Diese Szene aus Nates und Sophies Vergangenheit sollte eigentlich nur ein Kapitel in Anspruch nehmen, doch die Handlung war dann doch zu komplex, so dass ich dann doch zwei draus gemacht habe. Daher heute das erste Kapitel der Vergangenheit.
Dann wünsche ich euch ein Schönes Wochenende und genießt das Osterfest, so gut es zu diesen Zeiten möglich ist^^
Nate betrat mit seinem Partner Jim Sterling das Hotel in dem ihr Arbeitgeber sie untergebracht hatte. Erst vor eineinhalb Wochen waren sie hier gewesen. „Bei der morgigen Ausstellung holen wir ihn uns", brummte Sterling. Ihnen war beiden bei der letzten Ausstellung das wertvolle Gemälde „Die Sommerbrise" gestohlen worden, das IYS ein Vermögen gekostet hatte. Doch hatten sie einen Raub auch nicht von einem Mann wie Jason Morrad erwartet, obwohl sie gewarnt wurden. Um Sterling zu signalisieren, dass er genau so dachte nickte er einfach nur. Ihm war nicht zum Reden zumute. Nachdem sie ihre Schlüssel von der Rezeption abgeholt hatten begaben sie sich auf ihre Zimmer. Sterling wünschte ihm noch einen guten Abend und schloss hinter sich die Tür. Nate hingegen legte seine Sachen in seinem Zimmer ab und begab sich in die Hotelbar, um noch einen Kaffee zu trinken. Es war wenig los. Ein Paar saß an einem Tisch und trank Wein, während sie sich über ihren Tag zu unterhalten schienen. Seine Aufmerksamkeit blieb jedoch bei der brünetten Frau am Tresen hängen. Sie saß mit dem Rücken zu ihm, doch er erkannte sie sofort. Nur dank ihr, wussten sie überhaupt, dass das Gemälde bei der letzten Ausstellung gestohlen werden sollte. Vor ihr auf dem Tresen stand ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit. Ungewöhnlich für sie, hatte er sie bisher immer den erlesensten Wein trinken sehen. Zwar hatte er keine Lust an diesem Abend zu Reden, doch die letzte Ausstellung kam ihm wieder in den Sinn und er musste sich vergewissern, dass sie nicht wegen ihm Schwierigkeiten bekommen hatte.
Vermutlich war sie für die kommende Ausstellung in der Stadt. Er ging zu ihr herüber und setzte sich ungefragt zu ihr. Er saß direkt an der Ecke vom Tresen, sodass er sie nun fast von Vorn betrachten konnte. „Sophie Devereaux", begrüßte er sie. Es war schon fast ihre vertraute Begrüßung, denn so begrüßte er sie immer, wenn er sie irgendwo sah. Doch dieses Mal würde ihr Gespräch anders verlaufen, als gewohnt, so hatte er das Gefühl. Die Kunstdiebin wirkte von ihrer Haltung anders. Traf er sie sonst, hatte sie etwas stolzes, fast majestätisches an sich. An diesem Abend saß sie erschöpft da und blickte vor sich ins Glas. Ihr offenes Haar fiel ihr über die Schulter und legten die rechte Hälfte ihres Gesichts in Schatten. Ihre Hände umklammerten das Glas. Der Geruch verriet ihm, dass es Whiskey war. „Was auch fehlt, ich war es nicht", murmelte sie und es schmerzte Nate schon fast, dass sie ihn nicht wie gewohnt zur Begrüßung verführerisch bei seinem Namen nannte.
„Wer sagt, dass etwas fehlt?", meinte er und lächelte dabei etwas.
„So sehr ich unsere Gespräche immer schätze, Mr Ford, so wäre ich heute Abend gern allein", erklärte sie und leerte ihr Glas. An ihrer Stimme hörte Nate, dass sie etwas bedrückte. Auch wenn er sich einredete, dass ihn die Angelegenheiten von Dieben nichts anging, konnte er sie jetzt nicht einfach allein lassen.
„Ich nehme an, Sie sind für die Ausstellung in der Stadt", sprach er nun seine Vermutung aus.
