Kapitel 27
Die Tage wurden kürzer und kälter. Im Herrenhaus herrschte eine gewisse Kälte, wann immer Hermine dort allein war – ihr Kamin konnte nie seine volle Wirkung entfalten und das Wasser aus den Wasserhähnen wärmte ihre Knochen nie ganz. So unwohl hatte sie sich auf dem Anwesen nicht mehr gefühlt, seit sie hier angekommen war.
Narcissa war nur wenige Stunden, nachdem die drei gegangen waren, zurückgekehrt. Sie war mit Mippy, Tee, Kaffee und einem gezwungenen Lächeln an Hermines Tür erschienen.
„Er hat sich in Zürich niedergelassen. Die Franzosen haben Genf mit Hilfe der Schweizer Rebellen eingenommen, also ist er vorerst in Sicherheit." Aber ihre Teetasse hatte beim letzten Wort geklappert. Und sie hatte schnell das Thema gewechselt.
Eine Woche nach ihrer Abreise hatte der Prophet berichtet, dass Lucius in die Niederlande geschickt worden war, um Verhandlungen aufzunehmen. Zwei Tage später schwor der niederländische Minister dem Dunklen Lord die Treue und am Tag darauf wurde Lucius erneut in der Schweiz gesehen, wo er eine neue Militäranlage in Lausanne inspizierte.
Hermine frühstückte jeden Morgen mit Narcissa im Speisesaal. Die beiden fanden langsam ein Gleichgewicht zwischen dem Lesen der Zeitung mit angehaltenem Atem und dem Diskutieren über Bücher und das Wetter zwischen steifen Pausen.
Zwei Wochen, nachdem sie sich von ihm verabschiedet hatte, erschien Dracos Gesicht im Tagespropheten. Er stand schweigend neben Bellatrix, als sie beide die Rede des neuen Schweizer Ministers an seine Regierung verfolgten. Der alte Minister hatte sich den Rebellen in Genf angeschlossen – „sein Volk im Stich gelassen", wie Skeeter es formuliert hatte – und Voldemorts neue Marionette wurde eingesetzt, um das Ministerium zu übernehmen. Draco war blass und dünn, sein Gesichtsausdruck völlig durch Okklumentik verschlossen, als er einmal zu etwas nickte, was der Schweizer Minister sagte. Bellatrix sah gelangweilt aus. Hermine hatte sich entschuldigt, war vom Tisch aufgestanden und verbrachte die nächste Stunde weinend in ihrem Schlafzimmer.
Ende November griffen die Franzosen Basel an. Skeeter berichtete, dass es den Armeen des Dunklen Lords mit Hilfe deutscher Verbündeter gelungen war, den Angriff französischer und schweizerischer Rebellen zurückzuschlagen, wobei es mindestens dreihundert Tote gab. Das Bild auf der Titelseite des Propheten zeigte Draco, der mit rauchender Zauberstabspitze auf die brennenden Überreste des Basler Münsters starrte. Die Bildunterschrift lautete: General Draco Malfoy siegreich in Basel.
Narcissa traf sich an diesem Morgen nicht mit ihr zum Frühstück und schickte eine Entschuldigung durch die Elfen. Und Hermine war froh, dass sie nicht in ihren Eiern herumstochern und so tun musste, als würde sie essen. Sie las die Zeitung fünfmal durch, auf der Suche nach einer weiteren Erwähnung von ihm, aber alles, was sie fand, war das Bild seiner stählernen Augen, die sich der Asche zuwandten.
Sie vermisste ihn. Das Gefühl war zu stark, um es zu ignorieren. Nachts wälzte sie die Erinnerung an ihren letzten Streit hin und her, als ob das Sezieren jedes Details den Schmerz lindern würde. Sie hatte immer noch keine Ahnung, wie sie „entscheiden sollte, was sie wollte" – oder was er überhaupt gemeint hatte. Aber der Gedanke an die Millionen Dinge, die sie ihm den ganzen Tag über sagen wollte, aber nicht konnte, ließ ihre Brust zusammenkrampfen.
Mehrmals pro Woche schlenderte sie durch den Durchgang zwischen ihren Zimmern und stellte sich vor, dass sie ihn in seine Laken gewickelt vorfand, wie er mit zerzaustem Haar tief und fest schlief. Sie betrachtete seinen Schmuck, stöberte in seinen Bücherregalen und drückte ihr Gesicht in seine Pullover und Hemden. An manchen Tagen starrte sie auf die Schublade, in der das Messer und der Portschlüssel lagen und fragte sich, was wäre, wenn. Aber dann schlug sie sie wieder zu.
Selbst wenn sie sich den Arm abschnitt und entkam, hatte sie immer noch keine Ahnung, wie sie George und die anderen finden sollte. Greifer und Todesser streiften durch das Land und wenn man sie erwischte, würden die Malfoys mit Sicherheit gefoltert und getötet werden, wenn sie bis dahin nicht ohnehin schon tot wären. Sie konnte nicht gehen, ohne sich zu verabschieden. Sie würde ihn vielleicht nie wiedersehen.
Nein. Sie hatte sich entschlossen, zu bleiben. Der Orden brauchte sie hier. Selbst Theo hatte gesagt, dass sie die Einzige war, die die Tattoos brechen konnte. Niemand sonst hatte denselben Zugang wie sie; die umfangreichste Bibliothek Großbritanniens und alle Blaupausen für ihre Zaubersprüche lagen in ihren Händen. Sie würde bleiben, auch wenn Draco die Schlüssel zu ihrem Käfig zurückgelassen hatte. Sie würde bleiben, damit sie Ginny und Ron und die anderen aus ihrem befreien konnte.
Sie hielt sich nie zu lange in seinem Schlafzimmer auf – sie wollte nicht die Aufmerksamkeit der Elfen erregen. Sie wusste, dass sie immer noch von Zeit zu Zeit hereinkamen, obwohl sie sein Bett ungemacht gelassen hatten. Am Tag, nachdem er gegangen war, hatte sie die unterste Schublade seiner Kommode geöffnet und festgestellt, dass der Schuhkarton mit den Zeitungsausschnitten verschwunden war. Nur eine Decke war zurückgeblieben.
Als die Zahl der Todesopfer in der Schweiz stieg, wurden die Frühstücke mit Narcissa immer kürzer und seltener. Es gab nichts, was ihre Tage ausfüllte, außer Recherchen. Manchmal verbrachte sie achtzehn Stunden am Tag in der Bibliothek. Ein oder zwei Mal schlief sie über ihren Büchern ein und wachte erst auf, als die Elfen sie in ihr Schlafzimmer apparierten, ihre Beine auf der Matratze ablegten und ihr eine warme Decke bis zum Kinn zogen. Ohne jede Ablenkung außer den Tageszeitungen wühlte sie sich durch die Tagebücher der Reiniger und übersetzte sie mit Hilfe des Schlüssels von Jeremiah Jones.
In der ersten Dezemberwoche hatte sie alle neun Tagebücher vollständig übersetzt. Dabei hatte sie interessante Teile des Puzzles entdeckt: Übersetzungen, in denen ein Brandeisen oder ein Zauberspruch für „eingesperrte Vögel" erwähnt wurde. Irgendein Hinweis auf einen undurchdringlichen Kreis. Aber sie hatte sie einfach für später vorgemerkt und sich gezwungen, die Übersetzungen zu beenden, bevor sie sich in der Lektüre und den Nachforschungen verlor.
Selbst nach der vollständigen Übersetzung der Tagebücher fehlten in jedem einzelne Seiten – insbesondere in dem von Tobias Tolbrette. Jones' Tagebuch bestätigte die Bedeutung von Tolbrette. Auf den ersten Seiten, kurz vor dem Schlüssel, fand sie eine einzigartige Zeichenfolge, die nur Tolbrettes Name sein konnte. Darunter fand sie Nummern, mit denen Jones den Leser auf bestimmte Seiten von Tolbrettes Tagebuch verwiesen hatte.
Nott Sr. war großzügig beim Herausreißen von Seiten aus Tolbrettes Tagebuch gewesen, aber er hatte es auch eilig gehabt. Er hatte zwei Seiten nach der Erwähnung einer „Blitzbarriere", auf die Jones hingewiesen hatte, ausgelassen; er hatte ganze fünf Seiten nach der Erwähnung von Hautmarken ausgelassen. Jedes Mal, wenn sie auf eine herausgerissene Seite stieß, wusste sie, dass sie fehlte, weil es genau das war, was sie brauchte. So wurde das Lesen der Seiten, die davor und danach lagen, zu ihrer neuesten Aufgabe.
Am 5. Dezember nahm sie ein neues Blatt Pergament zur Hand und stellte ihre ersten Hypothesen auf.
1.) Sowohl die Reiniger als auch die Todesser benutzten denselben Begrenzungszauber, um ihre Sklaven einzusperren: die „Blitzbarriere" (Jones, S. 2; Tolbrette S. 4, 18, 67-70, 111, 123-124; Emerson S. 9; Taylor S. 34-35).
2.) Die Todesser benutzten eine Tätowierung als Leitung, während die Reiniger ein Brandeisen auf der Haut ihrer Sklaven einsetzten (Jones, S. 2; Tolbrette S. 48-53, 95, 162-163; Fernsby S. 27, 76).
