Kapitel 4 – Ein grausames Spiel

You know just who I am

Don't be so distant

Cause when you're lost

I am solely there to share your grief

(The March Of Mephisto, The Black Halo)

Der Tag wurde zu einem der entsetzlichsten in Akkarins Leben. Nachdem er Dakova seinen Sieg widerwillig und in dem Wissen, zu schwach für eine Flucht zu sein, zugestanden hatte, war alles nur noch schlimmer geworden. Man teilte ihm Aufgaben zu, die er erledigen sollte. Niedere Aufgaben, weder eines Mannes von hoher Geburt noch eines Magiers würdig. Es missfiel Akkarin, diese zu erledigen, doch er hatte entschieden, Dakovas kleines Spiel mitzuspielen, bis er einen Weg zu fliehen fand. Nichtsdestotrotz war es absolut entwürdigend. All die Strafarbeiten, die man ihm als Novizen aufgetragen hatte, waren nicht annähernd so demütigend gewesen, wie das Füttern der Nutztiere, das Ausmisten ihres Pferchs und das Waschen von Wäsche.

Während er arbeitete, spürte Akkarin, wie der Zorn in ihm immer größer wurde, bis er schließlich in jeder Faser seines Körpers brannte. Der sachakanische Magier hatte ihm alles genommen. Seine Stiefel, seine Roben und sogar seine Aufzeichnungen über die Reise. Und er nannte ihn andauernd 'kleiner Gildenmagier'. Es war offenkundig, dass er sich über Akkarin lustig machte. Aber warum?

Er macht sich einen Spaß daraus, mich, den Gildenmagier, der er im Kampf besiegt hat, seine Überlegenheit spüren zu lassen und wartet darauf, dass ich es herausfinde, dachte Akkarin, als er sich am späten Nachmittag erschöpft gegen den behelfsmäßigen Zaun des Tiergeheges sinken ließ. Auch wenn sein Humor alles andere als geschmackvoll ist. Er hatte alle Arbeiten, die Dakova ihm aufgetragen hatte, erledigt. Seine Glieder schmerzten, und die Hitze und die Anstrengung brachten ein Gefühl von Benommenheit mit sich, das ihn dösig machte. Obwohl er sich danach sehnte, seine Erschöpfung zu heilen, zog er es vor, sich seine Magie für die Flucht aufzusparen, sollte Dakova sich am Abend weigern, ihn gehenzulassen.

Dakova muss mich gehenlassen, dachte er. Wie auch immer der Sachakaner sich das vorstellte – sein Vorhaben war zum Scheitern verurteilt. Es war unmöglich, einen anderen Magier festzuhalten ohne, dass dessen Kräfte blockiert waren. Dakova würde das irgendwann einsehen, das Spiel würde ihm langweilig werden, und wenn Akkarin seine Magie vollständig regeneriert hatte, würde er seine Freilassung einfordern.

Sieh es als eine Prüfung, sagte er sich. Wenn du ihm nicht zeigst, wie sehr dich sein kleines Spiel demütigt, wird er bald die Lust daran verlieren.

Wenn Akkarin jedoch an den vergangenen Abend zurückdachte, begann er an seiner Theorie zu zweifeln. Dakova hatte seine Gedanken gelesen. Unerlaubt. Während die Sonne gnadenlos auf seinen Rücken gebrannt und ihm den Schweiß aus all seinen Poren getrieben hatte, war Akkarin sich mehr und mehr der Konsequenzen bewusst geworden. Dakova war dort gewesen, wohin er ihn nicht eingeladen hatte, und hatte Dinge in Erfahrung gebracht, die Akkarin nicht einmal mit seinem besten Freund geteilt hätte. Er fühlte sich von innen besudelt und missbraucht. Was er auch versuchte, um die Erinnerung beiseitezuschieben, sie hielt sich hartnäckig und vermischte sich mit seiner Scham über eben diesen Vorfall.

Jetzt, wo ein Tag vergangen war, war Akkarin mehr und mehr davon überzeugt, dass er sich trotz seiner Erschöpfung Dakovas Wahrheitslesung hätte widersetzen können. Es war unmöglich, in einem unwilligen Geist zu lesen. In seiner Vorstellung sah er sich immer wieder den nötigen Willen aufbringen, um sich gegen die fremde Präsenz zur Wehr zu setzen und den Schmerzen zu widerstehen. Er begriff nicht, wieso er sich am vergangenen Abend so jämmerlich angestellt hatte, und er wusste, er würde sich nie verzeihen, dass er nicht mehr von seinem Willen hatte aufbringen können, um die Geheimnisse der Gilde zu wahren.

