2. Überleben und sterben lassen


Die beste Strategie ist, immer recht stark zu sein, erstens überhaupt und zweitens auf dem entscheidenden Punkt. Daher gibt es kein höheres und einfacheres Gesetz für die Strategie, als seine Kräfte zusammenzuhalten." – Carl Philip Gottfried von Clausewitz


Nachdem die Schutzengel beschlossen hatten sich Jacks verrücktem Plan zu beugen, hätte Sirius ja noch gerne Gelegenheit gehabt mit seinem Bruder zu besprechen, was eben vorgefallen war, doch er kam nicht dazu, da er gemeinsam mit den anderen Schutzengeln der Todesesser wieder zur Erde zurück gewuscht wurde, bevor er irgendetwas anderes tun konnte. Ihnen allen waren zuvor noch einmal eingeschärft worden, dass sie vorgeben sollten diese neue Allianz mit Voldemort zu ehren und sich vernünftig verhalten sollten (an dieser Stelle hatte Jack Sirius einen sehr eindeutigen Blick zugeworfen), und das war auch schon wieder alles gewesen.

Zurück auf der Erde hatte sich bestätigt, dass Voldemort davon auszugehen schien, dass sie alle nun Verbündeten waren. Sirius war also keine andere Wahl geblieben als mitzuspielen. Nun war er also auch ein Doppelagent, wie es schien, genau wie sein Schützling. Nur, dass er keine Ahnung hatte wie man so etwas eigentlich anstellte, also musste er improvisieren.

Seine Improvisation kam bei seinem Schützling nicht besonders gut an, wie sich herausstellte, denn kaum, dass sie – endlich – den dunklen Zauberer los waren und sich wieder in die sicheren Mauern von Hogwarts begeben hatten, fiel Severus Snape wütend über Sirius her. Es war ein Wunder, dass er damit gewartet hatte bis sie im Büro des Schuldirektors waren. Wenn Sirius sich irgendwo anders neben ihm materialisiert hätte, dann hätte sein Schützling ihn vermutlich gleich dort vor aller Ohren und Augen niedergeschrien, so wütend schien er zu sein.

„Was sollte das werden?! Bist du wahnsinnig geworden, Black?! Willst du mich jetzt doch unter die Erde bringen, oder stehst du auf einmal wirklich auf der Seite des Dunklen Lords, oder was war los?! Hast du eine Ahnung wie knapp ich mit dem Leben davon gekommen bin?! Aber dass du versuchst mich umzubringen, ist ja nichts Neues, nicht wahr?! Und dass du deinen Mund nicht halten kannst, auch nicht!", brüllte er ihn an.

Sirius empfand all diese Vorwürfe als entschieden unfair. Dass Snape nach allem, was sie hinter sich hatten, jetzt schon wieder mit dem Zwischenfall von damals daher kam, und ihn immer noch nicht zu vertrauen schien …. Nein, das war einfach nur gemein!

„Jetzt reg dich ab! Niemand ist gestorben!", verteidigte sich Sirius, „Ich habe nur getan, was ich tun musste. Und nein, natürlich stehe ich jetzt nicht auf einmal auf Voldemorts Seite. Aber ich musste ihn das glauben lassen, und zugleich durfte ich nicht zu unglaubwürdig dabei wirken. Also habe ich ihm gezeigt, dass er sich zwar nicht darauf verlassen kann, dass ich ihm gegenüber loyal bin, aber dass er sich darauf verlassen kann, dass ich dir gegenüber loyal bin."

„Das nennst du loyal?! Mich ans Messer zu liefern, Hogwarts an Messer zu liefern?!", zeterte Snape.

Sirius hob beschwichtigend die Hand. „Indem ich ihm erzählt habe, dass man dich vergiftet hat, habe ich ihm gezeigt, dass ich meine Aufgabe dich zu beschützen ernst nehme, ernster als alles andere", rechtfertigte er sich, „Sogar ernster als deinen Stolz oder Ruf zu beschützen. Und es hat geklappt. Er hat es bemerkt und zur Kenntnis genommen und seine Schlüsse daraus gezogen. Wenn du einen Moment lang damit aufhörst wütend zu sein, und dich an dieses ganze Dreiergespräch zurückerinnerst, dann wird dir klar werden, dass es so war. Dass ich uns damit einen Gefallen getan habe. Natürlich hätte er mir nie so einfach abgenommen, dass ich auf einmal auf seiner Seite bin, nur weil meine Bosse das wollen. Aber jetzt weiß er, dass ich auf deiner Seite bin, und er denkt, dass du loyal zu ihm stehen würdest."

