Guten Morgen, ihr Lieben!
Um mal 'The Greatest Showman' zu zitieren: "Ladys and Gents, this is the moment you've waited for." Und ich hab euch lange warten lassen, ich weiß. -.-
Deswegen will ich euch jetzt gar nicht weiter aufhalten und wünsche euch einfach mit einem großen Dankeschön für die Kommentare zum letzten Kapitel viel Spaß mit diesem! :D


Kapitel 25 – Der größte Fehler

It got so far.
Things aren't the way they were before,
you wouldn't even recognize me anymore.
Not that you knew me back then,
but it all comes back to me in the end.

(Linkin Park – In the End)

Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen.

ich den meinen.

den meinen.

gewählt …

Du hast …

gewählt …

ich den meinen.

deinen Weg …

ich den meinen.

Das war es. Das war er. Diese Worte. Dieses Gefühl. Mehr war nicht übrig geblieben. Sein ganzes Sein in acht Worten.

Severus hielt sich daran fest wie der Ertrinkende, der er war. Alles von ihm brach weg, Stück für Stück, aber diese Worte blieben. Sie waren sein Horizont, sein Fixpunkt im Grau. Das, was ihn Oben von Unten unterscheiden ließ. Ein bisschen Klarheit im Nichts.

Bevor alles um diese Worte herum weggebrochen war (der Dunkle Lord, Nagini, Potter, Dumbledore, Hogwarts, Nagini, Todesser, Potter, Nagini, Nagini, Nagini), hatte er noch manchmal überlegt, ob er nicht doch den Fährmann bezahlen und auf die andere Seite des Flusses übersetzen sollte, so wie es ihm angeboten worden war. Ob er nicht doch eine von seinen wenigen kostbaren guten Erinnerungen opfern sollte, um dem Nichts zu entkommen. Aber sie hatte ihren Weg gewählt, er musste seinen gehen. Also blieb er, wo er war.

Und irgendwann brach auch das weg. Das Hadern und die Zweifel und die Sehnsucht nach der anderen Seite. Das Nichts entblößte ihn, Schicht für Schicht zog es herunter und irgendwann waren da nur noch ihre Worte: Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen. Und den Frieden, den er darin fand. Nachdem alles seine Bedeutung verloren hatte, waren diese Worte plötzlich genug.

Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen.

Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen.

Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen.

Du hast einen anderen Weg gäbe, ich den meinen.

Du hast deinen Weg gewählt, ich das nicht tun.

Mein kleines Mädchen gewählt, ich den meinen.

Du hast deinen Mund gewählt, ich öffne den meinen.

Irgendwo an diesem Punkt begann sein Horizont aus Worten zu kippen. Das war nicht … richtig. Das war nicht … Oben und nicht … Unten.

Er schob es weg, bis er die Worte wiederfand. Die richtigen Worte. Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen. Ruhe floss mit diesen Worten in ihn hinein, er konnte es regelrecht spüren. In seinem Mund. Er hieß die Ruhe willkommen, bis sein Horizont wieder gerade war. Bis er sich leicht fühlte und schwebte auf diesen Worten. Zum ersten Mal fühlte er sich von ihnen getragen.

Aber wer getragen wurde, konnte auch fallen. Und er fiel hart.

Es war ein Erdbeben wie DU HAST deinen WEG geWÄHLT, ich den MEINEN. Und wie Du HAST … gewählt, ich DEN MEINEN! Es durchfuhr ihn, wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und … Es hörte einfach gar nicht mehr auf! Es zerriss ihn in acht Teile, für jedes Wort einen. Sein Horizont war eine Zickzacklinie, die ihn von oben nach unten warf und stach und schmerzte. Sein Horizont brodelte und gurgelte, als würde er ihn verschlucken.

Verschlucken.

Das Wort hatte eine Bedeutung. Mehr als …

Dann verschwand es, so plötzlich wie es gekommen war. Sein Horizont bebte, er löste sich auf und regnete in seinen Mund. Er hörte auf zu brodeln und zu gurgeln und zu stechen, aber immer noch durchfuhr … etwas ihn wieder und wieder und wieder und er wusste, dass auch das irgendwann mal eine Bedeutung gehabt hatte. Und dann nicht mehr. Schon lange nicht …

Ahhhh!

