Kapitel 31 – Die richtige Energie

Touched.
You say that I am, too.
So much
of what you say is true.

(Vast - Touched)

Michael Peter Dashwood

- geb. 11.03.71, gest. 03.07.09
- Eltern Charlene (62) und Richard (gest. 1997)
- Geschwister Penny (jünger), Owen (älter)
- Freundin Marcy James, garantiert jünger als er
- Beruf Busfahrer
- geschieden, 17jährige Tochter Naomi
- spielt Gitarre, tritt gelegentlich mit Coversongs auf, veröffentlicht Aufnahmen davon auf YouTube (klingt gut)
- arbeitet ehrenamtlich im Hospiz St. Johns
- liebt thailändisches Essen, war auch schon mehrmals in Thailand
- verreist generell gern und viel
- notorischer Falschparker (seine Meldungen über das neuste Ticket sind ein Running Gag in seinem LiveJournal und so beliebt, dass tatsächlich schon Leser sie für ihn bezahlt haben)
- Labour-Wähler
- hat mehr Facebook-Freunde als ein normaler Mensch realistisch kennen kann
- feiert gern
- postet auch die unangemessenen Bilder
- bevorzugt die grünen Gummibärchen (was ihm wichtig genug für einen komplette LiveJournal-Eintrag war)
- hasst abwaschen, bügelt aber gern
- hat Höhenangst
- betritt nicht mal den Balkon seiner Wohnung im zweiten Stock

Es gibt noch mehr Details über ihn online, vor allem in seinem LiveJournal steht eine Menge. Er nennt sich überall MiPeDa oder MiPeDa71, falls du noch selbst recherchieren willst. Ansonsten melde dich einfach.

Dad


Es war halb neun, als Snape vor ihrer Tür stand. „Beginnt der Unterricht nicht schon um acht?", fragte sie anstelle einer Begrüßung.

„Sind Sie etwa zu früh aufgestanden, Miss Granger?" Er schnalzte mit der Zunge. „Betrachten Sie es als Nachsitzen, Sie haben es verdient."

Sie verdrehte die Augen, während sie zur Seite trat und ihn hereinließ. Heute trug er einen Umhang über dem Hemd und der Hose und der Saum streifte ihre Beine, als er an ihr vorbeiging. Hermine schloss die Tür hinter ihm und folgte ihm ins Wohnzimmer. „Möchten Sie etwas trinken, Professor Snape?"

Er wirbelte zu ihr herum. „Hören Sie endlich auf, mich so zu nennen!"

Hermine zog die Augenbrauen hoch. „Wenn Sie aufhören, mich Miss Granger zu nennen …"

Er rümpfte die Nase, nickte aber. „Nein, ich will nichts trinken. Es gibt Wichtigeres zu tun." Er stellte einige kleine Phiolen mit verschiedenfarbigem Inhalt auf die dunkelbraune Tischplatte und zog seinen Umhang aus. „Setzen Sie sich!"

Obwohl sie sich augenblicklich wieder fühlte wie eine Schülerin, folgte Hermine seiner Anweisung und sah ihn erwartungsvoll an. „Also, Mr Snape, wie genau funktioniert dieser Trank?"

„Bevor ich Ihnen das erkläre, benötigen Sie etwas theoretisches Wissen über Magie", sagte er ölig und verfiel genauso schnell wieder in seinen Lehrertonfall, wie sie in die Schülerrolle zurückkehrte. Reflexartig streckte sie ihren Rücken durch und wollte nach Feder und Pergament greifen. Snape verzog spöttisch den Mund. „Nicht vorbereitet, Mrs Weasley?"

Hermine rümpfte die Nase; er konnte ihren jetzigen Namen genauso sehr wie eine Beleidigung klingen lassen wie ihren Mädchennamen. „Ich werd es mir so merken."

„Natürlich werden Sie das …" Er begann neben dem Tisch auf und ab zu gehen, während er erklärte: „Die Beschaffenheit der Magie ist bei jedem Menschen so individuell wie ein Fingerabdruck. Sie wird vererbt, das heißt, die Magie Ihrer Tochter besteht zur einen Hälfte aus der Beschaffenheit Ihrer und zur anderen aus der Beschaffenheit der Magie von Mr Weasley."

„Woher hat dann meine Magie ihre Beschaffenheit?", warf sie ein und erntete dafür einen strafenden Blick, der sie innerlich zusammenzucken ließ. Äußerlich reckte sie das Kinn und fragte: „Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich mich melde, damit Sie mich besser ignorieren können, Sir?"

„So sehr ich es auch bedauere, aber in diesem Fall werde ich Ihre Fragen beantworten müssen, damit Sie Ihre Tochter nicht versehentlich umbringen."

Ich?", fragte Hermine entgeistert.

„Natürlich Sie. Wie ich eben sagte: Die Beschaffenheit der Magie …"

„Das hab ich verstanden", unterbrach sie ihn ungeduldig.

„Warum fragen Sie dann? Die Magie Ihrer Tochter ist Ihrer Magie und der Ihres Mannes am ähnlichsten. Sofern Sie es also nicht Mr Weasley überlassen wollen, diese Aufgabe zu übernehmen – wovon ich dringend abraten würde – wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als es selbst zu tun."

Hermine schluckte. „Ich muss Rose die Magie … absaugen?"

„Exakt. Jeden anderen würde es umbringen. Sie wird es möglicherweise auch umbringen, aber Ihre Chancen, das Ganze zu überleben, stehen besser."

Sie atmete scharf aus und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. „Mr Snape, wären Sie bitte so freundlich, mir das ein bisschen genauer zu erklären?"

„Früher waren Sie nicht so schwer von Begriff", sagte er lakonisch.

„Früher habe ich auch den Lehrstoff vorbereitet."

Wieder schnalzte er mit der Zunge. „Ich wusste, dass Ihre Intelligenz maßlos überbewertet wurde."

Hermine schloss kurz die Augen, entschied aber, diese Spitze unkommentiert zu lassen.

„Die Magie eines Menschen ist nicht kompatibel mit der Magie eines anderen Menschen. Für jeden außer Sie und Mr Weasley wäre es tödlich, die Magie Ihrer Tochter in sich aufzunehmen. Jeder andere würde es nicht mal schaffen, das komplett zu tun. Zwillingsgeschwister könnten es vermutlich gefahrlos tun, aber soweit ich weiß, ist Ihre Tochter Einzelkind. War das jetzt genau genug, Mrs Weasley?"

