Kap 11. Zauberstäbe
Nachdem Harry, Hermine und Ron jeweils einen weiteren Schluck Vielsafttrank genommen hatten, brachen sie unter dem Tarnumhang versteckt zu Olivander's auf. Begleitet wurden sie dabei von Dean, der nach ihrer Ankündigung spontan erklärt hatte, mitkommen zu wollen, weil er seinen Zauberstab im Krieg verloren hatte und sein während der Schlacht von Hogwarts von einem Greifer erbeuteter Zauberstab in seinen Händen kaum funktionierte. Am Laden angekommen hatten sie Glück: Direkt vor ihnen kam ein mittelaltes Paar aus der Eingangstür und übergab die Klinke in Deans Hände, der sich für die Geste bedankte und die Tür extra lange offen hielt, sodass Harry, Hermine und Ron ungesehen in das Zauberstabgeschäft schlüpfen konnten. Mehr noch: abgesehen von Mr. Olivander, der magisch verschiedene Zauberstabverpackungen zurück in ihre angestammte Regale schweben ließ, die zuvor offenbar umhergeflogen waren, war der Laden leer, was Harry einen Stein vom Herzen fallen ließ.
„Guten Tag, Mr. Thomas, wie kann ich Ihnen dienen?", begrüßte Mr. Olivander Dean. Harry fiel sofort auf, dass er noch immer sehr ausgemergelt und gebrechlich wirkte, was Nachwirkungen seiner langen Gefangenschaft in Händen von Todesser sein mussten. Er bewunderte ihn dafür, dass er trotz allem wieder in seinem Laden stand und seinem Beruf nachging. Oder besser, seiner Berufung.
„Ich wünsche Ihnen auch einen guten Morgen, Mr. Olivander!", erwiderte Dean, der Mr. Olivander zuletzt nach der Flucht von Malfoy Manor zu Shell Cottage gesehen hatte. „Ich bin hier, um Sie zu fragen, ob Sie meinen Zauberstab überprüfen könnten. Außerdem habe ich ein paar gemeinsame Freunde mitgebracht. Bitte jetzt nicht erschrecken."
Nach dieser Warnung, er wollte ja nicht, dass der Zauberstabmacher an einem Herzinfarkt starb, nachdem er den Krieg knapp überlebt hatte, zog Harry den Tarnumhang von sich, Hermine und Ron. Mr. Olivander zuckte trotz der Warnung von Dean merklich zusammen.
„Schön Sie zu sehen, Mr. Olivander", sagte er. „Ich bin es, Harry Potter. Und das sind Hermine Granger und Ronald Weasley. Wir haben Vielsafttrank eingenommen, um nicht erkannt zu werden." „Sie können uns gerne ein paar Fragen zu unserem gemeinsamen Aufenthalt Shell Cottage stellen, wenn Sie unsere Identität bestätigen wollen, Mr. Olivander", ergänzte Hermine. „Ich hoffe, Sie haben sich die letzten Monate gut erholen können. Es tut gut, sie wieder auf den Beinen zu sehen."
„Mr. Potter, Miss Granger und Mr. Weasley...", sagte Mr. Olivander erstaunt. „Ich habe Sie bereits erwartet. Wenn auch nicht so früh. Lassen Sie mich bitte ausdrücken, dass ich tief in Ihrer Schuld stehe und mich noch einmal ausdrücklich bei Ihnen für meine Rettung bedanken. Ich fürchte, meine erste Reaktion nach der Befreiung war keine besonders angemessene."
Harry winkte ab.
„Keine Ursache. Wir alle standen neben uns nach dem, was vorgefallen war, wie sollten wir es Ihnen verdenken?"
Mr. Olivander schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
„Ich bestehe darauf. Und auch wenn ich meine erste Reaktion nicht ungeschehen machen kann, so kann ich ihnen dennoch eine Entschädigung anbieten. Sehen Sie ihren nächsten Zauberstab als Geschenk an. Sie gehen auf's Haus." Olivander senkte den Kopf. „Es tut mir übrigens leid für das, was mit Ihren Zauberstäben passiert ist. Mit den Zauberstäben von Ihnen allen. Es waren gute Zauberstäbe..."
Harry begann zu lächeln.
„Ähm, deswegen sind wir eigentlich nicht hier", sagte Harry, zückte seinen Phoenixstab und präsentierte ihn.
Mr. Olivander zuckte erneut zusammen, als er den zerstört geglaubten Zauberstab plötzlich wieder intakt sah. Mit großen Augen und offen stehendem Mund starrte er den Phoenixstab an und versuchte mehrfach zu sprechen, bevor es ihm gelang.
„Wie... wie ist das bloß möglich?", fragte er halb entsetzt, halb fasziniert.
„Der Elderstab", erklärte Harry. „Mit ihm konnte ich ihn reparieren."
Mr. Olivander stützte sich mehrfach tastend am Tresen ab und setzte sich schließlich auf einen Hocker.
„Du meine Güte!", flüsterte er. „Dann ist es wahr. Und seine Macht ist noch größer, als ich angenommen hatte... Extraordinär. Wo ist er jetzt?"
„An einem geheimen Ort."
Harry meinte, einen Anflug von Enttäuschung im Gesicht des Zauberstabmachers zu sehen, dass er ihn nicht in die Hand bekam, doch dieser Gesichtsausdruck verschwand kurz darauf wieder.
„Weshalb sind Sie dann hier?", fragte er neugierig.
„Wir möchten Sie bitten, unsere Zauberstäbe zu überprüfen", antwortete Hermine. „Wir haben unsere Zauberstäbe kürzlich zurück erhalten und sind uns nicht sicher, ob sie ihre Gefolgschaft gewechselt haben und ob wir sie gefahrlos benutzen können."
Mr. Olivander nickte kraftvoll.
„Natürlich, natürlich. Dürfte ich?", fragte er, blieb dabei aber sitzen. Offenbar war er in seinem Zustand nicht in der Lage, länger zu stehen.
Hermine reichte ihm ihren Zauberstab, und Harry beobachtete das nun schon mehrfach beobachtete Ritual, wenn Mr. Olivander einen Zauberstab prüfte.
„Rebenholz... 10 ¾ Zoll..., Drachenherzfaser. Oh ja, ich spüre Verunsicherung. Und Loyalität. Große Loyalität. Er wurde gewaltsam entrissen, doch seine Gefolgschaft hat sich nicht geändert."
Hermine begann zu strahlen.
