mache ich dich in Kyrima fertig."

Sonea Augen verengten sich. „Das werden wir ja sehen", sagte sie und drehte ihm den Rücken zu.

Sie öffnete ihre Tasche und holte ihre Notizen von Theoretischer Kriegskunst heraus. Sich wieder an ihre Hausaufgaben erinnernd, stieß sie einen Seufzer aus. Sie würde einen fünf Seiten langen Aufsatz über das heute Gelernte, schreiben müssen. Besser, sie nutzte den Rest der Mittagspause, um damit so weit wie möglich zu kommen.

Etwas stieß sie unsanft in den Rücken. Erbost fuhr sie herum.

„Regin, lass mich ...", begann sie und erstarrte.

Vor ihr standen Veila und ihre beiden Freundinnen Trisha und Yannia. Ihre Gesichter drückten Verachtung und Häme aus. Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte Sonea verdrießlich.

„Hallo, Hüttenmädchen", sagte Veila süßlich. „Ich habe gehört, du und dein Liebster hättet in den Ferien zwei Sachakaner gejagt. Zu schade, dass sie dich nicht erwischt haben."

„Hallo Veila", erwiderte Sonea in einem vergeblichen Versuch, ihren Sarkasmus zurückzuhalten. „Du scheinst ja ausgesprochen schöne Ferien gehabt zu haben. Du bist so reizend, wie eh und je."

Ob das an dem Besuch ihrer Cousine liegt?, fragte sie sich, darum bemüht, nicht in lautes Gelächter auszubrechen, als sie zurück an das überhörte Gespräch am Vortag im Novizenquartier dachte. Irgendwie hatte das dafür gesorgt, dass sie Veila nicht mehr ernst nehmen konnte.

Für einen langen Augenblick verzerrten sich Veilas vornehme Züge vor Wut. „Nicht mehr lange, dann werde ich dich Respekt lehren. Also fang besser schon einmal damit an."

Sonea blinzelte verwirrt. Was heckte Veila jetzt schon wieder aus? Es war ihr nicht gelungen, ihre Beziehung mit Akkarin bloßzustellen, als sie sie noch geheim gehalten hatten. Irgendwann hatte die andere Novizin sogar aufgehört, ihr nachzustellen. Sonea hatte geglaubt, Veila habe aufgegeben. Anscheinend hatte sie sich geirrt. Sie fand indes, das brauchte sie sich nicht bieten lassen.

„Oh du schöne, verehrungswürdige Veila, würdest du mit deinem Hofstaat jetzt bitte von dannen ziehen?" Regin und seine beiden Freunde hatten sich erhoben und im Gang zwischen den Tischen Stellung bezogen. „Einige von uns möchten hier lernen. Euer Hochwohlgeboren möge Ihr Sumikränzchen draußen fortführen."

Veila betrachtete ihn, als habe ein widerliches Insekt ihr Missfallen erregt. „Dir werde ich dann auch eine Lektion erteilen, Regin von Winar", zischte sie. „Es wird Zeit, dass du anfängst, deine Freunde sorgfältiger auszuwählen."

„Das tut er bereits, denn sonst wäre er schon längst mit dir befreundet", warf Trassia ein.

Veila warf ihr einen vernichtenden Blick zu.

„Lady Tya kommt", raunte Kano, bevor sie eine weitere Gehässigkeit loswerden konnte.

Ein gehetzter Ausdruck erschien auf Veilas hübschem Gesicht. „Gehen wir", herrschte sie ihre Freundinnen an. Hocherhobenen Hauptes stolzierte sie davon, gefolgt von Trisha und Yannia.

Sonea warf einen Blick zur Tür. Lady Tya saß an ihrem Schreibtisch und beobachtete sie mit wachsamen Augen. Kano entfuhr ein hörbares Glucksen.

„Was sollte das denn?", fragte sie kopfschüttelnd. „Bekommt sie neuerdings Nachhilfe in Kriegskunst und erhofft sich davon, dass sie sich mit mir anlegen kann?"

Alend kicherte. „So dumm ist nicht einmal sie."

„Wenn dieses Halbjahr zu Ende ist, wird sie sich Lady Veila nennen dürfen", erklärte Trassia. „Das wird sie damit wohl meinen. Wahrscheinlich ist sie gereizt, weil sie so viel lernen muss, und lässt es an dir aus. Für die Winterprüfungen hat sie wie eine Wahnsinnige gelernt. Sie ist besessen davon, ihren Abschluss als Jahrgangsbeste zu machen."

„Selbst wenn sie dich deswegen bis zum Sommer in Ruhe lässt – danach solltest du ihr besser nicht alleine, über den Weg laufen", fügte Regin hinzu.

„Warum?", wollte Sonea wissen.

„Weil sie es dann sehr viel einfacher haben wird, dir einen Regelverstoß anzuhängen. Als Magierin wird sie viel mehr Aufmerksamkeit und Beachtung finden, als sie es jetzt bekommt."

„Aber Lord Akkarin kann Sonea doch vor ihr beschützen", wandte Trassia ein. Sie sah zu Sonea. „Er würde doch wissen, ob du wirklich etwas angestellt hast, oder?"

„Ja", antwortete Sonea. Natürlich würde er es sofort wissen. „Die Frage ist nur, ob man ihm glaubt. Die höheren Magier können bei uns keine Wahrheitslesung durchführen."

„Und genau deswegen wirst du dann nicht mehr alleine durch die Universität laufen", sagte Regin. „Wenn es soweit ist, bekommst du deine Eskorte zurück. Jeder von uns würde einer Wahrheitslesung zustimmen, um Veila zu bloßzustellen."

„Auf jeden Fall", stimmte Trassia zu und auch Kano und Alend nickten feierlich. „Wir lassen nicht zu, dass sie dir dein letztes Jahr zur Hölle macht."

„Danke", erwiderte Sonea tiefbewegt. Sie wusste, ihre Freunde würden Wort halten. Doch jetzt wusste sie auch, die Sache mit Veila war noch lange nicht ausgestanden. Ihre Rivalin hatte nur eine Pause eingelegt, weil ihre Prioritäten für einige Monate anders gelagert waren. Aber das würde nicht so bleiben.

Sie betrachtete Regin mit schmalen Augen. Nur weil er sie vor Veila gerettet hatte, war sie noch lange nicht wieder besänftigt. „Deinen Traum, ein schwarzer Magier zu werden kannst du dir trotzdem aus dem Kopf schlagen", fügte sie säuerlich hinzu.


Die prächtigen Türen aus massivem Gold öffneten sich und gaben den Blick in eine riesige, prunkvolle Halle frei. Dannyl und Kito folgten dem Mann, der sich ihnen als Marikas Sekretär vorgestellt hatte, hindurch.

Ivasako schritt einen langen, kostbar bestickten Teppich hinab. In jeder anderen Halle hätte Dannyl sich staunend umgesehen. Dieses Mal hatte er jedoch nur Augen für den Mann, der am anderen Ende des Teppichs auf einem Thron aus Gold und Marmor saß.

Hochgewachsen, breitschultrig und mit dem für Sachakaner typischen goldenen Hautton, war König Marika ein ehrfurchtgebietender Mann mittleren Alters, dessen schwarzes Haar an den Schläfen erste Spuren von Grau aufwies. Sein kantiges Gesicht mit der Nase und den stechenden grauen Augen eines Vallook und dem kurzen Kinnbart wirkte leicht asymmetrisch, wenn auch nicht unattraktiv.

Der König trug eine kurzärmelige Tunika aus einem dunkelblauen, schimmernden Stoff. Eine goldene Mondsichel, von deren oberer Spitze Tränen oder Wassertropfen regneten, war auf die Brust eingestickt. Die schwarzen Hosen steckten in schweren Stiefeln. Marikas kräftige Unterarme waren zur Hälfte mit breiten Armreifen aus Gold bedeckt und an seiner Hüfte hing ein juwelenbesetztes Schwert mit gekrümmter Klinge, wie auch die Palastwachen eins trugen.

Zu Marikas Füßen lag eine große Kreatur, die entfernte Ähnlichkeit mit einem Berglöwen hatte. Sie war indes deutlich größer und hatte ein schneeweißes Fell mit schwarzen Flecken. Ihre gelbgrauen Augen betrachteten die beiden Magier gelangweilt.

Dannyl erschauderte. Das war also der mächtigste Magier in der bekannten Welt. Wenn er beschloss, ihn und Kito zu töten, waren sie verloren. In seinem ganzen Leben hatte Dannyl sich noch nie so schwach und verwundbar gefühlt, wie in diesem Augenblick. Der Versuchung widerstehend, Kito einen Seitenblick zuzuwerfen, zwang er sich zu einem selbstsicheren Auftreten.

Diese Audienz konnte alles zum Guten oder zum Schlechten wenden, oder bereits jetzt sinnlos sein. Entgegen dem Wunsch des Hohen Lords, die Übergabe des sachakanischen Spions, den die Gilde gefangen genommen hatte, als Verhandlungsbasis zu nehmen, hatten er und Kito entschieden, Marika zunächst mit diplomatischen Mitteln zum Frieden zu bewegen. Das Risiko, den König von Sachaka mit der Erwähnung seines verschollenen Ashaki zu provozieren, war ihnen als zu groß erschienen. Zudem bezweifelten sie, die Freilassung des Mannes würde den Herrscher Sachakas von einem Krieg abhalten, da seine Motive mehrere Jahrhunderte zurückreichten.

Am Ende des Teppichs blieb Ivasako stehen und warf sich zu Boden.

„Ricayo mi oyoni-zichaha Kito ricayo na ehizi-cha mi Vin nuta Lord Dannyl, sachivo echidase mi ayachala vi Elyne", verkündete er. (Auslandsadministrator Kito von den Vin-Inseln und Lord Dannyl, zweiter Botschafter der Magiergilde in Elyne.)

„Ah, charo suso sharyia-cha-ayachala." Marikas kalte Stimme entbehrte jeder Emotion. „Natonato vi micha yaramasa-vidaha." (Ah, die beiden Gildenmagier. Ich heiße Euch in meinem Palast willkommen.)

Dannyl und Kito beugten ein Knie. Sie hatten lange darüber diskutiert, wie sie dem König von Sachaka ihren Respekt erweisen sollten, da sie niemandem, der Marika begegnet war, persönlich kannten. Schließlich waren sie übereingekommen, es nicht auf die sachakanische Art zu tun. Denn das käme einer Unterwerfung gleich, die ihre bereits schwache Verhandlungsposition kaum stärken würde. Stattdessen behandelten sie Marika so, als wäre er der Herrscher eines der Verbündeten Länder. Aus kyralischer Sicht war das mehr, als diesem Mann zustand.

„Aze ayasaha, veltaze kami sha'kezacha ovachaha.", erwiderte Kito förmlich. (Euer Majestät, wir danken Euch, dass Ihr uns diese Audienz gewährt.)

