Ritt auf der Rasierklinge

Running Up that Hill – Placebo

Caroline hatte angenommen, dieser Tag könnte nicht schlimmer werden. Aber es kam schlimmer, sehr viel schlimmer sogar. Wenn ihr heute Morgen jemand gesagt hätte, dass sie später auf dem Beifahrersitz neben Damon Salvatore in dessen Wagen sitzen und um ihr Leben bangen würde, hätte sie denjenigen für verrückt erklärt. Aber genau das war eingetreten. Noch schlimmer konnte es nicht kommen. Bestimmt nicht. Sie klammerte sich an ihrem Sitz fest, während Damon den Wagen über die Straße jagte, sodass der Motor aufheulte und sie in ihren Sitz gepresst wurde. Seit sie losgefahren waren, hatte er kein Wort mehr gesagt, nur mit versteinerter Miene und grimmigen Blick das Lenkrad umklammert.

„Damon! Bitte fahr langsamer! Du wirst uns noch alle umbringen!", rief sie ängstlich, als der Wagen sich in die Kurve legte und dem Straßengraben gefährlich nahekam.

„Mich wird es nicht umbringen, wenn ich gegen einen Baum fahre. Euch dagegen schon. Das hättet ihr euch überlegen müssen, bevor ihr in meinen Wagen eingestiegen seid."

„Aber es wird dich Zeit kosten. Zeit, die wir laut deiner Aussage nicht haben."

Das Argument schien zu ihm durchzudringen, denn er trat tatsächlich auf die Bremse. „Wenn sie Sienna etwas angetan hat, dann reiße ich ihr den Kopf ab und vergrabe ihn im tiefsten Loch, das ich finden kann!" Er schlug mit der Faust auf das Lenkrad.

„Damon, wer ist Katherine?", versuchte Caroline erneut zu ihm durchzudringen.

„Das braucht euch nicht zu interessieren, denn sie wird diese Nacht nicht überleben."

Nach einer halsbrecherischen Fahrt parkte Damon seinen Wagen mitten auf der Straße vor dem Coffeeshop. Er sprang aus dem Auto, knallte die Tür zu und rannte die Straße entlang zu der Gasse, die ihnen der Lokalisierungszauber genannt hatte. Bonnie und Caroline hatten Mühe, ihm zu folgen. Dank seiner Vampirkräfte war er nicht nur viel stärker, sondern auch viel schneller. Als sie endlich in der Gasse ankamen, kniete er auf dem Boden und suchte nach Spuren.

Nachdem Caroline sich überwinden konnte, an den stinkenden Mülltonnen vorbeizugehen, und ihn erreicht hatte, konnte sie den dunklen Fleck auf dem Asphalt ebenfalls erkennen.

„Ist das...?"

Damon nickte. „Das ist Blut."

„Oh mein Gott!" Caroline schlug die Hand vor den Mund. „Sienna!"

„Es muss ihr Blut sein, sonst hätte uns der Lokalisierungszauber nicht hierher geführt," meinte Bonnie nachdenklich.

„Sie ist doch nicht...?"

„Halt die Klappe, Blondie!", fuhr Damon sie an. „Das ist zu wenig Blut, um deswegen zu sterben. Sie haben sie mitgenommen und an einen anderen Ort geschafft. Verdammt!" Er drehte sich im Kreis, fluchte vor sich hin. Caroline spürte eine kalte Hand, die ihr Herz packte. Wenn Damon Schuld daran war, dass Sienna jetzt in Gefahr war, weil eines seiner Flittchen durchgedreht war und auf Glen Close machte, dann...

Das würde sie ihm nie verzeihen.