„Das heißt, ich muss keine Leistungseinbußen befürchten?"
Mr. Olivander schüttelte den Kopf.
„Miss. Granger, dieser Zauberstab war Ihr Zauberstab und es ist Ihr Zauberstab."
Hermine begann zu schniefen, während ihr eine Freudenträne über die Wange kullerte.
„Das ist wunderbar", flüsterte sie, während Harry sie lächelnd ansah und ihr bestätigend zunickte. Es sollte so viel wie „Siehst du, alles gut" bedeuten.
„Vielen lieben Dank, Mr. Olivander!", sagte sie, als sie den Zauberstab zurück bekam und freudestrahlend wegsteckte.
Als nächstes reichte Ron seinen Zauberstab über den Tresen.
„Weide..., 14 Zoll..., Einhornhaarkern. Auch hier nehme ich sowohl Verunsicherung als auch Loyalität wahr... Beide kämpfen miteinander. Der Zauberstab wurde gewaltsam entrissen, doch auch freiwillig zurückgegeben... Mir scheint, er ist sich nicht mehr völlig sicher, wem er dienen soll. Doch ich spüre eine klare Präferenz für seinen ersten Meister... Behandeln Sie ihn gut, Mr. Weasley, und geben Sie ihm etwas Zeit. Dann wird er Ihnen bereits in Kürze wieder treu dienen wie zu seinen besten Zeiten."
Mr. Olivander gab Ron den Zauberstab zurück.
„Was ist „etwas" Zeit?", fragte Ron.
„Das kann niemand genau wissen, Mr. Weasley", erklärte Mr. Olivander. „Zauberstäbe sind eigen, und selbst diejenigen, die sich ihr ganzes Leben mit ihnen befassen, de Zauberstabmeister, können doch nur einen Bruchteil ihrer Geheimnisse entschlüsseln. Einige Tage vielleicht, möglicherweise auch einige Wochen oder Monate. Seien Sie aufmerksam, dann werden Sie es spüren."
Ron bedanke sich und trat zur Seite, um Dean Platz zu machen.
„Bei Ihnen das Gleiche, Mr. Thomas?", fragte Mr. Olivander, nachdem ihm klar war, dass Harry, Ron und Hermine erst einmal verarztet waren.
Dean räusperte sich.
„Nicht ganz", erklärte er. „Das ist nicht mein Zauberstab, den ich von ihnen gekauft habe, sondern ein Notbehelf seit der Schlacht. Mein erster Zauberstab ist verloren. Aber dieser hier scheint in meinen Händen einfach nicht zu funktionieren. Selbst einfache Zauber gelingen mir nur, wenn ich mich dabei anstrenge. Ich glaube, er ist irgendwie angeknackst, aber äußerlich sehe ich keine Beschädigung."
Dean gab Mr. Olivander seinen Zauberstab, der ihn von ersten Blick an mit großer Skepsis beäugte. Er wiegte ihn sehr sehr lange in den Händen, fühlte ihn, strich über ihn, wog ihn. Horchte sogar an ihm, während sich sein Gesichtsausdruck immer weiter verdunkelte. Aber er sagte nichts. Stattdessen begutachtete er ihn mit allen Mitteln, die ihm einfielen, und wurde dabei von den vier jungen Erwachsenen mit stetig steigender Spannung beobachtet, während sich die unangenehme Stille immer deutlicher bemerkbar machte. Nach wohl mehreren Minuten – Harry kam es vor wie eine halbe Stunde – sah Mr. Olivander wieder auf, und der Blick ließ nichts Gutes vermuten. Harry wusste nicht genau, was er im Gesicht des Zauberstabmachers sah. Abneigung, Verachtung, vielleicht sogar eine Spur Hass, dazu wahrscheinlich eine Spur Scham und ganz sicher eine große Menge Wut und Zorn. Vermutlich noch eine Menge weiterer Emotionen, die er nicht deuten konnte.
„Wo. Haben. Sie. Diesen. Zauberstab. Her?", fragte Mr Olivander zwischen zusammengepressten Lippen, und Harry realisierte, wie sehr er versuchte, sich zusammenzureißen, um die Frage nicht lauthals hinauszuschreien.
Dean schluckte.
„Ich, ich habe ihn bei der Schlacht von Hogwarts gewonnen. Ich hatte keinen Zauberstab, weil er mir ja als Muggelgeborener abgenommen wurde. Bei der Schlacht wurde ein Greifer in meiner Nähe außer Gefecht gesetzt und ich habe seinen Zauberstab aus seiner Hand gerissen und versucht mit ihm zu kämpfen. Ging sehr schlecht, aber ich hatte ja nichts besseres. Was ist mit ihm? Ist er verhext? Oder kaputt?"
Mr. Olivander funkelte Dean böse an, bevor er aufstand, langsam zur Eingangstür humpelte, das Geöffnet-Schild umdrehte und die Tür von innen abschloss, bevor er sich wieder an Dean und das Trio wandte.
„Das, Mr. Thomas, ist kein Zauberstab", grollte er schließlich. „Nennen Sie ihn also nicht so. Das ist minderwertigster Schund, der jeden echten Zauberstabmacher zutiefst beschämt! In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so einen schlechten Zauberstab in meinen Händen gehalten. Niemals! Eukalyptusholz, schlecht verarbeitet, kaschiert mit billigem Schutzlack. 13 Zoll, extra dick, dazu ein Kern aus Knuddelmuffhaar. Knuddelmuffhaar! Selbst ein Trollbarthaar hat bessere magische Eigenschaften! Dazu interagiert Eukalyptus und Knuddelmuffhaar auch noch invers."
„Invers?", hakte Hermine nach. „Das heißt, die magischen Eigenschaften behindern sich gegenseitig?"
Mr. Olivander starrte erneut auf den Zauberstab in seinen Händen, bevor er Hermines Frage beantwortet.
„In der Tat, Miss Granger. Eukalyptusholz ist ein ätherisches Holz, das eine belebende Frische ausstrahlt und damit magische Spontanität begünstigt. Kuddelmuffs sind hingegen lethargische, phlegmatische Tiere mit kaum existenter magischer Energie. Ein Kern aus ihren Haaren ist somit nicht nur annähernd wertlos, er unterdrückt überdies auch noch die Spontanität von Eukalyptusholz. Wer also dieses Objekt gefertigt hat, der hat dies entweder ohne jede Kenntnisse der Zauberstabkunde getan." Er sah nun auf und blickte Hermine direkt an, während sich seine Augen zu Schlitzen verengten. „Oder aber: Er wusste genau, was er tat, und tat es in voller Absicht."