Marika erwiderte nichts darauf. „Sha'avaco", befahl er. (Erhebt Euch.)

Dannyl und Kito gehorchten. Ihre Roben raschelten leise, als sie aufstanden. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich Dannyl in der Kluft, die ihn als Gildenmagier auswies, unwohl. Überall in den Verbündeten Ländern begegneten selbst die Herrscher ihm auf Grund seines Status mit Respekt. Hier hingegen war er ein schwacher Gildenmagier. Wahrscheinlich, so überlegte er mit einem Schaudern, waren er und Kito für die Sachakaner kaum mehr wert als Sklaven.

„Kuto ize, Ivasako", herrschte Marika seinen Sekretär an. (Du auch.)

Ivasako erhob sich hastig.

„Sha'risaha nuyi kuso." (Lass uns allein.)

„Ya, rachariya", erwiderte der Sekretär unterwürfig und entfernte sich. (Ja, Meister)

Dannyl runzelte die Stirn. Warum verhielt Ivasako sich wie ein Sklave, wenn er ohne Zweifel ein schwarzer Magier war? Musste jeder Angestellte an Marikas Hof den König so unterwürfig behandeln oder war Ivasako tatsächlich ein Sklave? Aber wieso gebot er dann über Magie? Brauchte der mächtigste Magier der bekannten Welt einen Leibwächter?

Das muss es sein, dachte er. Der Herrscher eines Landes zu sein, in dem Bürgerkrieg herrscht, ist gefährlich. Irgendein Ashaki würde immer Marikas Tod wünschen. Der König wäre dumm, einen freien Mann als Beschützer zu wählen. Er brauchte jemanden, der ihm ergeben war. Ivasako war gewiss nicht der Einzige. Dannyl war sicher, die Wachen am Tor waren ebenfalls Sklaven. Und auch jetzt war Marika nicht unbewacht. Als Dannyl sich umsah, entdeckte er Palastwachen entlang der Wände des Thronsaals. Er begann, sich unbehaglich zu fühlen. Wenn Marika beschloss, ihn und Kito zu töten, würden sie diesen Raum nicht mehr lebend verlassen.

Sei nicht albern!, schalt er sich dann. Auch der König von Sachaka ist an die Regeln der Diplomatie gebunden. Als Botschafter waren er und Kito im Hause eines Herrschers vor Gewalt geschützt. Das galt auch außerhalb der Verbündeten Länder. Ihnen Schaden zuzufügen würde einer Kriegserklärung gleichkommen. Dannyl bezweifelte, dass Marika sich zu einem solch subtilen Akt der Provokation hinreißen lassen würde. Allerdings brauchte er auch nicht mit den ungeschriebenen Gesetzen der Diplomatie zu brechen, wenn er wirklich Krieg wollte.

Der König machte eine Bewegung mit der Hand. Sofort eilten zwei Sklaven von den Seiten der Halle herbei und brachten gepolsterte Stühle, die sie vor den Thron stellten.

„Setzt Euch", sagte Marika auf die beiden Stühle deutend.

„Wir danken Euch, Euer Majestät", erwiderten Dannyl und Kito und nahmen Platz.

Marika schnaubte leise.

Weitere Sklaven erschienen und brachten Wein und kleine Schalen mit Früchten. Sie ließen sich zwischen ihnen und Marika auf den Knien nieder und hielten ihnen die Schalen entgegen. Von den Händlern wusste Dannyl, die Ashaki pflegten so ihre Gäste zu unterhalten. Im Gegensatz zu anderen Völkern war es den Gästen jedoch erst dann erlaubt, sich an den Speisen und Getränken zu bedienen, nachdem der Gastgeber sich davon genommen hatte. War der Gastgeber satt, so mussten auch die Gäste ihr Mahl beenden. Für die Gäste gab es dabei zudem eine Rangfolge. Dannyl würde abwarten müssen, bis Kito sich bedient hatte, was ihn jedoch herzlich wenig kümmerte, da ihm seine Furcht jeglichen Appetit verdorben hatte.

„Also, Gildenmagier", sagte Marika auf Kyralisch, nachdem er seinen Wein entgegengenommen hatte. Sein Akzent war schwerfällig, was erahnen ließ, dass er diese Sprache nur selten benutzte. „Wie mein Palastmeister mir sagte, seid Ihr gekommen, um zu verhandeln."

„Das ist richtig", antwortete Kito. „Wir sind gekommen, um den jahrhundertealten Konflikt zwischen unseren beiden Völkern auf friedliche Weise beizulegen."

Er griff nach einem Weinkelch, der ein Sklave ihm darbot. Zögernd tat Dannyl es ihm nach. Er empfand diese Art bedient zu werden als menschenverachtend, aber er wollte auch nicht unhöflich sein, weil dies für den Ausgang ihrer Verhandlungen fatal sein konnte.

König Marika lachte. „Ein Vindo, der einen höheren Rang bekleidet, als ein Kyralier!", rief er. „Das passt zu Eurer erbärmlichen Gilde!"

Dannyl hatte Mühe, seinen Zorn zu unterdrücken. Er musste sich zwingen, ruhig zu bleiben.

Er ist Sachakaner, sagte er sich. Für ihn zählen nicht Talent und Qualifikation, sondern welchem Volk ein Mensch angehört und ob er schwarze Magie praktiziert. Die Sachakaner sahen auf alle anderen Völker herab und dabei schien es einige zu geben, auf die sie mehr herabsahen als auf andere. Die Vindo gehörten ganz offenkundig zu Ersteren. Die Gründe dafür konnte Dannyl indes nur erahnen.

„Wenn Euer Majestät sich dadurch beleidigt fühlen, so wird Botschafter Dannyl die Verhandlungen führen", erwiderte Kito unterwürfig.

Marikas Vallookaugen wanderten von Kito zu Dannyl und dann wieder zurück. Dannyl fragte sich, wie der Herrscher auf die Aussicht, mit Kitos „Untergebenem" zu verhandeln, reagieren würde. Er hätte zu gern die Verhandlungen selbst geführt, aber das verbat sich auf Grund seines geringeren Ranges sich von selbst. Er würde vor Marika nur dann sprechen dürfen, wenn dieser es ihm gestattete. Das war ärgerlich, da Dannyl auf Grund seines Verhandlungsgeschick für diese Mission ausgewählt worden war. Aus diesem Grund hatte er sich zuvor mit Kito abgesprochen. Sollte das Gespräch einen anderen Verlauf als erhofft nehmen, so würde Kito improvisieren müssen. Dannyl vertraute dem diplomatischen Geschick des Auslandsadministrators, doch die Regeln der sachakanischen Gesellschaft verkomplizierten alles.

„Das ist mir egal", sagte Marika knapp. „Selbst zusammengenommen verfügt Ihr über weniger Macht als der geringste meiner Ashaki. Also tragt Euer Anliegen vor."

Er macht keinen Hehl daraus, dass er diese Audienz schnell hinter sich bringen will, fuhr es Dannyl durch den Kopf. Der sachakanische König konnte ihn und Kito jederzeit seines Palastes verweisen. Doch anscheinend besaß er ein Mindestmaß an Höflichkeit, um die beiden Gildenmagier zumindest anzuhören.

„Die Magiergilde und König Merin von Kyralia wünschen Frieden zwischen unseren beiden Ländern", sprach Kito. „Das Ausüben von Vergeltung soll ein Ende haben."

Die Vallookaugen blitzten. „Und was bietet Ihr dafür? Unterwerft Ihr Euch freiwillig?"

„Wir entsenden unsere Alchemisten in die Ödländer, um den von uns angerichteten Schaden zu beheben. Es waren unsere Magier, die Euer Land zerstört haben, und daher sehen wir es als unsere Aufgabe, das Land wieder besiedelbar zu machen."

„Wie stellt Ihr Euch das vor?"

„Botschafter Dannyl ist ausgebildeter Alchemist. Er kann Seiner Majestät die Details besser und genauer erklären, als ich es je könnte", erwiderte Kito.

Die Vallookaugen musterten Dannyl abschätzend. „Sprecht."

Dannyl holte tief Luft und straffte seine Schultern. „Die Ödländer wurden durch die Einwirkung von Magie geschaffen", begann er. „Deswegen ist es möglich, sie mit Hilfe von Magie wieder bewohnbar zu machen. Dazu müssten unsere Alchemisten das Land jedoch zunächst untersuchen, um herauszufinden, was genau zu tun ist. In jedem Fall würden wir den Grundwasserspiegel anheben, die unfruchtbare Erde von möglichen Giften befreien und wieder fruchtbar machen und den zerstörten Teil des Gebirges soweit ebnen, dass es möglich ist, dort Siedlungen zu errichten."

Er ließ unerwähnt, dass dies Jahre oder gar Jahrzehnte dauern konnte. Marika würde das noch früh genug erfahren. „Die Ichani, die dort bereits leben, könnten sich dort dauerhaft ansiedeln. Sie hätten somit keinen Grund mehr, Eure Untertanen zu überfallen und ihre Ländereien zu plündern. Es könnte sogar bewirken, dass der Bürgerkrieg in Eurem Land ein Ende hat."

Der König von Sachaka stützte das Kinn auf eine seiner prankenartigen Hände. „Wieso sollte Eurer Gilde etwas gelingen, woran die sachakanischen Magier wiederholt gescheitert sind?"

„Weil die Gilde das Prinzip lebt, jegliches Wissen all unseren Magiern zugänglich zu machen", antwortete Dannyl. Er verspürte eine aufkeimende Unsicherheit ob seiner Worte. Er wünschte, er könnte Akkarin um Rat fragen, doch das Blutjuwel befand sich in einer Innentasche seiner Robe, an die er nicht gelangen konnte, ohne Marikas Misstrauen zu erregen.

„Gehört dazu auch das Geheimnis, wie man mit Magie heilt?"

„Ja, Euer Majestät."

Marika runzelte die Stirn. „Dieses Wissen und das Wissen, wie man die Ödländer beseitigt, eignet sich mein Volk auch dann an, wenn wir Euch unterwerfen", sagte er.

„Euer Majestät, neben der Wiederherstellung der Ödländer bieten wir eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen unser beider Länder", sagte Kito. „Sachaka könnte den Status eines Verbündeten Landes erhalten."

„Aber Sachaka wäre kein Verbündetes Land", stellte Marika klar. Die Kreatur zu seinen Füßen regte sich. Der König streckte die Hand aus und kraulte den Kopf des Tieres. Es schloss die Augen und ein tiefes Knurren drang aus seiner Kehle.

„Nein, Euer Majestät", bestätigte Kito. „In den Verbündeten Ländern ist Sklaverei nur bedingt geduldet und höhere Magie ist bis auf zwei Ausnahmen verboten. Um offiziell in die Verbündeten Länder aufgenommen zu werden, müsste Sachaka zunächst beides ächten. Doch als Mitglied der Allianz könnten Eure Ashaki ihre Kinder zum Studium auf unsere Universität schicken. Was sie dort lernen, ist weitaus wertvoller als das Wissen, wie man seine Kräfte beliebig vergrößern kann. Damit wäre Sachaka ..."

