1995
Sie tauchten vor einem großen Landhaus wieder auf. Es war von hohen Hecken umgeben, die sich dunkel gegen den blass-blauen Himmel, des immer näher heranrückenden Morgens, abzeichneten. In der Ferne war der aufgeregte Schrei eines Pfaus zu hören. Sie schritten auf ein filigran geschmiedetes Tor zu, welches sie sogleich hindurch ließ. Ihr wurde klar wo sie sich befand. Das Heim der Malfoys war ihr von früheren Aufenthalten wohl bekannt. Auch nach seinem Verschwinden hatte sie versucht, den Kontakt zu ihnen eine Zeit lang aufrecht zu erhalten, schließlich hatten sie zu den wenigen gehört, die überhaupt von ihrer Existenz wussten. Jedoch hatte ihr das Verhalten der Malfoys nach dem Verschwinden des Dunklen Lords wenig zugesagt. So hatte Malfoy behauptet unter dem Imperius-Fluch gestanden zu haben, hatte behauptet niemals freiwillig Mitglied der Todesser, oder gar des inneren Zirkels, gewesen zu sein. Sie hatte danach kein Verlangen mehr verspürt, den Kontakt weiter zu pflegen und hatte sich sehr zurückgezogen. Hatte die Einsamkeit vorgezogen, doch nirgends hatte sie sich je so einsam gefühlt, wie in der Gesellschaft dieser Menschen.
Ein majestätisch verbeischreitender, schneeweißer Pfau riss sie aus den Gedanken. Sie sah den Mann an ihrer Seite an und zog vielsagend eine Augenbraue hoch.
„Seinen Hang zum Dramatischen hat der gute Lucuis wohl nicht verloren.", flüsterte sie ihm zu. „Gut zu wissen." Seine Reaktion war ein kurzes Lächeln. Immerhin, scheinbar hatte sie die Fähigkeit ihn zumindest kurz zu unterhalten nicht verloren.
Sie erreichten das Eingangsportal, welches aufschwang kaum näherten sie sich. Im Inneren des Hauses herrschte ein dämmeriges Zwielicht. Die Luft war schwer und ruhig als würde sie eine alte Gruft betreten, in der lebendige Wesen keinen Platz mehr fanden. Die schweren Vorhänge waren ordentlich zugezogen. Es war noch ausgesprochen früh am Morgen, vermutlich schlief der Rest der Familie noch, dachte sie. Jedoch stellte sie sogleich fest, dass sie sich geirrt hatte. Eine, trotz der sehr frühen Morgenstunde, perfekt frisierte und zurechtgemachte Frau trat aus dem Schatten einer der großen Steinsäulen, die die Eingangshalle säumten, hervor. Sie war so blond wie ihr Ehemann, grazil und elegant. Man sah ihr ihre Herkunft an. Ihre Haltung, Körpersprache verrieten sogleich welchen Status sie gewohnt war.
„Mylord," sagte sie mit einer ruhigen Stimme und verbeugte sich tief vor ihm „es ist uns eine Ehre Euch hier begrüßen zu dürfen." Noch bevor sie etwas sagen konnte, umarmte die blasse, blonde Frau sie herzlich. „Es ist so schön Sie wieder zu sehen, Helia." flüsterte sie. Erneut etwas, das sie nicht erwartet hatte. „Wenn Sie mir folgen mögen, wir haben Zimmer im ersten Stock herrichten lassen." Sie stieg die große Steintreppe empor und führte sie einen dunklen Korridor entlang. Die Wände waren von Portraits behangen, die jedoch allesamt von dunklen Tüchern verdeckt waren. Schwer fiel der Stoff zu Boden. Man wollte scheinbar nicht riskieren, dass das ein oder andere plauderhafte Portrait verriet, wer sich zur Zeit bei den Malfoys auffielt. Narzissa schwieg und man konnte ihr die Nervosität anmerken auch wenn sie versuchte sich, so gut es eben ging, zu beherrschen. Sie öffnete eine Tür auf der rechten Seite des Ganges und bedeutete ihnen mit einer leicht zittrigen Hand einzutreten. Es war kaum zu sehen, doch Helia bemerkte die Anspannung, die auf ihr lag.