„Sie meinen, jemand hat bewusst einen sehr schlechten Zauberstab – 'Tschuldigung – hergestellt?" fragte Harry. „Warum sollte das jemand tun?"
Mr. Olivander zuckte mit den Achseln und sah in diesem Moment einfach nur sehr alt und sehr niedergeschlagen aus.
„Diese Frage, Mr. Potter, kann ich ihnen leider nicht beantworten. Was ich Ihnen aber sagen kann, ist Folgendes: Wollte ich aus rein akademischen Gründen den schlechtest-möglichen Zauberstab fertigen, dann sähe das Resultat annähernd so aus wie dieses Objekt hier. Ich kann Ihnen versichern, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, ein solches Ding nur durch eine Verkettung von schweren handwerklichen Fehlern herzustellen. Ein Zauberstabmacher wendet nicht umsonst viele Jahre für Studium und Wanderschaft auf, bevor er er seinen ersten eigenen Zauberstab fertigt."
„Viele Jahre?", fragte Ron.
„Selbstverständlich, Mr. Weasley", antwortete Mr. Olivander. „Was haben Sie denn geglaubt? Dass man nach ein paar Monaten ahnungslos darauf los werkelt? Bedenken Sie, Mr. Weasley, meinen ersten Zauberstab fertigte ich im Alter von 38 Jahren. Im Beisein meines Vaters und Großvaters, die mir genau auf die Finger schauten. Und nachdem ich zuvor fast 20 Jahre durch die Welt gereist bin, um bei Zauberstabmachern überall auf der Welt in die Lehre zu gehen. Doch es sollte bis zu meinem 51. Lebensjahr dauern, bis ich einen Zauberstab fertigte, den ich tatsächlich für gut genug hielt, um ihn auch tatsächlich zu verkaufen. Mehrere Jahre später übernahm ich dann diesen Laden hier von meinem Vater. Genau wie ich einmal dieses Geschäft an meine Enkeltochter weitergeben werde." Bei dem Stichwort Enkeltochter hellte sich Mr. Olivanders Laune etwas auf und er hielt inne. „Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment", sagte er einen Augenblick später, und verschwand durch eine Tür hinter dem Tresen im hinteren Teil des Ladens.
„Die Reaktion war... krass", konstatierte Ron, als Mr. Olivander außer Hörreichweite war, und wandte sich Dean. „Was hast du dir da bloß für einen Zauberstab gekrallt?"
Dean verzog das Gesicht und drehte seine Handflächen nach oben.
„Ich habe keine Ahnung!", sagte er mit sehr schneller, hoher Stimme. „Frag mich was Leichteres..."
„Mir macht eher die Aussage Angst, dass der Zauberstab wohl vorsätzlich als dysfunktional konzipiert wurde", warf Hermine ein. „Habt ihr seine Augen gesehen, als er das sagte? Er war ehrlich erschrocken. Er kann sich darauf auch keinen Reim machen. Und das nach so vielen Jahren der Zauberstabmacherei..."
Ron verzog das Gesicht in eine Grimasse.
„Ich bin da auf Harrys Seite. Es ergibt keinen Sinn, dass jemand einen Zauberstab mit Absicht so macht, dass er nicht funktioniert. Wer will einen Zauberstab, mit dem man nicht gescheit zaubern kann? So ein Ding würde doch niemand freiwillig kaufen."
„Und wenn es nicht freiwillig war?", fragte Hermine und klang dabei sehr unschlüssig.
„Was soll das denn heißen?", wollte Ron wissen. „Wer wird denn zum Kauf eines schlechten Zauberstabs gezwungen?"
Hermine hob die Hände, als wollte sie sich entschuldigen.
„Ich versuche nur logisch zu denken."
„Klingt für mich eher ziemlich unlogisch", meinte Ron. „Sorry Hermine."
Harry sah zu Dean.
„Kanntest du den Greifer, dem du den Zauberstab abgenommen hast?"
„Nein, nie gesehen, Harry. Paar Jahre älter als wir. Sagte mir aber gar nichts. Es ging aber auch alles sehr schnell."
Hermine setzte zu einer weiteren Frage an, als Mr. Olivander zurückkehrte. Und er war nicht alleine. Hinter ihm folgte eine Frau, die Harry auf Mitte oder Ende 30 schätzte. Sie war etwa 1,75 m groß, schlank, hatte lange dunkelblonde Haare, die sie zu einer strengen Knotenfrisur zusammengebunden hatte. Dazu trug lange sie figurverhüllende Roben und eine dicke Hornbrille, die fast genauso dicke Gläser hatte wie die Brille von seiner ehemaligen Wahrsage-Lehrerin Sybill Trelawney. Auch wenn sie auf den ersten Blick in ihrem Auftreten sehr unscheinbar und mauerblümchenartig wirkte, fand Harry sie doch gleich auf Anhieb attraktiv. Es war eine Kombination aus dieser inneren Art von Schönheit, die auch Hermine ausstrahlte, und hinter Roben, Hornbrille und Frisur versteckter äußerlicher Schönheit, was, wenn Harry es sich recht überlegte, ebenfalls auf Hermine zutraf, von der Brille mal abgesehen.
„Darf ich vorstellen", sagte Mr Olivander, „Das ist meine Enkeltochter Iphigenia."
Sie stellte sich kurz vor, wobei ihr Blick besonders lang auf Ron fokussiert blieb, der noch immer im Körper eines großen und attraktiven 35-Jährigen steckte. Auch Ron schien sie auffällig lange zu betrachte, bemerkte Harry. Und wenn er es bemerkte, dann bemerkte es mit Sicherheit auch Hermine... Mr. Olivander riss ihn wieder aus den Gedanken.
„Iphigenie hat die letzten 15 Jahre im Ausland verbracht und dort bei verschiedenen Meistern Zauberstabkunde studiert, besonders in den USA und Australien." Bei dem letzten Wort ergriff Harry Hermines Hand. „Vor zwei Wochen kehrte sie vorzeitig zurück, um mir beim Wiederaufbau zu helfen. Mr. Thomas, wenn Sie erlauben, ich würde gerne auch ihre Einschätzung zu dem Objekt von Ihnen hören."
„Natürlich, kein Problem."
Mr. Olivander übergab den Zauberstab an seine Enkelin, die ebenfalls sofort anfing, ihn zu betasteten. Mit geschlossenen Augen fühlte sie ihn und zählte seine Charakteristiken auf.
