Kapitel 6 – Noch ein Anreiz

Hermione rannte zu ihrer Wohnung, sobald sie die von Snape verlassen hatte. Als sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen hörte, schaute sie nicht zurück. Alles, woran sie denken konnte, war, dass es nach ihrer üblichen Zeit war, wenn sie normalerweise ihr Notizbuch öffnete und an T schrieb. War er nach dem vergangenen Abend immer noch über sie verärgert? Würde er ihr zuerst eine Nachricht schreiben?

Sie erinnerte sich daran, wie enttäuscht sie vor nur vierundzwanzig Stunden gewesen war, als T ihre Frage nicht beantwortet hatte, ob er ein Ratespiel spielen wolle. Sie nahm dies als einen Hinweis, dass der Zauberer entweder ihren Vorschlag übel nahm oder sich über ihre ständige Jagd nach seiner wahren Identität ärgerte.

Der vorherige Abend …

Nachdem sie an ihrem Schreibtisch noch eine Stunde gewartet hatte, gab Hermione schließlich die Hoffnung auf, dass T ihre Fragen beantwortete. Letztendlich verbrachte sie den Rest der Nacht im Bett liegend und starrte an die Decke, während sie sich ihre Unterhaltungen mit T über die Jahre in Erinnerung rief. Je mehr sie über die Nachrichten nachdachte, die sie ausgetauscht hatten, desto sicherer war sie, dass er sie genauso gern hatte wie sie ihn.

Sie erinnerte sich deutlich an die Nachrichten, die er ihr direkt nach ihrem knappen Entkommen mithilfe von Dobby zusammen mit Harry und Ron aus Malfoy Manor geschickt hatte. Geschwächt durch Bellatrix Lestranges Cruciatusfluch war Hermione drei Tage nicht in der Lage gewesen, aus dem Bett aufzustehen. Als sie am Morgen des vierten Tages endlich aufstand, fand sie im Notizbuch eine Reihe von Nachrichten von einem sehr besorgten T:

Ich habe heute Abend keine Nachricht von Ihnen bekommen. Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund, nicht zur üblichen Zeit zu schreiben. Bitte schicken Sie mir so schnell wie möglich einen Bericht zu Ihrer Lage."

Es ist nach Mitternacht. Ist alles in Ordnung? Lassen Sie mich wissen, was passiert ist."

Ich habe immer noch nichts von Ihnen gehört. Ich hoffe, Ihr drei habt einen Weg gefunden, Euer wie auch immer geartetes Problem zu lösen. Ich warte auf Ihre Antwort. Schreiben Sie schnellstmöglich zurück."

Brauchen Sie Hilfe? Warum haben Sie meine bisherigen Nachrichten nicht beantwortet? Verdammter Dumbledore …, er hätte einen Ortungszauber ins Notizbuch einbetten sollen. Antworten Sie."

Die nächste Nachricht schien an dem Tag gesendet worden zu sein, nachdem Hermione im Shell Cottage angekommen war:

Ich wurde über Ihr Entkommen aus Malfoy Manor informiert. Wurde jemand von Ihnen verletzt? Ich habe widersprüchliche Informationen über Ihren Zustand erhalten. Lassen Sie mich wissen, wie ich Ihnen helfen kann."

Ehe es Hermione gut genug ging, um zurückzuschreiben, schrieb T ihr wieder:

Ich hoffe ernsthaft, dass der Grund dafür, weshalb Sie auf meine Nachrichten nicht geantwortet haben, ist, dass Sie zu Bettruhe gezwungen sind und bei Ihrer Genesung gute Fortschritte machen. Der Cruciatusfluch kann permanente Schäden verursachen. Wie lange waren Sie dem Fluch ausgesetzt? Haben Sie irgendwelche Schwierigkeiten beim Sprechen oder Schreiben? Wenn Sie diese Nachricht lesen können, antworten Sie mir bitte. Ich weiß jeden Hinweis zu Ihrem aktuellen Zustand zu schätzen."

