Ich hoffe ihr hattet alle ein schönes Osterfest, so schön es halt zu diesen Zeiten sein kann. Ich selber bin gerade von meiner Familie sehr weit entfernt.
Wir tauchen in diesem Kapitel weiter ein in die Vergangenheit von Sophie und Nate. Es ist voraussichtlich das letzte Kapitel, das in der Vergangenheit spielt ;)
Liebe Grüße und kommt gut ins Wochenende!
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„Wir bleiben hier und schauen, was passiert", entschied Nate und erntete einen ungläubigen Blick von seinem Kollegen. Die IYS Agenten baten den Mann des Sicherheitsdienstes nicht zu berichten, dass sie noch da waren und er hielt sich daran.
Sophie bestand darauf zu bleiben und machte es sich auf ihrem Stuhl bequem. Nate setzte sich ebenfalls auf einen Stuhl und sah auf die Bildschirme. Es zogen die Stunden hin und die Uhr verriet ihm, dass es nun schon nach zwei Uhr Morgens war. Er sah zu Sterling, der ebenfalls auf das Geschehen in der nun fast verlassenen Ausstellung achtete. Dieser deutete mit dem Kopf auf Sophie, die sich auf ihrem Stuhl zusammengerollt hatte und eingeschlafen war. Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. Er hatte sich erst gefragt, wieso sie bleiben wollte nun war es ihm klar. Sie fühlte sich bei ihnen sicher. So hätte sie allein zurück ins Hotel gemusst, hier war sie von Sicherheitsleuten umgeben. Wieder sah er auf die Bildschirme und tippte sofort seinen Kollegen an. „Ich sehe es", erklärte Sterling und griff zum Funkgerät. Nate hielt ihn auf und wählte den Notruf. „Wir dürfen nicht riskieren, dass er gewarnt wird", erklärte Nate. „Er denkt, wir wären nicht mehr da." Sterling nickte schließlich. Nate erklärte am Telefon, das ein Diebstahl im Gange war. Dann wandte er sich an den Mitarbeiter. „Können Sie auch jeden Mitarbeiter einzeln ans Funkgerät bekommen?"
Nate koordinierte mit Hilfe des Sicherheitsmannes die Abriegelung des Gebäudes ohne, dass der Dienstälteste es mitbekam. Dieser hatte durch den Hintereingang die Leute von Morrad ins Gebäude gelassen, doch soweit Nate es sehen konnte war Morrad selbst nicht unter ihnen. Er warf einen kurzen Blick auf Sophie, die noch immer auf dem Stuhl schlief. Leicht drückte er ihre Schulter, um sie zu wecken. Sie schreckte so plötzlich hoch, dass er sich selbst etwas erschreckte. Kurz sah sie ihn irritiert an, dann schien sie sich aber zu erinnern wo sie war. „Sie hatten Recht", erklärte er ihr und deutete auf die Bildschirme. Die Kunstdiebin richtete sich auf und betrachtete das Geschehen in der Ausstellung. „Die Polizei ist auf dem Weg", erklärte Nate ihr.
„Sie werden jetzt jeden Moment da sein", meinte Sterling. „Ich werde sie zur richtigen Seite schicken", erklärte er und verließ leise den Raum.
Nate verfolgte ihn auf den Monitoren durch die Ausstellung. Dann wandte er sich an Sophie. „Ohne Sie, hätten wir das nicht geschafft", bedankte er sich, doch sie wirkte abgelenkt.
„Er ist nicht dabei", sagte sie und Nate hörte ihre Enttäuschung.
„Er wird auch noch festgenommen", versuchte Nate sie zu beruhigen.