Sophie schüttelte kaum merkbar den Kopf, dann signalisierte sie dem Barkeeper, dass sie etwas bestellen wollte. Der großgewachsene, kurzhaarige Mann kam zu ihnen herüber. „Noch einen", bat Sophie und deutete auf ihr leeres Glas. „Nehmen Sie auch einen?", fragte sie dann an Nate gerichtet. Scheinbar merkte sie, dass er sie nicht allein lassen würde.
„Kaffee bitte", sagte Nate zum Kellner. Zu Sophie meinte er dann: „Ich dachte immer Sie trinken nur Wein."
Zum ersten Mal, seit er sich zu ihr gesetzt hatte, blickte Sophie ihn nun direkt an. Dabei fielen ihre braunen Haare etwas zurück und er konnte ihr ganzes Gesicht im Licht sehen. Ihre rechte Wange war stark gerötet und unter ihrem Auge hatten sich Schatten gebildet. Der gleiche Schatten lag auch auf der Kontur ihres Kiefers. Es war frisch, das konnte er sehen, sicher würde es in ein paar Stunden erheblich bedenklicher aussehen. „Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen", antwortete sie, doch bevor sie ihren Blick wieder senken konnte fing er ihre Bewegung ab. Er hatte seinen Zeigefinger unter ihr Kinn gelegt und drehte ihren Kopf nun sanft in Licht, sodass er das Ausmaß ihrer Verletzung besser einschätzen konnte. Sophie zuckte kurz vor der plötzlichen Berührung zurück, ließ ihn dann aber gewähren. „Wer war das?", fragte er schließlich, mit einer Vorahnung.
Sie antwortete eine Zeit lang nicht. Der Barkeeper brachte ihnen ihre Getränke und sie griff sofort nach dem Glas. „Das passiert wenn man einen Kunstdieb und Multimillionär bestiehlt", sagte sie schließlich nachdem sie einen großen Schluck ihres Whiskey getrunken hatte.
„Sie haben Jason Morrad bestohlen", kommentierte Nate und Schuldgefühle machten sich breit. Sophie Devereaux war eine der besten ihres Fachs. Wenn er ihm nicht gesagt hätte wer sie wirklich war, wäre er ihr sicher nie auf die Schliche gekommen.
„Und er hat ihnen „Die Sommerbrise" gestohlen", konterte Sophie.
„Danke übrigens für den Tipp", bedankte er sich nun für ihren Zettel, der ihm auf der letzten Ausstellung zugesteckt wurde.
Sophie nickte nur, erwiderte aber nichts darauf.
„Also", meinte er dann plötzlich. „Wollen Sie mir nun erzählen wieso Sie einen Kollegen bestehlen? Ich dachte immer es gebe so etwas wie ehre unter Dieben." Nate sah seine Gesprächspartnerin interessiert an.
Sophie atmete ein paar mal ein und aus, dann richtete sie sich auf. „Wussten sie, dass Morrad auch mit Waffen handelt?", fragte sie und Nate schüttelte nur den Kopf. Das war eine neue Information, die er erst einmal verarbeiten musste. Doch es passte zu diesem Mann, der eine unglaublich gefährliche Ausstrahlung hatte. „Eine Freundin von mir war an ihm dran und wollte ihn bei einem Waffenhandel auffliegen lassen", erklärte sie. „Vor zwei Wochen bekam ich dann einen Anruf von einem Krankenhaus hier in Seattle. Sie wurde mit einer schweren Kopfverletzung eingeliefert. Sie lag im Koma und ich habe ihr versprochen, dass er für lange Zeit in Gefängnis gehen wird." Sophie leerte erneut das Glas vor sich. Mit einer Geste signalisierte sie dem Barkeeper, dass er nachschenken sollte. Nate sagte nichts, er lies ihr Zeit, bis sie ihre Geschichte weiter erzählen würde. „Ich hab mich als Kuratorin ausgegeben und er ist schnell auf mich aufmerksam geworden. Vier Tage habe ich bei ihm in der Villa verbracht, danach habe ich ihn bei dem Diebstahl vor eineinhalb Wochen auffliegen lassen und ihn um vier seiner Bilder gebracht. Er hatte hohe finanzielle Einbußen. Die Festnahme lief nicht wie geplant und irgendwie hat er erfahren, wer ich bin." Sie seufzte niedergeschlagen. „Ich habe richtig Mist gebaut."
