Die Aufräumarbeiten auf der Promenade waren nach Wochen des Chaos, versperrter Wege und alles mit einer dünnen Schicht Staub bedeckenden Drecks fast abgeschlossen. Reparatur-Teams kümmerten sich um die verbliebenen, kleineren Schäden an weniger wichtigen Einrichtungen und montierten die letzten Wandverkleidungen über ehemals geborstenen Leitungen. Das Leben an Bord der Station normalisierte sich unter den ruhigen Händen der Föderation merklich, und beide Parteien, sowohl Bajor als auch die Föderation waren bemüht, zivilen Alltag auf Deep Space Nine herzustellen.

Auf dem Weg über das Promenadendeck zu seiner Schneiderei kam Garak an einigen der neu eröffneten Geschäfte vorbei. Nicht alle Händler hatten den Wechsel der Stationsleitung positiv gesehen, insbesondere solche, die eng mit den cardassianischen Besatzern zusammengearbeitet hatten, und infolgedessen standen einige der Läden und Stände leer. Aber es fanden sich schnell neue Händler, die diese Lücken gerne füllten.

Überrascht registrierte Garak, dass in dem schmalen kleinen Ladengeschäft rechts von seiner Schneiderei, das immer schon verwaist war, niemand wollte neben ihm, dem geächteten Cardassianer, ein Geschäft eröffnen, emsiges Treiben herrschte. Mehrere bajoranische Handwerker montierten Mobiliar, das auf der Promenade abgestellt war, in die Räumlichkeit, angeleitet von einer Frau in einem dreckigen und unförmigen Overall. Sie erklärte, wo die Möbel hingestellt werden sollte, packte beim Ausrichten selbst mit an und vermaß die Abstände mit einem Laser. Garak blieb neugierig einen Moment stehen, und beobachtete die unbekannte Frau mit den langen, schwarzen Haaren, die zu einem praktischen Pferdeschwanz gebunden waren. Sie war keine Bajoranerin, stellte er fest, ihr fehlten der typische Nasenkamm.

Der Schneider öffnete die Türen seines Geschäftes, sortierte einige vom Vortag herumliegende Kleidungsstücke auf Ständer und begann mit seiner Arbeit. Einige Aufträge warteten auf ihre Fertigstellung und die Kunden waren üblicherweise nicht sehr geduldig. Niemand verstand heutzutage, dass gute Handarbeit ihre Zeit benötigte.

Einige Male vernahm der Schneider laute Geräusche aus dem Geschäft nebenan, die auf das Fortschreiten der Arbeiten hindeuteten, er schenkte dem aber keine weitere Beachtung. Lieber hing er noch einigen Gedanken über Informationen nach, die er auf Wegen erhalten hatte, von denen besser niemand erfuhr, dass er sie kannte, ganz besonders der Obsidianische Orden nicht. Für die Informationen würde er dieses Mal vermutlich kein Geld erhalten, aber das störte den Cardassianer nicht. Es konnte sich irgendwann bezahlt machen, wenn ihm Personen in nützlichen Positionen einen Gefallen schuldig waren.

Garak änderte eben den Kragen an einer neuen Jacke für den Barbesitzer Quark, als er vor Schreck beinahe sein Werkzeug und die Jacke fallen ließ. Pulsierendes Wummern und Dröhnen erfüllte schmerzhaft seine Räumlichkeiten. Nur langsam ließ die Lautstärke nach, schließlich war nur noch ein leicht irritierendes rhythmisches Stampfen zu hören. Er nahm seine Arbeit kopfschüttelnd wieder auf. Eventuell sollte er in nicht allzu ferner Zukunft eine freundliche Unterhaltung mit der neuen Nachbarin halten und sie auf seine ganz eigene Art willkommen heißen.

