Nachforschungen

Town called Malice – The Jam

Ich wachte ruckartig auf und spürte meinen pochenden Herzschlag an einigen sehr interessanten Stellen. Ich riss die Augen auf, und mein Blick landete auf dem sich drehenden Deckenventilator. O mein Gott – ich habe nur geträumt.

Doch nicht das Übliche, wo ich noch einmal die letzten Momente mit meinem Vater erlebte, bevor er verschwunden war, wie es sonst in meinen Träumen der Fall war. Ich hatte mich wieder im Mystic Grill befunden, aber meine Freunde waren nirgendwo zu sehen gewesen. Ich saß auf dem Stuhl an der Bar, aber ich war nicht allein.

Unter mir saß Damon.

Seine warmen Lippen glitten über meinen Hals und seine heißen Finger über meinen Oberkörper, während ich keineswegs einfach nur dasaß. O nein, ich wiegte mich vor und zurück und hatte keuchend den Kopf in den Nacken gelegt, während ich mich an ihm rieb und Dinge spürte, die ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gespürt hatte. Wenn überhaupt schon einmal.

Ich war aufgewacht, als seine Finger endlich den Verschluss meines BHs gefunden hatten, und ein winziger, dämlicher und total verrückter Teil von mir starrte zum Ventilator hoch und war tatsächlich enttäuscht.

Am nächsten Morgen fing mich Caroline vor dem Schulgebäude ab. Ich hatte kaum geparkt und war ausgestiegen, da tauchte sie auch schon neben meinem Käfer auf.

„Hey, Sienna, alles in Ordnung? Wir haben dich gestern beim Spiel vermisst." Einen kurzen Moment lang hatte ich den Verdacht, dass Bonnie sie geschickt hatte, um herauszufinden, ob ich noch sauer war. Mit ihrer lieben, süßen Art war Caroline der perfekte Bote, dem niemand etwas antun wollte.

Ich holte meinen Rucksack von der Rückbank und schlug die Tür zu. „Nein, alles bestens. Ich musste nur noch zwei Kapitel für Geschichte lesen. Ich will nicht gleich in meiner ersten Woche hier hinterher hinken. Und von Football verstehe ich sowieso nichts."

Caroline nickte verständnisvoll. „Wenn du Hilfe brauchst, musst du es nur sagen. Ich bin ganz gut in Geschichte. Aber du kommst doch auf die Party, oder?"

Wir gingen nebeneinander über den Rasen in Richtung Haupteingang.

„Party?", wiederholte ich wenig begeistert.

„Ja!" Caroline hüpfte auf und ab. „Die Schulstart Party nächsten Freitag. Das ist hier so eine Art Tradition. Wir feiern jedes Jahr den Anfang des neuen Semesters. Eigentlich sollte sie am See statt finden, aber nach letzter Nacht ist es zu gefährlich. Deshalb haben wir sie in die Turnhalle verlegt. Du kommst doch? Ausreden werden nicht akzeptiert. Wir werden ganz viel Spaß haben, tanzen und Bowle trinken..."

„Wieso gefährlich?", hakte ich nach, den Rest hatte ich ausgeblendet.

Caroline warf einen kurzen Blick über ihre Schulter, bevor sie mich hinter einen Baum zog und sich verschwörerisch zu mir beugte. „Es gab hier in letzter Zeit einige schlimme Tierangriffe. Mein Mum meint, es wäre ein Rudel Wölfe."

„Deine Mum?"

„Meine Mum ist der Sheriff hier. Jedenfalls soll sich vorerst keiner mehr nachts alleine draußen aufhalten. Und wir sollen die Wälder meiden. Und den See. Bis sie die Wölfe gefangen haben. Du musst dir keine Sorgen machen. Meine Mum hat alles unter Kontrolle," fügte sie hinzu, nachdem sie meine aufgerissenen Augen wohl fehlinterpretiert hatte.

„Und es waren ganz sicher Wölfe?"