Doch weil er versagt hatte, hatte Dakova nicht nur die intimen Details aus Akkarins Leben, sondern auch Wissen, das der Gilde vorbehalten war, aus seinen Gedanken gelesen. Besonders erheitert hatte ihn dabei die Tatsache, dass sich die Gildenmagier nicht stärkten. In der letzten Nacht war Akkarin zu entsetzt gewesen, um es zu begreifen, doch im Laufe dieses Tages hatte er erkannt, dass Dakova offenkundig nach einem Wissen gesucht hatte, das die Gilde vor langer Zeit verboten oder vergessen hatte. Soviel ließ sich aus seiner Befragung über die Verteidigung der Gilde und ihre Geschichte zumindest schließen.

Um welches Wissen es sich dabei handelte, konnte Akkarin indes nur erraten.

„Akkarin?"

Akkarin schrak aus seinen Gedanken. Die Stimme war leise und unsicher – und weiblich.

Er hob den Kopf. Vor ihm stand die junge Frau, die er am vergangenen Abend an Dakovas Seite bemerkt hatte. Sie konnte nicht älter sein als er selbst. Nein, korrigierte er sich, als er sie näher betrachtete. Sie ist jünger. Allenfalls achtzehn.

Sein Blick glitt über das knappe Kleid, das nur wenig der Phantasie überließ. Der an den Seiten geschlitzte Rock reichte kaum bis zur Hälfte ihrer Oberschenkel. Zwei schmale Streifen Stoff, die im Nacken von einer silbernen Schließe gehalten wurden, bedeckten gerade die Brüste, während der Rücken entblößt war. An ihren Oberarmen trug sie Goldreifen, die Unterarme waren mit zu dem Kleid passenden Stulpen bedeckt. Es fiel Akkarin schwer, den Blick von der Frau abzuwenden, und er musste sich zwingen, in ihre Augen zu sehen.

Was kommt jetzt?, fragte er sich. Er hatte sich bereits mit dem Mann angelegt, der ihm mit Händen und Füßen zu erklären versucht hatte, wie der Tierpferch zu reinigen war. Die alte Frau, der er mit der Wäsche geholfen hatte, war indes nicht viel freundlicher gewesen.

„Meister schicken mich", sagte sie in holprigem Kyralisch und mit einem so schweren Akzent, dass Akkarin sie nur mit Mühe verstand. „Du lernen Sachaka-zocha." (Die sachakanische Sprache)

„Bitte was?", fragte er nicht wissend, ob er sie nur wegen ihres Akzents nicht verstanden hatte oder ob die Hitze sein Denken außer Kraft setzte.

Sie ließ sich vor ihm auf den Knien nieder. „Sachaka-zocha", wiederholte sie. Ihre Augen wanderten zu einem fernen Punkt am Horizont. „Sprache."

„Ich spreche deine Sprache nicht."

Sie schüttelte heftig den Kopf. „Deswegen du lernen."

Jetzt begriff auch Akkarin, was sie ihm sagen wollte. „Das ist sehr freundlich von dir. Doch ich habe nicht vor, so lange hierzubleiben."

Die feingeschwungenen Augenbrauen des jungen Mädchens zogen sich zusammen, als sie seinen Worten lauschte. „Du nicht gehen. Ize yichivo dichimi." (Du buist ein Sklave)

Was auch immer sie ihm sagen wollte, Akkarin verstand nur Bruchstücke. „Es tut mir leid", sagte er, „aber ich verstehe dich nicht."

„Dishimi", sagte sie und deutete auf sich. (Sklavin)

„Ich heiße Akkarin", sagte er und deutete auf sich.

Sie schüttelte den Kopf. „U'yichivo Isara", sagte sie. „Name. Ize yichivo Akkarin." (Du heißt Akkarin)

So, Isara also. „Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Isara", erwiderte Akkarin nicht wissend, ob sie ihn überhaupt verstand.

Sie schenkte ihm ein scheues Lächeln. „Dishimi", wiederholte sie. „U'yichise dishimi m'Ichani Dakova." Sie deutete auf ihn. „Ize yichise dichimi m'Ichani Dakova." (Ich bin eine Sklavin von Ichani Dakova. Du bist ein Sklave von Ichani Dakova)

Akkarin schüttelte den Kopf. Außer Dakovas Namen hatte er nichts von ihren Worten verstanden. Sie alle klangen irgendwie gleich hart und zischend. Wie konnten sich die Sachakaner auf diese Weise verständigen?

„Dishimi", sagte sie erneut und deutete auf sich. „Sklavin." Sie wies auf ihn und wiederholte das Wort mit einer leicht anderen Aussprache. „Dichimi – Sklave."

„Nein!", widersprach Akkarin heftig. „Ich bin kein Sklave. Das ist ein Missverständnis."

„Rachariya – Meister nicht irren."