„13 Zoll Länge. Überdurchschnittliche Dicke, etwa 0,8 Zoll. Eukalyptusholz mit Leinöl-Schutzlack. Vermutlich Riesen-Eukalyptus. Kernmaterial ist... Nanu. Kann das sein? Ich spüre einen Kern aus Knuddelmuffhaar? Eukalyptusholz und Knuddelmuffhaarkern?"
Sie öffnete die Augen und sah Mr. Olivander entgeistert an. Es schien, als zweifelte sie an allem, was sie bisher über Zauberstabkunde gelernt hatte.
Mr. Olivander nahm ihr den Zauberstab aus der Hand und schwang ihn in Richtung einer leeren Regals etwa zwei Meter neben ihm. Nichts geschah.
„Hast du jemals so einen Zauberstab gefühlt, Iphi?", fragte er mit verbittertem Tonfall.
Iphigenia verneinte.
„Niemals. Von allen Zauberstabmachern, die ich besucht habe, haben nur zwei jemals Eukalyptusholz eingesetzt, und das auch nur für einige ausgewählte, sehr spezielle Zauberstäbe. Ein Kern aus Knuddelmuffhaar ist mir aber auf meiner ganzen Reise nicht untergekommen. Und die Kombination von Eukalyptusholz und Knuddelmuffkern... Wer macht so etwas?"
Mr. Olivander strich Iphigenie über den Arm.
„Ja, ich weiß. Es ist so bizarr wie empörend."
Hermine sah Harry an, und er wusste fast augenblicklich, was sie dachte. Er hatte den selben Eindruck. Irgendwas mit diesem Zauberstab war faul, und zwar richtig faul, nicht nur etwas. Es ging hier nicht nur um schlechte handwerkliche Qualität, sondern um deutlich mehr. Er wusste zwar nicht, um was, aber er war sich ziemlich sicher, dass Hermine schon bald, vermutlich bereits direkt nach ihrer Rückkehr zum Fuchsbau eine Recherche starten würde. Und er würde sie dabei unterstützen.
„Gibt es denn gar keine positiven Eigenschaften von einem solchen Zauberstab?", hakte Hermine noch einmal nach. „Irgendetwas, was seine Herstellung rechtfertigen könnte?"
Mr. Olivander dachte einige Sekunden nach, bevor er eine Antwort formulierte.
„Ich wüsste nicht, ob man es als Vorteil bezeichnen sollte...", begann er. „Aber Sie müssen wissen, Kuddelmuffhaar unterscheidet sich in einem wesentlichen Aspekt von so ziemlich jedem anderen Material, das potentiell als Zauberstabkern in Frage kommt. Es ist hinsichtlich des Zauberers sehr anspruchslos. Deswegen akzeptieren Zauberstäbe mit Knuddelmuffhaar in aller Regel jeden Zauberer, der den Zauberstab erwirbt. Adverse Reaktionen, wie Sie sie alle beim Testen von Zauberstäben erlebt haben, bevor sie den richtigen fanden, sind bei Knuddelmuffhaar ausgesprochen selten. Man nimmt an, dass diese Eigenschaft daher rührt, dass Knuddelmuffhaar derart schwache magische Eigenschaften hat, dass es nicht in der Lage ist, dem Zauberstab einen eigenen Willen zu verleihen, der sonst charakteristisch für Zauberstäbe ist. Doch wie gesagt, ich wüsste nicht, inwiefern das ein Vorteil sein sollte, Miss. Granger."
„Vielen Dank", sagte Hermine, und Harry sah, wie es in ihrem Kopf ratterte.
„Was empfehlen Sie mir nun?", fragte Dean. „Mit diesem Teil brauche ich nicht zurück nach Hogwarts, wenn ich Chancen auf einen Abschluss haben will, oder?"
Mr. Olivander sah Dean scharf an.
„Mr. Thomas, ich übertreibe wohl nur wenig, wenn ich behaupte, dass sie mit diesem Ding schon froh sein können, wenn sie „Lumos" beherrschen. Ich fürchte, sofern sie keinen weiteren Zauberstab besitzen, dass Sie einen neuen brauchen."
Dean sah betröppelt zu Boden.
„Das habe ich befürchtet", sagte er kleinlaut. „Es ist nur so, ich bin derzeit nach dem Krieg sehr knapp bei Kasse..."
Harry schoss dazwischen.
„Ich bezahle ihn dir."
Dean nahm die Hände hoch.
„Nein, Harry, du kannst mir keinen Zauberstab kaufen. Das geht nicht."
„Dann leihe ich dir das Geld und du gibst es mir irgendwann zurück. Ich habe genug Geld, mehr als ich für vernünftige Zwecke ausgeben kann, und du brauchst einen Zauberstab."
Nun meldete sich auch Mr. Olivander zu Wort.
„Mr. Thomas, gehen Sie mit Iphigenia und suchen Sie sich einen Zauberstab aus. Ich empfehle Edelkastanie, 12 bis 13 Zoll, Drachenherzfaser. Iphigenia wird Sie beraten. Ich mache Ihnen ein Sonderangebot: Ich nehme dieses Ding in Zahlung und Sie erhalten ihren neuen Zauberstab für den halben Preis."
Harry wurde bei dem Angebot hellhörig.
„Ich bezahle Ihnen den vollen Preis für Deans Zauberstab", erklärte er. „Sie brauchen auch Geld zum Leben."
Mr. Olivander schüttelte den Kopf.
„Mr. Potter, machen Sie sich keine Gedanken um mich. Auch wenn ich durch den Krieg große Verluste erlitten habe, mein Lebensabend ist finanziell abgesichert. Darüber hinaus gedenke ich nicht, so schnell in den Ruhestand zu treten. Ein Zauberstabmacher arbeitet, bis er nicht mehr kann. Aber bitte, würden Sie, Miss. Granger und Mr. Weasley einmal mitkommen? Ich habe etwas für Sie, das ich Ihnen geben möchte. Um mich erkenntlich zu zeigen für Ihre Rettung."
Er winkte das Trio zu sich in den Raum hinter der Theke, während sich Dean und Iphigenie zu den Zauberstabregalen zurückzogen, wobei letztere Ron ausgiebig betrachtete, als er an ihr vorbeilief, und ihm dann noch eine Sekunde nachsah.
