Die warmen Sonnenstrahlen fielen durch das geöffnete Fenster. An der gegenüberliegenden Wand zeichnete sich die Schattensilhouette einer Hexe ab, die sich auf der breiten Fensterbank sitzend tief in Gedanken versunken ihrem Buch widmete: Hermine Granger, die klügste Hexe der ganzen Welt. Möglichst leise trug Eleven einen leeren Teller in die Küche. Hermine hatte sie noch nicht bemerkt. Und darauf war sie sehr stolz. Arbeitsam und unauffällig half sie der Hexe beim Putzen der kleinen Wohnung, genau wie es sich für eine gute Hauselfe gehörte.
Andererseits hätte Eleven nichts gegen einen kleinen Plausch mit Hermine einzuwenden gehabt. Es gab nicht viele Hexen oder gar Zauberer, die sich die Mühe machten, mehr als nötig mit einem von ihnen zu reden. Hermine war anders. Zuerst hatte Hermine ihr in endlosen Monologen die traurige Situation von Hauselfen und Hauselfinnen erörtert. Eleven hatte immer fleißig genickt, das schien Hermine gut zu gefallen. Nach vielen, vielen Tagen waren Hermine keine neuen Geschichten zur traurigen Situation der Hauselfen und Hauselfinnen mehr eingefallen. Anfangs hatte sie einfach die alten Geschichten wiederholt, doch dann, an einem Montagmorgen vor ziemlich genau einem Monat hatten sie sich über ein Buch unterhalten, das Hermine gerade gelesen hatte. Einfach so.
Eleven packte einen Stuhl an seiner hohen Lehne und schob ihn unter den Esstisch. Das leise kratzende Geräusch, das die Stuhlbeine auf dem steinernen Boden verursachten, erregte Hermines Aufmerksamkeit. Die Hexe sah einen Moment von ihrem Buch auf und nickte ihr freundlich zu, doch als Eleven die Hand hob, um zu winken, hatte Hermine sich bereits wieder in das Buch vertieft.
Hermine ließ ihren Finger über die geheimnisvollen Zeichen gleiten, während sie mechanisch das Gedicht herunterbetete. Sie war ganz sicher, dass sie sich jedes Wort genau eingeprägt hatte. Sie hatte sich auch kleine Markierungen auf die Buchseite gemalt, dort, wo sie das Ende von Versen und Strophen vermutete. Wahrscheinlich hatten sich hier ein paar Ungenauigkeiten eingeschlichen, aber sie versuchte natürlich weiter, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Am Ende musste sie sich jedoch eingestehen, dass sie seit Tagen keinen Schritt vorangekommen war. Das Buch blieb ein Rätsel, die Geheimschrift war für sie nur ein Haufen zusammenhangsloser Zeichen.
Für gewöhnlich besaß sie genug Ehrgeiz, das Wissen und auch die nötige Ausdauer, um selbst schwierigste Aufgaben zu lösen. Für gewöhnlich lieferten Aufgaben jedoch wenigstens einen kleinen Angriffspunkt, an dem man sich abarbeiten konnte. Dieses Buch aber gefiel sich darin, ein Buch mit sieben Siegeln zu bleiben. Es gab keinen sichtbaren Anfang, keine Spur zu verfolgen, das Ende war somit erst recht nicht in Sicht. Das Gefühl der absoluten Ahnungslosigkeit, das seit Tagen immer stärker wurde, wich langsam aber sicher totaler Frustration.
Hermine hörte ein kurzes Mauzen, im nächsten Moment sprang Krummbein mit einem Satz aufs innenliegende Fensterbrett. Wahrscheinlich hatte Eleven den Kniesel von seinem Lieblingsplatz auf dem Bett vertrieben, um das Bettzeug aufzuschütteln, und nun versuchte der alte Herr auf seinem zweitliebsten Platz auf dem Fenstersims sein Glück. Doch auf dem großen sonnenverblichenen weinroten Sitzkissen, das bei gutem Wetter meist den ganzen Tag auf den mächtigen Mauern des Ravenclawturmes lag, saß bereits Hermine, die nicht gewillt war, das Feld zu räumen.
Immerhin hob sie kurz beide Arme nebst Buch ein wenig an und lud Krummbein ein, es sich auf ihrem Schoß gemütlich zu machen. Argwöhnisch überlegend taxierte der Kniesel seine Möglichkeiten und stieg dann vorsichtig auf Hermines Beine. Dort drehte er sich im Kreis, bis er sich nach einigen tapsigen Runden niederließ. Hermine streichelte ihn sanft hinter den Ohren, dann im Nacken. Nach einigen Minuten blickte Krummbein tief brummend zufrieden in die Ferne. Mit neuem Eifer widmete sich Hermine DEM Buch.