Als Hermione die Nachrichten zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie gedacht, dass T Harrys Sicherheit wegen besorgt war. Als sie jedoch weiterlas, wurde ihr klar, dass seine Besorgnis mehr ihr als jedem anderen galt. Nach drei Tagen der Genesung war sie endlich in der Lage, ihm eine kurze Nachricht zu schreiben, und T schrieb sofort zurück, als habe er die ganze Zeit beim Notizbuch gewartet:

Gut", schrieb er. „Ich war in Sorge um Sie. Sorgen Sie dafür, dass Sie sich gründlich ausruhen, ehe Sie mit Potter und Weasley den nächsten Schritt aushecken. Und wie immer, seien Sie vorsichtig."

Es brauchte eine weitere Tasse Kamillentees, bis Hermione endlich diese bittersüßen Kriegserinnerungen wieder loslassen konnte. Als sie schließlich einschlief, hörte sie sich selbst flüstern: „Hast du irgendeine Vorstellung, wie viel du mir bedeutest? Warum willst du mir nicht sagen, wer du bist? Liebst du mich denn gar nicht?"

Zurück in die Gegenwart …

Hermione vergeudete keine Minute, sobald sie zur Tür hereinkam. Sie ging direkt in ihr Arbeitszimmer und setzte sich an ihren Schreibtisch. Zu ihrer leichten Enttäuschung wartete im Notizbuch keine Nachricht von ihm. Mit zusammengezogenen Brauen schickte sie ihm einen kurzen Gruß. Sie beobachtete die Seiten genau und hielt den Atem an. Einen Augenblick später stieß sie ein erleichtertes Seufzen aus, als ein warmes Leuchten zwischen den Seiten erschien.

Gut, von Ihnen zu hören, Hermione. Ich bin sicher, Sie hatten einen guten Grund, so spät dran zu sein. Danke der Nachfrage. Ich hatte einen angenehmen Abend", schrieb T in seiner Nachricht. „Gestern habe ich einen Fehler gemacht – jemanden unterschätzt. Ich muss zugeben, ich habe mich noch nie zuvor so gefreut, dass ich tatsächlich Unrecht hatte."

Wäre dies der Abend zuvor gewesen, war Hermione sicher, dass sie nachgehakt und gefragt hätte, was ihn so glücklich machte, und wer es war, den er unterschätzt hatte. Nachdem er ihr jedoch die kalte Schulter gezeigt hatte, weil sie wegen der Identität des Zauberers gedrängt hatte, beschloss sie, den Mund zu halten und das Thema zu wechseln.

Ich bin sehr aufgeregt, weil mein Mandant mit einer Zusammenarbeit einverstanden ist. Interessanterweise scheinen sowohl er als auch Kingsley zu denken, dass dies ein politischer Fall ist. Ich werde natürlich vorsichtig sein. Aber ich glaube ehrlich, dass sie einfach überreagieren. Ich kann nicht erkennen, wieso sie eine solche Schlussfolgerung ziehen", schrieb sie.

Der beste Weg, um ihre Kommentare zu verstehen, ist wahrscheinlich, sie nach ihren Gründen zu fragen. Es ist nicht unsinnig, dass sie eine solche Schlussfolgerung ziehen, weil sie vermutlich beide mehr Erfahrung als Sie im Umgang mit dem Ministerium haben. Es könnte klug von Ihnen sein, ihren Meinungen offener gegenüberzustehen. Wenn Sie Ihren Stolz überwinden und zugeben, dass Sie Rat von ihnen brauchen können, vermute ich, dass wenigstens einer von ihnen willens ist, seine Beobachtungen mit Ihnen zu teilen", antwortete er.

Außerdem schien er bestürzt zu sein, als sie fragte, ob er von den Fragebögen wisse, die die Auroren ausfüllen mussten.

Das hört sich alarmierend an. Diese Art von systematischer Erhebung klingt nach der Vorbereitung einer größeren politischen Bewegung", kommentierte er in seiner Nachricht. „Wenn Ihr Freund Ron damit recht hat, dass dies von Skeeters Artikeln ausgelöst wurde, möchten Sie vielleicht besseres Verständnis für die Motive hinter dem Schreiben dieser Geschichten erlangen. Ist Geld ihr einziges Interesse? Oder hat sie die Geschichten auf Anweisung von jemand anderem geschrieben?"