„Das kommt nicht in Frage!", schnitt Marika ihm das Wort ab. „Es ist eine Beleidigung für die Nachkommen des Großen Sachakanischen Imperiums, auf gleicher Stufe mit den Ländern zu stehen, die einst unter seiner Herrschaft gestanden haben. Das Sachakanische Volk ist stolz und mächtig. Denkt Eure erbärmliche Gilde wirklich, wir verzichten freiwillig auf das, was uns vor allen anderen Völkern auszeichnet?"

Dannyl unterdrückte ein Seufzen. Er versuchte nicht allzu enttäuscht über die Reaktion des Königs zu sein. Ihre Verhandlungsposition war von Anfang an schwach gewesen. Trotzdem fand er, Marika beging einen großen Fehler, wenn er ihr Angebot nicht annahm. Es konnte Generationen dauern, aber am Ende würde sein Volk davon sehr viel mehr profitieren als von einem Sieg über Kyralia.

Der Sachakanische König griff nach einer Schale mit exotischen Früchten, die einer der Sklaven ihm entgegen hielt. Er schob sich eine Frucht in den Mund und kaute sie schweigend.

„Auslandsadministrator Kito, versteht mich nicht falsch", sagte er. „Ich bin ebenfalls an einer Lösung unseres Konflikts interessiert. Ich will ebenso Frieden für unsere Länder, wie Ihr es wünscht. Als König denke ich dabei in erster Linie an mein Volk. Das Verlangen nach Vergeltung ist in jedem Sachakaner tief verwurzelt. Deswegen werde ich das Ziel Frieden so erreichen, wie ich es will."

Er trank einen Schluck Wein. Dann bohrten sich seine Augen tief in die Kitos. „Ich werde meinem Volk zurückholen, was ihm gehört. Ihr und Eure Gilde werdet nichts dagegen unternehmen können. Wenn Ihr kein Blutvergießen wollt, unterwerft Euch uns freiwillig. Auch wenn ich zugeben muss, dass es dann nur halb so amüsant wäre."

Dannyl stockte der Atem. Er wusste, wann es Sinn machte, zu verhandeln und wann nicht. Bei diesem Verhandlungspartner hingegen stießen sie auf Granit. Nein, es war noch viel schlimmer. Marika hatte sie gar nicht erst dazu kommen lassen, mit ihm zu verhandeln. Er hatte lediglich ihre Argumente angehört.

„Dann ist alles, was Ihr wollt, Krieg?", brachte er jegliche Etikette vergessend hervor.

Ein raubtierhaftes Lächeln breitete sich auf Marikas Gesicht aus. „Ah, wir befinden uns doch schon längst im Krieg. Ihr habt einen meiner Ashaki gefangen genommen und getötet. Das ist Grund genug, um den Kyraliern und Eurer Gilde zu zeigen, wo Euer Platz ist."

Dannyls Herz setzte einen Schlag aus. Das änderte alles.

Aber wieso sollte die Gilde einen Ashaki getötet haben? Er wählte seine nächsten Worte sehr sorgfältig, um Marika nicht noch mehr zu verärgern.

„Vor etwa zwei Monaten hat die Gilde einen Ashaki namens Ikaro festgenommen, weil er Kyralier entführt und getötet hat", sagte er. „Er wurde mit Einkerkerung und der Blockade seiner Kräfte bestraft, da wir eine Eskalation der Lage zwischen unseren Ländern abwenden wollten …"

Marikas Faust donnerte auf die Armlehne seines Thrones. Die Kreatur zu seinen Füßen fauchte.

„Ashaki Ikaro wurde hingerichtet!"

Dannyl zuckte zusammen. Das war absolut unmöglich. Die Gilde würde keinen Sachakaner hinrichten, wenn das die politische Lage zwischen beiden Ländern noch verschlimmerte. Er und Kito tauschten einen Blick, doch der Vindo schien auf Grund dieser Eröffnung ebenso hilflos, wie er sich fühlte. Plötzlich wünschte er sich mehr denn je, unauffällig an sein Blutjuwel gelangen zu können.

„Ihr wollt einen Krieg vermeiden?" Marika musterte ihn und Kito ungehalten. „Dann sagt Eurer Gilde, sie soll sich mir unterwerfen! Die Audienz ist beendet!"


Zum ersten Mal überhaupt lief Sonea beim Anblick des Domes ein kalter Schauer den Rücken hinab. Alles in ihr strebte danach, diesem Gebäude sofort den Rücken zu kehren. Aber sie wusste, sie würde das Unvermeidliche damit nur hinauszögern. Ihrer Erfahrung nach würde das alles eher noch verschlimmern.

Sie stieß einen resignierten Seufzer aus. Dann straffte sie ihre Schultern und trat ein.

Das Innere wurde von einer einzigen Lichtkugel erhellt. Akkarin stand in der Mitte des Innenraumes und erwartete sie. Als sie eintrat, blitzten seine Augen zu ihr.

„Guten Tag, Sonea."

„Guten Tag, Lord Akkarin", erwiderte sie und verneigte sich. Sie runzelte die Stirn. Ihre Stimme war schroffer als beabsichtigt. Das gefiel ihr nicht.

„Deine Laune hat sich nicht gebessert", stellte er fest. „War dein Tag bisher so unerfreulich?"

„Ja." Sonea schob ihr Kinn vor und sah zu ihm auf. Trotz all ihrer Bemühungen konnte sie den Vorwurf ihrer Stimme nicht gänzlich fernhalten. „Ganz besonders nachdem ich festgestellt habe, dass unsere Einzeltstunden jetzt immer hier stattfinden. Wann hattet Ihr vor, mir das zu sagen?"

Akkarin verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe dir gestern deinen Stundenplan ausgehändigt und dich heute Morgen gefragt, ob du dazu Fragen hast", erinnerte er sie. „Du hast mit Nein geantwortet."

„Auf den ersten Blick sah es aus, als hätte sich nichts geändert", verteidigte Sonea sich. „Also habe ich es so akzeptiert." Sie wusste nicht, ob sie sich mehr über seine Distanziertheit oder über ihre plötzliche Streitsucht ärgern sollte. Das war falsch. So sollte es nicht sein. Aber sie hatte noch immer keine Idee, wie sie etwas daran ändern konnte. Warum mussten Beziehungen so kompliziert sein?

„Dann hast du nicht richtig hingesehen." Seine dunklen Augen bohrten sich in ihre. „Woher diese plötzliche Unaufmerksamkeit, Sonea?"

Was sollte sie darauf erwidern? Dass in den Ferien so viel geschehen war, dass sie bis zu ihrem Ende das Gefühl gehabt hatte, das neue Halbjahr läge noch Wochen entfernt? Dass sie dringendere Sorgen als einen albernen Stundenplan hatte? Dass sie trotz ihrer Aussprache diese Sache mit Isara noch nicht vollständig verdaut hatte?

„Ihr mich hättet vorwarnen können", sagte Sonea. Selbst wenn sie ihren Stundenplan gründlicher gelesen hätte, wäre ein Tag reichlich kurz gewesen, um sich daran zu gewöhnen. Sie wusste, sie verhielt sich nicht gerade fair. Akkarin war nicht für ihre schlechte Laune verantwortlich. Aber sie musste deutlich machen, wie sie empfand. „Festzustellen, dass wir jetzt hier sind, war ein ziemlicher Schock."

„Sonea, du wusstest seit Monaten, dass es irgendwann soweit sein wird", entgegnete er ungerührt. „Meine Entscheidung steht."

Sonea erstarrte. Er würde sein Vorhaben tatsächlich wahr machen. Und sie hatte keine ernsthaften Gegenargumente, um ihn davon abzuhalten. Dafür war das, was sie hier tun würden, zu wichtig.

„Lord Akkarin, ich bin noch nicht so weit", protestierte sie. „Ich kann gerade einigermaßen die Gedankenrede dabei benutzen. Ich respektiere Eure hohen Ansprüche an mich, aber das ist zu früh. Ihr verlangt zu viel."

„Sonea, wir sind Krieger", sagte Akkarin leise. „Wir können nicht warten, bis wir meinen, für etwas bereit zu sein, denn dann könnte es bereits zu spät sein." Er trat auf sie zu und fasste ihre Schultern. „Du hast mehr Fortschritte gemacht, als dir bewusst ist. Ich bin überzeugt, in einer realistischeren Situation wirst du noch größere Fortschritte machen."

Widerstrebend sah zu ihm auf. Natürlich konnten sie nicht warten. Die Sachakaner würden keine Rücksicht darauf nehmen, ob sie genügend vorbereitet waren. Wenn sie Kyralia angreifen wollten, dann würden sie es tun.

Akkarin bedachte sie mit einem Halblächeln. „Als du mir nach Sachaka gefolgt bist, hast du keine Sekunde gezögert, obwohl du damals alles andere als bereit für die dort lauernden Gefahren warst", erinnerte er sie.

Sonea schüttelte unwillig den Kopf. „Das war etwas anderes. „Ich habe es getan, um Euch vor dem Tod zu bewahren. Nicht, um etwas zu tun, das genau dazu führen könnte."

„Mit dem, was du heute tun wirst, wirst du mich auch vor dem Tod bewahren", erwiderte er sanft.

Sonea seufzte. Natürlich war das der Sinn dessen, was sie taten. Aber es war auch gefährlich. Sie wusste nicht, ob sie genug Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten besaß, um ihn dabei nicht versehentlich zu töten. Immerhin würden sie dieses Mal dabei nicht in der Bibliothek sitzen, sondern gegeneinander kämpfen. Sie hoffte, dass Akkarin sich nicht irrte und diese Stunde in einem Desaster endete.

„Also schön", sagte sie und schluckte den letzten Rest ihrer Bedenken hinunter. „Bringen wir es hinter uns."

Akkarin musterte sie durchdringend. Für einen kurzen Moment glomm ein Ausdruck in seinen Augen auf, der immer da war, wenn er sie zu küssen beabsichtigte. Dann ließ er von ihr ab und begann vor ihr auf und ab zu schreiten.

„Diese Stunde läuft folgendermaßen ab", teilte er ihr mit. „Wir kämpfen in zwei Runden. Zu Beginn der ersten Runde werde ich über die größere Kraft verfügen. Das heißt, ich werde dich besiegen und dir deine Kraft nehmen. Du wirst versuchen, dich dagegen zu wehren, so wie wir es geübt haben. Vor Beginn der zweiten Runde werde ich dir so viel von meiner Kraft geben, dass es dir leicht fallen wird, die Runde zu gewinnen. Wenn mein Schild zusammenbricht, darfst du nicht zögern, mich kampfunfähig zu machen und meine Kraft zu nehmen."

