Kapitel 7 – Für immer verloren

I will show you everything so vividly.

You won't deny me

(Descent Of The Archangel, Epica)

Er rannte. Rannte um sein Leben, seine Freiheit. Seine Lungen brannten, seine Muskeln protestierten, die Furcht verlieh ihm Flügel und ließ seine Erschöpfung in Bedeutungslosigkeit versinken. Er musste weiter. Weiter, bis er die Berge erreichte. Dort würde er Schutz finden.

Wenn er nur bis dahin durchhielt.

In der Ferne hörte er das Gebell von Yeel. Akkarin unterdrückte einen Fluch. Seine Flucht war also schon bemerkt worden. Er hatte geglaubt, Dakovas Jagdausflug würde länger dauern. Wie hatte er in dieser trostlosen Gegend so schnell Beute gefunden? Wie auch immer die Antwort lauten mochte, Akkarin hatte dringendere Sorgen. Die Yeel würden seiner Spur mühelos folgen und er musste sich etwas einfallen lassen, damit sie sie wieder verloren.

Obwohl das Gelände vor ihm anstieg, zwang Akkarin sich, sein Lauftempo beizubehalten. Es behagte ihm nicht, den Hügel zu überqueren, weil er dabei von weitem sichtbar war. Doch es war der schnellste Weg in ein Gelände, in dem er seine Spuren besser verwischen konnte.

Als er die Hügelkuppe endlich erreichte, brannten seine Lungen als hätte er einen Feuerschlag eingeatmet und seine Beine drohten unter ihm nachzugeben. Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten, sich zu heilen, denn er brauchte das wenige, das von seiner Magie seit dem vergangenen Abend regeneriert war, für Wichtigeres.

Den Schmerz ignorierend rannte Akkarin den Abhang auf der anderen Seite hinab, sein Lauf beschleunigt durch das Gefälle. Seine durchgelaufenen Schuhe rutschten über das Geröll, lösten lose Steine und ließen ihn fast über seine eigenen Füße stolpern. Er wusste, wenn er sich etwas brach, würde er ihm die Magie bei dem Kampf, der unweigerlich folgen würde, wenn Dakova ihn fand, fehlen. Doch die Furcht war so übermächtig, dass er ihm die Geduld fehlte, auf den Boden vor seinen Füßen zu achten.

Er erreichte den Fuß des Hügels unbeschadet. Nicht weit von dort schlängelte sich ein Bach zwischen Felsen hindurch. Um diese Jahreszeit führte er nicht viel Wasser, für Akkarins Vorhaben würde es jedoch genügen. Seine Schritte beschleunigend rannte er auf den Bachlauf zu und sprang hinein. Das Wasser war überraschend kühl und erfrischte seine müden Beine und besänftigte die Furcht für einen Augenblick.

Ich muss weiter, dachte er. Ich kann ich ausruhen, wenn ich in Sicherheit bin.

Doch bis dahin würde er noch lange laufen müssen, sofern Dakova ihn nicht vorher fand.

So schnell es ihm der steinige und rutschige Untergrund erlaubte, watete Akkarin zu den Felsen. Auf den glatten Steinen und den Untiefen zwischen ihnen musste er allenthalben mit seinem Gleichgewicht kämpfen, doch irgendwie gelang es ihm, nicht mehr als einmal auszurutschen und sich das Knie zu stoßen.

Für seinen Geschmack dauerte es viel zu lange, bis er von der Hügelkuppe aus nicht mehr zu sehen war. Die Felsen waren nun höher und der Lauf des Baches hatte sich aufgeteilt. Akkarin bildete sich ein, dass die Yeel nun näher waren. Wenn sie der Spur bis zum Bach folgen, wird Dakova wissen, dass ich am anderen Ende der Schlucht herauskomme, fuhr es ihm durch den Kopf. Das bot ihm zwei Möglichkeiten: Entweder er versteckte sich irgendwo hier zwischen den Felsen oder er wartete eine Weile ab und kehrte um.