Der Raum hinter dem Tresen war noch kleiner als der Verkaufsraum, und bestand fast nur aus Regalen mit halbfertigen Zauberstäben und einer mittig stehenden Werkbank, auf der wohl die eigentliche Arbeit stattfand. Im Hintergrund war eine weitere Tür, die, wie Harry mutmaßte, offenbar zu den höher gelegenen Wohnräumen führte. Vielleicht aber auch einfach nur zu einer weiteren Werkstatt. Mr. Olivander bat Ron, die Tür hinter sich zu schließen, und griff dann zu einem kostbar aussehenden Beutel in einem Regal neben sich. Aus dieser holte er drei sehr klein wirkende Täschchen hervor, die Harry trotz des dunklen Funzellichtes einer nur noch schlecht funktionierenden Gaslampe sogleich erkannte.
„Bitte nehmt dies als Zeichen meiner Dankbarkeit an", sagte Mr. Olivander, und drückte jedem der dreien ein Täschchen in die Hand. „Das sind Zauberstabholster aus Mokeleder. Ich konnte sie kürzlich von einem befreundeten Händler erstehen. Sie sind ein äußerst kostbares und praktisches Zauberstabzubehör, gerade für angehende Auroren. Sie müssen wissen, Mokeleder ermöglicht nur dem Eigentümer Zugriff auf den Inhalt. Solange ihr Zauberstab also in dem Holster ist, kann er Ihnen von niemandem gestohlen oder entrissen werden. Zudem hat Mokeleder die vorteilhafte Eigenschaft, sehr viel größere Objekte aufnehmen zu können, als es scheint. Lassen sie sich also nicht von de Zoll Größe täuschen. Sie können in diesem Holster nicht nur einen ganzen Zauberstab unterbringen, sondern auch etwas Kleingeld oder die ein oder andere Phiole mit Medizin. Und egal was passiert, sie müssen keine Sorgen haben, dass sie durch eine ungeschickte Bewegung, Darauffallen oder Ähnliches ihren Zauberstab zerbrechen. In dem Holster ist er vollkommen geschützt."
Harry begann erneut abzuwiegeln, dass er das Geschenk unmöglich annehmen können, noch dazu, da er wisse, wie wertvoll Mokeleder sei, doch Mr. Olivader machte unmissverständlich klar, dass er darüber nicht reden werde. Nach einigen Frage zu der konkreten Nutzung – unter anderem fragte Ron, ob man auch zwei Zauberstäbe in dem Holster verstauen könne, was Mr. Olivander ausdrücklich bejahte – kehrten sie in den Verkaufsraum zurück, wo Iphigenia noch immer einen neuen Zauberstab für Dean suchte. Doch etwa zehn Minuten und fünf oder sechs Zauberstäbe später fand ein Zauberstab Dean als würdig, und Dean tauschte seinen alten Zauberstab gegen den Neuen ein, wobei ihm Harry mit ein paar Galleonen – nur kurz ausgeliehen, darauf bestand Dean! – unter unter die Arme griff. Anschließend machten Sie sich auf den Weg zurück zum Scherzartikelladen, wobei Harry, Hermine und Ron wieder unter dem Tarnumhang marschierten. Harry hatte den Eindruck, dass Iphigenia Ron trotzdem noch ziemlich lange nachsah.
Der Rückweg verlief ereignislos und nahezu genauso schnell wie der Hinweg. Tatsächlich hielten sie nur einmal kurz vor dem Bücherladen Flourish & Blotts an, und zwar um zu beobachten, wie der Besitzer – mit dem Hermine seit mehreren Jahren auf du war, wie sie vor einigen Tagen einmal beiläufig erwähnt hatte – ein Werbeplakat für ein neues Buch im Schaufenster anbrachte. Offenbar hatte eine französische magische Historikerin ein der Abbildung nach zu urteilen außerordentlich dickes Geschichtsbuch mit dem Titel Magic Mondial verfasst, das nun bald auch in einer englischen Übersetzung auf den Markt erscheinen sollte. Zumindest war das, was Harry aus der Ankündigung herauslas. Die Namen sagte ihm jedoch gar nichts, weder der der Historikerin noch der Buchtitel. Allerdings ließ Hermines Reaktion darauf schließen, dass sie nicht nur die Historikerin kannte, sondern auch schon seit Jahren sehnsüchtig auf genau diese Publikation wartete. Tatsächlich hatte sie die Aussicht auf das baldige Erscheinen des Buches so hibbelig gemacht, dass sie sogar einmal von Ron gebremst werden musste, zu laut zu flüstern und somit das Trio unter dem Tarnumhang zu verraten. Als Harry sich schließlich sicher war, dass sie das Werbeplakat mindestens drei mal gelesen hatte, was bei ihrem Verstand gleichbedeutend mit fehlerfrei auswendig gelernt war, fragte er leise und gutmütig, ob sie nun weiter gehen konnten. Er wusste ja, wie schwer es ihr fiel, nach so langer Zeit an dem Buchladen vorübergehen zu müssen, ohne ihn betreten und neue Bücher kaufen zu können. Ihm war es zuvor beim Quidditch-Geschäft ja genauso gegangen. Hermine seufzte leise, hatte aber keine Einwände. Gleichzeitig war sich Harry sicher, dass er nicht zum letzten Mal von diesem Buch gehört hatte. Da würde er sogar eine Prophezeiung abgeben, die ihm bei Trelawney mindestens ein „Erwartungen übertroffen" einbringen würde. Und das ganz ohne Kristallkugel oder Teeblätter in einer Tasse.
Als sie die Tür zum Scherzartikelladen öffneten, trafen sie dort auf unerwartet gute Stimmung. Die Jubelschreie, die bis auf die Straße schallten, klangen fast wie nach einen Sieg der Quidditch-Hausmannschaft, und passten so gar nicht zu dem, was sie erwartet hatten. Nachdem sie hinter Dean eingetreten waren und den Tarnumhang abgenommen hatten, kam sofort Parvati auf sie zugestürzt, noch bevor irgendjemand der drei etwas sagen konnte.
„Super Neuigkeiten!", schrie Parvati schrill und mit voller Lautstärke. „Ich komme gerade aus dem St. Mungo's: Lavender ist über den Berg! Sie wird überleben!"
Parvati sprang Hermine, die nun wieder erste Anzeichen der Rückverwandlung zeigte, um den Hals und drückte sie, so fest sie konnte, während sie sie hin- und her schaukelte und dabei vor Freude schrill quietschte.