Der letzte Teil von Ts Nachricht war der Grund, weshalb Hermione wieder lange aufblieb. Nie zuvor hatte sie eine von Rita Skeeters Geschichten mit so viel Aufmerksamkeit gelesen. Für jede der Geschichten begann Hermione, sich detaillierte Notizen über die Auroren zu mache, die in die Skandale verwickelt waren, und ebenso über die anderen Personen, die mit den Auroren in Zusammenhang standen. Außerdem begann sie eine Zeitachse und versuchte, gemeinsame Punkte in der Vergangenheit der Auroren in Skeeters Geschichten zusammenzustellen in der Hoffnung, einen Grund herauszufinden, weshalb sie die Aufmerksamkeit der giftigen Feder der Hexe auf sich zogen.

Die Mehrarbeit, die Hermione damit verbrachte, Skeeters Artikel zu lesen, war für ihre Produktivität am folgenden Tag nicht hilfreich. Als sie erwachte, fühlte sie sich völlig erschöpft. Nachdem sie sich eine Tasse starken Kaffees gemacht hatte, ging sie den Flur hinunter und klopfte an der Tür, die zu Severus Snapes einstweiliger Wohnung führte.

„Guten Morgen, Miss Granger", grüßte er sie kühl.

Hermione war sich nicht sicher, ob es ihre Einbildung war, die frische Luft am frühen Morgen oder der Duft von Darjeeling, der aus Snapes kleiner Küche drang, aber sie dachte beinahe, dass sie ihn lächeln sah, als er seine Tür öffnete. Als sie jedoch erneut vorsichtig zu ihm aufsah, war sein Lächeln bereits verflogen.

Im Verlauf des Tages wurde es für Hermione offensichtlich, dass Snape sehr guter Laune war. Kein einziges Mal drohte er, ihre „Dienste abzulehnen". Er war nahezu vernünftig, während sie all die Anklagepunkte durchgingen, die gegen ihn erhoben wurden, und gab nur einen verwirrenden Kommentar, als sie mitten am Vormittag versuchte, ihr Gähnen mit der Hand zu verbergen.

„Wie schade, Miss Granger, dass Sie nicht mehr Schülerin in meinem Unterricht sind." Seine samtige Stimme hatte noch immer den bedrohlichen Effekt wie zu der Zeit, als sie an seinem Tränkeunterricht teilgenommen hatte. „Wenn es Eines gibt, das ich vermisse, weil ich nicht mehr in Hogwarts unterrichte, dann ist es, den Gryffindors satte zehn Punkte abzuziehen und einer von Minervas Lieblingsschülerinnen eine einwöchige Strafarbeit aufzubrummen."

Hermione holte tief Luft und schaute in der Erwartung vorsichtig zu dem Zauberer auf, der ihr Mandant und ihr ehemaliger Tränkemeister war, einen abschätzigen Blick in diesen durchdringenden, dunklen Augen auf sich gerichtet zu sehen. Zu ihrer großen Überraschung stellte sie fest, dass Snape sie amüsiert anschaute. Er sah beinahe freundlich aus.

„Gestern Abend lange aufgeblieben, Miss Granger?" Severus' Mundwinkel hoben sich langsam zu einem kleinen Lächeln.

„Es tut mir leid, Sir. Ja …" Nach einer kurzen Pause sah Hermione wieder zu dem Zauberer auf. „Professor Snape, ich schätze, ich bin wohl ein wenig naiv, was Politik betrifft. Ich wüsste es zu schätzen, wenn Sie mir Ihre Bedenken erklären könnten. Was hat Sie auf den Gedanken gebracht, dass es andere Gründe gibt, weshalb ich mit diesem Fall beauftragt wurde? Warum sagten Sie, dies sei eine Falle?"

Severus sah die junge Hexe lange an, dann stand er vom Tisch auf. Langsam begann er, im Zimmer auf und ab zu gehen, und sagte: „Sie sind in Sachen Politik tatsächlich naiv. Aber ich würde nicht sagen, dass dies allein Ihr Fehler ist. Schließlich ist diese Art von Erfahrung nichts, das man vom Lesen eines Buchs lernen kann.

Der Krieg hat erst vor etwas mehr als einem Jahr geendet. Während sich alle darauf zu konzentrieren scheinen, unsere Welt wieder aufzubauen, achten nicht viele auf unsere neue Regierung. Ich kann im neuen Ministerium keine klare Struktur erkennen. Alle Abteilungen scheinen damit zu kämpfen zu reparieren, was zerstört war, und sind nicht in der Lage, unter einer gemeinsamen Leitung zu arbeiten. Das macht mich sehr besorgt.