„Das Bad befindet sich hier drüben", sagte sie und öffnete eine Tür auf der linken Seite des geräumigen Zimmers. „Ich werde den ganzen Tag im Haus sein, falls Sie etwas benötigen." Damit verabschiedete sie sich und ließ sie allein. Helia erinnerte sich an das Zimmer. Es war geräumig, mit einer alten, hölzernen Kassettendecke, die sich hoch über ihnen erstreckte. Sie ging einige Schritte in den Raum, sah sich genau um. Ein großes Himmelbett mit fein geschnitzten Pfosten, eine kleine Sitzecke, der edle Schreibtisch. Nichts hatte sich verändert. Ein Bücherregal hatte Narzissa leer räumen lassen. Sie schien sich nach all der Zeit noch immer daran erinnert zu haben, dass sie gern Bücher mitbrachte. Wie viele Jahre war es nun her, dass sie zuletzt hier war? Sie versuchte sich daran zu erinnern. War es wirklich schon mehr fünfzehn Jahre her? Sie konnte es kaum glauben. Vieles war in den Jahren passiert, doch hier schien die Zeit nicht von Bedeutung zu sein.
Sie setzte sich mit einer geschmeidigen Bewegung auf das Bett um sich die hohen Schuhe auszuziehen und blickte ich an. Sie waren allein und sie bemerkte, wie sich ihr Herzschlag wieder beschleunigte. Sollte sie etwas sagen? Sie hatte so viele Fragen, wusste nicht wo sie anfangen sollte doch hatte sie das Gefühl, dass es nicht der richtige Augenblick war. Er musterte sie interessiert und sie blickte ebenfalls interessiert zurück. Was hatte er nur getan? Auch er musste Fragen haben, dachte sie. Sie konnte seine Stimmung nicht deuten. Das war nicht gut. Früher wusste sie meist wie es ihm ging, konnte seine Körpersprache, seine Mimik schnell deuten. Es war wichtig in seiner Nähe immer vorbereitete zu sein.
„Ich habe wichtige Angelegenheiten, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen." Und damit verschwand auch er und ließ Helia verwirrt zurück.
Es klopfte an der Tür und ihr Gastgeber betrat das Zimmer. Ein hochmütiges Lächeln umspielte seine Lippen. Es schien ihn tatsächlich zu gefallen, sie hier begrüßen zu dürfen. Er schien es tatsächlich für eine große Ehre zu halten. Er gab ihr die schwere Reisetasche und verabschiedete sich höflich wieder. Und dann war sie allein. Allein mit sich und ihren Gedanken. Die Fragen, die sie sich die letzten vierzehn Jahre gestellt hatte, tanzten und kreisten in ihrem Kopf. Mühsam entfaltete sie ihre Kleider und hing sie auf. Wo war er die letzten vierzehn Jahre gewesen? Sie sortierte die Bücher in das Regal. Wieso hatte er sie nicht aufgesucht? Sie öffnete eines der bodentiefen Fenster. Was war an jenem Abend vor all den Jahren passiert? Sie setzte sich auf den Boden vor dem Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Wieso war er noch am Leben? Sie beobachtete den Rauch der Zigarette gen Decke steigen, sich kringelnd und wirbelnd wie ihre Gedanken. Wieso hatte er sie jetzt aufgesucht? Nach all den Jahren? Sie wusste, dass sie kaum auf all ihre Fragen eine Antwort erhalten würde. Die Müdigkeit, die sie die letzten Tage versucht hatte zu unterdrücken, stieg in ihr hoch. Sie hatte erwartet, dass er kommen würde, sie holen würde oder eher holen lassen würde. Und nun war sie hier. Die Anspannung, die sie die letzten Tage gefühlt hatte, war verschwunden und bleierne Müdigkeit trat an ihre Stelle. Langsam erhob sie sich vom Boden und legte sich auf das Bett. Sie hatte das Gefühl das erste Mal seit langem wieder richtig schlafen zu können.
