Kapitel 05 - Süßer die Glocken nie klingen...
Misatos Wohnung
"Weshalb hast du es mir nicht gestern gesagt, Misato?"
"Was?"
"Daß dieser Larsen ein Roboter ist."
"Leutnant Larsen ist kein Roboter, Asuka."
Misato schüttelte den Kopf und trank einen Schluck aus der Dose in ihrer Hand.
Kinder...
Sie wußte schon, weshalb sie selbst keine wollte, selbst wenn es ihr möglich
gewesen wäre.
Zu Anfang sind sie noch klein und niedlich und dann fangen sie an zu brüllen
und dreckzumachen.
"Dieser alte Mann besteht aus mehr Kunststoff als mein alter Teddybär!"
Misato blinzelte, dann setzte etwas bei ihr aus.
*Wham!*
Auf Asukas Wange blieb der Abdruck von
Misatos Hand zurück.
"Du... hast mich... geschlagen... Warum?"
Tränen standen in ihren Augen.
"Weil dieser alte Mann, wie du ihn bezeichnet hast, bereit ist, das letzte bißchen
natürliches Leben, das noch in ihm steckt, für uns andere zu opfern. Asuka, das ist
kein Kinderspiel. Bisher bist du immer ungeschoren davongekommen, deshalb glaubst du
das vielleicht..."
Doch da war der Rotschopf bereits weinend in ihr Zimmer gelaufen. Erst zum Abend
zeigte sie sich wieder, anscheinend normal...
***
Der nächste Tag
"Ich verstehe das nicht." Ritsuko Akagi stützte sich auf der Tischplatte vor ihr ab.
"Nein, ich verstehe das wirklich nicht."
Sie hatten den ganzen Tag über Tests mit dem neuen Piloten durchgeführt, hatten ihn
in jeden der anderen EVAs - sogar in Einheit-02, da Asuka nicht anwesend war, um
zu protestieren - gesteckt, um seine Synchronisation mit den Maschinen zu testen
- vergeblich.
Für die EVA-Einheiten-00, -01 und -02 schien Larsen gar nicht zu existieren, nur
EVA-04 akzeptierte ihn als Piloten.
"Nimm´s nicht so schwer, wenigstens ist keiner der EVAs amokgelaufen und hat das
Test-Zentrum demoliert." sagte Misato und stellte eine Tasse dampfenden Kaffees vor
ihr ab. Auf Ritsukos fragenden Blick versicherte sie, den Kaffee nicht selbst gekocht
zu haben.
"Larsen war ein PALADIN-Pilot..."
"Ja, er hat fast zehn Jahre Erfahrung im Umgang mit Riesenrobotern. Aber weshalb
beträgt die Synchronisationsrate mit EVA-04 fast 100% und bei den anderen nicht
einmal 0%? Die Synapsenverbindungen wurden nicht einmal angesprochen."
"Vielleicht hängt es mit den Implantaten zusammen. EVA-04 konnte sich daran ge-
wöhnen. Oder bei der Konstruktion wurde irgendwo in EVA-04 ein Nervenknoten
falsch plaziert und die Tatsache, daß Larsen mit ihm synchronisieren kann, ist ein
einziger Konstruktionsfehler."
"Glaube ich nicht, EVA-04 ist deutsche Wertarbeit."
"Außer beim Entry-Plug und dessen Luke."
"Die Luke wurde in Frankreich fabriziert." beharrte Ritsuko auf ihrem Standpunkt.
(nichts gegen Frankreich)
"Aber mir juckt es trotzdem in den Fingern, die ganze Einheit auseinanderzunehmen
und jedes Teil einzeln unter die Lupe zu nehmen."
"Und wenn ein Engel auftaucht und alle vier EVAs benötigt werden?"
"Dieser Gedanke ist alles, was zwischen mir und einem Schraubenzieher steht, Misa-
to."
