Aufgabenteil A: Internordische Semikommunikation Wenn Sprecher verschiedener Sprachen aufeinandertreffen, kann es zu Problemen bezüglich der Verständlichkeit bei der Kommunikation kommen. In der Mehrheit der Fälle gibt es dann nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten. Zum einen könnte eine Seite die Sprache seines Gegenübers beherrschen und diese anwenden, zum anderen könnten beide Seiten eine gemeinsame Sprache beherrschen und über diese miteinander kommunizieren. Falls diese beiden Möglichkeiten sich nicht realisieren lassen, ist eine erfolgreiche Verständigung sehr schwierig oder unmöglich. In einigen Sprachräumen gibt es jedoch eine dritte Alternative. Diese Alternative, Semikommunikation genannt, ermöglicht unter gewissen Voraussetzungen eine erfolgreiche Kommunikation, ohne das Sender und Empfänger den gleichen Code teilen. Dies ist notwendig, da im Falle der Semikommunikation „[...]Personen ihre jeweils eigene Sprache sprechen, aber […] die Sprache des Gesprächspartners verstehen"1 . (Hansen 1994 in Zeevaert 2004: 22). Regionen, in denen sich dies problemlos umsetzten lässt, sind rar. Meistens treffen entweder Sprachen aus zwei gänzlich verschiedenen Sprachfamilien aufeinander oder die Sprachen haben sich, ob gewollt oder ungewollt, zu weit von ihrem gemeinsamen Ursprung entfernt. Eine Semikommunikation, die über einige wenige einfache Phrasen hinausgeht, ist deshalb unmöglich. An dieser Stelle nehmen die skandinavischen Sprachen eine Sonderstellung ein. Sie haben sich weit genug von einander separiert, um als jeweils eigenständige Sprachen angesehen zu werden und im Gegensatz zu anderen Regionen wo Semikommunikation angewandt werden könnte, stellt sie in Skandinavien häufig einen festen Bestandteil des Alltags dar. Sie sind jedoch noch ähnlich genug, um eine wirkliche Verständigung ohne, dass der vorherige Erwerb der jeweils anderen Sprache notwendig ist. Semikommunikation kann dabei sowohl im Mündlichen als auch im Schriftlichen angewendet werden, wobei die schriftliche Semikommunikation in der Regel einfacher, unkomplizierter und weniger problembehaftet ist als die mündliche Semikommunikation. Unabhängig davon, ob es sich um mündliche oder schriftliche Semikommunikation handelt, sind die Anwendungsmöglichkeiten beinahe unbegrenzt, insofern die aufeinander treffenden Sprachen das zulassen. Diese Möglichkeiten können vom Urlaub im Nachbarland, über sämtliche Bereiche der Kultur, bis hin zum Berufsalltag und dem akademischen Austausch reichen (Zeevaert 2004: 23). Einen limitieren1 „[…] personer som hver talar sit eget sprog, men […] förstår samtalepartnerens sprog." 2den Faktor stellen eher die Sprachräume, sowie die in diesen Räumen vorkommenden Sprachkombinationen, dar. Im Falle der internordischen Semikommunikation kann man zwei Sprachräume identifizieren, an denen sechs skandinavische Sprachen beteiligt sind. Auf der einen Seite stehen Isländisch und Färöisch, die gemeinsam den inselnordischen Sprachraum bilden. Der festlandskandinavische Sprachraum wird hingegen durch die vier Sprachen Dänisch, Schwedisch, Nynorsk und Bokmål gebildet (siehe Abbildung 1). Wenn man sich jedoch vor allem auf die mündlichen Aspekte konzentriert, so bemerkt man zwei Dinge. Zum einen ist eine mündliche Semikommunikation zwischen dem Färöischen und dem Isländischen als durchaus selten anzusehen, zum anderen ist eine Unterscheidung zwischen Bokmål und Nynorsk nicht notwendig. Deswegen setzt sich der festlandskandinavische Sprachraum im mündlichen Bereich nur aus 3 Sprachen zusammensetzt. Somit gibt es in der mündlichen internordischen Semikommunikation die folgenden vier Sprachkombinationen: Dänisch – Norwegisch Dänisch – Schwedisch Norwegisch – Schwedisch Isländisch – Färöisch Kombinationen wie beispielsweise Dänisch – Isländisch oder Färöisch – Schwedisch sind hingegen aufgrund der zu starken Unterschiede zwischen festlandskandinavischen und inselnordischen Sprachen nicht möglich. Jedoch ist es für Isländer, Färinger und Grönländer (Dänisch) aber auch Finnen (Schwedisch), über dort häufig als erste oder zweite Fremdsprache erlernte festlandskandinavische Sprachen möglich, an der festlandskandinavischen Semikommunikation teilzunehmen (siehe Abbildung 1). Es sollte jedoch festgehalten werden, dass auch innerhalb des festlandskandinavischen Sprachraumes einige Sprachkombinationen vorteilhafter sind als andere. Beispielsweise ist eine mündliche Kommunikation zwischen dem Dänischen und dem Schwedischen (mit der potenziellen Ausnahme von Sprechern einiger südschwedischer Mundarten) schwieriger als zwischen dem Dänischen und dem Norwegischen. Hierfür sind sowohl die starken Unterschiede des Dänischen und Schwedischen, als auch die skandinavische Geschichte verantwortlich. 3Eine erfolgreiche Anwendung der Semikommunikation bedarf mehrerer Voraussetzungen. Diese kann man gewissermaßen in die ‚technischen' Voraussetzungen und die ‚psychologischen' Bedingungen unterteilen. Die ‚technische' Seite der Semikommunikation lässt sich durch die vereinfachend formulierte Forderung nach der Ähnlichkeit der Sprachen ausdrücken. Dem gegenüber lassen sich die ‚psychologischen' Bedingungen am ehesten durch den gegenseitigen Willen beschreiben. Weder die Erfüllung des einen, noch des anderen allein ist ausreichend. Für eine erfolgreiche Semikommunikation müssen beide Voraussetzungen erfüllt werden. An dieser Stelle soll zuerst ein kurzer Blick auf die ‚technischen' Voraussetzungen geworfen werden. Eine Grundvoraussetzung der Semikommunikation ist eine sprachliche Verwandtschaft. Da sich Sprachen im Laufe der Zeit entwickeln und dies nicht zwangsläufig in die gleiche Richtung tun, ist eine gemeinsame Vorgängersprache allein nicht ausreichend. Beispielsweise sind Ähnlichkeiten in Grammatik und Typologie eine wichtige Voraussetzung. In der Typologie ist unter anderem die Begründung für die nicht mögliche Semikommunikation zwischen festlandskandinavischen und inselnordischen Sprachen zu finden. Während Isländisch und Färöisch noch zu den stark flektierenden Sprachen zählen, ist dies bei den festlandskandinavischen Sprachen nicht mehr der Fall. Die dadurch entstehenden Unterschiede, sind jedoch zu stark, als das noch eine problemlose Kommunikation in den jeweiligen Muttersprachen möglich ist. Ebenso kann die jeweilige Einstellung zur Übernahme von Fremd- und Lehnwörtern, sowie die Lexik im Allgemeinen über das Gelingen der Semikommunikation entscheiden. Während Isländisch und Färöisch puristische Sprachen sind, die tendenziell eher neue Wörter bilden, neigen Dänisch, Norwegisch und Schwedisch, als deutlich weniger puristische Sprachen, eher zur Übernahme von neuen Lehnwörtern in Kombination mit einer eventuellen kleineren Anpassung der Orthographie (Zeevaert 2004: 36). Wie am folgenden Beispiel ersichtlich, schränkt dies jedoch die gegenseitige Verständlichkeit ein. (dt.: (Stadt-)Zentrum; dän.: centrum/bymidte; norw.: sentrum; schwed.: centrum; isl.: miðbær) An diesem Beispiel sieht man nicht nur die Problematik bezüglich der Übernahme von Lehnwörtern, gleichzeitig wird noch ein weiteres Problem erkenntlich. Im Gegensatz zu den festlandskandinavischen Sprachen verfügen das Isländische und Färöische über mehrere Buchstaben, welche nicht in den anderen Sprachen vorkommen. 