Sie erwachte erst gegen Mittag wieder. Das Haus um sie herum war totenstill. Kein Knacken, kein Ticken, nichts das ihr verriet, dass jemand hier lebte. In ihrem Haus hatte es immer Geräusche gegeben. Langsam erhob sie sich aus dem Bett und machte sich etwas zu Recht, richtete ihre Haare, das Kleid. Wie ihre Gastgeberin auch, legte sie viel Wert darauf. Vielleicht hatte sie ein paar Antworten, auf die Fragen, die sie seit vierzehn Jahren innerlich verbrannten. Auch auf dem Flur war kein Geräusch zu hören. Die Portraits schwiegen, der schwere Teppich dämpfte ihre Schritte zusätzlich und die mit Holz vertäfelten Wände, schluckten jedes Geräusch. Helia fühlte sich unwohl in den leeren Räumen, die viel zu groß für die nur drei Personen, die hier sonst lebten, schienen. Obwohl jeder Raum, den sie betrat leer war, fühlte sie sich dennoch beobachtet. Wie es wohl war, hier aufzuwachsen? Gerade als Kind musste man sich hier sehr klein, sehr unbedeutend vorkommen, verloren, dachte sie. Sie fand Narzissa schließlich allein im Salon vor, in ein Buch vertieft.
„Oh, Helia. Ich hoffe Sie konnten sich ein wenig einrichten? Ist das Zimmer zu Ihrer Zufriedenheit?" fragte sie höflich und ließ das Buch sinken. Natürlich war es das. Sie musste es wissen, sich daran erinnern, dass sie das Zimmer bereits zuvor einmal bewohnt hatte.
„Alles ist wunderbar, Narzissa, danke." Sie setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel und legte elegant ihre Beine aufeinander. „Es besteht übrigens kein Grund für diese Förmlichkeiten, ich lege keinen Wert darauf.", sagte sie freundlich. „Ich hoffe es ist euch in den letzten Jahren gut ergangen?"
„Ich denke wir haben kaum Grund uns zu beklagen", antwortete die schlanke Frau knapp und ein Schatten huschte über ihr kühles Gesicht. Sie versuchte es zu überspielen „und nun haben wir auch noch die große Ehre den Dunklen Lord selbst bei uns begrüßen zu dürfen." Zwar dachte Helia, sie hätte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich in ihrer Anwesenheit entspannen konnte, jedoch schien sie dies nicht zulassen zu können.
„Ja, in der Tat eine große Ehre aber sicherlich auch eine Bürde. Keine Sorge, ich verstehe das. Bitte sei dir meiner Dankbarkeit gewiss." Helia lehnte sich etwas näher zu ihr hinüber um ihren Worte Nachdruck zu verleihen.
„Nein, bitte denken Sie nicht dass es eine Bürde für uns darstellt!", gab sie erschrocken zurück. Ihre Augen weiteten sich und Helia wurde klar, unter welchem Druck sie stehen musste. Es kostete sie viel Kraft, die Fassung zu bewahren.
„Narzissa", lachte Helia auf, nahm die Hand der blonden Frau ihr gegenüber und drückte sie einmal sanft „bitte entspann dich. Ich kann mich nicht erinnern, dass du das letzte Mal so angespannt warst, als wir uns trafen. Es besteht auch jetzt kein Grund dazu." Narzissa lächelte vorsichtig. Sie verstand.