Die Polizei traf ein und Nate verließ ebenfalls den Raum. Sophie empfahl er dort zu bleiben, damit sie nicht Gefahr lief von Morrads Männern entdeckt zu werden. Er überwachte genau wie alle beteiligten verhaftet wurden und beantwortete Fragen der Polizei. Sophies Hilfe erwähnte er dabei mit keinem Wort. Er hatte sie schon in genug Schwierigkeiten gebracht, das Letzte was sie nun gebrauchen konnte war eine Befragung von der Polizei. Auch Sterling, der in seiner Nähe mit einer Polizeibeamtin sprach erwähnte sie mit keinem Wort. Jedoch hatte Sterling einen anderen Gedanken dabei. Für ihn wäre es vermutlich ein Armutszeugnis zuzugeben, dass sie diesen Diebstahl nur mit Hilfe einer Diebin verhindern konnten. Mit einem Gefühl der Genugtuung sah er die Polizeiwagen nach und nach abfahren. Acht Verhaftungen hatten sie an dem Abend zu verzeichnen. Sterling gab dem Sicherheitsdienst noch ein paar letzte Anweisungen, während Nate zurück zu Sophie ging. Ob sie und Sterling nun wollten oder nicht, so würde er darauf bestehen, dass sie mit ihm und Sterling zurück ins Hotel fuhr. Als er den Raum betrat blieb er jedoch starr stehen. Der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes hing bewusstlos nach vorn gesunken in seinem Stuhl, von Sophie war keine Spur. Ihr Poncho, den sie auf dem Weg zur Ausstellung getragen hatte, lag noch da, wo sie ihn hingelegt hatte und ihre Brille, die den Abend über in ihren Haaren steckte lag zerbrochen auf dem Boden. Nates Magen zog sich zusammen. Natürlich würde Morrad wissen wer ihnen geholfen hatte und sich Sophie holen. Sofort stürmte er wieder aus dem Raum. Es gab noch einen weiteren Eingang zu dem Gebäude, zu dem nur die Sicherheitsleute Zugang hatten. Das war der einzig mögliche Weg, den Morrad genommen haben könnte, da sich dieser Eingang in einer Seitenstraße befand, wo er sicher vor den Blicken der Polizei war. Er hätte sich ohrfeigen können, dass er diesen Eingang nicht als Bedrohung wahrgenommen hatte, wo Sophie ihnen am Nachmittag noch gezeigt hatte, wie leicht es war eine Zugangskarte zu stehlen.
Doch er hatte sich zu sehr auf den Diebstahl konzentriert. In der Seitenstraße angekommen, war er umgeben von Morrads Leuten. Morrad selbst stand mit einem zufriedenem Gesichtsausdruck an einen von insgesamt drei Geländewagen gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Er sah dabei zu, wie zwei seiner Handlanger Sophie gegen die Wand drückten und ihre Handgelenke hinter ihrem Rücken in Handschellen legten. Sie wehrte sich so gut sie konnte gegen die Griffe, doch sie konnte gegen die Kraft, die die beiden Männer aufbrachten, nichts ausrichten. „Lasst sie los", rief er, doch ehe Nate nun weiter reagieren konnte und ihr helfen konnte, hatten die umstehenden Männer ihn schon ergriffen. Während er sich wehrte lies er unbemerkt seinen Ausweis zu Boden fallen. Auf Morrads Geheiß hin legten sie nun auch ihm Handschellen an. Nate versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Sie schoben ihn nun zu dem hintersten der Fahrzeuge und drückten ihn auf den Rücksitz. Um sicher zu gehen, dass er nicht versuchen würde zu fliehen, setzten sich die Männer links und rechts neben ihn. Nate versuchte noch einen Blick auf Sophie zu erhalten, die in den vorderen Wagen gedrückt wurde, in den nun auch Morrad einstieg.
Die Fahrt kam ihm vor wie eine Ewigkeit, doch als sie an Morrads Anwesen angekommen waren, brachten sie Sophie und ihn in den Keller des Hauses, wo sie in eine Zelle gesperrt wurden. Eine einzelne Glühbirne hing in der Ecke von der Decke, die ihnen gedämpftes Licht spendete. Sophie sank erschöpft an der Wand zu Boden. Sie hielt die Beine angewinkelt und vergrub nun ihr Gesicht darin. Nate setzte sich neben sie und sah sie besorgt an. „Haben sie Ihnen etwas angetan?", fragte er.
Die Kunstdiebin seufzte, hob wieder ihren Kopf und schüttelte diesen leicht. „Sterling wird uns finden", versicherte er ihr.