Akkarin spürte, wie er wütend wurde. „Was auch immer das hier für ein Spiel ist – ich bin kein Sklave. Ich bin ein Gildenmagier!"

Isara zuckte zusammen und sofort bereute er seinen Ausbruch. „Bitte entschuldige", sagte er. „Es ist nicht deine Schuld."

Sie schenkte ihm ein trauriges Lächeln. „Dichimi", wiederholte sie. Sie wandte sich um und deutete auf die Männer und Frauen in einfacher Kleidung, die im Lager herumwuselten.

„Sie sind Sklaven?", fragte Akkarin entsetzt.

Isara nickte.

Das konnte nur ein schlechter Scherz sein. Sklaverei war bis auf Lonmar in allen Verbündeten Ländern verboten und, soweit Akkarin wusste, war Sachaka ein armes, aber zivilisiertes Volk. Die Menschen, denen er vor Dakova begegnet war, waren frei gewesen.

„Sprechen sie Kyralisch?", fragte er.

„Ani."*

„Und das heißt?"

„Nein."

Akkarin seufzte. Also würde er sie auch nicht fragen können, ob Isaras Worte der Wahrheit entsprachen oder ob Dakova sich tatsächlich einen äußerst üblen Scherz mit ihm erlaubte. Dann dachte er jedoch wieder daran, wie Dakova ihm die Geheimnisse der Gilde entlockt hatte, und die Zweifel kehrten zurück.

„Du müssen lernen Regeln", fuhr Isara fort.

„Was für Regeln?"

„Du müssen rachariya immer gehorchen. Du dürfen ihm nicht in die Augen sehen, du dürfen ihn nicht nennen bei seinem Namen. Du müssen ihm zeigen Respekt. Er sha'nevuse ize … bestrafen dich sonst."

Das hörte sich wirklich wie ein übler Scherz an. Doch es fiel Akkarin immer schwerer, daran zu glauben. Ihn beschlich indes so eine Ahnung, dass Dakova vor nichts zurückschreckte, um seinen Willen durchzusetzen.

„Was du denken, Akkarin?"

Er sah in ihre dunklen, exotischen Augen, die ihn fragend anblickten.

„Das hier ist nur ein Spiel, nicht wahr?"

Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen.

„Ani."

Das war ganz sicher ein schlechter Scherz. Akkarin war ein Gildenmagier. Nichts und niemand konnte ihn lange festhalten, ohne seine Magie zu blockieren, aber dieses Wissen war den höheren Magiern vorbehalten. Er musste nur einen Weg finden, Dakova im Kampf zu besiegen oder heimlich zu entkommen.

Isaras Augen musterten ihn nachdenklich. „Komm", sagte sie dann. „Ich zeigen dir Lager."

In einer fließenden Bewegung erhob sie sich. Ein Stöhnen unterdrückend kam Akkarin auf die Beine. Gegen den plötzlichen Schwindel ankämpfend stützte er sich gegen den Zaun. Als er seine magischen Reserven überprüfte, stellte er fest, dass er über den Tag nur wenig Magie regeneriert hatte. Allerdings hatte sein Körper auch weder Ruhe noch Nahrung bekommen. Für eine Flucht würde seine Kraft kaum ausreichen.

Als er aufsah, bemerkte er, dass Isara ihn fragend ansah.

„Alles in Ordnung", beeilte er sich zu sagen.

Sie nickte nur.

Ein Seufzen unterdrückend folgte er ihr dann.


Während der nächsten Stunde führte Isara ihn durch das Lager. Sie zeigte ihm das Zelt, in dem die Vorräte lagerten und das, in dem gekocht wurde. Letzteres war eben jenes, das am vergangenen Abend durch den Kampf mit Dakova in Brand gesetzt worden war. Inzwischen war das Dach repariert und über das Loch, das die Flammen in den Stoff gefressen hatten, war neuer Stoff genäht worden. Zu Akkarins Erleichterung hatten sowohl der Koch, der sich mit den anderen Bewohnern des Lagers in Sicherheit gebracht hatte, als auch das Innere des Zeltes das Feuer überlebt. Akkarin wusste, er hätte es sich nie verziehen, wären Nichtmagier bei dem Kampf zu Schaden gekommen. Und er wollte nicht wissen, wie Dakova reagiert hätte, wären die Leute, die Isara als seine Sklaven bezeichnet hatte, durch ihn seine Hand gestorben.

