Kostbares Blut
In My blood – Shawn Mendes
Hämmernde Kopfschmerzen ließen mich mit einem Ruck aufwachen. Noch ziemlich benommen schlug ich die Augen auf und versuchte, meine Umgebung scharf zu stellen. Den Ort, an dem ich mich befand, hatte ich noch nie gesehen. Ich blinzelte ein paar Mal, ignorierte den Schmerz hinter meiner Stirn und sah mich um. Ich durfte meinen Kopf nicht zu schnell bewegen, sonst fing sofort alles an, sich zu drehen. Und ich fühlte mich schwach, so schwach. Zu blinzeln war ein richtiger Kraftakt, zu atmen war fast unmöglich. Ich befand mich in einem großen, leer stehenden Raum. Die wenigen Möbel an den Wänden waren mit weißen Tüchern verhangen. Der Parkettboden zu meinen Füßen war stumpf und mit Staub bedeckt. Die Vorhänge an den bodenlosen Fenstern waren geschlossen und ließen nur wenig Licht durch. Ich konnte nicht sagen, welche Tageszeit wir hatten. Anhand der Stuckdecken und der vertäfelten Wände konnte ich erkennen, dass der Raum zu einem historischen Gebäude gehören musste, vielleicht einer dieser Südstaaten-Villen. Langsam kehrte die Erinnerung zurück. An die beiden Typen, die mich in der Seitengasse gepackt und niedergeschlagen hatten. An Elena, die tatenlos zugesehen hatte. Was zum Teufel ging hier vor sich?
Eine neue Welle des Schwindels erfasste mich und ich musste kurz die Augen schließen. Egal, wie ich hierher gekommen war und wo auch immer ich war, ich musste sofort hier weg. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich keine Zeit mehr verlieren sollte. Ich brauchte einen Moment, um meine Gedanken zu sortieren. Dann befahl ich meinen Beinen, aufzustehen. Sie gehorchten mir nicht. Vorsichtig senkte ich den Kopf. Alles drehte sich. Ich musste mehrere Sekunden warten, bis sich alles beruhigte. Okay, ich saß auf einem antiken Holzstuhl, der nicht besonders bequem war. Meine Knöchel waren an die Stuhlbeine gefesselt. Aha, also deshalb funktionierte das Aufstehen nicht. Als mein Blick nach oben wanderte, erkannte ich, dass meine Handgelenke ebenfalls an die beiden Lehnen gefesselt waren. Von jedem meiner Arme gingen zwei dünne Schläuche mit einer roten Flüssigkeit ab. Mein Verstand arbeitete inzwischen so langsam, dass ich zunächst nicht kapierte, dass es mein Blut war, das stetig in die beiden Plastikbeutel am Stuhl tropfte. Was zum Teufel-? Verdammt, ich war müde, so müde ... Halbherzig zerrte ich an den Fesseln. Sie gaben nicht nach. Ich hatte auch keine Kraft mehr, es noch einmal zu versuchen.
„Ah, unser Dornröschen ist aufgewacht," sagte eine Stimme hinter mir. Ich zuckte erschrocken zusammen und wollte den Kopf drehen, aber es war zu anstrengend. Stattdessen ließ ich ihn einfach hängen.
Jemand umfasste grob mein Kinn und hob meinen Kopf an. Spitze Fingernägel gruben sich in meine Haut. „Es wird nicht mehr lange dauern," meinte eine Stimme, die mir vage bekannt vorkam.
Ich zwang mich, die Augen zu öffnen. Vor mir konnte ich verschwommen das Gesicht einer jungen dunkelhaarigen Frau erkennen.
„Elena?", stieß ich angestrengt hervor. Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Warum tust du das?"
„Du denkst, ich wäre Elena? Wie süß." Jemand verpasste mir eine schallende Ohrfeige. Ich spürte sie kaum. Mein Körper fühlte sich an, als würde ich unter Wasser dahintreiben. Schwerelos und träge.
Ich kniff die Augen zusammen, um die Person vor mir besser zu erkennen. „Aber du siehst aus wie sie..."
Noch eine Ohrfeige. „Ich bin nicht Elena, du dummes Ding, ich bin-"
„Katherine." Scheinbar hatte mein Verstand gerade einen klaren Moment. Es musste Katherine sein, auch wenn ich nicht verstand, warum sie wie Elena aussah.
Sie drehte mein Gesicht hin und her, musterte mich. „Das wusstest du nicht, oder? Hat es dir der liebeskranke Idiot nicht gesagt? Das tut mir leid. Er hat dich direkt in die Falle laufen lassen." Sie lachte höhnisch.
„Liebeskranke Idiot?", wiederholte ich verwirrt.
„Damon. Ich wette, er ist gerade dabei, die Stadt niederzubrennen, auf der Suche nach dir. Wie dumm, dass er nicht rechtzeitig hier sein wird." Sie kniete sich vor mich – Gott, sie sah wirklich aus wie Elena – und kontrollierte die prallen Beutel. „Nur noch ein klein bisschen mehr, das sollte reichen."
„Was hast du vor?", fragte ich.
„Du weißt es nicht?" Sie beugte sich über mich, starrte mir in die Augen. „Nein, du weißt es wirklich nicht." Und dann brach sie wieder in Gelächter aus.
Die Wut ließ mich meine letzten Kraftreserven aktivieren. „Was weiß ich nicht? Warum tötest du mich nicht einfach?"
Sie lachte noch immer. „Tot nützt du mir nichts, Schätzchen. Ich brauche nur dein Blut. Wenn du dabei drauf gehst, dann ist das nicht meine Schuld." Sie richtete sich auf, verschwand aus meinem Sichtfeld. „Wechselt die Beutel. Einen halben Liter bekommen wir noch locker aus ihr raus," befahl sie ihren Handlangern, die sich irgendwo im Raum befinden mussten. „Richte Damon meinen Gruß aus, falls du noch am Leben bist, wenn er dich findet." Sie schlug mich ins Gesicht. Dann hörte ich, wie ihre Schritte auf dem Parkett verstummten. „Passt auf, dass sie nicht stirbt, bevor wir alles von ihrem Blut haben. Und tötet jeden, der diesen Raum betritt."
„Katherine!" Ich wollte schreien, aber meine Stimme war inzwischen nicht mehr als ein heiseres Flüstern. Mit jeder Sekunde und jedem Tropfen Blut, der in die Beutel sickerte, schwand meine Lebensenergie. In meinen Ohren rauschte es und vor meinen Augen tanzten schwarze Flecken, die ständig größer wurden. Ich spürte, wie mein Herz mühsam gegen meinen Brustkorb schlug, während es das letzte Bisschen Blut durch meinen Körper pumpte. Meine Lungen dehnten sich qualvoll auf der Suche nach Sauerstoff. Ich wusste, ich musste wach bleiben. Wenn ich der Müdigkeit nachgab, dann wachte ich nie mehr auf. Damon würde bestimmte gleich hier sein. Er würde mich retten. Ich musste nur noch ein paar Minuten durchhalten. Nur noch ein paar Minuten ...
