Kapitel 08 - Cagliostro
Asuka holte allmählich auf, EVA-03 bewegte sich nur langsam. Auf der anderen Seite war
sie an kein Versorgungskabel angeschlossen und ihre Zeit lief langsam aber sicher ab.
Plötzlich verharrte Einheit-03, drehte sich um.
"Ich hatte gesagt, ihr solltet mir nicht folgen." donnerte Kaworus Stimme. "Ich hege
nicht den Wunsch, dich zu verletzen, Asuka, oder jemand anders, aber ich muß meine Mis-
sion erfüllen."
Auf ihrem taktischen Schirm erschien er als blau-pulsierender Punkt, was ihre letzten
Zweifel beseitigte. Erneut spürte sie Tränen in sich aufsteigen, konzentrierte sich
ganz auf die in ihr neu erwachende Wut .
"Ich werde dich aufhalten, Kaworu, wenn du nicht aufgibst."
"Ich kann nicht aufgeben, es ist mein Schicksal. Es tut mir leid, Asuka..."
Mit diesen Worten schwebte er zur Seite, zur Schachtwand hin und dann weiter abwärts,
wäh-rend Einheit-03 sich auf den roten EVA stürzte.
EVA-02 hat sein PROG-Messer bereits in der Hand, schlug nach dem heransausenden Arm
des schwarzen EVAs, durchtrennte Muskeln und Sehnen, wich tänzelnd aus.
Asuka behielt die Anzeige der Batteriezeit im Auge, während sie zum Gegenangriff über-
ging, innerlich, jenseits des an der Oberfläche brodelnden Zorns, völlig ruhig, ganz
so, wie ihr Onkel es ihr beigebracht hatte.
Ein harter Schlag traf die linke Schulter von EVA-02, beförderte den Arm aus der Ge-
lenkpfanne, zugleich schrie Asuka im Entry-Plug auf, als ihr linker Arm gefühlslos
wurde.
Sie duckte sich unter einem weiteren Schlag hinweg, nutzte eine Öffnung in der Abwehr
von Einheit-03 und trieb ihr PROG-Messer in den Schädel des schwarzen EVAs.
EVA-03 erstarrte, seine Augen erloschen. Er verlor den Halt, kippte nach vorn, riß EVA-
02 mit sich.
Der Sturz schien eine Ewigkeit zu dauern.
Asuka hörte sich selbst schreien, dann erlosch plötzlich die Verbindung zu EVA-02, so
daß sie den Aufprall auf dem Boden des Schachtes durch das LCL abgeschwächt spürte,
anstatt aus erster Hand über die Synchronisation.
***
Ritsuko Akagi zuckte zusammen, als neben ihr eine Kugel in die Wand einschlug, aber
immerhin hatte sie es geschafft, EVA-02 und Asuka zu trennen. Ihren Anzeigen nach
lief ohnehin die Zeit aus, welche EVA-02 auf Batteriestrom hatte laufen können.
Maya Ibuki stieß einen spitzen Schrei aus.
Langsam hob sie die Hände, als sie sich umdrehte.
Der schwarzgekleideten Elitesoldaten an der Tür winkte ihr mit dem Lauf seiner Waffe
ihm zu folgen. Er brachte sie und ihre Assistentin in Gendo Ikaris riesiges Büro, wo
bereits ein Gutteil des Kommandostabes zusammengetrieben worden war.
Gendo blutete aus der Nase, seine rechte Wange war bereits dunkel angeschwollen.
Fuyutsuki hielt sich den linken Arm, der Ärmel seiner Jacke wies ein dunkles Loch auf,
um welches sich ein tiefroter Flecken langsam ausbreitete.
Makoto Hyuga hatte eine häßliche Platzwunde an der Stirn, Misato Katsuragi eine aufge-
schlagene Lippe.
Hinter Ikaris Schreibtisch saß eine dürre Gestalt mit wirrem schulterlangem schwarzem
Haar, bei dem nicht gesagt werden konnte, ob er Europäer oder Asiat war, der dünne
Spitzbart wies ihn als Angehörigen der männlichen Hälfte der menschlichen Spezies aus.