Sonea erschauderte. Es war vor allem dieser zweite Teil, den sie fürchtete. Es war eine Sache, gegen ihn zu anzutreten, wenn sie wusste, dass sie unterlegen war. Aber es war etwas anderes, wenn sie in der Lage war, ihn zu töten.

Akkarin blieb vor ihr stehen. „Hast du dazu Fragen?"

Sie sah auf. „Nein, Lord Akkarin."

„Gut."

Er reichte ihr Karikos Messer. Als Sonea es entgegennahm, zitterten ihre Hände. Sie glaubte, so viel Furcht nicht einmal während der Schlacht von Imardin verspürt zu haben. Trotzdem gelang es ihr irgendwie, das Messer an ihrem Gürtel zu befestigen.

Akkarin legte eine Hand auf ihre Schulter und errichtete ihren Inneren Schild, dann traten sie mehrere Schritte auseinander. Kaum, dass Sonea ihren äußeren Schild errichtet hatte, eröffnete er die erste Runde.

Während sie kämpften, versuchte Sonea ihre Gedanken an die zweite Runde weitgehend beiseitezuschieben. Akkarins Angriffe erfolgen mit ungewohnter Härte, so als wolle er diesen Teil rasch hinter sich bringen.

Oder als habe er wirklich die Absicht sie zu töten.

Es erforderte all ihre Konzentration, zumindest einige Minuten gegen ihn zu bestehen. Die vertraute Anspannung, die Sonea bei jedem ihrer Duelle verspürte, war dieses Mal ungewöhnlich groß. Sie hoffte, es würde ihr helfen, sich zu wehren, wenn Akkarin ihre Kraft nahm. Schließlich war genau das seine Absicht.

Die Runde endete wie jede ihrer Einzelstunden im vergangenen Halbjahr. Ihr Schild brach zusammen und sie fand sich von einem Kraftfeld gefesselt am Boden wieder. Doch dieses Mal war die Runde noch nicht beendet.

Akkarin drückte seinen Dolch auf ihr Handgelenk und umschloss den Schnitt mit seiner freien Hand, so schnell, dass Sonea sich nicht hätte heilen können, hätte er das von ihr verlangt. Für einen kurzen Augenblick verspürte sie den inzwischen vertrauten Schmerz. Dann kam die Trägheit.

In den vergangenen Wochen und Monaten hatte Sonea an ihrer Konzentration gearbeitet, indem sie versucht hatte, die Gedankenrede zu verwenden, wenn Akkarin ihre Kraft nahm. Jetzt musste sie darüber hinaus gehen. Angestrengt versuchte sie, sich auf ihre Kraftquelle zu konzentrieren. Es ging jetzt um mehr als um Übungen, die verhindern sollten, dass sie sich ihrer Trägheit ergab. Benommen nahm sie wahr, wie ein dünnes Rinnsal von Magie aus dem leuchtenden Energieball in ihrem Innern austrat und langsam durch die Lücke ihrer inneren Barriere sickerte.

Es sieht so ähnlich aus, wie wenn die innere Barriere nicht stark genug wäre, um die zusätzlich aufgenommene Magie zu halten, dachte sie. Oder wie wenn man die Kontrolle noch nicht beherrscht …

Sie hielt inne. Plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte.

Als Rothen sie die Kontrolle über ihre Magie gelehrt hatte, hatte sie sich vorgestellt, ihre Magie würde sich in einer Schatulle befinden, die sich nur dann öffnen durfte, wenn Sonea ihre Magie mit Absicht gebrauchen wollte. Es war so viel einfacher als das, was Akkarin ihr all die Wochen versucht hatte beizubringen. Er musste die Kontrolle anders gelernt haben als sie. Sonea hoffte, er würde nichts dagegen haben, wenn sie es auf eine Weise versuchte, die ihr vertrauter war.

Das einzige Problem war nur, dass sie sich so träge fühlte, dass sie nur mit ansehen konnte, wie der Ball aus Magie allmählich schrumpfte.

Stell dir vor, er will dich wirklich töten, redete sie sich ein. Doch die Vorstellung war nur allzu lächerlich. Akkarin war kein Sachakaner, soweit würde er nicht gehen. Zudem würde er ihre Kraft dann viel schneller nehmen. Wozu also sollte sie sich anstrengen?

- Gibst du schon auf?

- Ich bin müde, antwortete sie.

- Sonea, du wirst es sehr bereuen, wenn du es nicht versuchst.

Die Härte in seiner Gedankenstimme ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Die Furcht davor, dass er sie für ihr Zögern bestrafen könnte, erinnerte sie daran, dass sie das hier nicht zum Spaß machten.

Ihren Fokus erneut auf ihre Kraftquelle richtend gelang es ihr, eine Schatulle zu visualisieren. Als sie den Deckel schließen wollte, verschwand die Schatulle jedoch. Sonea war frustriert. Der leuchtende Ball aus Energie in ihrem Innern war inzwischen auf ein besorgniserregendes Maß geschrumpft.

- Versuch es noch einmal.

Erneut visualisierte sie die Schatulle. Es kostete sie so unendlich viel Anstrengung, dass sie dachte, sie müsse zusammenbrechen. Und dann hörte es plötzlich auf.

Sonea öffnete die Augen. Ihre Stirn war schweißüberströmt. Trotzdem war ihr kalt und heiß zugleich und ihre Atmung ging so heftig, als sei sie gerade um ihr Leben gerannt.

„Das war sehr gut, Sonea." Akkarin hatte sich über sie gebeugt und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. Seine Stimme klang, als würde er durch eine dicke Mauer sprechen. Sonea registrierte kaum, wie er ihr Handgelenk heilte und wie seine kühle Hand über ihre Stirn strich. Dann durchströmte seine Magie sie und ihre Sinne kehrten zurück.

„Geht es wieder?"

Sie nickte. Noch immer benommen setzte sich auf. So fühlt es sich also an, wenn man die erste Schwelle überschreitet, fuhr es ihr durch den Kopf.

„Danke", murmelte sie.

„Ich konnte deine Versuche sehen, ich wollte wissen, ob es dir beim zweiten Mal gelingt", sagte er. „Deswegen habe ich mehr als sonst von deiner Kraft genommen."

„Es war zu anstrengend", sagte Sonea. „Ich konnte die Visualisierung nicht aufrechterhalten."

„Das macht nichts", erwiderte Akkarin. „Dieser Ansatz scheint dir besser zu liegen. Du solltest ihn weiter verwenden."

Sonea nickte erneut, erleichtert, weil er mit ihrer Leistung zufrieden war. Anscheinend funktionierte es tatsächlich besser, wenn sie gegeneinander kämpften.

„Bist du bereit für Runde zwei?"

„Ja", antwortete sie, obwohl es nichts gab, was ihr mehr widerstrebte.

Akkarin musterte sie durchdringend. „Wir können eine kurze Pause machen."

„Nein. Ich will das hinter mich bringen."

„Dann gib mir deine Hände."

Sonea streckte ihre Hände aus. Akkarins Finger schlangen sich um ihre Handgelenke und sofort floss seine Magie zu ihr. Es fühlte sich seltsam und verdreht an. Als er sie losließ, besaß Sonea ein Vielfaches ihrer natürlichen Kraft. Sie erschauderte. Wie viel hatte er überhaupt für sich selbst zurückbehalten?

„Das sollte reichen", sagte er und half ihr auf. Die Luft um ihn flimmerte kurz auf.

Sonea runzelte die Stirn. „Was ist mit deinem Inneren Schild?"

Akkarin wirkte erheitert. „Sonea, ich bin kein Novize mehr."

„Aber …", begann sie. Ohne Inneren Schild konnte er sterben. Das machte ihr Vorhaben noch gefährlicher, als es bereits war. Bevor sie jedoch ernsthaft protestieren konnte, sah sie etwas aufblitzen. In letzter Sekunde errichtete sie ihren eigenen Schild und konterte instinktiv.

Die Runde wurde zu einer Herausforderung an Soneas Nerven. Mit jedem Angriff, den sie führte, fühlte sie sich elender. Sie war es gewohnt, mit all ihrer Kraft gegen Akkarin anzutreten, da sie wusste, dass sie ihn nicht verletzten konnte. Jetzt hingegen befiel sie eine Unsicherheit, von der sie eigentlich geglaubt hatte, sie nach ihrer ersten Woche seines Privatunterrichts abgelegt zu haben.

Zum ersten Mal war er schwächer als sie und sie musste so tun, als wolle sie ihn töten. Es kostete sie all ihre Überwindung, auch so zu kämpfen.

„Hast du etwa alles verlernt, was ich dich im letzten Halbjahr gelehrt habe?", fragte er.

Sonea funkelte ihn an. Als ob er nicht ganz genau wusste, warum sie nicht stärker angriff!

„Was du da tust, wird einem angehenden Krieger kaum gerecht", fuhr er fort. „Vielleicht hättest du wirklich die Heilkunst wählen sollen. Ich bin sicher, ich kann Jerrik überzeugen, dir die entsprechenden Kurse zuzuweisen."

Seine subtile Provokation verfehlte ihr Ziel nicht. Plötzlich wollte Sonea nichts mehr, als ihm zu zeigen, dass sie kein Mädchen war. Es ärgerte sie, dass er wusste, wie er sie dazu bringen konnte, genau das zu tun, was er von ihr erwartete. Aber das war nicht alles. Alles, was an diesem Tag bereits geschehen war, hatte sie geärgert.

Und eigentlich war sie gar nicht deswegen wütend.

Sie war wütend, weil etwas nicht mehr stimmte, seit sie von seinen Gefühlen für Isara erfahren hatte.

Einen rüden Fluch ausstoßend und attackierte sie Akkarin mit Kraftschlag. Sein Schild wankte, hielt jedoch stand. Seine Gegenwehr war nicht weniger stark, doch dieses Mal hatte Sonea mehr Magie zur Verfügung, um ihren eigenen Schild zu stärken.

Eine grimmige Befriedigung ließ sich lächeln. Akkarin schien doch nicht so wehrlos, wie sie anfangs befürchtet hatte. Trotz ihrer zweifelhaften Überlegenheit würde sie genug Gelegenheit haben, sich auszutoben. Aber wenn sie schlechte Laune hatte, war ihr nicht an Spielchen gelegen.

Sonea griff mit einer Reihe von Hitzeschlägen an, die Akkarin scheinbar mühelos abwehrte. Wie konnte er immer noch so stark sein? Sparte er an seiner Verteidigung?

Mit einer Reihe von Betäubungsschlägen attackierte sie seinen Schild von allen Seiten. Bevor sie sich jedoch das Ergebnis ansehen konnte, durchbrach etwas ihre Konzentration. Fast hätte sie die Kontrolle über ihren Schild verloren. Sie fluchte. Mit jedem Gedankenschlag brachte Akkarin unbarmherzig die Erinnerungen an den Kampf vor der Universität zurück. Sonea hasste, dass er das immer wieder tat.