„Er wird uns umbringen", murmelte sie verzweifelt, als hätte sie ihm gar nicht zugehört. Nate schüttelte den Kopf. Bei allen Gesprächen die er je mit Sophie Devereaux geführt hatte, so waren die Dialoge dieser letzten beiden Tage die ehrlichsten von allen. Sonst konnte er nie ganz sicher sein, ob er ihr komplett glauben schenken sollte, waren doch Worte die stärkste Waffe einer Trickbetrügerin. Doch nun konnte er sich ein sehr gutes Bild von Sophie machen und erkannte, dass hinter der sonst stolzen und majestätisch wirkenden Diebin eine sympathische und intelligente Frau steckte, die wie jeder andere Mensch auch Angst hatte. Wäre sie keine Diebin, so hätten sie sicher gute Freunde sein können. Doch Freunde oder nicht, er würde sie jetzt nicht verzweifeln lassen.
„Sehen Sie mich an", forderte er sie auf. Sophie zögerte, doch erhob dann schweigend ihren Blick. „Wir kommen hier raus. Ihnen wird nichts geschehen." Er war überzeugt, dass Sterling schon auf der Suche nach ihnen war und genau wusste, was geschehen war, wenn er seinen Ausweis in der Straße fand. Diese Überzeugung legte er in seine Stimme und es schien zu wirken. Sophie nickte und legte den Kopf gegen die Wand. Nate tat es ihr gleich und starrte gegen die gegenüberliegenden Wand.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich einen Job mal so sehr versaue", sagte Sophie plötzlich leise. Nate schluckte. Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre der Job für sie auch sicher anders ausgegangen. Er brachte es nicht übers Herz ihr zu sagen, dass sie ihm ihr Problem zu verdanken hatte. Weil das aber das einzige war, dass er als Antwort im Kopf hatte schwieg er. Nach einer ganzen Weile des Schweigens sah Sophie ihn an. „Wie lange glauben Sie braucht Sterling um herauszufinden, dass wir beide von Morrad entführt wurden?"
Nate zuckte die Schultern. „Ich bin sicher er ist schon auf dem Weg", antwortete er. „Ich würde ja sagen, wir sollten schauen, dass wir allein hier wegkommen. Doch mit Handschellen und verschlossener Tür ist das unmöglich."
Plötzlich änderte sich etwas an Sophies Gesichtsausdruck. Es schien fast, als hätte sie eine Idee. „Nicht ganz unmöglich", entgegnete sie mit einem leichten schiefen lächeln. Sie rückte ein Stück von der Wand und legt sich auf sie Seite, sodass ihr Kopf nahe neben ihm lag. „Ich habe Klammern im Haar", erklärte sie. „Ziehen Sie eine raus." Es war Nate unangenehm in Sophies Haar nach ihrer Haarklammer zu suchen, doch er zog sie heraus. Die Trickbetrügerin setzte sich wieder auf und nahm die schmale Klammer entgegen. Nate fragte sich was sie damit vorhatte. Sophie sah nun sehr konzentriert aus und Nate lehnte sich ein kleines Stück zurück, um zu sehen, was sie hinter ihrem Rücken mit dem Haarschmuck tat. Sie stocherte damit im Schloss ihrer Handschellen umher, wobei sie mehrmals abrutschte. „Es ist einfacher, wenn man sieht was man tut", seufzte sie, doch hatte schon bald ein Schloss geknackt. Erleichtert nahm sie die Arme nach vorn, um auch das zweite Schloss zu öffnen. Beeindruckt verfolgte Nate wie sie das Schloss in nicht einmal der Hälfte der Zeit, die sie für das erste benötigt hatte, knackte.
„Beeindruckend", lobte Nate, der nicht erwartet hatte, dass Sophie diese Fertigkeit besaß.
„Kein Grund für Komplimente, ich befreie Sie auch so", entgegnete Sophie gespielt bissig. Nate Lächelt und war froh, dass Sophie wieder ein wenig Zuversicht gewonnen hatte. Zumindest soviel, dass sie scherzte. Sie machte sich an seinen Handschellen zu schaffen und nun, da sie beide Hände frei hatte, waren auch diese beiden Schlösser im Nu geöffnet. Er bedankte sich und sah, wie sie sich motiviert an dem Türschloss versuchte. „Sicher, dass vor der Tür keine Wache steht?", fragte er.