„Danke Hermine, du hast sie gerettet!", rief sie schließlich leiser, aber nicht weniger euphorisch, nachdem sie Hermine wieder losgelassen hatte. „Die Heiler sagen, nur wenige Sekunden später, und es wäre zu spät gewesen!"
Hermine strahlte.
„Das sind wunderbare Nachrichten, Parvati! Wird sie auch wieder völlig gesund?"
Daraufhin sackten Parvatis Mundwinkel wieder nach unten.
„Sie wissen es noch nicht", sagte sie, plötzlich leise und ernst geworden. „Sie sagen, wir müssen damit rechnen, dass sie bleibende Schäden davon trägt. Sie könnte auch ein Werwolf sein. Der Vollmond morgen wird es zeigen. Aber sie wird auf jeden Fall überleben!"
„Das ist das wichtigste", erklärte Harry, der die Szene von der Seite aus beobachtet hatte und sich innerlich dafür schalt, dass er vor lauter Trauer um die Toten fast vergessen hatte, dass noch immer Opfer des Krieges und der Schlacht um ihr Leben kämpften. Erst recht, wenn eines dieser Opfer eine weitere Gryffindor-Schülerin war, die sechs Jahre mit ihm nach Hogwarts gegangen und für einige Zeit auch die Freundin seines besten Freundes gewesen war. „Hauptsache keine weiteren Toten!"
„Ich hoffe so, dass sie wieder völlig gesund wird. Aber zumindest wird sie leben!", wiederholte Parvati und drückte anschließend erst Harry und dann Ron, bevor sie sich verabschiedete und zu einem Grüppchen gesellte, das aus ihrer Schwester Padma sowie Susan Bones und Hannah Abbott bestand.
Nach dieser stürmischen Begrüßung sah Harry sich im Verkaufsraum um, in dem rockige Musik der Weird Sisters liefmit den charakteristischen Dreiklang aus wummerndem Bass, dröhnenden Gitarren und kreischenden Dudelsacksound. Da George den Laden nicht geöffnet hatte, gab es keine Kunden im Scherzartikelladen. Dafür war aber ein großer Teil der Mitglieder von Dumbledores Armee versammelt, die sich bei zumeist ausgelassener Laune in verschiedenen Kleingruppen teils lauthals unterhielten. Nahe der Eingangstür stand Seamus, der sich mit dem Rücken zum Trio mit Terry Boot, Zacharias Smith und Ernie McMillan besprach und dabei scheinbar immens wichtige Dinge von sich gab. Etwas weiter entfernt neben einem leeren Regal redete Anthony Goldstein auf Luna ein, die ihren üblichen verträumten Blick aufgesetzt hatte und hier und da etwas erwiderte. Neben der Kasse standen George, Angelina und Lee und sahen in dem Moment aus, als hätte es die vergangenen Monate nie gegeben. Wenige Meter daneben kicherten Alicia Spinnet und Cho Chang, nachdem Katie Bell offenbar etwas sehr Lustiges gesagt hatte. Nur in einer versteckten Ecke des Ladens, waren zwei Personen, die scheinbar in ein ernstes Gespräch verwickelt waren: Neville und Ginny.
Harry zwang sich, seinen Blick von Neville und Ginny abzuwenden, bevor er in eine trübselige Stimmung verfiel, und winkte in die Runde, als müsste er irgendwie noch seine Ankunft signalisieren.
„Glaubt man das?", fragte Ron neben ihm halb verblüfft, halb neidisch. „Die machen ohne uns einfach so Party! Und das noch vor Mittag!"
„Lass sie doch einfach", antwortete Hermine. „Ich glaube, das haben alle mal gebraucht."
Ron begann zu grinsen.
„Nee, ich lasse sie nicht einfach. Ich mach da mit! Wenn ihr nichts dagegen habt, mische ich mal ganz unauffällig unters Volk."
Ron marschierte auf Seamus zu, der ihn aus den Augenwinkeln sehen konnte, und schlug ihm von hinten mit beiden Händen auf die Schultern, bevor er zupackte und ihn lachend schüttelte. Dean folgte ihm und zog Seamus in eine kumpelhafte Umarmung.
„So viel zu unauffällig", feixte Harry.
Hermine lachte.
Wenige Minuten darauf waren Harry und Hermine mit Hannah und Susan in ein ziemlich erheiterndes Gespräch vertieft, als plötzlich Cho auf sie zukam.
„Äh, hi", sagte sie leicht nervös. „Darf ich mir Harry und Hermine mal für einen Moment ausleihen? Ich bringe sie euch gleich wieder zurück."
Cho führte die beiden in eine ruhigere Ecke und spielte kurz mit ihren inzwischen deutlich längeren schwarzen Haaren, bevor sie begann.
„Ich habe viel nachgedacht", begann sie. „Und ich glaube, ich habe mich nie wirklich entschuldigt. Daher möchte ich es jetzt tun. Harry, ich bedauere aufrichtig, wie es mit uns beiden geendet ist", erklärte sie. „Ich habe es damals nicht verstanden, wie wichtig Hermine für dich ist, und ich..., ich war einfach eifersüchtig. Ich habe es nicht ertragen, dass ich dich mit Hermine teilen musste, und fühlte mich einfach wie eine zweite Geige. Und als dann noch die ...Sache mit Marietta dazu kam... Was ich sagen will, ist, es tut mir wirklich leid. Ich verstehe es mittlerweile und ich möchte, dass du das weißt. Ihr beide."
„Danke, Cho", sagten Harry und Hermine, ehrlich gerührt.
Doch Cho war noch nicht fertig.
„Ich wollte es euch schon nach der Schlacht sagen, aber es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es gewesen sein muss, alleine auf der Flucht vor Todessern, was ihr die ganze Zeit gemacht habt. Wahrscheinlich will ich es auch gar nicht wissen. Ich kann nur sagen, dass es gut war, dass du Hermine mir vorgezogen hast. Denn ich hätte das nicht machen können. Monatelang verstecken, gegen Du-weißt-schon-Wen kämpfen, das alles. Bei Merlin, ihr seid sogar in Gringott's eingebrochen und heil wieder herausgekommen! Ich wäre vor Angst gestorben dabei! Daher herzlichen Dank euch beiden, für alles! Ich hoffe, ihr könnte meine Zickigkeit vergessen."
„Schon ok", sagte Harry, und meinte es auch. Er war froh, dass ihm Cho verziehen hatte und damit Gras über die Sache wachsen konnte.