Severus schüttelte den Kopf. „Und was ist damit, dass er von uns erwartet, dass wir ihm meinen Angreifer ausliefern?", wollte er wissen, und klang dabei nun zumindest nicht mehr wütend, sondern eher müde.

„Das werden wir natürlich nicht tun. Wir werden es den Carrows in die Schuhe schieben, oder noch besser diesem Leland", meinte Sirius, „Auf dieses Untersuchungsergebnis habe ich ihn ja schon vorbereitet."

Sein Schützling seufzte. „Du kannst nicht ….", setzte er an, und dann unterbrach er sich, „Der Dunkle Lord ist sehr mächtig. Du kannst ihn nicht einfach belügen und betrügen, wie es dir in den Kram passt."

„Wieso nicht? Du tust das doch schon seit Jahren. Und ganz abgesehen davon, habe ich einen Vorteil allen anderen gegenüber: Ich bin bereits tot, er kann mir nichts mehr antun. Und meine Gedanken kann er auch nicht lesen. Hör zu, ich habe bei dieser ganzen Sache eine einzige Priorität, und die ist es dich heil aus dem allen herauszubekommen. Das ist mein Job, meine einzige wirkliche Aufgabe, und daran hat sich zumindest für mich nichts geändert", erklärte Sirius ruhig, „Und um dieses Ziel zu erreichen bin ich bereit zu tun, was nötig ist."

„Selbst jetzt noch, wo ihr euch mit ihm verbündet habt?", wollte Snape wissen.

Sirius schüttelte den Kopf. „Ah, ah - wir haben uns nicht mit ihm verbündet, wir tun nur so, während wir ihn für unsere Zwecke benutzen, wie es scheint", informierte er den Zauberer.

Dieser schüttelte den Kopf und meinte dann resignierend: „Man benutzt den Dunklen Lord nicht für seine Zwecke, man wird von ihm benutzt. Etwas anderes zu denken wäre Wahnsinn."

„Denkst du, das wüsste ich nicht?", gab Sirius zurück, „Aber das ist die neue Order von Oben: Wir tun so als wären wir auf seiner Seite um von ihm zu bekommen, was wir wollen."

„Und während ihr so tut, helft ihr ihm dabei seine Ziele zu erreichen. Das ist dir doch hoffentlich klar, oder?", lautete die trockene Erwiderung.

„Klar ist es das. Deswegen hab ich auch nicht vor bei all dem mitzumachen. Aber die Sache ist die: Die dort Oben sind mächtig und haben Gewalt über mich. Vor Voldemort muss ich mich vielleicht nicht fürchten, aber die haben mich schon einmal daran gehindert zur Erde zurückzukehren und von dir abgeschnitten, und das können sie wieder tun. Irgendetwas hat sich verändert, irgendein Machtwechsel hat stattgefunden, und ich muss vorsichtig sein. Auch wenn es nicht nach mir klingt, kann ich mich nicht einfach offen gegen die offiziellen Anweisungen stellen. Ich muss zumindest so tun als würde ich kooperieren. Und am besten schaffe ich das, indem ich so weiter mache wie bisher: Als dein braver Schutzengel. Denn offizielle arbeitest du für ihn, und er hat es selbst gesagt, du bist wichtig, also liegt es an mir dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt", erklärte Sirius dem anderen Mann die Lage, „Im Grunde hat sich für uns beide nicht viel geändert, wenn man davon absieht, dass er nun von meiner Existenz weiß. Ihn dazu zu bringen zu bedenken, dass du möglicherweise in Gefahr sein könntest, wird ihn davon abbringen mich für andere Zwecke einzusetzen, solange er davon ausgeht, dass ich echtes Interesse daran habe dich vor Schaden zu bewahren und dieses Interesse größer ist als mein altes Loyalitätsgefühl."

