In Sicherheit
Not while I'm around – Amanda Holden
Ich erwachte in einem Bett und einem Schlafzimmer, das nicht meines war. Im Raum war es dunkel, bis auf die Stehlampen auf den Nachttischen zu beiden Seiten des Bettes. Sie spendeten ein warmes, angenehmes Licht, das jedoch nicht das ganze Zimmer erhellte. Und es blendete mich nicht. Ich fühlte mich, als würde ich außerhalb meines Körpers schweben. An meinen Handgelenken waren Bandagen und an meiner Stirn klebte ein großes Pflaster. Die Umrisse des Zimmers, die Lichtkreise, selbst die Decke über mir besaßen einen schwachen Schimmer, der alles unwirklich erscheinen ließ. Ich blinzelte ein paar Mal, aber das verschwommene Bild blieb. Ich war wach, aber ich war immer noch ganz benommen und fühlte mich, als ob ich nicht hierher gehören würde. Zögernd drehte ich den Kopf. In den dunklen Schatten am Rand meines Gesichtsfelds konnte ich Umrisse einer großen Badewanne erkennen. Und wenn ich mich konzentrierte, kam mir auch der Geruch der Bettwäsche bekannt vor. Ich befand mich in Damons Schlafzimmer – und ich hatte keine Erinnerung daran, wie ich hierher gekommen war. Ich ließ meinen Kopf auf die andere Seite rollen. Jemand saß an meinem Bett. Er hatte die Arme auf den Rand der Matratze gestützt und den Kopf auf seine Unterarme gelegt. Im Schein der Lampe glänzte sein schwarzes Haar und erinnerte mich an einen Raben, einzelne Strähnen standen in seinem Nacken ab, während sein Gesicht von mir abgewandt war.
Damon.
Er musste in dieser unbequemen Haltung eingeschlafen sein, während er an meinem Bett gewacht hatte, bis ich wieder zu mir kam. Meine Brust zog sich bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen, machte mir das Atmen schwer. Und es lag nicht daran, dass ich mich schwach und ausgelaugt fühlte.
Ich überredete meine Muskeln, meinen Arm zu heben, kniff die Augen zusammen und erwartete den Schmerz. Aber da war keiner. Es fühlte sich zwar an, als würde ich mich unter Wasser bewegen- zäh und träge, doch es tat nicht weh. Bestimmt hatte man mir etwas gegeben. Das würde auch erklären, warum ich noch so benommen war und alles, wie durch einen Schleier wahrnahm. Ich brauchte eine Ewigkeit, um den Fokus scharf zu stellen, und meine Hand tastete wie blind durch die Luft. Dann endlich spürte ich seine Haare weich und glatt zwischen meinen Fingern. Ich wollte sie gerade noch tiefer darin vergraben, als er aufschreckte und sein Kopf zu mir herumfuhr. Er sah mich mit großen Augen an.
"Hey," sagte ich leise, weil ich mir nicht sicher war, was genau passiert war und was eine angemessene Reaktion darauf wäre. Außerdem traute ich meiner Stimme nicht.
"Hey," gab er zurück. Er musterte mich aufmerksam mit zusammengezogenen Augenbrauen und schmalen Lippen. Seine schönen Augen waren voller Sorge, während sie meinen Blick suchten. „Da bist du ja, Schlafmütze. Wirst du diesmal bei mir bleiben?"
Ich sah ihn an, während sich in meiner Kehle die Emotionen stauten. Was mich hierher gebracht hatte, in dieses Bett, war in meinem Hinterkopf präsent, nicht vergessen, sondern einfach nicht da.
"So knapp, was?", krächzte ich, nachdem sein Gesicht endlich nicht mehr verschwommen war und ich die dunklen Schatten und tiefen Linien sehen konnte.
Er schloss kurz die Augen und als er sie wieder öffnete, war die Sorge der Erleichterung gewichen. Sein Blick bohrte sich in meinen, bevor er nickte.
„Du hast mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Ich war kurz davor, dich in einen Vampir zu verwandeln."
Ich wusste, was das bedeutete. Er musste nichts mehr sagen. Es stand ihm förmlich auf die Stirn geschrieben. Innerhalb von Sekunden spielten sich so viele Gefühle in seinem Gesicht ab, dass ich sie kaum alle begreifen konnte. Dazu kam noch mein betäubter Verstand, der wie in Zeitlupe arbeitete.
„Das würde dir so passen," flüsterte ich.
Ein erleichtertes Lächeln erschien auf seinem Gesicht und milderte die dunklen Ringe unter seinen Augen etwas ab. Sein Haar sah aus, als hätte er es sich viele Male gerauft. „Wie geht's dir?", flüsterte er zurück und berührte zärtlich meine Wange.