Mein Fall ist erst kürzlich vom Aurorenbüro untersucht worden. Er wurde als Fall von großem öffentlichem Interesse mit vielen hochkarätigen Zeugen betrachtet – Potter ist einer davon. Niemand hat die Worte des Jungen, der lebte, angezweifelt, seit wir die Tatsache festgestellt haben, dass er wegen der Rückkehr des Dunklen Lords nicht gelogen hatte. Dass mein Fall von einer anderen Abteilung im Ministerium wieder eröffnet wurde, war das Erste, was meine Aufmerksamkeit auf die Seltsamkeit der Lage gezogen hat. Ich spüre, dass sie entweder versuchen, die Glaubwürdigkeit der Zeugen oder der Menschen, die in meinen Freispruch involviert waren, infrage zu stellen.

Mir war außerdem die Tatsache klar, dass sie mich ohne das Wissen der Allgemeinheit verhaftet haben. Wenn sie auf persönliche Rache aus gewesen wären, hätten mich leicht ohne Prozess nach Azkaban schicken können. Wenn sie andererseits wirklich einen fairen Prozess gewollt hätten, hätten sie einen qualifizierten – nichts gegen Sie, Miss Granger, aber wenn ich sage qualifiziert, meine ich jemanden, der viel Erfahrung damit hat, mit solch heiklen Fällen umzugehen – Verteidiger für mich beauftragt. Zumindest hätten sie Ihrem Abteilungsleiter zu entscheiden erlaubt, wer am Besten als mein Verteidigungsteam getaugt hätte. Das haben sie jedoch nicht. Deshalb ist Shacklebolt alarmiert. Aufgrund der Beschaffenheit meines Falles und dieses unpassenden Auftrags an Sie ist es für mich offensichtlich, dass Sie zu involvieren eine für Sie gestellte Falle ist; nicht für mich, sondern für Sie." Severus presste die Lippen fest zusammen, als er seine Gedanken abgeschlossen hatte.

„Das hört sich haarsträubend an." Hermione runzelte die Stirn über Snapes Theorie. „Aber lassen Sie uns um der Argumente willen einfach sagen, dass Sie und Kingsley recht haben, und dass dies in der Tat eine Falle für mich ist. Welchen Nutzen hat sie? Wenn es nicht um persönliche Gründe geht, kann ich wirklich nicht verstehen, warum jemand mich auf's Korn nehmen sollte."

„Das ist etwas, was ich selbst noch herauszufinden versuche." Severus strich sich mit seinen langen, blassen Fingern über das Kinn. „Eines muss man im Hinterkopf behalten, Miss Granger. Wenn es um politische Fälle geht, stecken hinter der Sabotage des Rufs oder des Wohlbefindens des vermeintlichen Zielobjekts üblicherweise kompliziertere Motive. Wir müssen über diese Anklagepunkte hinaussehen, wenn wir die Antwort finden wollen. Aber natürlich stimme ich Ihrem Plan zu, da ich sehe, dass die Anschuldigungen durchzusehen ein logischer Startpunkt ist."

Als Hermione später an diesem Tag über das Gespräch mit ihrem ehemaligen Tränkemeister nachdachte, kam sie nicht umhin zu bemerken, wie beifällig er sich zu ihren Plänen anhörte, und wie er anfing, das Wort „wir" beim Reden zu gebrauchen. Vor sich hinlächelnd beschloss sie, dass dies ein weiteres gutes Zeichen sei. Nichts wäre hilfreicher als ein kooperativer Mandant.

Den Rest des Tages verbrachten sie damit, sowohl Hermiones Notizen durchzusehen, die sie bei ihren anfänglichen Nachforschungen gemacht hatte, als auch die Dokumente, die sie vom Aurorenbüro zu deren Untersuchung vom Vorjahr angefordert hatte. Hermione wurde schnell klar, dass Snape tatsächlich ein sehr effektiver Partner sein konnte, wenn er nicht versuchte, Vorwände dafür zu finden, ihr das Leben schwer zu machen.

Sie arbeiteten während des Mittags- und Abendessens durch und schlossen die Durchsicht aller Anklagepunkte schließlich ab.