Oder würde der sachakanische Magier damit rechnen, und ihm am Eingang der Schlucht auflauern?

Denk nach!, befahl er sich. Er kennt deine Gedanken. Was wird er tun? Was würdest du tun?

Aber wenn er sich für das Gegenteil entschied, würde Dakova ihm zuvor kommen?

Als das Gebell der Yeel zwischen den Felsen widerhallte, zuckte Akkarin zusammen. Sie waren in der Schlucht! Wie war das möglich? In einem Anflug von Panik verließ er den Hauptlauf des Baches und zwängte sich zwischen zwei Felsen hindurch. Er fluchte, als er in eine tiefe Pfütze trat und fast gegen einen Felsen gestürzt wäre. Sich mit den Händen an dem Stein zu seinen beiden Seiten abfangend, erstarrte er. Das Ende der Schlucht war nicht weit. Und dahinter erblickte er ein Pferd mit einem hochgewachsenen, breitschultrigen und in prachtvolle Gewänder gehüllten Sachakaner, der ihm inzwischen vertrauter war, als er ertragen konnte.

Dakova.

Hastig duckte er sich hinter einen Vorsprung.

Wie ist ihm das so schnell gelungen?, fuhr es Akkarin durch den Kopf. War Dakova die gesamte Zeit schon auf dieser Seite der Hügel gewesen? Hatte er seinen Fluchtversuch vorausgeahnt?

Nun, das spielt jetzt auch keine Rolle mehr.

„Wo bist du kleiner Gildenmagier?", hörte er Dakovas kalte, grausame Stimme. „Komm heraus! Ich weiß, dass du da drin bist."

Nein, dachte Akkarin grimmig. Ich werde mich dir ganz sicher nicht freiwillig ausliefern.

„Wenn du nicht herauskommst, werde ich wohl ein wenig nachhelfen müssen."

Vorsichtig spähte Akkarin um den Felsen. Dakova war von seinem Pferd abstiegen und näherte sich langsam, aber bedächtig der Schlucht, so als würde er seinen Auftritt genießen.

Dakova wird die Schlucht auseinandernehmen, wenn ich nicht herauskomme, erkannte Akkarin mit wachsendem Grauen. Also muss ich sie auf dem gleichen Weg wieder verlassen, bevor er damit anfängt.

Rasch erhob er sich und zog sich tiefer in die Schlucht zurück. Die Yeel waren nun so nahe, dass er ihren Atem hören konnte. Bereit, sich zu verteidigen, griff Akkarin nach seiner Magie. Als der erste Yeel in Sicht kam, brach er ihm mit einem gezielten Kraftschlag das Genick.

Ein Knurren über seinem Kopf ließ ihn herumfahren. Zwei Yeel standen auf einem Felsen, die Zähne gefletscht. Als Akkarin einen Schritt nach vorne tat, setzten sie zum Sprung an. Seinen Willen ausstreckend schleuderte er sie gegen den Felsen, wo sie mit einem übelkeitserregenden Geräusch aufschlugen und leblos zu Boden sanken. Hinter ihm hörte er das Bersten von Gestein. Instinktiv errichtete er einen Schild. Gerade noch rechtzeitig, denn nur Augenblicke später raste eine Welle aus Hitze über ihn hinweg.

„Kleiner Gildenmagier!", hörte er Dakovas Stimme gefolgt von einer weiteren Explosion, näher als die erste. Akkarin gefror das Blut in den Adern. „Willst du mit mir Verstecken spielen?"

Eine plötzliche Panik verspürend wirbelte Akkarin herum und rannte los. Sein Fuß verfing sich zwischen zwei Steinen und er schlug der Länge nach ihn, mit dem Gesicht zuerst auf einen Felsen. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei. Steh auf!, befahl er sich. Sonst hat er dich gleich.

Doch seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. So auch seine Arme und der Rest seines Körpers.

„Ich wusste doch, dass ich dich hier finde."

Dakovas Stimme war erfüllt von einem grausamen Triumph. Obwohl er den anderen Mann nicht sehen konnte, konnte Akkarin hören, wie er näher kam und seinen Dolch zog.