Schmerz riss ihn heraus und herum und herunter und zurück in eine Zeit, die … Vol… Volde… Der Dunkle Lord. In diese Zeit zurück riss ihn der Schmerz und das Weinen und das Flehen. Er wandte sich ab davon, fort, fort, bis es vorbei ging. Bis da wieder nur noch dieses Etwas war. Wieder und wieder und wieder und …

Es wurde langsamer. Vielleicht … vielleicht würde es bald ganz aufhören und sein Horizont wieder eine gerade Linie werden, die ihm half, Oben von Unten zu unterscheiden. Vielleicht würde bald wieder Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen zurückkommen und alles klar werden mitten in diesem Grau.

Stattdessen lief sein Horizont aus. Überall hin. Er umspülte ihn, schwappte und schlug über ihm zusammen. Die Worte lösten sich darin auf, entglitten ihm wie feuchte Seife. Etwas kratzte an ihm, zerrte ihn hinauf an … eine Oberfläche. Wie tief unten war er gewesen?

Es wurde wärmer, je näher er der Oberfläche kam. Und trotzdem … trotzdem …

Er hielt sich fern davon. Nichts Gutes lauerte an der Oberfläche. Hatte es nie. Er blieb darunter und spürte das Ziehen und Zerren. Etwas wollte, dass er hinaufkam. Andere Worte fielen in das Wasser um ihn herum, verzerrt und fremd. Dann Ruhe.

Ruhe. Ruhe. Ruhe.

Wie Geräusch gewordenes Grau. Er begann sich darin zu verlieren, so wie er sich schon mal verloren hatte. Er brauchte seinen Horizont! Er brauchte seine Worte!

Was habt ihr euch nur dabei gedacht?

Nein, nicht … diese Worte. Das waren nicht seine Worte. Das war nicht sein Horizont!

Es trieb ihn näher an die Oberfläche. Stück für Stück kehrte zurück, was irgendwann mal weggebrochen war. Das Wasser, in dem er trieb, wurde zu … Brocken von … ihm? Er konnte dabei zuschauen, wie sie anfingen, sich zusammenzusetzen. Nein! Das sollte nicht passieren! Das war nicht … richtig!

Es durchfuhr ihn wieder und wieder und wieder und … Herzschlag!

Dieses Wort trieb zwischen den Brocken umher und er konnte es fühlen. Herzschlag. Und direkt dahinter Leben und beides sollte nicht hier sein. Beides sollte ohne Bedeutung für ihn sein, aber das war es nicht. Sie hatten eine Bedeutung, diese Worte.

Immer mehr Brocken setzten sich zusammen, immer mehr Verknüpfungen bildeten sich. Mehr Worte tauchten wieder auf. Todesser. Und Spion. Und Diener, Horkrux, Aufgabe und Verrat. Immer weiter entfernte er sich von Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen. Fort von dem bisschen Klarheit mitten im Nichts. Alles wand sich ineinander, wurde chaotisch und trüb. Es gab keine klare Linie mehr zwischen … zwischen ihm und … Das sollte nicht passieren. Das sollte nicht …

„Nein …"

Er hörte sich und er hörte etwas anderes. Neben sich. „Professor Snape?"

Es schepperte in seinen Ohren, so wie sein Herzschlag darin rauschte. Es war laut, wo auch immer er war. Er hielt die Luft an, bis das Rauschen unerträglich und schmerzhaft wurde, und ließ sie langsam wieder entweichen. Unerträglich verschwand, schmerzhaft blieb. Überall, alles tat weh. Er, sein Körper, existieren tat weh. Bilder zuckten durch seinen Geist. Eine Hütte. Nagini. Potter. Diese Bilder waren ihm als erstes entglitten und er hatte sie nicht eine Sekunde lang vermisst.

„Professor Snape, hören Sie mich?"

Nein. Nein, nein, nein, NEIN! Er wollte nichts hören! Schon gar nicht Professor Snape!

„Wenn Sie mich hören können, geben Sie mir bitte ein Zeichen, Sir!"

