Kapitel 3, 2.Teil
Misato hatte das Verhalten ihrer Mitbewohner die ganze Zeit über beobachtet und mit
Freude zur Kenntnis genommen, daß die beiden Teenager aufzutauen begonnen hatten.
Etwa drei Wochen nach Reis Einzug fing sie Shinji ab, als dieser vom Synchrontraining
kam.
"Hey, Shinji!"
"Uhm, ja?"
Sie winkte ihn zu sich.
"Was ist denn? Ist dir noch etwas eingefallen, was ich heute vom Einkauf mitbringen
kann?"
"Nein, darum geht es nicht. Reis Trainingsmethoden scheinen ganz schön Erfolg zu haben.
Erst wollte ich es ja nicht glauben, als sie mir erzählte, was sie mit dir vorhatte,
aber dein jetziges Können gibt ihr Recht."
"Äh, ja. Sie... sie hat sich viel Mühe gegeben."
"Hm. Hast du dich auch schon bei ihr bedankt?"
"Uhm..."
Er wurde rot, erzählte ihr stammelnd von seinem Valentinsgeschenk, was ein breites Lä-
cheln auf ihr Gesicht brachte.
"Na, das ist doch schon ´mal ein Anfang. Aber, was hälst du davon, sie einzuladen?"
"Einzuladen? Meinst du... eine Verabredung?"
"Klar, ein Date."
"Uhm... und... und wenn sie ablehnt?"
"Das glaube ich irgendwie nicht. Aber, Shinji, manchmal muß man ein Risiko eingehen."
"Ich... ah... Misato... ja."
Misato überdrückte ein Seufzen.
"Ähm, aber... wie?"
"Hm, ich wüßte schon etwas: Lad´ sie in ein schönes Restaurant ein, dann geh mit ihr in
einen netten Film."
Sie bemerkte seinen bereits leicht verzweifelten fragenden Blick.
"Ich kenne da ein hübsches Lokal, - nicht zu teuer, aber auch kein Fastfood-Laden, - wo
keine piekfeine Kleidung erforderlich ist."
"Gibt es da auch... vegetarisches Essen... für Rei?"
"Ja... Du denkst gleich an sie..."
"Uhm..."
"Paß auf, überlaß das Drum und Dran nur mir, du mußt sie nur fragen - und natürlich mit
ihr hingehen."
gulp
***
Noch am selben Tag wurde das Unternehmen in Angriff genommen. Shinji machte einen derart
nervösen Eindruck, daß Misato kurz mit dem Gedanken spielte, ihn mit Bier abzufüllen.
Schritt für Schritt tastete er sich auf dem Flur vor in Richtung zu Reis Zimmertür, je-
der Schritt fast eine olympische Meisterleistung.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, während er in Gedanken immer wieder die Worte formu-
lierte, die er mit Misato eingeübt hatte.
Er klopfte an ihre Zimmertür.
"Ja?"
"Uhm, ich bin´s, Shinji."
"Ja..."
Einen Moment lang war still, während Rei drinnen wartete, daß er den Grund seines Klo-
pfens erklärte. Dann ging ihr auf, daß er wahrscheinlich darauf wartete, daß sie ihr
hereinbat.
"Komm rein."
"Äh, ja."
Er öffnete die Tür und schlüpfte hinein.
Rei saß an ihrem Schreibtisch über den Hausaufgaben, sie hatte noch einiges aufzuarbei-
ten, weil sie aufgrund des Synchrontrainings nicht zum Unterricht hatte erscheinen kön-
nen. Jetzt sah sie ihn fragend an, ein Gesichtsausdruck, den sie ebenso wie ihr Lächeln
in den letzten Tagen kultiviert hatte.
"Wie kann ich dir helfen?"
"Uhm, nein, nein..."
Sie sah ihn weiterhin an, mittlerweile an seine Art im Großen und Ganzen gewöhnt und
daher wissend, daß er etwas auf dem Herzen hatte, wenn er sich so verhielt.
"Ähm, Rei, hast du... hast du heute abend schon etwas vor?"
Sie runzelte die Stirn.
"Hausarbeiten, Abendessen, duschen, etwas lernen." zählte sie ihre Planung auf.
"Nein, äh, du hast also nichts... außergewöhnliches vor?!"
"Außergewöhnlich?"
"Rei, würdest du... würdest du heute mit mir ausgehen?"
Shinji hielt den Atem an, sein Blick schoß von Rei zum Fenster, zum Schrank, zu dem Glas
auf dem Schreibtisch, zu Rei zurück...
"Ausgehen?"
"Ich... ah... du weißt, eine Verabredung... ein Date..."
"Ein Date? Wir beide?"
"Uhm, ja."
Er sah zu Boden, bereitete sich innerlich darauf vor, aus dem Raum zu fliehen.
"Wozu?"
"Uhm..."
Er zwang sich, sich an sein Gespräch mit Misato zu erinnern.
"Damit wir uns besser kennenzulernen."
"Aber wir kennen uns bereits. Wir kennen uns gut."
"Uh... Ich... ich möchte mich bei dir auf diese Art dafür bedanken, daß du mir soviel
Zeit gewidmet hast."
"Du hast dich doch schon bedankt."
Sie deutete auf die Rose, die auf dem Schreibtisch stand.
"Ja, aber das ist doch nicht... nicht genug. Uhm, also, Rei, würdest du heute abend mit
mir... ausgehen?"
Sie sah ihn an, lächelte plötzlich.
"Wann wollen wir aufbrechen?"
"Das..."
Er mußte selbst lächeln, besprach dann mit ihr die Einzelheiten.
Gegen Abend fuhr Misato die beiden zu dem von ihr ausgewählten Restaurant und vereinbar-
te, sie später wieder abzuholen.
Rei bestellte sich ein Nudelgericht und einen Salat, Shinji nahm bei seiner Bestellung
auf seine Begleiterin Rücksicht und orderte ein Gericht, welches zwar Fleisch enthielt,
dies aber nicht allzu offensichtlich war.
Die beiden aßen schwiegend.
"Schmeckt es dir, Rei?"
"Ja..." Ihr Blick traf den seinen. "Aber nicht so sehr, als wenn du kochst."
"Das... ein Kompliment, oder?"
Sie nickte lächelnd.
"Ja."
"Uhm... danke."
Wieder senkte sich Schweigen über ihren Tisch, allerdings war es kein unangenehmes
Schweigen, denn immer wieder trafen sich ihre Blicke, zuckte ein Lächeln über beider
Lippen.
Als sie ihre Mahlzeit beendet hatten, beglich Shinji die Rechnung.
"Weshalb bezahlst du für uns beide?"
"Weil... uhm... ich dich eingeladen habe."
"Ja... Danke."
Er stand auf, holte ihre Jacke, hielt sie so, daß sie hineinsteigen konnte.
"Rei, uhm, wir haben noch Zeit... Hier ganz in der Nähe ist ein Kino, wir könnten uns,
uh, einen Film ansehen."
Sie blickte ihn an und nickte.
Die Vorstellung, mit ihm allein neben sich in einem dunklen Saal zu sitzen war seltsam
stimulierend.
So sahen sie sich einen Film an, ohne daß etwas besonderes geschah, beide saßen mehr
oder minder regungslos in ihren Sesseln, allerdings teilten sie sich eine Armlehne, so
daß ihre Handrücken einander immer wieder berührten.
Gegenüber Misato bejahten beide, einen netten Abend gehabt zu haben.