„Sehr interessant …" Severus runzelte die Stirn über den Papieren vor ihnen. „Haben Sie bemerkt, dass sie dieses Mal nicht den kompletten Fall neu aufgerollt haben? Mir scheint, dass wer immer diesen Fall wiedereröffnen wollte, sich nur auf spezielle Ereignisse konzentrieren will."

„Wenn dies irgendetwas mit einem größeren Zielobjekt zu tun hat, dann muss dieses Zielobjekt etwas mit diesen Ereignissen zu tun haben!" Hermiones Augen leuchteten auf, als sie realisierte, worauf Snape hinauswollte.

„Ich sehe, die unerträgliche Besserwisserin hat sich seit ihren Jahren in Hogwarts nicht sehr verändert." Snape hob eine Braue und erwiderte Hermiones Blick.

„Ich weiß kaum etwas, Professor Snape." Hermione stieß ein Lachen aus. „Ich denke nur Ihrer Analyse folgend. Aber wirklich." Sie rieb sich die Augen und versuchte, die Erschöpfung zu vertreiben. „Ich kann nicht mehr richtig denken. Können wir eine Pause machen?"

Severus warf Hermione einen neugierigen Blick zu, dann ging er in die Küche. „Ich habe nicht viel, was ich Ihnen anbieten könnte, Miss Granger, außer dem Tee, den Sie mir vor ein paar Tagen mitgebracht haben."

„Oh nein, das wäre nicht gut", stöhnte Hermione. „Sie sind alle zu stark. Ich muss heute Nacht wirklich schlafen."

„Zu stark …", murmelte Severus. „Jetzt sagen Sie mir …"

„Es tut mir so leid." Hermiones Augen weiteten sich. „Hat der Tee Sie wachgehalten?" Sie dachte einen Moment lang nach, dann fragte sie kleinlaut: „Möchten Sie gern auf einen Kamillentee mit zu mir kommen? Er hilft mir, besser zu schlafen."

Es war ein leicht peinlicher Augenblick, als Hermione auf eine Antwort des Zauberers wartete. Nach anscheinend sorgfältiger Überlegung sagte Snape: „Ich nehme an, das kann nicht schaden."

Severus konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal das Zuhause einer jungen Frau besucht hatte. Stimmt, er hatte Minerva oft besucht, als sie Kollegen und Nachbarn gewesen waren, die im selben Schloss wohnten. Aber man konnte Minerva kaum als junge Frau bezeichnen, lachte er innerlich.

Als er Hermione in ihre Wohnung folgte, fiel sein Blick als Erstes auf den kleinen Weihnachtsbaum, der mit Lichtern und Lametta dekoriert auf einem kleinen Bord beim Fenster stand. Nicht weit vom Weihnachtsbaum entfernt hing ein großes Gemälde von Hogwarts an der Wand. Das Bild war kein traditionelles derartiges Portrait, wie er es an Orten wie Malfoy Manor oder Grimmauld Place zu sehen gewohnt war. Stattdessen sah das Bild eher modern aus und ähnelte mehr einer Fotografie als einem Ölgemälde. Es war Nacht auf dem Bild, und ein Halbmond hing nahe der Spitze des Astronomieturms. Severus vermutete, dass das Gemälde verzaubert war, um die Tageszeit wiederzugeben. Sein Verdacht bezüglich der magischen Qualitäten des Bildnisses wurde schnell bestätigt, als er bemerkte, dass zwei Eulen durch den dunkler werdenden Himmel segelten.

„Ich brauche nur eine Minute", sagte Hermione, als sie in die Küche ging. „Machen Sie es sich gemütlich." Bei ihren eigenen Worten runzelte sie die Stirn. Was hatte sie dazu gebracht, das zu sagen? Hatte sie wirklich gerade Snape gebeten, es sich gemütlich zu machen? Es musste andere Möglichkeiten geben, diese höfliche Geste anzubieten.Mit einem leichten Kopfschütteln fuhr sie fort und setzte den Teekessel auf.