3.) In beiden Fällen muss es eine Möglichkeit geben, den Bindungszauber mit der gewählten Methode zu verbinden. Der Bindungszauber den die Todesser verwendet haben, ist wahrscheinlich dem der Reiniger sehr ähnlich.
Hermine rieb sich den Arm und erinnerte sich an den Tag, an dem sie durch die Barriere gesprungen und den Hügel hinuntergerollt war. Vor dem betäubenden Schmerz und der Dunkelheit war sie durch den brennenden Schock, der von ihrer Tätowierung ausgegangen war, gelähmt worden. Sie fragte sich, wie viele „Tauben" und „Täubchen" bei ihrem Fluchtversuch ein ähnliches Schicksal erlitten hatten. Vielleicht hatten ihre Besitzer sie außerhalb der Begrenzung zum Sterben zurückgelassen.
Sie schluckte und konzentrierte sich wieder. Wenn sie herausfinden wollte, wie sie die Magie der Tätowierungen brechen konnte, brauchte sie irgendwann eine Versuchsperson. Und einen Zauberstab würde sie auch brauchen – daran führte kein Weg vorbei. Obwohl sie noch Wochen davon entfernt war, irgendetwas testen zu können, drehte sich ihr bei dem Gedanken daran der Magen um.
Die wenigen verbleibenden Stunden des Tageslichts waren unergiebig. Sie grübelte und grübelte, bis ihr Abendessen kalt wurde und ihr Rücken vom langen Sitzen in einer Position schmerzte. Als ihre Augenlider über Tolbrettes Tagebuch zu sinken begannen, schleppte sie sich schließlich zurück in ihr Zimmer.
Solange Draco nicht zurückkehrte, gab es nur eine mögliche Lösung, aber die war alles andere als ideal: Narcissa. Sie würde einfach hoffen müssen, dass er nach Hause kam, bevor es notwendig wurde. Und was seine Heimkehr für den Orden und ihre Freunde bedeuten würde – darüber durfte sie nicht nachdenken.
Die Fortschritte begannen langsam, wurden aber im Laufe der Tage immer schneller. Hermine knackte die Blitzbarriere als Erste. Sie hatte Glück mit den zwei Seiten, die Nott Sr. in Tolbrettes Tagebuch übersehen hatte, auf denen fast alle Schritte für den Zauber standen. Er hatte auch zwei Seiten in einem anderen Tagebuch übersehen, das Cephas Taylor gehörte, einem Reiniger, der seine Versuche dokumentiert hatte, sein Personal an die Barriere zu binden. In den beiden Tagebüchern fand Hermine die vollständigen Schritte. Sie hatte recht gehabt, dass die Blitzbarriere auf keltischer Magie basierte. Sie hatten den Caim, einen kreisförmigen Schutzring, so verändert, dass er die Geschützten im Inneren hielt, anstatt böse Geister abzuwehren.
Als nächstes untersuchte sie die Brandzeichen der Haut. Das dauerte länger – Tolbrette hatte viele der unversehrten Seiten damit verbracht, darüber zu diskutieren, wo seine „Tauben" gebrandmarkt werden sollten, da sie von verschiedenen Besitzern mehrmals gebrandmarkt werden konnten und „für das Auge ansprechend" bleiben sollten. Aber schließlich gelang es ihr, die einzelnen Schritte mit der gleichen stückweisen Strategie und unter Verwendung von Auszügen aus verschiedenen Tagebüchern aneinanderzureihen.
Der letzte Schritt bestand darin, den Bindungsmechanismus zwischen den Brandzeichen und der Barriere aufzudecken. Dieser Schritt war schwieriger. Erst um Mitternacht, am vierten Tag in Folge, fand sie eine winzige, aber unverkennbare ägyptische Rune, die unten rechts auf eine Seite gekritzelt war, auf der Tolbrette erwähnte, dass er zwei neue „Tauben" und drei neue „Täubchen" zu seiner „Herde" hinzugefügt hatte. Die unmittelbar darauffolgenden Seiten waren herausgerissen worden.
Sie schlief in dieser Nacht nicht und wühlte sich durch die Bibliothek, bis sie ein Lehrbuch über altägyptische Runenverzauberungen fand. Die Sonne war schon fast aufgegangen, als sie endlich eine Übereinstimmung mit der Rune in Tolbrettes Tagebuch fand. Das Lehrbuch beschrieb, wie ein Zauber, der diese Rune benutzte, dazu benutzt worden war, Schätze, die mit den Namen der Pharaonen gebrandmarkt waren, mit den Schutzwällen ihrer Gräber zu verbinden.
Jetzt musste sie nur noch magische Tätowierungen finden, die als Ersatz für die Brandzeichen auf der Haut dienen konnten. Das bedeutete, dass sie endlich ihre erschöpfte Schreibhand ausruhen und lesen konnte.
Ende der zweiten Dezemberwoche, am siebten Tag in Folge, an dem es ununterbrochen regnete, klopfte Narcissa an ihre Tür. Hermine versteckte schnell ihr Buch über Brandzeichen und Tätowierungen im alten Mesopotamien, bevor sie die Tür öffnete.
Narcissa war dünner und blasser als noch vor einem Monat, aber die Wärme in ihren Augen war unverändert. Hermine hieß sie drinnen willkommen und setzte sich zu ihr auf die Stühle neben dem Kamin, während Mippy ihnen Tee einschenkte. Es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, ihre Frage zurückzuhalten, bis die Elfe verschwunden war.
„Ist etwas passiert?"
Narcissa lächelte müde und schlug ihre Beine übereinander. „Ich habe nichts Neues aus der Schweiz gehört, nein. Aber es gibt da etwas, worüber ich mit dir sprechen wollte."
Hermines Mund war trocken, als sie Narcissa dabei zusah, wie sie in ihrer Sahne rührte.
„Ich hatte angenommen, dass es dieses Jahr keine Priorität haben würde, da ein Krieg im Gange ist... aber anscheinend denkt der Dunkle Lord, dass seine treuen Anhänger etwas Normalität und Unterhaltung verdienen." Narcissa seufzte in ihre Teetasse und richtete ihren Blick auf Hermine. „Jedes Jahr veranstalte ich eine Silvestergala." Hermines Augen weiteten sich. „Sie ist sehr pompös, und unter normalen Umständen bin ich sehr stolz darauf."
„Ich verstehe." Sie kaute auf ihrer Unterlippe. „Also wirst du sie auch dieses Jahr wieder veranstalten?"
„Ja. Hier. Auf dem Anwesen."
Ihr Herz zog sich zwischen ihren Rippen zusammen. „Wird Draco auch erwartet?" Narcissa schüttelte den Kopf und der Druck löste sich und hinterließ Abdrücke.
„Der Dunkle Lord rechnet im neuen Jahr mit einem Angriff auf Zürich. Er wurde gebeten, mit einigen wenigen Auserwählten wache zu halten. Wenigstens können wir Merlin für ein kleines Wunder danken, dass meine Schwester nicht dabei sein wird." Narcissa strich sich eine Haarsträhne aus der Schläfe, ihre langen Finger fuhren über ihr Ohr und glitten hinab zu ihrem Hals. „Lucius wird anwesend sein, denn es ist für eine Frau unmöglich ohne ihren Mann Gäste zu empfangen. Aber er wird mit dem letzten Gast gehen."
Hermines Hände zitterten, als sie sich den Kaffee aus der Karaffe einschenkte. Sie stellte sich vor, wie Draco in der Silvesternacht aus einem kalten Turm starrte und darauf wartete, dass Feuer vom Himmel regnete.
„Das Herrenhaus wird in den nächsten Wochen ziemlich beschäftigt sein und die Bibliothek muss... gereinigt werden."
Hermine fing an, Narcissas Blick auf sich zu spüren. „Natürlich. Ich werde... mich von dort fernhalten." Sie nahm einen Schluck Kaffee und hoffte, dass er die Röte in ihren Wangen verbarg. „Und ich verspreche, dass ich in meinem Zimmer bleibe."
„Eigentlich", sagte Narcissa und Hermines Blick fiel wieder auf sie. „Lucius ist der Meinung – und ich stimme ihm zu –, dass der beste Platz für dich in der Öffentlichkeit und unter all den Leuten ist. Wo ich sich im Blick habe und du für alle sichtbar bist."
Die Wärme des Kaffees wich aus Hermines Adern. „Aber–" Sie schluckte und holte zittrig Luft. „Ich hatte den Eindruck, dass du die Partys nicht magst–"
Narcissa hob eine blasse Braue. „Du missverstehst mich. Ich mag es gegen meinen Willen tun, aber Narcissa Malfoys Silvestergala ist das größte gesellschaftliche Ereignis der Saison. Das ist keine Nacht in Edinburgh."
„Oh." Hermine blinzelte und stellte langsam ihre Untertasse ab. „Was ist daran so großartig? In einem normalen Jahr, meine ich?"
Narcissas Wangen erhellten sich zu einem lieblichen Rosa und ihre Augen funkelten wie schon seit zwei Monaten nicht mehr. Hermine winkelte ihre Beine unter sich ab und vergaß den Anstand, als Narcissa mit einer zwanzigjährigen Geschichte der Silvestergala begann.