Nein!, dachte er. Meine Magie bekommst du dieses Mal nicht.

Er griff nach seiner Magie, formte sie zu einem Kraftschlag und projizierte ihn in die Richtung, in der er Dakovas Präsenz spürte.

„So, du willst also kämpfen?", höhnte Dakova. „Obwohl du weißt, dass du gegen mich keine Chance hast?"

„Besser, als Euch meine Magie zu überlassen", knurrte Akkarin zwischen zusammengebissenen Zähnen.

Der Sachakaner lachte. „Dann werde ich sie mir eben danach nehmen. Ich werde sie mir immer nehmen, denn sie gehört mir. So wie du." Die magische Barriere, die Akkarin am Boden hielt, löste sich auf. „Aber wenn du kämpfen willst, kleiner Gildenmagier, dann kämpfen wir. Denn wer könnte dich besser demütigen, als du dich selbst?"

Kalte Wut ließ Akkarins Eingeweide erstarren. Einen Schild um sich errichtend kam er auf die Beine und wandte sich um. Seine Antwort war ein starker Feuerschlag, der an Dakovas Schild nicht mehr Schaden, als eine Agamotte machte.

„Ist das alles, was deine Gilde dich gelehrt hat?", höhnte der Sachakaner und konterte mit Hitzeschlag. „Ich weiß, dass du bessere Tricks kennst."

Ja, das tat er. Lord Balkan hatte ihn sämtliche Tricks, einen stärkeren Magier zu besiegen, gelehrt. Gegen Dakova waren sie jedoch allesamt wirkungslos. Weil er stärker war als jeder Magier, dem Akkarin zuvor begegnet war. Sehr viel stärker. Einen Kampf anhand dieser Grundlage zu gewinnen, was aussichtslos. Aber Akkarin konnte seine Magie möglichst effektiv verschwenden, bevor Dakova sich dieser bemächtigte.

Und das ging am besten, indem er mit brutaler Stärke kämpfte.

Er griff erneut nach seiner Magie. Dann gab er alles, was ihm davon geblieben war, in einen einzigen Kraftschlag. Für die Dauer eines Augenblicks verspürte er tiefen Triumph und grimmige Befriedigung. Dann löste sich sein Schild auf und er sank zu Boden, als die Erschöpfung über ihn hereinbrach.

Dakova lachte. „Eigentlich wollte ich wilde Enka jagen." Er machte einen Schritt auf Akkarin zu und riss seinen Kopf zurück. „Doch Gildenmagier zu jagen, ist so viel amüsanter. Auch wenn ich ein wenig von dir enttäuscht bin. Beim letzten Mal hast du länger durchgehalten."

Weil ich da noch geglaubt hatte, ich könne dich im Kampf besiegen.

„Du hast meine Yeel getötet", fuhr Dakova liebenswürdig fort. „Dafür werde ich dich bestrafen."

„Als ob das hier nicht schon genug Strafe wäre", gab Akkarin zurück.

Noch immer lächelnd holte Dakova aus und schlug ihn. Der Schlag brannte sich durch Akkarins Wange und dröhnte in seinem Schädel. Dakova löste ein Seil von seinem Gürtel und band Akkarins Hände damit zusammen. Das kurze Ende verknotete er mit dem Metallring, den er noch immer um seinen Hals trug, das andere wickelte er sich fest um die Hand. „Ich werde machen, dass du deinen kleinen Fluchtversuch bereust", sagte er. Dann zerrte er ihn an dem Seil aus der Schlucht.


Sechs qualvolle Stunden später lag Akkarin auf dem harten Boden der Ödländer, angebunden an einen Pfosten von Dakovas Zelt. Das kalte Licht eines Meeres aus Sternen, das in dieser Nacht seine einzige Decke war, schien ihn zu verhöhnen. Obwohl zum Sterben müde und seine Magie in dem sinnlosen Kampf gegen Dakova erschöpft, wollte der Schlaf nicht kommen. Sein Körper war eine einzige Quelle von Schmerz. Er hatte lange gebraucht, um eine Position zu finden, in der er einigermaßen bequem liegen konnte. Doch selbst in dieser konnte er dumpf die Blessuren spüren, die Dakova ihm zugefügt hatte, nachdem er ihn zurück zum Lager gebracht hatte.