„Wie geht es deinem Sohn? Draco? Als ich ihn das letzte Mal sah, war er noch ein Baby." Fragte Helia mit all der Wärme, die sie im Stand war ihrer Stimme zu verleihen. Sie hoffte Narzissa so etwas beruhigen zu können. Sie stellte keine Gefahr für sie oder ihre Familie dar. Ihre Familie stand für Narzissa seit jeher an erster Stelle und sie war schon immer sehr stolz darauf gewesen. Es würde ihr Sicherheit geben, über etwas zu sprechen was ihr wichtig war und worüber sie ohnehin gern sprach.
„Draco, ja, er kommt nach den Ferien in sein fünftes Jahr in Hogwarts und seine Noten sind sehr zufriedenstellend.", erzählte sie stolz. „Er ist leider heute Morgen bereits abgereist. Er wird den Rest der Ferien bei einem Freund verbringen. Vielleicht erinnern Sie sich an seinen Vater? Theodore Nott?" Sie dachte kurz nach. Der Name kam ihr bekannt vor, war aber nie von Bedeutung für sie gewesen. Sie nickte daher nur kurz.
„Er kommt also ebenfalls ins fünfte Jahr?" Helia stockte kurz. Sollte sie sie darauf ansprechen? Würde es Narzissa wieder verunsichern? Aber sie hatte ganz andere Absichten. „Dann ist er im selben Jahr wie … dieser Junge? Kennt er ihn?"
Narzissa sog scharf die Luft ein und spannte sich wieder. „Ja, sie sind im selben Jahrgang, aber ich kann Ihnen versichern, dass sie gewiss keine Freunde sind."
„Davon bin ich auch nicht ausgegangen.", lachte Helia leicht „Draco hat mit Sicherheit eine gute Erziehung genossen. Er wird wissen, was der richtige Umgang für ihn ist. Wer die wichtigen Leute sind, mit denen man sich umgeben sollte." Sie hatte die Worte so leichtfertig ausgesprochen, dass sie beinahe beiläufig klangen, doch wusste sie welche Wirkung sie haben würden. Waren sie doch das größte Kompliment, das sie ihre Gastgeberin machen konnte.
Sie hatte die richtigen Worte gewählt und Narzissa entspannte sich zusehends. Sprach vom Erfolg ihres Mannes im Ministerium, seiner ausgesprochen guten Beziehung zum Minister, seinem Einfluss, der Tatsache, dass sie sogar Logen-Karten für das Endspiel der Quidditch Weltmeisterschaft erhalten hatten; nicht, dass sie sich großartig dafür interessierte, aber man müsse sich zu gesellschaftlichen Anlässen schließlich sehen lassen. Sie plauderten bis sich der Tag langsam dem Ende neigte und es an der Zeit war, das Abendessen einzunehmen.
„Ich gebe dem Dunklen Lord Bescheid.", sagte Helia und erhob sich aus ihrem Sessel. Das Gespräch hatte sie angestrengt und sie war froh, einen Moment Ruhe zu haben. Auch wenn sie mit Narzissa umzugehen wusste, war die Unterhaltung doch recht müßig gewesen. Sie hatte versucht ihr etwas Sicherheit und Kontrolle, in einer für sie sehr ungewohnten Situation, zurückzugeben. Es sollte ihr gelungen sein.
Vorsichtig klopfte sie an die Tür des Zimmers, das ihrem gegenüber lag. Sie hatte so eine Ahnung, dass er es als Arbeitszimmer nutzen würde. Schon bei ihrem letzten Aufenthalt hatte er es für seine Zwecke herrichten lassen. Ein kurzes, kaltes Bitte bedeutete ihr einzutreten. Die Vorhänge waren zugezogen, das Licht gedimmt. Sie hatte sofort das Gefühl, dass sie nicht erwünscht war, dass eigentlich niemand erwünscht war und es an diesem Ort nichts gab, wofür es sich lohnte zu bleiben. Der Dunkle Lord saß an einem großen dunklen Schreibtisch, der über und über mit Büchern, Pergamentrollen und seltsamen Gerätschaften bedeckt war, von denen Helia nichts verstand. Er sah nicht einmal auf, nahm keinerlei Notiz von ihr.