Die Suche nach einem Zauberspruch für eine magische Tätowierung war ziemlich einfach. Nachdem sie die Möglichkeiten eingegrenzt hatte, wählte sie den, der ihr am flexibelsten erschien: einen einfachen Zauberspruch, der bei Kriegsgefangenen verwendet wurde. Sie war sich nicht sicher, ob es sich um denselben Zauber handelte, den Nott Sr. benutzt hatte, aber er schien für eine Vielzahl von Verzauberungen empfänglich zu sein.
In der dritten Dezemberwoche war Hermine bereit, eine rekonstruierte Version der Barriere und der Tätowierungen zu testen, aber sie brauchte einen Zauberstab. Und es war unwahrscheinlich, dass Draco in nächster Zeit nach Hause kommen würde.
Sie war zu dem Schluss gekommen, dass sich die Lage in der Schweiz dank Skeeters zunehmend geschwärzter Berichte verschlechtert hatte. Ganz zu schweigen von der Anspannung um Narcissas Augen.
Während der Krieg um die Schweiz tobte, geriet der Rest der Welt immer tiefer in Voldemorts Griff.
Polen sicherte seine Unterstützung zu, gefolgt von Österreich. Zwei Tage später starb der dreiundvierzigjährige deutsche Minister eines „natürlichen Todes". Der Prophet hatte seinen Nachruf neben einem Artikel über den neuen deutschen Minister – einen guten Freund von Eleni Cirillo – veröffentlicht.
Hermine hatte wieder Albträume. Manchmal war es nicht Harry, der ihr aus den Fingern glitt, sondern Draco oder Ron. Sie nahm ihr Okklumentik-Training am Morgen wieder auf und die Albträume verschwanden. Das Grauen in ihrem Magen wuchs, als die letzte Dezemberwoche näher rückte und sie überlegte, wie sie Narcissa um ihren Zauberstab bitten könnte.
Am Weihnachtsmorgen schlich Hermine in den Wintergarten, um ein paar Lilien zu schneiden, die das ganze Jahr über auf magische Weise wuchsen. Sie wanderte hinunter in die eisigen Kerker und zerrte ein paar Lavendelzweige aus einem Büschel, aus denen sie mit etwas Schnur einen lausigen Strauß bastelte. Hermine zog eine Grimasse, als sie ihn Narcissa beim Frühstück überreichte und sich für ihr mangelndes Geschick entschuldigte.
Narcissa küsste sie auf beide Wangen und erstickte ihre Entschuldigung im Keim. Hermine öffnete Narcissas Geschenk – einen eleganten blauen Organizer für ihre Notizen – während Mippy ihnen Kaffee und Tee servierte. Mit einem heftigen Erröten ließ die Elfe ein Paar handgestrickte Fäustlinge auf Hermines Schoß fallen und quietschte: „Frohe Weihnachten, Miss!"
In den Tagen nach Weihnachten fühlte sich Hermine immer schuldiger über ihr Vorhaben, Narcissa um Hilfe zu beten. Narcissa wusste eindeutig, dass sie etwas vorhatte, hatte es aber nie erwähnt. Sie wollte Narcissa nicht in eine Lage bringen, in der sie sich entweder einmischen oder ein eklatantes Geheimnis vor Lucius bewahren musste. Es musste einen subtileren Weg geben, um zu fragen. Einen Weg, der es Narcissa erlaubte, weiterhin wegzuschauen.
Eines Morgens beim Frühstück kam ihr eine Idee.
„Narcissa–" Hermine schluckte hastig ihren Toast herunter. „Was soll ich am Donnerstagabend anziehen? Die Kleider, die ich in Edinburgh trage, sind... nicht wirklich angemessen."
„Ich habe mich schon gefragt, wann du das fragen würdest." Narcissa zwinkerte ihr zu. „Miss Parkinson arbeitet bereits daran. Sie wird dein Kleid um fünf Uhr vorbeibringen."
Hermine öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Sie hatte nicht gewusst, dass Narcissa von Pansys Besuchen wusste.
Da war ihr Plan, ein altes Kleid zu verändern, dahin.
„Wunderbar. Da das nun geklärt ist, habe ich mich auch gefragt... da ich ja gut aussehen muss ..." Sie schluckte. „Könnte ich mir einen Zauberstab leihen? Nur für eine Stunde am Morgen, um mir die Haare zu machen?"
Narcissa blinzelte sie an, und Hermine verstummte. Narcissa legte den Kopf schief und sagte schließlich: „Ich denke, das wäre in Ordnung."
Sie spürte, wie sich das Druckgefühl auf ihrer Brust löste. Adrenalin und Möglichkeiten durchfluteten ihre Adern, als sie lächelte.
„Danke, Narcissa. Nur eine Stunde."
Am Morgen des 31. traf Hermine Narcissa zu einem schnellen Frühstück. Als sie fertig waren, brauchte Hermine nicht einmal zu fragen – Narcissa überreichte ihr einfach ihren ebenholzfarbenen Zauberstab mit einem schmalen Lächeln. Hermine fühlte einen Anflug von Schuldgefühlen, als sie sich bedankte, aber das verschwand, als sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinauflief. Der Zauberstab summte zwischen ihren Fingerspitzen, und sie spürte den Rausch seiner Magie in ihrem Blut. Sie legte ihre Notizen auf dem Fußboden ihres Zimmers aus, und so einfach, wie sie sich daran erinnerte, zu atmen, sprach sie einen Zauber, um ihre Notizen auszubreiten. Der Ebenholzstab gehorchte.
Logischerweise wusste sie, dass sie eine Stunde Zeit hatte, aber es fühlte sich an, als hätte sie nur ein paar Minuten Zeit, um diese Aufgabe zu bewältigen. Sie nahm einen tiefen Atemzug und sammelte ihre Gedanken. Sie brauchte eine Maus, sie musste die Barriere errichten, sie musste die Maus mit einem Tattoo verzaubern und sie mit der Barriere verbinden.
Sie verwandelte ihre Kaffeetasse in eine kaffeefarbene Maus und leerte schnell einen Schuhkarton, in dem sie herumlaufen konnte. Sie sprach einen Zauber, um die Maus zu betäuben, damit sie keine Schmerzen mehr spürte und einen weiteren, um ihre Vitalfunktionen zu überwachen. Sie wurde im Schuhkarton etwas benommen, da sie ein wenig Gefühl verloren hatte und Hermine beobachtete amüsiert, wie sie sich immer wieder mit ihrem eigenen Schwanz überraschte.
Mit einem tiefen Atemzug zeichnete sie mit dem Zauberstab einen großen Kreis in der Mitte des Bodens, wobei sie ihren Arm bis zum Boden ausstreckte und ihren Körper im Uhrzeigersinn mit der Sonne drehte. Der Raum bebte, als sie die Worte flüsterte, die sie sich aus ihren Notizen gemerkt hatte, und die Luft vibrierte um den Caim, als er sich versiegelte. Sie griff nach dem Schuhkarton und ließ die Maus hineinfallen, um sie mit einem schnellen Gefrierzauber an Ort und Stelle zu halten. Mit vereinten Kräften sprach sie den Tätowierungszauber und beobachtete, wie ein kleiner schwarzer Fleck auf dem linken Fuß der Maus erschien. Ein kurzer Blick auf das nächstgelegene Pergament, bevor sie den Runenzauber murmelte, der die Tätowierung mit der Barriere verband.
Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ die Maus vorsichtig in den Kreis hinab. Sie beobachtete ihre Vitalfunktionen und ließ sie auftauen.
Sie wuselte, huschte nach links –
Und aus dem Kreis heraus.
Sie schaute entsetzt, als sie unter ihrem Bett und außer Sichtweite rannte. Schnell vergrößerte sie das Diagramm der Lebenszeichen, ihre Augen huschten von einer Seite zur anderen. Der Blitz hatte gewirkt. Er hatte das betäubte System der Maus geschockt, als sie die Linie überquerte. Er gab weiterhin Schocks ab. Aber sie wurden immer schwächer.
Hermine blickte stirnrunzelnd auf ihre Texte und rief die Maus zurück zu sich, so dass sie in der Luft schwebte. Sie hatte die Barriere richtig aufgebaut – da war sie sich sicher. Sie stieß frustriert die Luft aus und ließ die Maus langsam wieder in den Kreis sinken...
Und sie flitzte nach rechts, dieses Mal in Richtung des Kamins.
Wieder hatte der Blitz gewirkt. Die Vitalfunktionen der Maus reagierten auf den Schock, aber der Schock ließ schnell nach. Irgendetwas an ihrer Tätowierung oder ihrem Bindungszauber war fehlerhaft. Die Barriere versetzte der Maus zwar einen Schock, aber nur einen schwachen und dann verschwand ihre Wirkung.
Die nächsten vierzig Minuten verbrachte sie damit, auf ihre Forschungen herabzublicken und Toastkrümel in den Schuhkarton zu streuen. Am Ende der Stunde verwandelte sie die Maus wieder in eine Kaffeetasse, wirkte ein paar Lockenzauber, die nur den Eindruck erweckten, dass sie einen Stromschlag erlitten hatte, und stapfte die Treppe hinunter, um Narcissa zu suchen.
Narcissa warf einen Blick auf sie und sagte: „Kein Glück?"