„Er ist der Polizei leider entkommen", entschuldigte sich Nate. „Aber jetzt wird er offiziell als Kunstdieb gesucht."
„Das bringt mir nichts, wenn er mich vorher umbringt", murmelte sie
„Hat er Ihnen damit gedroht", fragte Nate schockiert.
Sophie blickte in ihr, nun wieder gefülltes, Glas und schwieg kurz. Scheinbar schien sie abzuwägen, ob sie es ihm erzählen sollte oder nicht. „Er hat mich am Flughafen abgefangen", sagte sie schließlich und nahm wieder einen Schluck. „Sagte, er würde dafür Sorgen, dass ich nie wieder etwas stehle. Ich konnte fliehen, aber ich glaube, er hat mich nur Laufen lassen, damit ich ab sofort Angst habe, er könne mich finden." Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin ursprünglich in die Stadt gekommen, um morgen in die Ausstellung zu gehen, doch ich muss Morrad aus dem Weg gehen. Ich bin sicher, er hat es auf die Ikone abgesehen, die bei IYS versichert sind."
Nate wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Natürlich wusste Sophie genau, welche Werke bei IYS versichert waren.
„Und Ihre Freundin?", erkundigte sich Nate, um vom Thema abzulenken.
„Oh, sie wird wieder. Es wird ein langer Weg der Heilung, aber sie wird wieder. Ich weiß nur nicht, wie ich ihr erklären soll, dass ich mein Versprechen nicht halten konnte."
„Das tut mir sehr leid", erklärte Nate. Er sah, dass es Sophie geholfen hatte das alles einmal auszusprechen, doch sie wirkte dennoch ein wenig gebrochen auf ihn und es war seine Schuld. Kurz war er versucht ihr genau das zu sagen, doch er brachte es nicht übers Herz. Nate hatte nicht viele Freunde. Genau genommen keine, da er seine beste und einzige Freundin geheiratet hatte. Da kam Sophie von allen Menschen, die er regelmäßig sah, am ehesten an den Status Freund heran. Über die vergangenen Jahre, die sie nun schon Katz und Maus gespielt hatten, war eine Art Verbindung entstanden, die er nun nicht zerstören wollte. Natürlich wollte er Sophie Devereaux für Kunstdiebstahl ins Gefängnis bringen, doch nicht auf die Weise, wie sein Kollege Sterling es tun würde. Einen Moment dachte er kurz darüber nach, ob er Sophie Devereaux sogar mehr vertraute als seinem Kollegen Sterling.
„Braucht es nicht", winkte sie ab und leerte ihr Glas.
Einen Moment schwiegen sie, dann kam Nate eine Idee. „Sie waren vier Tage auf seinem Anwesen?", fragte er.
Die Kunstdiebin nickte nur. „Kennen Sie alle seine Leute?", fragte er weiter.
„Die meisten. Wieso", antwortete sie und sah ihn nun interessiert an.
Nate überlegte. Womöglich könnten sie sich gegenseitig helfen. Bei der Ausstellung würde Morrad seine Komplizen dabei haben wollen. Wenn Sophie ihnen jedoch sagen könnte wer zu ihm gehört, dann könnten sie diese Leute direkt am Eingang aus dem Verkehr ziehen. „Und sie sind sich sicher, dass er die Ikone stehlen will?", hakte er weiter nach. Doch er kannte die Antwort. Mit Miss Devereaux hatte er nun schon genug Gespräche geführt, um zu wissen, dass sie eine außergewöhnliche Menschenkenntnis besaß. Wenn er ehrlich war, so zweifelte er keinen Moment daran, dass Morrad ein anderes Gemälde stehen würde.
„Die ist das einzige, dass ihm in seiner Sammlung fehlt", meinte Sophie. „Wieso fragen Sie mich das alles?", wollte sie nun wissen.
„Vielleicht können Sie ihr Versprechen doch halten", erklärte er mit einem Lächeln.
Der Barkeeper trat zu ihnen und fragte, ob er nachschenken sollte. Als Sophie schon genickt hatte hielt Nate schnell ihr Glas zu. „Sie nimmt einen Kaffee", sagte er dann bestimmt. Er sah Sophie an und überlegte kurz. „Mit Milch und zwei Stück Zucker", riet er dann. Überraschung machte sich auf ihrem Gesicht breit.