„Das Abendessen wird in wenigen Minuten gereicht. Wenn Du uns mit seiner Anwesenheit beehren würdest?" sagte Helia teils gespielt, teils ernsthaft höflich. Sie wusste nicht, wie sie mit ihm reden sollte, nach all den Jahren. Sie wusste nicht wie er zu ihr stand, wie seine Stimmung war und wollte ihn nicht gleich verärgern. Höflichkeit war daher die sicherste Wahl in ihren Augen.
„Nein." War seine knappe Antwort.
„Soll ich dir etwas zu Essen bringen?" fragte sie vorsichtig. Er sah sie kurz an, und zuckte dann desinteressiert mit Schultern und wand seinen Blick wieder von ihr ab.
„Du solltest etwas essen. Ich bringe dir nachher etwas hoch.", sagte sie freundlich und drehte sich wieder um.
Die Stille am Tisch war erdrückend. Niemand wagte es zu sprechen und wann immer Helia versuchte ein Thema aufzuwerfen, endete das Gespräch schnell wieder in Schweigen. Sie gab schließlich auf und widmete sich ebenfalls schweigend dem Hauptgang. Nach dem Dessert verließ sie so schnell es ihr möglich war, ohne unhöflich zu wirken, den Tisch und ließ sich in der Küche einen weiteren Teller zubereiten, den sie mit nach oben nahm.
Wieder klopfte sie vorsichtig an der Tür, bis sie hereingebeten wurde.
Und wieder sah er nicht einmal auf und deute nur mit einem Kopfnicken an, dass sie den Teller auf den Tisch abstellen sollte. Sie gehorchte und setzte sich danach auffordernd in den Lehnstuhl, der dem Schreibtisch gegenüber stand. Sie schwieg und beobachtete ihn. Ihr Herz schlug unruhig in ihrer Brust. Nach außen versuchte sie ungerührt zu wirken, in ihr brannte es jedoch. Sie fürchtete beinah, dass er ihre Anspannung fühlen würde, doch sie wartete.
„Deine Anwesenheit ist nicht weiter von Nöten.", sagte er knapp, doch rührte sie sich nicht. Sie schwieg weiter und sah ihn an. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass jeder nach einer Weile begann die Stille zu füllen, wie sie selbst es gerade erst beim Abendessen versucht hatte. Sie wusste nicht ob er dabei die Ausnahme darstellen würde.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er sie endlich ansah; als sei sie ein lästiges Insekt, das seine Aufmerksamkeit nicht wert war.
„Du bist noch hier?", fragte er als hätte er ihre Anwesenheit vergessen. Er zog den Teller zu sich heran und begann zu essen.
„Ist es zu deiner Zufriedenheit?", fragte sie warm und lehnte sich etwas zu ihm herüber. Doch nahm er weiterhin keine Notiz von ihr.
Keine Antwort. Schweigen.
„Gehe ich recht in der Annahme, dass du dort sitzen bleiben wirst?" fragte er kalt, nachdem er seine Mahlzeit schweigend zu Ende gebracht hatte.
„Ja. Ganz recht." Antwortet sie und lächelte ihn auffordernd an. Der Lehnstuhl war durchaus bequem und so lange er sie nicht gerade heraus aufforderte zu gehen, konnte sie es aushalten.
„Gut." Er seufzte resigniert und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ich nehme an du hast Fragen?"
„Ganz recht.", antwortete sie und lächelte ihn weiter freundlich an.
„Ich höre." Sie erkannte in seinem Blick, dass er sich nicht auf ein Gespräch einlassen wollte, doch sollte sie es wenigstens versuchen.
