Kapitel 02 - Larsen

Asukas Blick fiel auf Einheit 04, wo gerade zwei Techniker die leicht verklemmte
Luke der Kapsel geöffnet hatten und der Pilot herauskletterte.
Sie sah einmal hin, blinzelte, sah wieder hin.
Der kann doch unmöglich ein EVA-Pilot sein...

Der Pilot trug eine mattgraue Fliegerkombination, auf der Brusttasche prangte der
Schriftzug Lt.Larsen in westeuropäischen Schriftzeichen, dazu kamen schwarze Stie-
fel und Handschuhe.
Er hatte tiefschwarzes, kurzgeschnittenes Haar und eine gesunde Gesichtsfarbe.
Und er war definitiv kein Teenager...

...der ist doch wenigstens so alt wie Kaji...

Larsen streckte sich und strich seine Uniform glatt, dann sah er sich im EVA-Han-
gar um. Sein Blick blieb auf der roten EVA-Einheit-02 hängen, dann setzte er sich
in Bewegung und kam auf dem Laufsteg in Kopfhöhe der EVAs auf Asuka zu.

Der will doch nicht etwa zu mir?
Rasch sah sie sich um. Shinji war noch bei Rei, der gar nicht aufzufallen schien,
daß er zehn Meilen gegen den Wind nach Erbrochenem stank, vielleicht interessierte
es sie aber auch einfach nicht.

"Ich nehme an, du bist die Pilotin des roten EVA, der mir den Hintern gerettet hat,
oder?" fragte Larsen, es war wirklich die Stimme, die Asuka bereits über Interkom
gehört hatte.

"Äh... ja, das ist EVA-02."
Warum werde ich gerade rot? Warum?

Larsen lächelte freundlich und verbeugte sich.
"Dann bin ich dir zu Dank verpfichtet, das Schutzfeld meines EVA hätte die Explosion
aufgrund der Nähe nicht abfangen können."
Er streckte die Hand aus.
"Wolf Larsen, Leutnant der Streitkräfte von New Germany."

Automatisch ergriff sie die Hand.
"Asuka... Asuka Soryu Langley."

"Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen."
Er hatte braune Augen, mit einem Stich ins Rotbraune.

Hm, immerhin hat er Manieren.

"Und das sind die anderen Children?"

Verdammt. Jetzt geht er rüber und Wondergirl stiehlt mir irgendwie die Show.
Trotzdem nickte sie, warum das Offensichtliche verneinen?!

Da erschienen Dr. Akagi und Kommandant Ikari im Ausgang.

"Willkommen in Tokio-03, Larsen", begrüßte Ikari den anderen mit Kälte in der
Stimme - aber das mußte nun wirklich nichts heißen, denn anders konnte Gendo
Ikari wahrscheinlich gar nicht mehr sprechen, außer er gab sich sehr große Mühe.

"Kommandant Ikari." Larsen deutete eine formelle Verbeugung an.

"Lassen Sie den Unfug und folgen Sie mir in den Konferenzraum."

"Sofort, Sir."

Als er Akagi passierte, fragte diese: "Hat EVA-04 irgendwelche Schäden davonge-
tragen?"

"Nichts, was sich nicht von selbst regeneriert."

"Gut, dann kommen Sie nachher zu einer medizinischen Untersuchung vorbei."

"Ich wurde bereits vor meiner Abreise untersucht. Hier ist meine Akte."
Er drückte der Wissenschaftlerin seine medizinischen Unterlagen in die Hand.

"...Danke."
Wo hat er die hergeholt?

"Ist... ist das wirklich der Pilot von EVA-04?" stammelte Shinji.

Rei sagte nichts, blickte Larsen nur hinterher, bis dieser durch die Tür ver-
schwunden war.
Etwas... vertrautes...


***


"Weshalb haben Sie den Befehl zur Kursänderung ignoriert?" fragte Gendo Ikari
mit schneidender Kälte in der Stimme.