„Es ist also wie bei Blutgruppen, ja?"

„Exakt. Nur dass jeder seine eigene Blutgruppe hat."

Sie nickte langsam. „Okay. Und mich oder Ron wird das Ganze trotzdem möglicherweise umbringen, weil Roses Magie nur zur Hälfte mit unserer kompatibel ist?"

„Zum einen deswegen, zum anderen weil der menschliche Körper nur eine gewisse Menge an Magie aushalten kann. Magie, auch die Weiße, ist Energie. Sie können fremde Magie nicht ausagieren, weil sie sich nicht mit Ihrer eigenen vermischen wird. Sie werden keinen Zugriff darauf haben. Stattdessen muss sie sich abbauen. Sie tut das über Nervenimpulse und Muskelkontraktionen. Es wird schmerzhaft und möglicherweise mehr, als Ihr Herz aushalten kann."

Hermine schluckte schwer. Schon diese Information fühlte sich an, als könnte ihr Herz sie nicht aushalten.

„Seien Sie froh, dass meine Wiederauferstehung nicht Ihr Leben gekostet hat, Mrs Weasley, sonst wäre Ihre Tochter möglicherweise bald eine Waise", sagte Snape unberührt in ihr Entsetzen hinein.

„Was für ein Glück …", murmelte Hermine hohl, während ihr Traum, Rose aufwachsen zu sehen, mal wieder vor ihren Fingerspitzen zu zerplatzen schien wie eine Seifenblase.

Snape verdrehte die Augen. „Packen Sie Ihre Trauermiene wieder ein, Ihre Chance, das zu überleben, ist recht gut. Ihre Tochter ist jung, die Menge ihrer Magie ist überschaubar. Wenn Sie keinen unentdeckten Herzfehler haben, sollten Sie das aushalten."

Sie sah ihn an, sah ihm direkt in die Augen. „Und Evie?"

Um Snapes Augen zuckte es. „Wie alt ist ihr Sohn?"

„Er wird nächsten Monat sechs."

Die Antwort, die er ihr gab, war nonverbal: Er presste die Lippen aufeinander.

Hermine stöhnte und fuhr sich mit gespreizten Fingern in die Haare. „Was ist das bloß für ein Albtraum?", murmelte sie leise, während sie gegen den Kloß in ihrem Hals kämpfte.

„Sie sollte das Mr Hayes übernehmen lassen", grollte Snape.

Hermine schnaubte. „Seth ist nicht verfügbar …"

Er zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Ist er tot?"

„Nein, nur abgehauen", sagte Hermine. Snape zog eine Miene, als hätte er von Seth nichts anderes erwartet. „Aber …", begann sie nachdenklich, „… könnte Evie ihm seine Energie nicht … in zwei Sitzungen nehmen? Erst eine Hälfte und wenn sie sich erholt hat, die andere?"

Snape schüttelte den Kopf. „Wenn Reste der Magie übrig bleiben, bildet sie sich schneller neu, als Miss Beauchamp sich von den Auswirkungen erholen wird. Es muss alles auf einmal sein."

„Aber sie bildet sich neu", wandte sie ein. Das war ein Aspekt des Ganzen, an den sie noch gar nicht gedacht hatte. Rose würde hinterher kein Squib sein. Oder? Das Ableiten der Magie über den Zauber, den auch Professor McGonagall erwähnt hatte, führte nur zu einer vorübergehenden Magielosigkeit, aber wie würde es hier sein? Sicherlich war es ein Unterschied, ob man seine Magie freiwillig hergab oder ihrer beraubt wurde.

„Ich weiß es nicht, Mrs Weasley", sagte Snape gepresst. „Wenn Reste übrig bleiben, dann ja. Aber Reste der Magie machen die Behandlung des Tumors schwerer. Sie sollten Ihrer Tochter die gesamte Magie nehmen, um sicher zu gehen. Außer Sie wollen es noch ein zweites Mal tun müssen."

„Nein", sagte sie tonlos. Ein paar Sekunden lang war sie still, dachte nach. „Könnten sich nicht beide Elternteile gleichzeitig mit dem Kind verbinden?", fragte sie schließlich.

Er runzelte die Stirn. „Wenn Sie Mr Hayes auftreiben können, würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen."

Sie nickte langsam. Soweit sie wusste, hatte Evie seit einer ganzen Weile keinen Kontakt mehr zu Seth gehabt. Vermutlich würden sie darauf hoffen müssen, dass eine Eule ihn fand und die Möglichkeit, seinem Sohn und seiner Frau das Leben zu retten, ihn tatsächlich dazu bringen würde, zurückzukehren.

„Um zu Ihrer Frage zurückzukehren", riss Snape sie aus ihren Überlegungen, „Auch die Beschaffenheit Ihrer Magie ist eine Mischung aus den Anlagen Ihrer Eltern. Das Hirnareal, das Magie freisetzt, ist in jedem Menschen angelegt, aber nicht bei jedem ist es aktiv. Ihres wurde durch eine kleine Genmutation aktiviert. Dass Sie über Magie verfügen, ist eine Laune der Natur – die Beschaffenheit Ihrer Magie ist Genetik."

Wieder nickte sie, dann starrte sie wieder einige Momente lang ausdruckslos auf die Tischplatte und ließ die Informationen, die er ihr bisher gegeben hatte, durch ihren Kopf wandern. Erst das Erstaunen darüber, dass Snape ihr das kommentarlos durchgehen ließ, brachte sie dazu, ihn wieder anzusehen. Er beobachtete sie mit schmalen Augen. „Warum haben Sie versucht, einen Trank zu entwickeln, dessen Benutzung Sie umbringen würde?", fragte sie.

„Man kann damit jemanden nicht nur seiner Weißen Magie berauben", sagte er nüchtern.

Hermine riss die Augen auf. „Sie wollten jemanden seiner Lebensenergie berauben?"

Er verzog abfällig den Mund. „Nein, ich nicht …"

Da verstand sie. „Es war ein Auftrag von Voldemort."