„Ich kann dich verstehen, Cho", erklärte Hermine daraufhin. „Du hast so viel durchgemacht in dem Jahr, und dann stand ich die ganze Zeit neben Harry und ließ dir kaum Platz. Dass ich Harry dann ausgerechnet bei eurem Date entführe, muss wirklich hart für dich gewesen sein. Wobei sich Harry da verbal auch bisschen blöd angestellt hat, nicht wahr", grinste Hermine und knuffte Harry neckisch in die Seite.
Cho lachte, während Harry rot wurde.
„Das hat er in der Tat", erklärte Cho. „Wenn ich ehrlich bin, dann war das schon ein ziemlicher Stich ins Herz damals. Aber ist das Gerücht wahr? Ihr habt an dem Tag das berühmte Interview mit Rita Kimmkorn geführt, das erst im Klitter und dann, als alles rauskam mit seiner Rückkehr, im Sommer im Tagespropheten erschienen ist?"
„Haben wir", antwortete Harry, nicht ohne Stolz.
Cho schüttelte ungläubig den Kopf.
„Unfassbar. Naja, dann ist das noch ein Grund mehr, die alten Geschichten hinter uns zu lassen. Wessen Idee war das eigentlich?", fragte sie. „Deine, Hermine?"
Hermine nickte.
„Ja. Aber als ich das plante, wusste ich noch nichts von eurem Date! Ehrlich!"
Cho winkte ab.
„Du musst dich nicht verteidigen. Ich verstehe es nun. Ähm, und ganz offen...", Cho begann nun breit zu grinsen, „nun kann ich es ja sagen, du und Harry..., ihr passt eh viel besser zusammen, als Harry und ich es je getan hätten. Daher für die Zukunft euch..."
„Wir sind kein Paar!", protestierten Harry und Hermine simultan.
Cho schmunzelte, ohne sich allerdings von der Vorstellung abbringen zu lassen.
„Vielleicht noch nicht." Dann reichte sie Harry, noch bevor dieser abermals abstreiten konnte, die Hand. „Freunde?"
Harry schlug ein.
Dann reichte sie Hermine die Hand, die ebenfalls annahm.
„Super", sagte Cho. „Und da das nun geklärt wäre. Darf ich? So als Freunde?"
Sie breitete beide Arme aus. Als Harry und Hermine bejahten, zog sie erst Harry und dann Hermine in eine enge Umarmung.
„Oi, was geht denn hier ab?", fragte plötzlich Ron, der das Ganze gesehen hatte.
Harry und Hermine drehten sich zu Ron um. Überraschenderweise war es Cho, die als erste zu einer Erklärung ansetzte.
„Entschuldigungen, Geständnisse und bisschen Erkenntlichkeiten für das, was ihr alles geleistet habt. Du auch, Ron."
Und noch bevor Ron etwas sagen konnte, drückte Cho auch Ron, der vor Schreck erst ganz steif dastand, bevor er die Umarmung erwiderte.
„Ihr drei seid wahre Helden", erklärte Cho, nachdem sie sich wieder gelöst hatte.
Harry und Hermine verzogen das Gesicht. Das war das letzte, als das Harry bezeichnet werden wollte, auch wenn es faktisch wohl zutraf und weder er noch Hermine das mit überzeugenden Argumenten leugnen konnten. Ron hingegen wurde rot, sah zugleich aber auch sehr zufrieden mit sich selbst aus.
Vielleicht 20 Minuten später – Harry hatte intensive Gespräche mit Katie und Alicia über Quidditch und Lee über seinen neuen Job, freiberuflicher Sportreporter – hinter sich, saß er zusammen mit Luna auf einer stabilen hölzernen Transportkiste und hörte zu, wie sie sich zum dritten Mal für den Verrat ihres Vaters entschuldigte. Es war vielleicht nicht gerade das erbauendste oder fröhlichste Gespräch in der Runde, aber Luna war es außerordentlich wichtig. So wichtig, dass ihre sonst so charakteristische Verträumtheit einer ungewohnten ernsten Schwere gewichen war, die völlig untypisch für sie war und so gar nicht zu ihrem heutigen Äußeren passte, insbesondere nicht zu den diversen Löwenzahnblüten, die sie in ihr Haar geflochten hatte. Doch Harry war lange über die Phase hinweg, in Luna Lovegood Loony Lovegood zu sehen, das nette, aber doch ziemlich versponnene Mädchen, über das alle spotten. Im Laufe der letzten Jahre war sie nicht nur ein entscheidender Faktor im Kampf gegen Voldemort gewesen, sondern auch zu einem Kernbestandteil seines Freundeskreises geworden. Als Luna traurig geendet hatte, und mit der ein oder anderen Träne in den Augen neben ihm saß, da legte Harry lose einen Arm um sie und zog sie an sich ran, worauf sie sich gegen seine Schulter lehnte. Harry legte seinen Kopf auf ihren und starrte mit leerem Blick in den Raum, während in seinem Kopf noch einmal wie im Film die Erinnerungen an das Treffen mit Lunas Dad abliefen. Wie er ihnen erst einen unfassbar wichtigen Hinweis gab, und sie dann aus purer Verzweiflung an die Todesser verriet. Wie sie im letzten Moment entkommen waren, dem Tod gerade so von der Schippe gesprungen. Harry seufzte melancholisch und schloss für einen Moment die Augen, um die Erinnerung zu verarbeiten.
Ein greller Lichtblitz samt Explosion riss ihn jäh in die Realität zurück. Harry sprang auf, schubste Luna kraftvoll auf den Boden, sodass sie von der Kiste geschützt in Deckung lag, bevor er selbst in ein fluiden Bewegung seinen Zauberstab zog, hinter ein Regal sprang und sich wie ein Torhüter abrollte, während er seinen Zauberstab auf die Angreifer richtete. Hinter ihm wiederholten sich im Dutzend ähnliche Bewegungsabläufe, mehrere männliche Stimmen bellten Unverständliches, ein Mädchen schrie schrill. Da sah er es: Die Eingangstür war geöffnet worden, und in ihr stand ein großer Mann mit hoch erhobener... Fotokamera?
„Nicht schießen!" rief der untersetzte dunkelhaarige Mann mit etwas weinerlich klingender Piepsstimme hastig. „Kein Grund für Verhexungen! Ich bin friedlich und harmlos! Beau Horsecobbler, freier Journalist! Unter anderem tätig für The Moon, Gringott's Alley Journal, PHOTOGRAPH und die Diadem-Zeitung. Mir ist zugetragen worden, dass Harry Potter hier zu finden ist. Ich möchte gerne ein Interview führen. Wären Sie bitte alle so gütig, die Zauberstäbe herunter zu nehmen? Mr. Potter?"