4Dies allein ist kein Problem. So verfügte das Dänische bis 1948 nicht über das Graphem å (Zeevaert 2004: 49), und dem Schwedischen fehlen die Grapheme ø und æ. Allerdings führt eine zunehmende Anzahl an Unterschieden zu einer Zunahme an Ausnahmen, die man für eine erfolgreiche Semikommunikation wissen sollte, wodurch selbige zunehmend schwieriger oder gar unmöglich wird. Für die mündliche Semikommunikation ist hingegen überwiegend die Aussprache und Lautung von Bedeutung. Starke Unterschiede in der Aussprache führen beispielsweise zu Problemen im Bereich der mündlichen Semikommunikation zwischen dem Isländischen und Färöischen oder auch zwischen dem Dänischen und Schwedischen. Es gibt jedoch auch Faktoren, welche die Semikommunikation zwischen Sprachen fördern können. Während Orthographien, welche an die Aussprache angelehnt sind, sich hinderlich auswirken, hat eine historisierende Orthographie einen gegenteiligen Effekt. Während eine mündliche Unterhaltung zwischen einem Isländer und einem Färinger mittels Semikommunikation, aufgrund der sich stark unterscheidenden Aussprachen nur sehr schwer möglich ist, ermöglicht eine historisierende Orthographie in beiden Sprachen, zumindest eine schriftliche Semikommunikation. Auch auf die festlandskandinavischen Sprachen wirken sich ihre jeweiligen historisierenden Orthographien positiv aus und fördern die Semikommunikation. (Braunmüller 2007: 321ff.) Neben diesen ‚technischen' Voraussetzungen gibt es auch noch eine ‚psychologische' Komponente, welche für das erfolgreiche Gelingen von Semikommunikation notwendig ist. Diese Komponente hat nichts mit der Sprache sondern mit den einzelnen Personen und der Geschichte (sowohl der persönlichen als auch der des Heimatlandes) zu tun. Diese Komponente lässt sich am einfachsten als 'der Wille' beschreiben und umfasst zwei Bereiche. Zum einen den Willen zur Akzeptanz und zum anderen die Bereitschaft zum Lernen. Dabei ist die Akzeptanz von unbedingter Notwendigkeit, während die Bereitschaft die Semikommunikation erleichtert; verhindert eine fehlende Bereitschaft diese jedoch nicht. Akzeptanz bedeutet dabei, dass der Empfänger eine in einigen Aspekten von der Norm abweichende Aussprache, Orthographie und/oder Lexik akzeptieren muss um den Sender zu verstehen. Diese Akzeptanz besteht nicht überall im gleichen Maße. Sie ist sowohl von persönlichen Ansichten des Sprechers als auch oftmals von der Geschichte der jeweiligen Heimatländer miteinander abhängig. So wird die Semikommunikation zwischen Dänen und Schweden bis heute, aufgrund einer Vielzahl 5von historischen Ereignissen (besonders zwischen 1380 und 1814) teilweise behindert. (Braunmüller 2007: 321ff.; Zeevaert 2004: 47f.) Die Bereitschaft zum Lernen, als Hilfe bei der Verständigung, stellt dabei nicht die Aufforderung zum Lernen der gesamten Sprache dar. Diese Aufforderung würde ein Widerspruch zu den Ideen der Semikommunikation sein. Vielmehr ist damit gemeint, dass die am Sprechakt beteiligten Personen gewillt sind, bestimmte Ausnahmen der anderen Sprachen zu lernen, um potenzielle Missverständnisse zu vermeiden. Ein einfaches Beispiel ist das Wissen eines Schweden um die Verwendung des Graphems ø im Norwegischen und Dänischen. Während die Lernbereitschaft die Semikommunikation erleichtert, ermöglichen erst sowohl der Wille und die ‚technischen' Aspekte die Semikommunikation. Gelegentlich stößt diese jedoch ebenfalls an ihre Grenzen. Da anscheinend Semikommunikation in einem für diese sehr vorteilhaften Sprachraum nicht ohne Probleme abläuft, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten diese zu verbessern. Während es für die mündliche Semikommunikation keine wirklich umsetzbaren Chancen gibt, diese durch Reformen zu verbessern, stellt sich die Situation bei der schriftlichen Semikommunikation anders dar. Besonders die jeweiligen Orthographien und die Anpassung aneinander könnten hier die gegenseitige Verständlichkeit steigern. Die Einführung des Graphems å im Dänischen hatte zum Beispiel zu einer leichteren Verständlichkeit von dänischen Texten für Schweden und Norweger geführt. Davon ausgehend wäre eine Verwendung der Grapheme æ und ø anstelle von ä und ö im Schwedischen denkbar. Durch diese Veränderung allein wäre ein für die festlandskandinavischen Sprachen vollständig einheitliches Alphabet geschaffen und die notwendigen Kenntnisse von Ausnahmen entfällt für diesen Bereich. Als hinderlich für Dänen und Schweden in der Kommunikation mit einem Norweger erweist sich hingegen die äußerst seltene Anwendung der Buchstaben c, q, w, x, und z. Eine Angleichung der Verwendung dieser Buchstaben, analog zur Verwendung der jeweiligen Grapheme im Schwedischen und Dänischen, sowie die Verwendung von Graphemkombinationen wie in beiden norwegischen Schriftsprachen, würden die Semikommunikation zwischen den Sprachen erleichtern. Unabhängig von den jeweiligen Eigenarten wäre eine Vermeidung von Homonymen, in der schriftlichen Semikommunikation, besonders von Homographen, ebenfalls 6hilfreich. Dies betrifft sowohl Homonyme innerhalb einer Sprache (z.B.: schwed. val {Wal] und val [Wahl]) sowie auch Homonyme aus verschiedenen Sprachen. Gleichzeitig könnte man versuchen, falsche Freunde zu vermeiden (z.B.: schwed. sylt [Marmelade, Konfitüre], dän/norw: sult [Hunger], norw.: syltetøy [Konfitüre]), welche sich als Falle für eine fehlerfreie Semikommunikation erweisen können. Bestrebungen, die skandinavischen Sprachen und deren Orthographie wieder einander anzunähren, sind nicht neu. Besonders im 19. Jahrhundert gelangten sie im Rahmen der Panskandinavismusbewegung zu einer breiten Bekanntheit (Zeevaert 2004: 47). Jedoch sollte bedacht werden, dass die Sprachen mehrere Jahrhunderte zuvor teilweise bewusst von einander entfernt wurden. In einer Zeit, in der die Entfernung von einander wieder dominiert, erscheint eine breite Mehrheit für die Annäherung der Sprachen aneinander eher unwahrscheinlich. Die größten und gleichzeitig geringsten Chancen für eine erfolgreiche Annäherung hätten dabei Dänisch und Bokmål. Da die Orthographie des Bokmål vor cirka 200 Jahren aus dem Dänischen hervorging, im Gegensatz zu Nynorsk aber nicht bewusst weit vom Dänischen entfernt wurde, weisen die beiden Sprachen in ihren Orthographien noch große Ähnlichkeiten auf. Die beiden norwegischen Schriftsprachen zeigen aber auch bereits ein weiteres Problem auf. Wenn es innerhalb eines Landes schon nicht möglich ist zwei ähnliche Schriftsprachen mit noch mehr Orthographien zu einer gemeinsamen einheitlichen norwegischen Schriftsprache zu vereinen, erscheint die Durchsetzbarkeit von Reformen, Zwecks dichterer Zusammenführung aller skandinavischen Sprachen fragwürdig. 