Im Nachhinein hätte Akkarin nicht sagen können, was dem Sachakaner mehr Freude bereitet hatte: die Jagd oder die anschließende Bestrafung. Vier seiner Rippen und sein Schlüsselbein waren gebrochen. Akkarin hätte sie geheilt, hätte er Magie übrig gehabt. Er hoffte, sein Körper würde sich nicht von selbst heilen, wenn er einschlief. So nützlich diese Gabe, die ihm als Magier beschieden war, für gewöhnlich war und die meisten Krankheiten rasch wieder abklingen ließ, ließ sie Knochen so wie sie waren zusammenwachsen. Er hoffte, er würde zumindest die Gelegenheit haben, die Bruchstellen wieder nahtlos aneinanderzufügen, bevor seine Selbstheilung einsetzte. Dazu würde er nur ein wenig Magie benötigen.

Inzwischen begriff Akkarin, dass sein Fluchtversuch überaus töricht gewesen war. Selbst, wenn Dakova länger auf seinem Jagdausflug geblieben wäre – er hätte ihn aufgespürt. Und seine Bestrafung wäre nicht weniger schmerzhaft gewesen.

Was wohl Lorlen sagen würde, wenn er mich so sieht?, dachte Akkarin trocken. Besiegt und gedemütigt von einem sachakanischen Magier. Zuhause in der Gilde hatten sie einander unzählige Male in der Arena bekämpft. Anfangs war es nur im Unterricht gewesen, doch dann hatte Akkarin die Kriegskunst gewählt, während sein bester Freund Heiler geworden war. Ihre Duelle hatten sie dennoch unter der Anleitung von Akkarins Lehrer fortgesetzt. Lorlen hatte immer öfter unterlegen, was Akkarin ausgenutzt hatte, als ihre Kämpfe weniger dem Spaß als dem Beeindrucken der Novizinnen gegolten hatten. Als Akkarin auf diese Weise seinen Anspruch auf Mayrte deutlich gemacht hatte, hatte Lorlen ihm wochenlang gezürnt und mehrere Duelle gegen ihn verloren, bloß um seinem Ärger Luft zu machen.

Würde Lorlen Genugtuung verspüren, weil sein bester Freund und größter Rivale die Niederlage seines Lebens eingesteckt hat?, fragte Akkarin sich. Oder würde er entsetzt sein, weil dieser von einem noch stärkeren Magier besiegt worden war?

Bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, zog sich etwas in seiner Brust schmerzhaft zusammen und die Realität traf ihn mit all ihrer unerbittlichen Wucht.

Er würde die Antwort auf diese Frage niemals erfahren. Denn er würde nicht mehr nach Zuhause zurückkehren. Er würde seinen besten Freund niemals wieder sehen. Und auch nicht die anderen Magier oder seine Familie.

Mit einem Mal war die Verzweiflung übermächtig. Zum ersten Mal, seit er ein kleiner Junge gewesen war, verspürte er den irren Drang zu weinen.

„Ein von Delvon weint nicht", hörte er die Worte seines Vaters als sei es gestern gewesen. Akkarin war gerade vier gewesen und hatte seine ersten Reitstunden auf seinem Pony gehabt. Sein großer Bruder hatte das Pony in Panik versetzt, bis es seinen kleinen Reiter abgeworfen hatte. Außer einigen Blutergüssen hatte Akkarin sich nichts getan, doch er erinnerte sich noch gut an das Gefühl von Demütigung und Zorn, das sich mit seinem Schmerz vermischt und ihm die Tränen in die Augen getrieben hatte.

„Aber Viklin …", hatte er hilflos begonnen.