Es war anstrengend, sein Lächeln zu erwidern, aber ich wollte unbedingt, dass der besorgte Blick aus seinen Augen verschwand.
„Ich bin okay."
Er nickte, stieß die Luft aus. „Sienna..."
„Hey, es geht mir gut," krächzte ich. Mein Hals fühlte sich wie Schmirgelpapier an. Gleich darauf bekam ich einen Hustenanfall. Damons Lächeln verschwand augenblicklich und er sah mich wieder mit diesem beunruhigten Blick an. Er starrte mich einen Moment lang an, dann streckte er die Hand zu dem Nachttisch neben dem Bett aus. „Hast du Durst?"
Ich wollte nicken, begriff aber, dass das keine kluge Idee war. „Ja."
Damon griff nach dem Wasserglas auf dem Nachttisch. „Okay. Nur ein ganz klein wenig." Er schob mir behutsam eine Hand unter den Kopf und hob ihn an, dann hielt er mir das Glas an die Lippen. Das kühle Wasser brannte in meinem Mund und in meiner Kehle, aber es war großartig. Er zog den Becher mit Wasser weg, bevor ich es hinunterkippen konnte. Ich funkelte ihn wütend an.
„Langsam." Er lachte, und seine Augen leuchteten auf. „Ich will nicht, dass dir übel wird, neben ..." Er spannte die Kiefermuskeln an, als er sich erneut durchs Haar fuhr. „Neben allem anderen."
Kein Wunder, nachdem man mir ... Ich keuchte auf, als die Erinnerung zurückkehrte.
„Du hast mich gerettet," stellte ich erstaunt fest. „Ich erinnere mich wieder. Du warst da, du hast mich gefunden. Mit Caroline?" Ich hob fragend die Augenbrauen, weil ich nicht sicher war, ob mir mein Verstand einen Streich spielte.
Damon verzog gequält das Gesicht. „Ja, na ja, sie ließ sich nicht abschütteln." Er verdrehte die Augen. „Offensichtlich war sie der Meinung, ich würde die ganze Stadt in Schutt und Asche legen, wenn sie nicht auf mich aufpasst."
Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Typisch Caroline. Obwohl sie Damon nicht ausstehen konnte, hatte sie sich um ihn gekümmert und ihn vor sich selbst beschützt. Mein Lachen endete in einem erneuten Hustenanfall.
Damon nahm mir das Glas aus der Hand und wollte mir ein neues bringen, doch ich griff schnell nach seiner Hand und hielt ihn zurück.
„Ich glaube, du hast eine Freundin gefunden," sagte ich mit fester Stimme, um ihm zu zeigen, dass er sich keine Sorgen machen musste.
Er sank auf den Stuhl zurück. „Nein, bitte nicht," stöhnte er. „Sie war schon nervig, als sie mich gehasst hat. Was passiert erst, wenn sie meine Freundin ist?"
Ich musste schon wieder lachen, doch er legte mir seinen Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. „Nicht lachen. Du bist noch viel zu schwach. Lachen gibt es erst morgen wieder. Verstanden?"
Ich nickte mit einem Grinsen. Meine Finger schlossen sich erneut um seine Hand. Ich drückte sie leicht und schob meine Finger zwischen seine. Dann hob ich den Kopf und sah ihn an.
„Danke," sagte ich ehrlich.
Er schluckte schwer, bevor er nickte. „Du hast viel Blut verloren, Sienna. Ich musste dich mit meinem Blut heilen..." Sein Daumen strich zärtlich über meine Knöchel. „Es tut mir leid, ich weiß, dass du..."
Ich hob meine andere Hand, die nicht mit seiner verschlungen war, und umfasste seine Wange. Seine Haut war kühl, als wäre er gerade erst von draußen hereingekommen. Vermutlich hatte er nicht genug getrunken. Stattdessen war er hier bei mir geblieben. „Danke," sagte ich noch einmal, mit mehr Nachdruck.
„Du solltest dich ausruhen. Wir können morgen reden," meinte er, nachdem wir uns eine Weile schweigend in die Augen gesehen hatten.
„Damon, warum hast du mir nicht gesagt, dass Katherine wie Elena aussieht?", fragte ich schließlich.
„Ich weiß." Er wich meinem Blick aus, kniff die Lippen zusammen. „Ich hielt es nicht für wichtig." Er zuckte mit den Schultern.
„Du hieltest es nicht für wichtig?", wiederholte ich ungläubig. „Sie hat sich für Elena ausgegeben und ich habe es nicht gemerkt." Meine Stimme klang nicht so laut und aufgebracht, wie ich es gern gewollt hätte, aber ich hatte einfach nicht die Kraft dazu.