„Vielleicht sollten wir damit anfangen, wo du die letzten vierzehn Jahre warst? Oder nein, es sind - glaube ich - nicht ganz vierzehn, oder? Ich weiß, dass du zwischenzeitlich sogar wieder hier warst, nicht wahr?" Ihre Stimme zitterte leicht aber noch konnte sie sich beherrschen. „Ohne ein Wort, ohne eine Nachricht." Ein Hauch von Ärger schwang nun doch in ihrer Stimme mit. Sie versuchte sich zu beruhigen, den Ärger herunterzuschlucken. Hatte sie es doch die letzten Jahre auch geschafft sich zu beherrschen.
Er sah sie durchdringend an. Sie konnte sehen, dass er überlegte, die richtigen Worte suchte. Dann begann er schließlich zu erzählen. Angefangen an jenem Abend, an dem er die Macht eines sich opfernden Schlammblutes unterschätzt hatte. Seine Flucht nach Albanien. Vom Schmerz, davon nicht mehr als ein körperloser Schatten gewesen zu sein. Seine Begegnung mit einem Lehrer aus Hogwarts, seiner Suche nach dem Stein der Weisen, in der Hoffnung so seine einstige Kraft wieder herstellen zu können. Seinem erneuten Scheitern, bis er endlich mit der Hilfe und Pflege eines seiner Anhänger seinen Körper zurückerlangen konnte. Auch wenn ihm der Junge erneut entkam. Helia stutzte. Es war also kein Gerücht? Er hatte es tatsächlich versucht und war gescheitert? Wie konnte das sein? Sie konnte es kaum glauben, doch hatte er es soeben selbst gesagt. Niemandem sonst hätte sie es geglaubt.
„Und in all den Jahren bist du nicht auf die Idee gekommen mich aufzusuchen? Es ist ja nicht so als sei es ein Geheimnis gewesen, wo ich bin." Verständnislosigkeit und ja, auch Ärger lagen in ihrer Stimme. „Du hättest mich nur herbeirufen müssen. Ich wäre gekommen, nicht dass ich eine Wahl gehabt hätte. Ich verstehe dich nicht."
„Du hättest mich finden können.", gab er ruhig zurück, doch auch in seiner kalten, hohen Stimme konnte sie einen Hauch von Ärger erkennen. Sie kannte die Anzeichen, wusste wann es Zeit wurde sich zurück zu nehmen, doch war es ihr beinahe egal.
„Albanien, Tom?" schrie sie auf und schlug mit der flachen Hand wütend auf die Tischplatte. Der Tisch erbebte. „Ernsthaft, Albanien? Wieso Albanien? Wie hätte ich wissen sollen, dass du in Albanien bist?"
„Es gab Gerüchte. Du hättest mich sicher finden können, wenn du es gewollt hättest. Albanien ist ein guter Ort, wenn man nicht gefunden werden möchte.", gab er weiter erstaunlich ruhig zurück. Doch die Ruhe war tückisch, konnte sie sich doch ohne Vorwarnung in Zorn verwandeln.
„Fein. Die Arktis übrigens auch", sagte sie bitter „… aber ich sehe, dir stand der Sinn eher nach einem mediterranen Klima?" Wütend stand sie auf und lief unruhig auf und ab. „Und denk bloß nicht, dass ich nicht nach dir gesucht hätte. Ich habe überall nach dir gesucht; an jedem Ort, der mir eingefallen ist, wo auch immer wir gemeinsam waren oder von dem du auch nur einmal gesprochen hast und nichts! Du warst einfach verschwunden. Frag Severus, wenn du mir nicht glaubst, er wird es dir sicherlich bestätigen. Er ist mit Sicherheit schon allein aus diesem Grund froh über deine Rückkehr. So muss er sich nicht mehr meine wirren Theorien zu deinem Aufenthalt anhören! Albanien. Albanien! Glaub mir, ich hätte die ganze verdammte Welt niedergebrannt, wenn es etwas genutzt hätte." Sie hatte kaum bemerkt, dass sie den letzten Teil beinahe geschrien hatte.