Plötzlich blieb Damon stehen, starrte die Metalltür zu seiner Linken an. Sekunden später hatte er das Vorhängeschloss aufgebrochen und die Tür aufgetreten. Caroline beeilte sich, ihm ins Innere zu folgen. Sie fand sich in einem dunklen Gang wieder. An dessen Ende konnte sie einen ebenso schummrigen Raum erkennen. Es war das Innere einer heruntergekommenen Bar. Zu ihrer Rechten befand sich eine lange Bar, hinter der sich Gläser und Alkoholflaschen stapelten. Überall verteilt standen Holztische und Stühle herum, die genau wie die Bar schon bessere Zeiten erlebt hatten. Das einzige Licht kam von einer einzelnen Glühbirne an der Decke. Die Ecken des Raumes lagen im Dunkeln. Caroline konnte nicht sagen, wie viele Menschen noch mit ihr im Raum waren. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre wieder rückwärts raus gelaufen. Aber sie hatte sich geschworen auf Damon aufzupassen und deshalb würde sie über ihren Schatten springen und hierbleiben. Bonnie keuchte hinter ihr. „Igitt, was für eine Absteige," murmelte sie. „Wo ist Damon?"

Sie mussten ihn nicht lange suchen. Er stürzte sich gerade auf einen dunkel gekleideten Mann an der Bar, packte ihn an der Kehle und hob ihn hoch. Als wäre er nur eine Marionette schleuderte er ihn gegen die nächste Wand. Der Mann sackte leblos zu Boden. Damon zerrte ihn wieder auf die Füße, schob einen Stuhl zu sich und warf den Fremden darauf. Dann hob er einen Stuhl hoch, brach ein Bein ab und beugte sich wieder über sein Opfer.

„Also, wir können es auf die harte Tour machen oder auf die sanfte. Deine Entscheidung. Ich habe nichts besonderes vor heute. Du sagst mir jetzt, wo Katherine ist oder ich ramme dir diesen Holzpfahl zwischen die Rippen. Das wird dich zwar nicht töten, aber es wird verdammt weh tun!"

Der Mann fauchte und bleckte die Zähne.

Damon holte aus und rammte ihm, ohne zu zögern, das Holzbein in den Bauch. Der Mann schrie schmerzerfüllt auf.

„Damon! Hör auf!", schrie Caroline entsetzt.

„Halt dich da raus, Blondie!" Er stieß den Pfahl noch ein Stück tiefer. Wieder jaulte der Mann vor Schmerz. „Wo ist das Mädchen? Rede endlich!"

„Du bringst ihn noch um! Hör auf! Hör sofort auf!" Caroline lief zu ihm und wollte den Pfahl aus dem Mann herausziehen. Damon stieß sie grob zur Seite.

„Verflucht! Das ist ein Vampir, Caroline! Der Pfahl wird ihn nicht töten, solange er nicht in seinem Herzen steckt. Und jetzt verschwinde!"

Caroline stolperte vor Schreck rückwärts. Erst jetzt konnte sie die altmodische Kleidung und die langen Eckzähne des Mannes erkennen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Fassungslos sah sie zu, wie sich Damon über den Mann beugte, und seine Faust in dessen Brustkorb stieß. Der Mann brüllte vor Schmerz.

„Wo. Ist. Das. Mädchen?" Damon drehte seine Faust zwischen den Rippen und die Schreie wurden ohrenbetäubend. „Ich werde das den ganzen Tag machen, wenn du nicht redest."

„Ich weiß es nicht," stieß der Mann zwischen den Schreien hervor. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Blut tropfte über Damons Arm auf den Boden.

Bonnie stand plötzlich neben ihr und flüsterte vor sich hin. Plötzlich schrie Damon auf, krümmte sich und fasste sich mit der freien Hand an den Kopf. Jetzt schien er Schmerzen zu haben.

„Nicht, Bonnie. Lass ihn," hörte sich Caroline sagen. „Wir müssen wissen, wo Sienna ist." Sie konnte nicht fassen, was sie gerade tat. Sie verteidigte Damon, half ihm sogar dabei, einen völlig Fremden zu foltern.

Bonnie ließ die Hände sinken.

Damon richtete sich wieder auf, bohrte seine Faust noch tiefer. „Los, rede. Wo ist Katherine?"

Der Mann brüllte wieder, bäumte sich auf und sackte auf den Stuhl zurück. Inzwischen hatte sich eine große Blutlache zu seinen Füßen gebildet.