Mit jedem Tag, der verging, hatten sie mehr das Gefühl, den jeweils anderen besser zu
verstehen.
Und dann schlug Asuka zu...
***
Standbilder...
Die UN-Flotte unter Führung des Flugzeugträgers ´Over the Rainbow´.
Der Engel Gagiel, der eines der Schiffe nach dem anderen versenkt.
EVA-02, gehüllt in die Plane, auf dem Deck des Flugzeugträgers stehend wie ein Krieger
aus alten Zeiten mit einem Cape.
EVA-02 im Kampf mit dem Engel, über und unter Wasser.
Die Zerstörung des Engels.
Der Projektor wurde abgeschaltet.
"Sehr beeindruckend." kommentierte Misato.
"Toll, diese schnellen Bewegungen", staunte Shinji. "Und wie ist das Second Children,
diese Asuka Soryu Langley?"
Misato sah ihn an.
"Wieso, genügen dir Rei und ich nicht?"
"Ah..."
Misato lachte, bemerkte die feine Röte nicht, welche Reis Wangen überzog..
"Von euch dreien ist sie wahrscheinlich am ehesten ernstzunehmen."
"Was soll das heißen?"
"Nun, sie hat bereits einen Schulabschluß, der dem Senior Highschool Abschluß entspricht,
dazu eine umfassende Zusatzausbildung bei ODIN."
"ODIN?"
"Europäischer Geheimdienst, arbeitet eng mit NERV-Deutschland zusammen. Asuka wurde die
letzten zehn Jahre für ihren Einsatz mit EVA-02 ausgebildet."
"Zehn Jahre... und mit der Schule ist sie auch schon fertig..."
"Ja, ihr werdet euch ganz schön anstrengen müssen, um mit ihr mithalten zu können. So,
wenn ihr nach der Schule wieder herkommt, kann ich sie euch vorstellen."
Die beiden gingen.
"Ein interessanter Anblick", murmelte Akagi.
"Rei hat unglaubliche Fortschritte gemacht... als ob sie nur darauf gewartet hätte, daß
jemand ihr etwas Aufmerksamkeit schenkt."
"Auf alle Fälle tut es ihrer Synchronisationsrate gut."
"Und die beiden sind wirklich niedlich. Gestern morgen standen sie Seite an Seite am
Herd und haben gekocht."
"Hm. Eigentlich halte ich Beziehungen für unlogisch, aber solange es nur Freundschaft
ist..."
"Shinji ist viel zu schüchtern, um etwas mit ihr anzustellen."
"Und Rei?"
"Wie - und Rei?"
Ritsuko lachte.
"Als ihr behandelnder Arzt weiß ich zufällig, daß sie mitten in der Pubertät ist, sie
könnte eine tickende Zeitbombe sein."
"Ah! Worauf habe ich mich nur eingelassen..."
"Ich hatte dich gewarnt, Misato!"
***
Der Nachmittagsunterricht fiel aus.
Shinji hatte den Fehler gemacht, gegenüber Touji und Kensuke Reis Billiardkünste zu er
wähnen, was darin resultiert war, daß die beiden ungläubigen das blauhaarige Mädchen
herausgefordert hatten. Und Rei hatte angenommen, sie gegen Touji, Kensuke und Shinji.
Aus Gründen, die später nicht mehr nachvollziehbar waren, schloß sich die Klassenspre-
cherin Hikari Horaki der Gruppe an.
***
Ayanami überraschte Kuro immer mehr, nicht nur, daß der junge Ikari unter ihrer Anlei-
tung große Fortschritte gemacht und dabei sogar Spaß gehabt hatte, an jenem Tag erschien
sie in Begleitung dreier weiterer Kinder. Die drei Neulinge gehörten nicht NERV an, aber
es waren noch über drei Stunden, bis er eigentlich seine Tür öffnete, so daß er kein
Problem darin sah, ihnen die Nutzung eines der Tische zu gestatten. Es war ein sehr in-
teressanter Anblick...
***
Rei stand auf der einen Seiten des Tisches auf ihren Billiardstock gestützt, dabei so
lässig wirkend, wie es ihr möglich war.
Shinji, Touji, Kensuke und Hikari standen auf der anderen Seite, jeder ein Queue in der
Hand, die Situation war auch so schon unwirklich genug, daß keiner von ihnen die Inten-
tionen der Klassensprecherin nachfragte.
Kensuke bemühte sich, möglichst cool dazustehen.
"Worauf wollen wir uns einigen?"
"Beliebige Reihenfolge der Kugeln, ein Punkt pro Kugel. Zwei Teams, ich gegen euch, legt
die Reihenfolge fest, in der ihr spielen wollt. Das Team, das eine Kugel versenkt, er-
hält den nächsten Stoß. Ihr könnt anfangen." erklärte Rei völlig ruhig.
Die vier auf der anderen Seite sahen sich an.
"Okay, Beratung", schlug Touji vor, woraufhin sie die Köpfe zusammensteckten. "Wie gehen
wir vor?"
"Rei ist sehr gut, wenn sie drankommt, wird sie alle Kugeln versenken", flüsterte Shinji.
"Hm", machte Kensuke. "Ich bin recht gut."
Touji blickte auf seinen Stock, drehte ihn verlegen in den Händen. Es war deutlich, daß
er gerade mal so wußte, welches das korrekte Ende war.
"Ich hatte sowas noch nicht oft in der Hand."
"Dann muß dir jemand vielleicht ein paar Vorlagen machen."
Hikari räusperte sich.
"Das kann ich machen."
"Du?" kam es aus drei Kehlen gleichzeitig.
"Ja, wieso nicht? Mein Vater hat es mir beigebracht, wir haben auch einen Tisch im Kel-
ler."
"Wirklich?" staunte Kensuke.
"Uhm, ich bin nicht so toll, trotz der Übung", bemerkte Shinji.
Sie einigten sich darauf, daß Touji den Anstoß machen würde, in der Hoffnung, daß wenig-
stens eine Kugel ihr Ziel finden würde.
Natürlich versenkte er keine einzige Kugel, so daß Rei übernahm. Shinjis Vorhersage be-
wahrheitete sich.
1:0 für Rei Ayanami...
Die Aufstellung wurde geändert, Anstoß Shinji, dann Kensuke, der versuchen sollte, Touji
eine Vorlage zu liefern, dann Touji, schließlich Hikari.
Diesesmal lief es besser, jeder lochte eine Kugel ein, bis Shinji wieder dran war, der
der weißen Kugel zuviel Drall verpaßte und sie vom Tisch beförderte.
Rei fing die Kugel reaktionsschnell in der Luft auf, legte sie sich mit ausdruckslosem
Gesicht zurecht.
2:0 für Rei Ayanami...
Matsuhiro Kuro stand auf seinem Mop gestützt neben dem nächsten Tisch und beobachtete
das ganze mit breitem Grinsen, ganz der stolze Lehrmeister.
Wieder wurde die Ausstellung verändert, diesesmal sollte Hikari, die gezeigt hatte, daß
sie zielsicher über zwei Banden spielen konnte, den Anstoß machen.
Und diesesmal schafften es die vier tatsächlich, genug Kugeln zu versenken, um das Spiel
zu gewinnen, ehe Kensuke schließlich seinen Stoß versiebte.
Rei deutete eine Verbeugung an.
"Ihr habt gewonnen."
"High Five!"
Touji, Kensuke und Shinji klatschten sich in die Hände.
"Aber nur, weil wir anfangen konnten." grinste Hikari.