Das Buch. Es hatte sie wieder! Eleven seufzte. Kurz hatte sie gehofft, Krummbein würde Hermine von der Fensterbank vertreiben, doch nun saßen beide dort. So blieb ihr nur, mit flinken Händen den Abwasch zu erledigen. Es klirrte leise, wenn sie die Tassen zum Trocknen in den Korb stellte. Nun, Hermine hatte sie schon bemerkt, jedoch schien die Hexe seit Tagen nur mit diesem Buch beschäftigt zu sein. Da hatte sich der Herr Malfoy mit seinem Buch einen schlimmen Schabernack erlaubt, und es gefiel Eleven überhaupt nicht, dass ihre Hermine von Tag zu Tag hilfloser dreinschaute.
Natürlich wusste Eleven, dass Hermine die schlaueste Hexe der ganzen Welt war. Aber genau das schien in diesem Fall ein Teil des Problems zu sein. Die tiefen Faltengräben auf ihrer Stirn würden Hermine kaum zur Lösung führen. Und auch Nägelknabbern hatte selten zur Erleuchtung beigetragen. Aber natürlich WUSSTE Eleven, dass Hermine das Rätsel lösen musste. So viel hing davon ab. Aber auf diese Art und Weise würde es in zehn kalten Wintern nichts werden. Und wirklich kalte Winter wurden immer seltener!
Mit dem Zeigefinger zog sie zittrig eine von den hässlichen gelben Tassen aus dem Korb. Einen Moment überlegte sie noch, doch dann war es auch schon geschehen. Die Tasse glitt hinab, ein kurzer Augenblick nur, dann zerschellte das irdene Geschirr auf dem grauen Steinboden. Das klirrende Scheppern war zufriedenstellend laut, die Scherben spritzten umher. Eleven fluchte lauter als gewöhnlich. (Für gewöhnlich fluchen gut erzogene Hauselfen in Gegenwart von Zauberern und Hexen überhaupt nicht!) Mit einem Fingerschnippsen versammelte Eleven alle Scherben auf einem kleinen Häufchen, dann blickte sie mit hängenden Ohren gebannt zum Fenster.
Hermine blickte stirnrunzelnd in die Ferne. Ihre Gedanken gingen spazieren, selbst das laute Klirren und das wütende Fluchen aus der Küche konnten sie nicht zurückbringen. Dunkle Rauchsäulen standen hier und da über dem Verbotenen Wald. Es brannte schon wieder, irgendwo, etliche Kilometer von Hogwarts entfernt, dort wo niemand mit gesundem Menschenverstand freiwillig hinging. Von Hagrid hatte sie gehört, dass dort Hexen und Zauberer in kleinen verstreuten Siedlungen lebten. Hin und wieder besuchte er ihre Märkte im Wald, um einzukaufen.
Hermine verzog den Mund. Der Wind stand ungünstig und trieb den stinkenden Qualm direkt aufs Schloss. Auch mit viel gutem Willen konnte sie den beißenden Geruch nicht ignorieren, der ihr jetzt in die Nase stieg. Seufzend vertrieb sie Krummbein von ihrem Schoß, legte das Buch innen auf die Fensterbank und hievte vorsichtigen ihren Hintern seitlich über den Fensterrahmen. Zum Schluss schwang sie ihre Beine mit wohlberechnetem Schwung vom Fenstersims ins Innere und ließ sich auf den sicheren Boden ihrer Wohnung hinabgleiten. Dann schloss sie resolut das Fenster.
„Madam Hermine…"
Eine recht jämmerliche dreinblickende Hauselfe mit tief hängenden Ohren hielt ihr eine große gelbe Scherbe entgegen. Hermine verzog amüsiert den Mund. Die Scherbe gehörte offensichtlich zu einer der gelben Tassen, die ihre Mutter ihr vor drei Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Ihre Mutter hatte einen Töpferkurs belegt und es sich nicht nehmen lassen, ganze drei Stück von diesen unförmigen Pötten anzufertigen. Nun, jetzt besaß sie nur noch zwei. Hermine überlegte kurz, das kleine Missgeschick der Elfe mit einem Reparo ungeschehen zu machen, entschied sich aber recht schnell dagegen. Es war eh immer zu wenig Platz auf ihrem Tassenregal.