Snape wandte sich ab und begann wieder, vor dem Tisch hin und her zu laufen. Aber Hermine hatte es gesehen, das kaum wahrnehmbare Zucken, als sie Voldemorts Namen ausgesprochen hatte. „Sie müssen es üben", erklärte er gepresst. „Sie müssen den Unterschied zwischen Weißer Magie und Lebensenergie kennen, bevor Sie sich mit Ihrer Tochter verbinden, sonst werden Sie sie umbringen."

Hermine schluckte. „Ich soll das an Ihnen üben, oder?"

Sein scharfer Blick traf sie. „Sofern Sie keinen anderen Freiwilligen unter dem Sofa verstecken, wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben."

Sie wandte den Blick ab und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Lebensenergie ist anders als Weiße Magie", begann Snape wieder zu dozieren. „Sie ist in jedem Menschen von gleicher Beschaffenheit, sie vermischt sich widerstandslos mit der eigenen, sie fühlt sich … gut an. Wenn Sie sich mit mir verbinden, werden Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zuerst auf meine Lebensenergie zugreifen und ich würde Sie um Ihrer selbst Willen darum bitten, mir nicht zu viel davon zu nehmen."

„Es wird mir schwerfallen, aber ich werde mich zügeln", murmelte Hermine gereizt; sie hatte ihn kaum aus dem Jenseits geholt, um ihn dann so wieder umzubringen. Auch wenn sie es manchmal gern täte.

Snape sah sie an. „In der Tat, es wird Ihnen schwerfallen."

Sie runzelte die Stirn.

„Wie ich eben sagte: Es fühlt sich gut an. Ihr Körper ist nicht angetan von der Idee, meine Magie zu absorbieren, denn sie wird ihm nicht guttun. Meine Lebensenergie hingegen schon. Und sie wird ihm nicht nur guttun, sie wird die Tür wieder aufstoßen, die Sie gerade zu schließen versuchen."

Hermine schloss die Augen.

„Es wird Sie viel Willenskraft kosten, Ihren Körper davon abzuhalten, meine Lebensenergie aufzunehmen, Mrs Weasley."

Sie holte tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen. „Wie erkenne ich den Unterschied?"

„Abgesehen davon, dass das Absorbieren meiner Lebensenergie das Summen zurückbringen wird, während Ihnen meine Magie Schmerzen bereiten wird?", fragte er, als wäre das offensichtlich.

„Ja, abgesehen davon", entgegnete Hermine. „Ich würde es gern schon merken, bevor ich Ihnen irgendeine Energie nehme."

Wieder verzog er den Mund, als wäre das alles hier ihm zutiefst zuwider – was es mit Sicherheit auch war. „Lebensenergie pulsiert, Magie fließt", sagte er dann.

Sie nickte, obwohl ihr diese Beschreibung gerade noch sehr abstrakt vorkam. Sie hoffte einfach, dass es sich klären würde, sobald sie in Verbindung zu ihm stand. „Was passiert, wenn ich den Zugang zu Ihrer Magie finde und etwas davon … absorbiere?"

Er zog die Augenbrauen hoch. „Sie hören damit auf, sobald Sie es spüren. Wenn Sie zu viel von meiner Magie in sich aufnehmen, wird es Sie umbringen."

Hermine lachte freudlos. „Ich muss also aufpassen, nichts von Ihrer Lebensenergie zu nehmen, weil ich Sie sonst möglicherweise umbringe. Und ich muss aufpassen, nichts von Ihrer Magie zu nehmen, weil ich sonst möglicherweise mich umbringe."

„Exakt."

„Was genau darf ich denn tun, wenn ich … diese Verbindung zu Ihnen habe?"

„Fühlen. Sie sollen herausfinden, wie Sie es richtig machen, denn bei Ihrer Tochter können Sie sich keine Fehler erlauben. Ich kann es aushalten, wenn Sie mir etwas von meiner Lebensenergie nehmen, Ihre Tochter nicht. Und Sie müssen lernen, der Verlockung zu widerstehen. Ihr Körper wird sich von meiner Lebensenergie angezogen fühlen wie ein Niffler vom Gold."

Sie schluckte. „Was wenn ich Ihnen versehentlich zu viel Lebensenergie nehme?"

Snape lächelte sardonisch, legte seine dünnen Finger auf die Lehne des Stuhls vor ihm und lehnte sich ihr ein bisschen entgegen. „Ich werde es Ihnen nicht leicht machen, Mrs Weasley."

Obwohl er sicherlich beabsichtigt hatte, sie zu ängstigen, entspannte Hermine sich. „Also haben Sie einen Einfluss darauf."

„Den habe ich."

Sie nickte. „Und wie lange wird die Verbindung bestehen, wenn ich diesen Trank genommen habe?"

„Wir müssen ihn beide nehmen", warf er ein, bevor er ein bisschen den Mund verzog. „Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen, ich habe den Trank noch nicht testen können."

„Das wird der erste Test?", fragte Hermine ein bisschen entsetzt.

„Ja, Mrs Weasley, das wird der erste Test. Da niemand wissen darf, dass ich wieder am Leben bin, hatte ich Schwierigkeiten, Testpersonen zu akquirieren."

„Wer sagt, dass es niemand wissen darf?", fragte sie provokant.

„Der gesunde Menschenverstand!", entgegnete er scharf. „Es gibt zahlreiche Personen, die meine Leiche nicht nur gesehen, sondern auch untersucht haben. Es wurde sichergestellt, dass ich wirklich ich war und dass ich wirklich tot war, bevor man mich bestattete. Wenn Sie es also vermeiden wollen, dass die falschen Leute anfangen Fragen zu stellen, halte ich mich besser bedeckt."

„Woher wollen Sie das wissen? Also dass Ihre Leiche so gründlich überprüft wurde."

Snape rieb sich die Stirn. „Ich weiß es, weil das das übliche Vorgehen bei Verstorbenen ist, denen eine Anklage bevorgestanden hätte."

Anklage?", keuchte Hermine. „Wofür?"

„Für Mord, Mrs Weasley!", schnappte er laut und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. „Ich habe Albus Dumbledore umgebracht! Vor Zeugen!"

„Aber er wollte es doch so!"

