Kapitel 02 - Die Leiden des jungen Ikari
Misatos Apartment:
Shinji hockte an dem schmalen Schreibtisch unter dem Fenster seines Zimmers, Kopfhörer auf
den Ohren, und machte Hausaufgaben.
Auf dem Bett neben dem Schreibtisch lag ein Papierstapel, der zweifingerdick war, größten-
teils Materialien, die er durchlesen mußte, der Lehrer schien immer dann verstärkt Hausauf-
gaben aufzugeben, wenn die Mehrheit der Schüler von seinem Unterricht fernblieb.
Die Englischaufgaben hatte er bereits erledigt, jetzt kaute er an den Physikhausaufgaben
herum. Physik war noch nie sein Fach gewesen, ihm reichte es zu wissen, daß Gegenstände in
der Regel nach unten fielen, er wollte gar nicht wissen, warum.
Es klingelte an der Tür.
Shinji war kein Freund lauter Musik, er benutzte die Kopfhörer vielmehr, um sich gegenüber
der restlichen Welt abzuschotten, aber die Türklingel dran mühelos an sein Ohr.
Seufzend schob er die Physikaufgaben zur Seite und stand auf. Ob das die Überraschung war,
die Misato am Telephon angekündigt hatte?
Sein Verhältnis zu Überraschungen war ziemlich gespalten, einerseits gab es angenehme Über-
raschungen, das wußte auch er, doch die Überraschungen, mit denen er es in der Regel zu tun
bekam, hatten in letzter Zeit für seinen Geschmack viel zu oft mit einem gewissen purpur-
grünen Reisenroboter namens EVANGELION-Einheit-01 zu tun.
Er schlurfte zu Tür, ihm fehlte der Elan, auch nur die Füße vernünftig zu heben, öffnete
sie mit den Fingerspitze, damit seine verbundenen Handflächen nicht mit der Klinke in Be-
rührung kamen, seine Verletzungen schmerzten immer noch, in Gedanken sah er sich weiße
Handschuhe wie sein Vater tragen und erschauderte bei dem Bild.
Im Treppenhaus standen zwei Männer mit mehreren Kisten.
"Ja?" fragte der Junge vorsichtig.
"Wohnt hier..." einer der Männer sah auf seinen Klemmblock, "Misato Katsuragi?"
"Ja."
"Gut, wir haben hier eine Lieferung im Auftrag des NERV-Quartiermeisters, wo können wir
das Zeug hinbringen?"
Er hatte keine Ahnung, was sich in den Kisten befinden konnte, wenn es jedoch mit Misatos
Überraschung in Verbindung stand, hatte er kein Problem damit - EVA-01 paßte denitiv nicht
in die Kisten.
"Äh, nach da hinten."
Er deutete auf die Tür des Raumes am Ende des Ganges, den Misato bisher benutzt hatte, um
dort ihre Umzugskartons und allerlei anderes Zeug zu stapeln. Er hatte nach ihrem Anruf
den Raum größtenteils ausgeräumt und die Kartons teilweise in den kleine Kellerraum, den
Misato mit der Wohnung gemietet hatte, geschleppt, teilweise quer durch die übrige Wohnung
verteilt.
Die beiden Männer schleppten die ominösen Kisten und einen großen Karton in den zugewiese-
nen Raum, ließen sich die Lieferung dann quittieren und zur Sicherheit Shinjis NERV-Ausweis
vorzeigen.
Er schloß die Tür wieder, ging dann zu dem Raum, dessen Tür seiner eigenen gegenüberlag,
sah hinein.
Der Karton stand in der Mitte des Zimmers, die Kisten standen an den Wänden.
"Hm, was da wohl drin ist... in der in der Ecke könnte ein Bett sein, der Form nach... und
die dort..."
Er schüttelte den Kopf.
"Klar, als ob wir noch mehr Möbel brauchen würden..."
Er kehrte in sein Zimmer zurück, zurück zu seinem SDAT-Player und den Physikaufgaben...
***
"Ich bin zurück!" rief Misato, als sie den Wohnungskorridor betrat.
Shinji stand in der Küche und bereitete das Abendessen zu.
"Essen ist gleich fertig." rief er, ohne sich umzudrehen.
Sie drehte sich um, winkte ihrer Begleiterin zu.
"Komm ruhig ´rein, schließlich wirst du die nächsten Tage hier wohnen."
Rei sah sie fragend an, trat dann über die Schwelle.
"Ja, Captain."
"Ah, sag Misato zu mir, wir sind nicht im Dienst, kein Grund also für Förmlichkeiten."
"Ja, Cap..."
Misato zog die Augenbrauen hoch.
"...Misato-san."
Rei streifte ihre Schuhe ab.
Im ersten Augenblick wollte Misato ihren Unmut darüber äußern, daß sie sich bei Reis Anrede
alt fühlte, lächelte dann aber und entschied sich zu schweigen. Nichts sollte übereilt wer-
den.
"Na also. - Shinji?"
Der Junge nahm die Kopfhörer ab.
"Ja?"
"Ist das Zeug schon gekommen?"
"Kisten und ein Karton? - Ja."
"Gut. Was machst du denn feines?"
"Nudeln, Gemüse... was im Kühlschrank war."
Sie sollte es eigentlich wissen, schließlich hatte sie am Vortag eingekauft.
"Ah."
Misato kam in die Küche und checkte ihren Biervorrat, nickte zufrieden und nahm sich eine
Dose.
"Wir haben einen Gast."
"Was? Wen?"
Shinji drehte sich neugierig um.
Rei stand mit ausdrucklosem Gesicht im Durchgang vom Korridor zur Küche.
"Oh, Ayanami", entfuhr es ihm überrascht.
"Hallo, Ikari-kun."
Sie musterte ihn von oben bis unten, fragte sich einen Moment lang, ob sie etwas über die
rosa Schürze mit der Aufschrift ´Chefkoch´ sagen sollte, die er trug, oder über das Essen,
welches auf dem Herd kochte.
"Uhm, wurdest du heute entlassen?"
Eigentlich war das offensichtlich, doch etwas besseres fiel ihm nicht ein.
"Ja."
"Shinji, Rei wird die nächsten Tage hier bleiben, um sich etwas zu erholen. Glaubst du, daß
wir entsprechend eingerichtet sind?"
"Ah... Sie wird hierbleiben? Uhm... dann muß ich noch einkaufen gehen..."
Da war er wieder, der Drang sich abzusetzen, kaum daß er mit einer neuen Situation konfron-
tiert wurde.
"Das hat Zeit. - Komm, Rei, ich zeige dir dein Zimmer."
"Ja, Ca... Misato-san."
Shinji blickte ihnen hinterher, erinnerte sich dann an sein Essen und wandte sich wieder
dem Herd zu.
"Sie bleibt hier..."
Er wußte nicht, ob er sich darüber freuen, oder Panik bekommen sollte.
***
Rei saß schweigend am Eßtisch, während Misato schon bei ihrem zweiten Bier war. Shinji
stellte die Schüsseln mit dem dampfenden Essen in die Tischmitte, klopfte gegen die Tür des
zweiten Kühlschrankes und setzte sich an den Tisch.
Einen Moment lang herrschte peinliches Schweigen, dann griff Misato zu Shinjis Erleichte-
rung nach der ersten Schüssel und stellte sie Rei vor die Nase.
"Greif zu!"
"Ja."
Die Kühlschranktür wurde von innen geöffnet und Pen-Pen watschelte heraus.
"Wark!"
"Ha, komm ´rüber!" rief Misato. "Rei, das ist Pen-Pen."
"Ein Warmwasserpinguin." stellte das blauhaarige Mädchen fest, als wäre es das natürlich-
ste auf der Welt, vielleicht war es das auch für sie.
"Wark!" wurde sie von dem Pinguin begrüßt, ehe dieser sich an der freien Seite des Tisches
niederließ und Shinji seinen Napf hinschob.
"Wark!"
Shinji füllte den Napf wie geheißen.
"Ja, dann: Guten Appetit!" rief Misato, leerte ihre Bierdose in einem Zug und griff schon
nach der nächsten.
Rei stocherte in ihrem Essen herum. Shinji beobachtete das ganze, fragte sich, ob sie es
nicht mochte, oder ob es ihm vielleicht mißlungen war, und sie aus Höflichkeit schwieg;
schließlich waren weder Misato noch PenPen wirkliche Feinschmecker, sondern durch Misatos
Küche eher abgehärtet. Anfänglich wider-strebte es ihm, sie darauf anzusprechen, doch dann
überwogen seine Sorgen, ihr könnte das Essen vielleicht nicht bekommen.
"Ayanami, stimmt etwas nicht mit dem Essen?" fragte er leise.
"Nein... Aber ich esse kein Fleisch."
"Ach... das wußte ich nicht. Tut mir leid."
"Das muß es nicht, du wußtest es schließlich nicht."
"Ich werde künftig daran denken - das heißt, wenn du länger bleibst."
"Ich soll mich von den Folgen des Kampfes gegen Ramiel erholen."
"Soll? Bei dir klingt es wie ein Befehl."
"Kommandant Ikari hat es mir befohlen."
"Vater... Wie kann man jemandem befehlen, sich zu erholen?"
Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit.
"..."
"Uhm... hier, nimm dir noch etwas von dem Gemüse, da ist wirklich kein Fleisch drin."
Stumm nahm sie die Schüssel entgegen.
Wieder senkte sich Schweigen über den Tisch, nur unterbrochen von Pen-Pens Schmatzen und
den gluckernden Geräuschen, die Misato produzierte.
"Du kochst gut", sagte Rei plötzlich.
Shinji wurde rot, ohne es zu wollen.
"D-danke", stammelte er. "Uhm... Aber du kannst sicher auch gut kochen."
"Nein."
"Nein? Ah... Aber du bist doch ein..."
´Mädchen´, hatte er sagen wollen, dann war ihm eingefallen, daß Misato demselben Geschlecht
angehörte wie Rei - und Misato konnte sogar Wasser anbrennen lassen.
"Ich habe es nie gelernt."
"Hm... Uhm... tut mir..."
Unwillkürlich lag ihm seine Standardentschuldigung auf der Zunge, doch dann schluckte er
die Worte hinunter. "Ahm... ich könnte es dir zeigen, ich meine, ah, ein paar einfache Din-
ge... aber nur, wenn du willst..."
Wieder sprudelte es aus ihm heraus, ohne daß er sich die Worte vorher überlegt hatte, wie
gewöhnlich in ihrer Gegenwart. Und gewöhnlich verspürte er in ihrer Gegenwart eine seltsame
Mischung aus dem Wunsch fortzulaufen, dem Bedürfnis, ihr näherzukommen, und der Angst, zu-
rückgewiesen zu werden.
"Gern."
"Hui, du Casa... Casa... Casanova..." lachte Misato sichtlich angeheitert und schlug ihm
auf die Schulter.
Shinjis Gesicht nahm eine krebsrote Farbe an, es war ihm sehr peinlich. Er sah Rei flehend
an.
"Gib bitte nichts auf ihre Worte."
"Captain Katsuragi ist angetrunken", stellte Rei sachlich fest.
"Wark!" stimmte der Pinguin ihr zu - und leerte seine eigene Bierdose.
"Isch bin nicht anjetrun... ange... anjetrunken!" protestierte Misato. "Ah... Vielleicht
etwasch anjeheitert... aber nicht anjetrunken, klar? Wirklich jutes Esschen, Shinschi."
"Ah..."
Unbewußt öffnete und schoß er unter dem Tisch die Faust. Nur sein Vorsatz, daß Rei ihn
nicht länger für einen Feigling halten sollte, ließ ihn am Tisch ausharren.
"Shinschi, kannscht du Rei beim Auschpacken helfen? In den Kischten schind Möbel... schie
stehen schon an... Jort und Schtelle. Ihr schwei kriecht dasch schon hin..."
Und damit verzog sie sich in ihr Schlafzimmer und ließ die beiden allein. Die Aufregung
aufgrund des Gespräches mit dem Kommandanten forderte ihren Tribut...
Shinji sah Rei entschuldigend an.
"Normalerweise... Sie muß ziemlichen Streß gehabt haben... Ah..."