„Pack die Scherben einfach vorsichtig in den Müll", sagte sie. „Und eigentlich könnte ich ganz gut einen Tee gebrauchen. Wie steht es mit dir?"
Die Ohren der Hauselfe schnellten nach oben, dann eilte Eleven auch schon in die Küche. Hermine lächelte zufrieden. Natürlich hätte sie den Tee auch selbst zubereiten können, aber das hätte Eleven nur halb so viel Freude bereitet. Soviel hatte sie bereits verstanden. Eigentlich war es gar nicht so schwer – trotzdem fühlte es sich etwas merkwürdig an, sich einfach auf das Sofa zu setzen und zu warten, bis die Elfe mit dem Tee wiederkam.
Hermine saß auf dem Sofa. Das Buch lag immer noch auf der Fensterbank. Dort konnte es auch liegen bleiben, bis es unter einen dicken Schicht Staub verschwunden war. Nun, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde Eleven dafür sorgen, dass das Buch nicht unter einer Staubschicht einfach so verschwand. Und immer, wenn Hermine, wie jetzt gerade eben, auf dem Sofa saß, würde das Buch sie anstarren. Natürlich würde sie zurückstarren, aber das Buch würde sich überhaupt nichts daraus machen. Es würde ihre bösen Blicke mit einer Gelassenheit hinnehmen, die Hermine schon jetzt furchtbar zu ärgern begann.
„Das Buch scheint dir aufs Gemüt zu schlagen", bemerkte Eleven beiläufig, während sie das Tablett mit Teekanne, zwei Tassen, dem Milchkännchen und der Zuckerdose auf dem Tisch abstellte.
Hermine schien zu überlegen. Eleven bemühte sich, nicht allzu interessiert zu wirken, denn allzu großes Interesse an den Belangen der Menschen wäre für eine Hauselfe völlig unangemessen gewesen. Sie kletterte auf einen gepolsterten Hocker und legte die Hände auf die Knie.
„Du bist ein guter Beobachter", erwiderte Hermine. „Um ehrlich zu sein, verstehe ich von diesem Buch kein einziges Wort."
Eleven machte große Augen, dann nickte sie weise. „Von solchen Büchern habe ich gehört. Das sind furchtbar bedeutende Bücher. Sehr wichtig."
Hermine lachte laut auf. „Bedeutsame Bücher müssen nicht schwer verständlich sein. Und nicht alle schwer verständlichen Bücher sind bedeutend. Das Problem an diesem Buch besteht darin, dass es in einer Geheimschrift geschrieben ist."
„Oh." Eleven nippte vorsichtig an ihrem Tee, ganz ohne Zucker und Milch. Das wäre Verschwendung gewesen.
Hermine sank tiefer zwischen ihre Sofakissen. Entspannt lehnte sie sich zurück. Ihr Tee stand unberührt auf dem niedrigen Couchtisch. Sie schloss die Augen. „Es gibt ein Gedicht … es heißt Warzinella. Es scheint der Schlüssel zum Inhalt des Buches zu sein. Ich kann es vorwärts und rückwärts aufsagen, aber es bringt mich keinen Deut weiter."
„Warzinella", flüsterte Eleven und ihr Herz schlug schneller.
„Möchtest du es hören? Es ist ein wirklich schreckliches Gedicht."
„Natürlich, wenn es nicht zu viel Mühe macht."
„Natürlich nicht!"
Hermine sprang vom Sofa auf und begann im kleinen Wohnraum auf und ab zu gehen. Beim Gehen rezitierte sie besagtes Gedicht. Sie war grauenvoll! Eleven presste ihre Lippen fest zusammen, um nicht laut aufzulachen. Als Hermine geendet hatte, war es ganz still. Hermine setzte sich wieder und griff nach ihrer Tasse. Dann trank sie Tee.
Hermine beobachtete die Hauselfe, die sich kaum merklich auf dem Hocker vor und zurück bewegte. Eleven schien mit sich zu kämpfen – konnte das, was ihr auf dem Herzen lag, einfach nicht herausbringen. Ein typisches Hauselfenproblem! Eleven hatte jedoch die bemerkenswerte Eigenheit, anders zu sein als die meisten anderen Hauselfen. Und wenn Hermine jetzt ganz ruhig abwartete, dann würde sie – vielleicht – erfahren, was die Hauselfe zu dem Gedicht zu sagen hatte.