Was passierte hier bloß? Er war doch tot! Warum … Aber seine Gedanken rissen ab, als er sich wieder seines Herzschlages bewusst wurde. Tote hatten keinen Herzschlag. Tote mussten nicht atmen. Tote hatten keine Schmerzen. Tote wurden nicht darum gebeten, Zeichen zu geben. Und nichts davon konnte er von sich behaupten. Das alles ließ nur einen Schluss zu: Er lebte.

Warum zum Teufel lebte er? Nagini hatte ihn erwischt! Mehrmals! Und dann war er … gestorben.

Oder?

„Bitte, Professor Snape, ich …"

Nein … Er hatte das alles nicht geträumt! Das war absolut unmöglich! Er war tot! Er war gestorben! Er hatte … den Fährmann gesehen und … Er war tot! Unter keinen Umständen hätte er Naginis Angriff überleben können. Selbst wenn er sich dafür entschieden hätte, das Gegengift zu nehmen, wären seine Chancen gering gewesen. Niemals konnte ihn jemand gerettet haben.

Und dann berührte etwas seinen Arm.

Severus erschrak so heftig, dass er die Augen aufriss, nach Luft schnappte und sich einen gequälten Laut ausstoßen hörte. Wer auch immer ihn berührt hatte, zuckte zurück.

„Professor Snape!"

Er sah sich nach der Stimme um, aber alles war verschwommen. Er blinzelte. Wollte etwas sagen, aber seine Stimme gehorchte ihm nicht. Er griff sich an den Kopf, fuhr sich über die Augen, blinzelte noch mehr.

„Ganz ruhig, es ist alles in Ordnung!"

Er kniff die Augen zusammen, bis er das Gesicht vor sich halbwegs klar erkennen konnte. Er kannte es. Er hatte dieses Gesicht schon mal gesehen. Oft sogar. Jahrelang. Schülerin. Ehemalige Schülerin. Brown? Nein. Baker? Nein. Barnard? Nein … Beauchamp! Evelyn Beauchamp.

„Professor Snape?", fragte sie in diesem Moment und runzelte die Stirn.

„Was tun Sie hier?" Es war anstrengend, die Worte über die Lippen zu bringen. Als hätte er seit Jahren nicht mehr geredet. Sein Blick glitt durch das Zimmer, in dem er sich befand. Er hatte mit einem der Krankenzimmer im St.-Mungos gerechnet, aber das hier war ein Wohnzimmer. Ein ziemlich altbackenes Wohnzimmer mit dunkelgrünen Polstermöbeln, dunkelbraunen Schränken und Zierdeckchen. „Was tue ich hier?" Schließlich landete sein Blick wieder bei Miss Beauchamp und jetzt, wo seine Sicht sich immer mehr scharf stellte, fiel ihm auf, dass sie … älter aussah. Viel älter. Er starrte sie an, sekundenlang, während er ein paar der Worte wiederzufinden versuchte, die ihn eben noch in seinem Kopf gejagt hatten. „Was hat das zu bedeuten?"


Zwei Leute sahen sie an, als Hermine aus dem Kamin stieg und sich den Ruß von der Hose klopfte, bis der Schwindel sich leidlich gelegt hatte. Sie richtete sich auf, schenkte Evie den Ansatz eines Lächelns, das sie erwiderte, indem sie die Augen aufriss, und begegnete dann dem Blick von Severus Snape. Einem lebendigen Severus Snape, der sie ansah und nicht einen Tag älter war als bei seinem Tod vor über elf Jahren. Und nicht einen Deut freundlicher. „Professor Snape", sagte sie und neigte den Kopf.

Er sah sie nur finster an und obwohl er in Moiras weißem Bademantel auf ihrer mit Spitzendeckchen dekorierten Couch saß, schaffte er es, sie damit zum Schaudern zu bringen.

„Er ähm … möchte so nicht genannt werden", sagte Evie leise.

„Oh, okay."

„Was ist passiert, Hermine?"

Sie runzelte die Stirn. „Was meinst du?"

„Na ja, du siehst …" Sie brach ab und zuckte mit den Schultern.