Kuro klatschte Beifall und ging zu seiner Theke.
"Das sollte gefeiert werden, was wollte ihr trinken? - Aber keinen Alkohol."
Rei starrte Hikari, oder besser ihr breites Grinsen, an. Ihre Mundwinkel begannen zu
zucken, wanderten langsam nach oben, zugleich öffneten sich ihre Lippen, blitzten ihre
Zähne ein wenig. Es war ein recht verunglücktes Grinsen, eher das Grinsen eines hungri-
gen Wolfes.
Anscheinend fühlte es sich auch für sie selbst seltsam an, denn im nächsten Moment zeig-
te ihr Gesicht wieder den üblichen ruhigen Ausdruck.
***
"Hey, schaut mal, da drüben!"
Touji deutete quer durch die Spielhalle, an der sie gerade vorbeigingen.
Hikari griff schon einmal vorsorglich in ihre Tasche nach der zusammengerollten Zeitung.
"Ui!" pfiff Kensuke.
Shinjis Blick begann, nervös hin- und herzuzucken.
Rei war... nun ja, Rei halt.
Objekt der Aufmerksamkeit war ein rothaariges Mädchen in einem gelben Sommerkleid und
mit langen weißen Handschuhen an einem Spielautomaten - und mit fast endlos langen Bei-
nen.
"Ist die süß!" flüsterte Touji und wurde nur von Hikaris Gegenwart davon abgehalten, zu
sabbern.
Für Kensuke gab es diese Beschränkungen nicht.
"Ah..., sie hat ein hübsches Kleid." gab ein plötzlich stark transpirierender Shinji
Ikari von sich. "Können wir weitergehen?"
"Verdammter Mist!" rief das Mädchen, als ihr Ziel aus dem Greifer des Automaten rutsch-
te. Wütend gab sie der Maschine einen Tritt.
Interessanterweise trat genau in dem Augenblick, in dem ihr Rock hochflog, Rei in Shin-
jis Blicklinie.
Touji duckte sich instinktiv unter Hikaris Schlag mit der Zeitung hindurch.
"Laßt uns verschwinden", murmelte er. "Gutes Aussehen, aber voll der schlechte Charakter."
Die Rothaarige drehte sich um, sah ihr Publikum.
"Ihr, was glotzt ihr denn so?"
"Uhm..." - "Ah..." - "Wir..." - "..."
Sie marschierte auf Touji zu und hielt die Hand auf.
"100 Yen Gebühren für´s Schauen."
"Hä?"
"Na, ihr habt mir noch unter den Rock geschaut!"
"Sag mal, bist du bescheuert?"
Shinjis Blick irrte von Rei zu Hikari und zurück.
"Ha, typisch! Glotzen, häßlich aussehen und dann nicht mal Geld haben!"
Touji kochte mittlerweile, das sah man ihm an.
"Jetzt hör mal zu..."
Er packte ihr Handgelenk, blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an.
"Laß los!"
"Du falsche Rothaarige, was fällt dir eigentlich ein?"
"Touji..." setzte Hikari an.
"Ich sagte... Laß los!"
Sie trat ihm vor das Schienenbein, riß sich los, stolperte dabei einen Schritt nach hin-
ten, gegen eine andere Person.
"Argh! Was fällt dir ein, du Schlampe!"
"Schlampe?"
Im nächsten Moment war eine wilde Keilerei im Gange. Dummerweise war der andere nicht
allein, und ebenso dummerweise glaubten seine Freunde, daß die fünf anderen zu der Rot-
haarigen gehörten.
Rei wich einem Faustschlag aus, schob Shinji zur Seite, legte einem der Schläger ganz
beiläufig die Hand gegen den Hals, woraufhin er besinnungslos zusammenbrach.
In der Ferne erklang eine Sirene, kam schnell näher.
"Die Polizei! Los, weg!" rief Touji und ergriff Hikari am Arm, zog sie mit sich.
Rei runzelte eine Sekunde lang die Stirn, imitierte Touji dann, indem sie sich Shinji
schnappte und mitschleppte.
Das rothaarige Mädchen zog ´ihrem´ Schläger noch schnell einen Stuhl über, verpaßte ei-
nem weiteren einen hohen Kick und lief dann in die entgegengesetzte Richtung.
Kensuke schloß sich den anderen vieren an, nachdem er der Rothaarigen noch einen Moment
nachgesehen hatte.
"Ich glaub, ich bin verliebt..."
***
Auf halbem Wege zum NERV-Hauptquartier hatten Shinji und Rei sich von den anderen ge-
trennt. Als sie den Seiteneingang erreichten, den sie normalerweise benutzten, stand ih-
nen dort das rothaarige Mädchen wieder gegenüber und fuchtelte mit einem Ausweis vor dem
Scanner herum.
"Warum funktioniert das nicht? Kaputt oder was?"
Die Rothaarige trat kräftig gegen die Stahltür.
"Äh..." entfuhr es Shinji.
Sie fuhr herum, nahm die beiden anderen in Augenschein.
"Euch kenne ich doch! Was macht ihr denn hier?"
Rei zückte ihren Ausweis, ging an ihr vorbei und fuhr die Karte durch das Lesegerät.
Das Sicherheitsschott glitt auf.
"Shinji, kommst du?"
"Uhm, ja."
"Das kann doch nicht wahr sein!" rief die Rothaarige. Vom Bild und den Angaben natürlich
abgesehen besaß sie einen identischen Ausweis. Ihre Augen wurden groß. "Ihr seid doch
nicht wirklich das First und Third Children?!"
"Doch." kam es von Rei.
"Uh, ja, sind wir." bestätigte Shinji.
"Unglaublich!"
***
EVA-Hangar:
Misato lächelte breit, als sie das rothaarige Mädchen vorstellte.
"Das ist Asuka Soryu Langley, das Second Children und Pilotin von EVA-02."
Die Rothaarige trat ganz anders auf, lächelte freundlich.
"Hallo. Schön, euch kennenzulernen."
Shinji sah zu Rei, die mit unbewegtem Gesicht den Gruß erwiderte, murmelte dann selbst
ein Hallo.
Zu Einheit-00 und -01 hatte sich ein weiterer EVANGELION gesellt, Einheit-02. Seine Far-
be war ein kräftiges Rot, sie kannten die Einheit bereits von den Aufnahmen, die sie
früher am Tag gesehen hatten. Shinji erkannte erst jetzt den gravierendsten Unterschied
zwischen dem neuen EVANGELION und den beiden anderen Einheiten.
"Uhm, ist das ein Schulterhalfter, was EVA-02 trägt?"
Misato nickte.
"Ja, eine Spezialanfertigung."
"Warum haben wir soetwas nicht?"
"Weil ich rechtzeitig Protest eingelegt habe." erklärte Asuka zuckersüß. "Ich meine, wer
baut denn einen Riesenroboter und rüstet ihn dann nur mit einem Messer aus, das ist
doch... absurd."
Ihr Japanisch hatte einen schweren ausländischen Akzent, war ansonsten aber makellos.
"Es ist ja schon schlimm genug, daß wir auf diese Verlängerungsleinen angewiesen sind."
Von Ritsuko Akagi kam ein abfälliges Schnauben ob der Kritik.
"Asuka hat eine Ausbildung zur Scharfschützin hinter sich", erklärte Misato.
Die Rothaarige warf sich in Pose.
"Keine zieht schneller!"
Misato lachte.
Shinji schluckte. Auf seiner Stirn bildete sich eine dünne Schweißschicht.
