Erster Schultag

Highschool never ends – Bowling for soup

Ein paar Minuten später hatte ich von der freundlichen älteren Dame im Sekretariat, die versucht hatte, mich mit ihren paar Brocken Italienisch zu beeindrucken, meinen Stundenplan und besagten Spintschlüssel. Ich würde später Bonnie fragen, wo sich der passende Schrank zum Schlüssel befand. Jetzt musste ich erst mal das richtige Klassenzimmer finden. Laut meinem Stundenplan hatte ich Geschichte als erstes Fach an diesem Tag. Ich seufzte. Eigentlich hatte ich Besseres zu tun, als mir zusammen mit einer Gruppe Teenager einen Vortrag über den amerikanischen Bürgerkrieg – oder was sonst gerade auf dem Lehrplan stand – anzuhören. Viel lieber wollte ich wissen, was es mit diesem Ort auf sich hatte. Aber ich würde mich wohl erst einfügen und meine Tarnung vertiefen müssen, damit meine Nachforschungen nicht auffielen.

Minutenlang irrte ich durch das Gebäude, dessen Korridore alle gleich aussehen und die ich nur anhand der unterschiedlichen Poster an den Wänden unterscheiden konnte. In einem Stockwerk luden Plakate zu einer Schulstart-Party am See ein, im Nächsten gab es unzählige Anfeuerungsbanner für das Football-Team. Dann endlich hatte ich den Raum mit der richtigen Nummer gefunden.

Gerade als ich die Hand heben wollte, um an die Tür zu klopfen, wurde sie auch schon geöffnet. Vor mir stand ein großer, blonder Mann um die Dreißig. Für einen Lehrer sah er ziemlich gut aus und seine muskulöse Statur passte ebenfalls nicht zu jemanden, der den ganzen Tag mit dem Korrigieren von Hausarbeiten beschäftigt war.

„Hi, du musst Sienna sein," begrüßte er mich mit einem Lächeln. „Wir haben dich schon erwartet. Komm rein." Wie konnte es sein, dass ich gerade mal fünf Minuten hier war, und schon wusste die ganze Schule über mich Bescheid?

Ich strich mir eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ja, genau. Ich habe das Zimmer nicht sofort gefunden."

Er grinste. „In meiner ersten Woche hier habe ich mich auch in diversen Besenkammern und Abstellräumen wieder gefunden, weil es in diesem Gebäude überhaupt kein System gibt. Ich glaube, das ist Absicht. Na komm, dann wollen wir doch mal vorstellen. Ich verspreche, sie beißen nicht."

„Darauf bin ich vorbereitet," sagte ich und erkannte zu spät, dass er es wohl als Witz gemeint hatte.

Er warf mir einen seltsamen Blick zu, bevor er zur Seite trat und mich hereinbat. Und schon fand ich mich einer Gruppe Jugendlicher gegenüber, die mich neugierig musterten. Sie saßen alle auf Einzelplätzen und wirkten entweder gelangweilt oder interessiert. In der hinteren Ecke entdeckte ich Bonnie, die mir kurz zuwinkte. Oh Gott, das war viel schlimmer, als ich gedacht hatte. Wie war ich nur auf die Schnapsidee gekommen, mich als Schülerin auszugeben?

„Darf ich vorstellen? Das ist unsere neue Austauschülerin Sienna. Sie hat den ganzen langen Weg von Italien Hierher auf sich genommen, um das Schuljahr an einer amerikanischen High-School zu verbringen. Ich möchte, dass ihr sie ganz herzlich willkommen heißt und ihr dabei helft, sich hier einzugewöhnen." Nach einem kurzen Applaus wandte er sich an mich. „Mein Name ist Alaric Saltzmann. Ich unterrichte Geschichte. Wenn du Fragen hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden. Oder wenn es ein Verständigungsproblem gibt, lass es mich wissen. Ich spreche zwar kein Italienisch, aber ich werde versuchen, es so zu erklären, dass du mich gut verstehst."

Ich nickte. „Grazie. Das ist sehr freundlich von Ihnen."

„Wir werden in diesem Jahr sehr viel über europäische Geschichte lernen. Vielleicht kannst du ein bisschen von dem einbringen, was du an deiner Schule gelernt hast."

Mir wurde heiß und kalt. An meiner Schule? Ich war nie an einer Schule gewesen. Alles, was ich über Geschichte wusste, hatte mir mein Vater beigebracht. Und es war ganz sicher nicht das, was Mister Saltzman meinte.

Ich zwang mich zu einem Lächeln und nickte. „Ja, gern." Hoffentlich war ich nicht lange genug hier, um in die peinliche Lage zu kommen.

Er forderte mich auf, mich auf den freien Platz neben Bonnie zu setzen, und fuhr dann fort, Jahreszahlen an die Tafel zu schreiben.

Die anderen Schüler musterten mich kurz, bevor sie sich wieder auf den Unterricht konzentrierten. Fürs Erste hatte ich meine Ruhe vor den neugierigen Blicken.

Bonnie beugte sich zu mir. „Siehst du, das war gar nicht schlimm. Mister Saltzman ist echt in Ordnung. Du wirst ihn mögen. Was hast du in der nächsten Stunde?"

Ich zog meinen Stundenplan hervor und studierte ihn. „Englische Literatur."

„Ich auch. Wir können zusammen gehen." Sie lächelte mir zu und ich war dankbar für ein freundliches Gesicht.