„Was?" Sie sah an sich herab, fand aber außer noch ein paar Rußflecken nichts Ungewöhnliches.

„Sie sehen aus", schnarrte in diesem Moment Snape, „als würden Sie jeden Moment tot umfallen, Miss Granger."

Sie sah ihn mit heftig pochendem Herzen an. „Weasley", entgegnete sie hohl.

„Vergiss es, unsere Namen interessieren ihnnicht so sehr", murmelte Evie und klang dezent genervt. „Ich hab ihm schon dreimal gesagt, dass ich jetzt Hayes heiße."

„Legen Sie wirklich so viel Wert darauf, den Namen Ihres größten Fehlers zu tragen?"

„Seth war kein Fehler!", zischte Evie und brachte damit sogar Hermine dazu, sie überrascht anzusehen. Das war das Positivste, das sie Evie je über ihren Mann hatte sagen hören.

„Machen Sie sich keine Illusionen, Miss Beauchamp", riss Snape sie aus ihrer Überraschung. „Ich habe Mr Hayes fünf Jahre lang unterrichtet, er war ein Fehler."

Hermine runzelte die Stirn, während sie den beiden zuhörte, dann schüttelte sie den Kopf. Das überstieg gerade ihre kognitiven Fähigkeiten. Wo waren sie? Ach ja … „Es geht mir gut." Dass sie sich noch während sie das sagte am Kamin festhalten musste, trug allerdings nichts zu ihrer Glaubwürdigkeit bei.

Snape schnaubte. „Schwarze Magie ist kein Spielzeug, Miss Granger."

Sie presste die Lippen aufeinander. „Auch Ron ist kein Fehler!"

Er antwortete ihr nicht mal. Zog nur eine Augenbraue hoch.

Hermine schnaufte und schloss kurz die Augen.

„Setzen Sie sich", sagte er scharf, „Jetzt! Sonst bekommen Sie doch noch die Gelegenheit, Ihr Leben zu beenden."

Hermine schluckte, sowohl wegen seines harschen Tons, als auch wegen all der Informationen, die Evie ihm schon gegeben zu haben schien. Sie ging zum freien Sofa und ließ sich darauf sinken.

Snape wandte sich daraufhin Evie zu und sagte: „Organisieren Sie ihr etwas zu essen, Miss Beauchamp, am besten etwas Süßes."

„Ich hab keinen Hunger", sagte Hermine.

„Wer hat danach gefragt?"

Sie sah ihn verdrossen an.

„Und kochen Sie Tee!", fügte er an Evie gewandt hinzu, als sie schwieg.

Die presste die Lippen aufeinander, stand aber auf und verließ das Wohnzimmer.

Hermine sah ihr einen Moment nach und legte endlich Snapes codierte Unterlagen neben sich auf die Couch. „Was hat Evie Ihnen schon alles erzählt?", fragte sie.

„Genug, dass ich darüber nachdenke, Sie eigenhändig zu erwürgen."

„Wozu dann das Essen und der Tee?", fragte sie unbeeindruckt.

„Es bringt mehr Spaß, wenn Sie sich wehren …" Er ließ seine Fingerknöchel knacken, einen nach dem anderen.

Hermine zuckte bei jedem Knacken zusammen. „Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie … zurückgebracht habe, Sir."

„Ach ja?"

Sie drückte ihren Rücken durch. „Ja! Wenn es einen anderen Weg gegeben hätte, hätte ich …"

„Es gab einen anderen Weg, Miss Granger! Sie hätten auch akzeptieren können, dass es für manche Probleme keine Lösung gibt, so wie alle anderen es auch tun." Seine Stimme war am Ende kaum mehr als ein unheilvolles Flüstern gewesen.

Hermine schluckte und als ihr wieder schwindelig wurde, schloss sie kurz die Augen.

Aber offensichtlich war er noch nicht fertig: „Ich habe tatsächlich gedacht, die Kaltblütigkeit, mit der Dumbledore über mein Leben entschieden hat, sei nur durch die Kaltblütigkeit des Dunklen Lords zu überbieten, aber siehe da, Sie übertreffen wie immer alle."

