X-Natural

1997 - irgendwo in Vermont

„Mulder, warum biegen Sie ab? Ich dachte, wir fliegen wieder zurück nach D.C." Scully's Stimme klang genervt und müde.

„Ich möchte mir den letzten Tatort ansehen, bevor wir zum Flughafen fahren. Was ist los mit Ihnen, Scully? Sind Sie denn kein bisschen neugierig, was hier gespielt wird? Es geht immerhin um sieben Tote", sein Blick wirkte ernsthaft erstaunt.

Die FBI Agentin griff sich mit der Hand ins Gesicht und begann mit Daumen und Ringfinger ihre Schläfen zu massieren. Dabei schüttelte sie sacht den Kopf.

„Mulder", flüsterte sie, und fuhr dann lauter fort: „Welcher Tatort? Es war Selbstmord, genau wie die sechs anderen Selbstmorde. Ich habe alle Autopsieberichte gründlich gelesen und die beiden letzten Toten selbst auch noch mal in Augenschein genommen. Der Pathologe hat sauber und gründlich gearbeitet. Ich konnte keine Unstimmigkeiten entdecken. Es waren Suizide." Sie wandte sich auf dem Sitz ihrem Partner zu.

„Natürlich sollten wir versuchen zu klären, ob es einen Grund für die Häufung an Selbstmorden gibt, und ich stimme Ihnen zu, wenn Sie der Meinung sind, dass es merkwürdig ist, dass sich diese Menschen auf die gleiche Art das Leben genommen haben. Aber solche Zufälle gibt es, ich sehen keinen Anlass zu glauben, hier werde irgendetwas gespielt." Dana lehnte sich wieder zurück und ihr Gesichtsausdruck verriet, dass für sie dieses Thema abgeschlossen war.

Mulder lächelte sie an.

„Und an den polizeilichen Untersuchungsberichten ist Ihnen nichts fragwürdig vorgekommen?", fragte er und konzentrierte sich dann wieder auf die Strecke.

Sie wollte sich auf dieses Spielchen nicht einlassen und lenkte sich ab, indem sie den Abschluss-Bericht für Vizedirektor Skinner im Kopf vorformulierte, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu den Polizeiberichten zurück. Da war nichts Auffälliges, nichts bei dem ihre innere Alarmglocke geläutet hatte, nichts, was sie innehalten ließ. Scully atmete einmal tief ein bevor sie genervt fragte:

„Welche Fragwürdigkeit sollte mir also aufgefallen sein?"

Der FBI Agent grinste breit. Er genoss es, seine Kollegin an der Angel zu haben.

„Die Symbole, Scully, die Symbole!" Mulder sah begeistert zu Scully hinüber, die sich mit ihrem professionell skeptischem Blick revanchierte. „Im direkten Umfeld von vier Tatorten wurden eigenartige Symbole entdeckt. Geritzt in einen Baum oder mit Asche auf einen Stein geschmiert. Sie müssen zugeben, dass das unsere Aufmerksamkeit verdient."

Mulder stoppte den Mietwagen am Straßenrand, stoppte den Motor und nahm den Schlüssel aus dem Zündschloss.

„Mir erschließt sich die Fragwürdigkeit dieser Tatsache noch nicht, Mulder", antworte die FBI Agentin sachlich. „Die Symbole unterscheiden sich eindeutig, sie wurden nicht an allen", sie suchte kurz nach einem anderen Wort, schnaubte genervt und fuhr fort, „Tatorten gefunden und sie stehen in keinem Zusammenhang mit den uns bekannten Symbolen bei sogenannten Teufelsanbetern oder heidnischen Kulten.", bevor sie weiter sprechen konnte, verließ Mulder das Fahrzeug und ging zielstrebig über die Straße in den angrenzenden Wald hinein.

„Mulder!" Ihr wütender Ruf blieb ungehört und sie stieg ebenfalls aus dem Wagen und folgte ihrem Partner zügig. Vor dem Waldrand hielt die Frau an, sah auf den teils recht schlammigen Trampelpfad, dem Mulder gefolgt war, sah auf ihre Schuhe und fluchte leise. Dann folgte sie dem Pfad.

Einige hundert Meter weiter wartete der Agent auf einer kleinen Lichtung, die von unzähligen Stiefelspuren in ein Schlammloch verwandelt worden war.

„Mulder, was machen wir hier?" sie stütze sich mit einer Hand am nächsten Baum ab und versuchte mit einem kleinen Ast die gröbsten Lehmklumpen von den Schuhen zu kratzen. Mulder warf ihr einen schuldbewussten Blick zu.

„Nur, weil nicht an allen Tatorten ein Symbol gefunden wurde, heißt das nicht, dass dort keine waren. In den Polizeiberichten wurde den Symbolen so wenig Aufmerksamkeit gewidmet, ich glaube nicht, dass die Polizei sich bei einem vermuteten Selbstmord die Mühe gemacht hat, danach zu suchen."

Dieser Logik hatte Dana nichts entgegenzusetzen und sie begann, wie Mulder, die nähere Umgebung in gedachten Abschnitten gründlicher zu untersuchen.

Nach einer Weile, sie hatten einen Radius von etwa zehn Metern um die Lichtung herum unter die Lupe genommen, kam Mulder mit hängenden Schultern zu Scully.

„Sieht aus, als wenn ich mich dieses Mal geirrt hätte. Oder das Symbol wäre ausgerechnet in diesem Fall deutlich weiter entfernt vom Tatort." sagte er leise und die Enttäuschung war seiner Stimme deutlich anzuhören.

„Vielleicht auch nicht." Sie sah zu ihm hinüber und deutete mit der Hand auf den Baum zu ihrer rechten. „Sehen Sie hierher, Mulder." Erwartungsvoll eilte der FBI Agent zu seiner Partnerin.

In etwa einem Meter Höhe war die Rinde des Baumes auf einer Fläche von etwa drei Handflächen grob abgeschält. Das Holz darunter wies etliche tiefe Kratzer auf.

„Sieht aus, als jemand versucht, das Symbol zu entfernen, oder was meinen Sie, Scully? Warum sollte jemand so etwas machen? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, das ein Selbstmörder sich die Mühe macht, erst ein Symbol zu schnitzen, es dann wieder zu entfernen, um sich im Anschluss selbst die Halsarterien aufzuschlitzen." Er ging in die Hocke und fuhr die tiefen Kratzer mit einem Finger nach.

„Wie auch immer, Sie hatten recht. Wir sollten an den anderen zwei Tatorten auch nach Symbolen suchen, bevor wir zurückfahren. Meinen Sie, wir können das Symbol anhand der Kratzer einigermaßen rekonstruieren?"

