Mystic Grill

Sex on fire – Alex Cornell

Nach der Schule machte ich mich auf den Weg ins Stadtarchiv, um mehr über die Geschichte von Mystic Falls zu erfahren. Leider hatte das Archiv nur am Mittwochnachmittag geöffnet und heute war Montag. Ich würde mich noch zwei Tage gedulden müssen. Die Stadtbibliothek war mir auch keine große Hilfe. Sämtliche antiquarischen Bücher befanden sich im Stadtarchiv. Für heute konnte ich nichts anderes machen, als in mein Motelzimmer zu fahren, zu duschen und noch einmal Vaters Aufzeichnungen durchzugehen. Und Hausaufgaben. Dio mio, ich musste ja auch noch Hausaufgaben machen.

Nach zwei Stunden in meinem unpersönlichen, dunklen Motelzimmer fiel mir die Decke auf den Kopf. Ich hatte mich durch zwei Kapitel amerikanische Geschichte gequält, noch ein Kapitel des großen Gatsbys gelesen und jetzt reichte es mir. Außerdem hatte ich Hunger und sehnte mich nach etwas Gesellschaft. Zumindest in Form von Fremden, die um mich herum saßen. Ich beschloss, Stefans Einladung anzunehmen.

Am Abend betrat ich den Mystic Grill, der wohl als lokaler Treffpunkt fungierte. Ich hatte noch nicht herausgefunden, was er genau war. Bar oder Restaurant. War mir auch erst mal egal. Hauptsache, ich bekam meinen Drink, um die Ereignisse des Tages hinunterspülen zu können. Ich hatte nicht gedacht, dass ein Tag an der High-School so nervenaufreibend sein konnte. Für heute war mein Bedarf an Fragen und Gesprächen über Jungs und Beziehungen ausreichend gedeckt. Mir dröhnte noch immer der Kopf mit all den Namen und Carolines ständigem Geplapper. Jetzt wollte ich nur noch in Ruhe mein Glas Rotwein genießen. Wie unbedeutend diese Teenager Probleme für einen Ausstehenden doch waren. Keiner von ihnen schien eine Ahnung zu haben, was wirklich in der Welt vor sich ging. Alles drehte sich nur darum, wer, mit wem zu dieser Party ging. Es war anstrengend, einfach nur anstrengend. Noch dazu, wenn man die Hälfte sowieso nicht verstand. Caroline hatte so schnell gesprochen, dass ich kaum mitgekommen war. Irgendwann hatte ich beschlossen, dass ich wohl nichts versäumen würde, wenn ich einfach nicht mehr hin hörte.

Mit einem Seufzen ließ ich mich auf einem der Hocker an der langen Bar fallen und bestellte ein Glas Rotwein. Ich erwartete nicht die gleiche Qualität wie in meiner Heimat, aber er schmeckte erstaunlich vollmundig und besänftigte meine Nerven. Während sich der Alkohol warm in meinem Magen ausbreitete, lehnte ich mich zurück und ließ meinen Blick durch das Restaurant schweifen. Sämtliche Tische waren besetzt und die Kellner hatten gutzutun. Die anderen waren noch nicht hier. Keiner der Gäste kam mir bekannt vor, aber ich wertete es als Wohltat. So konnte mich wenigstens keiner sofort in ein Gespräch verwickeln.

Ich wollte mich gerade wieder auf mein Glas Rotwein konzentrieren, als mein Blick an jemanden hängen blieb, der ein Stück die Theke hinunter vor einem Glas Bourbon saß. Er lehnte sich so tief über das Glas, dass es kaum sein Erstes sein konnte. In meinem Nacken begann es zu kribbeln. Ein untrügliches Zeichen, dass ich genauer hinschauen sollte. Er war ganz in schwarz gekleidet – Jeans, Hemd und Lederjacke – und sein Haar war genauso schwarz wie seine Kleidung. Es hing ihm unordentlich in die Stirn und stand in seinem Nacken über seinem Kragen ab. Er war schlank, fast etwas zu schlank für meinen Geschmack, aber anhand seiner Unterarme, die aus der Jacke hervorragten, konnte ich erkennen, dass er dennoch muskulös war. Das ganze Schwarz ließ ihn unnatürlich blass erscheinen, nur seine Wangen hatten eine rosige Färbung – dem Alkohol sei Dank. Eine gerade Nase und ein schön geschwungener, voller Mund rundeten das ansprechende Bild ab.