„Es ist mit egal, was dein Bruder getan hat. Reiß dich zusammen und sei ein Mann!"

Sein Bruder hatte seine Strafe erhalten und seit jenem Tag hatte Akkarin kein einziges Mal mehr geweint. Nicht einmal bei den wenigen Niederlagen, die er im späteren Verlauf seines Lebens eingesteckt hatte. Jetzt wünschte er indes mehr denn je, weinen zu können. Doch er fühlte sich innerlich zu leer und zu zerstört für Tränen.

Und das war sehr viel schwerer zu ertragen.

Ich werde niemals wieder nach Hause zurückkehren und Vater sagen, dass auch Männer weinen dürfen, dachte er unwillkürlich. Einem schwarzen Magier entkam man nicht – nicht, wenn man selbst keine schwarze Magie beherrschte. Doch selbst wenn Akkarin dazu bereit gewesen wäre und er dafür nicht seinen Eid brechen müsste, so würde ihm diese Möglichkeit verwehrt sein. Dakova wäre dumm, es ihn zu lehren, so wie es nach Isaras Aussage manche sachakanischen Magier mit ihren Sklaven taten. Denn damit würde Akkarin zu einer unberechenbaren Gefahr.

Dakova konnte ihn nur kontrollieren, indem er ihn schwach hielt. Und darin war er äußerst effektiv. „Von heute an werde ich jeden Tag deine Gedanken lesen, damit du nicht noch einmal auf die Idee kommst, zu fliehen oder nach einem anderen Weg suchst, mir zu entkommen", hatte er gesagt, als er nach Beenden seiner Bestrafung Akkarins Gedanken gelesen hatte. „Ich werde dir jeden Tag deine Magie bis auf den letzten Rest nehmen. Und wenn ich noch einmal erfahre, dass du deine Magie unerlaubt benutzt hast, werde ich dich bestrafen."

Nach diesem Tag war Akkarin sicher, Dakova würde jeden kleinsten Fluchtgedanken und jeden noch so unbedeutenden Ungehorsam, den er dabei in seinem Geist las, hart bestrafen. Und Akkarin würde nichts dagegen unternehmen können, weil Dakova Wege kannte, auch in einem widerstrebenden Geist zu lesen.

Wie konnte es nur dazu kommen?, fragte er sich wieder und wieder. Es waren kaum mehr als drei Wochen, dass er auf diesem Mann getroffen war, und alles hatte sich verändert. Sein komplettes Leben hatte sich von einem Abenteuer in einen Albtraum verwandelt. In nur wenigen Tagen hatte er Dinge über dieses Land und seine Menschen erfahren, die ihn zutiefst entsetzten. Und von ihm wurde erwartet, dass er ein Teil dessen war.

Als er das Rascheln von Stoff und leise Schritte näherkommen hörte, zuckte er zusammen.

„Moj'ize yiselomi?", fragte eine melodische Frauenstimme mit hartem sachakanischen Akzent. (Wie geht es dir?)

Isara.

„Verschwinde", knurrte Akkarin ohne sie anzusehen. „Geh zurück zu deinem Meister."

Dakovas Bettsklavin ließ sich neben ihm nieder. „Du befehlen mir nicht", sagte sie. „Du sein nur Sklave … dichimi."

Akkarin zuckte zusammen. „Ich bin ein Magier", korrigierte er sie. „Shariya – so heißt das doch in deiner Sprache, richtig?"

„Ja", sagte sie. „Aber jetzt nicht mehr. Ize yichise dishimi m'Ichani Dakova."

Obwohl er wusste, das war die Wahrheit, trafen ihre Worte. Verärgert wandte er den Kopf und sah sie an. „Was willst du?", fragte er unwirsch. „Bist du gekommen, um weiter in dieser Wunde zu bohren?"

Ihre feingeschwungenen Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ich verstehen nicht …"

„Vergiss es einfach."

„Ich sein nicht hier für machen deine Wunden größer." Sie hielt ein kleines Tongefäß hoch. „Dir helfen."