2009 - Ein Motel mit seltsamer Tapete und Massagebetten irgendwo in North Dakota

Die Tür öffnete sich und Sam kam mit Papiertüten bepackt und einem Sixpack unter dem Arm ins Zimmer. Beinahe wäre ihm dabei eine kleine Schachtel, die obenauf platziert war, entglitten. Doch ihm gelang es durch eine schnelle Bewegung nach vorn den Stapel auszubalancieren und er klemmte die Schachtel mit dem Kinn fest.

Dean, der auf dem nächsten Bett lag und das Rappeln offensichtlich genoss, dass als Massagefunktion beworben wurde, klatschte und zeigte ihm beide Daumen.

„Schon gut, steh nicht auf. Ich habe alles im Griff." knurrte Sam säuerlich. Er schloss die Tür mit einem Fußstoß und stellte den Einkauf nach und nach auf dem Tisch vor dem Fenster ab.

„Ich hoffe, Du hast an meinen Kuchen gedacht", sagte Dean, erhob sich, rieb sich die Hände und begann die braunen Papiertüten zu durchsuchen. Sam hielt ihm die Pappschachtel, die er vor dem Sturz gerettet hatte, dicht vors Gesicht.

„Klar", antwortete er lapidar, „und den Burger mit extra Käse, extra Bacon und extra Barbecue Soße." Dean lächelte seinen Bruder selig an, ergriff die Schachtel, die er sofort öffnete, während er sich an den Tisch setzte und begann mit den Fingern das krümelige Gebäck zu essen. Sam verdrehte die Augen.

„Dir beim Essen zuzusehen kann einem glatt den Appetit verderben." Dean sah seinen Bruder mit verständnislosem Blick an. Seine gerundeten Wangen zeugten von dem großen Stück, dass er sich soeben in den Mund geschaufelt hatte. Als er sprach, landeten feuchte Kuchenkrümel auf dem Tisch.

„Fissso?" Nuschelte er undeutlich, lächelte unschuldig und mampfe weiter. Sam griff sich seinen Salat aus einer der Tüten, öffnete das beigelegte Dressing und verteilte es sorgsam über seiner Mahlzeit.

„Beeile Dich besser mit dem Kuchen. Dein Burger wird sonst kalt." Dean drohte mit einem Finger, kaute angestrengt und würgte den Kuchen regelrecht hinunter.

„Das ist nicht witzig, Sam." Sam grinste und stach genüsslich in den Salat.

„Für mich schon."

„Guten Appetit, Jungs." Dean verschluckte sich und begann zu Husten, Sam fielen die Salatblätter von der Gabel.

„Verdammt Cass! Kannst Du uns nicht vorwarnen?" Sam widmete sich wieder den Salatblättern. Dean bekam langsam wieder Luft.

„Erstickt an einem Stück Kuchen, welch schöner Tod." sinnierte Dean. „Länger nicht gesehen, Cass. Was gibt es?"

„Sam, Dean, ich benötige Eure Hilfe." Er kam näher und ließ sich auf die Bettkante sinken und versuchte, die rappelnde Massagefunktion würdevoll zu ignorieren.

„Du siehst fertig aus. Ist alles in Ordnung?" Sam betrachtete den Engel genauer. Er wirkte müde und abgekämpft.

„So sieht er doch immer aus", murmelte Dean, der inzwischen seinen Burger auswickelte.

Der Engel knetete seine Hände und sah zu Boden, unschlüssig, wie er den Brüdern seine Lage klarmachen konnte.

„Wie es aussieht, habe ich einen Fehler gemacht. Ich dachte, ich käme alleine klar, aber ich muss leider zugeben, dass ich die Situation falsch eingeschätzt habe." Castiel blickte erst zu Sam, dann zu Dean, der mit vollem Mund fragte: „Was für eine Situation, welcher Fehler? Lass Dir nicht alles aus der Nase ziehen."

„Es gibt da diese Hexe, Esther. Sie war in den letzten Monaten sehr aktiv, viel schwarze Magie. Sie hat sogar Engel manipuliert und einige Menschen getötet. Ich dachte, ich werde alleine mit ihr fertig. Aber dann habe ich einige Veränderungen in der Vergangenheit wahrgenommen, und ..." Dean unterbrach Cass.

„In der … Vergangenheit?" Er sah den Engel jetzt prüfend an.

„Ja, ihr wisst doch, dass das mit der Zeit und den Engeln nicht immer eine so gradlinige Sache ist. Ich konnte spüren, dass sich etwas Verändert hat, nur Kleinigkeiten die sich kaum auf den Rest des Zeitablaufes auswirkten."

„Kannst Du auch sagen, was genau sich verändert hat, Cass?" Sam hatte den Salat beiseite geschoben und schenkte dem Engel inzwischen seine ganze Aufmerksamkeit.

„Das hätte ich schon erzählt, wenn Ihr beiden mich nicht ständig unterbrechen würdet." beschwerte sich Castiel.

„Ok, ok, wir sind schon still." Sam nahm abwehrend seine Hände hoch und sah mit großen Augen zu Dean. Sein Bruder warf ihm einen bedeutsamen Blick zurück.

„Also gut. Wie es aussieht, versucht Esther einen Leprechaun zu beschwören."

„Einen was?", rief Dean laut, und dann leiser: „'schuldigung, bin schon still."

„Einen Leprechaun. Das ist ein irischer Naturgeist, der in Verbindung mit großen Mengen Gold gebracht wird. Er nimmt seit Langem nicht mehr aktiv am menschlichen Leben Teil, die Christianisierung und so weiter, Ihr wisst schon. Aber man kann ihn heraufbeschwören, recht einfach sogar, wenn man bereit ist, einen Menschen zu töten." Er machte eine Pause und sah einen Moment aus dem Fenster. Sam fragte vorsichtig:

„Aber diese Hexe hat schon mehrere Menschen getötet? Ist ihr die Beschwörung nicht gelungen? Und was hat es mit diesen Veränderungen in der Vergangenheit zu tun?" Dean nickte mit vollem Mund und zeigte auf Sam.

„Nun ja, will man nicht nur den Leprechaun, sondern auch seinen Schatz, dann ist die Beschwörung etwas aufwendiger. Sie muss im Abstand von zwölfeinhalb Jahren wiederholt werden. Jede Beschwörung besteht aus sieben Blutopfern, die im Abstand von zwölfeinhalb Tagen bei einem heidnischen Ritual erbracht werden. Allerdings hat Esther diese Beschwörung erst seit Kurzem und um nicht so viele Jahre auf den Erfolg warten zu müssen, manipuliert sie irgendwie die Vergangenheit." Er schüttelte den Kopf verständnislos.

„Und das macht sie wegen … Gold? Irr ich mich, oder haben Hexen nicht einfachere Möglichkeiten, an Geld zu kommen?" Dean sah fragend in die Runde.

