Flicker - Niall Horan

Sobald ich die oberste Treppenstufe erreicht hatte, ging ich ran. Es war Bonnie.

„Hey, du warst heute nicht im Grill. Ich wollte mal hören, wie es dir und deinem Knöchel geht."

„Bestens. Mir geht's bestens." Ich hatte mein Zimmer erreicht, knallte die Tür hinter mir zu und warf mich mit einem Seufzen auf das Bett.

„Woah, meine Hand gefriert gerade an meinem Telefon fest. Was ist los?"

Ich gab nur ein genervtes Stöhnen von mir.

„Aha, ich kann es mir denken. Hat es mit einem gewissen Psychopathen zu tun, unter dessen Dach du gerade wohnst?", vermutete sie.

„Wir haben uns gestritten," knirschte ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich schlug mit der Faust auf mein Kissen ein.

„Okay. Willst du darüber reden?", fragte Bonnie sofort, genau wie jede beste Freundin es tun würde.

„Er macht mich einfach verrückt mit seiner Kontrollsucht. Ich bin alt genug, um eigene Entscheidungen zu treffen. Ich lasse mir nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe. Das kann er vergessen!" Ich schleuderte das Kissen quer durch den Raum. Es flog gegen ein Porträt in einem schweren Holzrahmen an der Wand. Das Bild fiel krachend zu Boden.

„Dann sag es ihm. Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Inzwischen gibt es etwas, das nennt sich Emanzipation. Und im Gegensatz zu seinen früheren Bekanntschaften hast du einen Verstand, den du auch benutzt. Vielleicht hat das Damon einfach noch nicht kapiert."

Ich stieß die Luft aus. „Ja, genau. Und ich habe auch keine Angst vor ihm."

Bonnie lachte. „Richtig so. Zeig's ihm, Sienna!" Sie hörte sich schon wie eine richtige Cheerleaderin an.

Ein leises Klopfen an meiner Tür ließ mich aufblicken. Stefan steckte den Kopf in mein Zimmer.

„Ich muss Schluss machen. Stefan ist hier."

„Schickt er jetzt seinen Bruder vor? Feigling!"

„Nein, ich glaube, es geht um was anderes. Wir sehen uns morgen." Ich legte auf, bevor ich Stefan fragend ansah.

„Ich wollte dir deinen Koffer bringen," sagte er. „Darf ich reinkommen?"

Ich nickte. „Hat Damon dich geschickt?" Bonnies Worte hallten mir noch im Kopf nach. Ich war müde und wollte eigentlich nur noch schlafen. Und am besten die letzten paar Stunden aus meinem Gedächtnis streichen.

Stefan betrat das Zimmer und stellte meinen Koffer vor die Kommode. Dann schob er die Hände in die Hosentaschen und drehte sich zu mir. „Nein, hat er nicht. Ich bin überrascht, dass ihr beide noch am Leben seid. Für einen Moment habe ich befürchtet, dass ihr euch gegenseitig die Kehle rausreißt." Er setzte sich zu mir an den Bettrand, schüttelte mit einem Schmunzeln den Kopf. „Ich meine, ich kenne Damons Wutausbrüche, aber du - verdammt, du stehst ihm in nichts nach. Ihr seid beide eine tickende Zeitbombe, wie es aussieht. Für eine Sekunde hatte ich sogar Mitleid mit ihm." Er grinste.

„Ich war ziemlich gemein zu ihm, oder?" Meine Wut war inzwischen verraucht. Stattdessen bekam ich plötzlich Gewissensbisse.

Stefan zuckte mit den Schultern. „Er wird es überleben."

„Manchmal ist er einfach so ... so ..."

„Unausstehlich?", schlug er vor.

„Ja! Überheblich, besserwisserisch, stur." Ich streckte meine Hände aus, als würde ich ihn schütteln und würgen.

„Ja, ich weiß." Stefan stützte sich auf die Ellenbogen. „Sei nicht so streng mit ihm, Sienna. Er weiß es nicht besser. Nach Katherine bist du die erste Frau, die er überhaupt näher an sich herangelassen hat. Damon fällt es schwer, jemanden zu vertrauen. Ich glaube, tief in seinem Inneren hat er Angst davor, wieder verletzt zu werden. Und deshalb stößt er jeden von sich, der ihm zu nahe kommt. Du kennst das Gefühl, oder?"

Ich nickte. „Ja. Ich weiß, wie er sich fühlt."

„Weil du etwas ähnliches erlebt hast?"

Wieder nickte ich. „Was ist damals passiert? Mit Katherine? Im Archiv bin ich auf das Buch eines gewissen Jonathan Gilbert gestoßen. Darin berichtet er von einem Vorfall von 1864. Die Konföderierten hatten-"

„Das waren nicht die Konföderierten," unterbrach mich Stefan. „Das war der Gründerrat. Und die angeblichen Sympathisanten waren Vampire. Jonathan Gilbert war ein Ratsmitglied. Er hat alles vertuscht."