Obwohl Isara sich alle Mühe gab, ihm in gebrochenem Kyralisch und gespickt mit Wörtern aus ihrer harten, zischenden Sprache die Abläufe im Lager zu erklären, verstand Akkarin nur wenig von dem, was sie sagte. Er begriff, dass Dakova und seine Sklaven in einer Art Symbiose lebten. Indem sie ihm alles gaben, was sie nur geben konnten, gab er ihnen Nahrung, Kleidung und – Akkarin konnte den Sinn dieses Wortes nur vage begreifen – das Gefühl, gebraucht zu werden. Wenn er sich indes die halbverhungerten Männer und Frauen in Dakovas Lager ansah, dann fand er, war dies ein sehr ungerechter Handel.

Die Sklaven wirkten nur mäßig erfreut, Akkarins Bekanntschaft zu machen. Als er die schmutzigen, abgemagerten und bedauernswerten Kreaturen, die ihn unwillkürlich an die Hüttenviertel von Imardin erinnerten, näher betrachtete, beschlich ihn jedoch der Verdacht, dass sie zu erschöpft von ihrer Arbeit waren, um höflich zu sein. All seine Versuche, mit ihnen über Isara zu kommunizieren scheiterten. Nicht wenige musterten ihn mit einer Mischung aus Furcht und Ablehnung und schüttelten stumm ihre Köpfe, wenn er das Wort an sie richtete.

Wenn Dakova mir weismachen will, ich sei einer von ihnen, ist er dumm, dachte Akkarin. Er versuchte sich vorzustellen, wie ein Magier einen anderen einschüchtern und zu einer dieser Kreaturen machen wollte, und scheiterte. Er brauchte nur herauszufinden, wie es Dakova gelungen war, ihn im Kampf zu bezwingen, und dann konnte er von hier fort.

Als die Strahlen der Sonne länger wurden, wandte Isara sich in Richtung von Dakovas Zelt. „Komm", sagte sie. „Konoaka."

„Was heißt das?"

„Essen – Abendmahl."

Akkarin sah sich um. Die Sonne berührte bereits die Hügelkette im Westen. Er konnte kaum glauben, dass nur ein Tag vergangen war, seit er von dort gekommen war. So viel war seitdem geschehen.

Zu viel.

„Meister wollen dich dabei", sagte Isara mit einem Hauch von Ungeduld in der Stimme.

Die Aussicht auf ein Abendessen hob Akkarins Stimmung. Obwohl er keinen Hunger verspürte, folgte er Isara zum Zelt des sachakanischen Magiers. Ihre Worte hatten ihn überzeugt, dass Dakova sich wirklich nur einen, wenn auch unschönen, Spaß mit ihm erlaubte. Wieso sonst sollte Akkarin ihm beim Essen Gesellschaft leisten? Zudem hatte Akkarin seit dem vergangenen Abend nichts als ein Stück Brot gehabt. Er musste essen, wenn er wollte, dass seine Magie sich regenerierte.

Leichtfüßig tänzelte Isara durch das Lager. Sie passierten das Feuer, an dem sich die anderen Sklaven zum Essen versammelt hatten, und hielten auf das große Zelt zu, vor dem wie am vergangenen Abend ein weiteres Feuer knisterte, um das Sitzkissen aus teuren Stoffen drapiert waren. Auf einem niedrigen und gepolsterten Hocker saß Dakova und starrte ihnen erwartungsvoll entgegen.

Das ist gut, dachte Akkarin. Wäre ich wirklich sein Sklave, müsste ich wohl mit den anderen essen.

Als sie nur noch wenige Schritte von Dakova entfernt war, blieb Isara stehen und wandte sich zu Akkarin. „Sehen", sagte sie. „Und machen nach."

Ein ungutes Gefühl beschlich Akkarin. Was auch immer das sein wird, es wird mir ganz sicher nicht gefallen. Er beobachtete, wie Isara auf Dakova zutänzelte. Als sie näherkam, breitete sich ein anzügliches Lächeln auf dem Gesicht des Magiers aus. „Ah, Isara", sagte er erfreut.

„Rachariya", sagte sie, ihre Stimme erfüllt mit Furcht und Ergebenheit.

Dann warf sie sich Dakova zu Füßen. Dieser hob ihren Kopf und drückte seine Lippen auf ihre, dann wies er auf ein Kissen zu seiner Rechten. Isara kniete sich darauf, die Hände auf den Oberschenkeln, den Blick auf einen Punkt zwischen ihren Knien gerichtet.

Entsetzt starrte Akkarin sie an. Wurde etwa von ihm erwartet, dass er es ihr gleichtat?

„Worauf wartest du, kleiner Gildenmagier?", schnarrte Dakova. „Muss ich dich erst bestrafen oder kommst du dieses Mal freiwillig?"

Die Erinnerung an die Ohrfeige und die damit verbundene Scham brannten noch immer wie ein kaltes Feuer in Akkarins Eingeweiden. Er wollte Dakova keinen Grund liefern, dieses Gefühl erneut hervorzurufen, doch er ahnte, sich vor diesem Mann freiwillig zu Boden zu werfen, würde noch demütigender sein.