Hermine biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht. Ich, ähm... ich sollte es wohl Pansy überlassen. Sie muss vielleicht eine Weile bleiben."
Narcissa nahm ihren Zauberstab zurück und lächelte.
Pansy trat um fünf Uhr aus den Flammen von Dracos Kamin, einen Kleidersack unter den Arm geklemmt und ein kleines Etui baumelte von ihren Fingerspitzen.
„Granger", sagte sie barsch und sah Hermine an. „Merlin, du konntest dir nicht einmal die Haare für mich waschen?"
Sie runzelte die Stirn. „Ich habe mir die Haare gewaschen."
Pansy hob eine Augenbraue und presste ihre rubinroten Lippen aufeinander. „Womit? Einem Stück Seife?" Sie drehte sich auf dem Absatz um und führte Hermine zurück in ihr Zimmer. „Ich werde mit Narcissa über deine Produkte sprechen. Draco Malfoy – der große Inneneinrichter – hat sich offensichtlich nicht die Mühe gemacht, deine Schränke mit etwas Nützlichem zu füllen."
Hermine verdrehte die Augen, als Pansy ihren Kleiderschrank aufriss, um den Kleidersack aufzuhängen, bevor sie sie ins Badezimmer zerrte und auf den Stuhl an ihrem Waschtisch schob.
„Also gut", sagte Pansy und musterte sie genau. „Was sollen wir damit machen..."
Hermine blickte finster zu ihr auf, als Pansy die Augen verengte. Dann zwang sie sie, ihr Gesicht noch einmal zu waschen – Und einzucremen! Verdammt, Granger, wie oft muss ich es dir noch sagen! – bevor sie anfing, ihr die Creme auf den Wangen zu verteilen.
Als es still war, fragte Pansy: „Hast du etwas von ihm gehört?"
Hermine öffnete blinzelnd das Auge, das Pansy nicht mit einer Bürste bearbeitet hatte. Sie rührte ihr Gemisch aus Farben zusammen und betrachtete stirnrunzelnd ihre Paletten.
„Nein." Hermine räusperte sich. „Narcissa hat mir gesagt, dass es Eulen nicht erlaubt ist, in die Schweiz zu reisen oder sie zu verlassen. Aber Lucius reist oft nach Deutschland und schickt Nachrichten."
Sie wartete darauf, dass Pansy noch etwas fragen würde, aber sie befahl Hermine einfach, die Augen zu schließen.
Als Pansy sich an ihrem Haar zu schaffen machte, sagte Hermine: „Ich habe eine Frage zu dem Tag, an dem du gefangen genommen wurdest."
Pansy schnaubte und zupfte leicht an der Locke, die sie gerade bearbeitete.
„Bitte. Ich würde nicht fragen, wenn es nicht wichtig wäre. Ich habe deine Fragen beantwortet."
Pansy presste die Lippen zusammen und sah sich im Spiegel an. Nach einer gefühlten Ewigkeit nickte sie leicht.
Hermine holte langsam Luft. „Ich bin mit meiner Tätowierung auf dem Arm aufgewacht. Und du? Oder weißt du noch, wann sie erschienen ist?"
„Oh, ich erinnere mich sehr gut." Pansys Gesichtszüge verfinsterten sich, als sie an einer fertigen Locke herumstocherte.
Hermines Herzschlag beschleunigte sich. „Erinnerst du dich an irgendetwas von dem Zauber, den sie benutzt haben?"
Sie drehte eine weitere verirrte Locke um den Zauberstab und runzelte die Stirn. „Ich erinnere mich nicht an einen Zauberspruch. Nur an den Trank und das Pergament."
Hermine spürte, wie ihre Haut prickelte. Jedes Haar auf ihren Armen stand ihr zu Berge.
„Was für ein Zaubertrank?"
„Nun ja, Granger, als ich ihn analysieren durfte, war mein Befund nicht aussagekräftig –"
„Du hast einen Zaubertrank getrunken?" Hermine drehte sich zu ihr um und zerrte ihre Locken von Pansys Fingerspitzen weg. „Bist du dir sicher?"
Pansy blickte sie finster an. „Ja, Granger. Ich bin mir sicher, dass ich mich daran erinnere, wie mir der Kiefer aufgerissen wurde."
„Nein, ich meine..." Sie versuchte, ihre rasenden Gedanken zu sammeln. „Hatte es einen Minzgeschmack? Hat es deine Magie unterdrückt?"
„Ich spürte, wie meine Magie mich verließ, ja, aber es schmeckte nicht nach Minze wie der Unterdrückungstrank. Er schmeckte wie Tinte."
Hermine blinzelte sie an und schaute dann auf das D.M. auf ihrem Arm hinunter.
Tinte.
Sie hatte gedacht, dass die Tätowierung ein Zauber sei, der auf eine Person gewirkt wurde, ein äußerer Zauber. Aber vielleicht lag der Schlüssel zur Magie der Tätowierungen in ihnen selbst.
Pansy wies Hermine fest an, sich wieder dem Spiegel zuzuwenden und begann wieder mit ihren Locken. Hermine blinzelte rasch, ihr Verstand drehte sich in rasender Geschwindigkeit.
„Du hast also den Trank getrunken und die Tätowierung ist auf deiner Haut erschienen?"
„Nicht ganz." Pansy zupfte ein wenig zu heftig an ihrem Haar. „Ich weiß nicht, was der Trank bewirkt hat, aber als Yaxley das Pergament unterschrieben hat, ist seine Unterschrift auf meiner Haut erschienen."
„Welches Pergament? Was stand da drin?" Ihr Herz hämmerte, ihr Atem wurde flach in ihrer Lunge.
„Nichts." Pansy zuckte mit den Schultern. „Es war leer."
Hermine drehte sich wieder zu ihr um – Pansy seufzte – und hob ihr Tattoo zu Pansys Augen. „War die Tinte, mit der er unterschrieben hat, so? Schwarz mit Gold vermischt?"
Pansy schüttelte den Kopf. „Er hat mit Blut unterschrieben."
Wie eine Uhr, die Mitternacht schlägt, fügten sich die Teile an ihren Platz.
Blutmagie.
Sie starrte vor sich hin und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
Sie würde Blutmagie brauchen, um die Maus einzuschließen. Deshalb hatten sich die Tattoos nicht richtig mit der Barriere verbunden. Aber sie hatte mehr als das übersehen. Es gab auch noch eine Zaubertrankkomponente.
„Oh, gut", murmelte Pansy. „Habe ich das Vergnügen, dem klügsten Kopf meines Jahrgangs bei der Lösung eines Problems zuzusehen?"
Hermine zupfte an ihrem Ärmel. „Bist du sicher, dass es nur der Zaubertrank und die Signatur waren? Es wurde kein dunkler Zauber auf deinen Arm gelegt?"
Pansy winkte sie mit einem finsteren Blick ab. „Das ist alles." Sie drehte Hermines Kopf gewaltsam so, dass sie wieder in den Spiegel blickte.
„Aber–" Hermine runzelte die Stirn. „Aber ich habe keinen Zaubertrank getrunken. Ich bin im Ministerium aufgewacht und war bereits tätowiert."
„Sie haben dir eine Spritze gegeben", sagte Pansy. Und dann: „Wahrscheinlich. Ich weiß, dass viele der Mädchen in der Zelle betäubt waren, als sie hereingebracht wurden und sie waren auch schon tätowiert."
„Aber sie haben dich wachgehalten?"
Pansy begegnete ihrem Blick im Spiegel und schaute schnell weg. „Sie wollten, dass ich zusehe, wie sie mir alles wegnehmen. Meine Magie, meine Blutlinie ...sodass ich nur noch Eigentum war."
Mitleid zerrte fest an ihren Rippen. Sie schluckte. „Sie?"
„Yaxley. Und mein Vater."
Pansy steckte den Zauberstab ein, nachdem sie mit ihren Locken fertig war und griff in ihre andere Tasche, um Haarnadeln hervorzuholen. Abgesehen von ihrem angespannten Kiefer gab es keine Anzeichen dafür, dass sie etwas Unangenehmes besprachen.
Hermines Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als sie fragte: „Warum warst du Teil der Auktion, Pansy?"
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Nacken und stieß einen langen, leidenden Seufzer aus. „Eine der vielen Fragen des Lebens." Als Hermine nicht antwortete, beugte sich Pansy vor und flüsterte ihr ins Ohr.
„Du wirst es nie herausfinden, Granger. Ich möchte, dass du mit dem Wissen in dein Grab gehst, dass das einzige Rätsel, das du nicht lösen konntest, Pansy Parkinson war."
Sie grinste sie an und mit einem letzten Stoß einer Haarnadel in ihre Kopfhaut erklärte sie ihr Werk für vollendet.
Hermine betrachtete sich zum ersten Mal. Ihr Make-up und ihre Haare waren ähnlich wie in Edinburgh, aber nicht so verrucht. Ihre Lippen und Augen waren hell. Ihr Haar war ausnahmsweise mal nicht über die Schultern gelegt, sondern am Hinterkopf zu einem Zopf gebunden, und die Locken fielen ihr über den Rücken.
„Welche Farbe hat mein Kleid heute Abend?"
„Granger, weißt du denn gar nichts?" Pansy verdrehte die Augen und führte sie zum Kleiderschrank.