Ohne jenen Vorfall würde ihr dieses Duell weniger Schwierigkeiten bereiten. Sie würde es nicht mögen, aber es würde ihr leichter fallen, weil sie ihn nicht hatte sterben sehen. Sie hasste, dass ihn das nicht kümmerte. Sie hasste, dass er sie immer an die Grenzen dessen des Ertragbaren trieb. Egal ob es sein musste, oder nicht. Und sie hasste, dass es nichts gab, was sie dem entgegensetzen konnte.

In ihrem Zorn attackierte sie ihn mit einem Kraftschlag nach dem anderen. Akkarin konterte brutal. Aber sie glaubte zu sehen, wie seine Angriffe allmählich schwächer wurden. Diese Erkenntnis erfüllte sie mit leisem Grauen. Aber sie durfte jetzt nicht aufhören.

Wenn er mich in jeder Unterrichtsstunde so bedenkenlos besiegen kann, dann muss ich das auch können.

Sonea holte tief Luft und verbannte ihre Gefühle in einen entfernten Winkel ihres Bewussteins. Dann kanalisierte sie all in ihren Zorn in einen Kraftschlag, der so stark war, dass sie insgeheim hoffte, sie würde Akkarin damit nicht töten.

Akkarins Schild erbebte und brach zusammen. Sofort sandte Sonea einen Gedankenschlag hinterher, um zu verhindern, dass er seinen Schild erneut errichtete. Ihr Betäubungsschlag erfolgte unmittelbar darauf. Der Angriff riss ihn von den Füßen, und noch während sie auf ihn zu rannte, fesselte sie ihn mit einem Kraftfeld am Boden.

Jedes bewusste Denken abgestellt, ließ sie sich neben ihm auf den Knien nieder und griff nach seinem Handgelenk. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass er noch lebte, drückte sie ihren Dolch vorsichtig auf seinen Unterarm und begann dann ganz langsam seine Kraft zu nehmen. Sie ließ sich Zeit, damit er eine Chance hatte. Plötzlich fiel ihr wieder ein, wie sehr sie sich früher gewünscht hatte, ihn eines Tages zu besiegen. Das hier erfüllte sie dagegen mit bloßem Grauen.

Plötzlich stoppte der Energiefluss. Sonea Herz setzte einen Schlag aus. Hastig ließ sie von Akkarin ab. Hatte sie ihn schon zu sehr geschwächt?

Zu spät bemerkte sie, dass das ein Fehler gewesen war. Etwas warf sie zu Boden, der Dolch entglitt ihrer Hand. Ein stechender Schmerz durchfuhr Soneas Arm, die darauffolgende Trägheit war übermächtig. Eine neuerliche Panik durchflutete sie. Das Gefühl war so intensiv, dass sie sich nicht einmal hätte wehren können.

Und dann hörte es auf.

Akkarin zog sie in seine Arme und hielt sie fest.

„Verzeih mir", flüsterte er in ihr Haar. „Das wollte ich nicht."

Soneas Herz schlug bis zum Hals. Sie verspürte Entsetzen ob des soeben Geschehenen, aber auch eine unendliche Erleichterung, weil sie ihn nicht getötet hatte.

„Du hast es geschafft", erwiderte sie heiser. „Du solltest dich freuen."

„Ja", sagte er nur.

Sein Herz schlug durch ihre Roben hindurch. Sonea fragte sich, was soeben in ihm vorgegangen war und wollte es zugleich nicht wissen.

„Ich sollte uns heilen." Sie griff nach seinem Handgelenk und heilte die Schnittwunde. Nachdem sie sich selbst geheilt hatte, reichte sie ihm ihre Hände. „Nimm deine Kraft zurück", sagte sie. Sie wollte sie nicht. Es war nicht richtig, dass sie stärker war und ihm so etwas antun konnte.

Wortlos umfasste er ihre Hände und Sonea sandte ihm ihre Kraft. Nachdem sie ihm alles gegeben hatte, was sie für den Rest dieses Tages entbehren konnte, hielt er sie noch eine Weile fest. „Ist alles in Ordnung?", fragte er und musterte sie besorgt.

„Jetzt schon." Allmählich verebbte die Panik wie ein Albtraum, der beim ersten Licht des Tages verblasst.

„Sonea, was ich gerade getan habe, hatte nichts …", begann er.

Sie legte einen Finger auf seine Lippen. „Das weiß ich. Bitte sag mir nur, dass ich das nie wieder tun muss."

„Musst du nicht", erwiderte er sanft. „Du warst vorhin so überzeugend, dass es keiner Wiederholung bedarf."

„Sehr schmeichelhaft", bemerkte Sonea. Sie war jedoch nicht sicher, ob er ihr wirklich die ganze Wahrheit gesagt hatte. Nichtsdestotrotz verspürte sie ein Gefühl von Euphorie. Was Akkarin gerade gelungen war, verringerte die Wahrscheinlichkeit, dass ihm in einem Kampf etwas zustoßen konnte, und das entschädigte sie für mindestens eintausend weitere Unterrichtstunden dieser Art. Sonea wusste, sie würde es nicht ertragen, ihn erneut zu verlieren und dann vielleicht sogar für immer.

„Es wäre mir lieber gewesen, hätte ich dich von Anfang an vor alldem bewahren können", sagte er und strich über ihre Wange. „In dieser Hinsicht habe ich versagt. Es tut ..."

Sonea zog seinen Kopf herab und küsste ihn. „Nicht", sagte sie leise. „Ich habe es so gewollt."

Statt einer Erwiderung drückte er sie an sich und hielt sie fest. Seine Nähe vertrieb ihre soeben noch verspürte Furcht und löschte sogar den Zorn aus, den sie den ganzen Tag über verspürt hatte.

„Kann ich es noch einmal versuchen?", fragte sie, als er von ihr abgelassen hatte.

„Nicht heute." Akkarin erhob sich und zog sie auf die Füße. „Diese Stunde war sehr anstrengend. Ich will nicht, dass du heute Abend beim Lernen einschläfst."

Das wollte Sonea auch nicht. Das neue Halbjahr war gerade erst einen Tag alt und trotzdem hatte sie bereits mehr Hausaufgaben bekommen, als jemals zuvor an einem ersten Tag nach den Ferien. Aber sie war in ihrem vierten Jahr. Bis zu ihrem Abschluss würde das noch schlimmer werden.

„Gehen wir nach Hause." Akkarin streckte eine Hand nach ihr aus. „Was hältst du von einem Becher Würzwein vor dem Abendessen?"

Als Sonea aufsah, bemerkte sie, dass er lächelte. Ihr Herz machte einen Sprung.

„Klingt gut."


Mit einem unterdrückten Fluch klappte Kito seine Truhe zu. Es war das erste Mal, dass Dannyl den ruhigen Vindo so aufgebracht erlebte. Und das war beunruhigend.

„Wir haben versagt", zischte er. „Die Gilde hat all unsere Hoffnungen in uns gesetzt. Wir haben zwei ganze Monate verschwendet, die wir besser damit verbracht hätten, die Magier davon zu überzeugen, das Richtige zu tun."

„Wir haben getan, was wir konnten", sagte Dannyl sanft, obwohl es ihn all seine Kraft kostete, seine Wut und sein Entsetzen unter Kontrolle zu halten.

Ihre Verhandlungen waren gescheitert. Während der letzten Stunden hatte Dannyl sich mehrfach verflucht, weil er das Blutjuwel nicht vor der Audienz benutzt hatte, um mit Akkarin Rücksprache zu halten. Doch weder Dannyl noch Kito, der Marikas Reaktion auf den Tod seines Ashaki vorausgesagt hatte, hatten damit gerechnet, dass die Gilde Ikaro tatsächlich hinrichten würde, und Dannyls Befehle für die Benutzung dieses schwarzmagischen Artefakts waren eindeutig gewesen. Er ahnte, die Exekution des Ashaki hatte dem König von Sachaka in die Hände gespielt. Hätten er und Kito Bescheid gewusst, so hätte das am Ergebnis ihrer Audienz nichts geändert, doch das hätte sie nicht so unvorbereitet getroffen.

Dannyl rang sich ein Lächeln ab. „Mit manchen Menschen lässt sich nicht verhandeln", versuchte er Kito zu trösten, während er seine Roben in seinem Gepäck verstaute, wo sie bleiben würden, bis sie die kyralische Grenze überquerten. Sie hatten ihren Dienst getan, wenn auch es ihnen nichts genützt hatte. „Aber wir haben es versucht und jetzt haben wir Gewissheit. Dafür, dass du meinen Teil übernehmen musstest, hast du dich ziemlich gut geschlagen."

Nichtsdestotrotz konnte er die leise Stimme nicht ignorieren, die ihm einflüsterte, dass das Ergebnis ihrer Verhandlungen zum Teil auch seine Schuld war. Er hatte mit Dieben und verfeindeten Clans verhandelt. Er wollte nicht glauben, dass er an einem feindseligen König gescheitert war.

Kito schnaubte. „Vielleicht hätten wir so tun sollen, als hättest du von uns beiden den höheren Rang. Auf dich hätte er vielleicht eher gehört."

„Ich glaube nicht, dass das unsere Position gestärkt hätte. Marika hatte seine Entscheidung schon längst getroffen. Es war zu spät, ihn umzustimmen." Sie waren dumm gewesen, es überhaupt zu versuchen.

Der Vindo nickte langsam. „Das habe ich auch bemerkt, Dannyl", murmelte er verdrießlich, während er sich seinen Reisemantel über die Schultern warf. Seine Hände fuhren in die Taschen.

Mit gerunzelter Stirn zog er die Kette heraus, die er vor einigen Tagen auf dem Markt für seine Frau erstanden hatte. „Jetzt hatte ich gar keine Gelegenheit, Genda auch etwas zu kaufen", sagte er. „Ein Armband oder eine Kette, die sie um ihr Fußgelenk tragen könnte, hätte ihr sicher gefallen."

Dannyl wusste darauf nichts als Floskeln zu erwidern. Es war Abend, der Markt hatte bereits geschlossen. Er und Kito wollten dieses Land indes so schnell wie möglich verlassen. Der Vindo würde keine Gelegenheit mehr haben, seiner Tochter ein Mitbringsel zu kaufen.

Kito seufzte und ließ die Kette zurück in die Innentasche seines Mantels gleiten.

„Gehen wir", sagte er. „Mich hält hier nichts mehr."

Sie nahmen ihr Gepäck und verließen das Zimmer, das sie sich während der letzten Woche geteilt hatten. Ihr Karren stand im Hof der Herberge, die Pferde waren bereits davor gespannt. Nur noch wenige Kisten Porreni-Wein befanden sich darauf.