Seine Bemühungen, Misatos Verhalten zu rechtfertigen, klangen nicht einmal in seinen eige-
nen Ohren überzeugend.
"Schon gut."
"Nun... uhm... schön, daß du hier bist."
Sie blinzelte.
"Warum sagst du das?"
"Weil... na, weil ich mich...uhm... freue, daß du hier bist."
"Wirklich?"
"Ja."
"Das hat noch niemand zu mir gesagt."
"Niemand? Und deine Eltern?"
Sie sah nach unten.
"Ich habe keine Eltern."
"Ich... ah... tut mir leid..."
Er erinnerte sich, daß Ritsuko ihm erzählt hatte, daß Reis Eltern gestorben waren, als sie
noch ganz klein gewesen war.
Hastig räumte er das Geschirr zusammen und trug es zur Spüle, dabei fieberhaft nach Worten
suchend..
"Es ist gut."
"Danke. Ja... Dann, ah, wollen wir doch mal sehen, was man für dich, ah, gebracht hat."
Er war froh, daß sie bereit war, das Thema fallenzulassen.
"Ja."
***
Die Kisten enthielten tatsächlich die Möbel, die Shinji bereits in ihnen vermutet hatte.
Nachdem Rei ihm geholfen hatte, das System zu erkennen, wie man die Kisten auch ohne eine
Brechstange oder ähnliches öffnen konnte, war bald darauf das meiste ausgepackt.
"Ayanami, es ist schon spät... und bis wir das alles aufgestellt haben... laß es uns morgen
fertigmachen, ja? Du kannst in meinem Zimmer schlafen."
Sie sah ihn an.
Er hob die Hände, erinnerte sich an den Zwischenfall in ihrem Apartment.
"Ah,... ich schlafe natürlich auf der Couch im Wohnzimmer, nicht daß du denkst, ich...
uhm..."
"Ich vertraue dir."
Shinji blickte sie überrascht an. Es war das erste Mal, daß jemand soetwas zu ihm gesagt
hatte. Hatte sie denn vergessen, was für ein Feigling er war? Konnte - durfte - man einem
Feigling vertrauen? Durfte man ihm vertrauen?
"Ja?"
"Natürlich. Vertraust du mir nicht?"
"Doch", erwiderte er leise. "Wie könnte ich dir nicht vertrauen, nach dem was du getan
hast?"
***
Vorsichtig ließ Rei sich auf Shinjis Bett nieder und sah sich um.
Auf dem Schreibtisch neben dem Bett lag ein Stapel Papier, sie warf einen Blick auf das
oberste Blatt.
"Physik... falscher Ansatz... viel zu umständlich..." murmelte sie, als sie Shinjis Lösung
der Aufgabe begutachtete.
In der Ecke stand ein Wäschekorb, über den Rand des Korbes hing eines von Shinjis Hemden.
Rei blickte zum Wecker auf der Tischkante. Es war wirklich spät geworden.
Sie zog sich aus, legte ihre Sachen auf den Stuhl und schlüpfte unter die Decke.
"Das Kissen... es riecht nach Ikari-kun... nach seinem Haar..."
Sie schloß die Augen, sog tief den Geruch des Kissens ein, stellte sich vor, nicht allein
zu sein, fragte sich im nächsten Moment, woher diese Gedanken kamen.
"Warum bin ich hier? Weil es mir befohlen wurde. Weil ich mich ausruhen soll. Ich benötige
keine besondere Ruhe. Warum wurde es mir dann befohlen? Und ich wußte, daß der Befehl un-
nötig ist. Dennoch bin ich hierhergekommen... aber nicht, weil es mir befohlen wurde, nicht
in erster Linie... Warum bin ich dann hier?"
***
Shinji lag auf dem Sofa unter einer leichten Decke. Er konnte nicht schlafen, driftete be-
stenfalls in einen halbwachen Zustand ab.
Ihm fehlte sein SDAT-player, er hatte ihn in seinem Zimmer liegengelassen. Und er konnte
ihn nicht holen, schließlich schlief Rei dort.
Oder sollte er sich in sein Zimemr schleichen, sich den SDAT-player greifen und wieder
hinausschleichen? - Und wenn sie ihn bemerkte? Sie würde glauben, er wollte sie belästi-
gen... sie würde ihn hassen...
Wie es ihm schien, hatte sie den Zwischenfall in ihrem Apartment bereits vergessen, oder
ihm seine Ungeschicklichkeit zumindest vergeben, aber wenn es zu einem weiteren Mißverständ-
nis kam... möglicherweise würde sie ihre Sachen nehmen und wieder gehen...
Und er wollte nicht, daß sie ging, fragte sich nach dem Grund.
Unruhig wälzte er sich auf die andere Seite, fand endlich etwas Ruhe.
***
Rei erwachte durch das Piepen des Weckers.
Zuerst war ein Gefühl von Orientierungslosigkeit, dann fiel ihr ein, wo sie war. Sie stand
auf, schaltete den Wecker aus.
In ihrem eigenen Apartment wäre sie jetzt so wie sie war ins Bad gegangen, doch im letzten
Moment, die Hand schon zur Tür ausgestreckt, erinnerte sie sich, daß sie nicht allein war.
Sie sah sich im Zimmer um, entdeckte das Hemd im Wäschekorb, zog es sich über, befand, daß
sie ausreichend bekleidet war, und verließ den Raum.
Es roch nach Essen.
Auf nackten Sohlen ging sie in die Küche.
Shinji stand am Herd, wandte ihr den Rücken zu.
"Guten Morgen, Ikari-kun."
Der Junge zuckte zusammen, als sie ihn unvermittelt von hinten ansprach.
"Ah..."
Er drehte sich um, das Messer in der Hand, als er es bemerkte, legte er es eilig zur Seite.
"Guten Morgen, Ayanami..."
Er sah sie, bekleidet nur mit einem seiner Hemden, das kaum die Oberschenkel bedeckte, lief
krebsrot an, drehte sich schnell wieder weg.
"Ich... uhm... ich hoffe, du hast gut geschlafen."
"Ja. Ich bin erholt."
"Das ist schön." stammelte er, bemerkte, daß sie neben ihn getreten war, strengte sich an,
den Blick auf das Gemüse gerichtet zu halten, welches er gerade zerkleinerte, anstatt ihn
zur Seite abdriften zu lassen und sie, oder besser ihren Körper, anzustarren. Es war an-
strengend, ein Teil von ihm dachte an den Zwischenfall in ihrem Apartment, an die Weichheit
ihres Körpers, ihre samtige Haut, ihr nasses Haar... - doch ein anderer Teil, die Kombina-
tion aus Angst, Vernunft und Respekt, behielt die Oberhand, sonst hätte er vielleicht eine
Dummheit begangen.
"Ist das mit dem Hemd in Ordnung?"
"Ah... natürlich... uhm, an dir sieht es wahrscheinlich... uh... besser aus, als an mir..."
"Ja...? Was machst du?"
"Essen... Bento... für die Schule..."
Sie sah, daß er eine ganze Menge zubereitet hatte, ebenso daß zwei Schachteln bereitstan-
den.
"Für dich und..."
"Ah, ich dachte... ich könnte für dich etwas machen... wo ich schon dabei war... Siehst du,
alles vegetarisch, kein Fleisch..."
Sie sah ihn aus großen Augen überrascht an.
"Das tust du einfach für mich? Warum?"
"Uhm... weil ich es tun wollte... ah... weil es mir richtig erschien... als, äh, Ausgleich
für gestern... und..."
"Das wäre nicht nötig gewesen. Aber es ist... lieb, Ikari-kun..."
Sie machte eine Pause, schien zu überlegen, sagte dann: "Danke..."
Er schluckte, legte das Messer zur Seite, sah ihr ins Gesicht.
"Das mache ich gern, es ist keine Mühe. Ich werde gleich Misato wecken... wenn du vorher
noch ins Bad willst..."
"Ja. Und du?"
"Nach dem Frühstück, ich habe hier noch zu tun."
Sie nahm die Information mit einem Nicken zur Kenntnis, wollte sich zuerst abwenden, doch
ein innerer Impuls veranlaßte sie dazu, das Gespräch noch nicht zu beenden.
"Machst du das jeden Tag?"
Er lächelte schief, deutete auf den Haushaltsplan.
"Fast jeden Tag."
Ihr Blick folgte seinem Fingerzeig, sie sah auf das aktuelle Blatt des Monatskalendars, wo
die Tage mit kleinen Buchstaben markiert waren, M und S, bei jedem Tag waren wenigstens
zwei Markierungen. Es gab deutlich mehr Ss als Ms, bei weitem mehr.
"Oh..."
"Gewöhnungssache. Siehst du - Frühstück, Abendessen, Einkaufen, Putzen, Wäschewaschen."
"Ja..."
Er faßte sich ein Herz, wollte die Gelegenheit nicht ganz ungenutzt verstreichen lassen.
"Uhm, Ayanami..."
"Ikari-kun?"
"Könntest du... würdest du mir einen Gefallen tun?"
"Was?"
"Nenn mich bitte nicht mehr Ikari-kun... meine Freunde sagen nur Shinji zu mir, Shinji
reicht vollkommen."
Er war bemüht, die Ruhe zu bewahren, sich sein inneres Zittern nicht anmerken zu lassen,
seine Furcht, sie könnte sein verstecktes Freundschaftsangebot zurückweisen.
Sie nickte.
"Wenn du es dir wünschst..."
"Danke, Ayanami."
Ihm fiel ein Stein vom Herzen.
"Rei."
"Was?"
Sein Herz übersprang einen Schlag.
"Du kannst Rei sagen. Nach deinen Worten... Sind wir Freunde?"
"Uhm... ah... es wäre schön..."
Sein Herz schlug schneller.
"Gut. Freunde."
Damit wandte sie sich ab und ging ins Bad, über die Bedeutung des letzten Wortes nachden-
kend.
Shinji lehnte sich gegen die Tischplatte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. So
verharrte er eine Weile, ehe er sich wieder der Arbeit zuwandte. Er sah nicht, wie Rei we-
nig später das Bad wieder verließ, nur mit einem Handtuch bekleidet, und in ihrem Raum
verschwand, um Kleidung für den Tag aus dem Karton zu holen - er wäre andernfalls wahr-
scheinlich bewußtlos geworden...
***
Misato begann den Tag relativ muffelig, das legte sich, nachdem sie die obligatorische er-
ste Bierdose geleert hatte.
Shinji spürte einen Augenblick lang Reis fragenden Blick auf sich lasten, das Verhalten des
Captains schaffte es anscheinend, sogar sie aus der Ruhe zu bringen.
Der Junge zuckte nur mit den Schultern, er hatte sich inzwischen damit abgefunden, daß Mi-
sato anscheinend einen gewissen Alkoholpegel benötigte, um morgens in Fahrt zu kommen.
"Und, Rei, wie war die erste Nacht hier?" fragte Misato, nachdem sie die Dose abgesetzt
hatte.
"Ich fühle mich ausgeruht, nachdem ich in Ika... Shinjis Bett geschlafen habe."
Misato riß die Augen auf, Shinji konnte ihre Gedankengänge fast hören.
"Shinji!" keuchte sie geschockt. "Das hätte ich..."
Shinji lief wieder rot an, hob abwehrend die Hände und beeilte sich, die Sache richtigzu-
stellen.
"Nein, Misato, ah, so war es nicht. Ich habe auf dem Sofa geschlafen."
"Was?" Sie beruhigte sich wieder. "Hach, ihr könnt mich alte Frau doch nicht so erschrek-
ken. Ah, ich erinnere mich... Wir haben die Möbel noch nicht ausgepackt."
Shinji gab einen abfälligen Laut von sich.
"Ausgepackt haben Rei und ich sie schon, aber noch nicht aufgebaut."
Misato ignorierte die Anspielung auf ihre ´Abwesenheit´.
"Na, wenn ihr heute nachmittag aus der Schule kommt, könnt ihr ja weitermachen, ich habe
leider Dienst."
Shinji blickte zum Wochenplan hinüber und wußte, was das bedeutete - heute durfte er mal
wieder für seine Mitbewohnerin einspringen.