Sophie zuckte die Schulter, als wolle sie ausdrücken was schon schlimmeres geschehen soll. Ein leises Klicken ertönte und Sophie öffnete die Tür und warf ein Blick in den Gang, durch den sie auch reingekommen waren.
„Keiner da", beantwortete sie schließlich seine Frage. Nate schüttelte ungläubig den Kopf. Er wusste nicht, was sie hätten machen sollen, wenn dort auch nur eine Wache gestanden hätte. Die ganze Aktion wäre umsonst gewesen. Er stand auf und sie traten in das steinerne Gewölbe. Links und rechts führten weitere Zellen ab, wie die in der sie gefangen waren, jedoch waren alle leer. Sie folgten dem Gang bis zu der Treppe hinter der Abbiegung und stiegen die Stufen hinauf. Nate öffnete ganz vorsichtig die Tür und spähte zunächst nur durch einen kleinen Schlitz, in der Hoffnung man würde sie so nicht direkt entdecken, doch die dahinterliegende Bildergalerie war leer. Es war noch immer mitten in der Nacht, was wahrscheinlich zu ihrem Vorteil war. Er öffnete die Tür, sodass sie beide das Kellergewölbe nun verlassen konnten. „Das ist zu einfach", flüsterte Sophie ihm zu. Sie hatte recht. Es kam ihm vor, als wollten ihre Entführer, dass sie entkamen. Doch er antwortete ihr nicht, sondern schlich zur nächsten Tür, die Diebin direkt hinter ihm. Als er jedoch diese Tür ein kleinen Spalt nur öffnen wollte, wurde diese von der anderen Seite aufgerissen, wodurch er fast das Gleichgewicht verlor und vornüber kippte. Als er jedoch nicht fiel merkte er, dass Sophie ihn festgehalten hatte. In dem breiten Gang hinter der Tür standen Morrad und seine Handlanger. Er sah sie amüsiert an. „Nun, anderthalb Stunden", verkündete er, wobei er über seine Schulter zu seinen Männern blickte. „Respekt", lobte er sie. „Ich hatte zwei Stunden getippt. Aber damit hab ich trotzdem gewonnen." Als wären sie gar nicht da hielt Morrad die Hand auf und lies sich von seinen Leuten bezahlen. Offenbar hatten sie gewettet, wie lange sie für einen Ausbruch brauchten. Innerlich seufzte Nate. Sie hatten nur mit ihnen gespielt wie Wissenschaftler, die Mäuse in ein Labyrinth setzten und dann die Wände verschoben. Nachdem er das Geld eingesammelt hatte, nickte er und seine Männer packten ihn und Sophie. Sie wehrten sich, doch wie schon vorher hatte keiner von ihnen Erfolg. Morrad sah sie nun abwechselnd an. „Ich muss ehrlich sagen: Ich hatte nicht erwartet, dass Sie beide so gut zusammenarbeiten. Ein Versicherungsangestellter und eine Trickbetrügerin. Nicht auszudenken was Sie beide leisten könnten, wenn sie auf der gleichen Seite stehen würden." Sein Blick blieb an Sophie hängen und er ging auf sie zu. „Aber nun zu meinem Versprechen", kündigte er an. „Ich hatte dir versprochen, dass du nie wieder etwas stehlen wirst." Sophie wurde bei seinen Worten sichtlich nervös und begann sich wieder gegen die Griffe der beiden Männer, die sie gepackt hatten, zu währen.
„Bleiben Sie weg von ihr", rief Nate, in der Hoffnung damit etwas zu bewirken.
„Aber das ist doch auch in Ihrem Interesse, Mr Ford. Wie viele Kunstwerke hat sie schon gestohlen, für die Sie verantwortlich waren?" Morrad sah ihn amüsiert an. Nate biss verärgert die Zähne zusammen. Für ihren Entführer war diese Nacht ein erfreuliches Spiel.
„Was haben sie mit ihr vor?", brachte Nate schließlich die Frage hervor.