***
Draußen schneite es seit zwei Tagen fast ununterbrochen. Der Verkehr war fast
gänzlich zum Erliegen gekommen, die Räumfahrzeuge waren rund um die Uhr
beschäftigt.
Wenigstens war der Säuregehalt des Schnees nur geringfügig und bei weitem nicht
mehr so hoch wie nach dem Second Impact.
Asuka hatte darauf bestanden, einen seltsam verdrehten Baum in Misatos Wohnzimmer
zu schaffen und ihn mit Lametta zu schmücken. Jetzt schleifte sie Shinji hinter
sich her durch eine überdachte Einkaufspassage auf der Suche nach Weihnachtsge-
schenken - schließlich brauchte frau jemanden, der das ganze Zeug schleppte.
Shinji hatte natürlich kaum eine Ahnung, was es mit diesem seltsamen Fest auf sich
hatte, und selbst wenn, so hätte er sich kaum weihnachtlich gestimmt gefühlt.
Wenigstens war Asuka einigermaßen guter Stimmung, seit gestern trällerte sie irgend-
welche Lieder, die Shinji nicht verstand, er sprach ja auch fast kein Wort deutsch.
Und was es mit Rentieren und dicken Männern, die Ho-Ho sagten, auf sich hatte, wollte
er eigentlich auch nicht genauer erfahren.
Aber immerhin, solange Asuka guter Laune war, hatte er Ruhe...
"Was meinst du, steht mir das?"
Er blickte auf.
Asuka stand vor einem Spiegel und hielt einen langen roten Schal in die Luft, um
seine Farbe mit der ihrer Haare zu vergleichen.
"Äh, ja." Er errötete.
"Gut. Also den... Dann den hier für Misato, der hat die richtige Farbe, oder?"
"..."
"Okay, der müßte Kaji stehen, hm..." Sie warf ihm einen raschen Blick zu, ehe sie
einen weiteren Schal aus dem Haufen zog und auf den Tresen daneben legte.
"Und..., äh, einen für Rei?"
Sie funkelte ihn an. "Spinnst du? Weshalbsollte ich Wondergirl etwas schenken? An-
dererseits... Es ist Weihnachten, das Fest der Liebe..."
Jawohl, Asuka, beweise allen, was für ein großes Herz du hast, indem du auch für
Wondergirl etwas einkaufst.
Ihre Augen leuchteten auf
"...aber welchen?"
"Den hier?" Er deutete auf einen hellblauen Schal.
Sie nickte.
"Dann kommt der auch noch dazu." Sie bezahlte, ließ die Schals einpacken und drück-
te Shinji die Einkaufstasche in die Hand.
"Hast du eigentlich schon etwas für Misato und mich?"
gulp
"Also nicht. In Ordnung, du hast zehn Minuten, ich bin da hinten."
Damit ließ sie Shinji stehen und wandte sich einem anderen Stand zu.
Und nun?
***
Eine Stunde später kehrten die beiden in Misatos Wohnung zurück. Shinji schleppte
zwei Einkaufstüten, deren Inhalte Asuka sorgsam unter dem seltsamen Baum plazierte,
wobei sie es nicht unterlassen konnte, die Päckchen, in denen die von Shinji
eingekauften Geschenke waren, zu schütteln und daran zu horchen.
Immerhin ist mein Paket größer als das für Rei.
Soviel zu Friede, Freude, Eierkuchen und weltweiter Eintracht...
***
Im sonst vor Geschäftigkeit nur so überquellenden EVA-Hangar war es still, als
hätte die Welt den Atem angehalten. Die Lichter an der Decke waren abgeschaltet
und nur ein paar farbige Leuchten wiesen dem Eindringling den Weg.
Er huschte an den stillstehenden EVA-Einheiten-01 und -02 vorbei auf EVA-04 zu,
sah sich schnell noch einmal um, ehe er am Gerüst des Aufzuges an einer Service-
Leiter bis zur Mittel-sektion des EVAs hinaufkletterte, sich dort auf einen Träger
schwang und auf diesem entlangbalancierte, bis er direkt vor dem Bauch des EVANGE-
LIONs stand.