Es dauerte ein ganzes Weilchen, endlose Minuten gar, in denen Hermine einfach nur den Mund hielt und ihren Tee trank. Abwarten und Tee trinken, so sagte man es ja auch! Dabei vermied sie es geflissentlich, Eleven allzu offensichtlich anzustarren. Aber aus den Augenwinkeln heraus konnte sie am Zittern der Ohrenspitzen erkennen, dass Eleven so einiges durchmachte. Und dann, so plötzlich, dass Hermine beinahe ihre Teetasse fallen ließ, platzte es aus der Hauselfe heraus:
„Du betonst das Gedicht falsch!" Eleven hatte so laut gesprochen, dass sie sich im nächsten Augenblick vollkommen erschrocken ihre beiden Hände über den Mund schlug.
Aber da war es schon heraus. Hermines Gedanken arbeiteten fieberhaft. Ganz sicher war ihre Betonung einwandfrei – jedes einzelne Wort – und ehrlich gesagt waren die Wörter nicht ausgesprochen anspruchsvoll. Ihr eine falsche Betonung zu unterstellen war demnach schon etwas impertinent, aber um die zitternde Elfe nicht noch mehr zu verschrecken, fragte sie vorsichtig:
„Warzinella? Müsste das anders ausgesprochen werden? Vielleicht Warzineeeeehla?" Sie zog das E schön in die Länge. Keiner sollte sagen, sie hätte sich keine Mühe gegeben.
Eleven zog beide Mundwinkel herunter. Ganz leicht nur, aber Hermine hatte es dennoch gesehen. Also etwas anderes. Sie durchforstete im Kopf das Gedicht nach Wörtern, die man falsch betonen könnte, aber ihr fiel beim besten Willen kein einziges auf. Am Ende nahm sie ihr Lieblingssofakissen – es war das weicheste von allen und kratzte kein bisschen – und drückte es Eleven in die Hände, damit sie sich daran festhalten konnte. Dann setzte sie sich aufrecht hin – ganz wie eine aufmerksame Schülerin – und sagte betont freundlich: „Liebe Eleven! Wenn du eine Idee hast, warum das Gedicht für mich nicht funktioniert, dann erklär sie mir bitte. Wenn ich etwas falsch betone, kann ich sicherlich die richtige Betonung lernen. Mit deiner Hilfe…"
Eleven kuschelte sich in das Kissen, steckte ihre krumme Nase tief hinein und wünschte sich insgeheim, sie könnte sich ganz hinter dem Kissen verstecken. „Du betonst das Gedicht falsch", nuschelte sie in das Kissen. Sie kniff die Augen fest zusammen, öffnete sie wieder. Natürlich war sie immer noch hier. Sie hätte auch einfach fortapparieren können. Natürlich nicht! Sie war immerhin hier, um Hermine zu helfen. Der schlauesten Hexe der Welt.
„An den Wörtern liegt es nicht", flüsterte Eleven. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie sie ganz kräftig festhalten musste. Doch dann begannen auch die Knie zu schlottern. Eleven ließ sich nicht unterkriegen. Die Arme ganz fest in das Kissen gepresst holte sie noch einmal tief Luft und sagte dann fast ein wenig trotzig: „Das Gedicht ist lustig!"
„Ach so", erwiderte Hermine und lächelte.
Aber sie hatte es dennoch nicht ganz begriffen, oder etwa doch? „Es ist lustig!", erklärte Eleven noch einmal und sah Hermine herausfordernd an.
„Jaja." Hermine lachte und hob abwehrend die Hände. „Ron meinte auch, dass das Gedicht wirklich witzig ist. Ich finde es gelinde gesagt etwas niveaulos. Nun ja. Albern ist es vielleicht. Lustig? Nicht unbedingt! Aber ob ein Gedicht vom Leser als lustig empfunden wird, hängt eben immer auch ganz stark vom Leser ab. Da sind die Geschmäcker durchaus verschieden. Ich lache gern einmal, aber über so etwas – eher nicht. Tut mir leid."
Eleven sah Hermine an und war ein kleines bisschen sprachlos. War Hermine doch ein so hoffnungsloser Fall? Sie dachte nach. Und ihre Knie schlotterten überhaupt nicht mehr.