"Aber ich habe dafür gesorgt, daß ihr nicht am Sportunterricht teilnehmen müßt, also soll-
tet ihr genug Zeit haben. Ja... - Shinji, was machen deine Hände?"
"Es geht."
Er zeigte ihr kurz seine Handflächen, wo nur noch ein paar helle Narben zu sehen waren.
Die Medizin des einundzwanzigsten Jahrhunderts hatte die Heilung seiner Verbrennungen sehr
beschleunigt.
"Schön. - Rei, du mußt wissen, daß er in den letzten Tagen kaum etwas halten konnte."
"Ja."
"Naja, ich muß mich jetzt fertigmachen, viel Spaß in der Schule."
***
Shinji schielte zur Seite.
Rei ging neben ihm, den Blick geradeaus gerichtet.
Er fand sie attraktiv, das konnte er bei bestem Willen nicht verleugnen, erst recht nach
dem Zwischenfall in ihrem Apartment vor der Sache mit Ramiel. Wenn er nur nicht so ein
Feigling gewesen wäre, wenn es in seiner Natur gelegen hätte, hätte er sie wahrscheinlich
längst um eine Verabredung gebeten. So jedoch... Er hatte ihre Lippen berührt, doch die
Erinnerung war nicht angenehm, schließlich war es kein Kuß gewesen, sondern der verzweifel-
te Versuch, ihr Leben zu bewahren. Wahrscheinlich erinnerte sie nicht einmal daran,
schließlich hatte sie das Thema selbst nicht mehr angesprochen.
Sie war wie ein Geheimnis, ein wunderschönes Rätsel.
Wäre er nur ein wenig wie Touji gewesen... nein, dann hätte er wahrscheinlich gar keine
Chance bei Rei gehabt... aber... hatte er überhaupt eine?
Er hatte gesehen, wie sie seinen Vater angeblickt hatte, so voller Verehrung. Würde, nein,
mußte sie ihn nicht zurückweisen, wenn sie seine Gedanken kennen würde?
Kannte sie überhaupt Gefühle?
Shinji erinnerte sich an die Ohrfeige, die sie ihm gegeben hatte, weil er ihr gegenüber an
seinem Vater gezweifelt hatte. Oh, doch, Rei besaß Gefühle, in diesem Moment hatte Zorn in
ihren Augen geblitzt. Und als er sie aus dem Entry-Plug geholt hatte, als sie gelächelt
hatte... wie konnte er jemals bezweifeln, daß sie nicht die seelenlose Puppe war, für die
manche Menschen sie hielten?!
Er sammelte seinen ganzen Mut.
"Ah... Rei, wie geht es dir?"
"Gut. Warum fragst du?"
"Es... uhm... es interessiert mich."
"Warum?"
"Weil..."
"Interessiert es dich so, wie es den Captain oder Doktor Akagi interessiert... oder den
Kommandanten? Ob ich... funktionsfähig bin?"
"Wie Vater...?"
Nur mühsam beherrschte er die in ihm aufsteigende Wut bei der Erwähnung seines Vaters. Er
durfte die wenigen Schritte, die sie zueinander getan hatten, nicht durch eine Unbedacht-
samkeit gefährden... Seltsamerweise war er in ihrer Nähe dazu imstande.
"Nein. Du hast selbst gesagt, wir wären Freunde... Und, uhm, Freunde kümmern sich umeinan-
der. Und ich glaube, daß, ah, Misato es auch anders sieht."
"Du redest heute viel."
"Tut mir leid."
"Nein, muß es nicht. Es ist nur neu für mich, ich habe noch nie Freunde gehabt."
"Noch nie?"
"Nein."
Irrte er sich, oder lag in ihrer Stimme ein Hauch von Bedauern?
"Uhm, Ayana... Rei, ich glaube, daß viele gerne mit dir befreundet wären, wenn sie dich
erst, ah, kennengelernt haben."
"Wirklich? Warum?"
"Nun, uhm, du bist klug, mutig... siehst, ah, gut aus... und du hast ein schönes Lächeln."
Da war es wieder, dieses Gefühl, als hätte jemand die Verbindung Gehirn und Mundwerk auf
Überschallgeschwindigkeit gestellt, so daß er seine Worte nicht mehr zuerst durch seine Be-
denken und Ängste filtern konnte.
Sie blieb abrupt stehen. Eine feine Röte überzog ihre Wangen.
Shinji bemerkte, daß sie nicht mehr an seiner Seite war, drehte sich um.
"Aya... Rei?"
"Warum sagst du soetwas?"
Er schluckte, erwog, einen Rückzieher zu machen, sich hastig dafür zu entschuldigen, ihr zu
nahe getreten zu sein, konnte es nicht, fand sich ganz im Bann ihrer scharlachroten Augen.
"Weil... weil ich es so meine."
"Du findest mich... attraktiv?"
Seine Kehle wurde trocken. Aber es war heraus...
"Uhm... ja..."
Sie blinzelte.
"Danke."
"Ich... uh... bitte."
"Das war ein Kompliment, nicht wahr?"
"Ich... ah... ja."
"Und bei einem Kompliment sollte man lächeln, nicht wahr?"
"... ja."
Sie lächelte, es war ein unbeholfenes Lächeln, und dennoch schön.
"Du hast ein schönes Lächeln", wiederholte er. Diesesmal war seine Stimme fest und sicher.
"Danke..." Sie blickte nach unten, als ob sie vor ihren Zehenspitzen etwas ungeheuer inte-
ressantes befand, konzentrierte sich ganz darauf, ihr plötzlich schneller schlagendes Herz
zu beruhigen.
"Uhm... Rei?"
Sie sah auf, blickte in sein fragendes Gesicht, schaffte es, äußerlich ihre Ruhe zu bewah-
ren.
"Laß uns gehen, oder wir kommen zu spät."
***
"Danke, ich habe Danke gesagt, nicht einmal, sondern zweimal. Ein Wort der Dankbarkeit, ich
habe noch nie zuvor Danke gesagt... Und ich habe es zu ihm gesagt. Es war so natürlich..."
***
Als Shinji den Klassenraum betrat, wurde er sofort von Touji und Kensuke abgefangen.
"Hey, Shinji!"
"Ikari, du alter Hund!"
"Uhm, was ist denn?"
Er war verwirrt.
Rei ging an ihnen vorbei und nahm ihren Platz am Fenster ein.
"Ha! Wir haben gesehen, daß du mit Ayanami gekommen bist..."
Suzuhara knuffte ihn gegen den Arm.
"Und, Touji?"
"Na, du hast vielleicht ein Glück, darfst bei Misato wohnen und Ayanami begleitet dich zur
Schule, ha! Soviel Glück möchte ich mal haben, Ayanami ist zwar ein wenig seltsam, aber sie
sieht toll aus!"
*whack*
"Suzuhara, das ist keine Art, über eine Mitschülerin zu sprechen." mischte sich eine weite-
re Person ein und glättete die Papiere, welche sie ihm zusammengerollt gegen den Hinterkopf
geschlagen hatte..
"Ja, Klassensprecherin."
Das Grinsen war aus Toujis Gesicht verschwunden. Er rieb sich die Stelle, wo er getroffen
worden war.
Kensuke grinste über beide Ohren.
Shinji nutzte die Gelegenheit, um zu seinem Platz zu kommen.
"Puh..."
Er sah eigentlich unbeabsichtigt hinüber zu Rei.
Sie sah ihn an, anstatt aus dem Fenster zu blicken, dann ergriff sie kurzentschlossen ihre
Tasche und wechselte zu dem freien Platz neben ihm.
Er war überrascht.
Dem immer noch in der Nähe der Tür stehenden Touji fiel der Unterkiefer herab.
Kensuke begann, seine Brille zu putzen.
Hikari lächelte still und leise, zischte den beiden anderen dann zu:
"Auf eure Plätze, der Lehrer kommt!"
***
"In seiner Nähe schlägt mein Herz schneller... Ich sollte ihn meiden, um meine Funktionsfä-
higkeit nicht zu gefährden... doch ich will nicht... ich will nicht... im Gegenteil, ich
verringere die Distanz zwischen uns... es scheint ihm zu gefallen..."
***
Die Unterrichtsstunde schien wieder einmal kein Ende nehmen zu wollen.
Der alte Sensei kaute zum x-ten Mal monoton seine Version der Geschehnisse des Second
Impact wieder, wobei er aus dem Fenster sah und der Klasse keine Beachtung zeigte. Genau-
sogut hätte der Klassenraum leer sein können.
Touji gähnte und sank über seinem Pult zusammen, den Kopf auf die Arme legend.
Shinji blickte auf seinen Laptop, als dort ein rotes Licht zu blinken begann. Er hatte eine
Mail. Da es ein geschlossenes System war, konnte die Nachricht nur von einem seiner Klassen-
kameraden kommen. Er öffnete die Mail.
Also, was ist zwischen Ayanami und dir?
Shinji sah sich um, doch er ahnte schon, wer die Nachricht geschickt hatte.
Kensuke grinste ihn an.
Nichts.
Wirklich?
Sie wohnt jetzt auch bei Misato.
*rums*
Der Lehrer brach seinen Monolog ab, suchte verwirrt nach der Quelle des *rums*.
"Aida, warum sitzt du auf dem Boden?"
Kensuke zog sich an seinem Pult in die Höhe, rieb sich die Stirn, die er an der Kante ange-
schlagen hatte.
"Entschuldigung, Sensei, eine Unachtsamkeit."
"Hm. Gut, setzt dich wieder, aber keine weiteren Störungen."
"Ja, Sensei."
Shinji unterdrückte ein Grinsen. Wieder erschien das ´Sie haben Post´-Symbol auf seinem
Bildschirm.
Du glücklicher Hund. Darfst einen EVANGELION steuern und nicht nur mit Misato, sondern
auch noch mit Ayanami zusammenwohnen.
Es ist nichts. antwortete er und ignorierte die nächste Mail. Aber war es wirklich nichts?
***
In der Mittagspause gab Shinji Rei die Lunchbox, die er am Morgen für sie vorbereitet hatte.
"Ah, und Essen kocht er ihr auch!" rief Touji bei dem Anblick. "Kensuke, ich fürchte, wir
haben Shinji verloren."
"Ja. Armer Shinji, ich kannte ihn gut."
*whack*
*whack*
"Suzuhara, Aida, das ist kein angemessenes Benehmen." mahnte Hikari, in der Hand eine zu-
sammengerollte Zeitung.
"Ja, Klassensprecherin." antworteten die beiden im Chor, während Furcht sich in ihre Blicke
stahl.
Auf der Bank, auf der Shinji und Rei saßen, blickte diese den Jungen an.
"Was geht da drüben vor sich?"
"Ich weiß nicht... Meinst du Touji und Hikari?"
"Ja, Suzuhara, Aida und Horaki."
"Ach... hm, ich glaube, Hikari mag Touji ein wenig."
"Und deshalb schlägt sie ihn?"
"Ich... ah... hm..."
"Heißt das, ich muß dich auch schlagen?"
"Rei, nein, bitte..."
Er sah sie erschrocken an. Da war etwas in ihem Blick, etwas ungewohntes. Er begriff.
"Das war ein Scherz, oder?"
"Ja. Ich würde dich nie verletzen."
Er blinzelte. Sollten ihre Worte bedeuten, daß er ihr nicht egal war, daß sie ihn... moch-
te?!
"Rei..."
Ihre Augen zogen ihn fast magisch an, ihre Nähe ließ seine Hormone verrückt spielen. Er
wollte die Hand ausstrecken, sie zu sich heranziehen und ihre Lippen küssen...
"..."
"..."
"...was ist?"
Er unterbrach den Blickkontakt, errötete.
"Nichts."
Wenigsten konnte er die ihm auf der Zunge liegende Entschuldigung unterdrücken.
Sie öffnete ihre Schachtel, begann zu essen, hielt inne, sah ihn mit großen Augen an.
"Das ist gut."
"Danke."
"Nein, wirklich. Es stimmt ja nicht, daß ich gar nicht kochen könnte, immerhin habe ich
schon immer allein gelebt, aber das ist köstlich."
"Rei..."
Er lächelte ob das Wortschwalles und des genießerischen Gesichtsausdruckes.