Also schön, dachte er. Meinetwegen. Wahrscheinlich hat er noch nicht genug. Dann werde ich sein kleines Spiel eben noch ein wenig länger mitspielen. Es gefiel ihm nicht, auf diese Weise nachzugeben, aber Dakova hatte am vergangenen Abend seine Gefährlichkeit und seine Unberechenbarkeit zu Genüge unter Beweis gestellt. Akkarin würde ihn überlisten müssen, um ihm zu entkommen. Also musste er so tun, als würde er sich seinem Schicksal fügen.

Einen tiefen Atemzug nehmend tat er einen Schritt nach vorne. Stell dir einfach vor, du wärst wieder ein Novize, redete er sich ein. Am Anfang hast du es gehasst, dich vor den Magiern zu verneigen, doch du hast dich daran gewöhnt. Die Sachakaner haben einfach nur andere Sitten.

Dann tat er einen zweiten Schritt und einen dritten. Zögernd ging er vor Dakova auf die Knie und berührte mit seinem Oberkörper den Boden. Das Gefühl von Demütigung schoss wie Feuer durch seinen Körper und nahm ihm den Atem.

Dakova lachte leise. „Keine Sorge, kleiner Gildenmagier", sagte er beinahe liebevoll. „Du wirst dich bald daran gewöhnt haben. Vielleicht sollte ich dich ein wenig in dieser Position ausharren lassen, um dich besser daran zu gewöhnen."

„Das ist nicht nötig."

Die Spitze von Dakovas Stiefel traf ihn in seiner Magengrube. Der plötzliche Schmerz war so überwältigend, dass Akkarin sich krümmte.

„Widersprich mir noch einmal, Sklave und ich werde dich das sehr bereuen lassen", zischte Dakova.

Akkarin zog es vor, nichts darauf zu erwidern.

Der Sachakaner griff in das Haar an seinem Hinterkopf und zog ihn daran hoch, bis Akkarin ihn ansah. „Hast du das verstanden?"

Akkarin konnte nur nicken. Nein, das hier war kein Spiel. Es war die ganze Zeit kein Spiel gewesen. Wie war er bloß hier hineingeraten?

Dakovas schwarze Augen betrachteten ihn ausdruckslos. „Wie heißt das?"

„Ja", presste Akkarin zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich habe verstanden."

Dakova seufzte. „Isara!", sagte er, gefolgt von einigen scharfen Worten in seiner Sprache. Ihre Antwort klang scheu und ängstlich. Dakova holte aus und schlug sie. Sie wimmerte leise auf und senkte den Kopf.

Der Zorn in Akkarin verwandelte sich in ein helles Leuchtfeuer. Was war das für ein Mensch, der andere Menschen für etwas bestrafte, das in Wirklichkeit der Fehler eines Dritten war? „Hört auf, ihr weh zu tun!", fuhr er Dakova an. „Es ist nicht ihre Schuld. Ich verstehe Eure Sprache nicht."

Der Sachakaner schlug ihn. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst still sein? Ich erwarte, dass du nur sprichst, wenn ich es dir befehle." Er sah zu Isara. „Sag es ihm."

Sie hob den Kopf, ihre linke Wange glühte tiefrot. „Es heißen ya, rachariya", sagte sie. „Ja, Meister."

„Also, kleiner Gildenmagier", begann Dakova mit gespielter Geduld. „Was sagst du, wenn ich dir einen Befehl gebe?"

Ich will es nicht sagen, dachte Akkarin verzweifelt. Ich will es nicht sagen. Wenn er das tat, dann konnte er auch gleich aufgeben. Aber er musste, denn anscheinend hatte Dakova von seinem kleinen Spiel noch nicht genug.

Habe ich überhaupt eine Wahl?, fragte Akkarin sich dann. Ihn beschlich das ungute Gefühl, dass Dakova es so oder so aus ihm herauspressen würde. Er entschied, dass sein Widerstand die Konsequenzen nicht wert war.

„Ja, Meister", sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.

„Guter Sklave." Dakova lächelte dünn. „Das war doch gar nicht schwer, nicht wahr?"

Akkarin schloss die Augen.

„Gib mir deine Kraft."

Verwirrt öffnete Akkarin die Augen wieder und starrte den anderen Magier an. Dakova schlug ihn erneut. „Sieh mich nicht an, wenn ich es dir nicht befehle!", zischte er.

Verstört und vor Scham brennend sah Akkarin zu Boden. Er verstand nicht, wieso etwas, das in allen anderen Ländern der Welt als Akt der Höflichkeit galt, in Dakovas Augen ein Vergehen war. Dann erinnerte er sich wieder an Isaras Worte. Du müssen rachariya immer gehorchen. Du dürfen ihm nicht in die Augen sehen, du dürfen ihn nicht nennen bei seinem Namen. Du müssen ihm zeigen Respekt. Er sha'nevuse ize … bestrafen dich sonst.