Morrad lachte laut, was Sophie zusammenzucken lies. „Eine sehr gute Frage", entgegnete dieser. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sophie zu. „Eigentlich hatte ich vor dir die Arme zu brechen, dass sie nie wieder richtig heilen", erklärte er mit einer Stimme, als machte er ihr das schönste Kompliment der Welt. Dabei strich er ihr eine Strähne, die sich aus ihrem geflochtenen Haar gelöst hatte, hinters Ohr. Die Diebin zuckte vor seiner Berührung zurück, was ihren Gegenüber nur noch mehr amüsierte. „Doch Betrügerinnen wie dich halten zwei gebrochene Arme nicht auf, richtig", sprach er nun ruhig weiter. Nate wusste worauf Morrad hinaus wollte. Sophies stärkste Waffe waren ihre Worte. Der Kunstdieb führte seine Lippen nun dicht an Sophie Ohr und Lächelte dabei finster. „Ich werde dich, für das was du mir angetan hast, umbringen. Und ich werde dich leiden lassen, das verspreche ich dir", flüsterte er ihr ins Ohr, doch laut genug, dass Nate es mithören konnte. Sophie erwiderte nichts und wehrte sich auch nicht mehr. Sie wurde einfach nur starr und es brach Nate fast das Herz, die sonst so stolze Frau so verängstigt zu sehen.
Er wehrte sich nun wieder gegen seine Entführer. „Lassen Sie sie in Ruhe", rief er.
„Oh, Mr Ford", sagte Morrad. „Bitte bleiben Sie ruhig. Hier kommt einer nach dem anderen an die Reihe. Sie wissen doch, wie man so schön sagt: Ladies first." Ohne Nate weiter zu beachten griff er nun selbst nach Sophies Arm und führte sie in den anliegenden Raum. Sophie, vermutlich zu verängstigt hatte nun jeden Widerstand aufgegeben. Auf dem Weg nickte Morrad noch einem seine Handlanger zu, der ein Messer zückte und ihnen folgte.
Nate war nun allein mit den beiden Männern, die ihn festhielten und den beiden, die Sophie bis vor ein paar Sekunden noch festgehalten hatten. Seine Gedanken überschlugen sich und er versuchte einen Plan zusammen zu legen, wie er aus dieser Situation herauskam und dabei noch Sophie retten konnte. Schon viele hatten ihm gesagt, dass er einen brillanten Verstand hatte, doch nun saß er mit seinen Gedanken fest. Er hatte nicht die nötige Körperkraft, oder das erforderliche Wissen, um mit allen Vieren fertig zu werden und auch wenn er gut mit Worten war, so hätte höchstens Sophie eine Chance gehabt sich aus dieser Lage heraus zu reden. Aus dem Nebenzimmer hörten sie nun Sophie aufschreien. Nates Magen zog sich bei dem Schmerz, den er aus diesem Laut heraus hörte, zusammen. Sein Verstand setzte aus und er versuchte sich zu befreien. In seinem Kopf stand nur noch die Befreiung von Sophie auf dem Plan. Den Weg dahin hatte sein Gehirn einfach ausgelassen. Doch bevor er oder die vier Männer etwas anderes tun konnten ertönte ein lauter Knall und die Tür, die in die Eingangshalle führte wurde aufgestoßen und mehrere Menschen strömten in den Raum. Gerade, als Nate erleichtert aufatmen wollte, weil er dachte, das ihre Rettung endlich gekommen war, erkannte er, dass es keine Polizisten waren, die gerade den Raum stürmten. Die Männer, die nun ihnen gegenüber Stellung bezogen und mit Waffen auf sie zielten waren ähnlich gekleidet wie seine Entführer. Die meisten in schwarz, vereinzelt trugen sie Tarnuniform. Es entstand nun ein wildes Geschrei. Die Neuankömmlinge forderten, dass sich alle ergaben; seine Entführer schrien zurück, dass sie das nicht tun würden und zogen ihre Waffen, wobei sie Nate nun losließen; und Nate stürzte zur Seite, wobei er schrie, dass er nicht zu ihnen gehöre und sich ergab. Ohne Warnung fielen Schüsse. Nate zuckte zusammen, erkannte aber beruhigt, dass er selbst nicht getroffen wurde. Die vier Entführer, die er zuvor noch loswerden wollte lagen nun am Boden. Einer regungslos, die anderen schienen nur getroffen zu sein. Die Schützen kamen nun auf sie zu und einer näherte sich Nate. Weitere Schießwütige machten sich jetzt auf in den Nebenraum, unter ihnen ein Mann, den er vor einigen Stunden auf der Ausstellung gesehen hatte. Es war der Waffenhändler, dem Sophie den Tipp mit dem Tracker gegeben hatte. Nate seufzte innerlich. Diese Frau kostete ihn noch sein Leben. Auch im Nebenraum wurde nun geschrien und Schüsse fielen. Der Mann, der nun zu ihm getreten war richtete seine Waffe auf ihn: „Wer bist du?"