"Schön, daß du es magst, wenn du willst, kann ich dir regelmäßig etwas machen."
"Das würdest du?"
"Für einen Freund, ja."
"Aber es macht doch Mühe."
"Das hängt davon ab, für wen man es macht."
"Ja?"
"Ja... Du bist ein besonderer Mensch..."
Im nächsten Moment hätte er sich auf die Zunge beißen können. Er hatte sich doch normaler-
weise besser unter Kontrolle. In ihrer Gegenwart jedoch schienen die Sorgen und Bedenken,
die ihn normalerweise quälten, vergessen.
"Findest du?" fragte sie leise. "Ich bedeutete dir wirklich etwas..."
Ihm fehlten die Worte, um zu antworten.
Ihre Finger legten sich auf die seinen in einer kurzen zärtlichen Berührung.
"Danke."
Shinji war, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen.
Ringsum ergriffen andere Schüler die Flucht oder fielen einfach in Ohnmacht, als sie den
Kopf schräg legte und lächelte. Shinji selbst kämpfte mit plötzlichem Nasenbluten, sie sah
verdammt hübsch aus...
"Kensuke, wir müssen Shinji retten!"
"Ja, Touji, das kann nicht Ayanami sein.Vielleicht hat der Feind von ihr Besitz ergriffen,
oder sie ist eine Außerirdische, die nur ihre Gestalt angenommen hat, oder..."
*whack*
*whack*
"Ihr laßt die beiden gefälligst in Ruhe!"
"Ja, Klassensprecherin."
***
Der restliche Schultag verging rasch, immer wieder rief Shinji sich das Bild der lächelnden
Rei vor Augen. Es ließ sein Herz schneller schlagen und rief ein angenehm warmes Gefühl in
seiner Magengegend hervor.
Die beiden eilten schließlich nach Hause, um Reis Zimmer fertig einzurichten.
Eigentlich gab es nicht mehr viel zu tun, außer die Teile der Transportkisten wegzubringen
und ein paar Schrauben anzuziehen.
Und genau da kam es zum nächsten Zwischenfall.
Eine der Schrauben, die eigentlich die Schreibtischplatte auf dem Untergestell fixieren
sollten, fiel Shinji aus der Hand und rollte unter das Bett, es war ein niedriges metalle-
nes Bettgestell von einigem Gewicht, bei dem am Vortag sogar die beiden kräftigen Männer
des Transportunternehmens ins Schwitzen gekommen waren.
Shinji traute sich definitiv nicht zu, das Gestell anzuheben, also ging er auf die Knie und
tastete nach der Schraube.
"Ich hab sie gleich..."
Sie war direkt vor seinen Fingerspitzen, rollte bei der Berührung weg.
"Ah..."
Rei trat an das Bettende, beugte sich vor und hob das Gestell mit einer Hand an...
"Ah, gut, da ist sie ja..."
Er wollte aufstehen, als ihm aufging, was Rei getan hatte, die schmale, nicht gerade kräf-
tig wirkende Rei...
"Ah..."
Sie ließ das Gestell wieder herabsinken, immer noch einhändig, bemerkte, daß er sie ansah
wie ein Gespenst.
"Ist etwas?"
"Uhm, nein... Es ist nur... Du bist... stärker, als du aussiehst..." stotterte er.
Sie runzelte die Stirn, blickte auf ihre Hände.
"Ja. Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken."
"Nein, nein, du hast mich nicht erschreckt... nur überrascht..."
"Ich setze meine Krafte nicht oft ein, Koman... dein Vater hat mich davor gewarnt, sie
Fremden gegenüber zu demonstrieren."
"Ja?"
"Aber du bist kein Fremder, also ist es in Ordnung."
"Kräfte? Das klingt, als könntest du noch mehr."
"Ja. Ich kann zum Beispiel ganz gut Physik."
Da war es wieder, dieser Glanz in ihren Augen, dieses schelmische Funkeln.
"Würdest du mir mit den Aufgaben für morgen helfen, wenn wir hier fertig sind?"
"Gern."
Als nächstes packte sie den Inhalt ihres Kartons aus, wandte ihm dabei den Rücken zu, so
daß er nicht den Ausdruck von Verwirrung auf ihrem Gesicht sehen konnte.
***
"Was geschieht mit mir? Danke... Gerne... Ich möchte für ihn dasein... Freunde sind für
einander da, hat er gesagt... Freunde... Wir sind Freunde... ja... ich möchte es so... ich
möchte... ich kann mich nicht erinnern, vorher Wünsche gehabt zu haben... was passiert mit
mir? Es ist nicht unangenehm... Freunde..."
***
Shinji stand an der Zimmertür und trat nervös von einem Fuß auf den anderen, unsicher, was
er tun sollte, während Rei ihre Sachen auspackte und auf dem unbezogenen Bett ablegte.
"Ist das alles, was du hast?" fragte er schließlich. Er zählte acht Sätze Schuluniformen,
einen Badeanzug, ein weiteres Paar Schuhe und einen Packen Unterwäsche, dem er sich be-
mühte, sowenig Aufmerksamkeit wie möglich zu schenken, eine kleine Tasche für Toilettenar-
tikel, eine beige NERV-Uniform, wie er sie selbst im Schrank hängen hatte, einen Stapel
Schulbücher, eine dunkle Jacke und noch ein paar unwesentliche, nicht persönliche Dinge.
"Ja, alles, was ich brauche."
Als letztes holte sie ein zu zwei Dritteln gefülltes, verschlossenes Wasserglas heraus, zö-
gerte kurz, als sie den Wasserstand betrachtete und stellte es auf den Schreibtisch.
"Uhm, du willst sicher einräumen, ich habe noch ein paar Arbeiten zu machen, danach könn-
ten wir uns vielleicht die Physikaufgaben ansehen."
"Ich komme gleich", murmelte sie abwesend.
***
"Das Glas ist voller als ich es zurückgelassen habe... Meine Seele... Warum? Sind es die
Erfahrungen der letzten zwei Tage?
***
Als Misato abends nach hause kam, hockten die beiden Teenager am Eßtisch und waren noch im-
mer mit den Hausarbeiten beschäftigt. Obwohl Rei sich die größte Mühe gab, hatte Shinji
immer noch Schwierigkeiten damit, gewisse Konzepte zu verstehen.
Das blauhaarige Mädchen sprach ruhig und emotionslos wie immer, Shinji hingegen machte ein
verzweifeltes Gesicht.
"Tadaima!" (= ich bin daheim)
"Oh, Misato!" rief Shinji und wollte aufspringen - auch eine schlechte Ausrede, um von den
Aufgaben wegzukommen, war besser als gar keine -, wurde aber von Rei am Arm festgehalten.
Ihre Kraft überraschte ihn erneut, dabei fühlte sich ihre Berührung fast noch sanft an.
"Nicht weglaufen, sonst verstehst du es nie."
Sie ließ ihn zögerlich los, während eine leichte Röte ihre Wangen überzog.
Misato steckte den Kopf in den Wohn- und Eßraum.
"Ah, hier steckt ihr. Hausarbeiten? - Physik... - Rei, hilfst du Shinji?"
"Ich tue, was ich kann, aber er versteht es einfach nicht." antwortete Rei und seufzte.
Es hatte denselben Effekt, als wäre sie plötzlich in Tränen ausgebrochen.
"Rei, geht es dir gut?" fragte Misato besorgt.
Shinji sah sie erschrocken von der Seite her an.
"Rei, ich... ich verspreche, daß ich mir alle Mühe geben werde, gut?"
Sie nickte.
Misato blinzelte.
"Ich wollte nur kurz vorbeikommen, um mir etwas anderes anzuziehen."
Ihre Jacke und ihr Rock waren voller dunkler Flecken.
"Ritsuko hat sich entschlossen, mal wieder eine 48-Stunden-Schicht einzuschieben und sich
mit Kaffee wachzuhalten, der so stark ist, daß der Löffel drin steckenbleibt. Sie sollte
das wirklich lassen - oder wenigstens etwas aufpassen, wem sie in ihrer Übermüdetheit das
Zeug über die Sachen kippt." klagte sie ihren Mitbewohnern ihr Leid.
"Pack die Sachen in den Wäschekorb im Bad, ich kümmere mich darum." entgegnete Shinji.
"Ja, ich weiß, heute wäre ich mit Küchendienst dran, tut mir leid. Aber ich habe unterwegs
ein paar Besorgungen gemacht."
Sie stellte zwei große prallgefüllte Tüten neben den Tisch.
Shinji linste in die Tüten, die eine enthielt Bier, Bier und nochmals Bier, die andere
Bier, Bier und tatsächlich Nahrung.
"Ach ja, Akagi läßt euch ausrichten, daß sie für morgen vormittag leichtes Training geplant
hat."
"Was für Training?"
"Synchrontraining für Rei, Schießübungen für dich."
"Oh."
"Du mußt lernen, besser mit dem Positronengewehr umzugehen, falls die Zielvorrichtung aus-
fällt. Und jetzt guck mich nicht so finster an, ich bin nur der Bote. - Ach, und Rei, falls
du Lust hast, könnten wir morgen nachmittag zusammen einkaufen gehen."
"Ja, Capt... Misato-san."
Misato lächelte, verdrehte innerlich die Augen und verschwand in ihrem Zimmer.
Rei wandte sich wieder Shinji zu.
"Also, diese Aufgabe hier..."
***
Eine Stunde später hatte er es tatsächlich verstanden.
Rei fühlte den Anflug einer Emotion, bei der es sich nur um Stolz handeln konnte
Shinji starrte auf das Aufgabenpapier vor ihm und fragte sich, weshalb er das Problem nicht
eher erkannt hatte.
"Danke, Rei, ich glaube, ich habe es."
"Schön."
Er räumte seine Sachen zusammen, packte dann die Einkäufe weg.
"Was möchtest du essen? Sag es, und vorausgesetzt, die nötigen Zutaten sind im Haus, koche
ist es dir."
"Du willst für mich kochen?"
"Ja. Ich fühle mich großartig."
"Es ist schön, wenn du dich wohlfühlst."
"Also, was soll ich uns kochen?"
***
"Es ist seltsam... Er möchte, daß ich mich wohlfühle... Und ich möchte, daß er sich wohl-
fühlt. Ich... fühle mich wohl in seiner Nähe... Ich möchte in seiner Nähe sein... Warum?"
***
Ein buddhistischer Tempel bei Osaka-02
Der Mönch in der safrangelben Kutte sah auf, als er die Annäherung des Weißhaarigen bemerk-
te, hielt in seiner Tätigkeit, die Stufen des Tempels zu kehren, inne.
Der Weißhaarige deutete eine Verbeugung an, der Mönch erwiderte den Gruß.
"Ihr seid zurück, Magus."
"Ja, Bruder Shan."
"Habt Ihr Euch davon überzeugt, daß die Orakel wahrgesprochen haben?!"
Der Weißhaarige nickte.
"Darf ich den Tempelgrund betreten?"
"Natürlich, Ihr konntet stets die Gastfreundschaft der Bruderschaft in Anspruch nehmen."
"Ich weiß. Aber die Zeiten haben sich geändert, das sechste Zeitalter ist angebrochen..."
"Der Impact, ja. Folgt mir."
Der kahlköpfige Mönch drehte sich um und stieg die Stufen hinauf.
Der Weißhaarige zögerte kurz, folgte ihm dann. Als er die Stufen betrat, veränderte sich
seine Kleidung, verschwand der graue Mantel und machte einem weiten schwarzen Umhang Platz,
darunter trug er ein weißes Hemd und dunkle Hosen, dazu wadenhohe bequeme Stiefel, vor der
Brust trug er ein handtellergroßes Amulett mit einem großen halbgeschlossenen Augensymbol,
das Zeichen der Seher von Vardian. Einen Moment lang zuckten kleine Blitze, winzigen elek-
trischen Entladungen gleich, um ihn herum, als er die Aegisgrenze passierte.
Ein Windstoß ließ den Umhang aufwehen...
Der weiße Rabe, welcher ihn begleitete, blieb draußen, ließ sich auf einem Dachvorsprung
nieder und beobachtete den Platz vor dem Tempel.