„Es tut mir leid", wiederholte sie und rieb sich die Stirn. „Ich wollte Sie um Ihr Einverständnis bitten, aber …"

„Kamen Sie zu keinem Zeitpunkt auf die Idee", unterbrach er sie, „dass es seinen Grund hatte, dass nicht mal Albus Dumbledore sich dafür entschied, von den Toten zurückzukehren? Kamen Sie nie auf die Idee, dass manche Dinge es niemals wert sind, ihren Preis zu zahlen?"

Sie stützte die Ellbogen auf ihre Knie und verbarg das Gesicht hinter ihren Händen, ließ Snapes Worte an sich vorbeiziehen; im immer lauter werdenden Rauschen konnte sie ihn ohnehin kaum noch verstehen. Hitze stieg in ihr auf.

„Aber natürlich taten Sie das nicht. Ganz die Gryffindor, die Sie sind, haben Sie einfach angenommen, Sie hätten ein Recht darauf, Ihren Willen zu bekommen. Wir alle haben Menschen verloren, die uns wichtig waren, aber dieses Schicksal ist natürlich unter der Würde von Miss Hermine Granger. Potters Arroganz ist offensichtlich ansteckend …"

Er redete danach noch weiter, aber seine Worte erreichten Hermine nicht mehr. Das Rauschen schwoll an, als würde eine gewaltige Welle auf sie zurollen. Ihr war heiß und übel und das Atmen wurde immer schwerer und als die Welle über ihr brach, verlor sie einfach das Bewusstsein.


Ein Schlag durchfuhr sie, so heftig, dass sie hochschoss und nach Luft rang.

„Hermine!"

Zwei Hände hielten sie fest, bevor sie auf die Couch zurücksinken konnte, und stabilisierten ihren Oberkörper. „Was ist passiert?", keuchte sie über das Flattern ihres Herzschlages hinweg. Ihre Hände zitterten, als sie sich damit über die Stirn fuhr.

„Sie haben zu viel mit Schwarzer Magie gespielt", kam es von der anderen Seite des Wohnzimmers.

Hermine stöhnte. Snape. „Ich habe nicht gespielt", murmelte sie schwach.

„Das ist Ansichtssache. Geben Sie ihr etwas zu essen, bevor sie wieder ohnmächtig wird."

Hermine blinzelte, runzelte die Stirn. Erst verzögert wurde ihr bewusst, dass der letzte Teil nicht an sie gerichtet war.

„Hier", sagte Evie und hielt ihr einen Teller hin, auf dem zwei Scheiben Toast mit Marmelade lagen.

Schon beim Anblick würgte Hermine trocken. „Ich hab keinen Hunger", sagte sie hohl und schob den Teller weg.

„Wenn das so ist", sagte Snape, „bevorzugen Sie das Ave Maria oder Halleluja auf Ihrer Beerdigung, Miss Granger?"

Evie sog scharf die Luft ein. „Ich hab in all den Jahren tatsächlich beinahe vergessen, was für ein Bastard Sie waren!"

„Ich erinnere Sie gern daran", sagte Snape ölig.

Evie schnaubte.

Aber Hermine starrte ihn nur an. Es lag etwas Angespanntes um seinen Mund, das nicht zu seinem gleichgültigen Tonfall passte. Seine Augenlider zuckten, als er sie wieder ansah. Sie schluckte, dann nahm sie sich eine Toastscheibe vom Teller und hielt die Luft an, bevor sie hineinbiss und hohl kaute. Der süße Geschmack der Marmelade erfüllte ihren Mund wie Schaumgummi, es schien immer mehr zu werden. Seit ihrer Schwangerschaft war es ihr nicht mehr so schwergefallen, den Bissen herunterzuschlucken und bei sich zu behalten. Sie presste sich die Faust gegen den Mund und atmete, während sie den Brechreiz zu beherrschen versuchte. Nach unendlich langen Augenblicken wurde es endlich besser. Hermine atmete auf.

„Sie können dann gehen, Miss Beauchamp."

„Das ist wohl kaum Ihre Entscheidung!"