Seine suchenden Hände fanden rasch den Öffnungsmechanismus einer Wartungsluke,
etwas, was keiner der anderen EVAs hatte, und schoben diese auf.
Der Eindringling verschwand im Inneren der EVA-Einheit, kam kurz darauf mit ei-
ner Tasche in der Hand wieder zum Vorschein, schloß die Luke hinter sich und
kehrte auf demselben Weg zum Eingang zurück, wie er hereingekommen war.
Neben dem Zugangsschott stand Kaji und blickte nervös den Korridor hinunter.
"Na, endlich, das hat ja eine Ewigkeit gedauert."
"Das kam Ihnen nur so vor. Schalten Sie die Kameras wieder ein."
Kaji zog die Fernsteuerung aus der Tasche und tat wie ihm geheißen.
"Was haben Sie überhaupt geholt?"
Larsen lachte.
"Mein Proviantpaket."
Kajis Unterkiefer fiel herab.
"Und deshalb gehen wir dieses Risiko ein?"
"Ich mußte wissen, ob es funktioniert. Mit dem Lunchpaket unter´m Arm erwischt
zu werden, wäre weitaus weniger schlimm gewesen, als mit dem anderen Kram."
"Puh... Hat es sich wenigstens gelohnt?"
"Denke schon. Um keinen Preis der Welt esse ich morgen wieder Instant-Nudelsup-
pe. Gänsebraten, Klöße und...hm, Zeugs, natürlich aus der Konserve, aber besser als
nichts. Wollen Sie nicht zu mir ´rüber kommen und mitessen?"
"Nein, danke, ich bin morgen abend mit Misato verabredet."
"Mit dem Major, hm... Falls Sie kein passendes Lokal finden, kommen Sie trotzdem
´rüber, reicht auch für drei, ich esse nicht gern allein."
Kaji grinste verschmitzt.
"Wir haben noch mehr vor."
(Der eine oder andere Leser kämpfte gegen plötzliches Nasenbluten an.)
"Verstehe. Viel Spaß."
***
Der nächste Tag, Misatos Apartment
Draußen war es bereits dunkel, der seltsam anzusehende Baum im Wohnraum war zu-
sätzlich noch mit einer Lichterkette geschmückt worden und Misato hatte sich ei-
ne Tannennadel eingetreten, weshalb sie darüber schimpfte, daheim plötzlich auf
den Boden achten zu müssen.
Sogar Rei war hinübergekommen, nachdem Shinji am Nachmittag in ihrem Apartment
aufgetaucht war, wie immer etwas aufgeräumt und sie dann gefragt hatte, ob sie
nicht Lust hätte, an Asukas seltsamer Feier teilzunehmen.
Zu seiner eigenen Überraschung hatte Rei ohne zu Zögern zugestimmt.
Aber nur, weil du mich gefragt hast, Shinji...
Schließlich tauchte auch Kaji auf, die Tatsache, daß er Misato vor aller Augen ei-
nen Kuß auf die Wange drückte, den anderen - und auch ihr - nur kurz wuschelnd mit
der Hand durch´s Haar fuhr, verdarb Asuka um ein Haar die Stimmung, aber nur um ein
Haar. Irgendwie wunderte sie sich selbst über das Ausmaß ihrer Selbstkontrolle.
Und Wondergirls Frisur liegt danach perfekt wie immer... seufz
Sie plazierte die anderen im Halbkreis um den Baum herum, der sich gefährlich
zur Seite zu neigen begonnen hatte, griff nach den Päckchen, die sie eingekauft hatte,
und begann mit der Verteilung - natürlich war in jedem ein Schal, aber sie hatte sich
bei der Auswahl große Mühe gegeben.
"Shinji..."
"Uhm, danke."
"Misato..."
"Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen."
"Rei..."
