Mit Dir Durch die Zeit

1599: Edo, Japan

Kagome stieg von Sesshoumarus Staubwolke herunter in den Schnee und durchbrach die darauf liegende dünne Eisschicht als sie ein paar Zentimeter einsank. Hinter ihr war ein weiteres Knirschen zu hören als der Daiyoukai seiner Wolke erlaubte, sich in Luft aufzulösen. „Wie weit ist es von hier aus?", fragte sie.

„Zwei Stunden ostwärts", antwortete er, während er an ihr vorbeifegte und eine ordentliche Spur Fußabdrücke hinterließ. Er konnte sich mit schockierender Grazie durch den Schnee bewegen, wie Kagome unlängst herausgefunden hatte. Es waren wohl die langen Beine und das Schreiten, sinnierte sie, als sie seinem Weg folgte. Jeder saubere Abdruck, den er hinterlassen hatte, zerbröckelte, als sie wie ein Kind durch sie durchlief, von einem zum nächsten hüpfend.

„Hättest du uns nicht näher hinbringen können?"

„Nein. Unsere Wege werden sich in Kürze trennen. Dir wirst weiter nach Osten gehen, ich muss jedoch weiter nach Süden und Westen."

Kagome blickte finster drein, stolperte leicht und bedeckte ihre Wade mit pudrigem Schnee. „Und wie soll ich alleine zum Dorf kommen? Hier sieht nichts aus wie ich es in Erinnerung habe und es ist so lange her."

„Dreizehn Jahre bedeutet nichts in der Lebensspanne eines Unsterblichen. Dinge bewegen sich schnell um dich herum während du still stehst."

„Oh. Nun, ich fühle mich nicht im Geringsten besser." Sie ärgerte sich, als der Schnee sich langsam einen Weg in ihren Stiefel bahnte. Kälte störte sie nicht mehr wirklich – das Wissen, dass sie nicht mehr erfrieren konnte, nahm den Schrecken davon – aber es war auch nicht angenehm. „Hättest du mich nicht einfach zum Dorf fliegen können?", fragte sie erneut. Sie wusste, dass sie jetzt jammerte. Es war aber nicht gerade fair. Sie waren monatelang unterwegs gewesen, und sie war leicht verärgert, dass er sich entschlossen hatte, hier anzuhalten – so nah und doch so fern.

„Wenn du so darauf versteift bist, zum Dorf zu fliegen, kannst du äußerst gerne von der nächsten Klippe springen um es zu versuchen. Ich werde dich nicht hinbringen."

Sie rollte mit den Augen, als sie leise hinter ihm hertrottete, über spärlich bewachsene Felder, deren Bäume sich zum Boden neigten, als wären sie beschämt über ihre winterliche Nacktheit. Es war so weit, so weiß, dass sie den Eindruck hatte, sie wären die einzigen beiden lebenden Geschöpfe in der Welt. Und wenn sie den Kopf wegdrehte, konnte sie sich vorstellen, wie sogar Sesshoumaru mit seinem silbernen Haar und dem weißen Kimono mit dem Hintergrund verschmolz und sie alleine war. Doch obwohl sie die letzten 3 Monate mit dem Daiyoukai verbracht hatte, hielt sie das nicht lange aus. „Sesshoumaru?"

„Was?"

„Du lässt mich nicht wirklich ganz alleine hier draußen, oder?"

Seine goldenen Augen – er hatte den Verschleierungszauber fallengelassen nachdem sie London verlassen hatten und sie war bisher nicht Zeuge seine Rückkehr geworden – blickten sie über seine Schulter hinweg an. „So verführerisch diese Idee nach so langem, konstantem Kontakt auch sein mag", sagte er und pausierte für einen Moment, „nein."

„Deine Freundlichkeit ist überwältigend", murmelte sie gerade, als es wieder zu schneien anfing. Der weiße Himmel über ihnen wirbelte mit dem Versprechen eines heftigen Sturms, doch sie strich nur ihr Haar zurück und sah sich um. „Also bekomme ich einen Führer? Ich weiß, dass du eine Nachricht aus China vorausgeschickt hast mit diesen Vogeldämonen. Kommt einer deiner Diener um mich zurückzubringen?"

Er stoppte neben einem langen, flachen Felsbrocken, der sich drei Fuß aus dem Boden erhob. Kagome kletterte hinauf und schickte eine Kaskade von Schnee über den Vorsprung wie ein weißer Wasserfall. Sie zog reflexartig ihren Kragen nach oben und sah sich auf der weißen Ebene um. „Wo…"

Der Daiyoukai unterbrach sie so fließend, dass sie sich nicht bemühte, wütend zu werden. „Erinnere dich an unsere Übereinkunft."

Sie nickte. „Richtig. Du kehrst einmal pro Saison zurück. Sollten wir Grund haben, zu einem anderen Zeitpunkt abzureisen, schicke ich Nachricht", rezitierte sie. Sie hatten auf ihrer Reise lange darüber gesprochen, wie lange sie in Japan bleiben würden, hatten jedoch beschlossen, dass sie es nicht sagen konnten bevor sie nicht dort angekommen waren. Es beruhigte Kagome, wenn sie daran dachte, dass Sesshoumaru alle paar Monate nach ihr sehen würde, doch es war ebenso komisch, daran zu denken, dass sie ihn für diese paar Monate verlassen würde. Sie hoffte verzweifelt, dass es noch jemanden in Edo gab, den sie kannte. Wenn niemand mehr da war, hatte sie bereits beschlossen, zu seinem Zuhause in den Westlichen Ländern zu reisen. Sie würde es nicht aushalten, auch nur die paar Tage zu warten, die es dauerte, eine Nachricht zu ihm zu schicken bevor sie aufbrach.

Der Drang, dem Daiyoukai zu sagen, dass es sie zu überwältigen drohte, überkam sie, obwohl sie wusste, dass er solche Empfindelei nicht schätzte. Als sie sich umwandte, um es ihm trotzdem zu sagen, sah sie, dass er bereits fort ging. Sie sprang von dem Felsbrocken und folgte ihm.

„Kagome!"

Etwas Rotes blitzte auf, und plötzlich war sie in eine schockierend starke Umarmung gewickelt. In einem kurzen Moment der Angst versteifte sich Kagome bevor sie bemerkte, dass sie ganz genau wusste wer das war – seine Stimme, seine Haare, die ihr Gesicht streiften, und sein Geruch waren nur allzu vertraut, und für einen Moment schmerzte es. Sie klammerte sich an ihn. „Shippo", weinte sie in seine Schulter. Sie drückte sich ein wenig zurück und wischte sich die Augen, die auf einmal tränenüberströmt waren. Der Kitsune vor ihr sah sie mit erheblicher Belustigung an. „Du bist ja richtig groß geworden!"

Der Fuchsdämon grinste und zuckte mit den Schultern – Schultern, die viel breiter waren als damals als sie ihn zuletzt gesehen hatte – und seine langen, roten Haare wiegten sich in jeder Bewegung. Die Schleife war vor langer Zeit verschwunden. „Bin ich?", fragte er, offenkundig selbstzufrieden. Sein Gesicht hatte immer noch etwas von seiner kindlichen Rundheit, doch seine Extremitäten waren lang und er war genauso groß wie sie. In den Jahren bevor sie Japan verlassen hatte, war er erheblich gewachsen, doch ihr wurde klar, dass sie immer noch nur ein Kind zurückgelassen hatte. Jetzt war er ein junger Mann – in etwa so alt wie Sota, als sie ihn zuletzt gesehen hatte.

„Bist du", bestätigte sie schniefend. Sie zog ihn erneut in ihre Arme für eine weitere Umarmung. „Ich hab dich vermisst!"

Er lachte. „Ich hab dich auch vermisst, Kagome." Sie lösten sich erneut, doch er hielt ihre Hand. „Wie geht's dir?"

„Wunderbar. Ich bin so froh wieder hier zu sein! Es war anstrengend, hierher zu kommen."

„Ich dachte du wirst nicht müde?", sagte er mit einem Grinsen.