Er sah viel zu gut aus, beschloss ich. Leider.

„Denk nicht mal dran," sagte plötzlich eine Stimme neben mir.

Mein Kopf fuhr herum. Bonnie stand neben mir am Tresen und schüttelte energisch den Kopf.

Ich hob fragend die Augenbrauen.

„Erinnerst du dich an das, was ich heute morgen gesagt habe?"

Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Den ganzen Tag hatte ich so viel über mich ergehen lassen, ich konnte mich kaum an die Einzelheiten erinnern.

„Über die hartnäckigen Ausnahmen?", half mir Bonnie auf die Sprünge und ich erinnerte mich wieder an unser Gespräch vor der Schule. „Er gehört definitiv dazu. Vergiss die anderen, er ist der schlimmste von allen." Ihre Stimme triefte vor Verachtung. Bonnie schien keine besonders hohe Meinung von ihm zu haben. Vielleicht war er der stadtbekannte Säufer.

„Wieso? Wer ist er?" Offensichtlich kannte ihn Bonnie, also konnte sie mir auch ein paar Informationen liefern. Auch wenn meine Beweggründe, warum ich mehr über ihn erfahren wollte, sich nicht mit ihren deckten.

„Das ist Damon Salvatore, Stefans Bruder."

„Ah," machte ich scheinbar gleichgültig. Sein Name war heute ein paar Mal gefallen, aber sobald die kleine Gruppe gemerkt hatte, dass ich ja auch noch da war, hatten sie schnell das Thema gewechselt.

„Er ist impulsiv, skrupellos und selbstsüchtig."

„Und sieht ziemlich gut aus," fügte ich hinzu.

Bonnie legte ihre Hand auf meine. „Er ist ein riesiges Arschloch, Sienna. Halt dich besser fern von ihm."

„Dann ist Stefan wohl der Gute?"

„Absolut!", sagte Bonnie voller Überzeugung. Sie konnte nicht wissen, dass sie mit ihrer Warnung erst recht mein Interesse geweckt hatte.

„Okay, ich werde es mir merken. Grazie." Mit einem großen Schluck leerte ich mein Glas.

„Magst du dich zu uns setzen? Wir sind gleich da drüben." Bonnie deutete auf einen Tisch in der Ecke, wo bereits Stefan, Elena und Caroline saßen. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie sie hereingekommen waren. Elena winkte mich zu ihnen herüber.

„Caroline hat uns versprochen, dass sie nicht mehr als hundert Worte von sich gibt. Du brauchst also keine Angst haben, dass deine Ohren wieder bluten."

Ich lachte. „Wenn das so ist..." Ich warf einen letzten Blick auf Damon Salvatore und bekam gerade noch mit, wie Mister Saltzman sich neben ihn setzte, bevor ich Bonnie folgte.

Es wurde ein netter Abend. Ich erzählte von meiner Heimat und meinem Leben in einer Stadt, in der es keine Straßen gab. Einiges musste ich zensieren, aber ich konzentrierte mich auf die Besonderheiten Venedigs und welche Schwierigkeiten sie im Alltag boten und weniger auf mein Leben. Später stieß noch ein dunkelhaariger, muskulöser Junge namens Tyler zu uns, bei dessen Eltern ich laut Elena hätte wohnen sollen. Er lenkte das Gespräch auf das bevorstehende Football-Spiel und ich rückte fürs Erste aus dem Fokus des Interesses. Während ich erzählt hatte, waren Stefans Bruder und Mister Saltzman verschwunden, was ich insgeheim schade fand.