Misatos Apartment:
Shinji hockte an dem schmalen Schreibtisch unter dem Fenster seines Zimmers, Kopfhörer auf
den Ohren, und machte Hausaufgaben.
Auf dem Bett neben dem Schreibtisch lag ein Papierstapel, der zweifingerdick war, größten-
teils Materialien, die er durchlesen mußte, der Lehrer schien immer dann verstärkt Hausauf-
gaben aufzugeben, wenn die Mehrheit der Schüler von seinem Unterricht fernblieb.
Die Englischaufgaben hatte er bereits erledigt, jetzt kaute er an den Physikhausaufgaben
herum. Physik war noch nie sein Fach gewesen, ihm reichte es zu wissen, daß Gegenstände in
der Regel nach unten fielen, er wollte gar nicht wissen, warum.
Es klingelte an der Tür.
Shinji war kein Freund lauter Musik, er benutzte die Kopfhörer vielmehr, um sich gegenüber
der restlichen Welt abzuschotten, aber die Türklingel dran mühelos an sein Ohr.
Seufzend schob er die Physikaufgaben zur Seite und stand auf. Ob das die Überraschung war,
die Misato am Telephon angekündigt hatte?
Sein Verhältnis zu Überraschungen war ziemlich gespalten, einerseits gab es angenehme Über-
raschungen, das wußte auch er, doch die Überraschungen, mit denen er es in der Regel zu tun
bekam, hatten in letzter Zeit für seinen Geschmack viel zu oft mit einem gewissen purpur-
grünen Reisenroboter namens EVANGELION-Einheit-01 zu tun.
Er schlurfte zu Tür, ihm fehlte der Elan, auch nur die Füße vernünftig zu heben, öffnete
sie mit den Fingerspitze, damit seine verbundenen Handflächen nicht mit der Klinke in Be-
rührung kamen, seine Verletzungen schmerzten immer noch, in Gedanken sah er sich weiße
Handschuhe wie sein Vater tragen und erschauderte bei dem Bild.
Im Treppenhaus standen zwei Männer mit mehreren Kisten.
"Ja?" fragte der Junge vorsichtig.
"Wohnt hier..." einer der Männer sah auf seinen Klemmblock, "Misato Katsuragi?"
"Ja."
"Gut, wir haben hier eine Lieferung im Auftrag des NERV-Quartiermeisters, wo können wir
das Zeug hinbringen?"
Er hatte keine Ahnung, was sich in den Kisten befinden konnte, wenn es jedoch mit Misatos
Überraschung in Verbindung stand, hatte er kein Problem damit - EVA-01 paßte denitiv nicht
in die Kisten.
"Äh, nach da hinten."
Er deutete auf die Tür des Raumes am Ende des Ganges, den Misato bisher benutzt hatte, um
dort ihre Umzugskartons und allerlei anderes Zeug zu stapeln. Er hatte nach ihrem Anruf
den Raum größtenteils ausgeräumt und die Kartons teilweise in den kleine Kellerraum, den
Misato mit der Wohnung gemietet hatte, geschleppt, teilweise quer durch die übrige Wohnung
verteilt.
Die beiden Männer schleppten die ominösen Kisten und einen großen Karton in den zugewiese-
nen Raum, ließen sich die Lieferung dann quittieren und zur Sicherheit Shinjis NERV-Ausweis
vorzeigen.
Er schloß die Tür wieder, ging dann zu dem Raum, dessen Tür seiner eigenen gegenüberlag,
sah hinein.
Der Karton stand in der Mitte des Zimmers, die Kisten standen an den Wänden.
"Hm, was da wohl drin ist... in der in der Ecke könnte ein Bett sein, der Form nach... und
die dort..."
Er schüttelte den Kopf.
"Klar, als ob wir noch mehr Möbel brauchen würden..."
Er kehrte in sein Zimmer zurück, zurück zu seinem SDAT-Player und den Physikaufgaben...
***
"Ich bin zurück!" rief Misato, als sie den Wohnungskorridor betrat.
Shinji stand in der Küche und bereitete das Abendessen zu.
"Essen ist gleich fertig." rief er, ohne sich umzudrehen.
Sie drehte sich um, winkte ihrer Begleiterin zu.
"Komm ruhig ´rein, schließlich wirst du die nächsten Tage hier wohnen."
Rei sah sie fragend an, trat dann über die Schwelle.
"Ja, Captain."
"Ah, sag Misato zu mir, wir sind nicht im Dienst, kein Grund also für Förmlichkeiten."
"Ja, Cap..."
Misato zog die Augenbrauen hoch.
"...Misato-san."
Rei streifte ihre Schuhe ab.
Im ersten Augenblick wollte Misato ihren Unmut darüber äußern, daß sie sich bei Reis Anrede
alt fühlte, lächelte dann aber und entschied sich zu schweigen. Nichts sollte übereilt wer-
den.
"Na also. - Shinji?"
Der Junge nahm die Kopfhörer ab.
"Ja?"
"Ist das Zeug schon gekommen?"
"Kisten und ein Karton? - Ja."
"Gut. Was machst du denn feines?"
"Nudeln, Gemüse... was im Kühlschrank war."
Sie sollte es eigentlich wissen, schließlich hatte sie am Vortag eingekauft.
"Ah."
Misato kam in die Küche und checkte ihren Biervorrat, nickte zufrieden und nahm sich eine
Dose.
"Wir haben einen Gast."
"Was? Wen?"
Shinji drehte sich neugierig um.
Rei stand mit ausdrucklosem Gesicht im Durchgang vom Korridor zur Küche.
"Oh, Ayanami", entfuhr es ihm überrascht.
"Hallo, Ikari-kun."
Sie musterte ihn von oben bis unten, fragte sich einen Moment lang, ob sie etwas über die
rosa Schürze mit der Aufschrift ´Chefkoch´ sagen sollte, die er trug, oder über das Essen,
welches auf dem Herd kochte.
"Uhm, wurdest du heute entlassen?"
Eigentlich war das offensichtlich, doch etwas besseres fiel ihm nicht ein.
"Ja."
"Shinji, Rei wird die nächsten Tage hier bleiben, um sich etwas zu erholen. Glaubst du, daß
wir entsprechend eingerichtet sind?"
"Ah... Sie wird hierbleiben? Uhm... dann muß ich noch einkaufen gehen..."
Da war er wieder, der Drang sich abzusetzen, kaum daß er mit einer neuen Situation konfron-
tiert wurde.
"Das hat Zeit. - Komm, Rei, ich zeige dir dein Zimmer."
"Ja, Ca... Misato-san."
Shinji blickte ihnen hinterher, erinnerte sich dann an sein Essen und wandte sich wieder
dem Herd zu.
"Sie bleibt hier..."
Er wußte nicht, ob er sich darüber freuen, oder Panik bekommen sollte.
***
Rei saß schweigend am Eßtisch, während Misato schon bei ihrem zweiten Bier war. Shinji
stellte die Schüsseln mit dem dampfenden Essen in die Tischmitte, klopfte gegen die Tür des
zweiten Kühlschrankes und setzte sich an den Tisch.
Einen Moment lang herrschte peinliches Schweigen, dann griff Misato zu Shinjis Erleichte-
rung nach der ersten Schüssel und stellte sie Rei vor die Nase.
"Greif zu!"
"Ja."
Die Kühlschranktür wurde von innen geöffnet und Pen-Pen watschelte heraus.
"Wark!"
"Ha, komm ´rüber!" rief Misato. "Rei, das ist Pen-Pen."
"Ein Warmwasserpinguin." stellte das blauhaarige Mädchen fest, als wäre es das natürlich-
ste auf der Welt, vielleicht war es das auch für sie.
"Wark!" wurde sie von dem Pinguin begrüßt, ehe dieser sich an der freien Seite des Tisches
niederließ und Shinji seinen Napf hinschob.
"Wark!"
Shinji füllte den Napf wie geheißen.
"Ja, dann: Guten Appetit!" rief Misato, leerte ihre Bierdose in einem Zug und griff schon
nach der nächsten.
Rei stocherte in ihrem Essen herum. Shinji beobachtete das ganze, fragte sich, ob sie es
nicht mochte, oder ob es ihm vielleicht mißlungen war, und sie aus Höflichkeit schwieg;
schließlich waren weder Misato noch PenPen wirkliche Feinschmecker, sondern durch Misatos
Küche eher abgehärtet. Anfänglich wider-strebte es ihm, sie darauf anzusprechen, doch dann
überwogen seine Sorgen, ihr könnte das Essen vielleicht nicht bekommen.
"Ayanami, stimmt etwas nicht mit dem Essen?" fragte er leise.
"Nein... Aber ich esse kein Fleisch."
"Ach... das wußte ich nicht. Tut mir leid."
"Das muß es nicht, du wußtest es schließlich nicht."
"Ich werde künftig daran denken - das heißt, wenn du länger bleibst."
"Ich soll mich von den Folgen des Kampfes gegen Ramiel erholen."
"Soll? Bei dir klingt es wie ein Befehl."
"Kommandant Ikari hat es mir befohlen."
"Vater... Wie kann man jemandem befehlen, sich zu erholen?"
Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit.
"..."
"Uhm... hier, nimm dir noch etwas von dem Gemüse, da ist wirklich kein Fleisch drin."
Stumm nahm sie die Schüssel entgegen.
Wieder senkte sich Schweigen über den Tisch, nur unterbrochen von Pen-Pens Schmatzen und
den gluckernden Geräuschen, die Misato produzierte.
"Du kochst gut", sagte Rei plötzlich.
Shinji wurde rot, ohne es zu wollen.
"D-danke", stammelte er. "Uhm... Aber du kannst sicher auch gut kochen."
"Nein."
"Nein? Ah... Aber du bist doch ein..."
´Mädchen´, hatte er sagen wollen, dann war ihm eingefallen, daß Misato demselben Geschlecht
angehörte wie Rei - und Misato konnte sogar Wasser anbrennen lassen.
"Ich habe es nie gelernt."
"Hm... Uhm... tut mir..."
Unwillkürlich lag ihm seine Standardentschuldigung auf der Zunge, doch dann schluckte er
die Worte hinunter. "Ahm... ich könnte es dir zeigen, ich meine, ah, ein paar einfache Din-
ge... aber nur, wenn du willst..."
Wieder sprudelte es aus ihm heraus, ohne daß er sich die Worte vorher überlegt hatte, wie
gewöhnlich in ihrer Gegenwart. Und gewöhnlich verspürte er in ihrer Gegenwart eine seltsame
Mischung aus dem Wunsch fortzulaufen, dem Bedürfnis, ihr näherzukommen, und der Angst, zu-
rückgewiesen zu werden.
"Gern."
"Hui, du Casa... Casa... Casanova..." lachte Misato sichtlich angeheitert und schlug ihm
auf die Schulter.
Shinjis Gesicht nahm eine krebsrote Farbe an, es war ihm sehr peinlich. Er sah Rei flehend
an.
"Gib bitte nichts auf ihre Worte."
"Captain Katsuragi ist angetrunken", stellte Rei sachlich fest.
"Wark!" stimmte der Pinguin ihr zu - und leerte seine eigene Bierdose.
"Isch bin nicht anjetrun... ange... anjetrunken!" protestierte Misato. "Ah... Vielleicht
etwasch anjeheitert... aber nicht anjetrunken, klar? Wirklich jutes Esschen, Shinschi."
"Ah..."
Unbewußt öffnete und schoß er unter dem Tisch die Faust. Nur sein Vorsatz, daß Rei ihn
nicht länger für einen Feigling halten sollte, ließ ihn am Tisch ausharren.
"Shinschi, kannscht du Rei beim Auschpacken helfen? In den Kischten schind Möbel... schie
stehen schon an... Jort und Schtelle. Ihr schwei kriecht dasch schon hin..."
Und damit verzog sie sich in ihr Schlafzimmer und ließ die beiden allein. Die Aufregung
aufgrund des Gespräches mit dem Kommandanten forderte ihren Tribut...
Shinji sah Rei entschuldigend an.
"Normalerweise... Sie muß ziemlichen Streß gehabt haben... Ah..."