„Ich brauche keinen Schlaf, aber das heißt nicht, dass ich nicht ab und an von der konstanten Gegenwart eines hochnäsigen Daiyoukai erschöpft sein kann."

„Du musst mir diese ganze Geschichte auf dem Rückweg erzählen. Du hängst mit Sesshoumaru herum", sagte Shippo und schüttelte den Kopf. „Aber wenn du müde bist, dann komm mit. Ich bring dich zum Dorf bevor es spät wird."

Der Knoten aus Angst, der sich in ihrem Magen im Laufe der letzten paar Monate geformt hatte, erinnerte sie mit einem schmerzhaften Ruck an seine Existenz. Trotzdem schaffte sie es, ein Lächeln auf ihre Lippen zu pflastern. „Okay. Gehen wir."

Shippo grinste und fing an, durch den Schnee zu waten. „Also, ich denke du willst wissen…"

Bevor er ein weiteres Wort sagen konnte, unterbrach sie ihn. „Also, warum bist du derjenige, den Sesshoumaru geschickt hat um mich zurück zu bringen?"

„Hat er nicht", antwortete Shippo, seine Augen leicht geweitet. Er bemerkte, wie Kagomes Unterlippe trotz ihres Lächelns zitterte, ließ sich aber auf die Ablenkung ein. „Er schickte eine Nachricht an Suoh, Rins Gefährte. Er ist der Kommandant von Sesshoumarus Garde. Jedenfalls hat Rin ihm gesagt, er solle die Nachricht an mich weiterleiten."

„Ich bin froh, dass sie an dich gedacht hat. Aber ich wusste nicht einmal, dass Sesshoumaru eine Garde hat."

Der Kitsune lächelte auf eine Art und Weise, die Kagome sagte, dass sie etwas sehr Naives von sich gegeben hatte. „Er hat eine ganze Armee. Er benutzt sie nur nicht – es ist der Stolz der Hundedämonen des Westens, dass sie ihre Vasalen nicht brauchen. Es gibt eine Elitegarde, die sein Heim beschützt, wenn er unterwegs ist. Suoh leitet sie. Aber wir sind ihm alle als Soldaten verpflichtet für den Fall der Fälle."

„Wir?", wiederholte Kagome und hob eine Augenbraue.

„Mein Vater und Großvater und Urgroßvater, alle von ihnen. Meine ganze Familie hat den Westlichen Landen ihre Treue ausgesprochen", antwortete Shippo. „Ich bin der einzige männliche Nachkomme, der noch übrig ist, aber ich bin immer noch adlig und sein Vasal. Selbst wenn ich nicht gewollte hätte, hätte ich Suohs Nachricht beantworten und dich holen müssen. Die Pflicht hat gerufen." Er grinste, als Kagome ihm mit dem Ellbogen in die Rippe stupste.

„Ich bin nicht sicher, ob mir die Idee gefällt, dass du Sesshoumarus Soldat bist", sagte sie.

Er stieß den Atem aus. „Sobald ich mein Training mit dem Kitsunemeister beendet habe, werde ich Suoh um einen Platz in Sesshoumarus Garde bitten." Für einen Moment blickte er finster drein. „Ich denke, ich sollte Sesshoumaru-sama persönlich fragen, jetzt, da er hier ist."

Kagome drückte seine Hand mit der ihren. „Warum? Ich meine, du bist ein namentlicher Soldat. Warum solltest du dich noch mehr in Gefahr begeben?" Sie sah seine Schultern und sein Kinn an und auf einmal sah sie den kleinen Jungen, der auf ihrem Kissen geschlafen und sie um Schokolade angebettelt hatte. „Du bist so jung, Shippo. Ich meine, werden sie nicht denken, dass du zu jung bist?"

„Das Land meiner Familie, so klein es auch war, ist weg", sagte er. „Andre Dämonen haben es genommen. Ich will meine Fähigkeiten benutzen um Leute zu beschützen, Kagome. Du hast immer gesagt, das wäre das Beste daran, ein Dämon zu sein – auf andre aufzupassen. Und ich muss auch mit ihnen trainieren. Es wird eine Zeit dauern, bis ich einen Posten zugewiesen bekomme."

„Vermutlich", antwortete Kagome. „Aber du wirst nur über ein Schloss wachen."

„Und über jeden darin", verbesserte er. „Sesshoumaru-sama hat eine Menge Leute, die für ihn arbeiten, weißt du. Es ist eher eine ganze Stadt."

Die Sorgenfalte auf seiner Stirn zeigte ihr, wie sehr er ihre Zustimmung wollte und sie konnte sie ihm nicht verwehren. Es bereitete ihr Angst, doch sie konnte einfach nichts sagen. Sie beruhigte sich selbst mit dem Gedanken, dass jemand, der mit Rin liiert war, Shippo keinen Schaden zukommen lassen würde. „Nun, ich denke, solange du gut auf dich aufpasst, klingt es deinem Talent sehr würdig. Ich bin froh, dass du ihnen helfen kannst, Shippo." Sie lächelte und zuckte die Schultern. „Und ich denke, ich kann nicht behaupten, Sesshoumaru zu helfen wäre so schlecht. Er hat viel für mich getan in den letzten paar Jahren. Ich bin mir allerdings nicht sicher ob er dich verdient."

Der angespannte Gesichtsausdruck des Kitsune entspannte sich bei ihren Worten. „Erzähl mir was du die ganze Zeit gemacht hast", sagte er. Seine Augen schweiften über ihre in Grün gekleidete Form. „Und was du anhast. Das ist ein komischer Kimono."

Sie lachte und zupfte an ihrem Ärmel. „Es ist aus der Mongolei und man nennt es Deel. Eine der Frauen hat darauf bestanden. Da war ein Zwischenfall mit einer Herde Ziegen und meiner Kleidung aus London. Aber vielleicht nehme ich zu viel vorweg?", fügte sie hinzu als sie Shippos perplexes Gesicht sah.

„Nur ein bisschen", gestand er ein. „Fängst du von vorne an?"

Kagome grinste. „Also gut. Von ganz vorne."

Die nächsten drei Stunden – Sesshoumaru hatte die Zeit bis zum Dorf mit seiner Geschwindigkeit berechnet und nicht mit der eines normalen Schrittes – verbrachten sie mit Kagomes Erzählungen. Shippo hörte mit begeisterter Aufmerksamkeit zu, unterbrach sie nur für ein paar ausgesuchte Kommentare über Garrick oder für Komplimente, nachdem sie wegen seiner Beharrlichkeit ein paar Worte in Englisch gesprochen hatte.

„Und als sie gesehen hatten, was die Ziegen getan hatten, bestand die Ehefrau des Stammesführers darauf, mir das hier zu geben." Sie gestikulierte an sich und dem hochgeschlossenen Stoff, der um sie gewickelt war, hinunter. „Und danach sind wir schnurstracks hierhergekommen. Naja, wir haben kurz in China gestoppt, aber da ist nichts passiert. Sesshoumaru hat nicht gescherzt als er gesagt hat, dass er müde wird, wenn er zu lange reist."

Shippo lachte immer noch bei dem Gedanken, wach zu werden und zu sehen wie Ziegen die eigene Kleidung verspeisten. „Ich bin froh, dass du's geschafft hast", schaffte er zu sagen.

„Bin ich auch", sagte sie und klammerte sich an seinen Arm. „Und was ist hier so los gewesen?", fragte sie.

Es war gesagt bevor sie sich selbst stoppen konnte. Es war so eine natürliche Frage, dass sie nicht mehr aufgepasst hatte. Jetzt war es draußen und hing in der Luft. Shippo hörte auf zu lachen, blieb stehen und ließ ihre Hand los. „Kagome…"

„Nein." Sie wich zurück und wedelte mit ihrem Finger. „Ich will es nicht wissen. Ich wollte nicht fragen."

Erstaunlich grüne Augen fanden die ihren. „Du wirst es früh genug herausfinden", flüsterte Shippo. Er sah weg. „Soll ich Inuyasha holen? Willst du es lieber von ihm hören?"

