Lokalisierungszauber
How to Save a Life – The Fray
Fünfzehn Minuten später parkte Caroline ihren Wagen in der Auffahrt der Salvatore Villa. Bonnie wartete bereits auf der Treppe vor dem Eingang. Scheinbar hatte sie keine große Lust darauf gehabt, mit Damon alleine in seinem Haus zu sein. Caroline stieg aus und ging zu ihrer Freundin. Jedes Mal, wenn sie die Villa betrat, lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken. Dabei wohnte Stefan auch hier und er war einer ihrer engsten Freunde. Und sie wusste, dass Elena bereits öfter hier bei ihm übernachtet hatte. Sie schien keine Probleme mit der düsteren Atmosphäre zu haben.
„Hey," begrüßte sie Bonnie.
„Hey, gibt's was neues?"
„Die anderen haben sich aufgeteilt und suchen in der Stadt nach Sienna. Matt und Jeremy sind zur Schule gefahren und schauen sich dort mal um. Sobald sie etwas gefunden haben, melden sie sich. Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass..."
Die Tür wurde aufgerissen und unterbrach Carolines Predigt, bevor sie richtig beginnen konnte.
Damon stand vor ihnen, einen finsteren Ausdruck im Gesicht. „Los! Rein mit euch!" Caroline konnte nicht einmal den Mund öffnen, da hatte er sie auch schon gepackt und ins Haus gezerrt. Bonnie hing an seinem anderen Arm. Gemeinsam stolperten sie über die Schwelle. Bonnie murmelte etwas vor sich hin. Sekunden später ließ Damon mit einem Keuchen ihren Arm los und zog seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.
„Mitkommen."
Caroline wusste ja, dass es um seine Manieren nicht gut bestellt war, aber das war lächerlich.
„Schön, dich zu sehen, Damon," fauchte sie.
„Erspart mir den Smalltalk. Wir dürfen keine Zeit verlieren." Er brachte sie erst gar nicht ins Wohnzimmer, sondern wies auf die beiden Sofas in der Eingangshalle. Caroline hatte nichts dagegen. Sie würde hier nur solange bleiben, wie nötig war. Keine Sekunde länger.
„Hey, ich mach das nur für Sienna, klar?", sagte Bonnie grimmig.
„Schon klar, aber fang endlich an!"
Bonnie setzte sich auf das Sofa und räumte den Tisch vor ihr frei. Caroline nahm den Platz gegenüber von ihr ein. Eine knappe Handbewegung und Bonnie hatte die Kerzen auf dem Tisch entzündet.
„Wir brauchen eine Karte von Mystic Falls und etwas persönliches von Sienna," wandte sie sich an Damon, der mit verschränkten Armen hinter ihr stand.
Er nickte und war schon verschwunden.
Bonnie fuhr sich durch die Haare. „Gott, ich kann nicht glauben, was ich hier mache."
„Ja, ich weiß, aber denk immer daran. Du machst das nicht für ihn. Ignorier ihn einfach."
„Das sagt sich so leicht."
„Findest du die Tatsache, dass Damon etwas persönliches von Sienna hat, nicht auch gruselig?", überlegte Caroline.
„Na ja, er hat sie doch hierher gebracht, nachdem sie sich den Knöchel verstaucht hatte. Könnte doch sein, dass sie etwas vergessen hat. Oder meinst du, da läuft was zwischen den beiden?"
„Na, irgendwas scheint sie an ihm zu finden..."
In diesem Moment kehrte Damon zu ihnen zurück. Er breitete einen Stadtplan von Mystic Falls auf dem Tisch aus und legte dann ein weißes T-Shirt vor Bonnie. „Wird das genügen?"
Bonnie nickte und nahm das T-Shirt in die Hände.
„Du hast ein T-Shirt von Sienna?" Caroline konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen. Sie musste ja selbst zugeben, dass er wirklich gut aussah – diese blauen Augen waren nicht zu verachten und er hatte einen süßen Hintern – aber die äußere Hülle konnte sie längst nicht mehr über das schwarze Innere hinwegtäuschen. Er hatte Vicky umgebracht, er hatte sich an die Freundin seines Bruders herangemacht, und er hatte jedem ihrer Freunde mindestens einmal angedroht, ihn umzubringen. Er war kein netter Mensch und würde es vermutlich nie sein. Deshalb konnte er auch noch so gut aussehen, es würde seine kaputte Seele nie wieder gut machen.
Bonnie setzte an, um die Worte zu sprechen, die den Lokalisierungszauber auslösen würden, als ihr Handy klingelte.
Damon stöhnte laut und verdrehte genervt die Augen. „Geh nicht ran," befahl er, aber Bonnie hatte bereits nach ihrem Telefon gegriffen.
„Es ist Jeremy."
„Kann Klein-Gilbert nicht mal fünf Minuten ohne Babysitter auskommen?", beschwerte sich Damon.
„Vielleicht hat er Informationen über Sienna."
„Dann geh schon ran!"
Bonnie schüttelte entrüstet den Kopf. Ignorieren war leichter gesagt als getan, wenn er ihr derart auf die Nerven ging, dachte sie. Sie nahm ab. „Hey, Jeremy, was gibt's?"