Wenigstens waren wir in dieser Hinsicht erfolgreich, dachte Dannyl humorlos. Mayrie wird das sicher freuen. Trotz der herben Niederlage, die sie beide an diesem Tag eingesteckt hatten, hob sich seine Stimmung ein wenig. Endlich ging es nach Hause. In absehbarer Zeit würde er Tayend wiedersehen. Inzwischen freute er sich sogar auf Imardin und die Gilde, denn selbst das war besser als Sachaka.

Er und Kito luden ihre wenigen Habseligkeiten auf. Nach so vielen Wochen als Weinhändler hatte er sich daran gewöhnt, Lasten mit der Kraft seiner Muskeln anzuheben. Auch das war etwas, worauf Dannyl sich freute: seine Magie wieder zu benutzen, ohne darüber nachzudenken, ob das seiner Tarnung schadete.

„Wollt Ihr zwei etwa verschwinden, ohne Euch zu verabschieden?"

Dannyl fuhr herum. Jorend, Arlend und Marcone hatten sich vor dem Karren aufgebaut, ihre Hände in die Hüften gestemmt.

„Selbstverständlich hätten wir Euch Lebewohl gesagt", sagte Dannyl, einen Anflug von Schuldgefühl unterdrückend. Nach ihrer Audienz bei Marika hatte er die elynischen Händler völlig vergessen. Die Aussicht auf Krieg hatte alles andere ausgeblendet. „Keno und ich haben nur schon einmal unseren Karren bepackt. Wir werden heute Abend noch nach Kyralia aufbrechen."

„So plötzlich?" Der Anführer der Händlerkarawane runzelte die Stirn. Er musterte ihren Wagen. „Ihr habt nicht einmal Euren ganzen Wein verkauft."

Dannyl machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. „Den werden wir auch zuhause los. Porreni-Wein ist auch in Kyralia sehr beliebt."

Marcone betrachtete ihn und Kito mit schmalen Augen. „Seid Ihr mit dem Gesetz in Konflikt geraten?"

„Natürlich nicht!", rief Dannyl mit gespielter Empörung. „So gut solltet Ihr uns inzwischen doch kennen!"

„In einem fremden Land geschieht das schneller, als man denkt", erwiderte der Handwerker augenzwinkernd. „Und das meist unbeabsichtigt. Denkt nur an Rodane und die Frau dieses Ashaki."

„Das ist doch nichts als Geschwätz", warf Arlend ein.

Dannyl verkniff sich ein Grinsen.

„Warum bleibt Ihr nicht noch über Nacht?", fragte Jorend. „Im Dunkeln werdet Ihr nicht weit kommen. Bleibt hier und trinkt einen mit uns. Ihr könnt im Morgengrauen aufbrechen."

Dannyl und Kito tauschten einen Blick. Jorend hatte gar nicht so unrecht. Der Mond würde erst spät aufgehen und die Sonne stand tief über dem Horizont. Bis sie die Stadtmauern hinter sich gelassen hatten, würde es beinahe vollständig dunkel sein. Und wenn Kito eingeschlafen war, konnte Dannyl per Blutjuwel Bericht erstatten. Das Ergebnis ihrer Audienz war wichtig genug, um den schwarzen Magier zu stören. Die Gilde musste die Ergebnisse ihres Aufenthaltes in Arvice zu erfahren, damit sie sich vorbereiten konnte.

„Was meinst du, Keno?"

Der Vindo berührte unauffällig Dannyls Arm.

- Die Sachakaner werden wohl kaum heute Nacht nach Kyralia marschieren, sandte er. Marika muss noch immer den Rest seiner Ashaki überzeugen, mit den Ichani zusammenzuarbeiten. Auf ein paar Stunden kommt es jetzt auch nicht mehr an. Vielleicht wird es uns nach diesem Nachmittag sogar guttun. Wir haben diesen Männern viel zu verdanken.

- Ja, stimmte Dannyl zu. Lass es uns so machen. Wenn wir morgen schneller reisen, haben wir die Verzögerung rasch wieder aufgeholt.

„Ihr habt uns überredet", sagte er zu den elynischen Händlern. „Wir bleiben noch bis morgen früh."

Der rothaarige Tuchhändler lachte schallend. „Dann kommt, Curran und Keno. Gleich ist Essenszeit."

Dannyl und Kito folgten den Händlern zurück in die Herberge. Die Elyner hielten direkt auf den Gemeinschaftsraum zu, in dem sie bereits viele gesellige Abende verbracht hatten. Dannyl verspürte einen Anflug von Wehmut. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie sehr ihm die Männer der Händlerkarawane ans Herz gewachsen waren.

Rodane und Santerne saßen an einem der Tische, vor ihnen standen mehrere Becher mit Wein. Als sie Dannyl und Kito erblickten, begannen sie zu jubeln.

„Ich wusste, du würdest sie überreden können, nicht heimlich zu verschwinden!", rief der Gewürzhändler.

Jorend lachte erneut. „Bedank dich bei Marcone."

Dannyl und Kito nahmen Platz. Ein Sklave brachte ihnen Becher und eine weitere Flasche Wein. Anders als im Palast oder den Herrenhäusern der Ashaki wurden sie zwar von Sklaven bedient, nahmen ihre Mahlzeiten jedoch an einem Tisch ein. Der Wirt der Herberge hatte ihnen erklärt, dass sich die meisten Händler unwohl dabei fühlten, auf sachakanische Art bedient zu werden.

„Also Curran", begann Jorend. „Warum wollt Ihr so unerwartet nach Kyralia zurück? Euer Wein hat sich doch so ausgezeichnet verkauft."

Ein Teil von Dannyl wünschte, ihnen die Wahrheit sagen zu können. Doch er musste an die Sicherheit der Händler denken. Sie einer Gefahr auszusetzen, indem er seine und Kitos Identität offenbarte, war absolut undenkbar.

„Wir haben etwas erfahren, was es erforderlich macht, zu unserer Hauptniederlassung zurückzukehren", antwortete er. „Ich würde Euch gerne sagen, um was es geht, aber das ist leider ein Geschäftsgeheimnis."

Die Händler würden noch früh genug erfahren, was vor sich ging. Es mochte nicht fair sein, es ihnen zu verschweigen, aber Dannyl wollte sie nicht beunruhigen, da keine unmittelbare Gefahr für Elyne bestand.

„Das ist verständlich", sagte Jorend. „Ich spreche sicher im Namen aller, wenn ich sage, dass es mir eine Ehre war, Euch zwei in unserer Karawane gehabt zu haben." Seine Gefährten nickten zustimmend. „Sollte Euch Euer Weg noch einmal von Elyne nach Arvice führen, so seid Ihr bei uns jederzeit willkommen."

„Danke", erwiderte Dannyl tief bewegt und auch Kito murmelte einen Dank. Er trank einen Schluck Wein. „Wann kehrt Ihr zurück nach Elyne?"

„Spätestens Ende der Woche", antwortete Jorend. „Arlend und ich werden unsere Ware bis dahin verkauft haben. Santerne ist jetzt schon nahezu alle seine Gewürze losgeworden. Er wird sich noch ein paar freie Tage gönnen können."

Der Gewürzhändler hob grinsend seinen Becher. „Die habe ich mir auch redlich verdient."

„Also ob du während unserer Heimreise nicht noch genug Gelegenheit hättest, dich auszuruhen", entgegnete Rodane.

„Ein von Gorin gezogener Karren ist nicht einmal halb so komfortabel, wie ein gemütliches Bett", gab Santerne zurück.

Die Händler brachen in schallendes Gelächter aus. Dannyl unterdrückte ein wehmütiges Seufzen. Er würde diese heiteren Abende vermissen. Er wusste Kitos Gesellschaft zu schätzen, aber wenn sie auf dem langen Weg nach Kyralia allein mit ihren Sorgen waren, würde die ihnen Zeit lang werden.

Sklaven servierten das Abendessen. Obwohl Dannyl sich noch immer ein wenig elend fühlte, zwang er sich, etwas zu essen. Seine letzte Mahlzeit hatte er am Morgen eingenommen. Zudem würde er sich während der nächsten Wochen nur von Brot, Pökelfleisch und getrockneten Früchten ernähren.

Als die Sklaven die letzten Schüsseln und Platten von den Tischen räumten, betrat der Wirt den Raum. „Botschafter Dannyl, Auslandsadministrator Kito von der Magiergilde!", rief er. „Die königliche Palastgarde erwartet Euch im Hof."

Dannyls Herz setzte einen Schlag aus. Das Gelächter und die Gespräche der Gäste erstarben.

„Das kann nichts Gutes bedeuten", murmelte Kito und sprach damit aus, was Dannyl dachte.

„Das fürchte ich auch", erwiderte er. Marika würde seine Wachen kaum geschickt haben, um ihm und Kito auszurichten, dass er es sich anders überlegt habe und zu einem Frieden bereit war. Aber was sollten sie tun?

„Wir sollten uns schnell etwas überlegen", raunte Kito. „Sie werden nicht viel Geduld haben."

Dannyl dachte fieberhaft nach. Sie wussten weder, ob Marikas Leute die Herberge umstellt hatten oder ob sie das Gebäude auseinandernehmen würden, um ihn und Kito zu finden. Wahrscheinlich würden sie nicht weit kommen, wenn sie versuchten, sich hier herauszukämpfen. Die Palastwache würde nicht davor zurückschrecken, sie zu töten. Menschenleben waren in Sachaka wertlos. Und sie befanden sich nicht mehr im Palast, wo sie durch die Regeln der Diplomatie geschützt waren.

Dannyl brauchte nicht lange, um seine Entscheidung zu treffen. Er und Kito würden in Arvice sterben. Er würde Tayend niemals wiedersehen. Wenn es ihm jedoch noch rechtzeitig gelang, durch das Blutjuwel eine Warnung an die Gilde zu schicken, dann würde sein Tod wenigstens nicht vollkommen sinnlos gewesen sein.

„Wir stellen uns ihnen", entschied er. Als er die Worte aussprach, wurde sein Herz schwer. Plötzlich erkannte er, dass es die ganze Zeit auf das hier hinausgelaufen war.

Die Augen des Vindo weiteten sich. „Dannyl, dann wird die Gilde niemals erfahren, was wir herausgefunden haben."

Dannyl zog das Blutjuwel aus einer Tasche seiner Hose hervor. „Doch, das wird sie."

„Ist es das, wofür ich es halte?", hauchte Kito.

Dannyl nickte. „Akkarin es mir mitgegeben für den Fall, dass wir in eine Situation wie diese geraten."

„Moment mal", mischte sich Santerne ein. „Ihr zwei seid gar keine Weinhändler?"

„Fällt dir das auch endlich auf?", brummte Marcone.

„Meinen Respekt", polterte Rodane. „Ihr zwei wart wirklich überzeugend!"

„Curran – oder wie Ihr auch immer heißen möget – könnt Ihr uns bitte erklären, was hier los ist?", verlangte Jorend.