„Schon gut", sagte Hermine, „Ich melde mich bei dir. Ethan musste lange genug auf dich verzichten." Sie lächelte schmal.

Evies Blick flog zwischen ihr und Snape hin und her. „Bist du dir sicher?"

Snape schnaubte, aber Hermine sagte: „Ja, bin ich. Es geht mir gut." Woraufhin er wieder schnaubte, lauter dieses Mal.

Evie sah ihn an und rümpfte die Nase, aber dann nickte sie. „Also gut. Pass auf dich auf!" Dann ging sie zum Kamin und verschwand im Flohfeuer.

„Essen Sie, Miss Granger!"

„Ja doch!", entgegnete sie ungeduldig und biss wieder von ihrem Brot ab. Inzwischen war der Widerwille verebbt und sie merkte, wie hungrig sie tatsächlich war. Snape beobachtete sie, während sie aß. Er hielt eine Tasse Tee in den Händen und trug Moiras Bademantel mit erstaunlich viel Würde. Nur seine nackten Schienbeine und Füße waren dezent verstörend und sie wandte schnell den Blick ab.

„Sie sollten besser haushalten mit Ihrer Lebensenergie", sagte er, als sie sich den letzten Bissen in den Mund geschoben hatte.

Nun merkte sie auf. Lebensenergie? Was hatte die mit allem zu tun? Klar, die Lebenskerze hatte Lebensenergie von ihr gebraucht, aber doch sonst nichts. Oder? „Was meinen Sie?", fragte sie und war sich einmal mehr ihres schnellen Herzschlages überdeutlich bewusst.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Nicht nur rücksichtslos, sondern auch noch uninformiert", stellte er abfällig fest. „Seit wann machen Sie nicht mehr Ihre Hausaufgaben, Miss Granger?"

„Seitdem eines der entsprechenden Bücher einen vierstelligen Betrag kostet."

„Sie haben bei Borgin gekauft?"

Sie starrte ihn an, ihr Mund stand ein Stück offen.

„Ich sehe schon, Ihre Eloquenz hat ebenfalls gelitten." Er schnalzte mit der Zunge. „Borgin ist ein Halsabschneider."

Hermine schnaufte. „Er ist der einzige Halsabschneider, der mir zur Verfügung stand."

„Jede Antwort darauf würde uns zurückbringen zu der gryffindorschen Arroganz und den unlösbaren Problemen, die Sie nicht in der Lage sind zu akzeptieren – sparen wir uns das."

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Schön! Dann erleuchten Sie mich, Professor Snape!" Sein Augenlid zuckte, als sie ihn so ansprach. Hermine lächelte selbstgefällig; wenn er sie weiterhin hartnäckig Miss Granger nannte, würde sie ihn eben genauso hartnäckig Professor Snape nennen.

Er sah sie ein paar Sekunden lang finster an, bevor er sagte: „Schwarze Magie ist Lebensenergie. Sie müssen aufpassen, nicht zu viel davon zu verwenden, weil Sie irgendwann tatsächlich einfach sterben würden."

Hermine sog scharf die Luft ein. „Heißt das, ich habe mit jedem Mal, das ich Schwarze Magie verwendet habe, mein Leben verkürzt?"

Das macht Ihnen Sorgen?", fragte er spitz und zog eine Augenbraue hoch. „Ich dachte, Sie wollten sich opfern …"

„Hat ja offensichtlich nicht funktioniert …" Sie biss die Zähne aufeinander.

„Nein, hat es nicht." Aber so, wie er sie ansah, würde er das gerade gern nachholen. „Wie dem auch sei … Ich sagte Lebensenergie. Niemand sprach von der Länge Ihres ach so geschätzten Lebens."

„Und was bedeutet das?", fragte sie mühsam beherrscht.

Snape stöhnte, stellte seine Tasse weg und rieb sich die Stirn. „Haben Sie sich denn gar nicht die Mühe gemacht, mal in ein Buch zu schauen, das sich mit der Theorie der Schwarzen Magie befasst, bevor Sie sich kopfüber hineingestürzt haben? Es gibt genug davon auch für wenige Galleonen bei Flourish & Blotts zu erwerben."