Stunden später verschloss Garak seine Geschäftsräume. Der Tag war für den Schneider durchschnittlich ereignislos verlaufen und er freute sich auf seine abendliche Lektüre und dazu ein Glas Kanar. Mit Quarks Jacke über dem Arm steuerte er auf die Bar zu, und erwartete bereits vergnügt das kleine Geplänkel um die Bezahlung. Zwei Flaschen Kanar eines besonders guten Jahrgangs waren vereinbart, vermutlich würde Quark wie üblich versuchen, den Preis zu drücken und wie üblich würde er Quark charmant und mit einem dezent drohenden Unterton anlächelnd davon überzeugen, noch eine Flasche draufzulegen.

Bei seiner neuen Nachbarin wurde immer noch gearbeitet. Durch die Fenster konnte er sie auf einer Leiter stehen, und Bilder an der Wand anbringen sehen. Sobald sie eröffnete, würde er seine Neugier befriedigen, sehen, was die Dame anzubieten hatte und bei der Gelegenheit auf die eher dünnen Wände hinweisen, die den Schall nur wenig dämpfen.

Quark war in einer angeregten Diskussion mit einem Techniker der Föderation. Garak musste einige Minuten warten, eine Zumutung für seine Ohren. Er mochte diese Bar ganz und gar nicht. Zudem musste er sich der Ferengis erwehren, die ihm die Wartezeit mit Kanar und Dabo Mädchen versüßen wollte, natürlich nicht auf Kosten des Hauses. Doch schließlich hatte das Universum ein Einsehen und Quark kam mit seiner übertrieben geschäftsmäßigen Freundlichkeit auf ihn zu.

„Garak, mein Freund. Ich bin so froh, sie endlich mal wieder in meinem bescheidenen Etablissement begrüßen zu dürfen. Sie wissen, ich habe immer noch dieses wunderbare Holo-Programm, dass ich damals extra für die cardassianische Besatzung programmieren ließ. Die Frauen sind wirklich exquisit und ich bin mir sicher, ihnen wird die dunkelhaarige …" der Schneider unterbrach das nervtötende Geplapper des Ferengi, indem er sein perfekt einstudiertes Lächeln aufsetzte, das breite Lächeln, dass nie die Augen erreichte und in fast jedem den Wunsch auslöste, sich in Sicherheit zu bringen. Er legte seine rechte auf Quarks Brust, knapp unterhalb der Kehle und schüttelte den Kopf.

„Bitte Quark, sie wissen, dass ich für derlei profane Angebote nicht empfänglich bin. Ich würde es vorziehen, wenn wir unser Geschäft möglichst zeitnah abwickeln könnten, damit ich mich in mein Quartier zurückziehen kann."

Garak neigte den Kopf in cardassianischer Manier zur Seite, frischte sein Lächeln auf und reichte Quark die neue Jacke. Der Barbesitzer nahm die Jacke entgegen und ging um die Theke herum.

„Zwei Flaschen Kanar also." Murmelte er unzufrieden.

„Obwohl sie rasch fertig waren. Man könnte meinen unter diesen Umständen ist eine Flasche mehr als genug Bezahlung, es ist ihr Lieblings-Jahrgang, Garak!" Der Schneider hob den Zeigefinger und wackelte damit vor Quarks Nase.

„Mein lieber Quark, ich weiß, dass ihnen der Wert echter Handarbeit fremd ist, ihr Angebot von zwei Flaschen war schon eine Beleidigung, die ich nur ignoriert habe, weil ich auf eine engere Geschäftsbeziehung hoffe. Ich bekomme drei Flaschen, und sollten Sie mir einen größeren Auftrag erteilen, vielleicht die Neuausstattung ihrer Dabo-Mädchen, verrechnen wir das." Garak lächelte jetzt noch ein wenig breiter mit geneigtem Kopf, seine Augen leuchteten in eisigem Blau.

2 Tage später

„Guten Morgen, Garak!" Doktor Bashir schloss zu ihm auf.

„Darf ich Sie ein Stück begleiten, ich muss in die gleiche Richtung." Garak deute eine leichte Verbeugung an.