Sie wich einen weiteren Schritt zurück. „Inuyasha?", murmelte sie. „Also lebt er?"

„Natürlich.", antwortete der Kitsune mit dem Ansatz eines Lächelns, dass alles nur viel schlimmer machte.

Kagome schüttelte ihren Kopf. „Aber jemand… jemand ist gestorben. Wer?", fragte sie und drehte sich von ihm weg.

Shippo zögerte so lange, dass sie fast geschrien hätte, doch als sie zu ihm sah, konnte sie sehen, wie sein Gesicht von etwas verzerrt wurde, das selten auf dem Gesicht eines Tricksters zu sehen war – Trauer. Sie streckte die Hand nach ihm aus, schwor sich selbst, nicht zu weinen, doch sie bemerkte, dass ihre Sicht bereits verschwamm. „Bitte, Shippo. Ich kann nicht…"

Er unterbrach sie schnell, mit einem präzisen, unerbittlichen und standhaften Blick, der gut zu Sesshoumarus Garde passte. „Sango."

Kagome schluckte. „Oh."

Der Boden schien unter ihren Füßen zu kippen und Shippo musste nach vorne springen um sie zu fangen bevor sie fiel. Er hielt sie aufrecht und befahl ihr leise, zu atmen. Erst dann bemerkte sie, dass das abgehackte Keuchen um sie herum das ihre war. Sie schüttelte den Kopf und setze sich in den Schnee, Shippo folgte.

„W-was ist passiert? Hat ein Youkai…?"

Fast lächelte er. „Nein, Kagome. Sie war alt. Sie ist krank geworden und es war so schnell vorbei. Da war nichts was man hätte tun können. Kikyo hat es versucht, aber wir konnten nicht…" Er zögerte und seufzte. „Es tut mir leid."

„Wann?"

„Vor ein paar Jahren", murmelte er.

Sie nickte und kam mühsam auf die Beine. „Ich muss Miroku sehen", flüsterte sie.

„Komm schon", sagte er und suchte ihr fahles, leeres Gesicht ab. „Willst du nicht erst ein Bad nehmen? In der Nähe gibt es eine heiße Quelle." Er hob eine Augenbraue, aber das Versprechen von Wärme brachte nicht viel.

Sie hob ihre Hand zu ihrer Wange und fühlte ein paar salzige Spuren von ihren Tränen unter ihren Fingern. „Ich will nur mein Gesicht waschen", sagte sie mit gebrochener Stimme. „Dann will ich, dass du mich zu Miroku bringst."

Er machte, worum sie ihn gebeten hatte, ließ sie aber nie alleine. Er bemutterte sie, als sie vorsichtig die Tränen von ihrem Kinn wischte und ihre Haut trockentupfte. Kagome protestierte nicht, doch sie nahm es auch nicht an. Endlich, als er sie fragte, ob er Sesshoumaru für sie holen sollte, sprach sie wieder. „Er wird nur sagen, dass er Recht hatte.", murmelte sie und beließ es dabei.

Schließlich stand Kagome auf und warf ihre dicke Haarmähne zurück. Von hier aus kannte sie den Weg natürlich – dies war die Quelle, in der sie und Sango so viele Tage ihrer Jugend verbracht hatten und über die Männer in ihren Leben geredet hatten. Dies war, wohin Kagome Sango in späteren Tagen gebracht hatte, um die Arthritis, die die Dämonenjägerin mittleren Alters in ihren Gelenken gespürt hatte, zu lindern. Als Sango älter geworden war während Kagome unverändert blieb, wurden ihre gemeinsamen Ausflüge immer weniger häufig. Es war einer der Gründe, warum sie gegangen war – ihre ewige Jugend war ihr im Angesicht Sangos Zerbrechlichkeit peinlich gewesen. Jetzt kam Kagome diese Empfindelei unglaublich egoistisch vor. Reue wog schwer auf ihr, als sie mit Shippo an ihrer Seite in Richtung Dorf ging.

Das Dorf kam schneller in Sichtweite als es ihr lieb war. In nur dreizehn Jahren war es immens gewachsen – schon als sie gegangen war hatte es schon einer Kleinstadt geähnelt, und jetzt konnte man es nicht mehr leugnen. Shippo fasste sie am Ellbogen als sie weiter Richtung Zentrum ging, wo Miroku und Sango immer gelebt hatten. „Er ist umgezogen", sagte Shippo und führte sie zurück auf den Hügel.

Einiger Bewohner riefen dem Fuchsdämon zu als sie um den Rand des Dorfes herumgingen und Shippo antwortete jedem mit Namen. Manchmal sah sie für einen kurzen Moment etwas vertrautes in einem Gesicht, aber Shippo schüttelte jedes Mal den Kopf. Keiner dieser Dorfbewohner war hier gewesen als sie zuletzt hier war sagte er immer wieder. Sie waren Kaufmänner, die nach Edo gekommen waren um ihr Vermögen zu machen. Die Farmer, die sich nicht angeschlossen hatten, waren weggezogen. Kagome sah, wo Bäume gefällt worden waren um Platz für Häuser statt für Getreide zu schaffen.

Es dämmerte Kagome erst wohin sie gingen als die Geräusche vom Markt verstummt waren. „Der Knochenfresserbrunnen?", fragte sie.

Shippo nickte und seine Augen hellten sich auf, da sie zum ersten Mal nicht mit monotoner Stimme gesprochen hatte. „Vor ein paar Jahren dachten wir uns, dass es nett wäre, den Sieg über Naraku zu feiern."

Er brauchte den Rest nicht zu sagen – es war gebaut worden, nachdem Sango gestorben war. Sie kannte ihre Freunde gut genug. „Inuyashas Idee?"

„Jaa. Er war ziemlich pingelig damit, wie es aussehen sollte."

„Darauf wette ich." Sie konnte sich vorstellen, wie der Hanyou alles nach dem, was er in der Zukunft gesehen hatte, formte. Sie ging zu ihrem eigenen Zuhause – der historische Schrein, in dem sie die frühsten Jahre ihres Lebens gelebt hatte, war von ihren Freunden gebaut worden um die Zukunft nachzuahmen. Ein großer, perfekter Kreis. Sie war sich nicht mehr sicher, dass sie das hier machen konnte. Es war schon schlimm genug, Miroku als einen alten, gebrochenen Mann zu sehen – aber ihr so schmerzlich vermisstes Zuhause zu sehen? Es war zu viel.

Aber gerade als sie anfing, langsamer zu werden und sich leicht zurückfallen ließ, endete die Reihe der Hütten und sie sahen einen in Roben gekleideten Mann an der Ecke eines kleinen Schreinhauses stehen. Er sah sie direkt an und Kagomes Herz stand für einen Moment still. „Miroku?"

Obwohl er aufrecht stand, konnte Kagome sehen, wie er sich auf seinen Stab stützte. Sein Haar – jetzt weiß und mit dem verschneiten Hintergrund verschmelzend – war immer noch zu dem kleinen Pferdeschwanz zurückgebunden, den er immer getragen hatte. Ihr erster, lächerliche Gedanke war, dass sie falsch lag. Das war nicht Miroku, sondern sein Vater. Oder Großvater.

Aber er trat vor und sein Lächeln war unverkennbar unter seinen violetten Augen. „Kagome!" Er streckte seine freie Hand aus.

Shippo seufzte glücklich, als Kagome das Lächeln des Mönchs erwiderte. Sie trat vor, aber als sie die zerbrechliche, papierene Haut des Mönchs berührte, wurde sie betrübt. Sie fing an zu weinen – Tränen strömten über ihr Gesicht und dann auf Mirokus Roben als er sie in den Arm nahm. „Oh. Oh nein", murmelte er als er sie umarmte, „er hat es dir gesagt." Er blickte über ihren Kopf hinweg zu dem Kitsune. „Ich habe dir gesagt, du sollst es ihr nicht sagen."

„Und ich habe dir gesagt, dass das nicht funktionieren würde", antwortete Shippo leise.