7Aufgabenteil B: Skandinavische Krimis Kriminalromane sind weder eine neue Gattung der Literatur, noch ist ihr Auftreten auf Skandinavien beschränkt. Trotzdem heben sich die skandinavischen Krimis stark genug aus dieser Gattung hervor, um die Klassifizierung als ein eigenes Genre zu rechtfertigen. Im Gegensatz zu Klassikern des Genres, wie beispielsweise Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes oder Agatha Christies Hercule Poirot, unterscheiden sich in Kriminalromanen des Nordic Noir die Hauptfiguren von diesen ‚alten' Helden teilweise deutlich. Die Hauptfiguren in Skandinavien sind unvollkommen und haben mehr Schwächen, welche in der Regel früher oder später auch Konsequenzen für die Handlung haben können. Neben der Charakterisierung der Hauptfigur unterscheiden sich skandinavische Krimis außerdem noch besonders in einem weiteren Merkmal. Oftmals üben Krimis aus Skandinavien mehr oder weniger deutlich Kritik an der Gesellschaft. Diese kann zum Beispiel versteckt in den Äußerungen und Ansichten einer Hauptfigur oder Teil der Tat sein. Diese Unvollkommenheiten der Hauptpersonen und die Gesellschaftskritik in skandinavischen Kriminalromanen sollen jedoch nicht nur dazu beitragen die Seiten zu füllen. Kriminalromane sind in der Regel sehr geradlinig. Es geschieht eine Tat, häufig ein Mord, und die Hauptperson muss Täter und Tathintergründe herausfinden. Die Handlung folgt deshalb meistens einem Strang. Dieser kann zwar durchaus gewunden sein, verzweigt sich jedoch nicht sonderlich stark. Wenn es jedoch zu Verzweigungen des Handlungsstranges kommen sollte, dienen diese Verzweigungen der Lösung des Rätsels und münden früher oder später wieder in den großen Handlungsstrang ein. Skandinavische Krimis haben im Vergleich dazu oftmals mehrere verzweigte Handlungsstränge, von denen nicht alle für die spätere Lösung des Rätsels von Relevanz sein müssen. Davon ausgehend lässt sich die These ableiten, dass sowohl die Gesellschaftskritik als auch die Unvollkommenheit(en) der Hauptperson(en) die narrative Komplexität der jeweiligen Erzählungen unterstreichen. Zur Untermauerung dessen, sollen im Anschluss verschiedene Aspekte anhand von drei Beispielwerken des Nordic Noir betrachtet werden. Bei diesen drei Werken handelt es sich um die erste Staffel der schwedisch/dänischen Fernsehserie Bron2 , die 2 Deutscher Titel: Die Brücke-Transit in den Tod 8drei von Stieg Larsson verfassten Bücher der Millennium-Trilogie sowie Sjöwalls und Wahlöö Roman Roseanna. Auf welche Art sollen nun jedoch die Imperfektionen der Hauptfigur oder die Gesellschaftskritik die Komplexität der Narration steigern? Wenn man sich die eingangs erwähnten Beispiele Sherlock Holmes und Hercule Poirot und die Krimis mit ihnen als Hauptfigur genauer betrachtet, kann man eine klare Rollenverteilung erkennen. Es gibt gewissermaßen eine schwarze (Täter) und eine weiße Seite (Hauptfigur). Durch diese deutliche Verteilung, wird das Beurteilen der Handlung für den Leser vereinfacht. Wenn nun aber beispielsweise Kritik an der Gesellschaft eines der Tatmotive ist oder die Fehler der Hauptfigur weitreichende Auswirkungen haben, beginnen diese klar definierten Grenzen an Schärfe zu verlieren. Statt einer klaren schwarz-weiß Kontrastierung verschwimmt alles in verschiedenen Grautönen. Eine eindeutige Einteilung in eine gute und eine böse Seite ist dadurch unmöglich. Eine Nebenhandlung des ersten Buches der Millennium-Trilogie3 ist die Geschichte um den schwedischen Industriellen Wennerström. Der Journalist Mikael Blomkvist versucht dessen korrupte Handlungen aufzudecken und zu veröffentlichen, was ihm jedoch nicht gelingt. Zum Ende hin gelingt es ihm Beweise für Wennerströms Korruption zu finden, jedoch musste sich Lisbeth Salander dafür in Wennerströms privaten Computer hacken. Gleichzeitig eignete sich Lisbeth Wennerströms gesamtes Vermögen an. Abgesehen vom Diebstahl des Geldes ist auch das Hacken von Computern nicht legal. Dies ist nicht die einzige Gelegenheit bei der Informationen auf einem nicht regelkonformen Weg beschafft wurden. Durch diese Aktivitäten und die Verwendung der Informationen durch Blomkvist, entfernen sich die beiden Hauptpersonen von der vollständig weißen Seite - hin in den grauen Bereich. Dieses Beispiel ist nicht die einzige Gelegenheit bei der die beiden Hauptfiguren die Grenze des Erlaubten überschreiten. Im späteren Verlauf der Handlung unterstützt Blomkvist Lisbeth bei ihrer Flucht, während sie des Mordes verdächtigt wird. Jedoch dienen dieses Geschehnisse als Katalysator für einige, der dadurch auftretenden Handlungsstränge,welche ansonsten nicht vorhanden wären. Ein anderes Beispiel ist in der Handlung der Serie Bron zu finden. Dort werden in der ersten Staffel eine Reihe von Mordfällen begangen. Der sogenannte Sanningsterrorist (dt. Wahrheitsterrorist) will dabei mit seinen Taten scheinbar auf Missstände in 3 dt. Titel: Verblendung; schwed. Originaltitel: Män som hatar kvinnor 9der Gesellschaft aufmerksam machen. Tatsächlich ist dies jedoch nur eine Ablenkung, um sich am dänischen Hauptcharakter zu rächen. Rache an sich ist kein ungewöhnliches Motiv für einen Mörder in einem Kriminalroman. Was die Handlung von Bron aber an Komplexität gewinnen lässt, ist die Kombination aus einem alten, klassischen Mordmotiv mit Gesellschaftskritik, welche sich erst zum Ende hin als Ablenkung herausstellt. Die Gesellschaftskritik dient hierbei als eine große komplexe Ablenkung, wodurch der Zuschauer von den eigentlichen Motiven sehr effektiv abgelenkt wird. Dadurch, dass im Verlauf der Serie von der Ablenkung wiederum abgelenkt wird, ergibt sich eine große Anzahl an Handlungssträngen, welche verfolgt werden müssen. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Handlungsstränge nicht in einem Bereich in dem man den Überblick verlieren könnte. Hinzu kommen noch die Fehler eines der Hauptcharaktere, wodurch nicht nur eine direkte Verbindung zwischen Täter und Ermittler hergestellt wird, sondern die eigentliche Hauptfigur gewissermaßen eine Mitschuld trägt. Durch die Verknüpfung der Gesellschaftskritik mit den Fehlern der Hauptfigur und deren Konsequenzen entwickelt sich eine Art Netz aus Handlungssträngen, anstelle eines einzelnen Handlungsstranges. Ein solches Handlungsnetz kann, sofern es nicht eine gewisse Größe überschreitet, die Komplexität der Narration steigern. Ähnlich stellt es sich mit dem Überschreiten der Grenzen des Legalen in der Millennium-Trilogie dar. Hier führen diese Vorstöße in eine Grauzone zu einer großen Zahl von neuen Handlungssträngen, welche ebenfalls zu einer höheren Komplexität führen. Aber nicht nur die, durch das Überschreiten der Grenzen entstehenden zusätzlichen Handlungsstränge steigern die Komplexität der Narration. Zusätzlich wird durch die Taten der Hauptcharaktere noch eine moralische Ebene geschaffen, welche neben der des eigentlichen Verbrechens besteht. So lassen sich dann beispielsweise Fragen stellen, die von den jeweiligen Werken eventuell auch beantwortet werden. Dürfen Gesetze gebrochen werden um den Täter zu überführen? Ist es weniger illegal wenn man einen Verbrecher bestiehlt? Während die Gesetzte eine klare Antwort darauf geben, ist die Antwort der einzelnen Werke des Nordic Noir dazu weniger eindeutig. Unabhängig von der Eindeutigkeit der Antwort die ein Kriminalroman anbietet, führen diese komplexeren Fragen, welche durch das Verschwimmen der Grenzen entstehen, ebenfalls zu einer steigenden narrativen Komplexität. Die Unvollkommenheit und Fehler eines Hauptcharakters können jedoch auch bereits vor dem eigentlichen Handlungszeitraum zu einer höheren narrativen Komple10xität führen. Durch Zeitsprünge können weitere Handlungsstränge hinzugefügt, beziehungsweise das Handlungsnetz ausgebaut werden. Damit Zeitsprünge aber ein sinnvolles Mittel sind, müssen Situationen gegeben sein, die eine Hintergrundgeschichte erfordern. Mit anderen Worten braucht man Ereignisse, die auf die eine oder andere Art eine Auswirkung auf die später stattfindende Handlung des Werkes haben werden. Spannendes Material für diese Hintergrundgeschichten liefern oftmals frühere Geschehnisse aus dem Leben der jeweiligen Hauptfiguren. Diese Ereignisse können dabei aus den eigenen Fehlern der Figur