Sie spürte, wie ihr Hitze in die Wangen stieg.

„Offensichtlich nicht", schnarrte er.

„Soll ich jetzt in die Winkelgasse apparieren, um mir ein entsprechendes Buch zu besorgen, oder beantworten Sie mir einfach meine Frage?"

Er kniff die Augen ein bisschen zusammen. „Eine Apparation würden Sie gerade kaum zustande bringen, Miss Granger. Wenn Sie sich nicht dabei zersplintern, werden Sie sich dabei umbringen."

„Klingt gerade äußerst verlockend …"

„Tut es das? Immer noch?"

Hermine schluckte und dachte an das Jenseits, wie sie es erlebt hatte. An den Fährmann und den Fluss. Daran wie er ihr zwei Erinnerungen genommen hatte, von denen sie wohl niemals wissen würde, welche es gewesen waren. Wenn er sich überhaupt daran gehalten hatte. Er hätte sich auch problemlos die fünf Erinnerungen nehmen können, die er erst verlangt hatte, woher sollte sie es erfahren? Und sie dachte an das Wohlbefinden, das sie auf der anderen Seite des Flusses empfunden hatte. An den Frieden und die Glückseligkeit. „Auf der anderen Seite des Flusses war es ganz angenehm", sagte sie leise, noch halb in ihrer Erinnerung versunken.

Snape wandte den Blick ab und sagte: „Lebensenergie kann erschöpfen und sich neu bilden. Körperliche Aktivität verbraucht Lebensenergie, Verletzungen, Krankheiten oder ein Mangel an Nahrung oder Wasser verbrauchen Lebensenergie." Er sah sie an und fügte hinzu: „Irgendwann wird die Krankheit Ihrer Tochter zum Beispiel mehr Lebensenergie fordern, als sie bilden kann, und sie wird sterben."

Hermine presste die Lippen aufeinander, fest entschlossen, sich nicht von ihm provozieren zu lassen. „Und Schwarze Magie ist also Lebensenergie?"

„Das sagte ich bereits", entgegnete er lakonisch. „Wenn Sie aktiv Schwarze Magie praktizieren, müssen Sie auf die Signale Ihres Körpers achten. Sie müssen regelmäßig essen, trinken und schlafen, um nicht zu sterben."

Sie schnaubte. „Ich wusste gar nicht, dass Voldemort und die Todesser so viel Selbstfürsorge betrieben haben …"

„Haben sie nicht. Sie hatten im Gegensatz zu Ihnen nur einen ausgeprägten Überlebensinstinkt. Und je länger Sie Ihre Lebensenergie für Schwarze Magie missbrauchen, desto mehr gewöhnt Ihr Körper sich daran und stellt ein größeres Kontingent davon zur Verfügung." Ein abschätziges Lächeln spielte um seine Lippen. „Wie heftig ist das Summen bei Ihnen inzwischen, Miss Granger? Die Wut? Die magischen Ausbrüche?"

Sie verschränkte die Arme vor der Brust, biss sich auf die Innenseite ihrer Lippe und weigerte sich zu antworten.

„Das dachte ich mir", schnarrte er. „Was tun Sie dagegen? Nahrungskarenz? Exzessiver Sport? Selbstverletzung?"

Sie schluckte.

„Tatsächlich?"

Wütend sah sie ihn an. „Wie sind Sie und Ihre Kumpane denn damit umgegangen?"

Er schnaubte. „Meine … Kumpane haben es vorgezogen, sie auszuagieren."

„Natürlich …" Dass er nicht leugnete, selbst Schwarze Magie praktiziert zu haben, entging ihr jedoch nicht.

Snape schlug ein Bein über das andere, zupfte den Bademantel zurecht und sagte: „Nun, Miss Granger …" Er ließ sich ihren Mädchennamen regelrecht auf der Zunge zergehen und feixte, als sie ihn wieder verdrossen ansah. „Erklären Sie mir doch bitte nochmal detailliert, weswegen genau ich jetzt in diesem reizenden Morgenmantel auf dieser grässlichen Couch sitze, während ich doch eigentlich tot sein sollte."

Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare. „Meine Tochter stirbt."