Einige Zeit standen sie einfach nur da, während Kagome an Mirokus Schulter weinte. Es fühlte sich leicht lächerlich an – um die Ehefrau des Mannes zu trauern, der sie ruhig im Arm hielt – und dennoch konnte sie nicht aufhören. Sango war weg, wiederholte sie immer und immer wieder in ihrem Kopf. Weg, weg, weg. Miroku würde auch sterben. Ebenso wie Inuyasha und Shippo, wenn ihre Zeit gekommen war. Sie würde für immer sein. Sango war die erste von so vielen Verlusten. Sie weinte so lange, dass Miroku sie zurück zu den Stufen des Schreins führen musste, sodass er sich setzen konnte während sie sich ausweinte.

Und immer noch hielt er sie. Er murmelte sanft tröstende Worte, genau so wie ein Vater es bei seinem Kind tun würde. „Es tut mir so leid", flüsterte Kagome, gerade als ihre Tränen weniger wurden. Die Sonne hatte sich bewegt und ihre Schatten sich verlängert, und sie war erschöpft. Der Mönch war nicht von ihrer Seite gewichen. „Es tut mir so leid, Miroku."

Er lächelte sanft. „Was tut dir leid, Kagome?"

Sie löste sich von seiner Schulter und wischte sich die Nase mit ihrem Handrücken. „Dass sie weg ist. Und dass ich nicht für dich da war", gab sie zu. „Dass ich dich alleine gelassen habe."

„Ich war nicht alleine", sagte Miroku. „Ich hatte meine Kinder, meine Enkel und meine Urenkel. Ich hatte Shippo und Inuyasha. Wir haben jeden Tag über dich gesprochen, weißt du? Sie wusste, du würdest wahrscheinlich nicht rechtzeitig zurückkommen, aber alles was sie sich für dich wünschte, war, dass du glücklich und wohlauf bist."

Kagome dachte an die Frau, die ihre Schwester geworden war und wie sie sich umarmt und miteinander geweint hatten, bevor sie Edo verlassen hatte. Sango hatte das Gleiche zu ihr gesagt, und sie wusste, dass die Worte ernst gemeint waren, damals so wie auch heute. Sie wusste, dass Sango es ihr nicht übelgenommen hatte als sie gegangen war. Sie spürte einen schmerzhaften Anflug von Glück, dass sie so eine Freundin gehabt hatte.

Kagome lächelte trotz allem. „Das ist so komisch – du tröstest mich", flüsterte sie.

„Ah, ich hatte davon genug. Für mich ist sie vor 3 Jahren gestorben. Für dich starb sie heute."

Sie blickte ihren Freund an und sah den Schmerz, der immer noch in seinen Augen lag. Sie seufzte während sie ihre Knie unter ihr Kinn zog und ihre Arme um die Beine schlang. „Ich hätte bleiben sollen." Sie blickte hinunter auf die wachsende Stadt. „Vielleicht bleibe ich jetzt."

„Nein", sagte Miroku und schüttelte seinen Kopf. „Du hattest Recht damit, zu gehen und du wirst wieder gehen."

„Was? Warum? Inuyasha ist immer noch hier. Und Shippo auch." Sie sah sich nach dem Kitsune um, doch es schien als hätte er sich leise zurückgezogen. Er würde schon bald genug wieder hier sein, wusste sie.

„Sie werden auch bald gehen", sagte er. „Vielleicht nicht sehr bald, aber schlussendlich werden sie auch gehen. Jeder, der so lange lebt wie ihr drei sollte das tun. Sterbliche bleiben die meiste Zeit ihres Lebens an einem Ort, weil die Zeit für sie so schnell vergeht. Das ist alles, was wir für ein erfülltes Leben an einem Ort tun können, aber du kannst erfüllte Leben an hundert Orten haben, Kagome. Du solltest eins der guten Dinge, die mit deinem Fluch einhergehen, nicht verschwenden."

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe hier so viel verpasst."

„Genau wie ich, dort draußen. Keiner von uns sollte das bereuen", antwortete er mit einem Lächeln. Er griff seinen Stab von wo er ihn gegen die Stufen gelehnt hatte, stand auf und überraschte Kagome mit seiner Kraft als er auch sie auf die Beine zog. „Soll ich dich hinbringen?"

Die Miko wusste, was er meinte und nickte. „Bitte."

Die durchquerten den Schrein während Miroku jedes Detail erklärte. Der Brunnen war immer noch unbedeckt und Mirokus Haus war winzig im Vergleich zu dem Haus, das Kagome eines Tages haben würde, aber es sah so bekannt aus, dass es sie schmerzte. Kleine Opfergaben zierten den Fuß des Gottbaumes – eine Frau kniete davor. „Ich kann nicht glauben, dass du dich um einen Schrein kümmerst. Gibt es nicht eine Regel dagegen?", sagte sie und versuchte zu lächeln.

Miroku lachte und deutete auf ein Tor, flankiert von Steinwächtern. „Hier ist der Tempel um den ich mich kümmere", sagte er. Als Kagome sich bewegte, konnte sie vom Tor genau auf eine kleine Pagode und den Rest der Tempelgebäude darunter blicken. „Die Tochter des Dorfoberhaupts ist hier die Miko, obwohl sie, anders als du, keine großen Fähigkeiten als Priesterin besitzt. Sie lebt immer noch bei ihrem Vater und kommt jeden Morgen hierher, um die Aufgaben auszuführen, die ich nicht tun kann. Den Rest des Tages verbringt sie im Dorf und kümmert sich um die Kranken und Hungrigen."

„Es ist kein Dorf mehr", antwortete Kagome und sah den Tempeleingang anerkennend an als sie vorbei gingen. Sie hatte nie gewusst, dass so nahe bei ihrem Schrein ein Tempel gewesen war – in ihrer Ära war er lange schon verschwunden. Natürlich würde Inuyasha das gewusst haben. Sie bleib leise und hoffte, dass der Mönch es nicht wusste.

„Es ist sehr viel anders. Ich glaube, ich kann nicht anders als es Dorf zu nennen", sagte er mit einem Schulterzucken.

„Du und Sesshoumaru sprecht beide darüber, dass die Welt sich schnell bewegt", sagte sie, „aber ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Ich bin immer noch ein Mensch, auch wenn ich unsterblich bin. Dinge ändern sich auch für mich. Es ist angsteinflößend."

Miroku nickte. „Ich bin mir sicher, dass es das ist. Sogar Inuyasha und Shippo sind überrascht, wie schnell sich die Welt ändert. Natürlich sind sie jung. Ich frage mich, ob ältere Youkai das auch so empfinden." Für einen Moment blickte er zum Himmel. „Egal ob angsteinflößend oder nicht, du solltest es nicht verpassen, Kagome. Du hast die Chance, in einem Leben das zu tun, wofür meine Seele viele Leben brauchen wird."

Am Rande des Waldes, genau da, wo in fünfhundert Jahren ein Hain sein würde, näherten sie sich einem großen Marker. Es war roher Stein, doch er war in die Form einer fünfstöckigen Pagode geschlagen, die die fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Wind und Leere repräsentierten. Kagome stand für einen Moment still da, bevor sie auf den Stein zuging und mit ihren Fingern langsam über die Namen der Gottheiten eines jeden Elements strich. Und ganz unten, über Sangos Namen.

Erneut wellten Tränen auf, obwohl sie dachte, sie hätte alle aufgebraucht. Sie setzte sich vor den Steinmarker und ließ ihre Hand auf dem Namen ihrer Freundin liegen. „In meiner Zeit ist das auch hier", murmelte sie.

Mirokus Stab erklang als er sich bewegte. „Ist es?" Er klang erleichtert.

„Ja, aber die Gravuren sind weg", sagte sie und wischte sich übers Gesicht. Sie sog scharf den Atem ein und sah zu ihm auf. „Es tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen."

Er schüttelte den Kopf. „Es ist in Ordnung. Sogar Stein zerfällt, Kagome. Ich bin froh, dass es bis zu deiner Zeit überdauern wird. Es reicht, wenn du weißt, dass es für Sango steht. Wenn jemand sich daran erinnern sollte, dann hätte sie gewollt, dass du das bist."