Dannyl seufzte. In wenigen Worten erklärte er den Händlern, wer er und Kito waren und was ihr Auftrag gewesen war. „Es tut mir leid, dass Ihr es auf diese Weise erfahren müsst", endete er. „Wir mussten Euch das alles zu Eurer eigenen Sicherheit verschweigen."

„Wir werden Euch helfen, zu entkommen", erklärte Jorend. „Dann muss niemand sich der Palastgarde stellen."

„Ihr solltet Euer Leben nicht für uns riskieren", sagte Kito. „Selbst für uns ist es gefährlich, sich mit sachakanischen Magier anzulegen. Bringt Euch lieber in Sicherheit." Er sah zu Dannyl. „Ich werde sie aufhalten und dir etwas Zeit verschaffen, damit du der Gilde Bericht erstatten kannst."

„Nein", sagte Dannyl scharf, ahnend, was Kito vorhatte. „Ich bin stärker, ich kann sie länger aufhalten." Auch wenn es sich dabei wahrscheinlich nur um wenige Augenblicke handeln wird, fügte er in Gedanken hinzu. Er hielt ihm das Blutjuwel hin. „Du solltest gehen. Vielleicht gelingt es dir, zu entkommen. Denk an deine Familie."

„Dannyl, du bist kein ausgebildeter Krieger. Ich hingegen schon. Und", fügte Kito mit einem schiefen Lächeln hinzu, „du bist der bessere Diplomat. Behalte das Blutjuwel. Die Gilde braucht dich mehr als mich."

„Wenn du bleibst, dann bleibe ich auch", erklärte Dannyl stur. „Zusammen können wir mehr gegen sie ausrichten. Wenn ich dir meine Kraft leihe, reicht die Zeit vielleicht, um alle Informationen an die Gilde zu übermitteln."

„Es besteht kein Grund, dass wir beide sterben". Der Vindo griff unter seinen Mantel. „Hier", sagte er und zog die Kette heraus, die er für seine Frau gekauft hatte. „Sorg dafür, dass Ginga sie bekommt."

„Lord Dannyl, gebt mir Euren Umhang", unterbrach der Gewürzhändler ihren Streit. „Ich habe ungefähr Eure Statur. Wenn ich mich unter der Kapuze verberge, werden die Sachakaner nicht sofort bemerken, dass nicht Ihr es seid. Ich werde mit Eurem Kollegen nach draußen gehen. Dann könnt Ihr fliehen."

„Santerne …", begann Dannyl und erstarrte. Was der Händler vorhatte, war völlig verrückt. Glaubte er ernsthaft, Marikas Magier würden ihm nichts antun, wenn sie herausfanden, dass er nicht der Botschafter von Elyne war?

Schwere Schritte näherten sich. Mehrere Männer in der Uniform der Palastwache hatten den Raum betreten. Dannyl erstarrte. Sie hatten sich zu viel Zeit gelassen. Aber machte das überhaupt noch einen Unterschied?

„Auf Erlass von König Marika, Sohn des Vareka, Herrscher über Sachaka ist ab sofort ein Kopfgeld von einhundert sachakanischen Goldstücken auf jeden Gildenmagier ausgesetzt, der sich unerlaubt auf unserem Territorium befindet", verkündete der Mann, der ihnen am nächsten stand. „Das widerrechtliche Betreten des sachakanischen Reiches durch Magier der Gilde wird mit dem Tod bestraft."

Der Mann ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. „Wer von Euch ist Auslandsadministrator Kito?"

„Ich", sagte Kito mit fester Stimme und erhob sich.

„Botschafter Dannyl?"

Dannyl öffnete den Mund, doch Santerne kam ihm zuvor.

Ich bin Botschafter Dannyl", erklärte der Gewürzhändler und stellte sich neben Kito.

Der Mann von der Palastwache musterte ihn misstrauisch. „Ist Dannyl nicht ein kyralischer Name?"

„Ich bin zur Hälfte Elyner und zur anderen Kyralier", antwortete Santerne ernsthaft.

Dannyls Hand schloss sich um das Blutjuwel. Er musste verhindern, dass dieser Mann sich für ihn opferte. „Ich bin Botschafter Dannyl", sagte er. „Dieser Mann ist ein Gewürzhändler aus Elyne. Sein Name ist Santerne. Ich verlange, dass er aus dieser Angelegenheit herausgehalten wird."

Die Palastwache lächelte kalt. „Das lässt sich herausfinden."

Er machte einen Schritt auf Santerne zu. Der Gewürzhändler wich zurück und stieß gegen eine unsichtbare Wand. Die Palastwache blieb vor ihm stehen und presste seine Hände auf die Schläfen des Elyners. Ich hätte damit rechnen müssen, dass so etwas passiert, dachte Dannyl entsetzt. Wir hätten verschwinden sollen, als wir noch die Gelegenheit dazu hatten.

„Genug!", rief eine scharfe Stimme. Die Männer der Palastgarde teilten sich, als Ivasako zwischen ihnen hindurchschritt, gefolgt von drei weiteren Palastwachen. Der Magier ließ von seinem Opfer ab. Santerne brach zusammen und blieb reglos am Boden liegen. Dannyl eilte zu ihm und untersuchte ihn. Zu seiner Erleichterung war der Gewürzhändler noch am Leben, wenn auch er ohnmächtig war.

„Es ist, wie er sagt, Meister Ivasako. Er handelt tatsächlich mit Gewürzen", erklärte die Palastwache und trat zur Seite.

„Dein übereifriges Handeln wird bestraft werden, Hamiko", sagte Ivasako hart. Er sah zu Dannyl und Kito. „Der König hat Eure sofortige Exekution befohlen. Es ist nicht nötig, dass Zivilisten zu Schaden kommen. Folgt uns in den Hof."

Entsetzt betrachtete Dannyl Marikas Sekretär. „Wir sind Diplomaten!", sagte er. „Wir genießen internationalen Schutz."

„Wir sind nicht in den Verbündeten Ländern", entgegnete Ivasako. „Den König interessieren Eure Regeln nicht."

„Gebt uns freies Geleit bis zur Grenze", verlangte Dannyl. „Und wir werden dafür sorgen, dass keine weiteren Gildenmagier dieses Land je betreten."

„Der König ist nicht in der Stimmung, Ausnahmen zu machen."

Sie hatten den König verärgert, erkannte Dannyl. Jedoch nicht mit ihrem Versuch zu verhandeln, sondern mit dem Tod seines Ashaki. Und vergalt Marika das mit seinem und Kitos Tod und dem eines jeden Gildenmagiers, der je nach Sachaka reisen würde. In jedem Verbündeten Land würde die Ermordung von Diplomaten politische Konsequenzen nach sich ziehen. Doch Marika hatte an diesem Tag bereits bewiesen, dass ihm an Diplomatie nicht gelegen war. Er wollte Krieg.

„Auslandsadministrator Kito, Botschafter Dannyl", sagte Marikas Sekretär ungehalten, „folgt uns nach draußen."

Kitos Augen blitzten zu Dannyl. „Es war mir eine Ehre, mit dir zu arbeiten und dein Freund zu sein", sagte er leise. Er drückte Dannyl die Kette in die Hand.

Plötzlich war Dannyls Kehle trocken.

„Mir auch", wollte er sagen, doch dann explodierte die Decke über ihren Köpfen. Steine, Ziegeln und zerborstene Holzbalken regneten herab und prallten von einem unsichtbaren Schild ab, den Kito um sie beide und die Händler errichtet hatte. Schreie hallten durch den Raum. Einige Palastwachen wurden von Trümmern getroffen.

„Alle Gäste raus hier!", brüllte Kito. Er attackierte die bereits verwundeten Palastwachen. Dannyl legte eine Hand auf die Schulter des Vindo und steuerte seine Kraft bei. Die Palastgarde konterte mit Feuerschlägen, unter denen der Schild rasch bedrohlich zu glühen begann.

„Dannyl, verschwinde!", zischte Kito. „Ich werde dir etwas Zeit verschaffen."

Dannyl zögerte. Er war hin und hergerissen dazwischen, den Befehl zu befolgen und sich in Sicherheit zu bringen, um Akkarin Bericht zu erstatten, und seinem Freund beizustehen. Er sah sich um. Die meisten Händler und auch die übrigen Gäste hatten Kitos Befehl bereits befolgt und waren aus dem Gemeinschaftsraum geflohen. Jorend und Rodane hatten Santerne hinausgetragen. Zu Dannyls Erleichterung war niemand durch die heruntergefallenen Trümmer zu Schaden gekommen. Dazwischen entdeckte er jedoch die reglosen Körper einiger vertrauter Gestalten, deren Körper Brandwunden abbekommen hatten, als sie in den Angriff der Palastwachen geraten waren.

„Wenn ich jetzt gehe, werde ich mir für den Rest meines Lebens nicht verzeihen, dass ich dich im Stich gelassen habe", erwiderte er.

„Das ist ein Befehl, Botschafter!", zischte Kito, während er sich gegen die geballte Kraft Palastgarde zur Wehr zu setzen versuchte. „Das ist die falsche Zeit für Heldentum. Wir können zu zweit nicht gegen zehn schwarze Magier bestehen. Geh jetzt, ich werde nachkommen." Er sandte zwei gezielte Kraftschläge auf Ivasako und wich zur Wand zurück. „Wir treffen uns dort, wo wir zuletzt auf dem Weg nach Arvice gelagert haben."

Etwas in Dannyls Rücken zerbarst. Er fuhr herum. Dort wo sich soeben noch eine Mauer befunden hatte, klaffte nun ein Loch.

„Geh!", wiederholte Kito eindringlich.

Dannyl war wie gelähmt, doch er wusste, dass er keine Wahl hatte, wenn zumindest einer von ihnen lange genug überleben sollte, um die Ergebnisse ihrer Mission nach Imardin zu übermitteln. Seine und Kitos Magie würde dafür nicht ausreichen, wenn sie derweil kämpften, die Palastwache würde sie vorher erschöpft haben. Reiß dich zusammen!, befahl er sich. Die Gilde braucht dich!

Er schluckte hart und sah zu Kito. „Viel Glück", wünschte er.

Der Vindo wandte sich um. Seine schwarzen Augen glänzten.

„Dir auch."

Dannyl rang sich ein Lächeln ab. Einen letzten Blick auf die Palastwachen werfend, rannte er durch das Loch in einen dahinterliegenden Schlafraum.

„Er versucht zu fliehen!", rief jemand hinter ihm.

Dannyl streckte seinen Willen aus und riss die Außenwand vor sich ein.

Dann wurde die Welt um ihn in blendendes Weiß getaucht.