„Guten Morgen, Doktor. Was führt Sie zu so früher Stunde auf die Promenade? Ein Notfall etwa?" Der Schneider wusste genau, dass der Doktor bei einem Notfall nicht so entspannt neben ihm umherspaziert wäre. Aber der junge Mann hatte das große Bedürfnis, Falsches richtigzustellen, und um an Informationen zu gelangen, reichte es, einfach eine falsche These aufzustellen.

„Aber nein, Garak, kein Notfall. Ich möchte dem neuen Geschäft, dass heute direkt neben Ihrem eröffnet, einen medizinischen Kontrollbesuch abstatten." Garak war irritiert.

„Ich verstehe nicht, mein lieber Doktor, inwieweit ist ein Geschäft für Sie von medizinischem Interesse? Es wirkte gestern nicht, als wenn dort eine Apotheke entsteht."

Die beiden Männer näherte sich bereits ihrem Ziel und der Cardassianer begann langsam einen Zusammenhang zwischen dem neuen Geschäft und dem Besuch des Doktors zu erkennen.

„Wahl der Qual" prangte auf einem beleuchteten Schild über der Eingangstür aus Milchglas, die den Blick ins Innere auf ein Licht- und Schatten-Spiel reduzierte. Das Schaufenster zur linken der Tür war ebenfalls durch Milchglas ersetzt und mit Werbesprüchen beklebt. „Tattoo & Piercing" stand dort, und "Zahnmodifikationen".

„Doktor Bashir, können sie mir erklären, um was es sich bei ‚Dermal-Implantaten' handelt? Was ist der Zweck dieses Geschäfts?"

„Mode, Garak, Mode. Kommen Sie doch mit hinein und sehen Sie es sich an." Bashir grinste den Schneider frech an und griff nach der Klinke.

Das innere des kleinen Ladens war hell beleuchtet, aber indirekt und kein Lichtstrahl reflektierte von den vielen Vitrinen mit Schmuckstücken und den verglasten Bilderrahmen. Auf den Bildern erkannte Garak diverse Körperteile, die mit bunten Bildern verziert, oder von metallenen Schmuckstücken durchbohrt wurden. Eine Serie kleiner Bilder präsentierte Zähne, die angespitzt, durchbohrt oder mit Edelsteinchen verziert waren. Er zupfte an Bashirs Uniform und wies neugierig auf das Bild eines tätowierten Penis.

„Doktor, hat diese Bemalung eine kultische Bedeutung?"

„Das ist keine Bemalung, Garak, dass …" das stetige Summen, dass für die beiden seit Betreten des Ladens unterschwellig hörbar, und sich mit der Hintergrundmusik des Geschäfts vermischte, brach ab. Die Frau, die Garak am Vortag bereits in dem unförmigen Overall gesehen hatte, kam hinter einem einfach Raumteiler im hinteren Bereich des Ladens hervor. Im Gehen zog sie sich violette Latex-Handschuhe aus und warf sie auf eine kleine Ladentheke.

„Guten Tag, ich bin Jessica. Wie darf ich ihnen Weh tun?" fragte sie mit einem offenen Lächeln. Jessica trug ein schlichtes, schwarzes Top mit Spaghetti-Trägern und eine knielange Cargohose mit mehreren Taschen.

Ihre Haut war da, wo man sie sah, mit diversen Bildern übersät. Aber Garak fiel zuerst die lange Narbe auf, die ihre linke Gesichtshälfte von der Stirn bis zum Oberkiefer kreuzte. Was immer ihr passiert war, offensichtlich hatte sie Glück gehabt, denn das linke Auge der Frau war unversehrt.

„Hallo, mein Name ist Julian Bashir. Ich bin der leitende medizinische Offizier von DS9 und ich wollte gleich von Beginn an meine Hilfe anbieten, falls sie hier mal ein medizinisches Problem haben sollten." Er gab ihr die Hand und lächelte auf seine unnachahmlich naive Art.