Seine Bemühungen, Misatos Verhalten zu rechtfertigen, klangen nicht einmal in seinen eige-
nen Ohren überzeugend.
"Schon gut."
"Nun... uhm... schön, daß du hier bist."
Sie blinzelte.
"Warum sagst du das?"
"Weil... na, weil ich mich...uhm... freue, daß du hier bist."
"Wirklich?"
"Ja."
"Das hat noch niemand zu mir gesagt."
"Niemand? Und deine Eltern?"
Sie sah nach unten.
"Ich habe keine Eltern."
"Ich... ah... tut mir leid..."
Er erinnerte sich, daß Ritsuko ihm erzählt hatte, daß Reis Eltern gestorben waren, als sie
noch ganz klein gewesen war.
Hastig räumte er das Geschirr zusammen und trug es zur Spüle, dabei fieberhaft nach Worten
suchend..
"Es ist gut."
"Danke. Ja... Dann, ah, wollen wir doch mal sehen, was man für dich, ah, gebracht hat."
Er war froh, daß sie bereit war, das Thema fallenzulassen.
"Ja."
***
Die Kisten enthielten tatsächlich die Möbel, die Shinji bereits in ihnen vermutet hatte.
Nachdem Rei ihm geholfen hatte, das System zu erkennen, wie man die Kisten auch ohne eine
Brechstange oder ähnliches öffnen konnte, war bald darauf das meiste ausgepackt.
"Ayanami, es ist schon spät... und bis wir das alles aufgestellt haben... laß es uns morgen
fertigmachen, ja? Du kannst in meinem Zimmer schlafen."
Sie sah ihn an.
Er hob die Hände, erinnerte sich an den Zwischenfall in ihrem Apartment.
"Ah,... ich schlafe natürlich auf der Couch im Wohnzimmer, nicht daß du denkst, ich...
uhm..."
"Ich vertraue dir."
Shinji blickte sie überrascht an. Es war das erste Mal, daß jemand soetwas zu ihm gesagt
hatte. Hatte sie denn vergessen, was für ein Feigling er war? Konnte - durfte - man einem
Feigling vertrauen? Durfte man ihm vertrauen?
"Ja?"
"Natürlich. Vertraust du mir nicht?"
"Doch", erwiderte er leise. "Wie könnte ich dir nicht vertrauen, nach dem was du getan
hast?"
***
Vorsichtig ließ Rei sich auf Shinjis Bett nieder und sah sich um.
Auf dem Schreibtisch neben dem Bett lag ein Stapel Papier, sie warf einen Blick auf das
oberste Blatt.
"Physik... falscher Ansatz... viel zu umständlich..." murmelte sie, als sie Shinjis Lösung
der Aufgabe begutachtete.
In der Ecke stand ein Wäschekorb, über den Rand des Korbes hing eines von Shinjis Hemden.
Rei blickte zum Wecker auf der Tischkante. Es war wirklich spät geworden.
Sie zog sich aus, legte ihre Sachen auf den Stuhl und schlüpfte unter die Decke.
"Das Kissen... es riecht nach Ikari-kun... nach seinem Haar..."
Sie schloß die Augen, sog tief den Geruch des Kissens ein, stellte sich vor, nicht allein
zu sein, fragte sich im nächsten Moment, woher diese Gedanken kamen.
"Warum bin ich hier? Weil es mir befohlen wurde. Weil ich mich ausruhen soll. Ich benötige
keine besondere Ruhe. Warum wurde es mir dann befohlen? Und ich wußte, daß der Befehl un-
nötig ist. Dennoch bin ich hierhergekommen... aber nicht, weil es mir befohlen wurde, nicht
in erster Linie... Warum bin ich dann hier?"
***
Shinji lag auf dem Sofa unter einer leichten Decke. Er konnte nicht schlafen, driftete be-
stenfalls in einen halbwachen Zustand ab.
Ihm fehlte sein SDAT-player, er hatte ihn in seinem Zimmer liegengelassen. Und er konnte
ihn nicht holen, schließlich schlief Rei dort.
Oder sollte er sich in sein Zimemr schleichen, sich den SDAT-player greifen und wieder
hinausschleichen? - Und wenn sie ihn bemerkte? Sie würde glauben, er wollte sie belästi-
gen... sie würde ihn hassen...
Wie es ihm schien, hatte sie den Zwischenfall in ihrem Apartment bereits vergessen, oder
ihm seine Ungeschicklichkeit zumindest vergeben, aber wenn es zu einem weiteren Mißverständ-
nis kam... möglicherweise würde sie ihre Sachen nehmen und wieder gehen...
Und er wollte nicht, daß sie ging, fragte sich nach dem Grund.
Unruhig wälzte er sich auf die andere Seite, fand endlich etwas Ruhe.
***
Rei erwachte durch das Piepen des Weckers.
Zuerst war ein Gefühl von Orientierungslosigkeit, dann fiel ihr ein, wo sie war. Sie stand
auf, schaltete den Wecker aus.
In ihrem eigenen Apartment wäre sie jetzt so wie sie war ins Bad gegangen, doch im letzten
Moment, die Hand schon zur Tür ausgestreckt, erinnerte sie sich, daß sie nicht allein war.
Sie sah sich im Zimmer um, entdeckte das Hemd im Wäschekorb, zog es sich über, befand, daß
sie ausreichend bekleidet war, und verließ den Raum.
Es roch nach Essen.
Auf nackten Sohlen ging sie in die Küche.
Shinji stand am Herd, wandte ihr den Rücken zu.
"Guten Morgen, Ikari-kun."
Der Junge zuckte zusammen, als sie ihn unvermittelt von hinten ansprach.
"Ah..."
Er drehte sich um, das Messer in der Hand, als er es bemerkte, legte er es eilig zur Seite.
"Guten Morgen, Ayanami..."
Er sah sie, bekleidet nur mit einem seiner Hemden, das kaum die Oberschenkel bedeckte, lief
krebsrot an, drehte sich schnell wieder weg.
"Ich... uhm... ich hoffe, du hast gut geschlafen."
"Ja. Ich bin erholt."
"Das ist schön." stammelte er, bemerkte, daß sie neben ihn getreten war, strengte sich an,
den Blick auf das Gemüse gerichtet zu halten, welches er gerade zerkleinerte, anstatt ihn
zur Seite abdriften zu lassen und sie, oder besser ihren Körper, anzustarren. Es war an-
strengend, ein Teil von ihm dachte an den Zwischenfall in ihrem Apartment, an die Weichheit
ihres Körpers, ihre samtige Haut, ihr nasses Haar... - doch ein anderer Teil, die Kombina-
tion aus Angst, Vernunft und Respekt, behielt die Oberhand, sonst hätte er vielleicht eine
Dummheit begangen.
"Ist das mit dem Hemd in Ordnung?"
"Ah... natürlich... uhm, an dir sieht es wahrscheinlich... uh... besser aus, als an mir..."
"Ja...? Was machst du?"
"Essen... Bento... für die Schule..."
Sie sah, daß er eine ganze Menge zubereitet hatte, ebenso daß zwei Schachteln bereitstan-
den.
"Für dich und..."
"Ah, ich dachte... ich könnte für dich etwas machen... wo ich schon dabei war... Siehst du,
alles vegetarisch, kein Fleisch..."
Sie sah ihn aus großen Augen überrascht an.
"Das tust du einfach für mich? Warum?"
"Uhm... weil ich es tun wollte... ah... weil es mir richtig erschien... als, äh, Ausgleich
für gestern... und..."
"Das wäre nicht nötig gewesen. Aber es ist... lieb, Ikari-kun..."
Sie machte eine Pause, schien zu überlegen, sagte dann: "Danke..."
Er schluckte, legte das Messer zur Seite, sah ihr ins Gesicht.
"Das mache ich gern, es ist keine Mühe. Ich werde gleich Misato wecken... wenn du vorher
noch ins Bad willst..."
"Ja. Und du?"
"Nach dem Frühstück, ich habe hier noch zu tun."
Sie nahm die Information mit einem Nicken zur Kenntnis, wollte sich zuerst abwenden, doch
ein innerer Impuls veranlaßte sie dazu, das Gespräch noch nicht zu beenden.
"Machst du das jeden Tag?"
Er lächelte schief, deutete auf den Haushaltsplan.
"Fast jeden Tag."
Ihr Blick folgte seinem Fingerzeig, sie sah auf das aktuelle Blatt des Monatskalendars, wo
die Tage mit kleinen Buchstaben markiert waren, M und S, bei jedem Tag waren wenigstens
zwei Markierungen. Es gab deutlich mehr Ss als Ms, bei weitem mehr.
"Oh..."
"Gewöhnungssache. Siehst du - Frühstück, Abendessen, Einkaufen, Putzen, Wäschewaschen."
"Ja..."
Er faßte sich ein Herz, wollte die Gelegenheit nicht ganz ungenutzt verstreichen lassen.
"Uhm, Ayanami..."
"Ikari-kun?"
"Könntest du... würdest du mir einen Gefallen tun?"
"Was?"
"Nenn mich bitte nicht mehr Ikari-kun... meine Freunde sagen nur Shinji zu mir, Shinji
reicht vollkommen."
Er war bemüht, die Ruhe zu bewahren, sich sein inneres Zittern nicht anmerken zu lassen,
seine Furcht, sie könnte sein verstecktes Freundschaftsangebot zurückweisen.
Sie nickte.
"Wenn du es dir wünschst..."
"Danke, Ayanami."
Ihm fiel ein Stein vom Herzen.
"Rei."
"Was?"
Sein Herz übersprang einen Schlag.
"Du kannst Rei sagen. Nach deinen Worten... Sind wir Freunde?"
"Uhm... ah... es wäre schön..."
Sein Herz schlug schneller.
"Gut. Freunde."
Damit wandte sie sich ab und ging ins Bad, über die Bedeutung des letzten Wortes nachden-
kend.
Shinji lehnte sich gegen die Tischplatte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. So
verharrte er eine Weile, ehe er sich wieder der Arbeit zuwandte. Er sah nicht, wie Rei we-
nig später das Bad wieder verließ, nur mit einem Handtuch bekleidet, und in ihrem Raum
verschwand, um Kleidung für den Tag aus dem Karton zu holen - er wäre andernfalls wahr-
scheinlich bewußtlos geworden...
***
Misato begann den Tag relativ muffelig, das legte sich, nachdem sie die obligatorische er-
ste Bierdose geleert hatte.
Shinji spürte einen Augenblick lang Reis fragenden Blick auf sich lasten, das Verhalten des
Captains schaffte es anscheinend, sogar sie aus der Ruhe zu bringen.
Der Junge zuckte nur mit den Schultern, er hatte sich inzwischen damit abgefunden, daß Mi-
sato anscheinend einen gewissen Alkoholpegel benötigte, um morgens in Fahrt zu kommen.
"Und, Rei, wie war die erste Nacht hier?" fragte Misato, nachdem sie die Dose abgesetzt
hatte.
"Ich fühle mich ausgeruht, nachdem ich in Ika... Shinjis Bett geschlafen habe."
Misato riß die Augen auf, Shinji konnte ihre Gedankengänge fast hören.
"Shinji!" keuchte sie geschockt. "Das hätte ich..."
Shinji lief wieder rot an, hob abwehrend die Hände und beeilte sich, die Sache richtigzu-
stellen.
"Nein, Misato, ah, so war es nicht. Ich habe auf dem Sofa geschlafen."
"Was?" Sie beruhigte sich wieder. "Hach, ihr könnt mich alte Frau doch nicht so erschrek-
ken. Ah, ich erinnere mich... Wir haben die Möbel noch nicht ausgepackt."
Shinji gab einen abfälligen Laut von sich.
"Ausgepackt haben Rei und ich sie schon, aber noch nicht aufgebaut."
Misato ignorierte die Anspielung auf ihre ´Abwesenheit´.
"Na, wenn ihr heute nachmittag aus der Schule kommt, könnt ihr ja weitermachen, ich habe
leider Dienst."
Shinji blickte zum Wochenplan hinüber und wußte, was das bedeutete - heute durfte er mal
wieder für seine Mitbewohnerin einspringen.