entstehen. Alternativ können jedoch auch die Entscheidungen anderer Figuren Auswirkungen haben. Für beide Fälle lassen sich Beispiele im Nordic Noir finden. Die eigene Schwäche und Unvollkommenheit ist ein entscheidender Punkt für die Handlung von Bron. Wie bereits erwähnt, liegen der Handlung der ersten Staffel die Rachegelüste des Täters zugrunde. Diese kamen wiederum zustande, weil die dänische Hauptfigur es mit der Treue in seiner Ehe nicht zu genau genommen hat. Er hatte im Verlauf der Serie mehrere Affären und mehrere Jahre bevor die eigentliche Handlung der ersten Staffel begann, gab es unter anderem eine Affäre mit der Frau seines Kollegen bei der Polizei, dem späteren Täter. Somit schließt sich der Kreis hin zu den Rachegelüsten, die das Mordmotiv darstellen. Der Zuwachs an Komplexität entsteht in diesem Fall vor allem durch das Vorenthalten von Wissen gegenüber dem Leser. Die Fehler und Unvollkommenheiten anderer Charaktere sind demgegenüber für die Handlung der Bücher der Millennium-Trilogie entscheidend. Hier wurde der Vater von Lisbeth Salander, ein ehemaliger Offizier des russischen Geheimdienstes, über Jahre von einem kleinen Teil der schwedischen Regierung geschützt und konnte beinahe alles tun was er wollte. Da er Lisbeths Mutter regelmäßig misshandelte, griff Lisbeth ein und attackierte ihn, wodurch sie in direkten Konflikt mit jenen Kreisen der Regierung gerät. Diese ganze Vergangenheit wird jedoch nicht chronologisch erzählt und der Leser erfährt davon nur in bruchstückhaft. Nach den ersten Seiten weiß der Leser nur, dass Lisbeth einen vom Staat gestellten Vormund hat und ihre Mutter sich in einem Pflegeheim befindet. Ähnlich wie bei Bron erfährt man über die Hauptcharaktere mit Fortschreiten der Erzählung weitere Details über ihre jeweiligen Hintergrundgeschichten. Details, welche im Gegensatz zu den meisten anderen Kriminalromanen oft von Relevanz für den Verlauf und die Entwicklung der Handlung sind. Das Springen entlang der Zeitachse dient dabei nicht nur der Erklärung von 11Hintergründen einer Handlung. Eine Figur kann dadurch auch weiter charakterisiert werden. Neben einer komplexeren Gestaltung der Persönlichkeit einer so beschriebenen Figur, kann sich auch die Wahrnehmung des Lesers dadurch verändern. Während man am Anfang noch ein teilweises Unverständnis für Lisbeths Verhalten hat, entwickelt man im Verlauf der Erzählung Verständnis dafür, welches mit jedem weiteren Informationsstück wächst. Dabei wird die immer stärker charakterisierte Hauptfigur auch immer umfangreicher und komplexer. Wie Rothemund in ihrem Buch über die narrative Komplexität schreibt, kann eine tiefe und komplexe Charakterstruktur ebenso wie Zeitsprünge, sowie das Vorenthalten von Information die Komplexität der Narration verbessern. Mit einer tieferen und für die Handlung relevanten und somit auch erzählenswerten Hintergrundgeschichte erreichen skandinavische Kriminalromane oftmals durch alle drei Punkte gleichzeitig eine Steigerung der Komplexität. Schlussendlich ermöglicht besonders die Gesellschaftskritik den skandinavischen Krimis die Anwendung anderer Tatmotive. Während in einem ‚klassischen' Krimi häufig ‚klassische' Motive, wie Eifersucht, Habgier oder Rache dominieren, ermöglicht die kritischere Ausrichtung skandinavischer Krimis noch andere Motive. Das soll nicht bedeuten, dass althergebrachte Motive keine Rolle spielen oder spielen können. Wie bereits erwähnt, ist Rache unter anderem eine der entscheidenden Kräfte in der Handlung von Bron. Jedoch gibt es auch andere Motive. Beispielhaft sei dafür der Kriminalroman Roseanna4 von Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Dieser Roman von 1965, welcher von einigen (Bergman 2014: 35ff.) als Geburtsstunde des skandinavischen Kriminalromans, als eigenständige Gattung angesehen wird, übt nicht nur im Verlauf seiner Handlung Kritik am schwedischen Wohlfahrtsstaat, sondern greift ebenfalls, die mit den 60er Jahren zunehmende Unabhängigkeit der Frau auf und verwendet sie als Tatmotiv (Bergman 2014: 39f.). Die Steigerung oder besser gesagt die scheinbare Steigerung der Komplexität der Narration ergibt sich an dieser Stelle aus einer allgemeinen Zunahme an Komplexität, aufgrund einer breiteren Auswahl an möglichen Motiven für den Leser. Die Handlung wird weniger vorhersehbar und somit auch, zumindest scheinbar, komplexer. Das Wort ‚scheinbar' meint dabei, dass im Gegensatz zur tatsächlichen Steigerung der Komplexität es in diesem Fall häufig nur so wirkt, weil die Handlung weniger leicht vorhersehbar wird. Dies hat zur Folge, dass die Komplexität einer Narration bis zum Ende selbiger hoch wirkt, nach dem 4 dt. Titel: Die Tote im Götakanal 12Zeitpunkt der Auflösung des Rätsels diesem Eindruck jedoch nicht mehr standhalten kann. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl die Unvollkommenheit der Hauptfiguren, als auch die Gesellschaftskritik die narrative Komplexität steigert. Gesellschaftskritik und Imperfektionen der Hauptfigur(en) führen dabei unter anderem zu einer stärkeren Auffächerung des Handlungsstranges, bis hin zur Bildung eines förmlichen Handlungsnetzes. Einen ähnlichen Effekt haben Fehler der Hauptfigur oder einer der Hauptfigur nahestehenden Figur vor der eigentlich erzählten Zeit der Handlung. Hierdurch werden Rückblicke ermöglicht, welche ebenfalls die Komplexität steigern können. Aber bereits die, durch die Gesellschaftskritik beigesteuerten ‚neuen' Motive können die Komplexität steigern oder es zumindest so wirken lassen. Vergessen werden sollten auch nicht die oftmals indirekten aufgeworfenen moralischen Fragen, die einen ähnlichen Effekt auf die Komplexität der Narration haben und in der Regel vom Leser oder Zuschauer selbst beantwortet werden müssen. 13Anhang Abbildungen Literaturverzeichnis Aufgabenteil A Braunmüller, Kurt (2007): Die skandinavischen Sprachen im Überblick. 3., aktualisierte und erw. Aufl. Tübingen: Francke (UTB) Zeevaert, Ludger (2004): Interskandinavische Kommunikation. Strategien zur Etablierung von Verständigung zwischen Skandinaviern im Diskurs. Teilw. zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 2003. Hamburg: Kovač (Philologia, 64) Literaturverzeichnis Aufgabenteil B Primärliteratur Larsson, Stieg (2015): Flickan som lekte med elden. En kriminalroman. Pocketutg. Stockholm: Norstedt (Millennium, 2). Larsson, Stieg (2007): Luftslottet som sprängdes. Pocketutgåva. Stockholm: Norstedt (Millenniumserien, 3). Larsson, Stieg (2005): Män som hatar kvinnor. Pocketutgåva. Stockholm: Norstedts (Millenniumserien, 1). Sjöwall, Maj; Wahlöö, Per (2015): Roseanna. [S.l.]: Pocketförlager. 14 Abbildung 1: Schematische Darstellung der internordischen Semikommunikationsräume und ihrer möglichen ärliteratur Bergman, Kerstin (2014): Swedish crime fiction. The making of nordic noir. Sesto San Giovanni: Mimesis (Mimesis DeGenere,3). Glauser, Jürg (Hg.) (2016): Skandinavische Literaturgeschichte. 2. Auflage. Stuttgart: J.B. Metzler. Rothemund, Kathrin (2013): Komplexe Welten. Narrative Strategien in US-amerikanischen Fernsehserien. Zugl.: Lüneburg, Univ., Diss., 2012. 2., korr. Aufl. Berlin: Bertz + Fischer (Deep Focus, 15). Tapper, Michael (2014): Swedish Cops. From Sjöwall and Wahlöö to Stieg Larsson. 1st ed. Bristol: Intellect Books Ltd. Vogt, Jochen (Hg.) (1998): Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte. [Neufassung]. München: Fink (UTB für Wissenschaft, 8147)