"Welchen Befehl, Sir?" erwiderte Larsen mit unbewegtem Gesicht. "Beim Anflug
erhielt wir verzerrte bis unverständliche Mitteilungen, aus denen nur hervor-
ging, daß ein Engel sich auf die Stadt zubewegte.
Angesichts der Tatsache, daß ich extra zu diesem Zweck nach Japan abkommandiert
worden bin, bin ich umgehend in den Einsatz gegangen."

Während Ikari mit zusammengefalteten Händen an seinem Schreibtisch saß, stand
Larsen kerzengerade davor, die Hände an der Hosennaht.

"Sie haben den Befehl also nicht erhalten?!"

"Nein, Sir."
Jedenfalls wurde er nicht aufgezeichnet...

"Hm, gut." Der Kommandant warf dem Neuankömmling einen finsteren Blick über
seine gefalteten Hände hinweg zu. "Einmal will ich es durchgehen lassen. Aber
Ihnen ist bewußt, daß Ihr Verhalten die EVANGELION-Einheit gefährdet hat?!"

"Sir, wenn es darum ginge, dürften die EVAs nicht gegen die Engel ausrücken,
bei allem Respekt, Sir."

"Lassen Sie das militärische Getue, Larsen. Sie sind jetzt bei NERV, nicht mehr
beim PALADIN-Projekt. Ihr Rang ist hier bedeutungslos. Wichtig ist nur, daß Sie
imstande sind, eine EVA-Einheit zu steuern, auch wenn die Umstände recht sonder-
bar sind."

"Ja, Sir."

"Sie können gehen. Major Katsuragi ist der für die Piloten zuständige Offizier,
Sie finden sie in der Zentrale."

"Danke, Sir."
Larsen salutierte und verließ den Raum.


***


Anstelle der Zentrale suchte er den nächsten Waschraum auf, drehte den Hahn auf
und ließ das Wasser laufen.

Kurz darauf betrat eine weitere Person den Raum, es war Ryoji Kaji. Dieser grin-
ste Larsen auf seine patentierte gewinnende Art an.

"Schön, Sie zu sehen, Wolf. Wie war Ihr Flug?"

"Turbulent."

"Wahrscheinlich genauso wie die erste Begegnung mit dem Kommandanten, was?"

Larsen rieb sich die Augen, entfernte im nächsten Moment die braunen Kontaktlin-
sen, sah in den Spiegel, wo ihm zwei rote Augäpfel ohne erkennbare Iris entgegen-
blickten.
"Mit etwas Glück hält er mich für einen eingebildeten Militär und läßt mich in
Ruhe. Auf alle Fälle dürfte ihm klar sein, daß er es nicht mit einem Teenager zu
tun hat, den er problemslos manipulieren kann."

"Es ist einiges passiert, seit wir uns im EVA-Center Hamburg-02 das letzte Mal
über den Weg gelaufen sind."

"Deshalb bin ich hier."

"Wieviele Raben hat ODIN zu Ihrer Unterstützung geschickt?"

"Mit Ihnen?"

"Warum habe ich das Gefühl, daß mir die Antwort nicht gefallen wird...?"

"Mit mir und Ihnen sind wir zu dritt. Mehr Agenten konnten wir nicht abziehen,
ohne Aufsehen zu erregen, Ihr Bericht hat aber für ziemliche Aufregung gesorgt."

"Ja, das muß dann wohl genügen. Wie geht es Ihrer Tochter?"

"Den Umständen entsprechend. Ich fürchte, sie wird dieses Jahr Weihnachten ohne
mich verbringen müssen."
Er streifte den linken Handschuh ab und schüttete sich eine Handvoll Wasser ins
Gesicht.

"Holen Sie sie doch her."

"Nein, zu gefährlich, bei den ganzen Engeln." die letzten Worte flüsterte er leise.
Und man würde sie erkennen. fügte er in Gedanken hinzu.

"Wahrscheinlich haben Sie recht. Geben Sie auf sich acht, Leutnant, schon im Inter-
esse der Kleinen."

"Und Sie auf sich, Kaji. Es könnte sein, daß wir ganz schnell die Sachen packen
müssen."
Er setzte die Kontaktlinsen wieder ein, drehte das Wasser ab, zog den Handschuh
über.
"Wir treffen uns wirklich an den seltsamsten Orten."