„Narcissa Malfoys Neujahrsparty ist seit zehn Jahren eine schwarz-weiße Gala."
Hermine errötete. „Ah. Vielleicht hat sie es erwähnt."
Pansy öffnete die Tasche mit einem Schwung. Schwerer schwarzer Satin und Tüll ergossen sich wie eine Flut aus der Tasche auf den Boden. Hermines Kopf neigte sich nach unten und wieder nach oben, als sie sich über die schiere Menge an Stoffen wunderte. Besonders im Vergleich zu dem, was sie normalerweise in Edinburgh trug.
„Ich... das ist... kunstvoll.", beendete sie lahm.
„Na, das will ich hoffen." Pansy zog das Kleid heraus und hängte es an die Schranktür. Es schien sich in seiner Größe zu verdoppeln.
„Und was trägt ‚Giuliana' heute Abend?", fragte Hermine und streckte ihre Finger aus, um über den Satin zu streichen.
Pansy hob eine herablassende Braue. „Das ist kein Abend in Edinburgh. Es werden keine Sklaven anwesend sein."
Hermine klappte der Mund auf. „Aber..."
„Die Silvestergala ist eine Veranstaltung der High Society. Die Todesser, die du normalerweise mit einem Teenager auf dem Schoß siehst, werden heute Abend ihre Frauen am Arm haben." Sie wandte sich wieder dem Kleid zu und bauschte den Rock liebevoll, bevor sich ihre Gesichtszüge wieder verhärteten. „Du wirst heute Abend einige Debütantinnen sehen, die hoffen, eine Hochzeit im Juni zu ergattern. Auf dem Malfoy Anwesen wurden schon mehr Ehen arrangiert als in den Büros der Heiratsvermittler."
Etwas sank von ihrer Kehle bis in die Tiefe ihres Bauches. „Also, bin ich nur... Dekoration."
Pansy schenkte ihr ein schmallippiges Lächeln. „Eher eine Trophäe, würde ich sagen."
Pansy ging, kurz nachdem sie ihre Unterwäsche ausgebreitet und auf die Tasche mit dem Schmuck hingewiesen hatte, den sie tragen sollte („Zieh alles an, Granger!"). Hermine versuchte, die neuen Informationen, die sie über die Tätowierungen erfahren hatte, zu sortieren, aber sie hatte keine Zeit. Und die Nervosität in ihrem Magen war überwältigend.
Sie wusste, was sie in Edinburgh erwartete. Aber der heutige Abend war etwas völlig Neues.
Es dauerte nicht lange, bis Hermine in das Kleid schlüpfte und keuchte, als es sich auf magische Weise um ihre Rippen schloss, ohne die Hilfe eines Reißverschlusses oder von Verschlüssen. Der Rock fiel um ihre Fersen herum zu Boden und wölbte sich um ihre Hüften, nachdem er in der Taille geschnürt worden war.
Sie öffnete das Schmucksäckchen und als ihre Hand eine mit Hunderten von Diamanten besetzte Halskette herauszog, ließ sie fast das ganze Säckchen auf den Boden fallen. Hermine wusste nicht viel über Schmuck, aber sie wusste, dass diese Kette genauso viel gekostet haben könnte wie sie selbst. Die Halskette lag perfekt über ihren Schlüsselbeinen, zwischen den dünnen Trägern ihres schwarzen Kleides. Dazu gab es passende Diamantohrringe, ein Diamantarmband und zwei Diamantringe.
Um halb neun klopfte jemand an ihre Tür. Sie straffte die Schultern und öffnete die Tür. Lucius Malfoy stand in einem weißen Smoking mit schwarzem Revers vor ihr. Zuerst hatte sie einen Moment lang gedacht, er sei jemand anderes. Sie musste die plötzliche Welle der Trauer abschütteln, als ihr klar wurde, dass er ihm zwar ähnelte, es aber nicht war.
Lucius hob eine Augenbraue, als er sie ansah. „Ausreichend."
Sie funkelte ihn an und deutete auf seinen Smoking. „Ich nehme an, das wird auch reichen."
Seine Lippen schürzten sich und zu ihrer Überraschung bot er ihr seinen Ellbogen an. Sie blinzelte, bevor sie ihn annahm und er führte sie langsam den Gang hinunter.
„Du wirst nicht von meiner Seite weichen. Du wirst nur sprechen, wenn du gefragt wirst. Und ich gehe davon aus, dass du weißt, wie du zu reagieren hast, wenn du angesprochen wirst."
Sie nickte, ihr Puls beschleunigte sich mit jedem Schritt. „Wie geht es ihm?"
„Er lässt grüßen."
Sie erreichten das obere Ende der Treppe und unten stand Narcissa in Weiß und wartete in der Nähe der Eingangstür zum Herrenhaus. Sie lächelte sie nicht an, aber ihre Augen funkelten. Hermine hatte ein seltsames Gefühl, als sie die Treppe hinuntergingen. In einem anderen Leben hätte sie vielleicht zu deren Welt gehört. Oder es zumindest versucht. Vielleicht hätte sie wie ein reinblütiges Mädchen getanzt und die Namen und Verwendungszwecke aller Utensilien von Lucius Malfoy gekannt.
Das Stimmengewirr im Salon ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken – es mischten sich bereits Gäste unter sie. Lucius ließ ihren Ellbogen los, als sie über den Marmor schritten und Narcissa begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange. Zu Hermine sagte sie nichts und wandte ihr demonstrativ den Rücken zu.
Hermine blinzelte, dann stellte sie sich schnell hinter die beiden. Ihre Augen weiteten sich, als sie durch die Vordertür hinausblickte. Die lange Auffahrt war von vergoldeten Torbögen gesäumt und die ineinander verschlungenen Lichterketten schwebten in einem goldenen Schein, um die Gäste zu begrüßen.
„Die Elfen haben wie immer ganze Arbeit geleistet, meine Liebe." Lucius rückte seine schwarze Fliege zurecht.
„Hix testet gerade alle Wärmezauber", sagte Narcissa leichthin. „Es ist eine Schande, dass wir das Flohnetzwerk nicht benutzen können."
„Ich weiß, aber so wie die aktuelle Lage ist..."
Draußen regte sich etwas, aber Narcissas Schulter hatte sich verschoben und verdeckte Hermine die Sicht. Hermine fummelte am Rock ihres Kleides herum, während das Stimmengewirr auf dem Gelände immer lauter wurde und durch die offenen Türen drang. Es hörte sich an, als wären alle auf einmal angekommen.
Ein Mann und eine Frau traten in die Eingangshalle und Hermine musste sich zurückhalten, Lucius über die Schulter zu schauen, um einen besseren Blick zu erhaschen. Sie war heute Abend die Trophäe der Malfoys – es war deren Entscheidung, wann sie sie zur Schau stellen wollten.
Narcissa begrüßte sie mit einer Leichtigkeit und Hermine blinkte auf den Marmor, als sie hörte, wie Narcissa ihre Namen sagte und ihre Wangen küsste. Sie tat dasselbe beim nächsten Paar und beim nächsten und Hermine wurde klar, dass sie die Namen vielleicht nur für Lucius aufzählte.
Vor den Türen bildete sich eine Schlange und als das Getöse lauter wurde, fühlte sich Hermine sicher genug, um den Kopf zu heben. Die Menge der neuen Gesichter war überwältigend, aber sie erkannte auch ein paar bekannte Gesichter. Einige blieben stehen und schüttelten Lucius' Hand und fragten nach der Schweiz, andere hielten Narcissas Handgelenk und schmollten, weil Draco nicht dabei sein konnte. Die meisten von ihnen ignorierten sie, aber es war interessant zu sehen, welche Männer sie aus Edinburgh wiedererkannte. Welche sie angrinsten und welche sich schnell von ihr abwandten und sich wieder ihren Frauen zuwandten.
Irgendwann hielt eine geschwätzige ältere Frau, die stark nach Nelken roch, die Schlange auf und redete unaufhörlich von irgendeiner gesellschaftlichen Veranstaltung, die sie im Frühjahr ausrichten würde. Hermine beobachtete, wie Narcissa den perfekten Moment nutzte, um sie zu unterbrechen. „Dolores, das klingt göttlich. Ich komme in etwa einer halben Stunde zu dir, um mehr zu hören, aber weißt du, dass Hugh McKenzie schon drin ist?"
Dolores' Augen leuchteten wie die eines Raubtiers, das gerade seine nächste Mahlzeit gefunden hatte. Sie entschuldigte sich schnell und zwang Lucius, aus dem Weg zu gehen. Narcissa strich sich eine Haarsträhne zurück hinter das Ohr und murmelte: „Unerträglich." Lucius legte ihr eine Hand auf den Rücken und lehnte sich an ihr Ohr, um ihr zuzuflüstern: „Armer Hugh." Hermine blickte auf den Boden und presste die Lippen zusammen, um ihr Lächeln zu verbergen.
„Granger." Sie zuckte zusammen und blickte auf, um Adrian Pucey zu sehen, der sie über Narcissas Schulter angrinste.
„Hältst du einen Tanz für mich frei?"
Beide Malfoys drehten sich um und sahen sie an, während sich ihre Schultern trennten. Sodass sie seinem Blick voll ausgeliefert war.