Akkarin seufzte. „Verschwinde, wenn du nicht willst, dass dein Meister dich bestraft."

„Dakova unser Meister", entgegnete sie mit einem Anflug von Verärgerung. „Du akzeptieren das."

Akkarin schloss die Augen. Ja, das werde ich wohl müssen.

„Er wollen dich morgen arbeiten lassen." Isara fort stellte das Tongefäß ab und hob den Deckel. „Du müssen sein bereit."

„Meine Rippen und mein Schlüsselbein sind gebrochen", sagte er. „Ich kann nicht arbeiten."

„Dann du dich heilen, wenn Magie zurück. Rachariya wollen, dass du arbeiten."

Dann hoffe ich, dass er nicht auf die Idee kommt, mich für den Gebrauch meiner Magie zu bestrafen, wenn ich mich heile, dachte Akkarin düster. Besser, er heilte nur, was wirklich geheilt werden musste, was in diesem Fall seine Knochen waren.

Isara tauchte einen Finger in das Tongefäß.

„Was ist das?", verlangte Akkarin zu wissen.

„Salbe", antwortete sie. „Helfen gegen alles." Sie nickte ihm zu. „Ausziehen."

„Nein", sagte er entschieden.

„Salbe werden nicht helfen auf deine Kleidung."

Ein Stöhnen unterdrückend setzte Akkarin sich auf und streifte das Hemd ab. Jede einzelne Bewegung schmerzte und der grobe Stoff, brannte wie Feuer, wo er über seine geschundene Haut kratzte.

Als er das Hemd zu Boden fallenließ, hörte er, wie Isara scharf die Luft einsog. Anscheinend war sein Anblick selbst im blassen Licht des Mondes alles andere als attraktiv. „So aussehen nicht einmal Irko, als der Meister erwischen ihn mit Cara."

„Wer ist Cara?", fragte Akkarin. Der Name klang weiblich, doch außer Isara und Vara gab es keine Frauen in Dakovas Lager.

„Früher sein Bettsklavin von Rachariya. Jetzt tot. Kein Sklave dürfen wollen Dakovas Sklavinnen, sonst er töten sie."

Akkarin erschauderte. Die Ausweglosigkeit seiner Situation wurde ihm mehr und mehr bewusst und sein Verlangen, diesen Ort zu verlassen, war größer denn je.

Etwas Kühles berührte seine Schulter und er zuckte zusammen. „Ruhig", sagte Isara. „Gleich sein besser." Behutsam tupfte sie etwas von der Salbe auf die Schrammen und Blessuren auf seinem Oberkörper. Zuerst verspürte Akkarin einen dumpfen Schmerz, wo ihre zarten Finger ihn berührten. Dieser wich jedoch rasch einer angenehmen Kühle. Er konnte den Duft von fremden, wohltuenden Kräutern riechen. Entweder sie sind in Sachaka heimisch oder ich habe in Heilkunst wieder einmal nicht aufgepasst, fuhr es ihm durch den Kopf.

„Jetzt die Hose", sagte sie, als sie fertig war.

Wortlos rollte Akkarin seine Hosenbeine hoch. Isara kicherte.

„Was?", knurrte er.

„Du prüde."

„Ich bin gut erzogen."

„Du nicht brauchen deine Erziehung hier", sagte sie. „Du vergessen altes Leben. Du gehorchen jetzt rachariya Dakova."

„Wenn ich mein altes Leben vergesse, höre ich auf zu existieren", sagte er.

„Wozu daran festhalten? Verlust dich machen nur traurig. Du dienen jetzt großem Magier, größer als du. Das sein große Ehre. Wenn du begreifen das, du fühlen besser."