Hermine beobachtete ihre Hauselfe und war ein kleines bisschen amüsiert. Dieses haarsträubende Gedicht schien ganz offensichtlich mehr als nur einen Fan zu haben. Sie würde Ron davon erzählen, es würde ihn sicher freuen. Und auch wenn sie das Gedicht nicht mochte, bewunderte sie es zutiefst, mit welcher Leidenschaft es von seinen Liebhabern hochgehalten wurde. Beinahe wünschte sie sich, sie könne diese Leidenschaft teilen. Vielleicht konnte Eleven sie überzeugen – Hermine hätte nichts dagegen gehabt.
„Vielleicht sollte ich etwas weiter ausholen", erklärte Eleven nun völlig ernst. „Denn dieses Gedicht hat eine Geschichte. Ich denke, man muss die Geschichte nicht unbedingt kennen, um das Gedicht zu mögen. In deinem Fall ist es aber vielleicht hilfreich."
Hermine nickte heftig. Ja, ein wenig Hintergrundwissen konnte niemals schaden. Und sie war mit einem Male wirklich sehr gespannt, was Eleven erzählen würde.
„Serpens Malfoy, der Verfasser deines geheimnisvollen Buches, hatte einen Hauselfen", begann Eleven zögerlich. „Er hieß Dobby."
„Dobby?"
„Ja natürlich. Alle Hauselfen der Malfoys heißen Dobby." Eleven seufzte. „Ich denke, dass sich die Malfoys nicht die Mühe machen wollten, sich neue Namen zu merken. Das ist wohl der einfachste Weg."
Hermine war entrüstet, unterbrach Eleven jedoch nicht.
„Serpens Malfoy war – denke ich – kein schlechter Mann. Es gab … wesentlich schlimmere." Eleven sah nun jämmerlich aus, und kurz dachte Hermine, sie würde ihren Kopf auf die Tischplatte schlagen. Doch dann ergriff Hermine schnell die Hand der Hauselfe und drückte die feuchten Finger sanft.
Eleven lächelte. „Nein, Serpens Malfoy war kein schlechter Mensch. Allerdings nahm er sich, wie viele andere Zauberer es ebenfalls zu tun pflegen, furchtbar wichtig. Vielleicht nicht einmal zu unrecht. Malfoy besaß eine Apotheke. Oder sagen wir, mindestens eine. Natürlich. Doch der Geschichte nach verkaufte er nicht nur Zaubertränke und deren Zutaten, nein, er war auch ein Meister der Tränkebraukunst. Viele seiner Tränke hatte er selbst entwickelt, unzählige bestehende Rezepte verbessert. Insbesondere für Heiltränke war Serpens Malfoy berühmt, weit über die Grenzen unserer Insel hinaus. Zauberer und Hexen kamen aus aller Welt, um bei ihm einzukaufen.
Nun. Es wird unter Hauselfen berichtet, dass Dobby dem Meister hier und da zur Hand ging. Um es etwas deutlicher zu sagen, hat Dobby wohl einen großen Teil der Tränke für den täglichen Verkauf gebraut. Und man könnte auch sagen, dass Dobby, der Hauself, nach vielen vielen Jahren selbst ein vortrefflicher Tränkebraumeister wurde."
„Natürlich", erklärte Hermine mit Nachdruck.
„Natürlich", wiederholte Eleven und lächelte. „Natürlich – wussten die Kunden von Malfoy Apothecaries davon nichts!"
„Natürlich nicht", hauchte Hermine, ihr Gesicht vor Schmerz verzerrt.
Nun war es an Eleven, Hermines Hand ganz sacht zu drücken. Hermine nickte nur und bedeutete Eleven weiter zu erzählen.
„Um ehrlich zu sein, war Dobby ein sehr zufriedener Hauself. Seine Arbeit machte ihm Spaß und es ging ihm besser als vielen anderen unserer Art. Und doch! Eines dunklen Winterabends, kein Hauself könnte so genau sagen, warum … eines Abends jedenfalls, verfasste Dobby ein Gedicht, in dem es um einen sehr wichtigen und sehr berühmten Tränkemeister ging."
„Malfoy?!"
„Malfoy, ganz sicher. Und alle anderen sehr wichtigen und sehr berühmten Tränkemeister, die vor ihm kamen, und auch die, die nach ihm kamen!" Eleven grinste verschwörerisch.
„Das ist, das ist …", stammelte Hermine, „… revolutionär!"
Eleven machte große Augen.
Hermines Stimme bebte. „Ein Zeichen des Widerstandes! Ein Zeugnis des Kampfes gegen die Unterdrückung der Hauselfen –"
„STOP!", rief Eleven nun. Und fügte leise hinzu. „Vor allen Dingen ist es sehr lustig."