Er schwieg und sah sie nur durchdringend an. Sie hätte nicht so mit ihm sprechen sollen. Sie war zu weit gegangen. Sie bereute es schon und machte sich bereit auf das was nun unweigerlich folgen würde. Doch plötzlich spürte sie eine Bewegung an ihrem Knöchel, die sie ganz aus ihren Gedanken riss. Erschrocken musste sie feststellen, dass eine gewaltige Schlange zwischen ihren Füßen hindurch geradewegs auf den Dunklen Lord zu glitt.
„Das ist Nagini." stellte er vor. „Sie hat sich bereits als sehr nützlich erwiesen und wird dies sicherlich auch weiterhin tun." Helia starrte ihn und die Schlage an. Er hatte schon immer eine besondere Verbindung zu ihnen gehabt. Eine Verbindung die sie nie verstanden hatte.
„Fein, sag ihr ´Hallo` von mir?!", sagte sie verwirrt. Die Schlange hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht.
„Sie versteht dich.", gab er immer noch erstaunlich ruhig zurück. Seine Ruhe verwirrte sie, machte sie nur noch unruhiger.
„Großartig." Sie versuchte sich etwas zu sammeln, dachte über ihre letzten Worte nach. Sie wusste nicht mehr was sie zuletzt gesagt hatte aber es konnte nichts Gutes gewesen sein, denn sie spürte immer noch diese Wut in sich, die sie die letzten Jahre unterdrückt hatte.
„Du sagst also, du hast mit Severus gesprochen? Wieso?", fragte er fast beiläufig und streichelte zärtlich den Kopf der Schlange.
„Ja, habe ich. Er war der Einzige, zu dem ich den Kontakt hielt. Er ist ein guter Mann, loyal –zumindest soweit ich weiß."
„Gut, gut, ich hatte Zweifel an seiner Treue. Er kam dem Ruf nicht wie erwartet nach, erst … später. Aber die Zweifel sind unbegründet, sagst du?" fragte er nachdrücklich.
Helia sah ihn weiter verwirrt an. „Zweifelst du denn nicht auch an meiner Loyalität? Meiner Treue?" fragte sie provozierend. Sie konnte es nicht unterdrücken. Gab es nichts Wichtigeres zu besprechen? Waren ihm die letzten Jahre egal?
„Oh nein, keineswegs. Ich sehe, dass du nicht lügst." Ein Lächeln umspielte seine schmalen Lippen.
Sie wusste was dies bedeutete. Er hatte ihre Gedanken, ihre Erinnerungen gesehen und scheinbar nichts darin gefunden, das ihm Anlass zur Sorge hätte geben können. Sie war zu wütend gewesen um ihn daran zu hindern, hatte es nicht einmal gemerkt.
„Lass das, Tom! Ich hasse es wenn du das tust." Sagte sie wütend. Sie öffnete das Fenster und zündete sich demonstrativ eine Zigarette an. Er hatte es noch nie gemocht, wenn sie rauchte.
„Und ich hasse es wenn du das tust.", sagte er kalt und nahm ihr die Zigarette weg.
„Fein, hassen wir uns gegenseitig. Darin sind wir ja so geübt." Damit stürmte sie wütend aus dem Zimmer. Sie hatte genug für einen Abend und immer noch keine Antwort auf die Frage, wieso er nicht zu ihr gekommen war. Wieso er, wenn er so schwach war, nicht mal einen Körper hatte, nicht nach ihr gerufen hatte. Sie wäre gekommen, hätte kommen müssen. Wieso nicht sie? Sie öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Wütend riss sie eines der bodentiefen Fenster auf und setzte sich auf den noch leicht warmen Holzboden davor. Die immer noch angenehm warme Nachtluft wehte herein und sie zündete sich erneut eine Zigarette an.