„Soweit bin ich bereits informiert", entgegnete er ungeduldig.

„Als ich mit meinen Recherchen nicht weitergekommen bin, habe ich unter anderem auch in Hogwarts gefragt, ob jemand noch eine Idee hat. Professor Flitwick erinnerte sich an Aufzeichnungen von Ihnen, in denen es um das Absorbieren von Magie ging."

Snape zog die Augenbrauen zusammen, bis eine tiefe Falte dazwischen stand. „Hat er das?"

Nun feixte Hermine. „Hat er. Er sagte, Ihre Gedächtniszauber seien nicht unbedingt die besten."

Er rümpfte die Nase und bedeutete ihr mit einer Geste fortzufahren.

„Jedenfalls hab ich auf der Suche nach diesen Unterlagen die Rätsel gelöst, mit denen Sie Ihr geheimes Labor in Hogwarts versteckt hatten." Sie beobachtete seine Reaktion darauf, aber seine Miene blieb unbewegt. „Gescheitert bin ich letztendlich erst an den Unterlagen selbst." Sie deutete auf den Pergamentstapel, der neben ihr lag. „Aber ich nehme an, außer Ihrer Berührung gibt es dafür auch gar keine Lösung, die sie nicht zerstören würde, oder?"

„Nein, die gibt es nicht", sagte er selbstgefällig.

Hermine nickte. „Ich habe dann mehrere Tränkemeister kontaktiert in der Hoffnung, dass sie mir helfen können, den Trank zu rekonstruieren, den Sie entwickelt haben, aber sie alle sagten, es gäbe keinen Trank, der Magie absorbieren kann. So würden Tränke nicht funktionieren." Sie schnaubte abfällig und schüttelte den Kopf.

„Und trotz der Meinungen diverser Kollegen von mir entschieden Sie, mich wiederauferstehen zu lassen? Wegen einer vagen Erinnerung von Filius Flitwick?"

Ihr Herzschlag geriet aus dem Takt und sie reckte ihr Kinn vor. „Ja."

Snape stieß scharf die Luft durch die Nase. „Sie haben schon zu Ihrer Schulzeit einige gedankenlose und unangemessene Dinge getan. Einen Vielsafttrank zu brauen, um einen hanebüchenen Verdacht nachzugehen, und eine Schulkameradin von Ihnen für ihre Angst mit einem anhaltenden Ausschlag zu bestrafen, steht dabei nicht mal an der Spitze der Liste. Aber das … Sind Sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen?"

„Das hat Ron mich auch gefragt", murmelte sie missmutig.

„Dann hat Mr Weasley offensichtlich an Vernunft hinzugewonnen."

Hermine sah ihn aufgebracht an. „Ich hätte es mir niemals verzeihen können, nicht jede Möglichkeit genutzt zu haben, um Rose zu retten! Wenn das bedeutet, dass ich den Verstand verloren habe, dann ist das eben so!"

„Und können Sie es sich verzeihen, einen Unschuldigen umgebracht zu haben?"

Hermine schluckte und wandte den Blick ab. „Nein, kann ich nicht."

„Sie haben also die eine Schuld gegen eine andere getauscht und einen völlig Unbeteiligten in die ganze Sache hineingezogen für nicht mehr als eine vage Hoffnung."

„Ja", sagte sie bitter. „Wenn Professor Flitwick sagt, er hat einen solchen Trank in Ihren Unterlagen gesehen, dann vertraue ich ihm, egal wie oft Ihre Kollegen mir sagen, dass Tränke so nicht funktionieren."

„Aber meine Kollegen haben recht damit."

Die Welt stolperte, stand für einen, zwei, drei Herzschläge lang still und boxte sie direkt in den Magen, als sie sich weiterdrehte. Hermine riss die Augen auf. „Was soll das heißen?", fragte sie atemlos.

Snape zog gleichmütig die Augenbrauen hoch. „Das heißt, dass es keinen Trank gibt, der die Magie Ihrer Tochter absorbieren kann." Und damit sie es auch wirklich begriff, lehnte er sich vor und sagte: „Ich habe nichts dergleichen entwickelt, Miss Granger."