„Ähm, Dean, Du hast da was am Mundwinkel ..." Sam wies auf Dean's Gesicht. Sein Bruder wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und grinste ihn an: „Besser?"

„Der Goldschatz eines Leprechaun ist eher ein Synonym für etwas sehr Wertvolles. Ich bin mir nicht absolut sicher, aber es kann sich auch um einen äußerst mächtigen Gegenstand handeln, oder eine Fähigkeit. Ich konnte leider nicht mehr dazu herausfinden." sagte Cass und wirkte dabei schuldbewusst. Ihm wurde immer das Gefühl vermittelt, aufgrund seiner himmlischen Herkunft mehr wissen zu müssen.

Sam griff sein Mobiltelefon: „Ich werde Bobby bitten, ein wenig über den Leprechaun zu recherchieren."

1997 - FBI-Hauptquartier in Washington D.C. - Büro von Fox Mulder

Scully betrat Mulders Kellerbüro im X-Akten Archiv. Er saß nicht an seinem Schreibtisch.

„Mulder?" Die Agentin legte ihren Mantel sorgfältig über „ihren" Stuhl und sah sich, wie so oft, hier um. Sie hatte aufgegeben zu fragen, wieso sie keinen eigenen Schreibtisch hier unten hatte, nachdem ihr Partner ihr einen einsamen Tisch in einer dunklen Ecke weiter hinten im X-Akten-Archiv gezeigt hatte. Ihr Blick blieb an dem „I want to believe"-Poster hängen, das über das herrschende Chaos wachte. Dann schüttelte sie den Kopf.

Die Tür wurde aufgestoßen und Mulder kam mit einem Kaffee in der einen, und einem Stapel Zeitschriften in der anderen herein.

„Guten Morgen, Scully. Sie sind aber früh dran." sagte er fröhlich.

„Und Sie haben ausgesprochen gute Laune, wie ich sehe." Scully lehnte sich an den Schreibtisch, hinter dem ihr Partner Platz genommen hatte.

„Weil wir wieder nach Vermont reisen." Der Agent nahm einen Schluck von seinem dampfenden Kaffee und blickte seine Kollegin unschuldig über den Rand der Tasse an.

„Werden wir?" Fragte sie belustigt und hob skeptisch ihre Augenbrauen.

„Verraten Sie mir auch, warum wir wieder nach Vermont reisen?" Danas Stimme klang schicksalsergeben.

„Ich kenne hier am College einen Professor, der sich unter anderem mit vorchristlichen heidnischen Bräuchen auskennt, und der hat die Symbole erkannt. Scully, Sie werden es nicht glauben. Er konnte mir nicht die genaue Verwendung der Symbole erklären, aber sie stehen in Zusammenhang mit altirischer Hexerei. Eine Art Beschwörung." Mulder strahlte über diese Erkenntnis.

„Das heißt, wir fliegen nach Vermont, um nach einer Hexe zu suchen? Mulder, das kann nicht Ihr Ernst sein. Bitte sagen Sie nicht, wir suchen eine Hexe."

„Wir suchen keine Hexe. Wir suchen jemanden, der oder die sich für eine Hexe hält." Fox sprang auf.

„Kommen Sie Scully, in zwei Stunden geht unser Flugzeug. Müssen Sie noch zu Hause vorbei?"

2009 - einige Tage später irgendwo in Vermont - ein anderes Motel

„Was machen wir, wenn wir Esther nicht finden, bevor sie das siebte Opfer tötet und das Ritual beendet? Ich meine, müssen wir diesen Leprechaun töten? Ist er ein Monster, oder übergibt er nur sein Gold und ist sonst harmlos?", fragte Sam, während er gebannt auf den Bildschirm seines Laptops sah.

„Im Zweifel ist er ein Monster und im Zweifel töten wir ihn, nur um sicherzugehen." verkündete Dean, der einige Waffen vor sich auf dem Bett ausgebreitet hatte und jede einer gründlichen Reinigung unterzog. Sam schloss kurz die Augen und atmete einmal tief ein und wieder aus.

„Hör zu Dean. Nicht alles, was nicht von dieser Welt ist, ist gleich ein Monster. Wir sollten sicher sein, ob er es verdient hat, bevor wir ihn umbringen." Dean wollte widersprechen, aber Castiel kam ihm zuvor.

„Der Leprechaun ist harmlos. Ich denke nicht, dass wir ihn töten müssen. Aber wir müssen unbedingt verhindern, das Esther in den Besitz dessen kommt, was der Leprechaun beschützt. Alles deutet darauf hin, dass es sich bei seinem ‚Gold' um einen sehr machtvollen Gegenstand handelt, der Esther unbesiegbar und nahezu gottgleich machen würde." Cass stand von seinem Stuhl auf.

„Ich werde mich jetzt auf die Suche nach Esther machen. Dank Deans Flirt mit der äußerst redseligen Bedienung im Diner haben wir glücklicherweise einen Anhaltspunkt. Bis später, Jungs." Da, wo der Engel einen Augenblick zuvor noch gestanden hatte, fiel eine graue, etwas zerrupft wirkende Feder zu Boden.

„Ok, ich weiß jetzt, wie man das Ritual unterbrechen oder unwirksam machen kann. Wir benötigen drei selbst gepflückte vierblättrige Kleeblätter, echten Irischen Whiskey und, ähm … Schafwolle." Sam grinste seinen Bruder breit an. „Die Kleeblätter müssen in die Wolle massiert werden, bis diese grün ist, dann wird sie mit dem Whiskey beträufelt. Dann muss man diese Wolle nur noch in den Mund desjenigen stecken, der das Ritual begangen hat, und ihn dann noch mit einem Schluck Whiskey bespucken. Dann verschwinden der Leprechaun und sein Gold, oder was auch immer er gehortet hat, wieder in seinem Versteck." Sam sah von dem eigenartigen Rezept auf.

„Kein Blut, keine Knochen, keine Artefakte, für die wir unser Leben riskieren müssen. Klingt doch gut, oder was meinst Du Dean?" Der Ältere hatte die Waffen inzwischen wieder unter dem Bett verstaut und sich auf selbigem ausgestreckt.

„Echt jetzt? Ok, Du gehst Blümchen pflücken. Ich kümmere mich um den Whiskey und die Schafe." Dean grinste überlegen, in der Annahme, den besseren Deal gemacht zu haben.

„Einverstanden, ich würde sagen, wir machen uns sofort auf den Weg. Dann können wir loslegen, sobald Cass die Hexe gefunden hat." Sam stand vom Tisch auf, griff sich seine Jacke und ging zur Tür. Dean blieb noch einen kurzen Moment liegen, atmete tief ein und erhob sich in einer mühsam wirkenden Bewegung, die seine Motivation, oder den Mangel daran, zeigte.

