Eine kurze Anmerkung noch bevor es losgeht: Beetee wird in diesem Kapitel erwähnt und der Einfachheit halber verwende ich den Nachnamen, den er von den Machern der Filme verpasst bekommen hat. Ich weiß, es ist buchtechnisch nicht so richtig canon, aber das wäre es auch nicht gewesen, wenn ich mir selbst was ausgedacht hätte.


Parade

Es ist ein weißer Schlauch und ich ziehe verdutzt die Augenbrauen hoch.
„Körperbetont", funkelt die Stylistin mich an. „Wie ich es am liebsten trage." Erneut zeigt sie auf ihren eigenen Körper und ich verstehe ihren Satz von zuvor. „Es dir anzuziehen soll zeigen, dass du nichts zu verbergen hast und dass du dich wohlfühlst. Ich habe von deinen Mentoren bereits gehört, dass du dir sicher bist, dass du gewinnst?"
Ich nicke. „Eine andere Option gibt es nicht."
„Gut", fährt sie kurz angebunden fort. „Die Farbe Weiß steht für deine Unschuld. Du warst bereits in einer Arena, ohne etwas dafür zu können. Du hast es unbeschadet herausgeschafft, als du ein Baby warst. Und dieser Hintergrund macht dich als Teilnehmer der Spiele stark. Deshalb das glänzende Make-up. Hast du mich verstanden?"
Ihre Stimme ist so eindringlich, dass ich nur nicken kann. Wortlos nehme ich das Kleid entgegen und ziehe es mir über. Das Vorbereitungsteam hilft mir, damit ich nicht aus Versehen meine Schminke an den Stoff schmiere. Als ich mich danach erneut im Spiegel sehe, gefalle ich mir wirklich gut. Das Outfit ist schlicht, es schreit nicht Kapitol. Trotzdem unterscheiden Schnitt und Farbe es eindeutig von dem, was wir in Distrikt 5 tragen würden. Ich wende den Blick vom Spiegel ab und frage die Stylistin nach der Verbindung meines Outfits zu meinem Distrikt.
„Energiegewinnung", sagte sie mit monotoner Stimme. „Sind eure Kraftwerke nicht weiß?" Ich merke, dass sie das Kleid eindeutig mit mir als Person anstatt mit meinem Distrikt im Hinterkopf entworfen hat. Irgendwie schmeichelt es mir und ich werfe ihr einen dankenden Blick zu.

Tics Outfit ist nicht annähernd so durchdachte wie meins. Viel eher ist sein schlichter Anzug an mein Kleid angeglichen worden. Er trägt Weiß wie ich, doch er ist weniger stark geschminkt. Das Gold meiner Augen wird in seinem Outfit in Form des goldenen Hemds und einem nicht minder glänzenden Paar Schuhe aufgegriffen. Wie meine Stylistin – ihr Name ist übrigens Obethia, wie ich aus den enttäuschten Kommentaren des Vorbereitungsteams über die Schlichtheit meines Kleides heraushören konnte – Tics Team von diesem für das Kapitol unspektakuläre Duo begeistern konnte, ist mir schleierhaft. Sie muss taffer sein, als sie aussieht.
Tic steigt zuerst auf den Wagen, der Distrikt 5 für die Parade zugewiesen ist. Er ist mattschwarz gestrichen, wodurch er nicht nur dem Zug gleicht, der uns ins Kapitol gebracht hat, sondern sich auch deutlich von unserer Kleidung abhebt. Gezogen wird er von grau-weiß gesprenkelten Pferden mit weißer Mähne.
Als ich ebenfalls einen Fuß in den Wagen setze und mich hineinziehe, weicht Tic zur Seite. Vermutlich hat er immer noch Angst, dass ich ihm in wenigen Tagen die Kehle durchschneide. Allerdings kann ich nicht mehr tun, als ihm zu versichern, dass er vor mir sicher ist. Deshalb ignoriere ich seine furchtsamen Blicke, strecke den Rücken durch und lasse den Blick durch die Halle schweifen.
Es ist das erste Mal, dass ich die anderen Tribute in Fleisch und Blut sehe. In bunter Kleidung stehen die meisten von ihnen an ihren Wagen und haben die Köpfe mit ihren Mentoren zusammengesteckt. Nun aber, da ich von meinem Wagen aus auf sie hinuntersehe, blicken einige auf. Ich ernte furchtsame Blicke, genauso aber auch hasserfüllte Gesten. Der Junge aus 4, der mir bereits im Fernsehen aufgefallen war, spuckt in meine Richtung auf den Boden und grinst dann breit. Ich zwinkere ihm zu und eindeutig verwirrt wendet er sich seinem Mentor zu. Nach einer kurzen hitzigen Unterredung besteigt auch er seinen Wagen und befindet sich nun mit mir auf Augenhöhe. Ich hätte gelacht, wäre das hier nicht bereits Teil der Spiele und das Image, das ich wahren will, harte Selbstsicherheit. Daher schmunzele ich lediglich spöttisch.
Zwei Wagen vor meinem entfernt bleibt mein Blick an einem blassen Mann hängen, der abgelenkt ein wenig abseits zweier unsicheren Tribute steht. Er ist eine Hälfte des Mentorenteams von Distrikt 3 und ich kenne ihn. Nicht persönlich natürlich, doch ich kenne seinen Namen, ich habe seine Spiele gesehen und noch viel häufiger habe ich in einem Lehrbuch aus der Schule von ihm gelesen. Es ist Beetee Latier, seines Zeichens Wissenschaftler und Erfinder. Der Mann, dessen Sieg mir als Kind so viel Hoffnung gab. Ich lächele in mich hinein und mein Magen kribbelt aufgeregt. Ich überlege, ob ich wohl zu ihm hinüberlaufen dürfte, um ihn anzusprechen, da setzt sich die erste Kutsche auch schon in Bewegung. Sofort wende ich den Blick auf das Tor zu, durch das die Wagen nun einer nach dem anderen hinaus in die Stadt und dann bis zum Präsidentenpalast rollen werden. Showtime.