Snape schnaubte. „Das hätte das Zaubereiministerium natürlich davon abgehalten, mir den Prozess zu machen. Nachdem sie monatelang unterwandert und vom Dunklen Lord persönlich kontrolliert wurden, wäre es ihnen ein Vergnügen gewesen, einen Todesser ohne Prozess laufen zu lassen, weil das das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Befehlsgewalt zweifellos gestärkt hätte."

Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Darüber hatte sie nicht nachgedacht. Das alles lag so lange zurück, dass sie nicht darüber nachgedacht hatte. In ihrem Kopf war nur Platz für Rose gewesen. „Es … tut mir leid", sagte sie tonlos.

„Davon wird es auch nicht besser", grollte er.

„Ich weiß." Sie strich sich die Haare hinter die Ohren. „Wenn wir … Rose gerettet haben, werde ich Ihnen helfen … damit."

„Ach ja? Und wie wollen Sie das tun?"

„Ich weiß es noch nicht!", sagte sie scharf. „Ich kann auch gerade nicht darüber nachdenken, weil meine todkranke Tochter meine gesamte Aufmerksamkeit braucht. Aber wenn Rose wieder gesund ist, werde ich einen Weg finden."

Snape sah sie an und rümpfte die Nase. „Den einzigen Weg, den ich Sie dann zu finden bitte, ist der aus meinem … Leben. Sie haben genug Chaos angerichtet."

Hermine zuckte unter seinem Blick und seinen Worten tatsächlich ein bisschen auf ihrem Stuhl zurück. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie es schaffte zu antworten. „Natürlich", murmelte sie hohl und senkte den Blick. Die Scham brannte auf ihrem Gesicht. Sie biss sich auf die Zunge, bevor sie sich wieder bei ihm entschuldigte. Offensichtlich hatte er kein Interesse daran.

„Wir sollten dann anfangen", sagte Snape ein paar Sekunden später und klang deutlich aufgeräumter. „Oder haben Sie noch weitere Fragen?"

Sie schüttelte den Kopf.

„Gut. Falls Sie das heute noch nicht getan haben, sollten Sie jetzt eine Dosis des Gifts nehmen."

Sie räusperte sich leise. „Wird das nicht die Bereitschaft meines Körpers, mich an Ihrer Lebensenergie zu bedienen, nur noch weiter erhöhen?"

„Das wird es. Aber mit zu viel angestauter Lebensenergie könnten Sie mir oder sich unbeabsichtigt ernsthaften Schaden zufügen."

Hermine wandte den Blick ab. „Ich hab es oben", murmelte sie, stand auf und floh aus dem Wohnzimmer. Sie nahm zwei Stufen auf einmal und nachdem sie die kleine Phiole von ihrem Nachtschrank genommen hatte, sank sie auf das Bett und presste sich die freie Hand vor den Mund, um Snape nicht hören zu lassen, dass sie weinte.

Er hasste sie. Und das zu recht. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, ihm in die Augen zu schauen und diese unverhohlene Wut darin zu sehen. Was hatte sie nur getan?

Hermine hielt die Luft an, während das Entsetzen über ihre eigenen Taten sie schüttelte. Als sie sich wieder unter Kontrolle hatte, wischte sie sich die Tränen vom Gesicht und ging nach unten. Sie holte einen Löffel aus der Küche und zählte drei Tropfen des Gifts ab. Der Schmerz wanderte wellenartig durch ihren Körper. Wieder hielt sie die Luft an, weil sie bemerkt hatte, dass ihr dann nicht so übel wurde, und presste ihre Finger gegen die harte Oberfläche der Arbeitsplatte. Als es vorbei war, wischte sie sich mit zitternder Hand den Schweiß von der Stirn und nahm Phiole und Löffel mit ins Wohnzimmer. „Ich bin soweit", sagte sie und ließ sich auf den Stuhl sinken, ohne Snapes Blick zu begegnen. Sie fühlte sich schwach auf den Beinen und etwas schwindelig. Die Wirkung des Gifts war heftiger, wenn sie es ohne einen großen Überschuss an Lebensenergie nahm.

Snape musterte sie mit ernster Miene, dann nahm er zwei Phiolen mit gleichem Inhalt und reichte die eine an sie weiter, bevor er seine entkorkte und in einem Zug leerte.

Hermine war damit etwas zögerlicher. Sie roch erst mal an dem Trank, aber er war vollkommen geruchslos. Er hatte auch keinen starken Eigengeschmack, wie sie dann feststellte. Das war auf jeden Fall hilfreich, wenn Rose diesen Trank …

Das Eintreten der Wirkung ließ ihren Gedankenzug entgleisen. Es war, als würde sie sich über die Grenzen ihres Körpers hinaus ausdehnen. Als gäbe es etwas außerhalb ihres Körpers, das … etwas in ihr anzog wie ein Magnet. Sie holte scharf Luft und sah jetzt doch zu Snape auf. Der verbissene Ausdruck auf seinem Gesicht ließ sie vermuten, dass er das Gleiche fühlte. „Diese Verbindung ist keine Einbahnstraße, oder?", fragte Hermine über ihren trommelnden Herzschlag hinweg.

„Nein", grollte er und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. „Ich kann auf Ihre Energien genauso zugreifen wie Sie auf meine. Und ich werde genau das jetzt tun, damit ich Ihnen erklären kann, was Sie zu tun haben. Also seien Sie still!"

Hermine presste die Lippen aufeinander und verschränkte die Arme vor der Brust, weil sie sich auf einmal sehr nackt fühlte. Aber natürlich änderte das nichts daran, dass Snape in Verbindung zu ihr stand. Sie spürte es, als er sie berührte. Nicht physisch, aber … etwas streifte sie. Obwohl er anderthalb Meter entfernt auf der anderen Seite des Tisches saß, streifte er sie. Es fühlte sich an, als würde ein einzelnes Haar über ihre Haut gleiten. Es kitzelte und sie hatte das Bedürfnis, es … nein, ihn wegzuwischen. Sie rutschte auf ihrem Stuhl herum, als sich alles in ihr zusammenzog.

Snapes Lippen verzogen sich zu einem hämischen Lächeln. „So schüchtern?", schnarrte er.

Sie biss die Zähne aufeinander, um sich eine unangemessene Antwort zu verkneifen, aber etwas anderes in ihr verkniff sich nichts. Sie spürte das, was mit Snape in Verbindung stand, aufbegehren und nach vorn schnellen, als würde es seinem … Etwas eine Ohrfeige geben. Snape zuckte zusammen, als er es spürte.