„Na ja, es könnte auch ein Bär gewesen sein. Hauptsache, sie fangen das Tier bald, damit wir wieder an den See können." Caroline zuckte mit den Schultern und lief weiter zum Eingang. Ich folgte ihr nachdenklich. „Weißt du denn etwas über die Opfer?", fragte ich und tat, als wäre ich schockiert.

„Zwei waren Camper aus Richmond, die anderen drei waren Einheimische. Man hat ihnen die Kehle raus gerissen und sie sind verblutet. Wirklich schrecklich."

So langsam fing ich an, zu begreifen, warum mein Vater ein Interesse an diesem Ort gehabt hatte. Tierangriffe, das ich nicht lache, dachte ich. Aber da war sie endlich. Die lang ersehnte, heiße Spur. Ich hätte Caroline für ihre Neugier küssen können. Nach der Schule musste ich unbedingt mit Sheriff Forbes sprechen.

„Also? Kommst du auf die Party? Ja oder ja?" Caroline flatterte mit den Wimpern und setzte ihren besten Hundeblick auf.

Ich seufzte. „Ja, gut, ich komme." Es war wohl das, was Mädchen in meinem Alter normalerweise taten. Auf Partys gehen, mit Jungs flirten, tanzen. Wenn ich weiter nicht auffallen wollte, dann musste ich mich auch wie sie verhalten.

Caroline stieß einen Freudenschrei aus und fiel mir um den Hals. „Das wird großartig! Wir können heute Nachmittag zusammen shoppen gehen. Ein Kleid aussuchen und Schuhe. Weißt du schon, mit wem du hingehen willst? Ich kann dir ein paar Tipps geben, wer noch kein Date hat." Und von da an gab es kein anderes Thema mehr als die Party. Aber ich hörte gar nicht mehr hin, sondern plante mein weiteres Vorgehen. Mystic Falls war wohl doch nicht so idyllisch, wie es sich nach außen hin gab.

Sobald ich die letzte Schulstunde hinter mich gebracht hatte, machte ich mich auf den Weg zum Polizeirevier. Ich hatte es irgendwie geschafft, mich vor Caroline zu verstecken, bevor sie mich dazu verdonnern konnte, ein Kleid mit ihr zu kaufen. Im Augenblick hatte ich andere Sorgen, als ein Kleid für diese blöde Party zu finden. Ich musste meinen Vater finden. Die Party war mir egal, genauso wie das Kleid. Wahrscheinlich würde sie sauer sein, weil ich mich einfach so aus dem Staub gemacht hatte. Das konnte ich jetzt nicht ändern. Ich musste mit dem Sheriff sprechen. Entschlossen zog ich die Türen der Polizeiwache auf und trat ein. Hinter einem einfachen Schreibtisch aus Holz saß ein übergewichtiger Beamter und las Zeitung.

Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, zuckte er erschrocken zusammen und nahm hastig seine Füße vom Schreibtisch.

„Hallo, Miss. Was kann ich für Sie tun?" Er strich sich verlegen die Uniform glatt.

Ich beschloss, sein Fehlverhalten fürs erste zu ignorieren. Wenn er mir blöd kam, konnte ich es später immer noch gegen ihn verwenden.

„Hi, ich würde gern zu Sheriff Forbes."

„Der Sheriff ist beschäftigt. Worum geht es denn?"

„Das würde ich ihr gern selbst sagen."

„Wie gesagt, sie ist beschäftigt. Ich kann gern deinen Namen notieren und dann wird sie sich bei dir melden."

„Ich bin eine Freundin ihrer Tochter Caroline. Es ist wirklich wichtig. Ich habe Informationen über diese Tierangriffe, die ..." Ich verstummte, als eine blonde Frau in Uniform aus dem Zimmer hinter dem Beamten trat.

Trotz ihrer braunen Augen sah sie wie eine ältere Version von Caroline aus.

„Ich bin Sheriff Forbes," sagte sie mit einer freundlichen Stimme. „Lass uns in mein Büro gehen und dann kannst du mir erzählen, worum es geht." Sie machte einen Schritt zur Seite und bat mich, einzutreten.