„Woher wussten Sie das?", fragte sie.
„Nicht nur Sie haben eine gute Menschenkenntnis", antwortete er dann, bevor er sein Handy nahm und die Nummer seines Kollegen wählte. „Sterling", begrüßte er ihn, sobald er abgenommen hatte.
„Kommen Sie runter in die Bar", befahl er und legte auf, bevor der IYS Agent eine Frage stellen konnte.
„Sterling, wirklich?", fragte Sophie entgeistert. Nate musste lachen. Er wusste, dass sie Sterling nicht ausstehen konnte. Ganz verdenken konnte er es ihr nicht, Jim hatte einfach einen schwierigen Charakter.
Tatsächlich betrat Sterling ein paar Minuten später die Bar und entdeckte sie am Tresen. „Miss Devereaux", kommentierte er, als er näher trat. „Nate, wenn du mich nicht gerufen hast, weil wir sie heute verhaften lassen, dann bin ich weg", sagte er gereizt.
„Immer wieder eine Freude", murmelte Sophie.
„Jim, sie kann uns helfen", erklärte Nate seinem Kollegen.
„Wobei soll eine Diebin uns bitte helfen können?", entgegnete Sterling und die Verachtung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Sie hat mit Morrad zusammengearbeitet. Mit ihrer Hilfe können wir morgen seine Männer aussortieren, bevor sie in die Ausstellung gelangen." Sterling überlegte kurz. An seinem Blick sah Nate, dass ihm der Gedanke nicht gefiel mit einer Kunstdiebin zusammen zu arbeiten, die ihnen schon so oft entwischt ist. „Außerdem weiß sie genau, was er stehlen wird", fuhr Nate fort, um Sterling letztendlich zu überzeugen.
„Nur diese eine Mal", lenkte Sterling ein.
„Werde ich denn gar nicht gefragt?",meinte Sophie plötzlich, doch Sterling ignorierte sie.
„Und du bist für sie verantwortlich, Nate", beharrte Sterling und tippte ihm dabei auf die Brust. „Stiehlt sie morgen etwas ist das deine Schuld." Ohne ein weiteres Wort zusagen blickte Sterling zwischen ihnen noch einmal hin und her. Nate war nicht entgangen, dass Sterlings Blick kurz an Sophies, nun schon fast blauem, Auge hängen blieb. Doch er lies sich nichts anmerken und verschwand wieder.
Nate sah ihm kurz hinterher, bevor er sich wieder ganz seiner Gesprächspartnerin zuwandte.
„Wieso tun Sie das Mr Ford?", fragte sie.
Einen kurzen Moment antwortete er nicht, er konnte es nicht über sich bringen, ihr zu sagen, dass er an ihrer Verletzung schuld war und so hoffte es wieder gut machen zu können. Also zuckte er die Schulter. „Wir helfen uns gegenseitig. Sie helfen uns einen Dieb hinter Gitter zu bringen und ich helfe Ihnen dabei ihr Versprechen zu halten."
Sophie sah ihn einen kurzen Moment sprachlos an, dann nickte sie. „Danke."
Sie tranken noch gemeinsam ihren Kaffee und redeten dabei etwas über Kunst. Nate fühlte sich von Sophies Wissen schnell in den Schatten gestellt und bewunderte sie schon ein wenig für ihre Liebe zur Kunst. Nachdem der Barkeeper die Tassen abgeräumt hatte bezahlte Sophie für sie beide. „Sehen Sie es als kleines Dankeschön", argumentierte sie, als er Widerspruch einlegte, als sie für ihn mitbezahlte. Gemeinsam verließen sie die Bar und Sophie gab zu ebenfalls ein Zimmer in diesem Hotel zu haben. Sie machten für den nächsten Tag eine Uhrzeit aus und entgegen seines Wunsches bestand Sophie darauf allein zur Ausstellung zu gelangen, da sie fürchtete Morrad könnte die Ankunft der IYS Agenten beobachten.