Der noch lebende Zauberer musterte ihn nun nachdenklich. Zumindest schien seine Wut verraucht zu sein. „Dieses doppelte Spiel, es ist nicht so einfach zu führen wie du vielleicht denkst. Es hat mich viel gekostet, sehr viel", meinte er dann leise, „Und Schutzengel oder nicht, es kann auch dich immer noch sehr viel kosten."

„Das ist mir bewusst", behauptete Sirius, „Aber mir bleibt keine andere Wahl. Mir sind die Alternativen ausgegangen. Ich wusste, dass da Oben etwas im Gange ist, doch ich habe nicht durchschaut was, und konnte es nicht verhindern. Jetzt kann ich nur noch Schadensbegrenzung betreiben und alles tun, was nötig ist, um mich und diejenigen, die mir wichtig sind, zu schützen."

„So habe ich auch einst gedacht, und sieh dir an was dabei herauskommen ist", meinte sein Schützling.

„Der Unterschied ist, dass ich meinen Erfolg oder mein Versagen nicht an einen einzelnen Mächtigen binde, sondern es stattdessen selbst in die Hand nehme", entgegnete Sirius.

Snape musste es nicht aussprechen, Sirius wusste auch so, dass er der Meinung war, dass das noch viel schlimmer war.

„Hör zu, in einem Punkt haben die da Oben recht: Tyrannen siegen niemals, zumindest nicht auf Dauer. Der Orden ist noch nicht am Ende. Harry ist noch nicht am Ende, er wird Voldemort ein Ende setzen, früher oder später. Und wenn er es nicht tut, dann tun meine Leute das, denn das ist im Grunde auch ihr Endziel. Und es ist in unser beider Interesse ihnen dabei zu helfen es zu erreichen, und das bevor Harry es tut, denn immerhin wissen wir ja – und nur wir – dass Harry sterben muss um Voldemort zu vernichten, und wenn es einen Weg gibt das zu verhindern, den Dunklen Lord aber trotzdem los zu werden, dann sollten wir diesen begrüßen und unterstützen", argumentierte Sirius, „Mir gefällt es ja auch nicht, aber das Ziel ist für uns alle das Selbe. Und wir beide müssen nur bis dorthin durchhalten."

Severus wandte sich ab, und sein Blick schien ins Nichts abzugleiten. „Ich weiß, dass du es nicht wahr haben willst, aber der junge Potter muss sterben um den Dunklen Lord zu besiegen, daran führt kein Weg vorbei. Dumbledore wusste das", sagte er dann leise, „Keine Armee von Schutzengeln kann das ändern."

„Vielleicht aber doch. Aber selbst wenn nicht, wie ich sagte, für uns beide ändert sich dadurch nichts. Wir machen einfach weiter wie bisher, versuchen dich am Leben zu halten und irgendwie Kontakt zu Harry herzustellen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Harry versteckt sich ja nicht nur einfach so, er hat einen Plan, führt etwas durch, dass Dumbledore ihm anvertraut hat. Was immer es ist, es wird Voldemort schaden, wir müssen ihn nur machen lassen", meinte Sirius.

Severus erwiderte nichts. Er schien in Gedanken versunken zu sein. Er wirkte nun überhaupt nicht mehr wütend, nicht einmal mehr müde, eher resignierend und traurig.

Sie hatten eigentlich schon sehr lange, wenn nicht sogar genau genommen nie, über den großen Plan gesprochen. Seit Dumbledores Tod hatte Sirius sich darauf konzentriert ein guter Schutzengel für seinen Schützling persönlich zu sein und die anderen den Kampf gegen Voldemort weiterführen lassen. Es hatte ihm missfallen, dass Severus immer noch auf die Befehle von Dumbledore und die seines Porträts hörte, aber da seine Kritik auf taube Ohren gestoßen war, hatte er sie irgendwann unterlassen, denn eigentlich war sie auch nicht mehr angebracht gewesen. Harry und seine Freunde waren schon seit Monaten untergetaucht, keiner wusste wo sie waren und was sie taten, und Severus hatte mit Hogwarts alle Hände voll zu tun gehabt, genau wie Sirius. Und jetzt hatte einer von ihnen zum ersten Mal seit Monaten wieder laut ausgesprochen wie das alles enden würde. Welche Rolle Dumbeldore Harry zugedacht hatte. Und keiner von beiden war von dieser besonders begeistert.