Lucius sah Pucey wieder an, seine Augen waren hart. „Das wäre höchst unangebracht, Adrian."
„Natürlich, Sir. Ich bitte um Verzeihung. Ich habe mich nur ein wenig amüsiert." Adrian schüttelte Lucius' Hand, während sich zwei Personen, die nur seine Eltern sein konnten, neben ihm bewegten.
„Meine Güte, Narcissa", gurrte die Frau, deren Augen auf Hermine gerichtet waren. „Ist das die Tochter des Professors?"
„Um Himmels willen, nein." Narcissa lachte. „Das ist Dracos Schlammblut."
Mrs Pucey zog die Hand zurück, die sie Hermine gereicht hatte, als wäre sie verbrannt worden. Hermine blickte auf den Boden, als sich eine drückende Stille über sie legte.
„Nun", sagte Mr Pucey und räusperte sich. „Sie hätte mich fast getäuscht, aber ihre Haltung hat etwas Niederträchtiges an sich."
Der Fauxpas wurde schnell unter den Teppich gekehrt und die Puceys gingen hinein. Die Minuten zogen sich hin und Hermines Füße begannen in ihren Absätzen zu schmerzen. Ein bisschen herumzulaufen würde helfen, aber sie wagte es nicht, sich ohne Erlaubnis zu bewegen. Je mehr Leute eintraten, desto schwieriger wurde es, sich hinter Lucius' Rockschößen zu verstecken.
Das ist Hermine Granger.
–...für 65.000 Galleonen verkauft –
Kein Platz für Schlammblüter, wenn ihr mich fragt–
–Man kann es ihnen nicht verübeln, dass sie sie vorführen wollen–
Hermine stockte der Atem beim Anblick mehrerer Mädchen, die sie seit Hogwarts nicht mehr gesehen hatte, darunter Millicent Bulstrode, Tracey Davis und Romilda Vane. Alle drei trugen schwarze Kleider und machten jedem Mann, der ihren Weg kreuzte, schöne Augen. Hermines Handflächen fühlten sich feucht an, als Theo Nott und sein Vater gemeinsam eintraten, dicht gefolgt von Blaise und Goyle. Theo sah sie nicht an, als sie vorbeigingen, obwohl ein Muskel in seiner Wange zuckte. Die Augen seines Vaters waren zu glasig und unkonzentriert, um sie zu bemerken.
Die Uhr näherte sich langsam der Neun, während es im Salon hinter ihr immer lauter wurde. Schwebende Teller mit Champagner schwebten über den Köpfen, um die Gäste in der Schlange zu bedienen. Ein Tablett kam ihrem Kopf gefährlich nahe, und sie duckte sich und stolperte ein paar Schritte nach links. In dem Moment, in dem sie sich wieder aufrichtete, begegnete ihr Blick Antonin Dolohov. Ein Schauer lief ihr durch die Adern und sie stellte sich schnell hinter Lucius und schimpfte mit sich selbst über das Frösteln, das durch ihre Adern lief.
Lucius flüsterte Narcissa etwas ins Ohr, als die Uhr neun schlug. Narcissa nickte, und Lucius packte Hermine am Ellbogen und lenkte sie plötzlich ins Haus.
„Du läufst doch nicht etwa vor mir weg, Lucius?", rief eine schroffe Stimme.
Lucius straffte fast unmerklich mit den Schultern, bevor er sich herumdrehte und Hermine mit sich zog. Hermines Herz stotterte bei dem Anblick von Dolohov, der die Schlange umging und direkt auf sie zusteuerte. Narcissa schürzte ihre Lippen, bevor sie sich wieder ihren anderen Gästen zuwandte.
„Nicht ganz." Lucius lächelte angespannt. „Es ist neun Uhr. Es ist Tradition, dass der Gastgeber pünktlich den Hauptraum betritt und dass die Gastgeberin bleibt, um die Nachzügler zu begrüßen."
„Wenn du meinst." Dolohov nahm Lucius' Hand und Hermine konnte an den blutleeren Fingerknöcheln sehen, wie fest sein Griff war. „Die Schlange an der Eingangstür war so lang, dass es mir vorkam, als würde ich stundenlang auf der Auffahrt stehen."
„Wenn man pünktlich kommt, kommt man auch pünktlich rein." Lucius ließ Dolohovs Hand los und klopfte ihm auf die Schulter. „Das ist schon in Ordnung, Antonin. Je mehr gesellschaftliche Anlässe du besuchst, desto einfacher werden die höflichen Umgangsformen."
Lucius lenkte sie weg, aber Dolohovs Hand schoss hervor und packte ihr Handgelenk. Ihr Körper erstarrte vor Schreck, als er ihre Hand an seine Lippen führte und flüsterte: „Miss Granger. Ein Vergnügen wie immer." Seine Augen waren schwarze Tunnel, als sich seine feuchten Lippen auf ihre Haut pressten.
Dunkle Flecken erschienen in ihrer Sicht. Ein kalter Wind dröhnte in ihren Ohren.
Und dann zerrte Lucius sie mit einem leisen Knurren weg. Sie rang nach Atem, als sie das zitternde Buch mit dem Echo von Wasser auf Kacheln zum Schweigen brachte. Er zog sie in den Salon, in dem sie so oft gequält worden war und sie wappnete sich –
Doch als sich ihr Blick klärte, fand sie einen ganz anderen Raum vor. Ihre Lippen öffneten sich, als ihr Blick über die Decke schweifte. Cremefarbene Wände und goldenes Kerzenlicht, sanft fallender Schnee, der verschwand, bevor er auf ihrem Kopf landete. Im Ballsaal gleich dahinter spielte ein Streichquartett, und der ganze Raum vibrierte von Champagner und Gesprächen.
Hermine stand starr an Lucius' Seite, während er Freunde begrüßte und Bekanntschaft mit ausländischen Vertretern machte. Ihr Blick wanderte zu den jungen Leuten – eine Gruppe dunkelhäutiger Mädchen stand zusammen in der Ecke, kicherte und warf einen Blick auf Blaise, Theo und Adrian, während diese an ihrem Champagner nippten und sie anlächelten. Sie entdeckte Marcus Flint, der sich mit einer älteren Frau unterhielt und dabei seinen Charme spielen ließ.
Narcissa gesellte sich nach einiger Zeit zu ihnen, legte ihren Arm um Lucius und stellte ihm einige neue Gäste vor. Hermine folgte ihnen, nie mehr als einen Schritt hinter ihnen. Als sie Ted Nott begegneten, hatte er anscheinend schon mehrere Gläser Feuerwhisky getrunken, zusätzlich zu dem, den er in der Hand hielt.
„Lucius", lallte er. „Zurück aus der Schweiz, wie ich sehe."
Lucius legte den Kopf schief. „Und wie ich sehe, bist du aus Groix zurück."
Nott Sr. hob sein Glas zu einem Scheingruß, bevor er den Raum musterte. „Aber kein Welpe. Bringt dein Junge da drüben immer noch alles durcheinander?"
Hermine sah, wie Narcissas Finger sich in Lucius' Arm gruben.
„Ganz und gar nicht", säuselte Lucius. „Ich würde sagen, er macht seine Sache gut. Wir erwarten, dass wir Genf bald wieder einnehmen können."
Nott Sr. lachte und murmelte etwas vor sich hin. „Antonin hat einige interessante Geschichten über ihn. Hat er schon gelernt, Todesflüche zu sprechen?"
Beide Malfoys wurden ganz still. Lucius sah sich um, bevor er den Arm seiner Frau losließ und wenige Zentimeter vor das Gesicht von Nott Sr. trat. „Du bewegst dich auf dünnem Eis, Ted. Du solltest die Geschichten hören, die ich über deinen Sohn gehört habe. Ganz zu schweigen von dem, was ich von Rookwood über deine Leistungen in Frankreich gehört habe."
Das Gesicht von Nott Sr. wurde finster. Er verbarg seine Grimasse mit einem langen Schluck seines Feuerwhiskys, während er über seine Schulter blickte und nach Zuhörern Ausschau hielt. Seine Fingerknöchel waren rot und rau – er hatte offensichtlich vor kurzem auf etwas eingeschlagen und einen unsauberen Heilzauber durchgeführt.
„Also, warum trinken wir nicht noch ein Glas", flüsterte Lucius, „und stoßen gemeinsam auf den Dunklen Lord an."
Ein schwebendes Tablett hielt an seinem Ellbogen an und er nahm sich ein Glas davon, ohne Nott Sr. aus den Augen zu lassen, als er ihm den leeren Becher aus der Hand riss und den Champagner an seine Brust drückte. Er nahm sein eigenes Glas vom Tablett und stieß mit ihm an.
Nott sah finster drein, als er seine Flöte gegen die von Lucius stieß. „Auf die Gesundheit deiner Frau." Narcissa sagte nichts. Nott Sr. kippte den Sekt hinunter und schlenderte davon.
Lucius führte Narcissa nach vorne und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie nickte, und ihre Körperhaltung entspannte sich.
„Narcissa!" Schnell wurden sie von einer prächtig gekleideten Frau mittleren Alters angesprochen. „Wir müssen dich und Lucius auf die Tanzfläche bitten", sagte sie, während sie Narcissa einen Kuss auf die Wange gab. „Ihr seid ein entzückendes Paar!"