Severus schlenderte in das Arbeitszimmer, in dem die junge Hexe mehrere Fotos ihrer Freunde hatte. Verärgert runzelte Severus die Stirn, als ein enthusiastischer Harry Potter ihm von einem der Bilder auf dem Regal zuwinkte. Neben einem Foto von Harry, Ron und Hermione fand Severus einige Muggelbilder einer viel jüngeren Version von Hermione und einem älteren Paar, von dem er annahm, dass es ihre Eltern sein mussten. Severus war sich der Tatsache bewusst, dass Hermione keine Geschwister hatte. Von der Art, wie ihre Eltern das junge Mädchen auf den Bildern neben sich knuddelten, und aufgrund ihres strahlenden Lächelns in die Kamera konnte Severus erkennen, dass Hermione ihren Eltern die Welt bedeutete.

„Merlins Bart!" Hermione stieß in der Küche plötzlich einen Schrei aus. „Wann bist du hier hereingekommen, T? Du hast mich erschreckt!"

Severus traute seinen eigenen Ohren nicht und eilte in die Küche, nur um eine große schwarze Katze auf der Arbeitsplatte zu sehen, die – den Schwanz hoch aufgereckt – Hermione mit ihrem flauschigen Kopf anschubste.

„Was haben Sie gesagt, Miss Granger?", fragte er.

„Oh. Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht beunruhigen. Meine Nachbarskatze hat mich einfach nur erschreckt. Ich nenne ihn T. Er ist eigentlich sehr freundlich. Es ist nur, dass ich nie weiß, wann er auftaucht. Und er ist immer so leise um mich herum; bis er neben mir aufspringt, weiß ich gar nicht, dass er da ist. Ich sollte wahrscheinlich seinen Besitzer finden und ein Glöckchen für sein Halsband anbieten …"

„T? Ich dachte, der Name Ihrer Katze sei Crookshanks." Severus runzelte die Stirn und realisierte nicht, was er gesagt hatte.

„Crookshanks ist im Chaos bei Bills Hochzeit weggelaufen. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen", seufzte Hermione. Plötzlich erschien ein Stirnrunzeln zwischen ihren Brauen. „Woher wissen Sie, dass meine Katze Crookshanks heißt?"

Blinzelnd sah Severus die junge Hexe an und antwortete kühl: „Sie sollten inzwischen wissen, was Ihre Hauslehrerin von Ihnen drei gehalten hat. Minerva sprach über Sie drei wie über ihre eigenen Kinder. Sie muss den Namen Ihrer Katze mindestens ein- oder zweimal erwähnt haben."

„Oh …" Hermione dachte einen Augenblick nach, unsicher, was sie mit der Information anfangen sollte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie mit Minerva über ihr Haustier gesprochen hatte.

„Sie sagten, die Katze taucht oft unangekündigt auf?" Severus wechselte das Thema, indem er eine Frage stellte. „Woher wissen Sie, dass er kein Animagus ist?" Stirnrunzelnd sah er den Kater an, der nun Snape mit seinen goldenen Augen anstarrte.

„Keine Sorge, Professor Snape." Hermione lächelte die Katze an, während sie nach der Teekanne und den Tassen griff. „Ich habe daran schon einige Male gedacht. Es ist erstaunlich, dass er weiß, wie er mein Fenster aufstoßen kann, und mich besucht, wenn ich alleine daheim bin, oft, wenn ich Gesellschaft brauchen kann. Eine Weile dachte ich, er sei jemand, den ich kenne. Aber nachdem ich mehrmals den Homorphuszauber bei ihm ausprobiert habe, kann ich Ihnen garantieren, dass er nichts als ein schöner, aber gewöhnlicher Kater ist."

Severus sah ruhig zu, als Hermione eine kleine Schale Milch für den Kater namens T auf den Küchenboden stellte. Er war froh, dass Hermione nicht weiter nachfragte, woher er den Namen ihrer Katze kannte. Mehr jedoch faszinierte ihn, dass sie den freundlichen Kater T genannt hatte.

Wortlos folgte er ihr ins Arbeitszimmer, während sie den Tee auf einem kleinen Tisch neben dem Sofa abstellte. Er ging zu ihrem Schreibtisch und erkannte sofort das Notizbuch wieder, das genauso wie seines aussah.

„Dies ist meine Lieblingskamille, Professor. Möchten Sie gerne etwas Zucker oder Honig?", fragte Hermione ihn.

„Pur ist prima", antwortete er und drehte sich, um die Tasse mit der heißen Flüssigkeit von ihr entgegenzunehmen. Als er sich mit der Tasse in der Hand zurückdrehte, bemerkte er, dass das Notizbuch verschwunden war.