Nate schloss die Tür hinter sich und seufzte. Der Abend war anders verlaufen, als er erwartet hatte. Er hatte erwartet, dass er in Ruhe einen Kaffee trinken würde, um dann zu Bett zu gehen, wo er sowieso nicht schlafen konnte. Doch nun hatte er einen Plan, wie er zumindest einen Dieb aus dem Verkehr ziehen konnte. Er dachte wieder an Sophies Verletzung. Das ganze Ausmaß war sicher erst am nächsten Morgen zu erkennen. Es beruhigte sein Gewissen, dass er ihr helfen konnte. Er hatte Maggie erzählt, wie er die Kunstdiebin an Morrad verraten hatte. Seine Ehefrau hatte für ihn Verständnis, er sprach gern mit ihr über seine Arbeit, denn sie half ihm manchmal die Dinge richtig zu verstehen und neue Ansätze für die Sicherung zu finden. Als hätte sie gespürt, dass er über sie nachdachte, klingelte sein Handy. „Hallo Schatz", begrüßte er seine Ehefrau.
Sie unterhielten sich zuerst über seine Anreise und er fragte nach seinem Sohn, dann führte er Maggie an den vergangenen Abend heran. Er berichtete ihr genau von dem Gespräch mit Sophie Devereaux und der Übereinkunft, die sie getroffen haben. „Ich finde es sehr edel, dass du ihr hilfst", sagte Maggie. „Auch wenn sie es nicht zeigt, hat sie sicher Angst."
Nate stimmte ihr zu. „Ich werde dennoch das Gefühl nicht los, dass ich es nur tue, um mein Gewissen zu erleichtern", gab er zu.
„Sag das nicht, Nate", widersprach die Kunstexpertin. „Du bist ein guter Mann und du kannst einfach nicht wegschauen, wenn jemand in Schwierigkeiten steckt. Das ist es, was ich an dir Liebe." Er hörte das Lächeln in ihrer Stimme und musste selber Lächeln. Maggie fand immer die richtigen Worte.
„Danke, Schatz", sagte er schließlich. „Das habe ich jetzt gebraucht."
„Ich weiß", antwortete Maggie. Ein gähnen verriet ihm, dass seine Frau sehr müde sein musste.
„Ich wünsche dir eine gute Nacht", sagte er dann. „Ich bin Übermorgen wieder zu Hause. Ich liebe dich, Schatz."
„Ich liebe dich auch", antwortete seine Ehefrau. „Ruf mich nach der Ausstellung morgen an. Egal wie spät", bat seine Frau. „Versprich es."
„Ich verspreche es", entgegnete er, verabschiedete sich noch einmal und legte dann auf. Er war bei dem Gespräch mit Maggie nervös im Zimmer auf und ab gegangen. Nun ließ er sich erschöpft auf seinem Bett nieder und legte sich der Länge nach hin. Nachdem er sich bei Maggie alles von der Seele reden konnte fand er etwas Ruhe und schlief nach wenigen Minuten ein.
Am nächsten Morgen frühstückte er mit Sterling und besprach den Plan. „Miss Devereaux, wird mit mir vor den Überwachungsmonitoren sitzen und dann kann sie uns sagen, wer zu Morrad gehört und wer nicht."
„Und dann?", fragte Sterling. „Wir können sie ja nicht einfach auf verdacht festnehmen, schließlich haben sie zu dem Zeitpunkt ja noch nichts gestohlen, sondern wollen nur eine Ausstellung besuchen."
„Richtig", stimmte Nate zu. „Aber wenn die Sicherheitsleute gezielt Morrads Männer zur Kontrolle bitten machen wir ihn nervös. Er will die Ikone gezielt heute Abend stehlen, weil die Ausstellung hier nicht so ein Sicherheitssystem wie das Museum hat, wo sie sonst aufbewahrt wird. Morrad stiehlt nur von Ausstellungen."
„Hat Ihnen das ihre neue Freundin verraten?", stichelte Sterling nun ein wenig, dem die Übereinkunft noch immer nicht gefiel.
„Wir sind keine Freunde", entgegnete Nate, als hätte Sterling ihn beleidigt. Er wusste selbst nicht wieso er so schroff reagierte. Vielleicht, weil er nicht wollte, dass Sterling glaubte sein Urteilsvermögen über die Handhabung von Dieben sei getrübt. „Aber ja, Miss Devereaux hat mir das erzählt", erklärte er. „Ich denke, wenn wir ihn heute Abend nervös machen, indem jeder seiner Komplizen genau durchsucht wird, wird er den Diebstahl trotzdem wagen, aber sicher einen Fehler machen."