Aufgabenteil A: Internordische Semikommunikation Wenn Sprecher verschiedener Sprachen aufeinandertreffen, kann es zu Problemen bezüglich der Verständlichkeit bei der Kommunikation kommen. In der Mehrheit der Fälle gibt es dann nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten. Zum einen könnte eine Seite die Sprache seines Gegenübers beherrschen und diese anwenden, zum anderen könnten beide Seiten eine gemeinsame Sprache beherrschen und über diese miteinander kommunizieren. Falls diese beiden Möglichkeiten sich nicht realisieren lassen, ist eine erfolgreiche Verständigung sehr schwierig oder unmöglich. In einigen Sprachräumen gibt es jedoch eine dritte Alternative. Diese Alternative, Semikommunikation genannt, ermöglicht unter gewissen Voraussetzungen eine erfolgreiche Kommunikation, ohne das Sender und Empfänger den gleichen Code teilen. Dies ist notwendig, da im Falle der Semikommunikation „[...]Personen ihre jeweils eigene Sprache sprechen, aber […] die Sprache des Gesprächspartners verstehen"1 . (Hansen 1994 in Zeevaert 2004: 22). Regionen, in denen sich dies problemlos umsetzten lässt, sind rar. Meistens treffen entweder Sprachen aus zwei gänzlich verschiedenen Sprachfamilien aufeinander oder die Sprachen haben sich, ob gewollt oder ungewollt, zu weit von ihrem gemeinsamen Ursprung entfernt. Eine Semikommunikation, die über einige wenige einfache Phrasen hinausgeht, ist deshalb unmöglich. An dieser Stelle nehmen die skandinavischen Sprachen eine Sonderstellung ein. Sie haben sich weit genug von einander separiert, um als jeweils eigenständige Sprachen angesehen zu werden und im Gegensatz zu anderen Regionen wo Semikommunikation angewandt werden könnte, stellt sie in Skandinavien häufig einen festen Bestandteil des Alltags dar. Sie sind jedoch noch ähnlich genug, um eine wirkliche Verständigung ohne, dass der vorherige Erwerb der jeweils anderen Sprache notwendig ist. Semikommunikation kann dabei sowohl im Mündlichen als auch im Schriftlichen angewendet werden, wobei die schriftliche Semikommunikation in der Regel einfacher, unkomplizierter und weniger problembehaftet ist als die mündliche Semikommunikation. Unabhängig davon, ob es sich um mündliche oder schriftliche Semikommunikation handelt, sind die Anwendungsmöglichkeiten beinahe unbegrenzt, insofern die aufeinander treffenden Sprachen das zulassen. Diese Möglichkeiten können vom Urlaub im Nachbarland, über sämtliche Bereiche der Kultur, bis hin zum Berufsalltag und dem akademischen Austausch reichen (Zeevaert 2004: 23). Einen limitieren1 „[…] personer som hver talar sit eget sprog, men […] förstår samtalepartnerens sprog." 2den Faktor stellen eher die Sprachräume, sowie die in diesen Räumen vorkommenden Sprachkombinationen, dar. Im Falle der internordischen Semikommunikation kann man zwei Sprachräume identifizieren, an denen sechs skandinavische Sprachen beteiligt sind. Auf der einen Seite stehen Isländisch und Färöisch, die gemeinsam den inselnordischen Sprachraum bilden. Der festlandskandinavische Sprachraum wird hingegen durch die vier Sprachen Dänisch, Schwedisch, Nynorsk und Bokmål gebildet (siehe Abbildung 1). Wenn man sich jedoch vor allem auf die mündlichen Aspekte konzentriert, so bemerkt man zwei Dinge. Zum einen ist eine mündliche Semikommunikation zwischen dem Färöischen und dem Isländischen als durchaus selten anzusehen, zum anderen ist eine Unterscheidung zwischen Bokmål und Nynorsk nicht notwendig. Deswegen setzt sich der festlandskandinavische Sprachraum im mündlichen Bereich nur aus 3 Sprachen zusammensetzt. Somit gibt es in der mündlichen internordischen Semikommunikation die folgenden vier Sprachkombinationen: Dänisch – Norwegisch Dänisch – Schwedisch Norwegisch – Schwedisch Isländisch – Färöisch Kombinationen wie beispielsweise Dänisch – Isländisch oder Färöisch – Schwedisch sind hingegen aufgrund der zu starken Unterschiede zwischen festlandskandinavischen und inselnordischen Sprachen nicht möglich. Jedoch ist es für Isländer, Färinger und Grönländer (Dänisch) aber auch Finnen (Schwedisch), über dort häufig als erste oder zweite Fremdsprache erlernte festlandskandinavische Sprachen möglich, an der festlandskandinavischen Semikommunikation teilzunehmen (siehe Abbildung 1). Es sollte jedoch festgehalten werden, dass auch innerhalb des festlandskandinavischen Sprachraumes einige Sprachkombinationen vorteilhafter sind als andere. Beispielsweise ist eine mündliche Kommunikation zwischen dem Dänischen und dem Schwedischen (mit der potenziellen Ausnahme von Sprechern einiger südschwedischer Mundarten) schwieriger als zwischen dem Dänischen und dem Norwegischen. Hierfür sind sowohl die starken Unterschiede des Dänischen und Schwedischen, als auch die skandinavische Geschichte verantwortlich. 3Eine erfolgreiche Anwendung der Semikommunikation bedarf mehrerer Voraussetzungen. Diese kann man gewissermaßen in die ‚technischen' Voraussetzungen und die ‚psychologischen' Bedingungen unterteilen. Die ‚technische' Seite der Semikommunikation lässt sich durch die vereinfachend formulierte Forderung nach der Ähnlichkeit der Sprachen ausdrücken. Dem gegenüber lassen sich die ‚psychologischen' Bedingungen am ehesten durch den gegenseitigen Willen beschreiben. Weder die Erfüllung des einen, noch des anderen allein ist ausreichend. Für eine erfolgreiche Semikommunikation müssen beide Voraussetzungen erfüllt werden. An dieser Stelle soll zuerst ein kurzer Blick auf die ‚technischen' Voraussetzungen geworfen werden. Eine Grundvoraussetzung der Semikommunikation ist eine sprachliche Verwandtschaft. Da sich Sprachen im Laufe der Zeit entwickeln und dies nicht zwangsläufig in die gleiche Richtung tun, ist eine gemeinsame Vorgängersprache allein nicht ausreichend. Beispielsweise sind Ähnlichkeiten in Grammatik und Typologie eine wichtige Voraussetzung. In der Typologie ist unter anderem die Begründung für die nicht mögliche Semikommunikation zwischen festlandskandinavischen und inselnordischen Sprachen zu finden. Während Isländisch und Färöisch noch zu den stark flektierenden Sprachen zählen, ist dies bei den festlandskandinavischen Sprachen nicht mehr der Fall. Die dadurch entstehenden Unterschiede, sind jedoch zu stark, als das noch eine problemlose Kommunikation in den jeweiligen Muttersprachen möglich ist. Ebenso kann die jeweilige Einstellung zur Übernahme von Fremd- und Lehnwörtern, sowie die Lexik im Allgemeinen über das Gelingen der Semikommunikation entscheiden. Während Isländisch und Färöisch puristische Sprachen sind, die tendenziell eher neue Wörter bilden, neigen Dänisch, Norwegisch und Schwedisch, als deutlich weniger puristische Sprachen, eher zur Übernahme von neuen Lehnwörtern in Kombination mit einer eventuellen kleineren Anpassung der Orthographie (Zeevaert 2004: 36). Wie am folgenden Beispiel ersichtlich, schränkt dies jedoch die gegenseitige Verständlichkeit ein. (dt.: (Stadt-)Zentrum; dän.: centrum/bymidte; norw.: sentrum; schwed.: centrum; isl.: miðbær) An diesem Beispiel sieht man nicht nur die Problematik bezüglich der Übernahme von Lehnwörtern, gleichzeitig wird noch ein weiteres Problem erkenntlich. Im Gegensatz zu den festlandskandinavischen Sprachen verfügen das Isländische und Färöische über mehrere Buchstaben, welche nicht in den anderen Sprachen vorkommen. 