Und wie soll ich aufhören zu bedauern, was ich verloren habe?, dachte Akkarin. Er war einer der stärksten und besten Krieger gewesen, den die Gilde seit Jahren hervorgebracht hatte. Seinen Abschluss hatte er als Jahrgangsbester abgelegt. Für eine kurze Weile hatte er ein Ansehen genossen, von den er nie zu träumen gewagt hatte. Die Frauen waren ihm in Scharen hinterhergelaufen und nicht einmal das hatte die Freundschaft zu Lorlen, der immer in seinem Schatten gestanden hatte, auf Dauer in Gefahr bringen können. Seine Familie war so stolz gewesen, als sie von seinem großartigen Abschlusszeugnis erfahren hatte. Und das Ansehen, das er damit ihnen und seinem Haus eingebracht hatte!

Und wie sehr sein Ansehen erst gestiegen wäre, wäre er erfolgreich von seiner Reise zurückgekehrt!

Doch all das war nichtig geworden, weil er eine falsche Entscheidung getroffen hatte.

Das plötzliche Ziehen in seiner Brust war mit einem Mal übermächtig und übertraf sogar den Schmerz, als Isara behutsam etwas Salbe auf eine Schürfwunde strich, die sein komplettes linkes Schienbein überzog.

„Mehr ich können für dich nicht tun", sagte sie dann und erhob sich in einer fließenden Bewegung. „Du müssen dir selbst helfen."

Wie?, wollte Akkarin antworten, doch mit einem Mal war seine Kehle wie zugeschnürt.

„Du akzeptieren, dass du sein Sklave. Dann werden alles leichter."

Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging zurück zu Dakovas Zelt. Akkarin starrte ihr nach, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.

Die Nachtluft strich über seine Haut und verstärkte den kühlenden Effekt der Salbe. Es war ein angenehmes Gefühl und irgendwie beruhigte es auch seine aufgewühlten Gedanken.

Wozu an etwas festhalten, das man schon längst verloren hat?, wiederholte er Isaras Worte für sich im Geiste. Das überhaupt zu tun, erschien ihm widersinnig. Aber es war schwer, etwas loszulassen, das einem einst so viel bedeutet hatte. Und sein Leben in der Gilde hatte ihm viel bedeutet. Ich wünschte nur, ich hätte das erkannt, bevor ich auf die Idee kam, die Gilde zu verlassen, weil mich das Leben dort gelangweilt hat, dachte Akkarin. Forschung nach alter Magie war eine Ausrede gewesen, während er in Wirklichkeit nur nach Abenteuern gesucht hatte. Aber dabei war er auf ein Abenteuer gestoßen, das zum letzten Albtraum seines Lebens geworden war.

Er war ein Sklave. Für den Rest seines Lebens. Diese Erkenntnis ließ Akkarin noch immer erschaudern. Er wollte die Augen davor verschließen, hatte es versucht, weil er sich an die absurde Hoffnung geklammert hatte, er würde einen Weg finden, Dakova zu entkommen. Doch diese Hoffnung war an diesem Tag gestorben.

Es war vorbei. Er war am Ende. Dakova hatte ihm seine Freiheit genommen und mit ihr die Möglichkeit, jemals wieder nach Hause zurückzukehren. Freiheit, das höchste Gut von allen, das Akkarin nie wirklich zu schätzen gewusst hatte, weil er es stets für selbstverständlich gehalten hatte.

Nein, ich habe meine Freiheit nicht erst heute verloren, erkannte er plötzlich. Es ist schon früher passiert. An dem Tag, an dem ich Dakova begegnet bin.

Wie hatte er glauben können, dieser Mann könnte ihm bei seiner Suche nach diesem geheimnisvollen Ort namens Shakan Dra, an dem er Wissen über alte magische Praktiken vermutet hatte, helfen! Stattdessen war er einem Mann in die Arme gelaufen, der in ihm ein Spielzeug mit starkem magischen Potential sah. Und er hatte gelernt, dass alte Magie nichts als schwarze Magie war. Ein Wissen, für das er einen hohen Preis bezahlt hatte.

Denn indem Akkarin endlich die Antwort auf seine Fragen gefunden hatte, hatte er alles verloren.


Sachakanisch – Kyralisch

Ize yichise dishimi m'Ichani Dakova. – Du bist ein Sklave von Ichani Dakova.

Moj'ize yiselomi? – Wie geht es dir?