Ich folgte ihr in ein kleines Büro, in dessen Mitte der gleiche schlichte Schreibtisch stand. Darauf stapelten sich Polizeiakten. An allen drei Wänden waren Aktenschränke. Keine Bilder an den Wänden, nur eine Karte von Mystic Falls. Das einzig Persönliche in den Raum war ein Foto von Caroline auf dem Schreibtisch. Diese Frau war zielorientiert und wollte keine Ablenkung.

„Also, was kann ich für dich tun?" Sie lehnte sich an die Tischkante und bot mir den Stuhl vor dem Schreibtisch an.

„Mein Name ist Sienna Conti, ich bin die Austauschschülerin..."

„Ja, Caroline hat mir schon von dir erzählt. Aus Venedig, richtig?"

Ich nickte und verschränkte die Arme vor der Brust. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich dem Sheriff vertrauen konnte, aber es fiel mir trotzdem schwer, den wahren Grund meines Besuches preiszugeben. „Eigentlich bin ich aus einem anderen Grund hier. Mein Vater ist vor sechs Monaten verschwunden. Der letzte Eintrag in seinem Notizbuch lautete Mystic Falls. Könnte es sein, dass sein Verschwinden etwas mit den Tierangriffen zu tun hat?"

Der Sheriff sah mich nachdenklich an. „Wie lautet der Name deines Vaters?"

„Tomaso Conti." Ich hielt die Luft an. Bitte lass ihn nicht tot sein. Oder der Hauptverdächtige.

„Nein." Sie schüttelte bedauernd den Kopf. „Der Name kommt mir nicht bekannt vor. Ich denke nicht, dass er eines der Opfer ist."

„Könnten Sie es trotzdem nochmal überprüfen? Oder eine Suchmeldung rausgeben? Ich habe schon überall nach ihm gefragt, aber keiner hat ihn gesehen oder kannte ihn. Bitte. Ich habe sonst niemanden mehr."

Sheriff Forbes stieß sich vom Schreibtisch ab und kam zu mir. „Ich werde sehen, was ich tun kann." Sie legte mir tröstend den Arm um die Schultern und brachte mich zur Tür. „Aber jetzt solltest du dich auf die Party konzentrieren. Wolltest du nicht mit Caroline zusammen ein Kleid kaufen?"

„Aber mein Vater ist verschwunden! Ich muss ihn finden! Das ist wichtiger als diese dumme Party!" Beharrte ich.

„Ich weiß. Ich verspreche dir, dass ich mich darum kümmern werde. Dein Vater hätte bestimmt gewollt, dass du auf diese Party gehst und dich amüsierst. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Wir werden ihn schon finden," versuchte sie mich zu beruhigen. Und da wusste ich, dass sie mir etwas verschwieg. Entweder hatte es mit meinem Vater zu tun oder den Angriffen, aber plötzlich hatte sie es verdammt eilig, mich aus ihrem Büro zu werfen. Außerdem wäre das Letzte, was mein Vater gewollt hätte, dass ich auf diese Party ging.

„Waren es Wölfe oder ein Bär?" Wollte ich wissen, während sie mich durch das Foyer bugsierte.

„Woher weißt du das?" Sheriff Forbes blieb stehen.

„Ich wette, es war nichts davon."

„Das reicht jetzt. Der Gerichtsmediziner ist sich sicher, dass es sich um einen Angriff durch einen Wolf handelt. Und meine Leute durchkämen gerade den Wald, um ihn zu finden. Du musst dir also keine Sorgen machen. Ich habe alles unter Kontrolle."

„Aber-"

„Du gehst jetzt besser zu Caroline. Sie kann ziemlich zickig werden, wenn man sie warten läßt." Damit schob sie mich durch die Doppeltür nach draußen auf die Straße.

Mist, das war mal so richtig daneben gegangen. Carolines Mutter war clever. Sie hatte mich viel zu schnell durchschaut. Ich würde mir auf anderem Weg Informationen beschaffen müssen. Vielleicht konnte ich bei der lokalen Zeitung mehr erfahren. Ich könnte versuchen, einen Reporter zu bestechen. Ja, genau das würde ich morgen tun. Wenn ich diese bescheuerte Party hinter mich gebracht hatte.