Kagome wandte ihren Kopf ab und schluchzte in ihren Ärmel. „Warum sie? Es ist nicht fair. Ich hätte nicht gehen sollen. Ich muss für immer ohne sie leben", weinte sie, „und ich vermisse sie jetzt schon so sehr. Wie kann ich durch als das hindurch leben ohne sie?"

Miroku kniete sich neben sie auf die Erde. „Ich habe genau die gleichen Dinge gefragt", sagte er, „jede Nacht für ein ganzes Jahr nachdem sie gestorben ist. Ich kam hierher nachdem die Kinder und Enkel und Urenkel gegangen sind und ich habe gefragt. Sango hat nur geantwortet, wenn ich Fragen fragte, zu denen sie die Antwort kannte."

Kagome hob den Kopf und sah ihn an. „Was meinst du?"

„Niemand kennt die Antworten auf diese Fragen, Kagome. Wie könnte Sango sie beantworten?", sagte er. Lächelnd lehnte er sich nach vorne und legte die Hand auf den Namen seiner Frau. „Ich fühlte mich besser als ich ihre Stimme wieder hören konnte, aber ich musste die richtigen Dinge sagen." Er hielt inne und sein Grinsen wurde breiter. „Tatsächlich genauso, wie als sie lebte."

„Miroku…"

„Na los." Der alte Mönch wandte sich an sie und nickte ihr mit seinem weißen Kopf zu. „Frag sie etwas, das sie beantworten kann."

Kagome sah wieder den stummen Stein an und rutschte näher heran. „Sango", fing sie an, „Sango, es tut mir leid, dass ich nicht hier war. Vergibst du mir?"

Und vor ihrem inneren Auge erschien Sango, so jung, wie sie gewesen war, als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, gekleidet in ihren bestickten Hochzeitskimono. So war sie am schönsten und am glücklichsten gewesen und sie lachte in Kagomes Gedanken, genau so, wie sie immer gelacht hatte. Kagome konnte die Stimme der Dämonenjägerin in ihrem Kopf hören, und obwohl es keine klaren Worte waren, fühlte Kagome die Antwort. Sango hätte ihr in einem Wimpernschlag verziehen.

Sie öffnete ihre Augen wieder und sah Miroku an, und obwohl sie wieder weinte, lächelte sie leicht. „Besser?", fragte er.

Kagome schüttelte den Kopf. „Im Großen und Ganzen? Nicht wirklich", gab sie zu.

Er nickte und stand auf. „Die Tore sind immer offen", sagte er. Ohne auf eine Antwort zu warten, streckte er die Hand aus um ihr auf die Beine zu helfen. „Ich bringe dich zu meiner Tochter, Taka, und ihrem Mann. Erinnerst du dich an sie? Sie leben nahe beim Schrein. Die Frau ihres Sohnes hat Zwillinge bekommen und sie haben sich ein eigenes Haus gebaut. Taka hat jetzt einen extra Raum."

„Das wäre nett von ihr. Ihr Sohn war noch so jung als ich gegangen bin", sagte sie. Sie warf ihm einen Blick zu als sie von dem Grab weggingen. „Ich bin überrascht von dir, Miroku."

„Weil ich so eine hübsche Dame nicht zu mir nach Hause eingeladen habe?", sagte Miroku und lachte. „Ach Kagome, sogar ich lerne irgendwann, nicht mehr zu fragen. Wobei, wenn du dich nach den alten Zeiten sehnst…"

„Miroku!", unterbrach sie ihn mit einem genervten Augenrollen. „Ich habe gescherzt."

„Genau wie ich", sagte der alte Mönch mit einem Lächeln. „Siehst du, Kagome, Menschen ändern sich."

„Wer sagt, das täten sie nicht?"

Er zuckte die Schultern und sagte darüber nichts mehr.


Die Tore waren offen, genau wie Miroku es versprochen hatte, als sie spät nachts zurückkehrte. Obwohl sie keinen Schlaf brauchte, war sie seit langem nicht mehr so spät draußen gewesen. Aber, so schlecht sie sich auch dabei fühlte es zu denken, sie musste weg von Taka. Es war komisch als Teenager behandelt zu werden, wenn sich Kagome noch an Taka erinnerte, wie sie noch ein Kind gewesen war. Sie nahm an, dass Sangos und Mirokus Nachkommen nicht wirklich nachvollziehen konnten, was mit ihr nicht stimmte – mit ihnen allen, um genau zu sein. Taka hatte ein paar Brocken von ihren Eltern aufgeschnappt über ihren Kampf gegen Naraku – ein Sieg hier, eine Niederlage da, und natürlich die letzte, glorreiche Schlacht. Es war das „glorreich" gewesen, das Kagome hatte innehalten lassen, als sie Taka und ihrem Mann zugehört hatte, wie sie fröhlich über das sprachen, was zur Familienlegende geworden war.

Glorreich? Sie konnte sich an nichts Glorreiches erinnern. Sie erinnerte sich an eine Menge Blut und schreie und Tod. Sie erinnerte sich, wie Inuyasha für sein Leben und das ihre gekämpft hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich fast nutzlos gefühlt hatte, bis zum letzten Moment, in dem sie helfen konnte, den bösartigen Hanyou zu vernichten. Doch sogar dieser Moment war nicht glorreich gewesen…er war schmerzhaft. Sie war bis ins Mark abgekämpft, zusammen mit all ihren Freunden, und sie hatte gewusst, dass dort eine Leiche lag, die sie nicht mehr wiederbeleben konnte. Kohaku war gestorben noch bevor der Kampf begonnen hatte und Sango hatte getrauert. Miroku hatte die Gebetsperlen stumm abgenommen, ohne die Freude, die jeder erwartet hatte. Inuyasha hatte einfach nur Kikyo angestarrt, die allen Widrigkeiten zum Trotz überlebt hatte.

Es war nicht nur sie, die vom Shikon No Tama verflucht wurde. Sie alle waren verflucht.

Sie kniete sich vor dem Grab nieder, ihre Füße unter ihrem Körper und berührte erneut Sangos Namen. „Es ist okay. Sie waren nicht da", murmelte sie obwohl sie wusste, dass es wirklich nicht okay war. Es erschien ihr nicht fair, dass die Einzigen, die ihren Schmerz wirklich verstanden, starben. Tot waren. „Du hättest etwas näher bei der Wahrheit bleiben können bei den schlimmsten Momenten. Aber ich denke, du wolltest sie einfach nur beschützen. Ich verstehen es wirklich."

Kagome nahm einen glatten, grauen Flussstein aus ihrem Ärmel und legte ihn auf den Fuß des Grabes. „Ich hab dir was mitgebracht. Es tut mir leid, dass es weder Essen, noch Trinken oder Blumen sind", sagte sie und drehte den Stein so, dass er das Mondlicht fing. „Oh, ich habe die hier mitgebracht." Sie holte ein paar rote Beeren aus ihrem anderen Ärmel und legte sie neben den Flussstein. „Es ist ein erbärmliches Opfer, aber ich hoffe du vergibst mir heute ein zweites Mal."

Der sanfte Klang von Schritten lenkte ihre Aufmerksamkeit ab und sie sah sich um, genervt von der Unterbrechung. „Ich bin eine Miko", sagte sie, laut genug für Youkai- oder Menschenohren, „und niemand, mit dem du dich anlegen willst."

„Sag bloß."

Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Inuyasha, du Dummkopf, warum hast du so lange gebraucht?"

Der rotgewandete Hanyou trat aus den Schatten hervor und verschränkte die Arme. „Keh. Du bist erst sein ein paar Stunden hier. Was wolltest du haben? Eine Party?"

„Tatsächlich hab ich schon eine bekommen, danke. Taka hat mehr gekocht als sogar du auf einmal essen könntest", antwortete sie.

„Unmöglich." Er kam vollends ins Mondlicht und Kagome konnte sehen, dass sein Gesicht schmaler geworden war und auch die feinen Linien um seine Augen. So wie jeder andre, der nicht sie oder Sesshoumaru war, war er gealtert.