Der restliche Schultag verging wie im Flug. Ich irrte von Klassenzimmer zu Klassenzimmer, stellte mich bei den Lehrern vor und versuchte, mir die vielen Namen zu merken. In der Mittagspause begleitete ich Bonnie in die Cafeteria, die ungefähr so einladend war wie eine Bahnhofshalle. Und der Geräuschpegel war genauso laut. Mit Bonnies Hilfe kaufte ich mir ein Sandwich, einen Salat und eine Cola und folgte ihr zu einem der langen Tische, die bereits gut gefüllt waren.

„Hey, Leute," begrüßte sie die drei Teenager, die am Ende der Tafel saßen. „Das ist Sienna, unsere neue italienische Austauschschülerin. Ich bin ihr heute morgen über den Weg gelaufen. Es ist ihr erster Tag und ich glaube, sie ist schon ziemlich erschlagen."

Ich nickte zustimmend und winkte in die Runde.

„Hi, ich bin Caroline. Komm, setz dich zu uns. Du musst mir alles über Italien erzählen. Ich liebe eure Schuhe! Und eure Mode!" Das hübsche, blonde Mädchen mit den Sommersprossen redete und redete ohne Punkt und Komma. Irgendwann setzte ich mich einfach an den Tisch und begann zu essen.

Der Junge mir gegenüber, der wie ein moderner James Dean aussah, streckte mir die Hand hin. „Ich bin Stefan," sagte er über Carolines Geplapper hinweg. Er schenkte mir ein süßes Lächeln. „Du gewöhnst dich dran."

Ich lachte. Er sah wirklich gut aus mit seinen dunkelblonden Haaren, den großen grünen Augen und der lässigen Lederjacke. Vielleicht würde das Schuljahr doch nicht so schlimm werden, wenn es hier Jungs wie ihn gab.

Doch dann bemerkte ich, dass er den Arm um das dunkelhaarige Mädchen neben sich gelegt hatte. Mit ihren braunen Augen und den langen Haaren passte sie perfekt zu ihm. „Ich bin Elena." Sie hatte ein strahlendes Lächeln. Im Gegensatz zu Caroline schienen die beiden eher ruhiger zu sein. Oder Caroline ließ sie nie zu Wort kommen. Ich fühlte mich wohl in ihrer Gegenwart und hätte nichts dagegen, mehr Zeit mit ihnen zu verbringen. Genau wie mit Bonnie.

Na ja, so wie es aussah, würde ich erst mal eine Weile hier bleiben, und wir sahen uns jeden Tag in der Schule. Während Caroline immer noch darüber redete, welche Sommerkollektion von welchem Designer sie am liebsten mochte, verglich ich mit Stefan und Elena meinen Stundenplan. Wir hatten tatsächlich ein paar Stunden zusammen, was mich insgeheim freute.

„Wenn du Lust hast, können wir dir morgen die Stadt zeigen," schlug Stefan vor. „Weißt du schon, wo du wohnen wirst?"

Ich stocherte verlegen in meinem Salat herum. „Ich habe mir ein Zimmer in dem Motel am Stadtrand genommen, bis ich was eigenes gefunden habe."

„Was?", staunte Elena. „Hat dir die Schule nicht dabei geholfen? Ich dachte, das ist der Sinn von einem Austauschprogramm. Wohnt man da nicht normalerweise bei einer Familie?"

„Ich weiß es nicht. Vielleicht haben sie niemanden gefunden, der bereit war, eine Austauschschülerin aufzunehmen." Die Wahrheit war, dass mir der Direktor den Vorschlag gemacht und ich abgelehnt hatte. Ich wollte so wenig wie möglich auffallen. Niemand durfte den wahren Grund erfahren, warum ich hier war.

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Du könntest bei Jeremy und mir wohnen. Oder bei Tyler. Die Lockwoods haben ein riesiges Haus. Da wäre auf jeden Fall Platz. Ich bin mir sicher, du könntest bei jedem von uns wohnen."

„Außer bei Stefan und seinem Bruder," mischte sich Bonnie ein. „Da würden mich keine zehn Pferde hinkriegen."

„Warum?", wollte ich wissen. Stefan war nett und zuvorkommend und er sah nicht aus wie der klassische Serienkiller.

„Das Haus ist schon alt und ziemlich düster," erklärte er. „Und am Ende der Welt. Außerdem hält mein Bruder nichts vom Aufräumen." Die beiden hatten wohl sehr liberale Eltern.

„Versprich mir, dass du es dir überlegen wirst," sagte Elena mit einem Lächeln. „Das Motel ist echt gruselig."

„Ich verspreche es." Aber ich hatte nicht vor, das Versprechen einzulösen. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, unter ständiger Beobachtung zu stehen und nicht kommen und gehen zu können, wann ich wollte.

Ein lauter Gong kündigte das Ende der Mittagspause an. Alle sprangen von ihren Plätzen und räumten ihre Tabletts ab.

„Wir treffen uns heute Abend alle im Grill. Wir würden uns freuen, wenn du kommst. Bonnie kann dir sagen, wo du hin musst," meinte Stefan beim Gehen.

„Oh ja! Du musst unbedingt kommen! Ich will noch soviel wissen!", rief Caroline sofort.

„Wir werden sie knebeln," versprach Stefan mit einem Grinsen, bevor er mit Elena die Cafeteria verließ.