„Ein guter Freund von mir hat empfohlen, dass ich Rita Skeeters Geschichten recherchiere." Hermione deutete auf einige Zeitungsausschnitte auf ihrem Schreibtisch. „Ich glaube, es gibt einige Verbindungen zwischen den Geschichten, die sie geschrieben hat. Ich brauche jedoch ein wenig mehr Zeit, um sie zu bearbeiten."

„Ein guter Freund von Ihnen … ist das so?" Severus schien sich über die Information zu amüsieren. „Das ist ein sinnvoller Blickwinkel", nickte er zustimmend. „Es fasziniert mich zu erfahren, was Sie aus ihren Geschichten herausfinden."

Bei einem Blick über den Stapel Zeitungen bemerkte Severus mehrere Bücher über fortgeschrittene Gedächtniszauber. „Gedächtniszauber." Er sah die Hexe mit hochgezogener Braue an. „Ist das ebenfalls ein Forschungsprojekt?"

„Äh …" Hermione öffnete den Mund, zögerte aber. Einen langen Augenblick später sagte sie: „Ja. Ich hoffe, dass ich einen Weg finden kann, um einen Gedächtniszauber rückgängig zu machen."

Neugierig sah Severus die Hexe an und setzte sich ihr gegenüber auf das Sofa. „Hätten Sie etwas dagegen, mir den Zweck der Nachforschungen zu erklären?" Als er ihr Zögern bemerkte, fügte er hinzu: „Vielleicht kann ich etwas Hilfestellung anbieten."

Hermiones Augen weiteten sich bei seinen Worten. Nach monatelanger Recherche hatte sie beinahe die Hoffnung aufgegeben, eine Lösung zu finden. Sie biss sich auf die Unterlippe und rutschte unbehaglich auf ihrem Platz hin und her. Schließlich fragte sie: „Professor Snape, wie denken Sie darüber, Gedächtniszauber zu verwenden, um Unschuldige zu schützen?"

Severus' tiefdunkle Augen hefteten sich für einen langen Moment auf Hermione, ehe er mit seiner kühlen, samtigen Stimme antwortete: „Es ist ein bewundernswertes Vorgehen, jemanden während des Krieges vor dem Dunklen Lord zu beschützen. Gewisse Dinge werden eventuell besser vergessen. Abhängig von den Umständen, unter denen der Gedächtniszauber geworfen wurde, mag er nicht so schlecht sein, wie er üblicherweise angesehen wird."

Hermione stieß ein zittriges Seufzen aus und sah stirnrunzelnd auf ihre Tasse Tee. Nach einer langen Pause sagte sie: „Zu Beginn des Krieges habe ich einen Gedächtniszauber auf meine Eltern geworfen. Jetzt erinnern sie sich nicht mehr daran, dass ich jemals existiert habe. Ich möchte sie zurückholen."

Severus saß ruhig, während er zuhörte. Er gab mit keinem Wort Antwort. Stattdessen nickte er Hermione nur leicht zu und ermunterte sie fortzufahren.

„Ich habe alles probiert, Professor: Tränke, Banne, Zauber. Aber nichts scheint die geringste Chance zu haben, die Eigenschaften zu enthalten, die notwendig sind, um einen Gedächtniszauber umzukehren. Obwohl einige Ordensmitglieder wussten, dass ich meine Eltern in Sicherheit geschickt hatte, wusste niemand mit Ausnahme von Harry und Ron von dem Gedächtniszauber, den ich eingesetzt hatte. Nach dem Krieg sah ich, wie das neue Ministerium mit Hexen und Zauberern umsprang, die Magie auf Muggel angewandt hatten, und ich wusste, sie würden es nicht verstehen. Daher konnte ich die ganze Zeit mit niemandem über meine Recherchen reden. Ron und Harry haben versucht, mich zu ermutigen, aber darüber hinaus waren sie nicht hilfreich. Um ehrlich zu Ihnen zu sein, Professor, bin ich an einem Punkt, an dem ich kurz davor stehe aufzugeben. Kennen Sie einen Weg, den Zauber rückgängig zu machen?" Hermione sah zögernd zu Severus auf.