Sterling sah ihn zweifelnd an. „Das mein Lieber ist ein sehr wackeliger Plan." Sterling schwieg einen Moment, dann räusperte er sich: „Ich mache mir dennoch Sorgen, dass ihre neue Freundin uns heute hintergehen wird und etwas stiehlt."
Nate nickte. Er konnte Sterlings Bedenken durchaus verstehen, doch etwas sagte ihm, dass Sophie an diesem Abend nichts stehlen wird. Dennoch würde er natürlich nichts dem Zufall überlassen und zog eine Karte aus der Tasche. Es war ein einfacher Sicherheitsausweis, mit dem man in Räumlichkeiten gelang, die sonst nur für Angestellte und Security vorbehalten war. Wissend, dass sein Kollege keine Ahnung hatte, was er damit wollte drehte er den Ausweis um. Auf der Rückseite hatte er einen Aufkleber angebracht, den sie an ihren Kunstwerken platzierten.
„Ein GPS-Trecker", erkannte Sterling. „Zumindest wissen wir, wo sie sich den Abend über aufhält." Beide Männer sahen auf die Uhr und stellten fest, dass es an der Zeit war zur Ausstellung zu fahren und bei den Sicherheitsvorkehrungen zu helfen. Bevor er jedoch mit Sterling zur Ausstellung fuhr, begab er sich noch einmal ins obere Stockwerk des Hotels, um Sophie die Karte zu bringen. Da sie allein zur Ausstellung gehen wollte, um nicht von Morrad vorher gesehen zu werden, brauchte sie den Ausweis. Wenn er ehrlich war, so hatte er den Tracker wegen Morrad an den Ausweis geklebt. Er machte sich Sorgen, dass dieser ihr auf dem Weg zur Ausstellung auflauern könnte. Vor Sophies Tür angekommen klopfte er kurz und wartete, dass sie öffnen würde. Nach einem kurzen Moment öffnete sich die Tür und die Kunstdiebin bat ihn herein.
„Guten Morgen", begrüßte sie ihn, wobei sie ihm den Rücken zuwandte, um sich zu ihrem Bett zu begeben, wo sie sich jedoch nicht setzte, sondern stehen blieb. Sophie hatte sich Frühstück ins Zimmer liefern lassen, das auf dem Tisch am Fenster noch komplett unangetastet stand.
„Guten Morgen", entgegnete Nate. „Ich wollte nur schnell Ihren Ausweis vorbeibringen", erklärte er und zog ihn aus der Tasche. „Mir wäre dennoch wohler bei dem Gedanken, wenn Sie jetzt direkt mit uns mitfahren würden."
Sophie schüttelte leicht den Kopf und drehte sich zu ihm um. „Morrad lässt die Ausstellung überwachen, sie würden mich sofort erkennen." Sie hatte ihr Haar in einem unordentlichen Dutt gebunden, aus dem sich mehrere Strähnen gelöst hatten, wodurch ihr Gesicht nun gut im Licht sichtbar war. Die dunklen Schatten unter ihrem Auge hatten über Nacht einen dunkelblauen Ton angenommen und auch Teile der Wange und die Konturen ihres Kiefers waren bläulich, zogen sich jedoch an wenigen Stellen bis ins Violette. Auch wenn sie es versuchte zu verbergen, so merkte er, dass sie unglaublich müde war. Sie wirkte auf ihn, als hätte sie die ganze Nacht kein Auge zugemacht und Nate konnte nur ahnen, wie viel Angst sie nach Morrads Morddrohung haben musste. „Ich komme heute Nachmittag zur Ausstellung, versprochen", erklärte sie, worauf Nate nur nickte und ihr die Karte reichte.
„Dann sehen wir uns dort", verabschiedete er sich und wandte sich zum Gehen. Er hörte noch ein „Danke", von ihr, bevor er die Tür hinter sich ins Schloss zog.