„Ich nehme den Wagen", sagte Dean, zog sich seine Jack über und griff nach den Schlüsseln. „Für die Schafe muss ich raus aus dem Ort. Soll ich dich an irgendeiner Blumenwiese absetzen?"

Etwas irritiert hielt Dean wenige Minuten später im Zentrum des kleinen Ortes und blickte sich nach einer Wiese um, sah aber nur einige gepflegte Blumenbeete und Rasen, der so penibel gestutzt war, dass er sich nicht vorstellen konnte, dort auch nur ein Kleeblättchen zu finden. Aber er fragte nicht weiter und setzte seinen Weg fort. Er erinnerte sich an eine Weide etwas außerhalb, auf der er bei der Ankunft einige Schafe gesehen hatte.

Tatsächlich fand Dean dort mehrere Muttertiere mit ihren Lämmern und einen Bock, um den er beim Betreten der Weide einen Bogen schlug. Dean zupfte ein Büschel des saftigen Grases ab und ging, dieses Büschel vor sich haltend langsam auf das nächste Schaf zu. Als er sich dem Tier bis auf zwei Schritte genähert hatte und seine freie Hand nach der Wolle ausstreckte, machte es ein Sprung nach vorn und rannte blökend davon.

Er sah sich nach den anderen Schafen um, doch die hatten sich, durch die Reaktion ihres Herdenmitgliedes aufgeschreckt, vorsorglich ebenfalls auf Abstand zu dem Fremden gemacht.

Dean ließ die Hand mit dem Gras sinken und schätzte seine Chancen ab. Lediglich der Bock schien nicht so vorsichtig zu sein. Im Gegenteil, er war sogar ein Stück auf ihn zugekommen. Der Jäger straffte sich, streckte die Hand mit dem Gras lockend vor und näherte sich langsam dem gehörnten Tier.

„Na, mein Großer. Du hast da aber ein paar schöne Hörner. Und so viel Wolle, davon kannst Du mir doch sicher eine Handvoll abgeben, oder?" sprach er in ruhigem Ton auf das Tier ein. Es schien zu wirken, der Bock bewegte sich nicht von der Stelle und hob interessiert den Kopf.

„Schafi, Schafi, Schafi. Bleib schön stehen" flüsterte Dean, als der Kopf des Tieres in Reichweite schien. Er streckte die Hand nach dem Hals aus und griff zu. „Ein kleiner Ruck, und alles ist vorbei."

Das männliche Schaf schnaubte und machte einen Satz nach vorn, traf Deans Körpermitte und war mit dem nächsten Sprung davon. Der Mann klappte wie ein Buch zusammen und landete nach Luft schnappend im feuchten, mit Schafkot durchsetzten Gras.

„Du elendes Drecksvieh", keuchte er. „Wenn ich Dich zu fassen kriege …" Die Luft blieb ihm erneut weg. Er blickte auf seine Hand, an der ein paar Haare von dem Bock klebten, nicht genug für ihren Zweck. Er stöhnte laut und erhob sich sehr langsam und sehr vorsichtig.

„Hey, Sie da! Ja, Sie! Was treiben Sie da bei meinen Schafen? Verstören Sie die Muttertiere nicht! Ich glaube es nicht." Kopfschüttelnd und mit einer Mistgabel bewaffnet kam ein Mann über die Weide.

Dean hielt seine Hände abwehrend von sich gestreckt.

„Entschuldigung Mister. " Er bekam immer noch schlecht Luft. „Es ist nicht das, wonach es aussieht."

„Ach ja? Wonach sieht es denn aus?" Der Fremde war mit etwas Abstand stehen geblieben und hielt die Mistgabel zwar nicht auf Dean gerichtet, aber so, dass eine kleine Drehung reichte, um zuzustechen.

Darauf wusste Dean nichts zu erwidern und bastelte im Kopf an einer Ausrede.

„Hören Sie, ich wollte Ihren Schafen nichts Böses. Eigentlich wollte ich nur meiner Nichte helfen. Sie arbeitet an einem Schulreferat über Schafe und ich dachte, es wäre eine hervorragende Idee, wenn sie etwas echte, naturbelassene Wolle als Anschauungsmaterial hätte. Ich wusste nicht, dass die Tiere so scheu sind." Der Bauer sah den Mann vor sich misstrauisch an.

„Anschauungsmaterial, was? Warum haben sie nicht einfach die Büschel vom Zaun genommen?" Er wies mit der Heugabel zum Rand der Weide, wo am Stacheldraht überall Büschelweise ausgerissene Wolle hing.

Die Tür ging auf und ein völlig verdreckter Dean betrat das Motel-Zimmer. Cass saß am Tisch über einer Landkarte und Sam kam eben aus dem Bad.

„Hey Dean, was hat Dich aufgehalten? Hast Du die Wolle und den Whiskey?" er sah seinen Bruder erwartungsvoll an. „Und warum siehst Du aus, als hättest Du Dich auf einer Wiese gewälzt?" Sam schnupperte. „Riechst Du so?"

Dean griff in die Tasche seiner Jacke und holte eine Handvoll Wolle hervor, aus der Innentasche zog er eine kleine Flasche Whiskey.

„Frag einfach nicht", erwiderte er kühl. „Hast Du die Kleeblätter gefunden?" Er begann, sich die verschmutzte Kleidung auszuziehen. Cass schnupperte in die Luft.

„Du riechst nach Schafkot. Das erinnert mich an früher, als die Menschen sich ihre Häuser noch mit ihren Tieren geteilt haben, da hat es in ganz Europa so gerochen." Er blickte ein wenig wehmütig, wandte sich dann den Mitbringseln zu.

„Ich musste die Kleeblätter nicht finden. Ich bin einfach ins nächste Blumengeschäft gegangen und habe einen Topf mit vierblättrigen Kleeblättern gekauft. Die gibt es dort als Glücksbringer. Und der Text besagt nur, dass wir sie selbst pflücken müssen, nicht, dass es wild gewachsen sein muss." Sam leckte sich über die Lippen und bedachte seinen nächsten Worte genau. Dann konnte er sich ein Grinsen nicht verbergen.

„Du hättest auch naturbelassene Schurwolle im nächsten Handarbeitsgeschäft kaufen können."

Cass blickte auf und nickte.

„Echt jetzt? Ihr zwei wollt mich doch wohl verarschen? Ihr meint mein Baby und ich müssten gar nicht so stinken?" Er sah die beiden an. Sam zuckte mit den Schultern und nickte.

„Ich gehe duschen." Als endlich die Dusche rauschte, brachen Sam und Castiel in schallendes Gelächter aus.

1997 - Vermont - ein verregneter Waldweg

„Mulder, wann geben Sie endlich zu, dass wir uns verfahren haben? Lassen Sie uns zur Hauptstraße zurückkehren und uns von jemandem helfen, der die Gegend kennt. Vermutlich werden die meisten Wege so selten genutzt, dass sie nicht mal wie Wege aussehen." Scully blickte durch den Regenschleier hinter dem Fenster und war sich sicher, schon wieder so etwas wie einen Waldweg gesehen zu haben.