„Das leerstehende Haus am Walnut Drive." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Zufrieden richtete sich Damon wieder auf. Der Mann fiel in sich zusammen. Caroline hatte das Gefühl, sie müsste sich gleich übergeben, als sie das blutige Herz in Damons Hand erblickte. Sie begann zu würgen und hielt sich hastig die Hand vor den Mund. Damon warf das Herz achtlos zur Seite.

Ohne noch einen einzigen Blick auf den toten Vampir zu werfen, verließ er die Bar.

Bonnie legte Caroline, die noch immer ganz grün im Gesicht war, die Hand auf die Schulter. „Alles in Ordnung?", sorgte sie sich.

Caroline nickte. Sie schluckte den sauren Geschmack in ihrem Mund hastig runter. „Ja, es geht schon wieder. Komm, wir dürfen ihn nicht verlieren."

Hand in Hand beeilten sie sich, aus der düsteren Bar zu kommen. Auf der Straße hatten sie Damon eingeholt.

„Hey! Was ist los mit dir? Du hast ihn umgebracht!", schrie ihm Caroline hinterher.

Damon warf nur einen kurzen Blick über seine Schulter. „Geht es vielleicht noch etwas lauter?"

Als sie ihn eingeholt hatte, packte sie ihn an der Schulter und drehte ihn zu sich herum. „Du hast ihm einfach das Herz rausgerissen!"

„Spoileralarm, Blondie." Er schüttelte ihren Arm ab, setzte seinen Weg fort. „Er war schon tot."

„Du bist ein Monster, Damon!"

Er blieb wie angewurzelt stehen, machte auf dem Absatz kehrt und kam zu ihr zurück. Dicht vor ihr blieb er stehen, beugte sich zu ihr und fixierte sie mit leblosen Augen. „Ja, Caroline, und dieses Monster hat das bekommen, was wir wollten."

„Du hättest ihn nicht töten müssen."

„Er war ein gottverdammter Vampir. Jetzt tu nicht so, als hättest du Mitleid mit ihm. Er war so oder so tot. Wenn sie keine Verwendung mehr für ihn hat, hätte Katherine ihn sowieso umgebracht. Also heb dir deine Predigt für jemand anderen auf." Er stieß mit seinem Zeigefinger gegen ihre Brust. „Und jetzt geh mir nicht länger auf die Nerven! Wenn du ein Problem mit meinen Methoden hast, dann geh mir aus dem Weg!" Damit ließ er sie stehen und ging zu seinem Wagen.

Caroline stieß die Luft aus, die sie unbemerkt angehalten hatte. Für eine Sekunde hatte sie geglaubt, er würde ihr etwas antun.

Bonnie warf ihr einen mitleidigen Blick zu. „Was hast du erwartet?", meinte sie und zuckte mit den Schultern.

Beim Wagen angekommen, sagte Caroline, die noch nicht aufgeben wollte: „Ich werden jetzt Stefan und meine Mum anrufen. Sie werden wissen, was zu tun ist." Sie zog ihr Telefon aus der Tasche. Einen Wimpernschlag später stand Damon neben ihr, riss ihr das Telefon aus der Hand und schleuderte es quer über die Straße.

„Einen Scheiß wirst du!", fuhr er sie an.

„Damon!", rief Bonnie entsetzt. Sie starrte auf das Telefon, das in sämtliche Einzelteile zerlegt auf der Straße lag.

„Das ist eine Angelegenheit zwischen Katherine und mir!"

Caroline schwieg. So schnell sie konnte, kletterte sie auf den Beifahrersitz, bevor Damon sie womöglich am Straßenrand stehen ließ. Bonnie verdrehte die Augen, doch dann stieg sie ebenfalls ein. Vielleicht war es besser, wenn Ihre Mum nicht erfuhr, in was Damon sie hineingezogen hatte. Als Sheriff gefiel es ihr bestimmt nicht, wenn ihre Tochter bei der Beihilfe zum Mord erwischt wurde. Caroline seufzte. Das war definitiv der schlimmste Tag ihres Lebens.