Den restlichen Tag verbrachte Nate damit mit seinem Kollegen die Ausstellung vorzubereiten und auf die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen zu achten. Gegen Abend zog Nate sich zurück und begab sich zu den Überwachungsmonitoren. „Sie verspätet sich", nörgelte Sterling der auf die Uhr sah. Nate, der ebenfalls einen Blick auf seine warf schüttelte den Kopf. „Sie hat noch drei Minuten", beruhigte er ihn.
„Danke für Ihr Vertrauen", hörte er dann Sophies Stimme hinter sich und drehte sich um. Sie zog sich gerade einen bunten Poncho über den Kopf, den sie über ihren Sachen getragen hatte und legte ihn dann beiseite. Nate hatte sich schon gefragt, wie sie unbemerkt in die Ausstellung gelangen wollte, wo sie ja selber gesagt hatte, dass Morrads Leute das Gebäude beobachteten. Doch nun, wo sie vor ihnen stand wurde ihm wieder bewusst, dass Sophie Devereaux ihre Bilder meist durch Trickbetrug stahl. Nicht nur den Poncho hatte sie zur Tarnung verwendet, in ihrem Haar, dass sie locker nach hinten geflochten hatte, sodass ein paar Strähnen sich gelöst hatten, steckte eine dickte Hornbrille, die sie vermutlich nach oben geschoben hatte, nachdem sie im Gebäude war. Vermutlich hätte er sie nicht erkannt, wenn sie in diesem Aufzug auf offener Straße an ihm vorbei gegangen wäre. Zu seiner Überraschung hatte sie die dunkle Färbung in ihrem Gesicht nicht einmal versucht zu überschminken. „Der Sicherheitsdienst ist schlecht", kommentierte sie nun an Sterling gewandt und drückte ihm eine Zugangskarte in die Hand, die offensichtlich einem der Sicherheitsmänner gehörte. „Den Ausweis zu klauen war ein Kinderspiel."
Sterling warf ihr einen verärgerten Blick zu, sagte aber nichts. Stattdessen verließ er den Raum und auf den Monitoren konnte Nate verfolgen, dass Sterling den betroffenen Angestellten nun zur Seite nahm und ihm eine Standpauke hielt. Sophie setzte sich nun auf einen der Stühle und sah auf die Uhr. „Einlass ist in einer halben Stunde?", fragte sie. Nate nickte. Er wusste, dass Sophie genau wusste, wann die Veranstaltung begann. Bei so etwas machte niemand einer Kunstdiebin etwas vor. Vermutlich versuchte sie nun einfach unangenehme Stille zu vermeiden.
Der Abend begann sich nun dahin zu ziehen. Nachdem der Einlass begonnen hatte konzentrierte sich Sophie auf die eintretenden Gäste und gab sofort Bescheid, wenn sie einen von Morrads Leuten in der Menge ausmachte. Der Sicherheitsdienst bat die entsprechenden Leute dann zu genaueren Sicherheitskontrollen. Es überraschte Nate, dass Morrad neun Männer in die Ausstellung geschickt hatte. Einer hatte die Ausstellung nach der Kontrolle sofort wieder verlassen und zwei konnten sie wegen unerlaubten Waffenbesitzes festnehmen. Als nun durch den Einlass keiner weiter die Ausstellung betreten wollte konzentrierte Sophie sich auf die Menschenmengen vor den Kunstwerken. Nate war erstaunt wie konzentriert und eifrig sie bei der Sache war, aber es war für sie vermutlich die letzte Chance ihre Freundin zu rechen. Er fragte sich, wer wohl ihre Freundin war. Eine weitere Diebin vielleicht. „Das ist interessant", murmelte Sophie plötzlich.
„Noch jemand von Morrads Männern?", fragte Nate.
Sophie tippte auf dem Bildschirm auf einen Mann, der etwas außerhalb der Menge stand. „Das ist ein Geschäftspartner von ihm. Allerdings dachte ich immer er interessiert sich nur für Waffen und nicht für Kunst." Sie griff nach einem Zettel und einem Stift, um schnell etwas zu schreiben.
„Was machen Sie?", wollte Nate nun wissen.
„Bei meinem Aufenthalt in Morrads Villa hat er mit diesem Mann einen Handel abgeschlossen", erklärte Sophie. „Es könnte ja sein, dass ich in einer seiner Kisten einen GPS-Tracker platziert habe." Sie faltete das Blatt und stand auf.