„Aber Scully, wir werden doch nicht aufgeben. Der Mann an der Tankstelle hat den Weg genau beschrieben, und er sagte, dass der Weg zum Haus der Hexe nach etwas mehr als sieben Meilen auf der linken Seite kommt, nachdem wir die Hauptstraße verlassen haben. Und wir sind noch keine sieben Meilen gefahren."

„Wenn ich das schon höre. Diese ‚Hexe' ist vermutlich nur eine alleinstehende Frau, die sich nicht in die lokale Gesellschaft einfügt. Denken Sie nicht, dass, wen immer wir suchen, diese Person sich eher unauffällig geben würde und von den Nachbarn vermutlich sehr geschätzt wird? Und was wollen Sie überhaupt machen, falls wir diese Frau finden? Zu ihr hingehen und fragen: Sind Sie die Hexe, die sieben Männer in einer Art Ritual ermordet hat?" Mulder wies mit einer Hand durch die Windschutzscheibe auf die vor ihnen liegende Biegung, dann lächelte er sie nonchalant an.

„Sehen Sie, dort ist die Abzweigung. Und sehen Sie die Pilze dort? Wenn das kein Omen ist, weiß ich es auch nicht." Scully reckte ihren Hals, um Mulders Omen zu sehen.

„Ein Hexenkreis kommt in der Natur recht häufig vor, Mulder. Er entsteht, wenn sich das Myzel eines Pilzes in der Erde gleichmäßig in alle Richtungen ausbreitet", dozierte sie. „Das ist purer Zufall. Sind Sie sicher, dass Sie den Weg benutzen wollen? Er sieht aus, als wenn wir uns dort festfahren könnten." Beinahe hätte sich die Agentin auf ihre Zunge gebissen, als ihr die Bedeutung ihrer eigenen Worte klar wurde. Dann sah sie auf ihre Schuhe hinab.

„Na super", flüsterte sie.

Nachdem die beiden FBI-Agenten dem Weg etwa fünfzehn Minuten gefolgt waren, blieb Mulder stehen und hielt sich den Zeigefinger an die Lippen.

„Scully, hören Sie das?" Gedämpft durch die Bäume und den Nebel drangen die Geräusche einer Auseinandersetzung oder eines Kampfes an ihre Ohren. Gleichzeitig griffen die zwei nach ihren Waffen und rannten dem Tumult entgegen.

Schließlich lichtete sich der Wald und gab den Blick auf eine große Lichtung frei, an deren gegenüberliegenden Seite ein heruntergekommenes Holzhaus stand. Mitten auf der Lichtung hing ein 1967 Chevrolet Impala schräg auf einem dicken Baumstumpf.

Den Tumult verursachten drei eher leger gekleidete Männer, die versuchten eine rothaarige Frau zu fangen. Sie hielt einen Handteller großen Gegenstand in der Hand und konnte den Männern mit erstaunlichem Geschick entgehen.

Eben in diesem Augenblick schien es, als wenn die Rothaarige von einem Mann mit Trenchcoat und einem größeren Mann mit längeren Haaren in einer Ecke zwischen der Veranda und einem Stapel Holz in die Falle gegangen wäre, als der große auf der feuchten Wiese ausrutschte und der Länge nach hinfiel, und so einen Fluchtweg für die Frau freigab.

Mulder beobachtete die Szene amüsiert und wollte noch einen Moment zusehen, doch Scully feuerte zweimal in die Luft.

„FBI!", rief sie. „Hören Sie sofort auf, die Frau zu jagen. Bleiben Sie alle stehen und zeigen Sie uns Ihre Hände. Auch Sie, junge Frau, und Sie lassen fallen, was immer Sie da in der Hand haben!"

2009, oder so - Vermont

Während Dean duschte, begann Sam die Wolle nach Anleitung vorzubereiten und steckte den fertigen Gegenzauber in einen Lederbeutel. Der restlichen Whiskey verschwand in der Innentasche seiner Lederjacke.

Gemeinsam machten sich die drei Männer auf den Weg, in der Hoffnung, Esther aufhalten zu können, bevor sie ihr siebtes Opfer getötet, und in Besitz des Leprechaun-Schatzes gelangt war.

Castiel navigierte Dean über mangelhaft befestigte Waldwege bis hin zu etwas, was wenig mehr als ein breiter Trampelpfad durch den dichten Wald war.

„Sollten wir den Wagen nicht besser stehen lassen, bevor wir uns fest fahren?" Sam sah zweifelnd auf den Weg, der sich zwischen den Bäumen durch wandte. Doch Dean schüttelte den Kopf.

„Mein Baby allein zurücklassen? Niemals. Wir schaffen das, nicht wahr?" Er streichelte mit der rechten Hand das Dashboard.

Castiel saß vornüber gebeugt auf der Rückbank und blickte zwischen den beiden Vordersitzen durch.

„Ich glaube, da vorn ist die Lichtung mit ihrem Haus. Seid bitte vorsichtig, Esther ist eine sehr mächtige Hexe, mächtiger als die, mit denen Ihr bis jetzt zu schaffen hattet."

Dean ging vom Gas und ließ den Wagen langsam aus dem Wald heraus auf die Lichtung rollen. Den Männer war augenblicklich klar, dass sie zu spät waren, um die Beendigung des Rituals zu verhindern.

Etwas links von ihnen, etwa hundert Meter entfernt auf der Lichtung, stand eine rothaarige Frau auf einem großen Baumstumpf. In der rechten, erhobenen Hand hielt sie ein beachtliches Messer, die Linke war in die dünnen Haare eines gefesselten Mannes gekrallt, dessen Kopf die Frau brutal in den Nacken zog.

Sie blickte die Jäger direkt an, senkte die Hand mit dem Messer und zog die Klinge über die Kehle ihres letzten Opfers. Blut brach wie eine Fontäne aus seinen zerfetzten Adern hervor.

Dean trat auf Gaspedal und steuerte direkt auf den Baumstumpf zu.

„Dean, was tust Du? Das klappt niemals!" schrie Sam, doch er wusste, das sein Bruder nicht vom Gas gehen würde.

Esther ließ den Kopf des toten Mannes los, der leblose Körper sackte wie eine Puppe in sich zusammen. Gleichzeitig erschien wie aus dem nichts eine skurrile, kleiner, nackter Mann mit einem überdimensionalen, zerknautschten, grünen Zylinder auf dem Kopf vor Esther und hielt ihr einen gebogenen Gegenstand hin. Die Hexe griff danach, wandte sich dem auf sie zurasenden Impala zu und gestikulierte, während sie einen Zauber sprach.