"Oh."
"Und Kaji!" Als sie das letzte Paket überreichte, hätte nur ein Fanfarenstoß gefehlt,
um das Bild perfekt zu machen.
Sie machten sich ans Auspacken.
Shinji wußte ja schon, was drinnen war, hielt es aber dennoch für nötig, ein freudig
überraschtes Gesicht zu machen.
Misato freute sich sichtlich.
Kaji warf sich sein Geschenk sogleich um die Schultern.
"Genau das habe ich mir gewünscht! Vielen Dank!"
Rei hatte ihr Päckchen derart vorsichtig geöffnet, daß man das Papier hätte wiederver-
wenden können. Jetzt hielt sie den hellblauen Schal in Händen.
"Oh."
Kein monotones ´oh´, sondern ein recht erfreutes ´oh´.
Asuka hielt den Atem an.
Nur ein ´oh´? Argh!
"Der ist wunderschön. Danke, Asuka."
Diese atmete aus, blinzelte, lächelte.
"Gern gesehen."
Täusche ich mich, oder lächelt Wondergirl?
Jetzt war es an Shinji, seine Geschenke zu überreichen.
Kaji packte eine Multifunktionsgartenschere aus.
"Ha, Shinji, ihr denkt ja alle mit!"
Was für ein langweiliges Geschenk, kommentierte Asuka in Gedanken.
Misato erhielt eine Packung angeblich bruchsicherer Gläser - nach ihrer letzten
Sauftour hatte sie das Regal mit einer unbedachten Handbewegung leergeräumt.
"Danke!"
Asuka fand in ihrem Päckchen zwei neue rote Haarspangen mit silbernen Streifen
vor.
Woher hat er gewußt, daß ich eine neue brauche?
Rei war noch damit beschäftigt, ihr Paket mit äußerster Vorsicht zu öffnen, als
plötzlich bei allen außer Kaji die Pieper ansprachen und Weihnachten wegen Angriffs
eines Engels vorläufig abgesagt wurde.
Misatos Wohnung
"Weshalb hast du es mir nicht gestern gesagt, Misato?"
"Was?"
"Daß dieser Larsen ein Roboter ist."
"Leutnant Larsen ist kein Roboter, Asuka."
Misato schüttelte den Kopf und trank einen Schluck aus der Dose in ihrer Hand.
Kinder...
Sie wußte schon, weshalb sie selbst keine wollte, selbst wenn es ihr möglich
gewesen wäre.
Zu Anfang sind sie noch klein und niedlich und dann fangen sie an zu brüllen
und dreckzumachen.
"Dieser alte Mann besteht aus mehr Kunststoff als mein alter Teddybär!"
Misato blinzelte, dann setzte etwas bei ihr aus.
*Wham!*
Auf Asukas Wange blieb der Abdruck von
Misatos Hand zurück.
"Du... hast mich... geschlagen... Warum?"
Tränen standen in ihren Augen.
"Weil dieser alte Mann, wie du ihn bezeichnet hast, bereit ist, das letzte bißchen
natürliches Leben, das noch in ihm steckt, für uns andere zu opfern. Asuka, das ist
kein Kinderspiel. Bisher bist du immer ungeschoren davongekommen, deshalb glaubst du
das vielleicht..."
Doch da war der Rotschopf bereits weinend in ihr Zimmer gelaufen. Erst zum Abend
zeigte sie sich wieder, anscheinend normal...
***
Der nächste Tag
"Ich verstehe das nicht." Ritsuko Akagi stützte sich auf der Tischplatte vor ihr ab.
"Nein, ich verstehe das wirklich nicht."
Sie hatten den ganzen Tag über Tests mit dem neuen Piloten durchgeführt, hatten ihn
in jeden der anderen EVAs - sogar in Einheit-02, da Asuka nicht anwesend war, um
zu protestieren - gesteckt, um seine Synchronisation mit den Maschinen zu testen
- vergeblich.