„Nicht so schüchtern", sagte Hermine und feixte.

Er sah sie finster an, dann schloss er die Augen und Hermine versuchte, sich ein bisschen zu entspannen. Sie musste ihn machen lassen, damit er ihr erklären konnte, was sie tun musste. Es würde Rose das Leben retten.

Abgesehen von dem Kitzeln auf ihrer Haut spürte sie erst mal nichts. Ihre Blicke lagen auf seinem konzentrierten Gesicht und zum ersten Mal seit seiner Rückkehr hatte sie die Gelegenheit, ihn unbemerkt und bei Tageslicht zu mustern. Eigentlich war es sogar das erste Mal jemals, dass sie das tun konnte; während ihrer Schulzeit war Blickkontakt vermeiden die oberste Regel bei Snape gewesen.

Er war blass und hatte tiefe Falten, die sich von seinen Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln zogen. Seine Wangenknochen zeichneten sich deutlich ab, sein Gesicht sah richtig eingefallen aus. Beinahe als hätte er in letzter Zeit genauso wenig gegessen wie sie selbst. Seine strähnigen Haare umrahmten das schmale Gesicht wie ein dünner Vorhang ein trüb gewordenes Fenster.

Und dann schnappte Hermine nach Luft. Völlig unerwartet und im ersten Moment auch ohne, dass sie begriff, warum sie das tat. Ihr Körper hatte diese Entscheidung allein getroffen, denn erst zwei Sekunden später spürte sie, wie etwas aus ihr herausfloss. Nur einen kleinen Moment lang, dann hörte es auf.

Sie hatte die Hände an die Tischkante gelegt und sich daran festgehalten, was ihr erst bewusst wurde, als Snape blinzelte und angesichts dessen eine Augenbraue hochzog. Ihr Herz raste, ihr war schwindelig. „Ich nehme an, das war meine Lebensenergie?", fragte sie hohl.

„In der Tat." Er runzelte die Stirn. „Kommen Sie zurecht?"

Sie schloss die Augen, nickte. „Geht schon."

Snapes Oberlippe zuckte, dann schloss er wieder die Augen.

Diesmal beobachtete Hermine ihn weniger entspannt. Das Gift hatte sie schon ziemlich geschwächt und dieser kurze Moment, in dem Snape ihre verbliebenen Lebensenergie angezapft hatte, ließ sie sich nun regelrecht krank fühlen. Vielleicht hätte sie das Gift nicht schon vorab nehmen sollen, sondern erst nach ihrem ersten eigenen Versuch.

Aber sie konnte es aushalten. Snape war geschickt mit dem, was er tat. Sie spürte ihn noch zwei, drei Mal an ihrer Lebensenergie zupfen, aber sie begann nicht wieder aus ihr herauszufließen. Wenn es wirklich so schwierig war, sich dagegen zu wehren, dann besaß er eine erstaunliche Willenskraft.

Nach ein paar weiteren Minuten fand er dann den Zugang zu ihrer Magie. Diesmal schnappte sie nicht nach Luft. Diesmal schrie sie, denn es war, als würde jemand ein Messer in ihren Kopf stechen und es langsam herumdrehen. Hermine presste sich die Handballen gegen die Stirn.

Und im nächsten Moment stöhnte auch Snape und zog sich zurück.

Ihre Kopfschmerzen verebbten so schnell, wie sie gekommen waren. Hermine blinzelte und sah zu ihm hinüber. Er saß mit verbissener Miene am Tisch, noch blasser als vorher, die Hände zu Fäusten geballt. Trotzdem zuckten sie. Snape hielt die Luft an, genauso wie sie es eben in der Küche getan hatte. Dann ließ er sie langsam entweichen und schüttelte den Kopf. Öffnete die Augen und streckte seine langen dünnen Finger aus. „Das war Magie", sagte er leise.

Hermine keuchte. „Das war grausam! Das muss ich Rose antun?"

„Wenn Sie sie retten wollen …"

Sie fuhr sich mit einer Hand über den Mund, die Augen immer noch weit aufgerissen. „Kann sie dabei schlafen? Eine Narkose?"

Er verzog das Gesicht. „Grundsätzlich spricht wohl nichts dagegen."

„Aber?"

„Sie müssen sich sehr sicher sein bei dem, was Sie tun. Wenn Ihre Tochter schläft, ist ihre Magie weniger deutlich spürbar und ich hatte bei Ihnen eben schon Schwierigkeiten, sie zu finden. Außerdem ist ihre Reaktion ein Indiz dafür, dass Sie sie der richtigen Energie berauben." Er runzelte die Stirn und fügte nachdenklich hinzu: „Möglicherweise würde das Absorbieren der Magie sogar die Wirkung eines Schlaftrankes durchbrechen."

Hermine sah ihn beklommen an, schwieg aber.

„Warten wir ab, wie geschickt Sie sich bei mir anstellen", schlug Snape vor.

Sie räusperte sich. „Was muss ich tun?"

„Lassen Sie sich nicht ablenken von der Oberfläche. Suchen Sie den Punkt, an dem sie tiefer gehen können. Dort finden Sie die Lebensenergie. Ignorieren Sie auch die. Horchen Sie auf den Herzschlag und folgen Sie ihm. Wenn Sie das Herz gefunden haben, gehen Sie mit dem Blutstrom hinauf. Die Magie ist … wie ein Fluss. Ein gleichmäßiges Rauschen ohne Schwankungen. Und es ist unangenehm, wenn Sie ihr zu nahe kommen. Je schmerzhafter es wird, desto näher sind Sie dran." Wieder zuckte seine Hand und er ballte sie zur Faust.

Hermine starrte sie an, dann flog ihr Blick wieder zu seinem Gesicht. Immer noch fühlte sie diesen Sog, der sie über die Grenzen ihres Körpers hinauszuziehen schien. Aber sie hatte Hemmungen, ihm nachzugehen. Weder für sie, noch für ihn war das Ganze besonders angenehm gewesen. Sie wollte es ihnen beiden ersparen, das nochmal zu erleben.

„Tun Sie es!", durchschnitt seine scharfe Stimme ihre Gedanken.