Der kleine, nackte Mann löste sich in einer grünen Wolke aus Nebel und Glitter auf.

Sam, Dean und Castiel wurden in gleißend helles Licht getaucht und vom abrupten Stoppen des Wagens auf ihren Sitzen nach vorn geschleudert, dann fiel das Auto aus der Luft und landete mit der vorderen Achse hart auf dem großen Baumstumpf.

Der Aufprall schüttelte die geblendeten Männer hart durch und als der Impala in Schräglage zur Ruhe kam, blieben die drei zunächst benommen in den Sitzen liegen.

Sam rieb sich über die zusammengekniffenen Augen und teste dann vorsichtig, ob er noch sehen konnte.

„Hier stimmt etwas nicht", sagte er leise. „Hier stimmt etwas ganz und gar nicht. Dean!" sein Bruder blinzelte aus zu Schlitzen verengten, tränenden Augen zu ihm hinüber und blaffte:

„Was Du nicht sagst, Sam. Cass, ist alles in Ordnung?" Der Engel saß aufrecht auf der Rückbank, den Blick auf das Haus am Rand der Lichtung gerichtet und auf die Hexe Esther, die nicht weit entfernt auf der Wiese stand, den gebogenen Gegenstand triumphierend über sich haltend.

„Das wird euch nicht gefallen, denke ich." Cass Stimme hatte diese teilnahmslose Ruhe, die in beiden Brüdern sofort die Alarmglocken schrillen ließ.

„Wenn mich nicht alles täuscht, hat Esther uns mit einem Zauber in die Vergangenheit geschickt."

Dean runzelte die Stirn.

„Ist diese Hexe so mächtig, Cass? Ich meine, Zeitreisen sind schon eine ganz besondere Nummer, oder nicht? Und dann auch noch samt Auto", Dean's Blick wurde weich und er streichelte mit einer Hand das Lenkrad.

„Oh Baby, was hat die böse Hexe Dir nur angetan?" Er fixierte die Frau, die mit der freien Hand auf ihn zeigte und dann eine lockende Geste mit ihrer freien Hand machte.

Sam hatte sich wieder gefasst und starrte ebenfalls durch die Windschutzscheibe, um sich ein Bild von der Situation zu machen.

„Du könntest recht haben. Ich habe das Haus vorhin nur kurz gesehen, aber es wirkt jetzt weniger verfallen, oder was meint Ihr?" Er hatte seinen Satz noch nicht beendet, als Dean knurrte und aus dem Wagen sprang.

„Dieses Miststück schnappe ich mir. So geht keiner mit meinem Baby um!"

Sam biss die Zähne zusammen und runzelte ärgerlich die Stirn.

„Dean, warte! Komm Cass, hinterher." rief er, während er mit der Tür kämpfte, die durch die Schräglage blockiert wurde.

„Hast Du die Wolle?", fragte der Engel und half Sam aus dem Auto.

„Griffbereit", flüsterte Sam durch die Zähne und setzte seinem Bruder nach, gefolgt von Castiel.

„Seid vorsichtig", rief Cass den Brüdern zu, während sie versuchten, der Hexe den Weg zum Haus abzuschneiden. „Sie hat vom Leprechaun bekommen, was sie wollte. Wir wissen noch nicht, was es damit auf sich hat!"

Dean hatte den Vorsprung der Hexe fast ausgeglichen, als diese beim Haus ankam und leichtfüßig die Stufen zur Veranda nahm.

„Jungs, ihr könnt mir nichts anhaben", sie lachte überlegen und wedelte mit dem Gegenstand in Deans Richtung. „Jetzt nicht mehr. Es ist zu spät." Dean stutzte.

„Ist das ein Hufeisen? Willst Du mich verarschen, Du Miststück?"

„Aber, aber, junger Mann! Spricht man so mit einer Dame? Es ist nicht irgendein Hufeisen. Es ist DAS Glückshufeisen, auf das der Aberglaube zurückgeht, Hufeisen seinen Glücksbringer." Sie lachte schallend.

„Von nun an wird mir alles gelingen, egal was ich auch anfasse!" die letzten Worte flüsterte sie.

„Jetzt Cass!", schrie Dean, der beobachtet hatte, wie sich der Engel von der anderen Seite auf die Veranda geschlichen hatte. Castiel machte einen Satz vorwärts, um Esther zu greifen, und landete hart auf dem hölzernen Boden, während die Frau mit einem eleganten Sprung über das Geländer in das ungepflegte Blumenbeet machte.

Sam, der direkt hinter dem Engel auf die Veranda gestürmt war, sprang zeitgleich mit seinem Bruder der Hexe hinterher.

Es begann eine wilde Treibjagd, die die drei Männer und die Hexe in den angrenzenden Wald und wieder zurück auf die Lichtung brachte, wobei die langsamere Frau dem Trio stets ein Schritt voraus war, und alle Versuche, ihr eine Falle zu stellen, vorauszuahnen schien.

Dean nahm im Lauf Blickkontakt mit seinem jüngeren Bruder und dem Engel auf und deutete auf den großen Holzstapel, der beinahe im rechten Winkel auf das rechte Ende der Veranda traf und Esthers Flucht behindern würde. Die beiden Männer nickten und das Trio stimmte seine Verfolgungsjagd so ab, dass sie die Hexe in die gewünschte Richtung trieben.

Sam und Cass blieben im Rücken der Frau, während Dean einen Bogen lief, um den Fluchtweg über die Veranda zu blockieren. Der Plan schien zu gelingen, und Esther sah sich plötzlich in der Falle. Vor ihr die Veranda, auf der sich Dean bereits positionierte, der Weg in den Wald durch den viel zu hohen Stapel gehackten Holzes blockiert und hinter ihr kamen Cass und Sam auf sie zu.

Esther drehte sich und blickte suchend umher, dann sackten ihre Schultern herab. Sie stieß einen wütenden Schrei aus.

Sam verlangsamte seinen Schritte, lächelte überlegen und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch dann riss er seine Augen auf, taumelte rückwärts und schlug der Länge nach ins ungepflegte Gras. Cass sprang vor, um die so entstandene Lücke sofort zu schließen, doch die Hexe reagierte schnell, als sich ihr abermals ein Fluchtweg offenbarte.

„FBI!", der Ruf ließ die Köpfe von Esther und den Männern herumfahren. „Hören Sie sofort auf, die Frau zu jagen. Bleiben Sie alle stehen und zeigen Sie uns Ihre Hände. Auch Sie, junge Frau, und Sie lassen fallen, was immer Sie da in der Hand haben!"

Esther blieb wie angewurzelt stehen, hob ihre Hände, ohne das Hufeisen loszulassen. Sam und Dean wurden langsamer und hoben die Hände leicht an, bewegten sich aber weiter auf die Hexe zu.