Rei ging nicht darauf ein.
***
"Was, sie ist auch EVA-Pilotin?" entfuhr es Touji am nächsten Tag in der Schule, als
Shinji ihm von der gestrigen Wiederbegegnung berichtete. "Oh, Mann, du tust mir echt
leid."
"Ich beneide dich!" erklärte Kensuke.
Hikari hielt die zusammengerollte Zeitung bereit, nur für alle Fälle.
"Naja, aber wenigsten hier hast du Ruhe, wenn sie schon einen Schulabschluß hat..."
Shinji gestattete sich ein erleichtertes Nicken.
Dann sah er Asuka hereinkommen...
Soviel zur Ruhe im Unterricht...
***
Nach der Schule stellte Asuka Shinji und Rei zu einem Gespräch, indem sie ihnen den Weg
versperrte.
"Ich habe ein paar Fragen!"
Rei blinzelte kurz, das einzige Zeichen dafür, daß sie über die Verzögerung ungehalten
war.
"Öh, was willst du wissen?" fragte Shinji, der hoffte, es schnell hinter sich bringen zu
können.
"Du bist doch der Sohn des Kommandanten, oder?"
"... ja... er ist mein Vater."
"Na, dann weiß ich ja, weshalb du hier bist. - Und du, First, von dir heißt es, du wärst
der Liebling des Kommandanten, hat das einen besonderes Grund?"
Rei setzte sich in Bewegung, ging an Asuka vorbei, ohne ihr weitere Beachtung zu schen-
ken.
"Was soll die Frage?"
Asuka packte ihren Arm, riß sie herum, hob die andere Hand wie zum Schlag.
"Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!"
Shinji riß die Augen auf, ergriff die erhobene Hand am Gelenk ohne weiter nachzudenken.
"Laß das!"
Asuka sah von Rei zu Shinji.
"Ach so ist das..." zischte sie und stürmte davon.
Shinji sah ihr nach.
"Ob wir mit ihr auskommen werden?"
"Wenn man es mir befiehlt... aber nur dann." murmelte Rei.
"Laß uns heimgehen."
"Ja."
Eine Weile ging sie neben ihm, ab und an berührten sich ihre Handrücken wie zufällig,
was bei Shinji jedesmal ein leichtes Erröten zur Folge hatte. Dann ergriff Rei plötzlich
die Initiative und seine Hand, drückte sie sanft. Er stolperte fast, lächelte verlegen.
Rei sah ihn nicht an, um sich ihre eigene Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Eigent-
lich hatte sie dies seit ihren ersten Date vorgehabt.
***
Shinji und Rei standen an der Anrichte in der Küche und bereiteten das Abendessen vor,
diesesmal war sie es, welche die eigentliche Kocherei erledigte, während Shinji Gemüse
und dergleichen zerkleinerte. Auf dem Herd standen mehrere Töpfe, in einem rührte Rei
gerade um.
"Ist das gut so?" fragte sie und hielt Shinji einen Löffel mit Soße hin.
Er schnupperte kurz.
"Laß mich mal probieren."
Sie führte ihm den Löffel an die Lippen, er kostete vorsichtig, um sich nicht die Lippen
zu verbrennen.
"Hm, gut! Rei, wenn du weiter so gute Sachen kochst, setzt Misato mich bald vor die Tür,
weil sie mich nicht mehr braucht."
"Das würde sie nie tun... Oh, ich verstehe, ein Kompliment. Danke." Sie lächelte, zwin-
kerte. "Aber wenn sie es täte, würde ich sie vor die Tür setzen und dich zum Fenster
wieder hereinlassen."
"Ah..."
Ihm fehlten die Worte. Die ursprünglichen zwei Wochen, die Rei hatte bleiben sollen, wa-
ren längst verstrichen, aber darüber war bisher kein Wort gefallen. Mit jedem Tag war
sie ein wenig mehr aus sich herausgegangen, hatte es erlaubt, daß andere mit ihr in Kon-
takt kamen. Sicher, man konnte ihr Verhalten noch lange nicht als normal für ein Mädchen
ihres Alters bezeichnen, aber sie war auf dem besten Wege...
***
"Er wollte mich beschützen... Warum? Er weiß, daß ich imstande bin, mich zu verteidi-
gen... Er hat mich schon zuvor beschützt... Am Tag seiner Ankunft... obwohl er mich
nicht einmal kannte... Er sorgt sich um mich... Ich... Es fühlt sich seltsam an... Er
sieht mich an und mein Herz schlägt schneller..."
***
Der Abt hieß seinen Gast mit einem Nicken willkommen.
Schweigend ließ der Weißhaarige sich auf die Hacken nieder.
"Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft, Sifu."
"Ich habe Euch hergebeten. Und ich bin froh, daß Ihr gekommen seid."
"Natürlich. Weder die Bruderschaft, noch der Orden haben nach dem Impact die Ressourcen
für einen großen Einsatz."
"Und angesichts Eures Versuches, das örtliche Paradigma zu beeinflussen..."
"Ja. Ich bin wohl der einzige, der innerhalb einer hochtechnisierten Stadt wie Tokio-03
noch aktiv werden kann." Der Weißhaarige lächelte ein dünnes Lächeln.
Von ihm ging Kälte aus.
"In Tokio-03 sind tatsächlich Wesen aus dem Tiefen Umbra aufgetaucht. Wenn wir heraus-
finden könnten, wie und wo sie den Spiegel durchquert haben, hätten wir vielleicht eine
Möglichkeit, den Avatarsturm zu passieren und die Verlorenen zurückzuholen."
"Ja... Aber man muß wohl ein Erzmagus des Hermetischen Ordens sein, um solche Pläne zu
haben."
"Ich habe die Inquisition, die Französische Revolution, zwei Weltkriege, die Technokra-
tie, das Ende des Erleuchtungskrieges und den Second Impact überlebt. Und ich will ver-
dammt sein, wenn ein paar Aliens das schaffen sollten, was die letzten acht Jahrhunderte
nicht geschafft haben."
"Was habt Ihr vor?"
"Zuerst werde ich mich in Tokio-03 näher umsehen..."
"Ihr müßt vorsichtig sein, in der Nähe der Stadt versickert alles Chi, der Ort saugt
Quintessenz auf, wie ein trockener Schwamm das Wasser."
"Das habe ich bereits bemerkt, aber es sollte kein Problem darstellten, immerhin stehen
mir die alten Kräfte noch zur Verfügung."
"Eure Macht ist älter als das Konzil der Neun."
"Ja, ich arbeite noch immer mit der Theorie des Bonisagus, so wie die Bruderschaft sich
nie von den Pfaden des Dô gelöst hat."
"Ich weiß nicht genau, wovon Ihr sprecht, aber Ihr habt das Vertrauen der Bruderschaft
seit dem Tag, an dem Ihr unsere Delegation zur Großen Zusammenkunft begleitet habt."
Der Weißhaarige nahm dies mit einem Nicken zur Kenntnis.
"Ich danke Euch für Euer Vertrauen, obwohl ich nicht weiß, ob ich es verdiene."
"Ihr sprecht von der Niederlage auf LaRochelle."
"Ja, Sifu... Ich war der General der Traditionen und habe als einziger überlebt..."
"Und diese Schuld lastet auf Euch."
"Zuviele sind gestorben, die an mich geglaubt haben. Ich trage die Verantwortung dafür,
daß die Technokratie beinahe die Kontrolle übernehmen konnte... Ohne den Impact..."
"Hm... Kommt, meditiert mit uns."