Sie zwang das Lächeln weiter auf ihren Lippen zu bleiben als sie auf ihn zu ging. „Wie geht's dir?"

„Gut." Er hielt inne und hob eine Augenbraue. „Warum zum Teufel riechst du nach dem Bastard?"

„Lange Geschichte."

Dank seiner Reife verschränkte er nur die Arme und schaute für einen Moment finster drein. „Ja, darauf wette ich. Gut, dass du keinen Schlaf brauchst."

Kagome tat ihm den Gefallen und setzte sich. „Dann erzähle ich's dir."

„Im Schnee?", fragte er und beäugte ihre bereits durchtränkte Kleidung.

„Oh. Ich vermute, das macht mir nichts mehr aus."

Er seufzte und zog sie auf die Füße. „Mir auch nicht, aber solange ich's verhindern kann werde ich lieber nicht kalt und nass", sagte er, wand einen Arm um ihre Taille und sprang in einen der Bäume, die sich über Sangos Grab wölbten. Sie brauchten einige Momente um sich zu arrangieren bevor Inuyasha wieder sprach. „Also?"

Sie blickte zwischen den nackten Zweigen hinauf zum Himmel. „Was glaubst du? Ich bin ihm über den Weg gelaufen an einem weit entfernten Ort, den man London nennt und habe ihn dazu überredet, dass es besser wäre, zusammenzuarbeiten um diese Diebe zu finden und zu besiegen. Wir hatten aber kein Glück."

„Also doch keine so lange Geschichte."

Kagome lachte leise. „Naja, da steckt noch mehr dahinter, aber ich bin mir nicht sicher, ob das recht interessant ist. Nicht für dich. Ich meine, vieles davon involviert unweigerlich deinen Bruder."

„Du bist nicht…"

Sie rollte die Augen und versuchte, nicht das gefürchtete „Sitz" zu murmeln. „Nein, natürlich nicht! Er ist dein Bruder, Inuyasha. Es sind jetzt 3 Jahre und ich glaube, wir sind nicht mal Freunde."

Seine Ohren zuckten nach vorne. „Wie macht er das?", fragte er interessiert. „Du lässt nicht zu, dass jemand nicht dein Freund ist, Kagome. Außer sie versuchen, dich umzubringen. Und sogar dann…"

„Ach, halt die Klappe", unterbrach sie ihn mit einem kleinen Lächeln. „Ich kann nichts dafür. Aber ich gebe zu, Sesshoumaru könnte mich schlagen."

Er lehnte sich an den Baumstammt. „Naja, mich hast du gezwungen", sagte er mit belustigtem Ton. „Wenn irgendjemand sich mit dem Bastard anfreunden kann, dann du, Kagome."

Sie grinste. „Das könnte das Netteste gewesen sein, was du je zu mir gesagt hast, Inuyasha."

„Keh. Lass es dir nicht zu Kopf steigen. Ich meinte nur, dass du nervtötend stur bist."

„Oh naja. Das klingt bekannt, wie jemand den ich kenne", zog sie ihn auf. Gerade, als der Hanyou anfing, zurückzuschlagen, schüttelte sie ihren Kopf. „Komm schon, lass uns nicht streiten. Nicht in den ersten fünf Minuten, in denen wir uns nach dreizehn Jahren wiedersehen. Lass uns über was andres reden. Über London erzähle ich dir später."

Inuyasha verschränkte die Arme. „Meinetwegen. Warum bist du zurückgekommen?"

„Ich vermute, du meintest warum ich gerade jetzt zurückgekommen bin", korrigierte sie mit einem Seufzer. „Es ging weniger um die Tatsache, hierher zu kommen als darum, warum wir aus England weg mussten."

„Naja, zumindest hattest du gutes Timing."

Sie folgte seinem Blick hinunter zu Sangos Grab und drückte sich leicht von ihm weg. „Ich hätte es nicht wissen können!", sagte sie vor Wut kochend.

„Ja, weiß ich", fauchte er und wandte das Gesicht wieder ihr zu. „Ich hab es ernst gemeint. Du hast mir gesagt ich soll nicht streiten! Außerdem war ich auch nicht da."

Kagome runzelte die Stirn und beruhigte sich. „Du warst nicht hier als sie starb?"

„Ich habe einen Youkai ein paar Tage von hier getötet", murmelte er. „Sie haben es so dringend klingen lassen und ich musste weg gerade als sie anfing, krank zu werden. Es war ein verdammter Echsendämon. Um den hätte sich auch ein Bauer kümmern können." Seine Klauen bohrten sich in seine Handflächen, bis Kagome eine Hand vorsichtig öffnete.

„Es tut mir leid, Inuyasha."

Einen Moment blickte er sie finster an, dann zuckte er die Schultern. „Es ist okay", sagte er und öffnete seine andere Hand. Kleine Blutstropfen lagen auf seinen Handflächen und den Spitzen seiner Klauen.

Die Miko biss auf ihre Lippe. „Was hast du dann gemeint als du gesagt hast ich hätte gutes Timing? Wenn du nicht über Sango gesprochen hast?"

Inuyasha nahm einen tiefen Atemzug. „Hast du es Miroku gesagt?", fragte er und ignorierte ihre Frage.

„Ihm was gesagt?"

„Das in deiner Zeit hier zwei Gräber sind", murmelte er und nickte zu dem Marker unter ihnen.

Kagome wand sich leicht und spürte – zum ersten Mal – wie sich der kalte, nasse Stoff ihrer Kleidung gegen sie presste. „Nein, natürlich nicht. Warum sollte ich das tun? Außerdem war auf keinem der beiden mehr ein Name zu lesen." Sie sah ihn finster an als Inuyasha ihr einen vielsagenden Blick zuwarf. „Ja, ich weiß jetzt auch, dass es wahrscheinlich sein Grab ist. Aber wo ist das eine Überraschung? Er wird sterben. Das wissen wir beide. Und wo wir schon dabei sind, warum hast du ihm nicht gesagt, dass es in meiner Zeit hier keinen Tempel gibt?"

„Hab ich."

„Du… Warum würdest du das tun?", fragte sie mit gehobener Stimme.

Er verengte die Augen. „Ich dachte es war ziemlich offensichtlich als wir das hier gebaut haben, und ich habe keinen verdammten Tempel erwähnt. Er ist derjenige, der ihn hinzugefügt hat. Glaubst du das war meine Idee? Ich habe bestimmt nicht gelogen."

„Es tut mir leid", antwortete sie leise. „Ich glaube einfach nicht, dass es fair ist, dass wir all das über seine Zukunft wissen."

„Er weiß mehr als du glaubst", sagte Inuyasha.

Das war mehr als nur eine Bemerkung über die Weisheit ihres Freundes. Sie sah den Hanyou an. „Was meinst du?"

„Es bedeutet, dass du wirklich gutes Timing hast", sagte er leise. „Ich hab es Miroku schon gesagt. Er stirbt, Kagome."

Kagome schloss ihre Augen und drehte den Kopf weg, ihre Lippen aufeinandergepresst. Plötzlich stieß sie sich ab, fiel von dem Ast und landete hart auf dem beschneiten Boden. Ihre Knöchel protestierten und warnten sie, dass sie sich selbst verletzen könnte.

„Kagome!" Inuyasha landete neben ihr und packte sie am Arm. „Bist du okay? Was zur Hölle hast du dir gedacht?"

Sie schüttelte ihn ab. „Ich musste auf dem Boden stehen", stieß sie hervor. „Ich kann mir das nicht anhören. Nicht heute, Inuyasha."

„Er weiß es. Warum solltest du es nicht wissen?", fragte er und ergriff sie erneut.

„Ich hab gerade erst von Sango erfahren, und dann lädst du das auch noch auf mich ab? Du Idiot!" Sie schob ihn weg und drehte sich um. Als er erneut in ihrem Weg auftauchte, verschränkte sie die Arme. „Zwing mich nicht, es zu sagen, Inuyasha!"