Irgendetwas war unwiderruflich wiederhergestellt. Sonea lag auf dem Bauch, das Gesicht zur Seite gedreht. Sie verspürte eine Glückseligkeit, von der sie nicht erwartet hatte, sie so bald wieder zu erleben. Auf dem Nachttisch neben ihr standen eine angebrochene Flasche Wein und zwei halb gefüllte Gläser. Das Schlafzimmer wurde von dem gedämpften Licht unzähliger, winziger überall verteilter Lichtkugeln erhellt. Es war warm und behaglich. Sie wünschte, dieser Augenblick würde die enden.

Akkarin lag auf ihr, ohne sie mit seinem Gewicht zu erdrücken. Mit einer freien Hand strich er die Haare aus ihrem Gesicht und küsste ihre Halsbeuge und ihre Schulter. Seine Berührungen lösten einen angenehmen Schauer aus. Obwohl das Echo ihrer Lust längst verhallt war, verweilte seine Präsenz noch immer in ihr. Was er ihr zeigte, beseitigte auch die letzten Zweifel, die Sonea seit jener Nacht, in der sie die Sachakaner gejagt hatten, geplagt hatten.

An diesem Abend hatten sie nicht experimentiert. Stattdessen waren sie zu Bett gegangen, nachdem Sonea ihre Hausaufgaben für den nächsten Tag erledigt hatte.

„Wir sollten unsere Prioritäten für einen Abend auf uns fokussieren", hatte Akkarin auf Soneas verwirrte Frage hin dazu nur gesagt. „Alles andere würde uns mehr schaden als nutzen."

Wie sich herausgestellt hatte, war dies genau das Richtige gewesen. Sonea konnte nicht sagen, wie oder warum, doch der nervenaufreibende Unterricht im Dome und dieser Abend hatten auf wundersame Weise etwas zwischen ihnen zum Positiven zurück verändert.

Zu Soneas Erleichterung nahm Akkarin es ihr nicht übel, dass sie an seinen Gefühlen gezweifelt hatte. Sie verstand jetzt, dass er sich niemals auf eine Beziehung mit ihr eingelassen und sie niemals gebeten hätte, seine Frau zu werden, wäre er sich dessen nicht absolut sicher gewesen. Isara gehörte einer Vergangenheit an, die lange vor ihr gewesen war. Sonea wollte gar nicht mehr wissen, ob Akkarin diese Frau mehr als sie geliebt hatte oder wie viel er jetzt noch für sie empfand. Was sie an diesem Abend geteilt hatten, hatte einzig ihr gegolten. Es war so intensiv und überwältigend gewesen, dass ihre Sorgen und Ängste der letzten Tage albern erschienen.

„Ich habe dir so fürchterliches Unrecht getan", flüsterte sie. „Das tut mir so leid."

„Das braucht es nicht", erwiderte er. „Du hast aufgehört zu zweifeln, dein Zorn ist verschwunden. Das genügt mir."

Er küsste den Haaransatz hinter ihrem Ohr. Dann zog er sich aus ihr zurück und rollte sich auf den Rücken, einen Arm einladend über die Kissen gelegt.

„Komm her."

Sonea gehorchte und kuschelte sich an seine Schulter. Eine Weile hielt er sie einfach nur fest. Das Gefühl von seiner Haut auf ihrer war tröstlich und vertraut. Es fühlte sich unverdient an. In den letzten Tagen hatte sie ihn wieder und wieder zurückgewiesen, wenn auch meist unbewusst. Sie verspürte den Drang, es wieder gutzumachen.

„Es ist in Ordnung", sagte er. „Hör auf zu grübeln."

Sonea lächelte. Anscheinend hatte sie auch wieder aufgehört, ihre Gedanken von ihm zu verbergen. Das war gut, denn es bedeutete, dass zwischen ihnen wieder alles in Ordnung war. Und es war so viel bequemer, als wenn sie versuchte, ihre Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen.

Allmählich wurde Sonea ruhiger und ihre Gedanken kehrten wieder zu ihrem Kampf im Dome zurück. Sie überlegte schon den ganzen Abend, wie sie ihn darauf ansprechen sollte, fürchtend, es könne zu persönlich sein.

„Sag mir, was dich beschäftigt", verlangte Akkarin.

Sonea zögerte. Natürlich war ihm das nicht entgangen, wenn auch dieser Teil ihrer Gedanken weniger klar definiert für ihn schien. Es war ihr noch immer ein Rätsel, warum er manchmal genau wusste, was sie dachte und manchmal überhaupt nicht oder nur vage. Ob er meine Gedanken gerade nicht lesen kann, weil ich mich davor fürchte, ihn das zu fragen?, überlegte sie.

Einen tiefen Atemzug nehmend, sammelte Sonea all ihren Mut. „Wie ist es dir vorhin gelungen, den Kraftfluss zu stoppen?"

Akkarin schwieg.

Also war es doch zu persönlich, dachte Sonea. Sie hätte nicht fragen sollen. Aber sie hatte das Gefühl gehabt, es wissen zu müssen, da sie das nur von ihm lernen konnte. Vielleicht half ihr dieses Wissen, es eines Tages selbst zu schaffen.

„Ich habe an Dakova gedacht", antwortete Akkarin schließlich. Seine Stimme war leise, aber von einem unterdrückten Zorn erfüllt. „Fünf Jahre lang hat er jeden Tag meine Kraft genommen ohne, dass ich es verhindern konnte. Das ist mehr als genug, um die nötige Willenskraft aufzubringen."

Das erklärte natürlich, warum es ihr so viel schwerer fiel, das Abfließen ihrer Kraft aufzuhalten. Sonea erschauderte. Wie schrecklich musste es für ihn gewesen sein, das Tag für Tag zu ertragen? Sie versuchte, sich das vorzustellen und scheiterte an ihrem eigenen Entsetzen.

Ihre Hand strich über die Narbe auf seiner Brust. „Jetzt verstehe ich, warum mir das so schwerfällt", sagte sie leise. „Eine solche Erfahrung habe ich nie gemacht."

„Es ist mir lieber, wenn du auf diese Erfahrung verzichtest", entgegnete er hart.

Sonea zuckte zusammen. Sie hatte nicht implizieren wollen, dass sie etwas Ähnliches erleben wollte, wie Akkarin als er in Sachaka gewesen war. Die wenigen Erinnerungen daran, wie sie von einem Sachakaner auf diese Weise fast getötet worden wäre, waren nicht stark genug, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Das eine Mal war es ihr gelungen, sich rechtzeitig zu heilen, während das andere Mal Akkarin ihr zur Hilfe geeilt war. Sie wusste, sie würde niemals genügend Zorn sich vereinen können, dass sie die nötige Willenskraft heraufbeschwören konnte, um das Abfließen ihrer Magie zu verhindern.

Und das wollte sie auch gar nicht. Nicht für einen solchen Preis.

Akkarin strich über ihr Haar. „Als Frau würde dir in Sachaka noch viel Schlimmeres widerfahren, als ich es damals erlebt habe", fuhr er ein wenig weicher fort. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie, so fest, dass ihre Knöchel schmerzten. „Allein die Vorstellung, dass du in die Hände der Sachakaner gerätst, erfüllt mich mit unvorstellbarem Zorn."

Seine Reaktion erschreckte Sonea. Aber sie verstand. Wenn sie daran dachte, was er erlebt hatte, konnte sie sich nur zu gut vorstellen, was gerade in ihm vorging.

„Ist dir diese Idee mit Dakova erst heute gekommen?", fragte sie.

„Nein", antwortete er. „Ich benutze diese Erinnerungen, seit du das erste Mal meine Kraft genommen hast. Es ist jedoch schwierig, diese Gedanken festzuhalten. Den damit verbundenen Zorn heraufzubeschwören war anfangs nahezu unmöglich. Deswegen haben wir wochenlang diese Konzentrationsübungen gemacht."

Sonea nahm diese Worte in sich auf. Allein sich dabei auf eine einzige Sache zu konzentrieren, erforderte sehr viel Willenskraft. Sie nahm sich vor, es so zu versuchen, wie Akkarin es tat. Auch wenn es für sie sehr viel schwieriger werden würde, weil sie nichts hatte, das ihr die nötige Entschlossenheit verlieh.

Sie richtete sich ein wenig auf und sah ihn an. „Danke, dass du mir das erzählt hast. Ich werde es natürlich für mich behalten."

Akkarin bedachte sie mit seinem Halblächeln. Er zog ihren Kopf herab und küsste sie. „Ich habe nichts anderes erwartet", erwiderte er.

Sonea spürte neuerliches Verlangen in sich aufwallen. Mit einer Hand strich sie seinen Oberkörper hinab. Zum ersten Mal kümmerte es sie nicht, ob Ikaro mit seinen Worten in jener Nacht Recht gehabt hatte. Sie war Akkarin alles andere als egal. Was sie empfand, ging weit über Liebe hinaus. Solange er ihr Vertrauen nicht missbrauchte oder ihr weh tat, solange würde sie alles sein, von dem er wollte, das sie es war.

Akkarins Hand schloss sich um ihren Nacken und drückte sie nach unten. Soneas Lippen streiften seine Brust und seinen Bauch. Als sie seinen Schoß erreichte, fuhr seine Hand in das Haar an ihrem Hinterkopf und wickelte es um sein Handgelenk. Sein Griff war fest, aber nicht unangenehm und erinnerte sie daran, dass sie besser daran tat keinen Widerstand zu leisten. Doch an diesem Abend wollte sich ihm einfach nur hingeben. Und das nicht nur, weil sie das Gefühl hatte, sie müsse die letzten Tage wiedergutmachen. Sondern weil es für sie um so viel mehr ging …

Plötzlich spürte sie eine Welle von Schmerz und Panik. Ein Bild blitzte vor ihren Augen auf. Ein halb zerstörtes Gebäude, Männer in seltsamen Uniformen. Ein roter Blitz, der direkt auf sie zuschoss. Todesangst.

Dann hörte es auf.

Sonea keuchte auf und ließ von Akkarin ab. Entsetzt richtete sie sich auf und starrte ihn an. Sie wollte fragen, ob er dasselbe gesehen hatte. Doch sein Gesichtsausdruck erübrigte jede Frage.

„Was war das?", fragte sie.

„Das war Kito."


Sachakanisch – Kyralisch

Ricayo mi oyoni-zichaha Kito ricayo na ehizi-cha mi Vin nuta Lord Dannyl, sachivo echidase mi ayachala vi Elyne. - Auslandsadministrator Kito von den Vin-Inseln und Lord Dannyl, zweiter Botschafter der Magiergilde in Elyne.

Ah, charo suso sharyia-cha-ayachala. Natonato vi micha yaramasa-vidaha. - Ah, die beiden Gildenmagier. Ich heiße Euch in meinem Palast willkommen.

Aze ayasaha, veltaze kami sha'kezacha ovachaha. - Euer Majestät, wir danken Euch, dass Ihr uns diese Audienz gewährt.

Sha'avaco. - Erhebt Euch.

Kuto ize. Sha'risaha nuyi kuso. - Du auch. Lass uns allein.