Misato hatte das Verhalten ihrer Mitbewohner die ganze Zeit über beobachtet und mit
Freude zur Kenntnis genommen, daß die beiden Teenager aufzutauen begonnen hatten.
Etwa drei Wochen nach Reis Einzug fing sie Shinji ab, als dieser vom Synchrontraining
kam.
"Hey, Shinji!"
"Uhm, ja?"
Sie winkte ihn zu sich.
"Was ist denn? Ist dir noch etwas eingefallen, was ich heute vom Einkauf mitbringen
kann?"
"Nein, darum geht es nicht. Reis Trainingsmethoden scheinen ganz schön Erfolg zu haben.
Erst wollte ich es ja nicht glauben, als sie mir erzählte, was sie mit dir vorhatte,
aber dein jetziges Können gibt ihr Recht."
"Äh, ja. Sie... sie hat sich viel Mühe gegeben."
"Hm. Hast du dich auch schon bei ihr bedankt?"
"Uhm..."
Er wurde rot, erzählte ihr stammelnd von seinem Valentinsgeschenk, was ein breites Lä-
cheln auf ihr Gesicht brachte.
"Na, das ist doch schon ´mal ein Anfang. Aber, was hälst du davon, sie einzuladen?"
"Einzuladen? Meinst du... eine Verabredung?"
"Klar, ein Date."
"Uhm... und... und wenn sie ablehnt?"
"Das glaube ich irgendwie nicht. Aber, Shinji, manchmal muß man ein Risiko eingehen."
"Ich... ah... Misato... ja."
Misato überdrückte ein Seufzen.
"Ähm, aber... wie?"
"Hm, ich wüßte schon etwas: Lad´ sie in ein schönes Restaurant ein, dann geh mit ihr in
einen netten Film."
Sie bemerkte seinen bereits leicht verzweifelten fragenden Blick.
"Ich kenne da ein hübsches Lokal, - nicht zu teuer, aber auch kein Fastfood-Laden, - wo
keine piekfeine Kleidung erforderlich ist."
"Gibt es da auch... vegetarisches Essen... für Rei?"
"Ja... Du denkst gleich an sie..."
"Uhm..."
"Paß auf, überlaß das Drum und Dran nur mir, du mußt sie nur fragen - und natürlich mit
ihr hingehen."
gulp
***
Noch am selben Tag wurde das Unternehmen in Angriff genommen. Shinji machte einen derart
nervösen Eindruck, daß Misato kurz mit dem Gedanken spielte, ihn mit Bier abzufüllen.
Schritt für Schritt tastete er sich auf dem Flur vor in Richtung zu Reis Zimmertür, je-
der Schritt fast eine olympische Meisterleistung.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, während er in Gedanken immer wieder die Worte formu-
lierte, die er mit Misato eingeübt hatte.
Er klopfte an ihre Zimmertür.
"Ja?"
"Uhm, ich bin´s, Shinji."
"Ja..."
Einen Moment lang war still, während Rei drinnen wartete, daß er den Grund seines Klo-
pfens erklärte. Dann ging ihr auf, daß er wahrscheinlich darauf wartete, daß sie ihr
hereinbat.
"Komm rein."
"Äh, ja."
Er öffnete die Tür und schlüpfte hinein.
Rei saß an ihrem Schreibtisch über den Hausaufgaben, sie hatte noch einiges aufzuarbei-
ten, weil sie aufgrund des Synchrontrainings nicht zum Unterricht hatte erscheinen kön-
nen. Jetzt sah sie ihn fragend an, ein Gesichtsausdruck, den sie ebenso wie ihr Lächeln
in den letzten Tagen kultiviert hatte.
"Wie kann ich dir helfen?"
"Uhm, nein, nein..."
Sie sah ihn weiterhin an, mittlerweile an seine Art im Großen und Ganzen gewöhnt und
daher wissend, daß er etwas auf dem Herzen hatte, wenn er sich so verhielt.
"Ähm, Rei, hast du... hast du heute abend schon etwas vor?"
Sie runzelte die Stirn.
"Hausarbeiten, Abendessen, duschen, etwas lernen." zählte sie ihre Planung auf.
"Nein, äh, du hast also nichts... außergewöhnliches vor?!"
"Außergewöhnlich?"
"Rei, würdest du... würdest du heute mit mir ausgehen?"
Shinji hielt den Atem an, sein Blick schoß von Rei zum Fenster, zum Schrank, zu dem Glas
auf dem Schreibtisch, zu Rei zurück...
"Ausgehen?"
"Ich... ah... du weißt, eine Verabredung... ein Date..."
"Ein Date? Wir beide?"
"Uhm, ja."
Er sah zu Boden, bereitete sich innerlich darauf vor, aus dem Raum zu fliehen.
"Wozu?"
"Uhm..."
Er zwang sich, sich an sein Gespräch mit Misato zu erinnern.
"Damit wir uns besser kennenzulernen."
"Aber wir kennen uns bereits. Wir kennen uns gut."
"Uh... Ich... ich möchte mich bei dir auf diese Art dafür bedanken, daß du mir soviel
Zeit gewidmet hast."
"Du hast dich doch schon bedankt."
Sie deutete auf die Rose, die auf dem Schreibtisch stand.
"Ja, aber das ist doch nicht... nicht genug. Uhm, also, Rei, würdest du heute abend mit
mir... ausgehen?"
Sie sah ihn an, lächelte plötzlich.
"Wann wollen wir aufbrechen?"
"Das..."
Er mußte selbst lächeln, besprach dann mit ihr die Einzelheiten.
Gegen Abend fuhr Misato die beiden zu dem von ihr ausgewählten Restaurant und vereinbar-
te, sie später wieder abzuholen.
Rei bestellte sich ein Nudelgericht und einen Salat, Shinji nahm bei seiner Bestellung
auf seine Begleiterin Rücksicht und orderte ein Gericht, welches zwar Fleisch enthielt,
dies aber nicht allzu offensichtlich war.
Die beiden aßen schwiegend.
"Schmeckt es dir, Rei?"
"Ja..." Ihr Blick traf den seinen. "Aber nicht so sehr, als wenn du kochst."
"Das... ein Kompliment, oder?"
Sie nickte lächelnd.
"Ja."
"Uhm... danke."
Wieder senkte sich Schweigen über ihren Tisch, allerdings war es kein unangenehmes
Schweigen, denn immer wieder trafen sich ihre Blicke, zuckte ein Lächeln über beider
Lippen.
Als sie ihre Mahlzeit beendet hatten, beglich Shinji die Rechnung.
"Weshalb bezahlst du für uns beide?"
"Weil... uhm... ich dich eingeladen habe."
"Ja... Danke."
Er stand auf, holte ihre Jacke, hielt sie so, daß sie hineinsteigen konnte.
"Rei, uhm, wir haben noch Zeit... Hier ganz in der Nähe ist ein Kino, wir könnten uns,
uh, einen Film ansehen."
Sie blickte ihn an und nickte.
Die Vorstellung, mit ihm allein neben sich in einem dunklen Saal zu sitzen war seltsam
stimulierend.
So sahen sie sich einen Film an, ohne daß etwas besonderes geschah, beide saßen mehr
oder minder regungslos in ihren Sesseln, allerdings teilten sie sich eine Armlehne, so
daß ihre Handrücken einander immer wieder berührten.
Gegenüber Misato bejahten beide, einen netten Abend gehabt zu haben.