"Wenn ich mich richtig erinnere, kletterten Sie das letzte Mal auf einer halbfer-
tigen EVA-Einheit herum..."

"Und bin fast runtergefallen. Wenigstens hatten Sie etwas zum Lachen."

"Ja", Kaji strich sich durchs Haar, reichte Larsen dann die Hand. "Willkommen bei
NERV, falls es noch kein anderer gesagt hat."

"Danke."


***


Misatos Küche, später:

"Misato-san?"

"Hm, Asuka?"

"Warum kann er einen EVA steuern?"

"Wer?"

"Der alte Mann - Larsen."

"Ach so, das ist so eine Sache..."

"Ich dachte, ich meine, man hat uns erzählt, nur Kinder, die im Jahr nach dem
Second Impact geboren wurden, wären imstande, mit einer EVA-Einheit zu synchro-
nisieren."

"Und du meinst, weil er älter ist..."

"Misato, der Mann ist steinalt!"

Misato warf ihr einen fast tödlichen Blick zu.
"Er ist nur ein halbes Jahr älter als ich."
Ich brauche ein Bier...

"Ähm, ja... Also, weshalb kann er einen EVA steuern?"

"Frag ihn besser selbst, es ist etwas recht persönliches."

"Och."
Asuka stand auf, ging zu Shinji hinüber, der mit dem Abwasch beschäftigt war.
"Und warum hast du uns heute so blamiert?"

"Wie-wieso?"

"Naja, dein Sprung von dem Gebäude, im Ansatz ganz nett, in der Ausführung aber
das letzte. Zu vergessen, daß du noch angekabelt warst..."

"Es tut mir leid." Shinji ließ den Kopf hängen, trocknete aber weiter das Geschirr
ab.

Irgendwie konnte Asuka das nicht geniessen, irgendwie tat er ihr sogar leid.
"Ist schon gut. War nicht so gemeint." flüsterte sie, so daß nur Shinji, nicht aber
Misato sie hören könnte, und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

Shinji blinzelte, das nächste Donnerwetter erwartend, das jedoch ausblieb.
Was ist denn mit ihr los?
Dann stahl sich ein zaghaftes Lächeln auf sein Gesicht.


***


Rei stand am Fenster ihres wie immer unaufgeräumten Apartments und blickte zum
Mond hinauf, dabei eine Melodie summend, die ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen
wollte.
Fly me to the moon...

Vor ihren Augen lief noch einmal der heutige Kampf gegen den Engel ab, wie sie ihn
von verschiedenen Seiten angegriffen und er plötzlich das Feuer auf sie konzentriert
hatte.
Ihre EVA-00-Einheit war kurzfristig funktionsunfähig gewesen, für einen endlos lan-
gen Moment war es finster im Entry-Plug gewesen, so finster... und so still...
Für diesen einen Moment hatte sie sich völlig von der Welt abgeschnitten gefühlt,
von den Menschen, für die sie EVA-00 steuerte...

Dann hatte sie die Umwelt durch die Sinne des EVA wieder wahrgenommen, hatte
Shinji verzweifelt ihren Namen rufen hören...
Shinji... er hat sich um mich gesorgt... Ich bedeute ihm etwas...

...war Zeugin seines Angriffes geworden, ohne sich bewegen zu können. Der EVA
sprach nur langsam auf ihre Gedankenbefehle an, ohne die anderen wäre sie ein
gefundenes Fressen für den Engel gewesen.
Warum gefundenes Fressen? Bisher hat noch kein Engel versucht, einen EVA auf-
zufressen...

Schließlich war EVA-04 eingetroffen und hatte EVA-01 Gelegenheit zu einem weite-
ren Angriff angegeben.

Sie hatte den Piloten nur kurz im Hangar gesehen und dann auch nur von hinten, zu
sehr hatte Shinjis Sorge um sie ihr Herz beschäftigt.
Doch da war etwas vertrautes gewesen, eine Reflektion wie aus einem alten Spie-
gel... wie aus einem anderen Leben...

Sie blickte zum Mond hinauf.
Wunderschön...