Eigentlich kannte sie die Antworten auf alle ihre Fragen. Eigentlich hätte er sie nicht beantworten müssen aber sie wollte es doch von ihm selbst hören. In seinen Worten. Sie kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er ihre Hilfe niemals erbeten hätte. Er wäre niemals freiwillig zu ihr gekommen. Nicht dafür. Noch nicht. Hilfe von ihr anzunehmen, wäre ein Eingeständnis der Schwäche gewesen. Nein, er hätte niemals nach ihr gerufen auch wenn es alles sehr viel einfacher gemacht hätte. Er hatte bis zu seinem Verschwinden niemals Hilfe annehmen müssen. Auch nicht von ihr.
„Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass ich es hasse wenn du das tust." Er war ins Zimmer gekommen, ohne das Helia ihn gehört hatte. Plötzlich stand er hinter ihr. Sie schnippte die Zigarette aus dem Fenster und stand auf. Vorsichtig nahm sie seine kalte Hand und schaute ihm in die Augen. Augen, die sie kaum noch erkannte.
„Ich habe dich vermisst." Sagte sie leise und küsste ihn auf die ebenso kalte Wange. „Das ist alles."
Sie verschwand ohne ein weiteres Wort im Badezimmer. Als sie zurück kam war er gegangen. Sie zog sich ein dunkles Nachthemd an und legte sich schlafen. Für heute hatte sie genug. Vielleicht würden Sie an einem anderen Tag weiter sprechen. Vielleicht.
Es war spät als er endlich zu Bett ging. Helia war längst eingeschlafen. Er betrachtete die schlafende Frau einige Augenblicke lang. Sie hatte sich auf die linke Seite des Bettes gelegt. Scheinbar hatte sie sich daran erinnert, dass er die rechte bevorzugte. Er streifte sein Gewand ab und legte sich neben sie. Sie wachte nicht auf. Ihr Atem ging weiter ruhig und tief. Er musterte sie angestrengt. Wieso hatte er sie nicht aufgesucht? Wieso hatte er nicht nach ihr gerufen? Natürlich hatte er gewusst wo sich aufhalten würde. Das alte Steinhaus mit dem wilden Garten, dessen Duft ihn immer so sehr an den ihren erinnerte hatte und der kühlen Meeresbrise. Wieso war er nicht zu ihr geflohen? Dort hätte er sich ausruhen könne, wieder zu Kräften kommen. Sie hätte sich um ihn gekümmert, ihn gepflegt wenn es nötig gewesen wäre. Nicht, dass sie eine Wahl gehabt hätte. Wieso hatte er es nicht zugelassen? Auch er hatte sich diese Fragen oft gestellt. Hatte er je eine zufriedenstellende Antwort darauf gefunden?
Ihr langes, gold-rotes Haar hatte sich über das Kissen ausgebreitet wie ein Wasserfall. Er konnte ihren Duft wahrnehmen. Leicht, wie ein Sommergarten am Abend, der Hauch von Zitronenblüten. Ihm war dieser Duft so vertraut. Ihre warme, weiche Haut, so makellos, leuchtete in der Dunkelheit. Er konnte die Wärme spüren, die von ihr ausging, so nah war er ihr.
Langsam drehte sie sich zu ihm um und öffnete verschlafen die Augen. Sie erkannte ihn und lächelte ihn mit solch einer Vertrautheit und Wärme an, dass es beinahe Misstrauen in ihm weckte. Er starrte nur weiter zurück.
„Kannst du nicht schlafen?", flüsterte sie kaum hörbar, selbst noch im Halbschlaf.
„Nein.", antwortete er mit heiserer Stimme.
Vorsichtig legte sie ihm die Hand auf die Wange. Sie war sanft und weich.
„Möchtest du, dass ich dir helfe?" Er nickte nur als Antwort.
„Schlaf …", hauchte sie leicht und küsste ihn sanft auf die Wange. Die Gedanken verschwanden und er glitt langsam hinüber in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Ein etwas längeres Kapitel, ich hoffe es gefällt. Weder Welt noch Personen gehören natürlich mir, ich hab sie mir nur kurz ausgeliehen.