„Ich will Ihnen nicht wehtun", sagte Hermine schwach.

Snape zog die Augenbrauen hoch. „Also haben Sie nun doch noch beschlossen, Ihre Tochter sterben zu lassen?"

„Nein!", japste Hermine und fuhr sich mit gespreizten Fingern in die Haare.

„Dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, Mrs Weasley."

Sie schloss die Augen, horchte auf ihren eigenen Herzschlag und zwang ihre Gedanken zur Ruhe. Er hatte recht. Sie musste das tun. Oder sie musste Ron … Aber den Gedanken verwarf sie bereits, bevor sie ihn überhaupt zu Ende gedacht hatte. Ron stand diesem ganzen Unterfangen mehr als skeptisch gegenüber, sie konnte froh sein, dass er sie nicht dem Ministerium gemeldet hatte. Sie würde ihn nicht darum bitten, eine aktive Rolle hierbei zu spielen. Davon mal abgesehen wären seine Hemmungen, Rose derartige Schmerzen zuzufügen, auch nicht kleiner als ihre eigenen.

Hermine holte tief Luft und ohne ihre Augen wieder zu öffnen, folgte sie der Verbindung, die sie zu Snape zog. Sie spürte ihn. Komplett. Sein ganzer Körper lag vor ihr, gewoben aus Energie, pulsierte und obwohl sie ihn nicht wirklich sehen konnte, schoss ihr auch das Wort leuchtend durch den Kopf. Etwas an ihm leuchtete. Vielleicht war es das, was er gemeint hatte, als er sagte, sie solle sich nicht von der Oberfläche ablenken lassen. Sie wäre gern genau hier geblieben und hätte ihn nur … gespürt.

Mühsam riss sie sich davon los und tastete diese Oberfläche ab. Sie sollte nach dem Punkt suchen, an dem sie tiefer gehen konnte. Hermine runzelte die Stirn, während sie diesen Punkt zu finden versuchte. Zentimeter für Zentimeter suchte sie ihn ab und dann spürte sie plötzlich, wie etwas von dem, das sie nach ihm ausgestreckt hatte, hineinsank. Als wäre sie in eine von den Trickstufen in Hogwarts geraten. Die Oberfläche gab einfach unter ihr nach. Hermine sog vor Schreck scharf die Luft ein.

Und dann war sie umgeben vom süßesten Pulsieren, das sie jemals empfunden hatte. Ihre Gedanken liefen ins Leere, sie konnte nicht mehr klar denken, ihr Ziel verschwamm, sie löste sich auf in diesem Gefühl. Es war … das Beste, was sie je gespürt hatte. Genau das. Sie brauchte genau das und hatte das nicht mal gewusst. Mit einem leisen Seufzen sank sie hinein, badete darin, trank davon.

„Mrs Weasley!"

Sie zuckte zusammen. Snapes scharfe Stimme sprach einen konditionierten Teil ihres Gehirns an, sie konnte gar nicht nicht darauf reagieren. Sofort war alles wieder da und sie stolperte zurück. Blinzelte und spürte ihr Gesicht brennen. „Es tut mir leid!", sagte sie.

Snape grollte. Dieses Mal war er es, der sich an der Tischkante festhielt. „Nochmal. Und lassen Sie sich nicht ablenken!"

Hermine nickte und war froh, als sie die Augen wieder schließen konnte und ihn nicht mehr ansehen musste. Hatte es sich für ihn bei ihr eben genauso angefühlt? So … süß und verlockend? So allumfassend … schön? So konnte sich Lebensenergie anfühlen? Wohltuend und wärmend? Nicht schmerzhaft summend? Sie schüttelte ein bisschen den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Bevor sie wieder dem Sog folgte und über Snapes Oberfläche tastete, merkte sie noch, wie viel besser sie sich fühlte. Sie hatte genug von seiner Lebensenergie genommen, um auszugleichen, was er und das Gift ihr vorher genommen hatten. Der Gedanke erschreckte sie dann doch.

Wieder sank sie unter die Oberfläche und dieses Mal kämpfte sie verbissen gegen die Verlockung der Lebensenergie an. Er hatte auch damit recht gehabt: Sie fühlte sich davon angezogen wie ein Niffler vom Gold. All ihre Sinne fokussierten sich darauf, niemals zuvor war es ihr so schwergefallen, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.

Was hatte Snape noch gesagt? Herzschlag. Genau. Sie sollte auf seinen Herzschlag horchen und ihm folgen.

Hermine versuchte, das Pulsieren der Lebensenergie auszublenden. Das war kein Herzschlag, es war anders. Langsamer, zärtlicher, so viel behutsamer als das Herz. Es war wie der sanfte Druck einer fremden Zunge gegen die eigene, wie kräftige Arme, die einen hielten, wie …

„Mrs – Weasley!"

Diesmal war nicht sie es, die zurückstolperte, sondern Snape, der sie brutal von sich stieß. Hermine fühlte sich so heftig zurückgeworfen, dass es sie wunderte, dass sie nicht mit ihrem Stuhl nach hinten kippte.

„Sie sollen sich konzentrieren!", sagte Snape laut und funkelte sie an.

„Ich kann nicht …", hauchte sie, als das Summen sie überwältigte. Bei Merlin! Wie viel von seiner Lebensenergie hatte sie ihm dieses Mal genommen? Der Hornissenschwarm war in ihren Körper zurückgekehrt und sie griff mit zitternden Fingern nach dem Löffel und der Phiole mit dem Gift.

Auf der anderen Seite des Tisches imitierte Snape ihre Bewegung, nur dass er nach einer der anderen Phiolen griff, die er mitgebracht hatte. Sie enthielt einen türkisfarbenen Trank, den Hermine am Rande ihres Bewusstseins als Stärkungstrank identifizierte. Snapes fahles Gesicht bekam wieder etwas Farbe, als er die Hälfte des Flascheninhalts getrunken hatte.

Hermine biss derweil die Zähne aufeinander, während sie das Gift entkorkte und mühsam versuchte, ihre summenden, bebenden Hände ruhig genug zu halten, damit die Tropfen auch wirklich auf den Löffel fielen.