Cas blieb stehen, legte den Kopf grüblerisch zur Seite.

„Das muss sich um ein Missverständnis handeln", Sam griff mit zwei Fingern vorsichtig in die Innentasche seiner Jacke. „Wir sind ebenfalls vom FBI. Hier ist mein Ausweis. Ich bin Sam Iommi", er wies auf Dean. „Das ist mein Partner Dean Ossbourne, und das", Sam deutete Richtung Castiel. „Ist Agent Cass Dio, der uns als Unterstützung für diesen Fall zugeteilt wurde." Cass hob eine Hand und deutete einen Gruß an.

Zeitgleich plapperte Esther drauflos.

„Wie gut, dass Sie gekommen sind. Diese Männer haben mich verfolgt. Ich musste um mein Leben rennen. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Sie beide nicht hierhergekommen wären. Ich bin ja so froh, man liest in den Zeitungen ja so allerhand schlimme Sachen. Ich sollte mir endlich einen Wachhund und eine Waffe zulegen, oder was meinen sie? Kann ich meine Hände wieder runternehmen? Ich bin ja so erschöpft von meiner Flucht. Ich muss unbedingt etwas trinken." Sie wandte sich während dieses Wortschwalls von Scully ab und Mulder zu, der offensichtlich mehr Interesse an dem zu haben schien, was sie sagte.

1997 - Immer noch im Wald - Oder: Agents! Agents?

Scully ging langsam auf die Gruppe zu, die Waffe weiter in der Hand aber zu Boden gerichtet. Sie ignorierte die rothaarige Frau, die ihrer Meinung nach mit einer viel zu schrillen Stimme viel zu schnell sprach und steuerte auf den großen Mann mit dem Dienstausweis zu. Zwei Schritte vor ihm blieb sie stehen, kniff die Augen leicht zusammen, las und verglich das Bild im Ausweis mit dem Original.

„Agent Iommi? Können Sie mir erklären, was hier vor sich geht? Welche Dienststelle hat Sie beauftragt?" Mulders Kopf fuhr herum und er blickte zu Sam, dann zu Dean, wieder zu Sam und schließlich zu Casteil, der inzwischen näher gekommen war.

„Moment, Sie heißen Iommi, Ossbourne und Dio? Wie die Gründungsmitglieder von Black Sabbath?"

„Ja, komischer Zufall. Aber so was kommt vor, oder?" Dean bemühte sich, nicht allzu nervös zu klingen.

„Wir wurden von unserer Dienststelle in Washington beauftragt. Wir sind spezialisiert auf Verbrechen im Zusammenhang mit kultischen Ritualen und sollten eine ungewöhnliche Häufung eigenartiger Selbstmorde untersuchen, die vermutlich eher rituelle Morde waren", erklärte Sam schnell, dann reichte er Scully eine Visitenkarte.

„Rufen Sie doch bei unserem Vorgesetzten an, Agent Willis, er wird Ihnen unseren Auftrag gerne bestätigen."

„Haben Sie schon von", Scully blickte auf die Karte „Tom Willis gehört, Mulder?" Der Agent schüttelte den Kopf. „Aber selbst ich kann nicht jeden kennen. Allerdings wundert es mich, dass mir entgangen sein soll, dass sich noch eine Einheit in D.C. mit dieser Thematik befasst."

„Wie dem auch sei, ich würde jetzt gerne damit fortfahren, diese Frau festzunehmen, auf deren Konto die angeblichen Selbstmorde gehen. Der Beweis liegt da drüber neben unserem Auto, ihr letztes Opfer. Leider waren wir Sekunden zu spät, um die Tat zu verhindern." Sam nickte der Agentin zu und ging hinüber zu Esther.

„Sie meinen, Sie haben den Mord gesehen?", fragte Scully überrascht. Cass trat vor.

„In der Tat. Leider konnten wir dem Opfer nicht mehr helfen und das Erscheinen des Leprechaun unterbinden." Sein Blick zeigte echtes Bedauern. Scully hob ungläubig die Augenbrauen.

„Leprechaun?", sagte Sie zweifelnd. „So wie der Kobold aus den irischen Sagen?" Ein Tumult hielt sie davon ab, weiter über so etwas Unsinniges nachzudenken.

„Ihr bekommt das Hufeisen nicht, ihr Wichser!" Esther wehrte sich mit Händen, Füßen und Zähnen gegen den Versuch der Brüder, der Hexe den magischen Gegenstand abzunehmen und ihr Handschellen anzulegen.

„Cass, könntest Du bitte …", rief Dean entnervt. Mulder machte einen Schritt auf das Gerangel zu, aber Cass hielt ihn an der Schulter, schob sich an ihm vorbei und berührte die Frau an der Stirn. Leblos sackte sie zusammen.

„Echt jetzt?", entsetzt sah Sam zu dem Engel, dann zu den beiden echten FBI-Agents. „Du solltest ihr nur das verdammte Hufeisen abnehmen!" Castiel beugte sich vor und nahm den Glücksbringer an sich.

„Ich dachte mir, wir sollten das Reinigungs-Ritual schnellstmöglich hinter uns bringen."

„Was haben Sie mit der Frau gemacht?" Fragte Dana entsetzt, schob Cass und Dean zur Seite und kniete sich neben der leblos daliegenden Frau nieder. Sie tastete am Hals nach dem Puls der Frau und entspannte sich dann etwas. Die Agentin erhob sich wieder und fuhr zu dem Engel herum.

„Was haben Sie getan? Ich meine wie …?" sie hob ratlos die Schultern und sah dann zu Mulder, der auffallend passiv war.

„Mulder! Sagen Sie auch mal was zu dieser Situation? Das ist doch nicht normal!"

„Da haben Sie recht, Scully, das ist alles andere als normal. Aber ich bin noch nicht ganz dahintergekommen, worum es wirklich geht und sehe derzeit keinen Grund, mich einzumischen. Die Agents scheinen zu wissen, was sie tun." Scully wandte sich wieder Cass zu.

„Agent … Dio, das ist doch ihr Name, oder? Ich will jetzt wissen, was …? Was treiben Sie da?"

Sam und Dean knieten neben Esther. Sam hatte den Lederbeutel mit der Wolle und die Flasche Whiskey bereits aus seiner Jacke geholt.

„Also nur in den Mund stecken, Whiskey drüber, und der Spuk ist vorbei, richtig?", fragte Sam.

„Richtig", antwortete Dean, griff sich den Beutel, öffnete die Verschnürung und nahm die grünliche Wolle heraus.

„Los Sam, halte ihr den Mund auf!"

Fasziniert betrachte Mulder, wie „Agent Iommi" der Frau vorsichtig den Kiefer auseinander drückte und „Agent Ossbourne" eine nach schmutziger Wolle aussehende Masse in die Mundhöhle legte.