4Dies allein ist kein Problem. So verfügte das Dänische bis 1948 nicht über das Graphem å (Zeevaert 2004: 49), und dem Schwedischen fehlen die Grapheme ø und æ. Allerdings führt eine zunehmende Anzahl an Unterschieden zu einer Zunahme an Ausnahmen, die man für eine erfolgreiche Semikommunikation wissen sollte, wodurch selbige zunehmend schwieriger oder gar unmöglich wird. Für die mündliche Semikommunikation ist hingegen überwiegend die Aussprache und Lautung von Bedeutung. Starke Unterschiede in der Aussprache führen beispielsweise zu Problemen im Bereich der mündlichen Semikommunikation zwischen dem Isländischen und Färöischen oder auch zwischen dem Dänischen und Schwedischen. Es gibt jedoch auch Faktoren, welche die Semikommunikation zwischen Sprachen fördern können. Während Orthographien, welche an die Aussprache angelehnt sind, sich hinderlich auswirken, hat eine historisierende Orthographie einen gegenteiligen Effekt. Während eine mündliche Unterhaltung zwischen einem Isländer und einem Färinger mittels Semikommunikation, aufgrund der sich stark unterscheidenden Aussprachen nur sehr schwer möglich ist, ermöglicht eine historisierende Orthographie in beiden Sprachen, zumindest eine schriftliche Semikommunikation. Auch auf die festlandskandinavischen Sprachen wirken sich ihre jeweiligen historisierenden Orthographien positiv aus und fördern die Semikommunikation. (Braunmüller 2007: 321ff.) Neben diesen ‚technischen' Voraussetzungen gibt es auch noch eine ‚psychologische' Komponente, welche für das erfolgreiche Gelingen von Semikommunikation notwendig ist. Diese Komponente hat nichts mit der Sprache sondern mit den einzelnen Personen und der Geschichte (sowohl der persönlichen als auch der des Heimatlandes) zu tun. Diese Komponente lässt sich am einfachsten als 'der Wille' beschreiben und umfasst zwei Bereiche. Zum einen den Willen zur Akzeptanz und zum anderen die Bereitschaft zum Lernen. Dabei ist die Akzeptanz von unbedingter Notwendigkeit, während die Bereitschaft die Semikommunikation erleichtert; verhindert eine fehlende Bereitschaft diese jedoch nicht. Akzeptanz bedeutet dabei, dass der Empfänger eine in einigen Aspekten von der Norm abweichende Aussprache, Orthographie und/oder Lexik akzeptieren muss um den Sender zu verstehen. Diese Akzeptanz besteht nicht überall im gleichen Maße. Sie ist sowohl von persönlichen Ansichten des Sprechers als auch oftmals von der Geschichte der jeweiligen Heimatländer miteinander abhängig. So wird die Semikommunikation zwischen Dänen und Schweden bis heute, aufgrund einer Vielzahl 5von historischen Ereignissen (besonders zwischen 1380 und 1814) teilweise behindert. (Braunmüller 2007: 321ff.; Zeevaert 2004: 47f.) Die Bereitschaft zum Lernen, als Hilfe bei der Verständigung, stellt dabei nicht die Aufforderung zum Lernen der gesamten Sprache dar. Diese Aufforderung würde ein Widerspruch zu den Ideen der Semikommunikation sein. Vielmehr ist damit gemeint, dass die am Sprechakt beteiligten Personen gewillt sind, bestimmte Ausnahmen der anderen Sprachen zu lernen, um potenzielle Missverständnisse zu vermeiden. Ein einfaches Beispiel ist das Wissen eines Schweden um die Verwendung des Graphems ø im Norwegischen und Dänischen. Während die Lernbereitschaft die Semikommunikation erleichtert, ermöglichen erst sowohl der Wille und die ‚technischen' Aspekte die Semikommunikation. Gelegentlich stößt diese jedoch ebenfalls an ihre Grenzen. Da anscheinend Semikommunikation in einem für diese sehr vorteilhaften Sprachraum nicht ohne Probleme abläuft, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten diese zu verbessern. Während es für die mündliche Semikommunikation keine wirklich umsetzbaren Chancen gibt, diese durch Reformen zu verbessern, stellt sich die Situation bei der schriftlichen Semikommunikation anders dar. Besonders die jeweiligen Orthographien und die Anpassung aneinander könnten hier die gegenseitige Verständlichkeit steigern. Die Einführung des Graphems å im Dänischen hatte zum Beispiel zu einer leichteren Verständlichkeit von dänischen Texten für Schweden und Norweger geführt. Davon ausgehend wäre eine Verwendung der Grapheme æ und ø anstelle von ä und ö im Schwedischen denkbar. Durch diese Veränderung allein wäre ein für die festlandskandinavischen Sprachen vollständig einheitliches Alphabet geschaffen und die notwendigen Kenntnisse von Ausnahmen entfällt für diesen Bereich. Als hinderlich für Dänen und Schweden in der Kommunikation mit einem Norweger erweist sich hingegen die äußerst seltene Anwendung der Buchstaben c, q, w, x, und z. Eine Angleichung der Verwendung dieser Buchstaben, analog zur Verwendung der jeweiligen Grapheme im Schwedischen und Dänischen, sowie die Verwendung von Graphemkombinationen wie in beiden norwegischen Schriftsprachen, würden die Semikommunikation zwischen den Sprachen erleichtern. Unabhängig von den jeweiligen Eigenarten wäre eine Vermeidung von Homonymen, in der schriftlichen Semikommunikation, besonders von Homographen, ebenfalls 6hilfreich. Dies betrifft sowohl Homonyme innerhalb einer Sprache (z.B.: schwed. val {Wal] und val [Wahl]) sowie auch Homonyme aus verschiedenen Sprachen. Gleichzeitig könnte man versuchen, falsche Freunde zu vermeiden (z.B.: schwed. sylt [Marmelade, Konfitüre], dän/norw: sult [Hunger], norw.: syltetøy [Konfitüre]), welche sich als Falle für eine fehlerfreie Semikommunikation erweisen können. Bestrebungen, die skandinavischen Sprachen und deren Orthographie wieder einander anzunähren, sind nicht neu. Besonders im 19. Jahrhundert gelangten sie im Rahmen der Panskandinavismusbewegung zu einer breiten Bekanntheit (Zeevaert 2004: 47). Jedoch sollte bedacht werden, dass die Sprachen mehrere Jahrhunderte zuvor teilweise bewusst von einander entfernt wurden. In einer Zeit, in der die Entfernung von einander wieder dominiert, erscheint eine breite Mehrheit für die Annäherung der Sprachen aneinander eher unwahrscheinlich. Die größten und gleichzeitig geringsten Chancen für eine erfolgreiche Annäherung hätten dabei Dänisch und Bokmål. Da die Orthographie des Bokmål vor cirka 200 Jahren aus dem Dänischen hervorging, im Gegensatz zu Nynorsk aber nicht bewusst weit vom Dänischen entfernt wurde, weisen die beiden Sprachen in ihren Orthographien noch große Ähnlichkeiten auf. Die beiden norwegischen Schriftsprachen zeigen aber auch bereits ein weiteres Problem auf. Wenn es innerhalb eines Landes schon nicht möglich ist zwei ähnliche Schriftsprachen mit noch mehr Orthographien zu einer gemeinsamen einheitlichen norwegischen Schriftsprache zu vereinen, erscheint die Durchsetzbarkeit von Reformen, Zwecks dichterer Zusammenführung aller skandinavischen Sprachen fragwürdig. 