„Meinetwegen. Mach und sag es", stieß er wütend hervor, „wenn es das ist, wodurch du dich besser fühlst. Wenn du mir allerdings für zwei Sekunden zugehört hättest, wäre dir vielleicht aufgefallen, dass ich versuche, ihm zu helfen, und du könntest das auch!" Er zog ein kleines Täschchen aus seinem Haori und schmiss es vor ihre Füße. „Ich war nicht hier um zu sehen wie du nach Hause kommst, weil ich bei Jinenji war um das hier zu holen."

Kagome bückte sich und hob das kleine Beutelchen auf um es zu öffnen und fand darin fein geschnittene Wurzeln. „Astragalus?", murmelte sie, als Kaedes Training wieder in ihr hochkam. „Aber das ist nur für allgemeine Immunität."

„Ja, naja, wir haben erst angefangen. Wir wissen noch nicht, was nicht stimmt. Ich kann es nur an ihm riechen. Im Frühling wird es aber weit mehr Sachen geben, die Jinenji uns geben kann. Es war ein schlimmer Winter und das war alles, was er noch übrig hatte." Inuyasha verlagerte sein Gewicht und sah nach unten. „Ich hätte es dir nicht so sagen sollen."

„Wahrscheinlich nicht", sagte sie mit einem Seufzer. „Aber ich kann nicht helfen, wenn ich es nicht weiß. Was sagt Kikyo?"

Er zuckte halbherzig mit den Schultern. „Sie hilft seit ein paar Wochen weiter oben im Norden bei einer Seuche. Sie weiß es nicht."

Kagome betrachtete die Arzneiwurzeln in ihrer Hand und gab sie zurück in das Beutelchen. Vor vierzig Jahren hätte sie Inuyasha sofort nach der älteren Miko geschickt, doch dieses Mal sah sie ihn nur mit festem Blick an. „Wir finden etwas, das ihm hilft. Es wird ihm gut gehen."

Inuyasha nickte. „Das sagt er auch."

„Aber?" Sie konnte es in seiner Stimme hören.

Er nahm ihr das Säckchen aus der Hand und stopfte es wieder in seinen Ärmel. „Aber ich weiß nicht was er meint", antwortete er. „Ob er meint, dass es ihm gut gehen wird, oder dass es in Ordnung ist, Sango zu folgen."

Kagome biss auf ihre Lippe und spürte, wir ihr Herz schmerzhaft gegen ihre Rippen schlug. „Ich hätte es nicht gewusst, wenn du es mir nicht gesagt hättest. Er schien so…"

„Friedlich", beendete Inuyasha den Satz und Kagome nickte. „Ist er. Er hat nie den Anschein gemacht, dass es ihn stören würde."

Die Miko und der Hanyou sahen sich an. Dieses Mal wich sie nicht zurück als er seine Hand nach ihr ausstreckte und seine Klauen über ihre Wangen strichen um frische Tränen wegzuwischen. Kagome lehnte sich an seine Berührung und schloss die Augen. „Wie geht das?", flüsterte sie. „Sein Leben ist so kurz. Sango ist weg. Sein Tempel wird fallen. Wie findet er Frieden?"

„Vielleicht weil er nichts dagegen tun kann", schlug Inuyasha leise vor. „Und es ist leichter, wenn du nicht zusehen musst, wie all das passiert."

Sie öffnete ihre Augen und schenkte ihm ein kleines Lächeln. „Wann bist du so weise geworden?"

„Keh. Hab zu viel mit den Mönchen rumgehangen." Er ließ seine Hand sinken. „Oder vielleicht als du gegangen bist…"

„Das war nicht deine Schuld." Sie zuckte bei seinem ungläubigen, wütenden Blick zusammen. „Naja, nicht ganz."

„Ich wollte nicht, dass du gehst", sagte er.

„Du hattest Kikyo. Hast du immer noch." Sie lächelte und zuckte die Schultern. „Ich wusste immer, wer zuerst kam, Inuyasha. Ich habe dreißig Jahre damit verbracht, zu warten ob du deine Meinung doch noch änderst. Und dann wurde mir klar, dass ich, obwohl ich unsterblich bin, meine Zeit nicht so wegwerfen sollte nur um auf etwas zu warten, was niemals passieren wird."

Der Hanyou war für einen langen Moment leise. „Ich weiß", sagte er schließlich. „Du solltest jemanden finden."

„Ich weiß nicht", sagte sie mit einem Schulterzucken. „Es wird hart, dir das Wasser zu reichen, weißt du. Es ist nicht wichtig, ob ich jemanden finde oder nicht. Es geht darum, dass ich meine Zeit nicht mit Warten verbringen sollte." Sie seufzte und stieß ein sanftes Lachen aus. „Ich glaube ich weiß jetzt, was Miroku gemeint hat, als er sagte, ich sollte nicht an einem Ort bleiben."

„Du bleibst und hilfst?", fragte er und hob seine Augen um in die ihren zu schauen.

„Natürlich." Kagome griff nach vorne und nahm seine Hand. „Hey, ich liebe dich immer noch. Euch alle. Ich will, dass du das weißt. Für den Fall."

Inuyasha nickte und warf einen Blick über ihre Schulter auf Sangos Grab. „Wissen wir. Wir lieben dich auch, Kagome."

Sie lächelte. Näher würde sie ihm wohl nie kommen, egal wie viele Leben sie lebte. Und als sie zurück über das Schreingelände liefen, wusste sie, dass es in Ordnung war.


Die Blätter wechselten erneut die Farbe und die Kälte des Herbstes peitschte regelmäßig von den Bergen herunter. Die scharfe Luft sagte ihr, dass es heute jedoch nicht nur der Winter war, der sich näherte. Sie war nicht überrascht, den Aufschrei von einem der neuen Mönche zu hören, als der Daiyoukai im Hof landete.

Sie wandte sich um und machte sich auf den Weg zum Zentrum des Schreinkomplexes. „Es ist in Ordnung", rief sie und hielt eine Hand hoch, bevor der Mann eines seiner mächtigen Sutras werfen konnte. „Er ist ein Freund, Juro-san."

Der Mönch hielt inne, die Hand auf halbem Wege zu seinem Ärmel erstarrt und beäugte den Hundedämon. „Sesshoumaru-sama?", murmelte er.

Der Hundedämon hob eine Braue und nickte leicht.

„Vergebt mir." Juro verbeugte sich steif und warf einen Blick zu der amüsierten Miko. „Werdet ihr in Ordnung sein, Kagome-sama?"

„Juro, selbst wenn ich es nicht wäre, gäbe es nichts was du dagegen tun könntest", antwortete Kagome glatt. „Geh. Du kommst zu spät zu deiner Meditation."

Sesshoumaru wartete bis der Mönch außer Sicht war. „Du bist streng mit ihm", sagte er.

„Ist das Lob?", fragte sie. „Ich lege es nicht darauf an. Nicht wie du. Juro ist neu und muss lernen, dass er sich nicht einfach in einen Kampf gegen welchen Youkai auch immer werfen kann. Er ist sehr talentiert, aber ich glaube das steigt ihm zu Kopf. Es wäre doch schade, wenn er sein Talent an deine Klauen verliert. Oder an die eines anderen."

„Hn."

„Wie läuft es bei dir Zuhause? Wie geht es Shippo?"

Er nickte. „Gut. Ich habe nicht solche Skrupel wie du, die Gefühle meiner Rekruten zu schützen, und trotzdem sticht der Kitsune hervor."

„Natürlich tut er das", antwortete sie mit keiner kleinen Menge an mütterlichem Stolz. „Aber ich will noch nicht, dass er irgendetwas bewacht. Er ist zu jung."

Sesshoumaru sah sie scharf an. „Das ist meine Entscheidung."

„Ich weiß, aber vielleicht eine du Rins Gefährtem überlassen solltest. Da wir nicht da sein werden."

Der Daiyoukai hielt inne. „Dann bist du hier fertig?"