Für die EVA-Einheiten-00, -01 und -02 schien Larsen gar nicht zu existieren, nur
EVA-04 akzeptierte ihn als Piloten.
"Nimm´s nicht so schwer, wenigstens ist keiner der EVAs amokgelaufen und hat das
Test-Zentrum demoliert." sagte Misato und stellte eine Tasse dampfenden Kaffees vor
ihr ab. Auf Ritsukos fragenden Blick versicherte sie, den Kaffee nicht selbst gekocht
zu haben.
"Larsen war ein PALADIN-Pilot..."
"Ja, er hat fast zehn Jahre Erfahrung im Umgang mit Riesenrobotern. Aber weshalb
beträgt die Synchronisationsrate mit EVA-04 fast 100% und bei den anderen nicht
einmal 0%? Die Synapsenverbindungen wurden nicht einmal angesprochen."
"Vielleicht hängt es mit den Implantaten zusammen. EVA-04 konnte sich daran ge-
wöhnen. Oder bei der Konstruktion wurde irgendwo in EVA-04 ein Nervenknoten
falsch plaziert und die Tatsache, daß Larsen mit ihm synchronisieren kann, ist ein
einziger Konstruktionsfehler."
"Glaube ich nicht, EVA-04 ist deutsche Wertarbeit."
"Außer beim Entry-Plug und dessen Luke."
"Die Luke wurde in Frankreich fabriziert." beharrte Ritsuko auf ihrem Standpunkt.
(nichts gegen Frankreich)
"Aber mir juckt es trotzdem in den Fingern, die ganze Einheit auseinanderzunehmen
und jedes Teil einzeln unter die Lupe zu nehmen."
"Und wenn ein Engel auftaucht und alle vier EVAs benötigt werden?"
"Dieser Gedanke ist alles, was zwischen mir und einem Schraubenzieher steht, Misa-
to."
***
Draußen schneite es seit zwei Tagen fast ununterbrochen. Der Verkehr war fast
gänzlich zum Erliegen gekommen, die Räumfahrzeuge waren rund um die Uhr
beschäftigt.
Wenigstens war der Säuregehalt des Schnees nur geringfügig und bei weitem nicht
mehr so hoch wie nach dem Second Impact.
Asuka hatte darauf bestanden, einen seltsam verdrehten Baum in Misatos Wohnzimmer
zu schaffen und ihn mit Lametta zu schmücken. Jetzt schleifte sie Shinji hinter
sich her durch eine überdachte Einkaufspassage auf der Suche nach Weihnachtsge-
schenken - schließlich brauchte frau jemanden, der das ganze Zeug schleppte.
Shinji hatte natürlich kaum eine Ahnung, was es mit diesem seltsamen Fest auf sich
hatte, und selbst wenn, so hätte er sich kaum weihnachtlich gestimmt gefühlt.
Wenigstens war Asuka einigermaßen guter Stimmung, seit gestern trällerte sie irgend-
welche Lieder, die Shinji nicht verstand, er sprach ja auch fast kein Wort deutsch.
Und was es mit Rentieren und dicken Männern, die Ho-Ho sagten, auf sich hatte, wollte
er eigentlich auch nicht genauer erfahren.
Aber immerhin, solange Asuka guter Laune war, hatte er Ruhe...
"Was meinst du, steht mir das?"
Er blickte auf.
Asuka stand vor einem Spiegel und hielt einen langen roten Schal in die Luft, um
seine Farbe mit der ihrer Haare zu vergleichen.
"Äh, ja." Er errötete.
"Gut. Also den... Dann den hier für Misato, der hat die richtige Farbe, oder?"
"..."
"Okay, der müßte Kaji stehen, hm..." Sie warf ihm einen raschen Blick zu, ehe sie
einen weiteren Schal aus dem Haufen zog und auf den Tresen daneben legte.
"Und..., äh, einen für Rei?"