So schwer es ihm fallen mochte, wenn Akkarin sich an Isaras Worte hielt, würde Dakova bald die Lust an diesem Spiel verlieren. Allerdings hatte seine Bereitschaft, sich diesen 'Spielregeln' zu beugen, Grenzen, wenn Dakova etwas wollte, dass in ihm war.

„Also üben wir das noch einmal", schnarrte Dakova. „Gib mir deine Kraft."

Niemals, dachte Akkarin grimmig. Seine Magie gehörte nur ihm allein. Und er würde sie dem Sachakaner gewiss nicht freiwillig geben. Wenn es so war, wie er allmählich vermutete, würde seine Flucht damit in weite Ferne rücken.

„Dann holt sie Euch doch", gab er zurück.

Ein dumpfer Schlag traf ihn in den Rücken und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. „Ich erwarte Gehorsam, kleiner Gildenmagier."

Der Stoß trieb Akkarin die Luft aus den Lungen. Dakovas Magie umschlang seine Handgelenke und zerrte sie empor, während eine magische Barriere seinen Kopf gesenkt hielt. Das reine Singen von Stahl erklang, dann spürte Akkarin etwas Kaltes, Dünnes auf seinen Handgelenken, gefolgt von einem kurzen, brennenden Schmerz. Einen Augenblick später umschlossen Dakovas warme Pranken seine Unterarme in einem eisernen Griff.

Bevor Akkarin wusste, wie ihm geschah, überkam ihn eine unerträgliche Müdigkeit. Seine Glieder ermatteten und er war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Umso deutlicher konnte er hingegen spüren, wie seine Magie aus ihm herausfloss. Panik stieg in ihm auf, als er erkannte, dass er die Kontrolle darüber verloren hatte. Verzweifelt versuchte er, sie zurückzuerlangen, doch er fühlte sich so träge, dass der dazu nicht den Willen aufbrachte.

Und dann verwandelte sich die Panik in Horror, als er begriff, dass Dakova die Kontrolle über seine Magie übernommen hatte. Was, wenn der Sachakaner entschied, ihn zu töten?

Die Zeit schien sich zu dehnen, während Akkarin dem Abfließen seiner Magie hilflos zusah und die Furcht seine Sinne schwinden ließ. Ein Teil von ihm wollte gegen Dakova rebellieren und diesen davon abhalten, sich seiner Magie zu bemächtigen, doch was auch immer der sachakanische Magier da mit ihm tat, lähmte nicht nur seine Glieder, sondern auch seinen Willen.

Nach einer scheinbaren Ewigkeit ließ Dakova endlich von ihm ab.

Doch anstatt ihn zu entlassen, presste der Sachakaner seine Finger auf Akkarins Schläfen.

Was kann er denn jetzt noch wollen?, dachte Akkarin mit wachsendem Entsetzen. Er hat doch schon alles über mich und die Gilde erfahren.

Dann übernahm Dakovas Präsenz die Kontrolle über seinen Geist und Akkarin war in der Welt seiner Gedanken gefangen.

Offenkundig war der Sachakaner dieses Mal weniger daran interessiert, weiteres Wissen aus Akkarin herauszupressen. Stattdessen zwang er ihn, seinen Tag noch einmal zu durchleben. Nicht gewillt, seinem Peiniger die Genugtuung über das Erlebte zu geben, wehrte Akkarin sich, was sofort mit mentalen Schmerzen gestraft wurde.

Dakova derweil schien sich über seine Gedanken zu amüsieren.

Du glaubst also, das hier ist nur ein Spiel?, fragte er mit einer grausamen Erheiterung, unter der sich Akkarins Eingeweide zusammenzogen. Da liegst du gar nicht so falsch, kleiner Gildenmagier. Bis auf ein kleines, aber bedeutendes Detail: Du bist kein Mitspieler.

Akkarin erstarrte, begreifend, was das bedeutete. Wenn er bis jetzt noch Zweifel an Dakovas Absichten gehabt hatte, dann waren diese nun endgültig weggewischt. Man konnte nicht in Gedanken lügen.

Du bist nicht besonders talentiert, bemerkte Dakova, nachdem er Akkarin bei der Erledigung seiner Aufgaben beobachtet hatte. Aber wir werden noch etwas finden, das deinen Fähigkeiten gerecht wird.

Akkarin zog es vor, nichts darauf zu erwidern. Worin diese Tätigkeit auch immer bestehen würde, zweifelsohne war sie menschenunwürdig.