Mit jedem Tag, der verging, hatten sie mehr das Gefühl, den jeweils anderen besser zu
verstehen.
Und dann schlug Asuka zu...
***
Standbilder...
Die UN-Flotte unter Führung des Flugzeugträgers ´Over the Rainbow´.
Der Engel Gagiel, der eines der Schiffe nach dem anderen versenkt.
EVA-02, gehüllt in die Plane, auf dem Deck des Flugzeugträgers stehend wie ein Krieger
aus alten Zeiten mit einem Cape.
EVA-02 im Kampf mit dem Engel, über und unter Wasser.
Die Zerstörung des Engels.
Der Projektor wurde abgeschaltet.
"Sehr beeindruckend." kommentierte Misato.
"Toll, diese schnellen Bewegungen", staunte Shinji. "Und wie ist das Second Children,
diese Asuka Soryu Langley?"
Misato sah ihn an.
"Wieso, genügen dir Rei und ich nicht?"
"Ah..."
Misato lachte, bemerkte die feine Röte nicht, welche Reis Wangen überzog..
"Von euch dreien ist sie wahrscheinlich am ehesten ernstzunehmen."
"Was soll das heißen?"
"Nun, sie hat bereits einen Schulabschluß, der dem Senior Highschool Abschluß entspricht,
dazu eine umfassende Zusatzausbildung bei ODIN."
"ODIN?"
"Europäischer Geheimdienst, arbeitet eng mit NERV-Deutschland zusammen. Asuka wurde die
letzten zehn Jahre für ihren Einsatz mit EVA-02 ausgebildet."
"Zehn Jahre... und mit der Schule ist sie auch schon fertig..."
"Ja, ihr werdet euch ganz schön anstrengen müssen, um mit ihr mithalten zu können. So,
wenn ihr nach der Schule wieder herkommt, kann ich sie euch vorstellen."
Die beiden gingen.
"Ein interessanter Anblick", murmelte Akagi.
"Rei hat unglaubliche Fortschritte gemacht... als ob sie nur darauf gewartet hätte, daß
jemand ihr etwas Aufmerksamkeit schenkt."
"Auf alle Fälle tut es ihrer Synchronisationsrate gut."
"Und die beiden sind wirklich niedlich. Gestern morgen standen sie Seite an Seite am
Herd und haben gekocht."
"Hm. Eigentlich halte ich Beziehungen für unlogisch, aber solange es nur Freundschaft
ist..."
"Shinji ist viel zu schüchtern, um etwas mit ihr anzustellen."
"Und Rei?"
"Wie - und Rei?"
Ritsuko lachte.
"Als ihr behandelnder Arzt weiß ich zufällig, daß sie mitten in der Pubertät ist, sie
könnte eine tickende Zeitbombe sein."
"Ah! Worauf habe ich mich nur eingelassen..."
"Ich hatte dich gewarnt, Misato!"
***
Der Nachmittagsunterricht fiel aus.
Shinji hatte den Fehler gemacht, gegenüber Touji und Kensuke Reis Billiardkünste zu er
wähnen, was darin resultiert war, daß die beiden ungläubigen das blauhaarige Mädchen
herausgefordert hatten. Und Rei hatte angenommen, sie gegen Touji, Kensuke und Shinji.
Aus Gründen, die später nicht mehr nachvollziehbar waren, schloß sich die Klassenspre-
cherin Hikari Horaki der Gruppe an.
***
Ayanami überraschte Kuro immer mehr, nicht nur, daß der junge Ikari unter ihrer Anlei-
tung große Fortschritte gemacht und dabei sogar Spaß gehabt hatte, an jenem Tag erschien
sie in Begleitung dreier weiterer Kinder. Die drei Neulinge gehörten nicht NERV an, aber
es waren noch über drei Stunden, bis er eigentlich seine Tür öffnete, so daß er kein
Problem darin sah, ihnen die Nutzung eines der Tische zu gestatten. Es war ein sehr in-
teressanter Anblick...
***
Rei stand auf der einen Seiten des Tisches auf ihren Billiardstock gestützt, dabei so
lässig wirkend, wie es ihr möglich war.
Shinji, Touji, Kensuke und Hikari standen auf der anderen Seite, jeder ein Queue in der
Hand, die Situation war auch so schon unwirklich genug, daß keiner von ihnen die Inten-
tionen der Klassensprecherin nachfragte.
Kensuke bemühte sich, möglichst cool dazustehen.
"Worauf wollen wir uns einigen?"
"Beliebige Reihenfolge der Kugeln, ein Punkt pro Kugel. Zwei Teams, ich gegen euch, legt
die Reihenfolge fest, in der ihr spielen wollt. Das Team, das eine Kugel versenkt, er-
hält den nächsten Stoß. Ihr könnt anfangen." erklärte Rei völlig ruhig.
Die vier auf der anderen Seite sahen sich an.
"Okay, Beratung", schlug Touji vor, woraufhin sie die Köpfe zusammensteckten. "Wie gehen
wir vor?"
"Rei ist sehr gut, wenn sie drankommt, wird sie alle Kugeln versenken", flüsterte Shinji.
"Hm", machte Kensuke. "Ich bin recht gut."
Touji blickte auf seinen Stock, drehte ihn verlegen in den Händen. Es war deutlich, daß
er gerade mal so wußte, welches das korrekte Ende war.
"Ich hatte sowas noch nicht oft in der Hand."
"Dann muß dir jemand vielleicht ein paar Vorlagen machen."
Hikari räusperte sich.
"Das kann ich machen."
"Du?" kam es aus drei Kehlen gleichzeitig.
"Ja, wieso nicht? Mein Vater hat es mir beigebracht, wir haben auch einen Tisch im Kel-
ler."
"Wirklich?" staunte Kensuke.
"Uhm, ich bin nicht so toll, trotz der Übung", bemerkte Shinji.
Sie einigten sich darauf, daß Touji den Anstoß machen würde, in der Hoffnung, daß wenig-
stens eine Kugel ihr Ziel finden würde.
Natürlich versenkte er keine einzige Kugel, so daß Rei übernahm. Shinjis Vorhersage be-
wahrheitete sich.
1:0 für Rei Ayanami...
Die Aufstellung wurde geändert, Anstoß Shinji, dann Kensuke, der versuchen sollte, Touji
eine Vorlage zu liefern, dann Touji, schließlich Hikari.
Diesesmal lief es besser, jeder lochte eine Kugel ein, bis Shinji wieder dran war, der
der weißen Kugel zuviel Drall verpaßte und sie vom Tisch beförderte.
Rei fing die Kugel reaktionsschnell in der Luft auf, legte sie sich mit ausdruckslosem
Gesicht zurecht.
2:0 für Rei Ayanami...
Matsuhiro Kuro stand auf seinem Mop gestützt neben dem nächsten Tisch und beobachtete
das ganze mit breitem Grinsen, ganz der stolze Lehrmeister.
Wieder wurde die Ausstellung verändert, diesesmal sollte Hikari, die gezeigt hatte, daß
sie zielsicher über zwei Banden spielen konnte, den Anstoß machen.
Und diesesmal schafften es die vier tatsächlich, genug Kugeln zu versenken, um das Spiel
zu gewinnen, ehe Kensuke schließlich seinen Stoß versiebte.
Rei deutete eine Verbeugung an.
"Ihr habt gewonnen."
"High Five!"
Touji, Kensuke und Shinji klatschten sich in die Hände.
"Aber nur, weil wir anfangen konnten." grinste Hikari.
Kuro klatschte Beifall und ging zu seiner Theke.