„Versicherungsangestellter", antwortete er knapp. Auf dem Gesicht seines Gegenübers sah er die Frage, was jemand wie er dort tat. Genau das wollte er wohl auch gerade fragen, als wieder ein Knall ertönte und Nebel sich im ganzen Raum ausbreitete. Nate nutzte das Überraschungsmoment, um aus der Schussbahn zu gelangen. Wieder entstand Geschrei, doch diesmal konnte Nate erleichtert aufatmen. „Polizei! Hände hoch!", schrien mehrere Leute auf einmal. Es fielen ein paar Schüsse und nach einem kurzen Augenblick war der Nebel verflogen und die Polizei hatte die Oberhand über die Situation gewonnen. Als alle festgenommen waren und das Gebäude sicher war betrat Sterling den Raum und kam auf Nate zu, der von einer Polizistin mehrere Fragen auf einmal gestellt bekam, auf die er auf die Schnelle gar keine Antwort wusste. „Bitte", unterbrach Sterling sie. „Der Mann steht unter Schock. Kann er ihre Fragen nicht morgen beantworten?" Sie entschuldigte sich und zog sich zurück.
„Danke", murmelte Nate erschöpft. „Danke."
„Sehr gut, das mit dem Ausweis. Hast mich damit direkt auf die Idee gebracht den Ausweis deiner neuen Freundin zu orten", erklärte Sterling und sah sich um, als suche er jemanden. „Wo ist Miss Devereaux?"
Es traf Nate wie ein Blitzschlag. Es war alles so plötzlich auf einmal passiert, dass er gar nicht mehr an Sophie gedacht hatte. Ohne seinem Kollegen zu antworten lief er in den Nebenraum. Morrad schien schon festgenommen worden zu sein. Leblos am Boden lag der großgewachsene Handlanger, der Morrad und Sophie mit seinem Messer gefolgt war. Er hatte eine blutige Schusswunde im Rücken, die er vermutlich einem konkurrierendem Waffenhändler zu verdanken hatte. Den Opfern hatte die Polizei erst einmal keine weitere Beachtung geschenkt, da sie mit den Verhaftungen genug zu tun hatten, doch unter dem leblosen Körper begraben lag Sophie. Sie rührte sich nicht, vermutlich hatten sie für tot gehalten. Nate stürmte zu ihr und mit Sterlings Hilfe schob er den massigen Körper von ihr herunter. Als erstes Vergewisserte Nate sich, dass sie noch atmete. Die Kunstdiebin war bewusstlos. Ihr Gesicht war blass und ihre Lippe war aufgeplatzt. Die blauen Flecken unter ihrem Auge und auf ihrer Wange wirkten noch dunkler und sie hatte einen tiefen, blutigen Schnitt am Arm. Erst zuletzt bemerkte Nate das Messer, dass auf ihrer linken Seite zwischen ihren Rippen steckte. Blut quoll aus dem Stich hervor. Eine Blutlache hatte sich bereits unter ihre auf dem Boden gebildet. Instinktiv drückte Nate auf die Wunde, um die Blutung etwas zu stoppen und er hörte, wie Sterling aus dem Raum lief und nach den Sanitätern rief. Der Rettungsdienst war sofort zur Stelle und sie kümmerten sich um Sophie. Ein Polizist fragte, wer die Frau sei. Als Sterling nicht antwortete erklärte Nate, sie sei Morrads Kuratorin gewesen und er erinnere sich, dass Morrad sie bei ihrem ersten Treffen als Karen vorgestellt hätte. „Fahr im Krankenwagen mit", bestand Sterling. „Du stehst unter Schock, ich will das ein Arzt nach dir sieht." Nate nickte nur. Sie verließen das Anwesen, vor dem die Polizei noch immer alle Verhafteten in die Polizeiwagen verteilte. In ihrer Nähe stand Morrad, der nun einen Schritt auf sie zumachte, wobei er von einem Polizisten zurückgehalten wurde. „Heute habt ihr gewonnen, aber wenn wir uns das nächste Mal sehen, ist sie tot", rief er ihnen zu.