Harry fixierte den Mann mit vor Wut glühenden Augen und versuchte, seinen Atem und sein bis zum Hals pochendes Herz wieder so weit zu beruhigen, dass er zu einem kurzen Satz fähig war. Er atmete mehrfach bewusste ein und aus, doch statt sich zu entspannen, wurde er wütend. Richtig wütend. Harry stand auf, bebend vor Wut und Zorn, und aufgeputscht durch das pulsierende Adrenalin in seinen Adern, dass seinem Körper weiterhin signalisierte, in unmittelbarer Todesgefahr zu sein. Noch immer halte in ihm die Explosion des Blitzwürfels in der Kamera, während der davon ausgelöste Lichtblitz sich in seine Netzhaut eingebrannt hatte.
„Raus!", bellte Harry mit direkt auf den Brustbereich des Reporters gerichtetem Zauberstab, als er sich aufgerichtet hatte. „Ich gebe keine Interviews! Und machen Sie nie wieder ein Foto von mir!"
Der Reporter hob die Hände und kam dann in einen Redefluss.
„Ok, ok, ich verstehe, das mit dem Foto war vermutlich keine gute Idee bei Ihren jüngsten Erlebnissen. Das geht auf mich. Bitte beruhigen Sie sich erst! Dann können wir über alles reden. Es eilt nicht, das Interview können wir auch erst in einer halben Stunde führen. Wenn sie kurz Zeit zum erholen brauchen, Problem. Wir können auch gerne einen anderen Termin ausmachen, wenn Ihnen das lieber ist." er griff in seine Jackentasche. „Hier ist meine Visitenkarte."
Harry knurrte den Mann mit zusammengekniffenen Augen und Zähne an.
„Ich sagte raus!"
Doch der Mann ließ sich nicht irritieren.
„Mr. Potter, so seien Sie doch bitte vernünftig! Sie wissen gar nicht, was ein Interview mit mir für Sie bedeutet! Ich biete ihnen eine internationale Plattform! Sie können hier exklusiv ihre Geschichte erzählen und die ganze magische Welt daran teilhaben lassen! Bitte lassen Sie sich diese einmalige Chance nicht entgehen!" Den letzten Satz winselte er fast.
Harry fluchte leise und setzte zu einer weiteren noch eindeutigeren Entgegnung ein, als er Hermine mit ebenfalls erhobenem Zauberstab an sich vorbei und auf den Reporter zu stapfen sah. Sie schien genauso wütend zu sein wie Harry, der sich schlagartig an eine ähnliche Szene in seinem dritten Schuljahr erinnert fühlte. Diese war nicht sonderlich gut ausgegangen, zumindest nicht, wenn man unglücklicherweise Draco Malfoy hieß. Harry konnte nur zusehen, wie sich Hermine vor dem Reporter aufbaute, der einen Kopf größer war als sie und plötzlich trotzdem ziemlich klein und erbärmlich wirkte.
„Harry sagte deutlich, dass sie gehen sollen", wiederholte Hermine mit vergleichsweise leiser, aber gerade deshalb umso gefährlicherer Stimme. „Und er sagte ebenso deutlich, dass er mit ihnen nicht reden will. Was daran verstehen Sie nicht?"
Der Reporter ließ die Achseln fallen.
„Ok, ok, ich habe es ja verstanden. Wenn Mr. Potter nicht mit mir reden möchte, dann kann ich daran nichts ändern. Falls aber sonst jemand Interesse verspürt, mit mir ins Gespräch zu kommen..."
In dem Moment stürmten George und Ron an Harry vorbei und zu Hermine.
„Sie verlassen jetzt augenblicklich meinen Laden", blaffte George nun ebenfalls wutenbrannt. „Oder ich werde Sie eigenhändig mit einem Klammerfluch verhexen und die Auroren herbeirufen. Sie haben DREI Sekunden!" Er hob seinen Zauberstab und rief drohend „Petrificus..."
Der Reporter wich einen Schritt zurück und öffnete die Tür.
„Ok, wie Sie wünschen. Dann eben nicht. Bitte nicht schubsen! Gibt keinen Grund, mich zu schubsen!"
Als er den Laden verlassen hatte fand Ron zuerst wieder das Wort.
„Ey, was für ein Arsch!", motzte er, noch immer ziemlich rot im Gesicht. „Ich fasse es nicht!"
Hermine hingegen war schon einen Schritt weiter.
„Das ist nicht gut, überhaupt nicht gut", flüsterte sie gut hörbar, nachdem Lee das Grammophon abgeschaltet hatte und es plötzlich sehr leise war im Raum. „Wir sollten alle gehen. Jetzt. Nun da jemand weiß, dass Harry und wir alle hier sind, kann jede Sekunde eine ganze Horde von Journalisten, Hexen, Zauberern und Groupies hier auftauchen."
„Oder Totessern", ergänze Harry dunkel.
„Oder Totessern", wiederholte Hermine.
George schnaubte verdrossen.
„Ok Leute, ihr habt es gehört. Die Party ist zu Ende. Schön war's, aber jetzt ist es Zeit für den Heimweg. Packt euer Zeug zusammen und dann raus hier. Ich schließe ab, dann verschwindet jeder nach Hause."
„Und schickt einen Patronus, nachdem ihr sicher angekommen seid!", ergänzte Hermine.
„Machen wir", dröhnte es von verschiedenen Seiten zurück.
Harry, Ron und Hermine verabschiedeten sich hastig von den an ihnen nach draußen vorbeiströmenden DA-Mitgliedern und beobachteten, wie sie einer nach dem anderen mit einem Plopp wegapparierten. Schließlich verließen sie den Laden, noch immer mit gezogenen Zauberstäben in der Hand. George folgte ihnen auf dem Fuße und schloss binnen 20 Sekunden die Eingangstür magisch ab. In der Zeit sahen bestimmt 2 Dutzend Hexen und Zauberer, welche drei Personen da vor dem Scherzartikelladen standen, und begannen auf sie zuzulaufen und mit aufgeregten Fragen zu bombardieren. Es fühlte sich für Harry wie eine Erlösung an, als George endlich Hermines Arm ergriff und sich das vertraute magenumdrehende Gefühl des Apparierens einstellte.