Severus musterte die junge Hexe vor sich, dachte einen langen Moment nach und beschloss, keinen Kommentar zu ihrem Gebrauch eines Gedächtniszaubers abzugeben, ohne in vollem Umfang über die Konsequenzen nachzudenken. Er stellte die Teetasse auf dem kleinen Tisch ab und fragte sie: „Hatten Sie eine Möglichkeit, Legilimentik zu lernen?"

Hermiones Augen verengten sich, während sie über seine Worte nachdachte. Ihr fiel die Kinnlade herunter, als ihr plötzlich klar wurde, was er andeutete. „Natürlich! Sagen Sie, dass die verlorene Erinnerung zurückgebracht werden kann, indem man in jemandes Geist mit Legilimentik eindringt?"

„Ich sehe, dass Ihr Kamillentee Ihren Verstand nicht zum Schlafen gebracht hat." Severus' Mundwinkel zogen sich zu einem kleinen Lächeln hoch. „Ja, in der Tat. Gedächtniszauber löschen nicht einfach jemandes Erinnerung. Stattdessen sperren die Zauber die angepeilte Erinnerung tief im Geist des Betroffenen weg. Sie unterscheiden sich von Okklumentik, in welchem Fall der Okklumens Kontrolle darüber hat, wie er bestimmte Erinnerungen verbirgt. Im Fall eines Gedächtniszaubers wird jemandes Gedächtnis durch einen Einfluss von außen verändert. Und deshalb kann er nur durch einen Einfluss von außen, durch Legilimentik, aufgehoben werden."

„Warum war diese Behandlung in keinem der Bücher erwähnt?" Hermione war mehr als aufgeregt und konnte nicht glauben, wie ihr diese logische Lösung entgangen sein konnte.

„Nicht alles steht in Büchern geschrieben, Miss Granger", antwortete Severus gelassen. „Oder sollte ich sagen, steht in den Büchern geschrieben, die für gewöhnliche Recherchen für passend erachtet werden." Langsam breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. „Da Gedächtniszauber keine Magie sind, die gefördert wird, ist ihre Auflösung natürlich nie ausführlich veröffentlich worden."

„Das ist ganz und gar sinnvoll! Danke, Professor!" Hermione sprang von ihrem Platz auf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Nervös verflocht sie ihre Finger miteinander, während sie über ihr neues Wissen nachdachte. Einen Moment blieb sie vor Snape stehen und fragte: „Können Sie mich Legilimentik lehren, Professor Snape? Bitte?"

Severus' sank das Herz, als er in ihr erwartungsvolles Gesicht sah. Wenn es Eines gab, das er seinen Fall betreffend ihr gegenüber nicht erwähnt hatte, dann war es die Tatsache, dass er nicht glaubte, dass sein Fall verteidigungsfähig war. Die Macht hinter der Anklage schien zu stark für eine junge Hexe zu sein, um dagegen anzukämpfen. Legilimentik war keine magische Theorie, die man schnell erlernen konnte. Wenn er sie lehren sollte, ehe er nach Azkaban geschickt würde, musste er bald damit anfangen. „Wann möchten Sie gerne beginnen, Miss Granger?" Er holte tief Luft und fragte ruhig: „Morgen?"

„Nein, natürlich nicht!" Sie stieß ein Lachen aus. „Sie müssen Ihre Prioritäten richtig setzen. Zuerst werden wir uns auf Ihren Fall konzentrieren. Wir können anfangen, sobald wir Ihren Namen reingewaschen haben, wenn Sie nichts dagegen haben."

Severus wusste nicht, was er sagen sollte, während er ihr schönes Lächeln anstarrte. „Was ist, wenn … wir den Fall verlieren?", fragte er schließlich kühl.

„Das werden wir nicht!" Sie lächelte ihn weiter strahlend an. „Dies gibt mir nur einen weiteren Anreiz, härter zu arbeiten. Ich werde Ihnen helfen, gegen sie zu kämpfen, Professor Snape! Wir werden den Fall gewinnen!"

Mit einem leichten Stirnrunzeln über die begeisterte junge Hexe wusste Severus nicht, was er sagen sollte. Vielleicht musste er sich einfach eine andere Möglichkeit überlegen, damit sie die Hilfe bekam, die sie brauchte. Denn irgendwie dachte Severus, dass es weder viel Zukunft für ihn gäbe noch etwas anderes, wovon er über die letzten paar Jahre hinweg zu träumen angefangen hatte.