„Sie meinen, Sie möchten kontrollieren, ob ich weiß, was ich hier treibe, oder ob ich ihre Krankenstation mit Patienten fluten werde." Antwortete sie emotionslos. Ihr freundliches Lächeln war verschwunden.

Bashir winkte ab: „Aber nein, ich wollte nicht unterstellen …" Jessica unterbrach den Doktor sofort wieder.

„Ich erhielt eine erstklassige Ausbildung in allen Arten der hier angebotenen Körper-Modifikationen und habe einige medizinische Kurse zu Wundbehandlung und Unfallchirurgie für Laien erfolgreich absolviert. Ich arbeite äußerst gewissenhaft." Damit war das Thema für sie erledigt und sie wandte sich Garak zu.

„Ich wusste nicht, dass sich hier noch Cardassianer aufhalten. Haben Sie Interesse an einem Ajan- oder Tolv-Piercing. Ich habe die Praktiken gelernt, hatte aber noch nie das Vergnügen, sie an einem der Ihren anzuwenden?" Die Frau wies auf das Foto einer nackten, männlichen Brust eines Humanoiden mit durchstochenen Nippeln. Reflexhaft zog der Cardassianer seine Hände vor den Oberkörper.

„Eine sehr interessante Idee, meine Dame, aber eigentlich bin ich aus Neugier zusammen mit dem Doktor hereingekommen. Ich bin Ihr Nachbar, mir gehört die Schneiderei nebenan. Darf ich mich vorstellen, Elim Garak." Er streckte ihr in menschlicher Manier die Rechte entgegen.

Jessica sah einen Moment zu lange auf seine entgegen gestreckte Hand und dem Schneider entging nicht die Anspannung, die sich der Frau bemächtigte. Der Moment ging vorbei, sie ergriff seine Hand und drückte unerwartet fest zu, sah ihm in die Augen und lächelte geschäftsmäßig.

„Erfreut Herr Garak, ich bin Jessica Gunnarsson, aber bitte nennen Sie mich Jessica." Sie entzog ihm die Hand schnell wieder und trat einen Schritt zurück.

„Wenn das alles war, möchte ich weiter machen. Ich habe einen Kunden." Sie schlenderte wieder zum hinteren Teil des Ladens, aber Garak hielt sie noch einmal zurück.

„Darf ich Ihnen eine kurze Weile über die Schulter sehen? Mir ist diese Form der … Kunst unbekannt, und wie ich schon erwähnte, ich bin neugierig." Jessica überlegte kurz und biss sich dabei unbewusst auf die Unterlippe. Dann nickt sie.

„Na gut, kommen sie."

„Doktor." Garak verabschiedet sich mit einer angedeuteten Verbeugung und schritt hinter der Frau her.

Hinter dem Raumteiler lag ein Mann, ein angehöriger der Sternenflotte, wie Garak vermutete, auf einer einfach, gepolsterten Liege mit höhenverstellbaren Metallbeinen. Sein entblößter Oberkörper war mit einem Tuch abgedeckt, dass ein etwa fünfzehn Zentimeter großen Quadrat frei ließ. Dort waren die Umrisse eines Föderations-Wappens zu erkennen, die Insignien eines Sternenflotten-Schiffes. Jessica zog sich frische Handschuhe über und griff nach einem kleinen Gerät. Er erkannte das Summen von vorhin wieder und beobachtete fasziniert, wie die Spitze des Gerätes zuerst in eine farbige Tinte getunkt wurde, um dann diese Farbe in die Haut zu stechen.

Garak sah sich den Vorgang einige Minuten an. Das Crewmitglied ließ den Vorgang recht stoisch über sich ergehen und zischte nur hier und da kurz. Der Cardassianer räusperte sich.

„Vielen Dank für diesen höchst interessanten Einblick, Jessica. Ich muss mich jetzt verabschieden, meine Arbeit wartet auf mich. Ich freue mich auf ein Wiedersehen." Sie nickte ihm nur zu und widmete sich weiter der Haut unter ihren Fingern.