„Sie wollen ihm das doch nicht mitteilen", erkannte Nate nun ihren Plan.
„Nun, falls er doch hier ist, um Morrad bei dem Diebstahl zu unterstützen, wird er sicher dafür sorgen, dass dieser festgenommen wird. Ansonsten ist er meine Absicherung, falls wir ihn heute nicht kriegen." Sie verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Der IYS Agent sah ihr nach, wie sie eine der Kellnerinnen abfing und sie bat den Zettel zu überbringen.
Nate schüttelte den Kopf, als sie wieder zurück kam. Sophie handelte zeitweise doch ganz schön impulsiv. Auf dem Monitor verfolgten sie, wie er den Zettel las, sich unsicher umsah und dann sein Handy nahm, vermutlich um nach dem Tracker suchen zu lassen.
Der restliche Abend verlief ohne weitere Vorkommnisse. Nate sorgte dafür, dass der Sicherheitsdienst den Waffenhändler im Blick behielt, doch dieser verließ die Ausstellung dann recht zeitig.
Als am späten Abend alle Gäste die Ausstellung verlassen hatten saß Sophie noch immer konzentriert vor dem Monitor und beobachtete die Sicherheitsleute. „Sie haben Sich geirrt, Nate", warf Sterling ihm nun vor. „Es wird heute Abend keinen Diebstahl mehr geben." Tatsächlich war Nate am Morgen noch komplett überzeugt gewesen, dass Morrad wie angenommen reagieren würde, doch nun musste er seinem Kollegen recht geben. Vermutlich hatte sie ihn mit den gezielten Kontrollen doch zu sehr abgeschreckt.
Er seufzte und wandte sich zu Sophie. „Lassen Sie es gut sein", erklärte er ihr. „Es ist nur noch der Sicherheitsdienst da, der ist sauber."
Doch Sophie starrte unbeirrt weiter auf den Bildschirm. „Sie haben jeden Überprüft?", fragte sie.
„Habe ich", antwortete Sterling genervt. „Sie können jetzt gehen. Das ist die Nachtschicht, die hier die Stellung hält, bis die Bilder morgen abtransportiert werden." Wie gerufen betrat nun ein Sicherheitsmann den Raum, der sie überrascht ansah, da er dachte, alle wäre bereits nach Hause gegangen. Doch er erkannte Nate und Sterling sofort und begrüßte sie und nahm seinen Platz ein.
„Der da", meinte Sophie schließlich und zeigt auf einen der Männer, der scheinbar gerade den Aufsichtsplan für die kommende Nacht mit seinen Kollegen durchging.
„Das ist der dienstälteste Sicherheitsbeamte dieses Gebäudes", erklärte Sterling entrüstet. Nate merkte, dass Sterling müde war und ins Bett wollte, doch er war nun interessiert daran, wieso Sophie dachte, dass ausgerechnet dieser Mann bei einem Diebstahl helfen würde. „Kennen Sie ihn?", fragte Nate um eine Vermutung anzusprechen.
Sophie schüttelte den Kopf. „Nein, es ist seine Haltung", erklärte sie. „Er sucht zu jedem gezielt Augenkontakt. Diese Mühe macht sich keiner, der einfach nur irgendeinen Dienstplan bespricht. Durch den Augenkontakt suggeriert er seinen Kollegen Vertrauen und sie hinterfragen die Einteilung nicht. Ich bin sicher er hat etwas geändert, dass sonst nicht so ist. Sei es, dass jemand einen Rundgang machen soll, den er sonst nicht macht, oder dass er die Uhrzeit der Pausen geändert hat. Das wird keiner von ihnen hinterfragen. Und würde sie morgen nach dem Diebstahl jemand fragen ob etwas anders war, als sonst, dann würde kaum einer von ihnen sich an diese kleine Änderung erinnern."
Sterling schüttelte ungläubig den Kopf, doch Nate glaubte jedes Wort. In Sachen Menschenkenntnis, würde er Sophie Devereaux nicht hinterfragen. „Wir bleiben hier und schauen, was passiert", entschied Nate und erntete einen ungläubigen Blick von seinem Kollegen. Die IYS Agenten baten den Mann des Sicherheitsdienstes nicht zu berichten, dass sie noch da waren und er hielt sich daran.