„Ach." Hermine verstummte.
„Dem Gedicht wohnte ein gewisser Zauber inne, der bewirkte, dass es unter den Hauselfen des Hauses Malfoy sehr beliebt wurde", erzählte Eleven weiter. „Ich denke, Hauselfen haben einen sehr einfachen Humor." Sie zuckte mit den Schultern.
Hermine konnte nicht vermeiden, im Gesicht tiefrot anzulaufen.
„Insbesondere die Kleineren liebten Warzinella über alles. Und oft überredeten sie unseren Dobby, das Gedicht vorzutragen. Immer und immer wieder. Und Dobby ließ sich nicht lange bitten. Schon bald klang seine Stimme laut und geschwollen durch die Kellergewölbe, das wichtige Getue mit großen Gesten untermalt. Dobby war ein großer Meister der Tränkebraukunst und ein großer Meister der Theatralik. Sein Spiel war vortrefflich! Die Kleinen kugelten vor Lachen auf dem Boden. ‚Noch einmal! Noch einmal!', jubelten sie. Und so bemerkten sie nicht, wie ein Zauberer langsam die Kellertreppe herunterschritt."
„Bei Merlin!"
„Ja", flüsterte Eleven nun mit großen Augen. „Es war Serpens Malfoy! Der berühmte Meister der Tränkebraukunst. Und urplötzlich war der groß gewachsene Mann nicht mehr zu übersehen. Er war da, wie eine traumgleiche Erscheinung, und doch wahrhaftig sehr real. Mitten unter ihnen. Totenstille. Ängstlich sahen die Kleinen auf. Dobby senkte den Blick zu Boden. Es war ein langer, langer Augenblick. Hermine, glaube mir, es war der längste Augenblick, den Hauselfen ertragen können. Und dann – "
„Und dann?"
„Schallendes Gelächter!" Eleven lehnte sich zufrieden zurück und schloss die Augen.
„Wie bitte?"
Eleven lächelte. „Hermine", sagte sie, „du musst verstehen! Es ist ein sehr lustiges Gedicht!"
„Oh."
Und Hermine verstand. Und dann lächelte sie ebenfalls.
Bei ihrem Lächeln blieb es nicht. Schon wenig später stolzierte sie in raumgreifenden Schritten mit stolz geschwellter Brust um den Stubentisch und rezitierte das Gedicht der Gedichte. Warzinella!, so hallte es durch den Raum, als ob das bescheidene Pflänzlein das Wichtigste unter all den Heilkräutern gewesen wäre. Immer wieder hob sie den Zeigefinger, untermalte belehrende Worte hilfreich mit eindeutigen Gesten, die dem begriffsstutzigen Assistenten bildhaft jeden Schritt vor Augen führen sollten. Den leicht verächtliche Blick, mit dem sie dabei Eleven von oben herab bedachte, hatte sie sich ganz sicher von einem wohlbekannten, sehr bedeutenden Tränkemeister abgeschaut. Und zwar so gekonnt, dass Eleven ihr Kichern bald mit dem Sofakissen zu ersticken suchte. Als dann Hermine auch noch sehr gekonnt zuerst die rechte und dann die linke Augenbraue hochzog, war es um Eleven geschehen. Lauthals kreischte sie auf, Lachtränen kullerten ihr beide Backen hinunter.
„Noch einmal", rief sie, als Hermine schließlich die letzte Zeile mit der gebotenen Ernsthaftigkeit vorgetragen hatte.
„Natürlich!", rief Hermine zurück. Und sie hob an, mit schneidender Stimme, die den gesamten Raum zu füllen vermochte. Und in die albernen Worte steckte sie eine Leidenschaft, die Eleven bei der schlauesten Hexe der Welt so nicht vermutet hätte. Was für eine Verwandlung! Hermine Granger war ganz sicher kein hoffnungsloser Fall!
A/N: Ich liebe die kleine Hauselfe und wie sie sich so große Mühe gibt, der schlauesten Hexe der Welt zu helfen. Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel genauso gut wie mir. Wenn ja, dann hinterlasst doch irgendein Lebenszeichen ... ich würde mich sehr, sehr, sehr freuen. Eure Lumos
ps: Habt ihr auch so viele Tassen im Schrank? Ich weiß nicht, wie das kommt, aber der Tassenschrank ist bei uns immer viel zu voll!