„Ich dachte, sie würde nicht lange genug leben, damit du ihr ins Gesicht sehen kannst."
„Verdammt, Damon." Ich stieß ihn gegen die Schulter. Er bewegte sich keinen Zentimeter, verzog nicht mal das Gesicht. Erschöpft sank ich ins Kissen zurück, schloss für eine Sekunde die Augen. Selbst das Blinzeln war anstrengend.
„Tut mir leid." Unter halb gesenkten Lidern warf ich ihm einen - hoffentlich - wütenden Blick zu. Er hatte zumindest den Anstand, schuldbewusst auszusehen. Ob er sich wirklich schuldig fühlte, konnte ich nicht sagen.
„Jetzt will ich ihr erst recht den Kopf abschlagen," sagte ich schließlich, nachdem wir uns minutenlang in unangenehmem Schweigen gegenüber gesessen waren. „Aber vorher werde ich herausfinden, was sie mit meinem Blut vorhat. Sie sagte etwas von Jägerblut und wertvoll und sie kannte meine Familie. Irgendetwas hat sie vor."
Voller Tatendrang setzte ich mich auf und wollte meine Beine aus dem Bett schwingen. Alles begann sich zu drehen, als würde ich in einem viel zu schnellen Karussell sitzen. „Oh wow," staunte ich. Meine Hand tastete nach etwas, an dem ich mich festhalten konnte, bis das Schwindelgefühl nachließ. Das Bett schwankte plötzlich wie ein Schiff in Seenot. Da war ich wohl etwas vorschnell gewesen. Schwarze Punkte tanzten durch mein Gesichtsfeld.
Entfernt bekam ich mit, wie mich Damon bei den Schultern packte und zurück ins Bett drückte. „Hey, sieh mich an," flüsterte er. Er nahm mein Gesicht in beide Hände, lehnte sich über mich und hielt mich einfach nur fest. Seine Hände waren wie ein Anker in dem noch immer nicht langsamer werdenden Karussell. Ich sah nach oben, konzentrierte mich auf sein Gesicht. Er hatte wirklich schöne blaue Augen. Und diese schwarzen Wimpern ...
Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir so verharrten, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, er würde mich gleich küssen, aber in seinen Augen lag so viel Schuld und Sorge, dass für Verlangen gar kein Platz blieb. Und ich wollte nur, dass dieser Schwindel endlich aufhörte. Dann nach einer gefühlten Ewigkeit hörte der Raum auf, sich zu drehen.
„Das kann alles warten, hörst du? Jetzt musst du erst mal wieder gesund werden. Versuch, noch ein wenig zu schlafen."
„Mir geht's gut," sagte ich und konnte das Bedauern kaum aus meiner Stimme halten, weil er mich wieder freigab, um sich an den Bettrand zu setzen. „Katherine war sich so sicher, dass du kommen würdest, um mich zu befreien. Es war eine Falle, das wusstest du, oder?"
„Ja."
„Und trotzdem bist du gekommen."
„Natürlich. Was hätte ich denn tun sollen? Dich sterben lassen?"
Ich deutete ein Schulterzucken an. Er schüttelte nur den Kopf, bevor er aufstand. „Schlaf jetzt. Ich sehe später wieder nach dir. Jetzt werde ich erst mal deinen Freunden sagen, sie sollen aus meiner Küche verschwinden, bevor sie meinen ganzen Vorrat an Alkohol vernichten können."
Ich hob überrascht den Kopf. „Sie sind hier? Aber wie..?"
„Ich kann sie hören. Sie spielen Karten und unterhalten sich."
„Oh." Für einen kurzen, wunderschönen Augenblick hatte ich vergessen, dass er ein Vampir war. „Und wie lange...?"
Er seufzte. „Schon die ganze Zeit. Sie sind kurz nach mir eingetroffen und haben es sich in der Küche gemütlich gemacht. Und jetzt werde ich sie rauswerfen."
„Damon, nicht! Bitte. Sie sind meine Freunde. Die einzigen, die ich habe. Sie meinen es doch nur gut. Bitte sei nett zu ihnen."
Noch ein ergebener Seufzer. Er verdrehte die Augen. „Na, schön, ich werde es versuchen." Er warf mir ein letztes Lächeln zu, bevor er sich zum Gehen wandte.
„Damon?"
Er blieb in der Tür stehen, drehte sich noch einmal zu mir.
„Ich bin froh, dass ich dich nicht umgebracht habe."
Sein Lächeln wurde breiter und er sah schon wieder ganz wie der alte Damon aus. „Das bin ich auch." Mit diesen Worten ließ er mich allein.