Narcissa erwiderte ihren Kuss und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Du bist zu freundlich, Siobhan. Aber ich fürchte, wir sind heute Abend ein bisschen mit Babysitten beschäftigt." Sie hob eine Augenbraue und bewegte ihren Kopf in Hermines Richtung.
„Dann lass mich das übernehmen. Meine Mutter verdient es, auf ihrer eigenen Gala zu tanzen."
Der tiefe Bariton, der hinter ihr erklang, ließ ihre Haut erzittern und ihr Blut in Wallung geraten.
Hermines Herzschlag beschleunigte sich, als sie sich langsam umdrehte und kaum zu hoffen wagte...
Draco stand in einem Smoking hinter ihr – weiß von Kopf bis Fuß, fast silbern schimmernd im Kerzenlicht. Sie vergaß zu atmen, als er über ihre Schulter auf die Freundin seiner Mutter blickte und seine Lippen zu einem Lächeln verzogen.
„Draco" – das Wort lag Lucius scharf auf der Zunge – „was für eine Überraschung."
Hermine sah, wie ein Sturm von Gefühlen über Narcissas Gesicht zog, als sie nach ihm griff. Er umarmte seine Mutter und küsste sie auf die Wange. Nach einigen langen Augenblicken ließ sie ihn los, und er trat neben sie.
Und als sie seine Hand leicht auf ihrem Rücken spürte, knickten ihr fast die Knie ein.
„Ich dachte, ich könnte ein oder zwei Stunden erübrigen ", sagte Draco und sah seinen Vater an.
„Wunderbar! Oh, ich liebe es, die ganze Familie zusammen zu sehen!" Siobhan klatschte in die Hände.
„Narcissa, Lucius, kommt tanzen–"
Lucius fasste seinen Sohn mit fester Hand an der Schulter. „Draco, lass uns hier drüben sprechen –"
„Oh, ich würde mich freuen, wenn ihr beide tanzen würdet, Vater." Draco riss seinen Blick von Siobhan los und zwinkerte ihr schelmisch zu. „Siobhan hat recht. Du kannst deinen Gästen doch nicht die Gelegenheit zum Zuschauen vorenthalten."
„Nein, in der Tat!", sagte Siobhan und strahlte.
Narcissa musste den mörderischen Ausdruck in Lucius' Miene gesehen haben, denn sie packte Siobhan schnell an ihrem Ellenbogen. „Lass uns herausfinden, welcher Walzer als nächstes gespielt wird. Lucius kann uns im Ballsaal treffen."
Sie zerrte ihre Freundin weg und es waren nur noch Hermine, Draco und sein Vater da, die sich gegenseitig angespannt anlächelten.
Lucius sah sich um, bevor er einen Schritt nach vorne machte. „Das ist leichtsinnig." Seine Lippen bewegten sich kaum, als er sprach. „Es gibt keinen Grund für dich, dich von deinem Posten zu entfernen–"
„Genauso wenig, wie für dich, Vater-"
„Ich habe Gastgeberpflichten für einen Abend, den der Dunkle Lord sich gewünscht hat", zischte Lucius. Seine Nasenflügel blähten sich, während er sich zu sammeln schien, seine Hände schnell auf Dracos Schultern legte und seine Krawatte zurechtrückte. „Dir wurde befohlen zu bleiben."
Draco schien sich aufzurichten, ohne den Blick seines Vaters zu unterbrechen. Die Wärme seiner Hand brannte sich in die Haut unter ihrem Kleid.
„Von Bellatrix. Die vor einer halben Stunde ihren Posten verlassen hat, um mit den Gefangenen zu spielen." Lucius' Augen blitzten. „Es ist 22:15 Uhr, Vater. Zwei Stunden sind kein Risiko –"
„Und was glaubst du, was passiert, wenn deine Tante dem Dunklen Lord erzählt, dass du deinen Posten verlassen hast, weil du es nicht ertragen konntest, noch einen Moment länger von deiner Schlammblut-Hure getrennt zu sein?"
Draco versteifte sich neben ihr. Sie konnte hören, wie er schluckte, sogar durch das Blut, das in ihren Ohren rauschte.
Lucius' aufgesetztes Lächeln wich nicht, als Draco blinzelte und seine Hand von ihrer Taille nahm. Stattdessen griff er nach ihrem Ellbogen.
Sie spürte eine Kälte in ihrer Brust durch den Verlust.
„Gut", brummte Lucius. „Jetzt hör gut zu, du törichter Junge." Er bürstete imaginäre Fussel von Dracos Jacke. „Du wirst nicht mit ihr verschwinden. Du wirst nicht mit ihr tanzen. Du wirst sie nicht um Mitternacht küssen."
„Vat-"
„Sie ist nicht dein Date." Seine Hand drückte Dracos Schulter. „Sie ist dein Eigentum. Und indem du heute Abend hierhergekommen bist, hast du fünfhundert Leuten einen Grund gegeben, neugierig auf das Geheimnis eurer Beziehung zu sein."
Draco atmete langsam ein. Sie hörte, wie er ausatmete und sah ein leichtes Kopfnicken von ihm. Lucius nahm zwei vorbeifliegende Champagnergläser auf und hielt jedem von ihnen eines hin. Seine Lippen waren immer noch zu einem Lächeln geschwungen, aber seine Augen waren wild und forderten sie fast heraus, zu widersprechen. Hermine blinzelte und nahm schnell das Glas. Sie schloss ihre Finger um den Stiel als wäre es eine Rettungsleine.
„Genießt die Party, Kinder", trällerte Lucius. „Draco, ich erwarte dich um 12:01 Uhr zurück in Zürich."
Und dann verschwand er in der Menge und ließ nur das schwere Gewicht zurück, das er in ihre Brust gelegt hatte. Sie schloss die Augen und versuchte, Luft einzuatmen. Es war der erste Moment, in dem sie Draco seit acht Wochen sah und sie wagte es kaum, ihn anzuschauen. Sie konnte es nicht, ohne sich zu entblößen. Die Hand auf ihrem Ellbogen wurde fester.
„Draco, mein Schatz!" Ihre Augenlider flogen auf und eine große, diamantbesetzte Frau kam auf sie zu. „Du wirst jeden Tag schöner!"
Sie beobachtete, wie er seine Maske wieder aufsetzte, ihren Ellbogen losließ und die Wangen der Frau küsste. „Marie, du siehst hinreißend aus wie immer."
Und so begann das Karussell. Draco schien sich im Kreis zu drehen, während er von allen Seiten von eifrigen Frauen mittleren Alters mit Töchtern im passenden Alter attackiert wurde. Ihre Haut wurde kalt, als sie von einer nach der anderen unterbrochen wurden, manche warteten nicht einmal, bis sie an der Reihe waren.
Hermine stand schweigend an seiner Seite, während die Blicke sie entweder übersprangen oder verächtlich über sie hinweggingen. Draco warf immer wieder einen Blick über die Köpfe der Frauen hinweg zu den geschlossenen Türen in der Mitte des Salons.
„Es tut mir leid, dass ich heute Abend nicht tanze, Mrs Hastings", sagte er und küsste die Hand einer der Frauen. „Aber ich weiß, dass Theo Nott dort drüben dringend eine Partnerin sucht und er wäre verrückt, ein Mädchen abzulehnen, das so hübsch aussieht wie Mary heute Abend. Sie müssen mich entschuldigen –"
„Aber mein Lieber, sicher gibt es eine junge Frau, die du heute Abend begleiten kannst." Ihr Blick huschte mit einer Grimasse zu Hermine hinüber, bevor sie zu ihm zurückkehrte.
„Draco", sagte eine andere stämmige Frau, die sich vorgedrängelt hatte. „Du musst entschuldigen, wenn ich sage, dass es dir in Anbetracht des Anlasses" – sie hob bedeutungsvoll die Brauen – „keinen Gefallen tut, ein Schlammblut am Arm zu haben."
„Stimmt, Mrs Dormer." Draco blickte wieder zu den Türen, während er sich die Haare glättete. „Leider habe ich heute Abend nur Zeit, meine Mutter zu küssen und mein Haustier auszuführen. Aber ich hoffe, die Lage in der Schweiz wird sich bald beruhigen."
Dann zog er sie mit ein paar gemurmelten Entschuldigungen schnell davon und zerrte sie an ihrem Ellbogen durch die Menge. Hermine folgte ihm blindlings und war in ihre Gedanken versunken. Das Gefühl, ihn wiederzusehen, in seiner Nähe zu sein, seinen Duft wieder so nah an sich zu haben – und dann auf Armeslänge gehalten zu werden, während eine Schar von Frauen um seine Aufmerksamkeit buhlte... Es fühlte sich an wie eine stumpfe Klinge, die sie langsam aufschlitzte.
Und es war nicht nur seine Anwesenheit. Es waren die strengen Blicke von Hunderten von Menschen – von denen die Meisten nie geglaubt hatten, dass sie mehr wert war als der Dreck unter ihren Schuhen –, die sie jetzt nur noch als dekorative Unannehmlichkeit betrachteten. Als wäre sie ein hübsches, teures Gemälde, das nicht mehr zu den neuen Möbeln passte.