„Sagen Sie, glauben Sie an das, was Sie da machen?" Er bekam keine Antwort und wurde Zeuge, wie die Männer eine kleine Flasche Whiskey öffneten und den Alkohol vorsichtig in den Mund der Frau gossen.

Scully wollte schon eingreifen und darauf hinweisen, dass die Frau sich verschlucken und sogar ersticken könnte. Doch kaum benetzten die ersten Tropfen Whiskey die Wolle in Mund der Hexe, flogen ihre Augen auf, ihr Oberkörper wölbte sich vor und grünlicher Rauch quoll zwischen ihren Lippen hervor. Die Hexe spukte den schleimigen Klumpen, der einmal die Wolle gewesen war aus und keuchte.

„Nein!" Sie schrie aus voller Kehle. „Alles umsonst." Esther beugte sich vor und streckte ihre Hand nach dem Hufeisen, doch Cas brachte es mit zwei Schritten aus ihrer Reichweite.

„Zwölf Jahre Planung und Erwartungen. Und dann kommt ihr Idioten und zerstört meine Zukunft." Sie hob ihre Hände, verdrehte die Augen und begann einen Singsang.

„Occideris ingrata persona, occideris ingrata persona, occideris … Ahhhhhh!"

Zeitgleich ließ Castiel das magische Artefakt fallen, als wenn er sich verbrannt hätte. Überrascht wisperte er:

„Jungs, irgendwas passiert hier. Ich konnte dieses Ding plötzlich nicht mehr festhalten." Alarmiert sprangen die Brüder auf.

„Sam, halte ihr den Mund zu, ich besorge mir jetzt eine Machete", rief Dean und lief zu seinem Auto.

Grüner Nebel breitete sich aus dem Nichts auf der Wiese aus und Esther entfuhr ein langer, verzweifelter Schrei.

„Nein!"

Triumphierendes Lachen erklang von überall her aus dem Nebel, der sich an einer Stelle verdichtete und wieder die Form des kleinen, nackten Mannes mit dem riesigen Zylinder annahm. Weiter lachend reckte er eine Hand vor.

„Mein bleibt mein. Ich hatte dich gewarnt Esther, niemand kann das Glück erzwingen."

Das Hufeisen begann zu zittern, sprang abrupt in die Luft und flog in die Hand des kleinen Mannes. Der winkte grinsend und verpuffte wieder zu grünem Nebel.

Mulder begann laut zu lachen.

„Scully, haben Sie das gesehen? Unglaublich. Ich freue mich schon, Skinner den Bericht zu liefern." Scully schüttelte den Kopf und sah von einem Mann zum anderen, zu Esther, die in sich zusammen gesunken war und schniefte, und schüttelte wieder den Kopf.

„Was war das?" Ihre Frage war an niemandem im Speziellen gerichtet, doch Cass antwortete ihr, während Sam und Dean berieten, wie sie mit Esther verfahren sollten.

„Das war der Leprechaun, den ich zuvor bereits erwähnte."

„Natürlich war er das", bestätigte Scully und deutet mit ihrer Rechten auf Castiel.

„Und Sie sind nebenberuflich ein Hypnotiseur, oder Vulkanier und können einen Menschen mit einer Berührung ins Reich der Träume schicken."

„Eigentlich bin ich ein Engel", antwortete Cass, ohne eine Miene zu verziehen. Sie sah zu Mulder und zuckte mit den Schultern.

„Ein Engel, natürlich. Dann ist ja alles klar." Sie machte eine kurze Pause.

„Wissen Sie was, Mulder, mir reicht es für heute. Ich gehe jetzt zurück zum Auto. Mir scheint, die Agents benötigen unsere Hilfe nicht. Und ehrlich gesagt, ich wüsste gerade auch gar nicht, was ich hier machen sollte. Außerdem ist unser Fachgebiet doch Aliens, oder?" Ohne sich noch mal umzudrehen, überquerte die Agentin die Lichtung und hielt auf den schmalen Weg zu, der zurück zum Wagen führte.

„Habe ich ihre Partnerin verärgert, Agent Mulder?"

„Nein, Agent Dio. Ich fürchte, es war heute alles ein wenig zu viel. Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht so recht, was ich von dieser Situation halten soll. Ich denke, ich werde Agent Scully besser folgen, Sie kommen doch zurecht?", er blickte an Cass vorbei zu der Stelle, wo Sam und Dean sich leise, aber eindringlich mit der am Boden hockenden Hexe unterhielten.

Castiel schürzte die Lippen und nickte.

Mulder tippte sich grüßend mit zwei Fingern an einen imaginären Hut, wandte sich ab und folgte Scully.

Der Engel ging bereits zu den Brüdern hinüber, als ein Ruf ihn noch mal dazu brachte, sich umzusehen.

„Agent Cass Dio? Eine Frage hätte ich noch. Sie sind nicht vom FBI, oder?"

Cass antwortete nicht. Er lächelte. Mulder lächelte zurück und ging.

2009 - Casa Bobby

„So Leute, entschuldigt mich, aber ich muss mich jetzt erst mal um mein Baby kümmern." Dean nahm noch einen Schluck, dann verließ er Bobbys Arbeitszimmer. Einige Sekunden später schloss sich die Eingangstür hinter ihm.

„Und ihr seid euch sicher, dass diese Hexe nicht noch mal ihr ‚Glück' versuchen wird?" Bobby lehnte sich zurück, ließ den Stuhl ein wenig kippen und legte die Beine nacheinander auf den mit Büchern und Manuskripten überladenen Schreibtisch.

„Ja, laut Überlieferung sieht es so aus, das jeder diesen Zauber nur ein mal ausführen kann. Außerdem wurde Esther durch den Bruch des Zaubers und den Verlust der Macht des Hufeisens wohl auch ihre eigene Zauberkraft geraubt. Zumindest der größte Teil. Auf jeden Fall ist sie jetzt harmlos."

„Trotzdem seid Ihr Idioten!", knurrte Bobby. „Wie konntet Ihr euch so leichtsinnig einer so mächtigen Hexe nähern? Ihr könnt von Glück reden, dass euer neuer Haus-Engel genug Saft hatte, um euch wieder ins richtige Jahr zu bringen. Mehr Glück als Verstand habt Ihr!" Bobby bediente sich großzügig an dem Whiskey.

„Wo wir von ihm sprechen, wie geht es Castiel eigentlich?"

Sam atmete tief ein und sah zu Boden.

„Er sagt, es geht ihm gut. Aber wenn Du mich fragst, ich bin mir nicht sicher, ob er so etwas noch mal schafft."

Die beiden Männer schwiegen einen Moment.

„Na komm, Sam. Lass uns mal sehen, ob wir Deinem Bruder helfen können, den Impala wieder flottzumachen."