Erfreut fuhr Dakova damit fort, in Akkarins Gedanken zu stöbern, als wären sie eine unterhaltsame Lektüre.

So, du denkst, du könntest fliehen, sandte er, als er schließlich seine Fluchtgedanken entdeckte. Versuch es und ich werde machen, dass du es bereust.

Die Bilder und Gedankenfetzen, die daraufhin auf Akkarin einstürmten, waren so entsetzlich, dass er unwillkürlich nach Luft schnappte.

Mit einem leisen Lachen löste Dakova seine Hände von Akkarins Kopf.

„Und jetzt mach dich nützlich."

Akkarin hob den Kopf, bemüht den Augenkontakt zu vermeiden. Dakova wies auf das Kissen zu seiner anderen Seite. „Dort hin."

Einen tiefen Atemzug nehmend, wappnete Akkarin sich für das Unvermeidliche. „Ya, rachariya."

Er kniete sich auf das Kissen, so wie Isara es auf Dakovas anderer Seite tat. Sklaven erschienen mit kleinen Schälchen, aus denen ein köstlicher Duft strömte. Ein Sklave drückte Akkarin einen Weinbecher in die Hand. Doch anders als am vergangenen Abend würde ihm dieser Genuss nun verwehrt sein. Akkarin hatte nicht vergessen, wie Dakovas 'Diener' ihn und seinen zweifelhaften Gastgeber bewirtet hatten. Das wurde nun auch von ihm erwartet.

Sieh es als eine Prüfung, sagte er sich erneut. Du bist ein Gildenmagier. Er kann dich nicht ewig festhalten.

Doch was Dakova ihm soeben angetan hatte, war beinahe noch entsetzlicher, als seine Gedanken zu lesen. Was Akkarin nun verspürte, war mehr als nur Demütigung, Scham und Ohnmacht.

Es war ein Gefühl, das er nicht in Worte zu fassen vermochte.


Die Nacht hatte ihren eisigen, glitzernden Mantel aus Sternen über den Ödländern ausgebreitet, als Dakova sein Abendessen beendete. Inzwischen war Akkarin zum Sterben müde, seine Arme schmerzten und seine Beine waren taub vom stundenlangen Knien. Er hatte es indes nicht gewagt, sein Gewicht zu verlagern, aus Furcht, Dakova würde ihn dafür bestrafen. Aber vielleicht war das hier nur eine weitere Prüfung, auch wenn sich der Sinn und Zweck ihm noch immer nicht erschloss. Doch Akkarin klammerte sich an die Hoffnung, dass es so war. Und in diesem Fall tat er besser daran, die Prüfung zu bestehen.

Es war alles, was ihm zu tun blieb.

„Werdet Ihr mich nun gehenlassen?", fragte er.

Dakova lachte. „Nein."

„Ich habe alles getan, was Ihr wolltet." Akkarin musste sich zwingen, die Unsicherheit seiner Stimme fernzuhalten. „Ihr habt bewiesen, dass Ihr der Stärkere seid, ich gestehe meine Niederlage ein. Also lasst mich gehen."

Der Sachakaner packte Akkarins Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen. „Ich bin stärker, kleiner Gildenmagier. Und deswegen wirst du dich mir unterwerfen."

„Ich bin nicht Euer Sklave", zischte Akkarin.

Eine Hand ausstreckend tätschelte Dakova seinen Kopf, so als wäre er nur ein Schoßtier. „Doch", sagte er. „Und ich werde dich das bis an das Ende deines erbärmlichen Lebens spüren lassen." Er wies auf die Reste seines Abendessens. „Iss", befahl er. „Ich erwarte, dass du morgen bei Kräften bist."

Dakova erhob sich und nickte Isara zu. Die junge Frau kam auf die Füße und eilte an seine Seite. In einer besitzergreifenden Geste sich seine Pranke schloss um ihren Nacken, dann führte er sie in sein Zelt.

Akkarin starrte den beiden nach. All seine während des Tages aufkeimenden Hoffnungsschimmer hatte der Sachakaner mit nur wenigen Worten und Gesten auf das reduziert, was sie waren: Verzweifelte Versuche, sich seine Situation schönzureden. Indem Dakova ihm alles genommen hatte, was er über den Tag von seiner Magie regeneriert hatte, war eine Flucht nahezu unmöglich geworden. Trotzdem wollte er nicht aufgeben, auch wenn der Sachakaner nun von seinen Fluchtplänen wusste.

Die anderen Männer – Dakovas Sklaven – die sich noch nicht zur Ruhe begeben hatten, waren inzwischen nähergekommen und machten sich über die Reste des Abendessens her.