„Dann waren es Vampire, die in der Kirche verbrannt wurden?" Ich lehnte mich gegen das Kopfteil und wartete darauf, dass Stefan mit der Geschichte fortfuhr.

„Es war meine Schuld," sagte er, nachdem er lange geschwiegen hatte. „Der Gründerrat und mein Vater hatten schon eine Weile Jagd auf die Vampire gemacht. Ich dachte, wenn ich ihm sagte, dass Katherine eine von ihnen war, würde er sie beschützen. Er hatte sie gemocht und er hatte gewusst, wie vernarrt wir in sie waren. Ich war wirklich der Meinung, er würde seine Söhne vor den Gründerrat stellen. Damon hatte mich gewarnt. Ich musste ihm versprechen, kein Wort zu meinem Vater zu sagen. Aber ich war verzweifelt und ich hatte Angst. Ich wollte Katherine beschützen. Also ging ich zu meinem Vater ..."

„Aber er hat dir nicht geholfen?", vermutete ich.

„Nein, er hat meine Liebe zu ihr benutzt, um sie zu fassen. Er hat mir heimlich Eisenkraut gegeben, wohl wissend, dass Katherine mein Blut trinken würde. In unserer letzten gemeinsamen Nacht hat mein Vater zugeschlagen, als sie betäubt vom Eisenkraut war. Die Gründer haben Katherine zusammen mit den anderen Vampiren eingesperrt und zu der alten Kirche gebracht. Damon und ich haben versucht, sie zu befreien, bevor sie ein Opfer der Flammen werden konnte. Wir hatten sie schon aus der Kutsche gezogen, als Damon in den Rücken geschossen wurde. Er war sofort tot. Die nächste Kugel traf mich in die Brust und alles wurde schwarz. Wir sind beide auf dieser Landstraße gestorben, weil wir Katherine retten wollten."

Das musste ich erst mal verdauen. Obwohl es schon so lange her war, spürte ich, dass ihn noch immer Schuldgefühle quälten. Aber er hatte nicht wissen können, dass sein Vater ihn hintergehen würde. Leider war Blut nicht immer dicker als Wasser. „Also hat euch der Gründerrat erschossen. Die Konföderierten hatten gar nichts damit zu tun. Jonathan Gilbert hat eine Lüge verfasst."

„Es war mein Vater. Weil wir Schande über seine Familie gebracht hatten. Hinterher ließ er es von Jonathan vertuschen."

„Oh," machte ich überrascht. Die Geschichte bekam immer schlimmere Wendungen. Kein Wunder, dass Damon niemanden vertraute. Vom eigenen Vater verraten und getötet, von Stefan hintergangen, wenn auch in guter Absicht. „Das tut mir leid."

Stefan schüttelte den Kopf. „Mein Vater war ein Tyrann, ein sturer, engstirniger Sadist, der uns alle jahrelang gequält hat. Ich hätte auf Damon hören sollen. Ich hätte ihm nicht von Katherine erzählen dürfen. Diesen Fehler hat mir Damon nie verziehen."

Ich lehnte mich zu ihm und nahm seine Hand. „Du hattest deine Gründe, warum du es getan hast. Du hast deinem Vater vertraut. Woher hättest du wissen sollen, dass ihm sein Ansehen wichtiger ist als seine Söhne? Du hast es für das Richtige gehalten. Es war nicht deine Schuld, es war die Schuld deines Vaters." Ich drückte seine Hand. „Was ist dann passiert? Katherine ist am Leben, sie kann also nicht in der Kirche gewesen sein."

„Doch, sie war in der Kirche, zusammen mit den anderen sechsundzwanzig Vampiren. Emily Bennett war ihre Zofe. Sie war schon damals eine mächtige Hexe und sie schuldete Katherine noch einen Gefallen. Mit ihrer Hilfe konnten sie dem Feuer entkommen. Stattdessen sperrte Emily sie in die Gruft, wo sie hundertfünfzig Jahre lang vor sich hinvegetierten, bis Damon sie mit Hilfe von Bonnie und ihrer Großmutter wieder geöffnet hat. Aber Katherine war nie in der Gruft gewesen. Sie hat irgendeinen Deal mit George Lockwood ausgehandelt, damit er ihr zur Flucht verhilft. All die Jahre hat Damon versucht, sie zu befreien, dabei lebte sie fröhlich und munter ihr Leben - ohne ihn. Sie hat ihm nie die Wahrheit gesagt, weil sie ihn nie geliebt hat. Sie wollte nicht, dass er sie fand. Das hat ihn zerstört."

Jetzt verstand ich, warum er sie so sehr hasste. Warum er sie töten wollte. Liebe, die sich in Hass verwandelt hatte, war wie ein Fegefeuer, das jegliche Gefühle verschlang, bis nur noch Rache übrig blieb. Wer wusste das besser als ich? Ich hatte Luca geliebt. Dann hatte er mich verraten und ich hatte ihn nur noch gehasst. Und am Ende getötet. Die Wunden, die die Liebe zufügen konnte, waren schlimmer als jede Folter. Genau dieser Schmerz war es, der uns verband. Die Qual, die ich in seinen Augen gesehen hatte, und die meiner glich, war sein gebrochenes Herz gewesen.