Doch sie wussten auch beide, dass sie möglicherweise nicht dazu in der Lage sein würden das alles zu ändern. Nicht wenn sie wollten, dass Voldemort geschlagen wurde.

Doch Sirius war immer noch bereit nach allen Strohhalmen zu greifen, die ihm dargeboten wurden. So wie er immer darauf bestanden hatte, dass es einen Weg geben musste einen Unbrechbaren Schwur zu brechen, wollte er auch daran glauben, dass dieser Kampf nicht mit Harrys Tod enden würde, nicht zwingendermaßen, doch so wie im Fall des Unbrechbaren Schwurs war Severus offensichtlich anderer Meinung.

Schweigen senkte sich über das Büro. Dann fiel Sirius etwas ein, das Regulus gesagt hatte. „Darf ich dich was fragen?", wollte er also wissen, „Damals, als Regie gestorben ist … was ist da eigentlich passiert?"

Severus blickte auf und sah ihn verwirrt an. Offenbar war er sich nicht sicher, was das mit irgendetwas von dem, das sie zuvor besprochen hatten, zu tun haben sollte. „Wieso fragst du ihn das nicht selbst?", wollte er wissen.

„Nun, über den eigenen Tod zu reden ist … unangenehm", gab Sirius zu, „Und ich hab es eigentlich nie über mich gebracht … Egal, ich frage jetzt dich. Ich weiß, dass er sich von Voldemort abgewandt hat und getötet wurde, zumindest habe ich das immer angenommen. Aber er hat gesagt… er hat gesagt, dass er gestorben ist um Voldemort aufzuhalten, und dass … Voldemort seine Seele zerrissen hat um Unsterblichkeit zu erreichen. Hast du irgendeine Ahnung was damit gemeint sein könnte?"

Er konnte direkt sehen wie es hinter Snapes Stirn zu arbeiten begann. Dann schien die Miene des Zauberers von einem Moment auf den anderen leer zu werden. „Natürlich, das ist, was er mir verschwiegen hat", murmelte er.

„Wer? Was?", wollte Sirius wissen.

„Dumbledore. Was er mit Potter heimlich getan hat und Potter jetzt tut…. Die verdammte Schlange … Horcruxe … Potter war der Unfall, aber die anderen, die hat er absichtlich gemacht. Und er hat es öfter als einmal getan", murmelte Severus.

Sirius starrte ihn an. „Was redest du da?", wollte er wissen.

Severus sah ihn an. „Ich hab dir nie erzählt warum Potter sterben muss, nicht wahr?", meinte er dann.

„Nein, ich habe angenommen, dass Voldemort durch den Zauber damals mit Harry verbunden ist, ihre Lebenskraft irgendwie aneinander gebunden ist", erwiderte Sirius.

„Nicht ihr Lebenskraft. Ihre Seelen. Ein Teil von Voldemorts Seele ist in dem Jungen. Er ist ein lebendes Horcrux, wenn du so willst, und nicht das Einzige. Nagini, die Schlange, ist ebenfalls eines. Und offenbar hat er noch andere gemacht. Und dein Bruder wusste das und hat eines vernichtet oder es zumindest versucht", sagte Severus, „Deswegen, Sirius, muss der Junge sterben, und deswegen führt kein Weg daran vorbei, Schutzengel-Armee oder nicht, und deswegen ist es so gefährlich Spielchen mit dem Dunklen Lord zu spielen. Weil er seine Seele nicht nur einmal zerrissen hat um unsterblich zu werden, sondern gleich mehrfach, was beweist, dass es nichts gibt, was er nicht tun würde um seine Ziele zu erreichen. Und jetzt musst du dich fragen: Gibt es ebenfalls nichts, das du nicht tun würdest um deine Ziele zu erreichen? Nein, du musst mir nicht antworten, ich kenne die Antwort. Und genau das ist das Problem: dass sie von uns allen, Sterblichen oder Schutzengel, gleich lautet, aber nur von ihm alleine anders gelautet hat."


A/N: So geht es dahin. Bis jetzt gab es schnelle/tägliche Updates, aber wie immer heißt das nicht, dass das auch so bleiben wird. Also verlasst euch besser nicht darauf.

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