Akkarin wusste, er täte besser daran, ebenfalls etwas zu essen, um für seine Flucht gestärkt zu sein, doch der Appetit war ihm gänzlich vergangen. So zu speisen war menschenunwürdig. Er war kein Tier, das die Essensreste seines Herrn zu fressen bekam. Doch selbst, wenn er unter besseren Bedingungen sein Abendessen hätte einnehmen können, brachten allein die Erlebnisse dieses Tages – insbesondere seine beiden Begegnungen mit Dakova – seinen Magen dazu, sich schmerzhaft zusammenzuziehen. Daran hatte nicht einmal der köstliche Duft der Speisen etwas ändern können.

„Wo kann ich schlafen?", fragte er Dakovas Sklaven.

Die Männer ignorierten ihn.

„Schlafen", wiederholte er ein wenig deutlicher. „Wo?"

Einer der Männer sah auf. „Sha'coloso?", fragte er und machte eine Bewegung, als würde er seinen Kopf auf eine Unterlage betten.

Akkarin nickte.

Der Mann stand auf und bedeutete ihm mitzukommen. Akkarin folgte ihm zu einem Zelt, in dem mehrere Lager aus Decken entlang der Wände ausgebreitet waren. Auf einigen lagen bereits Leute und schliefen. Der Mann deutete auf einen unberührten Platz in der hintersten Ecke. „Sha'coloso", sagte er.

„Danke", erwiderte Akkarin höflich.

Der Mann starrte ihn verwirrt an und wandte sich dann schulterzuckend ab.

Akkarin ging zu der zusammengefalteten Decke, rollte sie aus und wickelte sich darin ein. Er sehnte sich danach zu schlafen und seine Erschöpfung zu heilen, doch er musste wachbleiben. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis das gesamte Lager in Tiefschlaf gefallen war. Dakova hatte dem Wein reichlich zugesprochen und seine Sklaven mussten nach dem langen und anstrengenden Tag müde sein.

Während Akkarin wartete, kreisten immer wieder dieselben Gedanken durch seinen Kopf. Er hatte richtig gelegen, es war tatsächlich ein Spiel, das Dakova mit ihm spielte. Aber es war keines zwischen gleichberechtigten Mitspielern. Für den Sachakaner, der seinen Angestellten – oder besser gesagt Sklaven – die Aufmerksamkeit von Möbelstücken und Gebrauchsgegenständen schenkte, war Akkarin nur eine Spielfigur.

Nein, korrigierte Akkarin sich. Er war Dakovas Spielzeug.

Das Entsetzen, das er ob dieser Erkenntnis verspürte, war so groß, dass es ihm den Atem raubte. Sein Herz überschlug sich und die plötzliche Panik rauschte in seinen Ohren. Er war in eine auswegslose Situation geraten. Der warmherzige Gastgeber, den Dakova am Abend zuvor noch gespielt hatte, hatte sich als grausamer und unberechenbarer Mann herausgestellt, der zweifelsohne gefährlich war und nicht davor zurückschreckte, sich der Gedanken anderer zu bemächtigen. Und er besaß offenkundig das Wissen, die Magie anderer in sich zu speichern – etwas, das Akkarin nie für möglich gehalten hatte. Aber das war die einzig logische Erklärung für Dakovas übernatürliche Stärke.

Damit war es nahezu unmöglich, diesem Mann zu entkommen. Wenn er zu schwach war, um Dakova im Kampf zu besiegen, dann war Flucht in einem Augenblick der Unaufmerksamkeit seine einzige Chance. Und wenn seine Theorie über Dakovas Stärke der Wahrheit entsprach, dann war es egal, ob seine Magie regeneriert war oder nicht.

Aber er musste es zumindest versuchen.

Heute Nacht, dachte er. Wenn alle schlafen.

Bis Dakova sein Verschwinden bemerkte, würde er bereits weit weg sein. Er brauchte nur dessen Pferd zu nehmen und davonzureiten.

Und wachbleiben.


Sachakanisch – Kyralisch

Sachaka-zocha – die sachakanische Sprache

Ize yichivo dichimi. - Du bist ein Sklave (yichivo als unveränderliche Form von 'sein')

dishimi – Sklavin

U'yichivo Isara. Ize yichivo Akkarin. - Ich heiße Isara. Du heißt Akkarin.

U'yichise dishimi m'Ichani Dakova. - Ich bin eine Sklavin von Ichani Dakova. (yichise als veränderliche Form von 'sein', weil Sklaven im Laufe ihres Lebens mehrere Meister haben können)

rachariya – Meister

ani – nein

ya – ja

sha'nevuse – bestrafen

ize – Anrede zwischen Gleichgestellten

dize – herablassende Anrede

aze – Anrede gegenüber Höhergestellten

konoaka – Abendmahl

sha'coloso – schlafen (häufig auch als Euphemismus für Sex haben)