„Fürs Erste. Ich muss wirklich nach Westen gehen." Sie schloss ihre Augen für einen Moment und schüttelte ihren Kopf. „Es ist ein überwältigendes Gefühl. Es fühlt sich an als ob ich sterbe, wenn ich mich nicht bald bewege. Wir müssen zurück."

„Ja", stimmte der Hundedämon zu.

„Ich habe bereits Lebewohl gesagt", sagte Kagome und sah ihn wieder an. „Zu den meisten zumindest."

Sesshoumaru ließ sich von ihr über den Hof führen. „Du hast mehr Tempeldienerinnen erlangt", fiel ihm auf.

„Was? Oh, ja." Sie winkte zwei jungen Miko, die totes Blattwerk aus dem Kräutergarten entfernten. Sie verbeugten sich als sie vorbeigingen. „Sie sind vielversprechend – fast so sehr wie Juro. Ich wünschte ich könnte bleiben und sie trainieren, aber das ist eh nicht so mein Ding. Mein eigenes Training war nicht gerade konventionell. Ich bin mir nicht sicher, dass ich wüsste was ich täte. Aber Kikyo hat versprochen, sie an meiner Stelle zu trainieren. Sie wird strenger sein, aber ich glaube, dass sie sich tatsächlich darauf freut. So sehr sie sich auf Dinge freut."

Als sie bei den Gräbern ankamen, kniete sie sich hin und nahm die toten Blumen weg, die sie vor ein paar Tagen hingelegt hatte. Sie murmelte ein paar Worte des Lebewohls und versprach, zurückzukehren. Sesshoumaru stand hinter ihn und las die Namen auf dem Stein. „Wann starb er?"

Sie blickte zu ihm auf. „Ein paar Wochen nach deinem Besuch im Sommer", sagte sie.

Er erinnerte sich an den Gestank der Krankheit, der um den alten Mönch gewabert und ihn vor drei Monaten begrüßt hatte, und nickte. Er hatte gewusst, dass der Mensch nicht überleben würde, obwohl Kagome den ganzen Besucht damit verbracht hatte, über ihre neuen Präparate und Infusionen zu sprechen, von denen sie hoffte, dass sie seinem kränkelnden Herz helfen würden. Sie hatte die Abwesenheit eines sogenannten ‚Hospitals' beklagt.

Kagome arrangierte ein neues Bündel Herbstblumen am Fuße eines jeden Steins. „Es ist okay. Wir haben es wirklich versucht. Und zumindest war ich dieses Mal hier", murmelte sie. „Wir waren alle hier."

„Er war alt", sagte der Daiyoukai, der trotz ihrer Worte ihre hängenden Schultern bemerkte.

„Ich weiß, aber das bedeutet nicht, dass ich ihn deswegen weniger vermisse." Sie stand auf und atmete tief ein. „Er hat mit mir gesprochen kurz bevor er starb. Er sagte, könne es nicht abwarten bis er und Sango mich in ihrem nächsten Leben treffen würden. Ich wünschte nur, ich hätte seinen Glauben."

„Eine sonderbare Bemerkung von ein einer Miko."

„Ich bin keine gewöhnliche Miko", antwortete sie. „Ich bin auch kein gewöhnlicher Mensch. Sollte ein Unsterblicher an Wiedergeburt glauben? Ist es möglich? Was glauben Youkai?"

Sesshoumaru blickte sie finster an, denn der Glaube eines Youkai war außerordentlich persönlich. „Warum sollten Youkai an etwas anderes glauben als Menschen?"

„Du arbeitest immer so hart daran, dich von ihnen abzuheben", sagte Kagome mit einem Schulterzucken.

„Und du nimmst an, dass Menschen zuerst zu ihrem Glauben gefunden haben," antwortete Sesshoumaru knapp.

Sie lachte. „Ich glaube, das tue ich", sagte sie und warf ihm einen Blick zu. „Es ist schade, dass du Miroku nicht besser kanntest. Er hätte dich sehr gemocht. Ich glaube, du hättest ihn gemocht, so sehr du Menschen mögen kannst."

Er betrachtete die Art, wie ihre Hände nacheinander griffen, die flüssige Traurigkeit in ihren Augen über ihrem falschen Lächeln. Sie hatte wahrhaftig gelitten und würde es noch für geraume Zeit tun – er konnte es sehen, obgleich er es nicht nachempfinden konnte. Es war nichts was er tun konnte oder tun wollte. Aber er hatte viele Jahre in der Gesellschaft von Menschen verbracht und Rin hatte ihn gewarnt was ihn erwarten würde, wenn er dieses Mal nach Edo zurück kehrte. Er gab seinem Begleiter von drei Jahren so viel wie er willens war zu geben. „Vielleicht", räumte er ein.

„Danke." Kagome presste ihre Finger an ihre Lippen und berührte dann jedes Grab. „Es war schwer", sagte sie, als ihre Finger Mirokus Namen berührten. „Alles, nicht nur herauszufinden, dass Sango tot ist und zuzusehen wie Miroku ihr folgt. Mit all dem fertigzuwerden war einfach so schwer. Es ist nicht mehr Zuhause, wenn es nicht vertraut ist und man immer nur ein gebrochenes Herz hat."

Die Miko sah zu ihm auf. „Wirst du mir etwas versprechen? Ich glaube nicht, dass es dich stören wird, es jemandem zu versprechen."

„Was ist es?"

„Versprich mir, dass du nicht sterben wirst." Sie grinste. „Es passiert nicht oft, dass jemand dieses Versprechen halten kann."

Sesshoumaru sah sie finster an. „Ich bin kein Ersatz für deinen menschlichen Begleiter."

„Nein, bist du nicht. Und ich weiß, du verstehst nicht, wie das hier für mich ist, weil du für niemanden auf diese Art empfindest. Nicht für jemanden, der so schnell sterben kann zumindest", ergänzte sie. „Aber egal wie viel du nicht verstehst, du verstehst mehr als alle andren. Und das ist mir wichtig."

Der Daiyoukai dachte einen Moment darüber nach. Rin hatte Recht behalten – Kagome wusste mehr über seine Gedanken, als er ihr zugestanden hatte. „Ich werde nicht sterben, aber nicht wegen deiner Bitte."

Kagome lächelte und nickte. „Gut genug für mich."


A/N: Ah, das war ein schwieriges Kapitel. Die paar Wochen waren schwer für mich und dann war da noch das Thema des Kapitels an sich… Jedenfalls gab es Dinge, die erledigt werden mussten und das hier war für einiges das Ende und für anderes der Anfang. Es ist noch nicht der dunkelste Teil der Geschichte, aber womöglich der depressivste Teil. Für mich jedenfalls. LoL.

Geschichte für dieses Kapitel – In Japan wurden buddhistische Tempel oft neben oder innerhalb von Shintoschreinen gebaut. In den frühen 1900ern, wurden viele der Tempel aufgrund des Wunsches der Regierung, die beiden Religionen zu trennen, verlagert. Das erwies sich natürlich als fast unmöglich, aber es gab einige architektonische Verluste.

T/N: Nicht nur für den Autor war dieses Kapitel schwer zu schreiben. Ich selbst muss gestehen, dass dies hier eines der Kapitel war, die ich wirklich gefürchtet habe, weil es bei mir echt ins Schwarze getroffen hat. Natürlich ist die Situation eine völlig andre, aber das bedeutet nicht, dass man nicht an schmerzhafte Erlebnisse erinnert wird. Ich für meinen Teil kann dieses Kapitel nicht lesen (oder übersetzen) ohne mir die Augen auszuweinen; und ich habe die ganze Geschichte einige Male gelesen... Es gibt immer wieder Szenen oder auch ganze Kapitel, die mich so sehr berühren, dass ich tatsächlich eine Lese-/Übersetzungspause einlegen muss, schon alleine um meinen PC nicht komplett unter Wasser zu setzen. Aber genau darum ist mir diese Geschichte auch so sehr ans Herz gewachsen.

Bitte seht mir Schreibfehler, Kommafehler und Ähnliches nach; ich habe wirklich versucht, konzentriert zu bleiben, aber ich glaube nicht, dass es mir gelungen ist.