"Das sollte gefeiert werden, was wollte ihr trinken? - Aber keinen Alkohol."
Rei starrte Hikari, oder besser ihr breites Grinsen, an. Ihre Mundwinkel begannen zu
zucken, wanderten langsam nach oben, zugleich öffneten sich ihre Lippen, blitzten ihre
Zähne ein wenig. Es war ein recht verunglücktes Grinsen, eher das Grinsen eines hungri-
gen Wolfes.
Anscheinend fühlte es sich auch für sie selbst seltsam an, denn im nächsten Moment zeig-
te ihr Gesicht wieder den üblichen ruhigen Ausdruck.
***
"Hey, schaut mal, da drüben!"
Touji deutete quer durch die Spielhalle, an der sie gerade vorbeigingen.
Hikari griff schon einmal vorsorglich in ihre Tasche nach der zusammengerollten Zeitung.
"Ui!" pfiff Kensuke.
Shinjis Blick begann, nervös hin- und herzuzucken.
Rei war... nun ja, Rei halt.
Objekt der Aufmerksamkeit war ein rothaariges Mädchen in einem gelben Sommerkleid und
mit langen weißen Handschuhen an einem Spielautomaten - und mit fast endlos langen Bei-
nen.
"Ist die süß!" flüsterte Touji und wurde nur von Hikaris Gegenwart davon abgehalten, zu
sabbern.
Für Kensuke gab es diese Beschränkungen nicht.
"Ah..., sie hat ein hübsches Kleid." gab ein plötzlich stark transpirierender Shinji
Ikari von sich. "Können wir weitergehen?"
"Verdammter Mist!" rief das Mädchen, als ihr Ziel aus dem Greifer des Automaten rutsch-
te. Wütend gab sie der Maschine einen Tritt.
Interessanterweise trat genau in dem Augenblick, in dem ihr Rock hochflog, Rei in Shin-
jis Blicklinie.
Touji duckte sich instinktiv unter Hikaris Schlag mit der Zeitung hindurch.
"Laßt uns verschwinden", murmelte er. "Gutes Aussehen, aber voll der schlechte Charakter."
Die Rothaarige drehte sich um, sah ihr Publikum.
"Ihr, was glotzt ihr denn so?"
"Uhm..." - "Ah..." - "Wir..." - "..."
Sie marschierte auf Touji zu und hielt die Hand auf.
"100 Yen Gebühren für´s Schauen."
"Hä?"
"Na, ihr habt mir noch unter den Rock geschaut!"
"Sag mal, bist du bescheuert?"
Shinjis Blick irrte von Rei zu Hikari und zurück.
"Ha, typisch! Glotzen, häßlich aussehen und dann nicht mal Geld haben!"
Touji kochte mittlerweile, das sah man ihm an.
"Jetzt hör mal zu..."
Er packte ihr Handgelenk, blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an.
"Laß los!"
"Du falsche Rothaarige, was fällt dir eigentlich ein?"
"Touji..." setzte Hikari an.
"Ich sagte... Laß los!"
Sie trat ihm vor das Schienenbein, riß sich los, stolperte dabei einen Schritt nach hin-
ten, gegen eine andere Person.
"Argh! Was fällt dir ein, du Schlampe!"
"Schlampe?"
Im nächsten Moment war eine wilde Keilerei im Gange. Dummerweise war der andere nicht
allein, und ebenso dummerweise glaubten seine Freunde, daß die fünf anderen zu der Rot-
haarigen gehörten.
Rei wich einem Faustschlag aus, schob Shinji zur Seite, legte einem der Schläger ganz
beiläufig die Hand gegen den Hals, woraufhin er besinnungslos zusammenbrach.
In der Ferne erklang eine Sirene, kam schnell näher.
"Die Polizei! Los, weg!" rief Touji und ergriff Hikari am Arm, zog sie mit sich.
Rei runzelte eine Sekunde lang die Stirn, imitierte Touji dann, indem sie sich Shinji
schnappte und mitschleppte.
Das rothaarige Mädchen zog ´ihrem´ Schläger noch schnell einen Stuhl über, verpaßte ei-
nem weiteren einen hohen Kick und lief dann in die entgegengesetzte Richtung.
Kensuke schloß sich den anderen vieren an, nachdem er der Rothaarigen noch einen Moment
nachgesehen hatte.
"Ich glaub, ich bin verliebt..."
***
Auf halbem Wege zum NERV-Hauptquartier hatten Shinji und Rei sich von den anderen ge-
trennt. Als sie den Seiteneingang erreichten, den sie normalerweise benutzten, stand ih-
nen dort das rothaarige Mädchen wieder gegenüber und fuchtelte mit einem Ausweis vor dem
Scanner herum.
"Warum funktioniert das nicht? Kaputt oder was?"
Die Rothaarige trat kräftig gegen die Stahltür.
"Äh..." entfuhr es Shinji.
Sie fuhr herum, nahm die beiden anderen in Augenschein.
"Euch kenne ich doch! Was macht ihr denn hier?"
Rei zückte ihren Ausweis, ging an ihr vorbei und fuhr die Karte durch das Lesegerät.
Das Sicherheitsschott glitt auf.
"Shinji, kommst du?"
"Uhm, ja."
"Das kann doch nicht wahr sein!" rief die Rothaarige. Vom Bild und den Angaben natürlich
abgesehen besaß sie einen identischen Ausweis. Ihre Augen wurden groß. "Ihr seid doch
nicht wirklich das First und Third Children?!"
"Doch." kam es von Rei.
"Uh, ja, sind wir." bestätigte Shinji.
"Unglaublich!"
***
EVA-Hangar:
Misato lächelte breit, als sie das rothaarige Mädchen vorstellte.
"Das ist Asuka Soryu Langley, das Second Children und Pilotin von EVA-02."
Die Rothaarige trat ganz anders auf, lächelte freundlich.
"Hallo. Schön, euch kennenzulernen."
Shinji sah zu Rei, die mit unbewegtem Gesicht den Gruß erwiderte, murmelte dann selbst
ein Hallo.
Zu Einheit-00 und -01 hatte sich ein weiterer EVANGELION gesellt, Einheit-02. Seine Far-
be war ein kräftiges Rot, sie kannten die Einheit bereits von den Aufnahmen, die sie
früher am Tag gesehen hatten. Shinji erkannte erst jetzt den gravierendsten Unterschied
zwischen dem neuen EVANGELION und den beiden anderen Einheiten.
"Uhm, ist das ein Schulterhalfter, was EVA-02 trägt?"
Misato nickte.
"Ja, eine Spezialanfertigung."
"Warum haben wir soetwas nicht?"
"Weil ich rechtzeitig Protest eingelegt habe." erklärte Asuka zuckersüß. "Ich meine, wer
baut denn einen Riesenroboter und rüstet ihn dann nur mit einem Messer aus, das ist
doch... absurd."
Ihr Japanisch hatte einen schweren ausländischen Akzent, war ansonsten aber makellos.
"Es ist ja schon schlimm genug, daß wir auf diese Verlängerungsleinen angewiesen sind."
Von Ritsuko Akagi kam ein abfälliges Schnauben ob der Kritik.
"Asuka hat eine Ausbildung zur Scharfschützin hinter sich", erklärte Misato.
Die Rothaarige warf sich in Pose.
"Keine zieht schneller!"
Misato lachte.
Shinji schluckte. Auf seiner Stirn bildete sich eine dünne Schweißschicht.
Rei ging nicht darauf ein.