"Aber ich habe dafür gesorgt, daß ihr nicht am Sportunterricht teilnehmen müßt, also soll-
tet ihr genug Zeit haben. Ja... - Shinji, was machen deine Hände?"
"Es geht."
Er zeigte ihr kurz seine Handflächen, wo nur noch ein paar helle Narben zu sehen waren.
Die Medizin des einundzwanzigsten Jahrhunderts hatte die Heilung seiner Verbrennungen sehr
beschleunigt.
"Schön. - Rei, du mußt wissen, daß er in den letzten Tagen kaum etwas halten konnte."
"Ja."
"Naja, ich muß mich jetzt fertigmachen, viel Spaß in der Schule."
***
Shinji schielte zur Seite.
Rei ging neben ihm, den Blick geradeaus gerichtet.
Er fand sie attraktiv, das konnte er bei bestem Willen nicht verleugnen, erst recht nach
dem Zwischenfall in ihrem Apartment vor der Sache mit Ramiel. Wenn er nur nicht so ein
Feigling gewesen wäre, wenn es in seiner Natur gelegen hätte, hätte er sie wahrscheinlich
längst um eine Verabredung gebeten. So jedoch... Er hatte ihre Lippen berührt, doch die
Erinnerung war nicht angenehm, schließlich war es kein Kuß gewesen, sondern der verzweifel-
te Versuch, ihr Leben zu bewahren. Wahrscheinlich erinnerte sie nicht einmal daran,
schließlich hatte sie das Thema selbst nicht mehr angesprochen.
Sie war wie ein Geheimnis, ein wunderschönes Rätsel.
Wäre er nur ein wenig wie Touji gewesen... nein, dann hätte er wahrscheinlich gar keine
Chance bei Rei gehabt... aber... hatte er überhaupt eine?
Er hatte gesehen, wie sie seinen Vater angeblickt hatte, so voller Verehrung. Würde, nein,
mußte sie ihn nicht zurückweisen, wenn sie seine Gedanken kennen würde?
Kannte sie überhaupt Gefühle?
Shinji erinnerte sich an die Ohrfeige, die sie ihm gegeben hatte, weil er ihr gegenüber an
seinem Vater gezweifelt hatte. Oh, doch, Rei besaß Gefühle, in diesem Moment hatte Zorn in
ihren Augen geblitzt. Und als er sie aus dem Entry-Plug geholt hatte, als sie gelächelt
hatte... wie konnte er jemals bezweifeln, daß sie nicht die seelenlose Puppe war, für die
manche Menschen sie hielten?!
Er sammelte seinen ganzen Mut.
"Ah... Rei, wie geht es dir?"
"Gut. Warum fragst du?"
"Es... uhm... es interessiert mich."
"Warum?"
"Weil..."
"Interessiert es dich so, wie es den Captain oder Doktor Akagi interessiert... oder den
Kommandanten? Ob ich... funktionsfähig bin?"
"Wie Vater...?"
Nur mühsam beherrschte er die in ihm aufsteigende Wut bei der Erwähnung seines Vaters. Er
durfte die wenigen Schritte, die sie zueinander getan hatten, nicht durch eine Unbedacht-
samkeit gefährden... Seltsamerweise war er in ihrer Nähe dazu imstande.
"Nein. Du hast selbst gesagt, wir wären Freunde... Und, uhm, Freunde kümmern sich umeinan-
der. Und ich glaube, daß, ah, Misato es auch anders sieht."
"Du redest heute viel."
"Tut mir leid."
"Nein, muß es nicht. Es ist nur neu für mich, ich habe noch nie Freunde gehabt."
"Noch nie?"
"Nein."
Irrte er sich, oder lag in ihrer Stimme ein Hauch von Bedauern?
"Uhm, Ayana... Rei, ich glaube, daß viele gerne mit dir befreundet wären, wenn sie dich
erst, ah, kennengelernt haben."
"Wirklich? Warum?"
"Nun, uhm, du bist klug, mutig... siehst, ah, gut aus... und du hast ein schönes Lächeln."
Da war es wieder, dieses Gefühl, als hätte jemand die Verbindung Gehirn und Mundwerk auf
Überschallgeschwindigkeit gestellt, so daß er seine Worte nicht mehr zuerst durch seine Be-
denken und Ängste filtern konnte.
Sie blieb abrupt stehen. Eine feine Röte überzog ihre Wangen.
Shinji bemerkte, daß sie nicht mehr an seiner Seite war, drehte sich um.
"Aya... Rei?"
"Warum sagst du soetwas?"
Er schluckte, erwog, einen Rückzieher zu machen, sich hastig dafür zu entschuldigen, ihr zu
nahe getreten zu sein, konnte es nicht, fand sich ganz im Bann ihrer scharlachroten Augen.
"Weil... weil ich es so meine."
"Du findest mich... attraktiv?"
Seine Kehle wurde trocken. Aber es war heraus...
"Uhm... ja..."
Sie blinzelte.
"Danke."
"Ich... uh... bitte."
"Das war ein Kompliment, nicht wahr?"
"Ich... ah... ja."
"Und bei einem Kompliment sollte man lächeln, nicht wahr?"
"... ja."
Sie lächelte, es war ein unbeholfenes Lächeln, und dennoch schön.
"Du hast ein schönes Lächeln", wiederholte er. Diesesmal war seine Stimme fest und sicher.
"Danke..." Sie blickte nach unten, als ob sie vor ihren Zehenspitzen etwas ungeheuer inte-
ressantes befand, konzentrierte sich ganz darauf, ihr plötzlich schneller schlagendes Herz
zu beruhigen.
"Uhm... Rei?"
Sie sah auf, blickte in sein fragendes Gesicht, schaffte es, äußerlich ihre Ruhe zu bewah-
ren.
"Laß uns gehen, oder wir kommen zu spät."
***
"Danke, ich habe Danke gesagt, nicht einmal, sondern zweimal. Ein Wort der Dankbarkeit, ich
habe noch nie zuvor Danke gesagt... Und ich habe es zu ihm gesagt. Es war so natürlich..."
***
Als Shinji den Klassenraum betrat, wurde er sofort von Touji und Kensuke abgefangen.
"Hey, Shinji!"
"Ikari, du alter Hund!"
"Uhm, was ist denn?"
Er war verwirrt.
Rei ging an ihnen vorbei und nahm ihren Platz am Fenster ein.
"Ha! Wir haben gesehen, daß du mit Ayanami gekommen bist..."
Suzuhara knuffte ihn gegen den Arm.
"Und, Touji?"
"Na, du hast vielleicht ein Glück, darfst bei Misato wohnen und Ayanami begleitet dich zur
Schule, ha! Soviel Glück möchte ich mal haben, Ayanami ist zwar ein wenig seltsam, aber sie
sieht toll aus!"
*whack*
"Suzuhara, das ist keine Art, über eine Mitschülerin zu sprechen." mischte sich eine weite-
re Person ein und glättete die Papiere, welche sie ihm zusammengerollt gegen den Hinterkopf
geschlagen hatte..
"Ja, Klassensprecherin."
Das Grinsen war aus Toujis Gesicht verschwunden. Er rieb sich die Stelle, wo er getroffen
worden war.
Kensuke grinste über beide Ohren.
Shinji nutzte die Gelegenheit, um zu seinem Platz zu kommen.
"Puh..."
Er sah eigentlich unbeabsichtigt hinüber zu Rei.
Sie sah ihn an, anstatt aus dem Fenster zu blicken, dann ergriff sie kurzentschlossen ihre
Tasche und wechselte zu dem freien Platz neben ihm.
Er war überrascht.
Dem immer noch in der Nähe der Tür stehenden Touji fiel der Unterkiefer herab.
Kensuke begann, seine Brille zu putzen.
Hikari lächelte still und leise, zischte den beiden anderen dann zu:
"Auf eure Plätze, der Lehrer kommt!"
***
"In seiner Nähe schlägt mein Herz schneller... Ich sollte ihn meiden, um meine Funktionsfä-
higkeit nicht zu gefährden... doch ich will nicht... ich will nicht... im Gegenteil, ich
verringere die Distanz zwischen uns... es scheint ihm zu gefallen..."
***
Die Unterrichtsstunde schien wieder einmal kein Ende nehmen zu wollen.
Der alte Sensei kaute zum x-ten Mal monoton seine Version der Geschehnisse des Second
Impact wieder, wobei er aus dem Fenster sah und der Klasse keine Beachtung zeigte. Genau-
sogut hätte der Klassenraum leer sein können.
Touji gähnte und sank über seinem Pult zusammen, den Kopf auf die Arme legend.
Shinji blickte auf seinen Laptop, als dort ein rotes Licht zu blinken begann. Er hatte eine
Mail. Da es ein geschlossenes System war, konnte die Nachricht nur von einem seiner Klassen-
kameraden kommen. Er öffnete die Mail.
Also, was ist zwischen Ayanami und dir?
Shinji sah sich um, doch er ahnte schon, wer die Nachricht geschickt hatte.
Kensuke grinste ihn an.
Nichts.
Wirklich?
Sie wohnt jetzt auch bei Misato.
*rums*
Der Lehrer brach seinen Monolog ab, suchte verwirrt nach der Quelle des *rums*.
"Aida, warum sitzt du auf dem Boden?"
Kensuke zog sich an seinem Pult in die Höhe, rieb sich die Stirn, die er an der Kante ange-
schlagen hatte.
"Entschuldigung, Sensei, eine Unachtsamkeit."
"Hm. Gut, setzt dich wieder, aber keine weiteren Störungen."
"Ja, Sensei."
Shinji unterdrückte ein Grinsen. Wieder erschien das ´Sie haben Post´-Symbol auf seinem
Bildschirm.
Du glücklicher Hund. Darfst einen EVANGELION steuern und nicht nur mit Misato, sondern
auch noch mit Ayanami zusammenwohnen.
Es ist nichts. antwortete er und ignorierte die nächste Mail. Aber war es wirklich nichts?
***
In der Mittagspause gab Shinji Rei die Lunchbox, die er am Morgen für sie vorbereitet hatte.
"Ah, und Essen kocht er ihr auch!" rief Touji bei dem Anblick. "Kensuke, ich fürchte, wir
haben Shinji verloren."
"Ja. Armer Shinji, ich kannte ihn gut."
*whack*
*whack*
"Suzuhara, Aida, das ist kein angemessenes Benehmen." mahnte Hikari, in der Hand eine zu-
sammengerollte Zeitung.
"Ja, Klassensprecherin." antworteten die beiden im Chor, während Furcht sich in ihre Blicke
stahl.
Auf der Bank, auf der Shinji und Rei saßen, blickte diese den Jungen an.
"Was geht da drüben vor sich?"
"Ich weiß nicht... Meinst du Touji und Hikari?"
"Ja, Suzuhara, Aida und Horaki."
"Ach... hm, ich glaube, Hikari mag Touji ein wenig."
"Und deshalb schlägt sie ihn?"
"Ich... ah... hm..."
"Heißt das, ich muß dich auch schlagen?"
"Rei, nein, bitte..."
Er sah sie erschrocken an. Da war etwas in ihem Blick, etwas ungewohntes. Er begriff.
"Das war ein Scherz, oder?"
"Ja. Ich würde dich nie verletzen."
Er blinzelte. Sollten ihre Worte bedeuten, daß er ihr nicht egal war, daß sie ihn... moch-
te?!
"Rei..."
Ihre Augen zogen ihn fast magisch an, ihre Nähe ließ seine Hormone verrückt spielen. Er
wollte die Hand ausstrecken, sie zu sich heranziehen und ihre Lippen küssen...
"..."
"..."
"...was ist?"
Er unterbrach den Blickkontakt, errötete.
"Nichts."
Wenigsten konnte er die ihm auf der Zunge liegende Entschuldigung unterdrücken.
Sie öffnete ihre Schachtel, begann zu essen, hielt inne, sah ihn mit großen Augen an.
"Das ist gut."
"Danke."
"Nein, wirklich. Es stimmt ja nicht, daß ich gar nicht kochen könnte, immerhin habe ich
schon immer allein gelebt, aber das ist köstlich."
"Rei..."
Er lächelte ob das Wortschwalles und des genießerischen Gesichtsausdruckes.