Anscheinend hatte sie dabei so bemitleidenswert ausgesehen, dass Snape aufstand, ihr beides aus der Hand nahm und drei Tropfen für sie abzählte. „Oder sind Sie bereits bei vier?"

Sie schüttelte den Kopf, hauptsächlich weil sie ihrer Stimme nicht traute. Sie fühlte sich so sehr unter Druck, dass sie schreien wollte. Sie nahm Snape den Löffel ab und verzog wieder das Gesicht über den erbärmlichen Geschmack des Gifts. Der Schmerz war heftig, es fühlte sich an, als würde man sie mit brühendem Wasser übergießen. Übelkeit baute sich in ihr auf, sie presste sich die Faust gegen den Mund und hielt die Luft an, bis es langsam nachließ.

Als sie sich wieder zu atmen traute, hatte Snape sich bereits gesetzt und beobachtete sie mit verdrossener Miene.

„Es tut mir leid", krächzte sie.

„Das wird zur Gewohnheit", sagte er ölig.

Sie verzog das Gesicht. „Wie kann man sich so was bloß freiwillig antun?"

„Wie kann man sich was antun?"

Sie hob den Blick. „Die Schwarze Magie. Dieses … unbeschreibliche Summen, die Schmerzen, den Druck, das Gefühl, jeden Moment zu explodieren …"

Er runzelte die Stirn. „Es fühlt sich für Sie so an, weil Sie sich dagegen wehren."

Sie schnaubte. „Es würde mich umbringen, wenn ich es nicht täte!"

„Wohl kaum, es ist Lebensenergie."

„Aber sie … macht mich so wütend", sagte Hermine schwach und rieb sich die Stirn.

„Zugegeben", entgegnete Snape lakonisch.

„Wie kann man das bloß aushalten?"

Er sah sie an und einen Moment lang war Hermine überzeugt, er würde ihr diese Frage nicht beantworten. Aber dann holte er tief Luft, wandte den Blick ab und sagte: „Man lässt es zu. Das Erste, was Menschen, die sich bereitwillig Schwarzer Magie hingeben, hinter sich lassen, sind Moral und Anstand. Für Sie ist es unangenehm, weil Sie sich weigern, eben diese loszulassen. Sie wissen, dass es falsch ist, was Sie tun. Dass es falsch ist, was die Schwarze Magie aus Ihnen macht. Sie wollen so nicht sein und wehren sich dagegen. Das verdirbt einem alles …"

Hermine schluckte. „Wie fühlt es sich an, wenn man … loslässt?"

Er fing ihren Blick ein und selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte sie ihren nicht abwenden können. „Genau so, wie es sich für Sie anfühlt, meine Lebensenergie zu spüren."

Ihr Mund wurde ganz trocken und der Restgeschmack des Giftes auf ihrer Zunge wurde plötzlich so stark, dass ihr wieder übel wurde. „Ich muss kurz …", murmelte Hermine, stand auf und lief aus dem Wohnzimmer. Sie ging ins Bad und drehte den Wasserhahn auf, schöpfte Wasser in ihre Hand und spülte sich den Mund aus, blieb mit rasendem Herzschlag über das Waschbecken gebeugt stehen und wartete, bis ihr Magen sich beruhigte. Sie wusste nicht mal, was an seiner Antwort sie so sehr mitgenommen hatte. Es war naheliegend gewesen, oder? Schließlich hatte sie es auch selbst gespürt. Immer, wenn sie Schwarze Magie benutzt hatte, hatte es sich gut angefühlt. Und dieses eine Mal unter der Dusche … Sie hatte es doch eigentlich schon gewusst. Und trotzdem …

Hermine kühlte ihre Handgelenke und ihre brennenden Wangen mit dem Wasser, bevor sie sich abtrocknete und ins Wohnzimmer zurückkehrte.

„Können wir weitermachen?", fragte Snape und zog eine Augenbraue hoch.

„Ja." Sie setzte sich, schloss die Augen, fokussierte sich auf den Sog. Fand den Punkt, an dem sie unter die Oberfläche sinken konnte. Dachte Herzschlag, Herzschlag, Herzschlag wie ein Mantra, sperrte das süße Pulsieren seiner Lebensenergie aus ihrer Wahrnehmung aus, noch bevor sie sich dessen bewusst werden konnte. Horchte.

Da.

Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie ein zweites Pulsieren hören. Spüren. Schneller, kräftiger als das Pulsieren der Lebensenergie. Hermine strebte darauf zu, hielt sich fest an Herzschlag, Herzschlag, Herzschlag,als die Verlockung von Snapes Lebensenergie stärker wurde und sich um sie herum aufbaute wie eine Wand, durch die nichts hindurchdringen konnte. Jedenfalls nicht, wenn sie sich ablenken ließ. Sie musste sein Herz finden.

Je näher sie seinem Herzen kam, desto lauter wurde das Wummern. Es fiel ihr leichter, den Sirenengesang seiner Lebensenergie auszublenden. Und als sie den Punkt gefunden hatte, an dem das Schlagen seines Herzens am kräftigsten war und das Pulsieren seiner Lebensenergie darin unterging (obwohl sie doch hier am stärksten sein sollte), erlaubte sie sich eine kleine Pause und atmete durch. Sie spürte den Blutfluss um sich herum. Er zog in verschiedene Richtungen und erst, als sie überlegte, welchem Fluss sie folgen sollte, fiel ihr auf, dass sie nicht mehr wusste, wo oben und unten war.

„Bitte", hörte Hermine sich selbst von sehr weit weg sagen, „reden Sie mit mir."

„Folgen Sie dem Blutfluss hinauf in den Kopf." Snapes Stimme war ein überwältigendes Dröhnen, das für einen Moment alles übertönte. Es war so laut, dass sie sich am liebsten die Ohren zuhalten wollte.

„Leiser", wimmerte sie. „Bitte!"

Zuerst hörte sie nur ein Grollen. Dann wieder seine Stimme, kaum mehr als ein Flüstern: „Ist es so besser, Mrs Weasley?"

„Ja", seufzte sie. Ja, das war besser. Jetzt wusste sie, welchem Blutfluss sie folgen musste. Sie löste sich vom Herzen und strebte hinauf, dorthin, wo seine Stimme am lautesten gewesen war.