Caroline beobachtete ihre Freundin, wie sie mit Jeremy telefonierte. Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten. Sie hoffte, dass Elenas Bruder herausgefunden hatte, wo Sienna steckte. Dann könnten sie endlich hier verschwinden. Damon war kurz davor, wieder auszurasten, und sie hatte keine Lust, dabei zu sein, wenn er die Kontrolle verlor. Er tigerte unruhig in der Empfangshalle hin und her und ließ sie nicht aus den Augen. Sie konnte ihm ansehen, dass er sich nur noch schwer beherrschen konnte. Seine Schultern waren angespannt, sein Bizeps wölbte sich unter seinem schwarzen T-Shirt und mit jeder Minute wurde sein Blick tödlicher. Er machte sich wirklich Sorgen um Sienna. Das war eine neue Seite an ihm. Eine, die Caroline nicht kalt ließ.
„Hey, wir werden sie schon finden," sagte sie sanft und machte einen Schritt auf ihn zu. Sein Kopf fuhr herum. Er warf ihr einen eisigen Blick zu. „Dann fangt endlich an! Ich schwöre, ich reiße euch jedes Haar einzeln aus, wenn ihr sie nicht findet!" Er setzte seine Wanderung fort.
Bonnie hatte inzwischen aufgelegt. „Jeremy hat gesagt, dass einer seiner Klassenkameraden sie vor dem Coffeeshop gesehen hat. Mit Elena."
Caroline und Bonnie tauschten einen ungläubigen Blick. „Aber das kann nicht sein. Elena war die ganze Zeit bei Stefan. Sie haben zusammen gelernt. Bei ihr zuhause. Da bin ich mir ganz sicher."
„Jeremy sagt, es wäre Elena gewesen. Die beiden sind die Straße hinunter gelaufen und um die nächste Ecke ver..."
Ein Glas zerbrach klirrend an der Wand über dem Kamin. „Katherine." Damons Stimme war so voller Hass und Mordlust, dass Caroline eine Gänsehaut bekam.
Caroline drehte sich langsam zu ihm um. Er war noch blasser als sonst. Seine Augen funkelten gefährlich.
„Wer ist Katherine?",hakte sie nach, obwohl sie es besser wissen sollte.
Damon gab ihr keine Antwort, sondern stürzte sich auf Bonnie. „Mach weiter! Wir müssen sie finden! So schnell wie möglich!"
„Damon! Lass mich sofort los!"
Irgendwo in seinem von Wut getrübten Verstand schien er zu wissen, dass ihm Bonnie ernsthaft Schaden zufügen konnte, wenn sie wollte, und ließ sie los. „Bitte, Bonnie, wenn Katherine sie hat, dann dürfen wir keine Zeit mehr verlieren." Die Worte kosteten ihm sichtlich Überwindung. Es schien ihm all seine Willenskraft abzuverlangen, sich zusammenzureißen.
Bonnie konzentrierte sich wieder auf den Zauber. Sie verteilte ein schwarzes Pulver auf dem Stadtplan, nahm Siennas T-Shirt in die Hand und murmelte Worte in einer fremden Sprache. Wie von Geisterhand bewegte sich das Pulver über der Karte, formte sich zu einer Linie, die über die Karte wanderte, und sammelte sich schließlich an einem Punkt.
„Hier. Das ist nur ein paar Blocks vom Coffeeshop entfernt. Das ist ihr letzter Aufenthaltsort."
Damon war blitzschnell aufgesprungen und schon halb zur Tür hinaus.
„Halt! Warte! Damon! Wir kommen mit!", schrie ihm Caroline hinterher.
Im Türrahmen blieb er stehen, drehte sich aber nicht um.
„Tut ihr nicht."
„Oh doch! Du glaubst doch nicht, dass ich untätig dabei zusehe, wie du die halbe Stadt umbringst, nur weil du dich nicht unter Kontrolle hast. Entweder wir kommen mit oder ich rufe Stefan an und sag ihm, er soll dich wieder in den Keller sperren, bis du dich beruhigt hast." Caroline verschränkte die Arme vor die Brust und funkelte ihn herausfordernd an. Es war keine gute Idee, sich in seiner momentanen Verfassung mit ihm anzulegen, aber sie würde ihn auf keinen Fall alleine auf die Stadt loslassen. Auch wenn Damon schon weniger als Grund gereicht hatte, um jemanden die Kehle herauszureißen.
Er warf ihr einen vernichtenden Blick aus zusammengekniffenen Augen zu, bevor er die Treppe hinunter sprang und zu seinem Wagen lief.
„Kommst du?", rief Caroline zu Bonnie, dicht auf seinen Fersen.
„Was machst du? Hast du den Verstand verloren?"
Dennoch folgte ihr Bonnie.
„Stefan wird es mir nie verzeihen, wenn ich zulasse, dass sein Bruder Amok läuft und die ganze Stadt in Schutt und Asche legt. Wir dürfen ihn jetzt nicht alleine lassen. Und wir können vielleicht deine Hexenkräfte gebrauchen."
Bonnie seufzte. „Dafür bist mir was schuldig, Caroline Forbes! Jede Menge sogar!"