***
"Was, sie ist auch EVA-Pilotin?" entfuhr es Touji am nächsten Tag in der Schule, als
Shinji ihm von der gestrigen Wiederbegegnung berichtete. "Oh, Mann, du tust mir echt
leid."
"Ich beneide dich!" erklärte Kensuke.
Hikari hielt die zusammengerollte Zeitung bereit, nur für alle Fälle.
"Naja, aber wenigsten hier hast du Ruhe, wenn sie schon einen Schulabschluß hat..."
Shinji gestattete sich ein erleichtertes Nicken.
Dann sah er Asuka hereinkommen...
Soviel zur Ruhe im Unterricht...
***
Nach der Schule stellte Asuka Shinji und Rei zu einem Gespräch, indem sie ihnen den Weg
versperrte.
"Ich habe ein paar Fragen!"
Rei blinzelte kurz, das einzige Zeichen dafür, daß sie über die Verzögerung ungehalten
war.
"Öh, was willst du wissen?" fragte Shinji, der hoffte, es schnell hinter sich bringen zu
können.
"Du bist doch der Sohn des Kommandanten, oder?"
"... ja... er ist mein Vater."
"Na, dann weiß ich ja, weshalb du hier bist. - Und du, First, von dir heißt es, du wärst
der Liebling des Kommandanten, hat das einen besonderes Grund?"
Rei setzte sich in Bewegung, ging an Asuka vorbei, ohne ihr weitere Beachtung zu schen-
ken.
"Was soll die Frage?"
Asuka packte ihren Arm, riß sie herum, hob die andere Hand wie zum Schlag.
"Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!"
Shinji riß die Augen auf, ergriff die erhobene Hand am Gelenk ohne weiter nachzudenken.
"Laß das!"
Asuka sah von Rei zu Shinji.
"Ach so ist das..." zischte sie und stürmte davon.
Shinji sah ihr nach.
"Ob wir mit ihr auskommen werden?"
"Wenn man es mir befiehlt... aber nur dann." murmelte Rei.
"Laß uns heimgehen."
"Ja."
Eine Weile ging sie neben ihm, ab und an berührten sich ihre Handrücken wie zufällig,
was bei Shinji jedesmal ein leichtes Erröten zur Folge hatte. Dann ergriff Rei plötzlich
die Initiative und seine Hand, drückte sie sanft. Er stolperte fast, lächelte verlegen.
Rei sah ihn nicht an, um sich ihre eigene Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Eigent-
lich hatte sie dies seit ihren ersten Date vorgehabt.
***
Shinji und Rei standen an der Anrichte in der Küche und bereiteten das Abendessen vor,
diesesmal war sie es, welche die eigentliche Kocherei erledigte, während Shinji Gemüse
und dergleichen zerkleinerte. Auf dem Herd standen mehrere Töpfe, in einem rührte Rei
gerade um.
"Ist das gut so?" fragte sie und hielt Shinji einen Löffel mit Soße hin.
Er schnupperte kurz.
"Laß mich mal probieren."
Sie führte ihm den Löffel an die Lippen, er kostete vorsichtig, um sich nicht die Lippen
zu verbrennen.
"Hm, gut! Rei, wenn du weiter so gute Sachen kochst, setzt Misato mich bald vor die Tür,
weil sie mich nicht mehr braucht."
"Das würde sie nie tun... Oh, ich verstehe, ein Kompliment. Danke." Sie lächelte, zwin-
kerte. "Aber wenn sie es täte, würde ich sie vor die Tür setzen und dich zum Fenster
wieder hereinlassen."
"Ah..."
Ihm fehlten die Worte. Die ursprünglichen zwei Wochen, die Rei hatte bleiben sollen, wa-
ren längst verstrichen, aber darüber war bisher kein Wort gefallen. Mit jedem Tag war
sie ein wenig mehr aus sich herausgegangen, hatte es erlaubt, daß andere mit ihr in Kon-
takt kamen. Sicher, man konnte ihr Verhalten noch lange nicht als normal für ein Mädchen
ihres Alters bezeichnen, aber sie war auf dem besten Wege...
***
"Er wollte mich beschützen... Warum? Er weiß, daß ich imstande bin, mich zu verteidi-
gen... Er hat mich schon zuvor beschützt... Am Tag seiner Ankunft... obwohl er mich
nicht einmal kannte... Er sorgt sich um mich... Ich... Es fühlt sich seltsam an... Er
sieht mich an und mein Herz schlägt schneller..."
***
Der Abt hieß seinen Gast mit einem Nicken willkommen.
Schweigend ließ der Weißhaarige sich auf die Hacken nieder.
"Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft, Sifu."
"Ich habe Euch hergebeten. Und ich bin froh, daß Ihr gekommen seid."
"Natürlich. Weder die Bruderschaft, noch der Orden haben nach dem Impact die Ressourcen
für einen großen Einsatz."
"Und angesichts Eures Versuches, das örtliche Paradigma zu beeinflussen..."
"Ja. Ich bin wohl der einzige, der innerhalb einer hochtechnisierten Stadt wie Tokio-03
noch aktiv werden kann." Der Weißhaarige lächelte ein dünnes Lächeln.
Von ihm ging Kälte aus.
"In Tokio-03 sind tatsächlich Wesen aus dem Tiefen Umbra aufgetaucht. Wenn wir heraus-
finden könnten, wie und wo sie den Spiegel durchquert haben, hätten wir vielleicht eine
Möglichkeit, den Avatarsturm zu passieren und die Verlorenen zurückzuholen."
"Ja... Aber man muß wohl ein Erzmagus des Hermetischen Ordens sein, um solche Pläne zu
haben."
"Ich habe die Inquisition, die Französische Revolution, zwei Weltkriege, die Technokra-
tie, das Ende des Erleuchtungskrieges und den Second Impact überlebt. Und ich will ver-
dammt sein, wenn ein paar Aliens das schaffen sollten, was die letzten acht Jahrhunderte
nicht geschafft haben."
"Was habt Ihr vor?"
"Zuerst werde ich mich in Tokio-03 näher umsehen..."
"Ihr müßt vorsichtig sein, in der Nähe der Stadt versickert alles Chi, der Ort saugt
Quintessenz auf, wie ein trockener Schwamm das Wasser."
"Das habe ich bereits bemerkt, aber es sollte kein Problem darstellten, immerhin stehen
mir die alten Kräfte noch zur Verfügung."
"Eure Macht ist älter als das Konzil der Neun."
"Ja, ich arbeite noch immer mit der Theorie des Bonisagus, so wie die Bruderschaft sich
nie von den Pfaden des Dô gelöst hat."
"Ich weiß nicht genau, wovon Ihr sprecht, aber Ihr habt das Vertrauen der Bruderschaft
seit dem Tag, an dem Ihr unsere Delegation zur Großen Zusammenkunft begleitet habt."
Der Weißhaarige nahm dies mit einem Nicken zur Kenntnis.
"Ich danke Euch für Euer Vertrauen, obwohl ich nicht weiß, ob ich es verdiene."
"Ihr sprecht von der Niederlage auf LaRochelle."
"Ja, Sifu... Ich war der General der Traditionen und habe als einziger überlebt..."
"Und diese Schuld lastet auf Euch."
"Zuviele sind gestorben, die an mich geglaubt haben. Ich trage die Verantwortung dafür,
daß die Technokratie beinahe die Kontrolle übernehmen konnte... Ohne den Impact..."
"Hm... Kommt, meditiert mit uns."