Edinburgh war anders. So verstörend und erschreckend es auch war, sie besaß dort immer noch eine verdrehte Art von Macht. Sie war sichtbar; sie war wertvoll. Sie erregte Aufmerksamkeit. Aber hier, in Dracos Welt, war sie ein Nichts.
Es gab junge Frauen, die ihn mit einem Wimpernaufschlag und kokettem Lachen begrüßten und noch mehr Damen der Gesellschaft, die ihn drängten, eine Debütantin auf die Tanzfläche zu führen. Er wies sie alle so höflich ab, wie man es von Narcissa Malfoys Sohn erwarten würde. Aber als Hermine stumm und unsichtbar an seiner Seite stand, fragte sie sich, wie lange er sich ihrem Zugriff entziehen konnte.
Wenn sie mit den Tätowierungen keinen Erfolg hatte..., wenn sie weiterhin auf dem Malfoy Anwesen eingesperrt blieb, während sich die Jahre hinzogen, was würde dann aus ihr werden, wenn die Zeit gekommen war, dass Draco den Hof machte? Das wurde eindeutig von ihm erwartet. Und wie könnte man nicht erwarten, dass er heiratet und das Geschlecht der Malfoys mit einem reinblütigen Mädchen weiterführt?
Vielleicht würde sie eines Tages die verrückte Ehefrau sein, die auf dem Dachboden eingesperrt war. Ein schmutziges Geheimnis, eingesperrt in den Mauern des Anwesens. Vielleicht würde sie nachts durch die Gänge schleichen, während Dracos echte Frau tief und fest in ihrem Himmelbett schlief.
Hermine verdrängte ihre dunklen Gedanken und konzentrierte sich auf die Gegenwart. Wenn das alles war, was sie von ihm bekam, würde sie es nehmen. Sie würde die Art und Weise nehmen, in der seine Finger über ihren Ellbogen glitten. Das Gefühl seines Atems an ihrem Ohr, wenn er sich einen Moment Zeit nahm, um seine Nase in ihr Haar zu drücken.
In manchen Gesprächen vergaß er sich und seine Hand glitt über ihre Rippen, warm und fest. Seine Finger krümmten sich um ihre gegenüberliegende Seite, seine Knöchel kitzelten ihren nackten Arm, sein Daumen jagte ihr Schauer über die Haut. Wenn sie mit dem Rücken zur Wand standen, ließ er seine Finger nach oben gleiten und verhedderte sich leicht in ihren Locken, glitt über ihre Schulterblätter und fuhr ihren Hals hinauf, um mit den feinen Haaren zu spielen, die ihr dort zu Berge standen. Ihr wurde schwindelig und benommen von seiner Aufmerksamkeit, ihre Beine pressten sich unter den Hunderten von Tüllschichten zusammen. Als sein Begleiter abgelenkt war, lehnte er sich an ihr Ohr und flüsterte: „Ich habe dich vermisst."
Ihre Lippen zitterten und sie presste die Augen zusammen, um nicht zu weinen. Sie konnte nur nicken, als der ältere Mann sich an Draco wandte und fragte: „Stimmst du nicht zu?" – worauf Draco charmant zustimmte.
Zehn Minuten vor Mitternacht ertönte das Klopfen von Zauberstäben gegen Sektgläser, um einen Toast anzukündigen. Von ihrer Position am anderen Ende des Raumes in der Nähe der Fenster aus beobachtete sie, wie sich eine Welle von Leuten dazu gesellte, die auf ihre Gläser klopften und sich dem Podest zuwandten, das in der Nähe des Kamins aufgebaut war.
Narcissa stieg hinauf und der Applaus von Hunderten ertönte. Sie wirkte einen Verstärkerzauber und begrüßte den Raum mit einem strahlenden Lächeln. „Frohes neues Jahr. Wir freuen uns so sehr, dass ihr hier seid."
Als das Geschnatter im Raum verstummte, erschienen Blaise und ein hübsches, Mädchen mit olivfarbener Haut an ihrer Seite, Theo und ein umwerfendes blondes Mädchen folgten ihnen. Blaise begrüßte Draco mit einem leicht betrunkenen Grinsen. Theo nickte ihm zu und sah ziemlich unglücklich aus.
Alle Augen im Raum waren auf Narcissa gerichtet, als sie ein paar Worte über den Sieg des Dunklen Lords sagte und die Gefallenen ehrte. Es dauerte nicht lange, bis sie Lucius ankündigte.
Die Uhr schlug in wenigen Minuten Mitternacht, und Hermine spürte, wie Draco mit jedem Ticken des Sekundenzeigers von ihr fortgerissen wurde.
Doch dann trat Draco zu den schweren Vorhängen des Salons zurück und zog sie leicht an der Taille. Sie bewegte sich mit ihm, als er eine Falte in den Vorhängen fand und sie aufhielt, damit sie sich hindurchschleichen konnte. Sie blickte zurück und sah einen der schönen Balkone mit Blick auf den Pavillon. Ein Ort, an dem sie allein sein konnten.
„Und mein Sohn, Draco", dröhnte Lucius. „Auf den ich nicht stolzer sein könnte."
Der Vorhang fiel. Seine Hand glitt von ihrer Taille weg. Alle Augen richteten sich auf ihn, und er trat mit einem gezwungenen Lächeln vor.
Lucius verbeugte sich vom anderen Ende des Raumes aus vor ihm, seine Augen funkelten. Mit einer Geste forderte er Draco auf, sich ihm anzuschließen und ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen, bewegte sich Draco rasch durch die Menge. Ein paar Nachzügler warfen ihr einen Blick zu und Blaise trat schweigend vor, um seinen Platz einzunehmen.
„Wir könnten uns nicht mehr geehrt fühlen, dem Dunklen Lord in der Schweiz zu dienen. Mein Sohn hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, die Rebellen niederzuschlagen und die Stellung des Großen Ordens zu sichern." Lucius rüttelte die Menge mit einer Handbewegung auf, als Draco die Treppe zu ihm hinaufstieg.
Die Menge reagierte mit Gebrüll und Jubel, und eine Gruppe junger Frauen in der Nähe kicherte verzückt. Draco schüttelte die Hand seines Vaters und stand aufrecht an seiner Seite, ganz der gehorsame Sohn.
„Leider kann Draco nicht bleiben", sagte Lucius und legte eine feste Hand in Dracos Nacken.
Hermines Brust krampfte sich zusammen. Es waren noch zwei Minuten bis Mitternacht –
„Er wird in der Schweiz zurückerwartet." Lucius nickte verständnisvoll, als die Menge aufstöhnte. „Lasst uns ihn mit dem herzlichsten Dank verabschieden, den wir können, nicht wahr?"
Der Raum brach in Jubel aus.
Dracos Blick fand sie zwischen den Hunderten von Menschen, als ihnen klar wurde, dass sie keine Gelegenheit haben würden, sich zu verabschieden. Er schien nach einem Moment aus seiner Trance zu erwachen und drehte sich um, um Narcissa mit einem festen Lächeln zu küssen. Ihr Atem stockte, als er der Menge zuwinkte und den Saal verließ, um in die Schweiz zurückzukehren. Weg von ihr.
Sie schwankte auf ihren Füßen, aber etwas gab ihr Halt - Blaises Hand auf ihrem Ellbogen.
Die Melodie von Lucius' Stimme schallte durch die Menge, als er von Neuanfängen sprach.
Hermine blinzelte, benommen.
Sie hätte ihm sagen sollen, dass sie ihn auch vermisst hatte. Es könnte das letzte Mal sein, dass sie ihn sah.
Ihre Augen brannten weißglühend, als Lucius die Uhrzeit nannte – weniger als eine Minute vor Mitternacht. Sie ließ ihren Blick über die Menge schweifen, zu wütend, um auf das Podium zu schauen, während Lucius über die Macht des Dunklen Lords und das Jahr der Siege über seine Feinde schwärmte.
Ihre Brust brannte, ihr Blut raste in ihren Adern, als sie an Harry dachte. Ron. Ginny.
Die Menge schwoll an und schwankte und ihr Blick blieb an einem strahlend weißen Leuchtfeuer hängen. Ein Mädchen in einem blendend weißen Kleid, drapiert mit glitzernden Diamanten, ihre Haut durchscheinend und blass. Eine Mähne aus wütenden roten Locken tanzte um ihr Gesicht.
Sie sah genauso aus wie –
„Während ich mit euch auf das neue Jahr anstoße", sagte Lucius, „lasst uns daran denken, warum wir hier sind."
Fünf Sekunden vor Mitternacht. Sie blinzelte ihre Tränen zurück, die Augen verengten sich, mit Blick auf das Mädchen in dem weißen Kleid.
Es stand neben Avery und seine Gesichtszüge waren unverkennbar, als er sich umdrehte.
Hermines Blut wurde zu Eis in ihren Adern.
„Auf die Macht des Dunklen Lords", rief Lucius und hob sein Glas.
Alle hoben der Reihe nach ihre Hand.
Es schlug Mitternacht.
Und während das Feuerwerk im Raum tobte, sah Hermine, wie Ginny Weasley lächelte und mit allen anderen einstimmte:
„Möge er auf ewig herrschen."
Übersetzung von Annelina97 und Goldfisch!
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Vielen Dank fürs Lesen!