7Aufgabenteil B: Skandinavische Krimis Kriminalromane sind weder eine neue Gattung der Literatur, noch ist ihr Auftreten auf Skandinavien beschränkt. Trotzdem heben sich die skandinavischen Krimis stark genug aus dieser Gattung hervor, um die Klassifizierung als ein eigenes Genre zu rechtfertigen. Im Gegensatz zu Klassikern des Genres, wie beispielsweise Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes oder Agatha Christies Hercule Poirot, unterscheiden sich in Kriminalromanen des Nordic Noir die Hauptfiguren von diesen ‚alten' Helden teilweise deutlich. Die Hauptfiguren in Skandinavien sind unvollkommen und haben mehr Schwächen, welche in der Regel früher oder später auch Konsequenzen für die Handlung haben können. Neben der Charakterisierung der Hauptfigur unterscheiden sich skandinavische Krimis außerdem noch besonders in einem weiteren Merkmal. Oftmals üben Krimis aus Skandinavien mehr oder weniger deutlich Kritik an der Gesellschaft. Diese kann zum Beispiel versteckt in den Äußerungen und Ansichten einer Hauptfigur oder Teil der Tat sein. Diese Unvollkommenheiten der Hauptpersonen und die Gesellschaftskritik in skandinavischen Kriminalromanen sollen jedoch nicht nur dazu beitragen die Seiten zu füllen. Kriminalromane sind in der Regel sehr geradlinig. Es geschieht eine Tat, häufig ein Mord, und die Hauptperson muss Täter und Tathintergründe herausfinden. Die Handlung folgt deshalb meistens einem Strang. Dieser kann zwar durchaus gewunden sein, verzweigt sich jedoch nicht sonderlich stark. Wenn es jedoch zu Verzweigungen des Handlungsstranges kommen sollte, dienen diese Verzweigungen der Lösung des Rätsels und münden früher oder später wieder in den großen Handlungsstrang ein. Skandinavische Krimis haben im Vergleich dazu oftmals mehrere verzweigte Handlungsstränge, von denen nicht alle für die spätere Lösung des Rätsels von Relevanz sein müssen. Davon ausgehend lässt sich die These ableiten, dass sowohl die Gesellschaftskritik als auch die Unvollkommenheit(en) der Hauptperson(en) die narrative Komplexität der jeweiligen Erzählungen unterstreichen. Zur Untermauerung dessen, sollen im Anschluss verschiedene Aspekte anhand von drei Beispielwerken des Nordic Noir betrachtet werden. Bei diesen drei Werken handelt es sich um die erste Staffel der schwedisch/dänischen Fernsehserie Bron2 , die 2 Deutscher Titel: Die Brücke-Transit in den Tod 8drei von Stieg Larsson verfassten Bücher der Millennium-Trilogie sowie Sjöwalls und Wahlöö Roman Roseanna. Auf welche Art sollen nun jedoch die Imperfektionen der Hauptfigur oder die Gesellschaftskritik die Komplexität der Narration steigern? Wenn man sich die eingangs erwähnten Beispiele Sherlock Holmes und Hercule Poirot und die Krimis mit ihnen als Hauptfigur genauer betrachtet, kann man eine klare Rollenverteilung erkennen. Es gibt gewissermaßen eine schwarze (Täter) und eine weiße Seite (Hauptfigur). Durch diese deutliche Verteilung, wird das Beurteilen der Handlung für den Leser vereinfacht. Wenn nun aber beispielsweise Kritik an der Gesellschaft eines der Tatmotive ist oder die Fehler der Hauptfigur weitreichende Auswirkungen haben, beginnen diese klar definierten Grenzen an Schärfe zu verlieren. Statt einer klaren schwarz-weiß Kontrastierung verschwimmt alles in verschiedenen Grautönen. Eine eindeutige Einteilung in eine gute und eine böse Seite ist dadurch unmöglich. Eine Nebenhandlung des ersten Buches der Millennium-Trilogie3 ist die Geschichte um den schwedischen Industriellen Wennerström. Der Journalist Mikael Blomkvist versucht dessen korrupte Handlungen aufzudecken und zu veröffentlichen, was ihm jedoch nicht gelingt. Zum Ende hin gelingt es ihm Beweise für Wennerströms Korruption zu finden, jedoch musste sich Lisbeth Salander dafür in Wennerströms privaten Computer hacken. Gleichzeitig eignete sich Lisbeth Wennerströms gesamtes Vermögen an. Abgesehen vom Diebstahl des Geldes ist auch das Hacken von Computern nicht legal. Dies ist nicht die einzige Gelegenheit bei der Informationen auf einem nicht regelkonformen Weg beschafft wurden. Durch diese Aktivitäten und die Verwendung der Informationen durch Blomkvist, entfernen sich die beiden Hauptpersonen von der vollständig weißen Seite - hin in den grauen Bereich. Dieses Beispiel ist nicht die einzige Gelegenheit bei der die beiden Hauptfiguren die Grenze des Erlaubten überschreiten. Im späteren Verlauf der Handlung unterstützt Blomkvist Lisbeth bei ihrer Flucht, während sie des Mordes verdächtigt wird. Jedoch dienen dieses Geschehnisse als Katalysator für einige, der dadurch auftretenden Handlungsstränge,welche ansonsten nicht vorhanden wären. Ein anderes Beispiel ist in der Handlung der Serie Bron zu finden. Dort werden in der ersten Staffel eine Reihe von Mordfällen begangen. Der sogenannte Sanningsterrorist (dt. Wahrheitsterrorist) will dabei mit seinen Taten scheinbar auf Missstände in 3 dt. Titel: Verblendung; schwed. Originaltitel: Män som hatar kvinnor 9der Gesellschaft aufmerksam machen. Tatsächlich ist dies jedoch nur eine Ablenkung, um sich am dänischen Hauptcharakter zu rächen. Rache an sich ist kein ungewöhnliches Motiv für einen Mörder in einem Kriminalroman. Was die Handlung von Bron aber an Komplexität gewinnen lässt, ist die Kombination aus einem alten, klassischen Mordmotiv mit Gesellschaftskritik, welche sich erst zum Ende hin als Ablenkung herausstellt. Die Gesellschaftskritik dient hierbei als eine große komplexe Ablenkung, wodurch der Zuschauer von den eigentlichen Motiven sehr effektiv abgelenkt wird. Dadurch, dass im Verlauf der Serie von der Ablenkung wiederum abgelenkt wird, ergibt sich eine große Anzahl an Handlungssträngen, welche verfolgt werden müssen. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Handlungsstränge nicht in einem Bereich in dem man den Überblick verlieren könnte. Hinzu kommen noch die Fehler eines der Hauptcharaktere, wodurch nicht nur eine direkte Verbindung zwischen Täter und Ermittler hergestellt wird, sondern die eigentliche Hauptfigur gewissermaßen eine Mitschuld trägt. Durch die Verknüpfung der Gesellschaftskritik mit den Fehlern der Hauptfigur und deren Konsequenzen entwickelt sich eine Art Netz aus Handlungssträngen, anstelle eines einzelnen Handlungsstranges. Ein solches Handlungsnetz kann, sofern es nicht eine gewisse Größe überschreitet, die Komplexität der Narration steigern. Ähnlich stellt es sich mit dem Überschreiten der Grenzen des Legalen in der Millennium-Trilogie dar. Hier führen diese Vorstöße in eine Grauzone zu einer großen Zahl von neuen Handlungssträngen, welche ebenfalls zu einer höheren Komplexität führen. Aber nicht nur die, durch das Überschreiten der Grenzen entstehenden zusätzlichen Handlungsstränge steigern die Komplexität der Narration. Zusätzlich wird durch die Taten der Hauptcharaktere noch eine moralische Ebene geschaffen, welche neben der des eigentlichen Verbrechens besteht. So lassen sich dann beispielsweise Fragen stellen, die von den jeweiligen Werken eventuell auch beantwortet werden. Dürfen Gesetze gebrochen werden um den Täter zu überführen? Ist es weniger illegal wenn man einen Verbrecher bestiehlt? Während die Gesetzte eine klare Antwort darauf geben, ist die Antwort der einzelnen Werke des Nordic Noir dazu weniger eindeutig. Unabhängig von der Eindeutigkeit der Antwort die ein Kriminalroman anbietet, führen diese komplexeren Fragen, welche durch das Verschwimmen der Grenzen entstehen, ebenfalls zu einer steigenden narrativen Komplexität. Die Unvollkommenheit und Fehler eines Hauptcharakters können jedoch auch bereits vor dem eigentlichen Handlungszeitraum zu einer höheren narrativen Komple10xität führen. Durch Zeitsprünge können weitere Handlungsstränge hinzugefügt, beziehungsweise das Handlungsnetz ausgebaut werden. Damit Zeitsprünge aber ein sinnvolles Mittel sind, müssen Situationen gegeben sein, die eine Hintergrundgeschichte erfordern. Mit anderen Worten braucht man Ereignisse, die auf die eine oder andere Art eine Auswirkung auf die später stattfindende Handlung des Werkes haben werden. Spannendes Material für diese Hintergrundgeschichten liefern oftmals frühere Geschehnisse aus dem Leben der jeweiligen Hauptfiguren. Diese Ereignisse können dabei aus den eigenen Fehlern der Figur