"Schön, daß du es magst, wenn du willst, kann ich dir regelmäßig etwas machen."
"Das würdest du?"
"Für einen Freund, ja."
"Aber es macht doch Mühe."
"Das hängt davon ab, für wen man es macht."
"Ja?"
"Ja... Du bist ein besonderer Mensch..."
Im nächsten Moment hätte er sich auf die Zunge beißen können. Er hatte sich doch normaler-
weise besser unter Kontrolle. In ihrer Gegenwart jedoch schienen die Sorgen und Bedenken,
die ihn normalerweise quälten, vergessen.
"Findest du?" fragte sie leise. "Ich bedeutete dir wirklich etwas..."
Ihm fehlten die Worte, um zu antworten.
Ihre Finger legten sich auf die seinen in einer kurzen zärtlichen Berührung.
"Danke."
Shinji war, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen.
Ringsum ergriffen andere Schüler die Flucht oder fielen einfach in Ohnmacht, als sie den
Kopf schräg legte und lächelte. Shinji selbst kämpfte mit plötzlichem Nasenbluten, sie sah
verdammt hübsch aus...
"Kensuke, wir müssen Shinji retten!"
"Ja, Touji, das kann nicht Ayanami sein.Vielleicht hat der Feind von ihr Besitz ergriffen,
oder sie ist eine Außerirdische, die nur ihre Gestalt angenommen hat, oder..."
*whack*
*whack*
"Ihr laßt die beiden gefälligst in Ruhe!"
"Ja, Klassensprecherin."
***
Der restliche Schultag verging rasch, immer wieder rief Shinji sich das Bild der lächelnden
Rei vor Augen. Es ließ sein Herz schneller schlagen und rief ein angenehm warmes Gefühl in
seiner Magengegend hervor.
Die beiden eilten schließlich nach Hause, um Reis Zimmer fertig einzurichten.
Eigentlich gab es nicht mehr viel zu tun, außer die Teile der Transportkisten wegzubringen
und ein paar Schrauben anzuziehen.
Und genau da kam es zum nächsten Zwischenfall.
Eine der Schrauben, die eigentlich die Schreibtischplatte auf dem Untergestell fixieren
sollten, fiel Shinji aus der Hand und rollte unter das Bett, es war ein niedriges metalle-
nes Bettgestell von einigem Gewicht, bei dem am Vortag sogar die beiden kräftigen Männer
des Transportunternehmens ins Schwitzen gekommen waren.
Shinji traute sich definitiv nicht zu, das Gestell anzuheben, also ging er auf die Knie und
tastete nach der Schraube.
"Ich hab sie gleich..."
Sie war direkt vor seinen Fingerspitzen, rollte bei der Berührung weg.
"Ah..."
Rei trat an das Bettende, beugte sich vor und hob das Gestell mit einer Hand an...
"Ah, gut, da ist sie ja..."
Er wollte aufstehen, als ihm aufging, was Rei getan hatte, die schmale, nicht gerade kräf-
tig wirkende Rei...
"Ah..."
Sie ließ das Gestell wieder herabsinken, immer noch einhändig, bemerkte, daß er sie ansah
wie ein Gespenst.
"Ist etwas?"
"Uhm, nein... Es ist nur... Du bist... stärker, als du aussiehst..." stotterte er.
Sie runzelte die Stirn, blickte auf ihre Hände.
"Ja. Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken."
"Nein, nein, du hast mich nicht erschreckt... nur überrascht..."
"Ich setze meine Krafte nicht oft ein, Koman... dein Vater hat mich davor gewarnt, sie
Fremden gegenüber zu demonstrieren."
"Ja?"
"Aber du bist kein Fremder, also ist es in Ordnung."
"Kräfte? Das klingt, als könntest du noch mehr."
"Ja. Ich kann zum Beispiel ganz gut Physik."
Da war es wieder, dieser Glanz in ihren Augen, dieses schelmische Funkeln.
"Würdest du mir mit den Aufgaben für morgen helfen, wenn wir hier fertig sind?"
"Gern."
Als nächstes packte sie den Inhalt ihres Kartons aus, wandte ihm dabei den Rücken zu, so
daß er nicht den Ausdruck von Verwirrung auf ihrem Gesicht sehen konnte.
***
"Was geschieht mit mir? Danke... Gerne... Ich möchte für ihn dasein... Freunde sind für
einander da, hat er gesagt... Freunde... Wir sind Freunde... ja... ich möchte es so... ich
möchte... ich kann mich nicht erinnern, vorher Wünsche gehabt zu haben... was passiert mit
mir? Es ist nicht unangenehm... Freunde..."
***
Shinji stand an der Zimmertür und trat nervös von einem Fuß auf den anderen, unsicher, was
er tun sollte, während Rei ihre Sachen auspackte und auf dem unbezogenen Bett ablegte.
"Ist das alles, was du hast?" fragte er schließlich. Er zählte acht Sätze Schuluniformen,
einen Badeanzug, ein weiteres Paar Schuhe und einen Packen Unterwäsche, dem er sich be-
mühte, sowenig Aufmerksamkeit wie möglich zu schenken, eine kleine Tasche für Toilettenar-
tikel, eine beige NERV-Uniform, wie er sie selbst im Schrank hängen hatte, einen Stapel
Schulbücher, eine dunkle Jacke und noch ein paar unwesentliche, nicht persönliche Dinge.
"Ja, alles, was ich brauche."
Als letztes holte sie ein zu zwei Dritteln gefülltes, verschlossenes Wasserglas heraus, zö-
gerte kurz, als sie den Wasserstand betrachtete und stellte es auf den Schreibtisch.
"Uhm, du willst sicher einräumen, ich habe noch ein paar Arbeiten zu machen, danach könn-
ten wir uns vielleicht die Physikaufgaben ansehen."
"Ich komme gleich", murmelte sie abwesend.
***
"Das Glas ist voller als ich es zurückgelassen habe... Meine Seele... Warum? Sind es die
Erfahrungen der letzten zwei Tage?
***
Als Misato abends nach hause kam, hockten die beiden Teenager am Eßtisch und waren noch im-
mer mit den Hausarbeiten beschäftigt. Obwohl Rei sich die größte Mühe gab, hatte Shinji
immer noch Schwierigkeiten damit, gewisse Konzepte zu verstehen.
Das blauhaarige Mädchen sprach ruhig und emotionslos wie immer, Shinji hingegen machte ein
verzweifeltes Gesicht.
"Tadaima!" (= ich bin daheim)
"Oh, Misato!" rief Shinji und wollte aufspringen - auch eine schlechte Ausrede, um von den
Aufgaben wegzukommen, war besser als gar keine -, wurde aber von Rei am Arm festgehalten.
Ihre Kraft überraschte ihn erneut, dabei fühlte sich ihre Berührung fast noch sanft an.
"Nicht weglaufen, sonst verstehst du es nie."
Sie ließ ihn zögerlich los, während eine leichte Röte ihre Wangen überzog.
Misato steckte den Kopf in den Wohn- und Eßraum.
"Ah, hier steckt ihr. Hausarbeiten? - Physik... - Rei, hilfst du Shinji?"
"Ich tue, was ich kann, aber er versteht es einfach nicht." antwortete Rei und seufzte.
Es hatte denselben Effekt, als wäre sie plötzlich in Tränen ausgebrochen.
"Rei, geht es dir gut?" fragte Misato besorgt.
Shinji sah sie erschrocken von der Seite her an.
"Rei, ich... ich verspreche, daß ich mir alle Mühe geben werde, gut?"
Sie nickte.
Misato blinzelte.
"Ich wollte nur kurz vorbeikommen, um mir etwas anderes anzuziehen."
Ihre Jacke und ihr Rock waren voller dunkler Flecken.
"Ritsuko hat sich entschlossen, mal wieder eine 48-Stunden-Schicht einzuschieben und sich
mit Kaffee wachzuhalten, der so stark ist, daß der Löffel drin steckenbleibt. Sie sollte
das wirklich lassen - oder wenigstens etwas aufpassen, wem sie in ihrer Übermüdetheit das
Zeug über die Sachen kippt." klagte sie ihren Mitbewohnern ihr Leid.
"Pack die Sachen in den Wäschekorb im Bad, ich kümmere mich darum." entgegnete Shinji.
"Ja, ich weiß, heute wäre ich mit Küchendienst dran, tut mir leid. Aber ich habe unterwegs
ein paar Besorgungen gemacht."
Sie stellte zwei große prallgefüllte Tüten neben den Tisch.
Shinji linste in die Tüten, die eine enthielt Bier, Bier und nochmals Bier, die andere
Bier, Bier und tatsächlich Nahrung.
"Ach ja, Akagi läßt euch ausrichten, daß sie für morgen vormittag leichtes Training geplant
hat."
"Was für Training?"
"Synchrontraining für Rei, Schießübungen für dich."
"Oh."
"Du mußt lernen, besser mit dem Positronengewehr umzugehen, falls die Zielvorrichtung aus-
fällt. Und jetzt guck mich nicht so finster an, ich bin nur der Bote. - Ach, und Rei, falls
du Lust hast, könnten wir morgen nachmittag zusammen einkaufen gehen."
"Ja, Capt... Misato-san."
Misato lächelte, verdrehte innerlich die Augen und verschwand in ihrem Zimmer.
Rei wandte sich wieder Shinji zu.
"Also, diese Aufgabe hier..."
***
Eine Stunde später hatte er es tatsächlich verstanden.
Rei fühlte den Anflug einer Emotion, bei der es sich nur um Stolz handeln konnte
Shinji starrte auf das Aufgabenpapier vor ihm und fragte sich, weshalb er das Problem nicht
eher erkannt hatte.
"Danke, Rei, ich glaube, ich habe es."
"Schön."
Er räumte seine Sachen zusammen, packte dann die Einkäufe weg.
"Was möchtest du essen? Sag es, und vorausgesetzt, die nötigen Zutaten sind im Haus, koche
ist es dir."
"Du willst für mich kochen?"
"Ja. Ich fühle mich großartig."
"Es ist schön, wenn du dich wohlfühlst."
"Also, was soll ich uns kochen?"
***
"Es ist seltsam... Er möchte, daß ich mich wohlfühle... Und ich möchte, daß er sich wohl-
fühlt. Ich... fühle mich wohl in seiner Nähe... Ich möchte in seiner Nähe sein... Warum?"
***
Ein buddhistischer Tempel bei Osaka-02
Der Mönch in der safrangelben Kutte sah auf, als er die Annäherung des Weißhaarigen bemerk-
te, hielt in seiner Tätigkeit, die Stufen des Tempels zu kehren, inne.
Der Weißhaarige deutete eine Verbeugung an, der Mönch erwiderte den Gruß.
"Ihr seid zurück, Magus."
"Ja, Bruder Shan."
"Habt Ihr Euch davon überzeugt, daß die Orakel wahrgesprochen haben?!"
Der Weißhaarige nickte.
"Darf ich den Tempelgrund betreten?"
"Natürlich, Ihr konntet stets die Gastfreundschaft der Bruderschaft in Anspruch nehmen."
"Ich weiß. Aber die Zeiten haben sich geändert, das sechste Zeitalter ist angebrochen..."
"Der Impact, ja. Folgt mir."
Der kahlköpfige Mönch drehte sich um und stieg die Stufen hinauf.
Der Weißhaarige zögerte kurz, folgte ihm dann. Als er die Stufen betrat, veränderte sich
seine Kleidung, verschwand der graue Mantel und machte einem weiten schwarzen Umhang Platz,
darunter trug er ein weißes Hemd und dunkle Hosen, dazu wadenhohe bequeme Stiefel, vor der
Brust trug er ein handtellergroßes Amulett mit einem großen halbgeschlossenen Augensymbol,
das Zeichen der Seher von Vardian. Einen Moment lang zuckten kleine Blitze, winzigen elek-
trischen Entladungen gleich, um ihn herum, als er die Aegisgrenze passierte.
Ein Windstoß ließ den Umhang aufwehen...
Der weiße Rabe, welcher ihn begleitete, blieb draußen, ließ sich auf einem Dachvorsprung
nieder und beobachtete den Platz vor dem Tempel.