Sie funkelte ihn an. "Spinnst du? Weshalbsollte ich Wondergirl etwas schenken? An-
dererseits... Es ist Weihnachten, das Fest der Liebe..."
Jawohl, Asuka, beweise allen, was für ein großes Herz du hast, indem du auch für
Wondergirl etwas einkaufst.
Ihre Augen leuchteten auf
"...aber welchen?"
"Den hier?" Er deutete auf einen hellblauen Schal.
Sie nickte.
"Dann kommt der auch noch dazu." Sie bezahlte, ließ die Schals einpacken und drück-
te Shinji die Einkaufstasche in die Hand.
"Hast du eigentlich schon etwas für Misato und mich?"
gulp
"Also nicht. In Ordnung, du hast zehn Minuten, ich bin da hinten."
Damit ließ sie Shinji stehen und wandte sich einem anderen Stand zu.
Und nun?
***
Eine Stunde später kehrten die beiden in Misatos Wohnung zurück. Shinji schleppte
zwei Einkaufstüten, deren Inhalte Asuka sorgsam unter dem seltsamen Baum plazierte,
wobei sie es nicht unterlassen konnte, die Päckchen, in denen die von Shinji
eingekauften Geschenke waren, zu schütteln und daran zu horchen.
Immerhin ist mein Paket größer als das für Rei.
Soviel zu Friede, Freude, Eierkuchen und weltweiter Eintracht...
***
Im sonst vor Geschäftigkeit nur so überquellenden EVA-Hangar war es still, als
hätte die Welt den Atem angehalten. Die Lichter an der Decke waren abgeschaltet
und nur ein paar farbige Leuchten wiesen dem Eindringling den Weg.
Er huschte an den stillstehenden EVA-Einheiten-01 und -02 vorbei auf EVA-04 zu,
sah sich schnell noch einmal um, ehe er am Gerüst des Aufzuges an einer Service-
Leiter bis zur Mittel-sektion des EVAs hinaufkletterte, sich dort auf einen Träger
schwang und auf diesem entlangbalancierte, bis er direkt vor dem Bauch des EVANGE-
LIONs stand.
Seine suchenden Hände fanden rasch den Öffnungsmechanismus einer Wartungsluke,
etwas, was keiner der anderen EVAs hatte, und schoben diese auf.
Der Eindringling verschwand im Inneren der EVA-Einheit, kam kurz darauf mit ei-
ner Tasche in der Hand wieder zum Vorschein, schloß die Luke hinter sich und
kehrte auf demselben Weg zum Eingang zurück, wie er hereingekommen war.
Neben dem Zugangsschott stand Kaji und blickte nervös den Korridor hinunter.
"Na, endlich, das hat ja eine Ewigkeit gedauert."
"Das kam Ihnen nur so vor. Schalten Sie die Kameras wieder ein."
Kaji zog die Fernsteuerung aus der Tasche und tat wie ihm geheißen.
"Was haben Sie überhaupt geholt?"
Larsen lachte.
"Mein Proviantpaket."
Kajis Unterkiefer fiel herab.
"Und deshalb gehen wir dieses Risiko ein?"
"Ich mußte wissen, ob es funktioniert. Mit dem Lunchpaket unter´m Arm erwischt
zu werden, wäre weitaus weniger schlimm gewesen, als mit dem anderen Kram."
"Puh... Hat es sich wenigstens gelohnt?"
"Denke schon. Um keinen Preis der Welt esse ich morgen wieder Instant-Nudelsup-
pe. Gänsebraten, Klöße und...hm, Zeugs, natürlich aus der Konserve, aber besser als
nichts. Wollen Sie nicht zu mir ´rüber kommen und mitessen?"
"Nein, danke, ich bin morgen abend mit Misato verabredet."
"Mit dem Major, hm... Falls Sie kein passendes Lokal finden, kommen Sie trotzdem
´rüber, reicht auch für drei, ich esse nicht gern allein."
Kaji grinste verschmitzt.