„Was wurde aus euch? Wie habt ihr euch verwandelt?", fragte ich. Ich wollte nicht länger über dieses selbstsüchtige Miststück sprechen. Und Stefan wohl auch nicht.

„Wir hatten beide Katherines Blut getrunken, bevor man uns erschossen hat. Mich hatte sie manipuliert, aber Damon wollte es. Er war fasziniert, er wollte ein Vampir werden, damit er ewig mit ihr zusammen sein konnte. Ich erwachte im alten Steinbruch und war bereits dabei, mich zu verwandeln. Emily hatte uns in Sicherheit gebracht. Sie war es auch, die unsere Ringe gefertigt hat. Um die Verwandlung komplett zu vollziehen, mussten wir Menschenblut trinken. Damon war am Boden zerstört. Er dachte, Katherine wäre tot. Er weigerte sich, die Verwandlung zu vollenden. Er wollte lieber sterben. Und ich wollte nicht ohne ihn weiterleben. Also beschloss ich, ebenfalls zu sterben. Aber vorher wollte ich meinen Vater zur Rede stellen. Ich ging zu ihm, es kam zum Kampf. Ich habe meine Kräfte unterschätzt und ihn getötet. Als ich das Blut sah, verlor ich die Kontrolle. Es war purer Instinkt, purer Überlebenswille. Ich konnte mich nicht beherrschen. Und so wurde ich zum Vampir."

„Und Damon?"

„Ich habe ihn überredet, indem ich ihm ein Dienstmädchen, das ich manipuliert hatte, vor die Nase hielt. Ich sagte ihm, wie großartig ich mich fühlte. Alles war viel intensiver, meine Gefühle, meine Wahrnehmung. Ich war stärker, schneller, meine Sinne schärfer. Was ich ihm nicht sagte, war der unerträgliche Hunger, der nie aufhört. Ich handelte aus reinem Egoismus. Ich wollte ihn nicht verlieren. Ich brauchte meine großen Bruder. Damals war ich der festen Überzeugung, dass wir beide es zusammen schaffen konnten. Ich habe Damon zum Vampir gemacht, nicht Katherine. Er war ihr egal. Wahrscheinlich wäre sie sogar froh gewesen, wenn er gestorben wäre. Sie hatte nie vorgehabt, ihn zu verwandeln. Das habe ich getan. Ich weiß nicht, warum er mir gefolgt ist. Irgendwie habe ich immer noch die leise Hoffnung, dass er es getan hat, weil er mich ebenfalls nicht verlieren wollte. Weil ich ihm etwas bedeute. Auch wenn er behauptet, dass er es nur getan hat, um mir mein Leben auf alle Ewigkeit zur Hölle zu machen."

Ich zog die Beine an, schlang meine Arme um die Knie und legte meinen Kopf darauf. „Das ist eine schreckliche Geschichte," meinte ich niedergeschlagen. „Katherine hat euch beide benutzt und gegeneinander ausgespielt. Sie wollte einen Keil zwischen euch treiben. Und es ist ihr auch gelungen."

Stefan erhob sich von meinem Bett. „Ja, aber irgendwann wird sie wieder aus unserem Leben verschwunden sein – egal wie. Vielleicht können wir dann anfangen, ein normales Leben zu führen."

„Nach so langer Zeit hättet ihr es verdient."

Er nickte. „Jetzt kennst du die ganze Geschichte. Vielleicht kannst du jetzt besser verstehen, warum Damon so ist wie er ist. Ich glaube, dieser Kontrollzwang ist seine Art dir zu sagen, dass du ihm wichtig bist. Wenn du ihm egal wärst, dann hätte er dich längst umgebracht."

Ich stieß ein bitteres Lachen aus. „Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit."

Stefan ging zur Tür. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um, ein kleines Grinsen umspielte seinen Mund. „Schlaf jetzt. Wir können morgen weiterreden."

„Stefan?"

Er sah über seine Schulter. „Hm?"

„Danke, dass du es mir erzählt hast. Ich verspreche dir, ich werde euer Geheimnis für mich behalten."

Er schenkte mir ein Lächeln, bevor er die Tür hinter sich schloss.

Mit einem Seufzen ließ ich mich zurück in die Kissen fallen. Ich starrte an die Decke. Das war das erste Mal, das ich die Lebensgeschichte eines Vampirs gehört hatte. Ein bisschen fühlte ich mich wie bei „Interview mit einem Vampir", aber es hatte mir zu denken gegeben. Ich hatte sie mir immer als gesichtslose, seelenlose Monster vorgestellt. So wie es mir mein Vater jahrelang eingetrichtert hatte. Doch das waren sie nicht. In ihnen steckte noch immer etwas Menschlichkeit. Und ob ich es wollte oder nicht, manche waren mir ähnlicher, als mir lieb war. Mit diesem Gedanken schloss ich die Augen und war gleich darauf eingeschlafen.