Sterling lachte verächtlich und ging auf ihn zu. „Sie werden für eine sehr lange Zeit ins Gefängnis gehen", erklärte Sterling. „Ich denke, wir haben von Ihnen nichts mehr zu befürchten." Ohne ein weiteres Wort wandte er sich wieder ab und begleitete Nate zum Krankenwagen. Er stieg zu Sophie in dass Fahrzeug und sie fuhren ab.
Im Krankenhaus wurde Sophie sofort in den OP geschoben und er wurde von einer Ärztin der Notfallambulanz untersucht.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es schon 5 Uhr morgens war. Nate saß im Wartebereich, um auf Sophie zu warten und griff nun nach seinem Handy um seine Ehefrau anzurufen. Maggie nahm sofort ab und war verärgert, dass er nicht früher angerufen hatte. Er versicherte ihr, dass es ihm gut ging und dass er ihr alles genau berichten würde, wenn er zu Hause war. Er erwähnte erst einmal nichts von der Entführung.
Später am Morgen, wurde Sophie in ein Zimmer geschoben und er konnte sie besuchen. Sie schien gerade zu sich zu kommen, als er ihr Zimmer betrat.
„Hallo", murmelte sie erschöpft und noch schläfrig von der Narkose.
„Hallo", antwortete er. „Sie haben es geschafft", erklärte er.
„Was geschafft?", fragte Sophie irritiert.
Nate setzte sich zu ihr ans Bett. „Morrad wird für lange Zeit ins Gefängnis gehen, er wird wegen Kunstdiebstahl und Waffenhandel angeklagt und Sie haben der Polizei direkt noch einen weiteren Waffenhändler geliefert. Ein voller Erfolg", berichtete er ihr. „Ich denke, jetzt können Sie ihrer Freundin gute Neuigkeiten berichten."
Sophie lächelte müde. „Danke, Mr Ford. Ich kann das gar nicht wieder gut machen."
Nate zuckte die Schulter und zwinkerte ihr zu. „Hören Sie auf zu stehlen und wir sind quitt."
Kurz schwieg die Diebin, dann sah sie zu ihm auf. „Ich halte mich von IYS versicherter Kunst fern und wir bleiben Freunde", schlug sie vor, wobei sie weiter erschöpft lächelte.
Nate lächelte einen Moment, dann sah er sie ernst an. „Wir sind keine Freunde und das nächste Mal verhafte ich Sie", antwortete er.
„Ich freue mich drauf", entgegnete Sophie mit einem schwachen zwinkern.
Er schüttelte den Kopf und erhob sich. „Ich werde jetzt gehen. Es freut mich, dass es Ihnen gut geht. Auf Wiedersehen, Miss Devereaux", verabschiedete er sich und wandte sich zum gehen.
„Sophie", berichtigte sie ihn mit leiser Stimme. „Lebensretter, dürfen mich beim Vornamen nennen. Auf wiedersehen, Mr Ford." Nate lächelte und drehte sich noch einmal um, doch Sophie war bereits wieder eingeschlafen. Als er das Krankenhaus verließ überlegte er, was sie in den letzten beiden Tagen alles geleistet hatten und er musste Morrad recht geben: Nicht auszudenken, was sie leisten könnten, würden sie tatsächlich zusammenarbeiten.