"Wir haben noch mehr vor."
(Der eine oder andere Leser kämpfte gegen plötzliches Nasenbluten an.)
"Verstehe. Viel Spaß."
***
Der nächste Tag, Misatos Apartment
Draußen war es bereits dunkel, der seltsam anzusehende Baum im Wohnraum war zu-
sätzlich noch mit einer Lichterkette geschmückt worden und Misato hatte sich ei-
ne Tannennadel eingetreten, weshalb sie darüber schimpfte, daheim plötzlich auf
den Boden achten zu müssen.
Sogar Rei war hinübergekommen, nachdem Shinji am Nachmittag in ihrem Apartment
aufgetaucht war, wie immer etwas aufgeräumt und sie dann gefragt hatte, ob sie
nicht Lust hätte, an Asukas seltsamer Feier teilzunehmen.
Zu seiner eigenen Überraschung hatte Rei ohne zu Zögern zugestimmt.
Aber nur, weil du mich gefragt hast, Shinji...
Schließlich tauchte auch Kaji auf, die Tatsache, daß er Misato vor aller Augen ei-
nen Kuß auf die Wange drückte, den anderen - und auch ihr - nur kurz wuschelnd mit
der Hand durch´s Haar fuhr, verdarb Asuka um ein Haar die Stimmung, aber nur um ein
Haar. Irgendwie wunderte sie sich selbst über das Ausmaß ihrer Selbstkontrolle.
Und Wondergirls Frisur liegt danach perfekt wie immer... seufz
Sie plazierte die anderen im Halbkreis um den Baum herum, der sich gefährlich
zur Seite zu neigen begonnen hatte, griff nach den Päckchen, die sie eingekauft hatte,
und begann mit der Verteilung - natürlich war in jedem ein Schal, aber sie hatte sich
bei der Auswahl große Mühe gegeben.
"Shinji..."
"Uhm, danke."
"Misato..."
"Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen."
"Rei..."
"Oh."
"Und Kaji!" Als sie das letzte Paket überreichte, hätte nur ein Fanfarenstoß gefehlt,
um das Bild perfekt zu machen.
Sie machten sich ans Auspacken.
Shinji wußte ja schon, was drinnen war, hielt es aber dennoch für nötig, ein freudig
überraschtes Gesicht zu machen.
Misato freute sich sichtlich.
Kaji warf sich sein Geschenk sogleich um die Schultern.
"Genau das habe ich mir gewünscht! Vielen Dank!"
Rei hatte ihr Päckchen derart vorsichtig geöffnet, daß man das Papier hätte wiederver-
wenden können. Jetzt hielt sie den hellblauen Schal in Händen.
"Oh."
Kein monotones ´oh´, sondern ein recht erfreutes ´oh´.
Asuka hielt den Atem an.
Nur ein ´oh´? Argh!
"Der ist wunderschön. Danke, Asuka."
Diese atmete aus, blinzelte, lächelte.
"Gern gesehen."
Täusche ich mich, oder lächelt Wondergirl?
Jetzt war es an Shinji, seine Geschenke zu überreichen.
Kaji packte eine Multifunktionsgartenschere aus.
"Ha, Shinji, ihr denkt ja alle mit!"
Was für ein langweiliges Geschenk, kommentierte Asuka in Gedanken.
Misato erhielt eine Packung angeblich bruchsicherer Gläser - nach ihrer letzten
Sauftour hatte sie das Regal mit einer unbedachten Handbewegung leergeräumt.
"Danke!"
Asuka fand in ihrem Päckchen zwei neue rote Haarspangen mit silbernen Streifen
vor.
Woher hat er gewußt, daß ich eine neue brauche?
Rei war noch damit beschäftigt, ihr Paket mit äußerster Vorsicht zu öffnen, als
plötzlich bei allen außer Kaji die Pieper ansprachen und Weihnachten wegen Angriffs
eines Engels vorläufig abgesagt wurde.