Das Pulsieren der Lebensenergie wurde leiser hier oben. Dafür war da ein anderes Geräusch. Eine andere Energie, die ein anderes Lied sang. Es war tatsächlich ein Rauschen. Für einen Moment fühlte Hermine sich an den Fluss im Jenseits erinnert, so ähnlich waren sich die Geräusche. Sie näherte sich ihm langsam und … wollte umkehren. Irgendetwas hier war nicht gut. Sie sollte nicht hier sein. Sie sollte nicht …

„Weiter!", sagte Snape.

„Das ist … böse", hörte sie sich sagen.

Snape schnaubte. „Und trotzdem ist es Weiße Magie. Sie sind auf dem richtigen Weg, gehen Sie weiter. Sie müssen das aushalten."

Hermine schluchzte. Sie konnte es hören und sie konnte es spüren. Die Verzweiflung war stark genug, um sie bis hierher zu verfolgen. Sie wollte umkehren und diesen Ort verlassen und trotzdem ging sie weiter. Orientierte sich am Schmerz und folgte ihm, obwohl alles in ihr sich dagegen sträubte. Sie sog zischend die Luft ein, je näher sie dem Zentrum von Snapes Magie kam. Und dann streckte sie sich danach aus und berührte sie und …

Es war reine Lava, die in ihren Körper floss.

Hermine schrie, Snape keuchte. Sie zog sich zurück, als würde ein bis aufs Äußerste gespanntes Gummiband an ihr ziehen und fand sich in ihrem zuckenden Körper wieder. Stromstöße fegten durch ihre Glieder, sie krümmte sich zusammen, wimmerte.

„Es wird gleich besser", sagte Snape gepresst.

„Es tut so weh", hauchte sie.

„Ach was", ätzte er.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit und noch ein paar Minuten länger, bis das Zucken und die Schmerzen endlich nachließen. Hermine wischte sich über das nasse Gesicht und richtete sich wieder auf. „Wie soll ich es schaffen, Rose ihre gesamte Magie zu nehmen? Ein kleines bisschen von Ihrer fühlt sich schon an, als würde es mich umbringen."

„Ein kleines bisschen mehr von meiner Magie hätte Sie auch umgebracht. Die Magie Ihrer Tochter wird nicht so schmerzhaft sein. Das Schlimmste daran werden die Nerven- und Muskelimpulse sein."

Hermine schluckte schwer. „Woher wollen Sie das wissen? Ich denke, Sie haben den Trank noch nie getestet?"

„Man muss nicht alles testen, um es zu wissen, Mrs Weasley. Ich kann Ihnen auch anhand einer Landkarte sagen, ob die Reise anstrengend wird oder nicht."

„Und trotzdem haben Sie zuerst mich angezapft …"

Snape verdrehte die Augen. „Natürlich habe ich das. Ich kann Ihnen kaum sagen, wann genau Sie wohin abbiegen müssen, ohne den Weg vorher selbst gegangen zu sein. Ich legte keinen Wert darauf, Sie diesen Weg allein finden zu lassen."

„Hätte ich auch nicht", musste sie zugeben und rieb sich die Stirn. Sie fühlte sich zerschlagen, so als hätte sie den ganzen Tag Umzugskisten in den fünften Stock getragen – ohne Magie.

„Offensichtlich", schnarrte Snape. „Die Verbindung besteht noch, versuchen Sie es ein zweites Mal."

„Jetzt?", fragte Hermine entsetzt.

Er sagte nichts dazu, zog nur eine Augenbraue hoch.

Sie stöhnte leise, holte tief Luft und ließ sich wieder von der Kraft des Trankes zu Snape ziehen.


Fünfmal ließ Snape sie seine Magie finden. Fünfmal ließ er sie seine Magie berühren. Fünfmal trieb er sie und sich selbst durch diese unmenschlichen Schmerzen, bis die Wirkung des Trankes endlich abklang. Bevor er ging, nahm er den Rest des Stärkungstranks und Hermine wünschte, er hätte ihr auch eine Phiole dagelassen. Sie schaffte es nicht mal, aufzustehen und ihn zur Tür zu bringen.

„Bleiben Sie sitzen", hatte er gesagt, als er ihre kläglichen Versuche beobachtet hatte, „Ich finde den Weg allein. Ruhen Sie sich aus, übermorgen komm ich wieder her und dann werden Sie üben, meine Magie zu finden, während ich schlafe. Besorgen Sie eine Phiole vom Trank der lebenden Toten."

„Okay", hatte sie gesagt, war sich aber nicht sicher, ob sie wirklich alles begriffen hatte. Sie würde das sortieren müssen, wenn sie wieder wach war.

Und dann war er wieder einmal verschwunden.

Sie hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und versucht, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Als sie Stunden später wieder aufwachte (es war inzwischen stockdunkel draußen, dabei war Snape gegen Mittag gegangen), konnte sie das Summen ihrer Lebensenergie beinahe hören. Minutenlang fühlte Hermine diesem haarsträubenden Empfinden nach. Die Verlockung, sich darauf einzulassen und zu schauen, ob es sich wirklich wieder so gut anfühlen würde wie unter der Dusche oder vorhin, als sie Snapes Lebensenergie angezapft hatte, war groß.

Sie kaute auf ihrer Unterlippe, während sie dem zu widerstehen versuchte. Das Summen vernebelte ihr die Sinne. Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen und als sie nach dem Löffel und der Phiole greifen wollte, löste sich Magie und beides erhob sich vor ihr in die Luft. Hermine seufzte. Das war es. Das fühlte sich gut an. Verdammt gut sogar! Und weil ihr die Arme immer noch so schrecklich wehtaten, ließ sie es zu, dass die Phiole sich selbst entkorkte und drei Tropfen des Gifts auf den Löffel fallen ließ. Sie stellte die Phiole zurück auf den Tisch und akzeptierte es, dass dieses süße Beben ausgelebter Lebensenergie sie durchströmte und erregte und ließ den Löffel noch ein bisschen länger als nötig in der Luft hängen, ehe sie sich überwand und all den guten Gefühlen ein Ende bereitete, indem sie das elende Gift einnahm. Sofort fiel der Löffel klappernd auf die glatte Tischplatte.

Es dauerte danach beinahe eine Viertelstunde, bis sie den Weg ins Schlafzimmer zurückgelegt hatte.