entstehen. Alternativ können jedoch auch die Entscheidungen anderer Figuren Auswirkungen haben. Für beide Fälle lassen sich Beispiele im Nordic Noir finden. Die eigene Schwäche und Unvollkommenheit ist ein entscheidender Punkt für die Handlung von Bron. Wie bereits erwähnt, liegen der Handlung der ersten Staffel die Rachegelüste des Täters zugrunde. Diese kamen wiederum zustande, weil die dänische Hauptfigur es mit der Treue in seiner Ehe nicht zu genau genommen hat. Er hatte im Verlauf der Serie mehrere Affären und mehrere Jahre bevor die eigentliche Handlung der ersten Staffel begann, gab es unter anderem eine Affäre mit der Frau seines Kollegen bei der Polizei, dem späteren Täter. Somit schließt sich der Kreis hin zu den Rachegelüsten, die das Mordmotiv darstellen. Der Zuwachs an Komplexität entsteht in diesem Fall vor allem durch das Vorenthalten von Wissen gegenüber dem Leser. Die Fehler und Unvollkommenheiten anderer Charaktere sind demgegenüber für die Handlung der Bücher der Millennium-Trilogie entscheidend. Hier wurde der Vater von Lisbeth Salander, ein ehemaliger Offizier des russischen Geheimdienstes, über Jahre von einem kleinen Teil der schwedischen Regierung geschützt und konnte beinahe alles tun was er wollte. Da er Lisbeths Mutter regelmäßig misshandelte, griff Lisbeth ein und attackierte ihn, wodurch sie in direkten Konflikt mit jenen Kreisen der Regierung gerät. Diese ganze Vergangenheit wird jedoch nicht chronologisch erzählt und der Leser erfährt davon nur in bruchstückhaft. Nach den ersten Seiten weiß der Leser nur, dass Lisbeth einen vom Staat gestellten Vormund hat und ihre Mutter sich in einem Pflegeheim befindet. Ähnlich wie bei Bron erfährt man über die Hauptcharaktere mit Fortschreiten der Erzählung weitere Details über ihre jeweiligen Hintergrundgeschichten. Details, welche im Gegensatz zu den meisten anderen Kriminalromanen oft von Relevanz für den Verlauf und die Entwicklung der Handlung sind. Das Springen entlang der Zeitachse dient dabei nicht nur der Erklärung von 11Hintergründen einer Handlung. Eine Figur kann dadurch auch weiter charakterisiert werden. Neben einer komplexeren Gestaltung der Persönlichkeit einer so beschriebenen Figur, kann sich auch die Wahrnehmung des Lesers dadurch verändern. Während man am Anfang noch ein teilweises Unverständnis für Lisbeths Verhalten hat, entwickelt man im Verlauf der Erzählung Verständnis dafür, welches mit jedem weiteren Informationsstück wächst. Dabei wird die immer stärker charakterisierte Hauptfigur auch immer umfangreicher und komplexer. Wie Rothemund in ihrem Buch über die narrative Komplexität schreibt, kann eine tiefe und komplexe Charakterstruktur ebenso wie Zeitsprünge, sowie das Vorenthalten von Information die Komplexität der Narration verbessern. Mit einer tieferen und für die Handlung relevanten und somit auch erzählenswerten Hintergrundgeschichte erreichen skandinavische Kriminalromane oftmals durch alle drei Punkte gleichzeitig eine Steigerung der Komplexität. Schlussendlich ermöglicht besonders die Gesellschaftskritik den skandinavischen Krimis die Anwendung anderer Tatmotive. Während in einem ‚klassischen' Krimi häufig ‚klassische' Motive, wie Eifersucht, Habgier oder Rache dominieren, ermöglicht die kritischere Ausrichtung skandinavischer Krimis noch andere Motive. Das soll nicht bedeuten, dass althergebrachte Motive keine Rolle spielen oder spielen können. Wie bereits erwähnt, ist Rache unter anderem eine der entscheidenden Kräfte in der Handlung von Bron. Jedoch gibt es auch andere Motive. Beispielhaft sei dafür der Kriminalroman Roseanna4 von Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Dieser Roman von 1965, welcher von einigen (Bergman 2014: 35ff.) als Geburtsstunde des skandinavischen Kriminalromans, als eigenständige Gattung angesehen wird, übt nicht nur im Verlauf seiner Handlung Kritik am schwedischen Wohlfahrtsstaat, sondern greift ebenfalls, die mit den 60er Jahren zunehmende Unabhängigkeit der Frau auf und verwendet sie als Tatmotiv (Bergman 2014: 39f.). Die Steigerung oder besser gesagt die scheinbare Steigerung der Komplexität der Narration ergibt sich an dieser Stelle aus einer allgemeinen Zunahme an Komplexität, aufgrund einer breiteren Auswahl an möglichen Motiven für den Leser. Die Handlung wird weniger vorhersehbar und somit auch, zumindest scheinbar, komplexer. Das Wort ‚scheinbar' meint dabei, dass im Gegensatz zur tatsächlichen Steigerung der Komplexität es in diesem Fall häufig nur so wirkt, weil die Handlung weniger leicht vorhersehbar wird. Dies hat zur Folge, dass die Komplexität einer Narration bis zum Ende selbiger hoch wirkt, nach dem 4 dt. Titel: Die Tote im Götakanal 12Zeitpunkt der Auflösung des Rätsels diesem Eindruck jedoch nicht mehr standhalten kann. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl die Unvollkommenheit der Hauptfiguren, als auch die Gesellschaftskritik die narrative Komplexität steigert. Gesellschaftskritik und Imperfektionen der Hauptfigur(en) führen dabei unter anderem zu einer stärkeren Auffächerung des Handlungsstranges, bis hin zur Bildung eines förmlichen Handlungsnetzes. Einen ähnlichen Effekt haben Fehler der Hauptfigur oder einer der Hauptfigur nahestehenden Figur vor der eigentlich erzählten Zeit der Handlung. Hierdurch werden Rückblicke ermöglicht, welche ebenfalls die Komplexität steigern können. Aber bereits die, durch die Gesellschaftskritik beigesteuerten ‚neuen' Motive können die Komplexität steigern oder es zumindest so wirken lassen. Vergessen werden sollten auch nicht die oftmals indirekten aufgeworfenen moralischen Fragen, die einen ähnlichen Effekt auf die Komplexität der Narration haben und in der Regel vom Leser oder Zuschauer selbst beantwortet werden müssen. 13Anhang Abbildungen Literaturverzeichnis Aufgabenteil A Braunmüller, Kurt (2007): Die skandinavischen Sprachen im Überblick. 3., aktualisierte und erw. Aufl. Tübingen: Francke (UTB) Zeevaert, Ludger (2004): Interskandinavische Kommunikation. Strategien zur Etablierung von Verständigung zwischen Skandinaviern im Diskurs. Teilw. zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 2003. Hamburg: Kovač (Philologia, 64) Literaturverzeichnis Aufgabenteil B Primärliteratur Larsson, Stieg (2015): Flickan som lekte med elden. En kriminalroman. Pocketutg. Stockholm: Norstedt (Millennium, 2). Larsson, Stieg (2007): Luftslottet som sprängdes. Pocketutgåva. Stockholm: Norstedt (Millenniumserien, 3). Larsson, Stieg (2005): Män som hatar kvinnor. Pocketutgåva. Stockholm: Norstedts (Millenniumserien, 1). Sjöwall, Maj; Wahlöö, Per (2015): Roseanna. [S.l.]: Pocketförlager. 14 Abbildung 1: Schematische Darstellung der internordischen Semikommunikationsräume und ihrer möglichen ärliteratur Bergman, Kerstin (2014): Swedish crime fiction. The making of nordic noir. Sesto San Giovanni: Mimesis (Mimesis DeGenere,3). Glauser, Jürg (Hg.) (2016): Skandinavische Literaturgeschichte. 2. Auflage. Stuttgart: J.B. Metzler. Rothemund, Kathrin (2013): Komplexe Welten. Narrative Strategien in US-amerikanischen Fernsehserien. Zugl.: Lüneburg, Univ., Diss., 2012. 2., korr. Aufl. Berlin: Bertz + Fischer (Deep Focus, 15). Tapper, Michael (2014): Swedish Cops. From Sjöwall and Wahlöö to Stieg Larsson. 1st ed. Bristol: Intellect Books Ltd. Vogt, Jochen (Hg.) (1998): Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte. [Neufassung]. München: Fink (UTB für Wissenschaft, 8147)