Seine Augen erinnerten an schwarze Kohlen. Der Fremde trug einen dunklen Anzug unter
seinem grauen Mantel, er hatte die Füße auf die Tischplatte gelegt und musterte jeden
der Anwesenden eingehend.
Ein dünnes Lächeln umspielte seine kaum vorhandenen Lippen.
Sein Blick blieb an Gendo hängen.
"So, endlich lerne ich Sie persönlich kennen, Ikari..."
Gendo preßte sich ein Taschentuch gegen die Nase.
"Wer sind Sie?"
Der andere nahm die Füße vom Tisch.
"Ich... Ich bin SEELE..."
Und begann zu lachen...
"Wir sind uns nie zuvor begegnet."
"Nein, das sind wir nicht, aber ich habe schon viel von Ihnen gehört. Sie waren mir ein
gutes Werkzeug, genau wie Kiehl und seine Freunde."
"Sie..."
"Ich sehe, Sie beginnen zu verstehen. Ja, ich bin der Mann hinter dem Komitee, ich habe
Ihre Geschicke gelenkt... Kiehl und die seinen arbeiten für mich, weil sie sich Macht
und Unsterblichkeit versprechen... weil ich ihnen Macht und Unsterblichkeit versprochen
habe. Und Sie haben für mich gearbeitet, weil ich Ihnen versprochen habe, daß Sie Ihre
Frau wiedersehen...
Und wissen Sie, was die Ironie daran ist? - Ich habe dafür gesorgt, daß es so gekommen
ist. Ich habe Naoko Akagi gezwungen, die Sicherheitsprogramme abzuschalten... gut, sie
hat sich dem nicht wirklich widersetzt, auf der anderen Hand hätte ich sonst ihre Toch-
ter getötet... Sehen Sie, so einfach ist das."
Ikari ließ die Hand mit dem Taschentuch sinken, der blutbefleckte Stoff fiel langsam zu
Boden.
"Du... verdammter Bastard!"
Und er stürzte sich auf den anderen.
Sofort setzten sich die Soldaten im Raum in Bewegung.
Ikari erreichte sein Ziel nicht, prallte gegen eine unsichtbare Wand, stolperte zurück,
in die Arme zweier Soldaten, die ihm die Beine wegtraten und dann mehrere Tritte in den
Leib verpaßten.
"Was..." preßte er hervor.
"Sie nennen das ein AT-Feld... ich nenne es Magie..."
"Nenn mir deinen Namen, du Mistkerl..."
Ikari spuckte Blut.
"Wenn das Ihr letzter Wunsch ist... ich bin Alessandro deCagliostro."
Von Fuyutsuki kam ein erstaunter Ausruf.
"Haben Sie etwas zu sagen, Professor?"
"Ich kenne Ihren Namen. Sie sind ein... Hexenmeister..."
"Oh, ich bin gekränkt, aber soetwas passiert wohl, wenn man seit vier Jahrhunderten ein
niedriges Profil wahrt... Ja, Sie haben richtig gehört, Kozo, doch ich schätze, das über-
rascht Sie nicht sonderlich, oder? Yui Ikari hat Ihnen doch verraten, daß sie... hm,
anders ist, oder? Egal, jetzt kontrolliere ich ihr Werk, die EVANGELIONs, die sie mit so
hochtrabenden Plänen erschaffen hat, werden nun mir gehorchen. Das Ende der Welt ist nah,
deshalb gebe ich mich jetzt mit Ihnen ab. Die EVAs sollten die Menschheit retten, jetzt
werden sie sie zerstören. Und ich werde lachen, wenn meine Verbündeten sich an den Seelen
der Toten laben."
Er klopfte auf den Koffer, in dem Ikari das Embryo ADAMs aufbewahrte.
"Und Sie alle haben mir den Weg dazu geebnet, freiwillig. - Ikari, bedenken Sie doch, wes-
halb sind Sie so schnell meinen Einflüsterungen erlegen? Sie haben nicht einmal daran ge-
zweifelt, daß das Szenario, welches letztlich ich entworfen habe, fehlerhaft sein könnte.
Sie hatten kein einziges Mal Skrupel... wieviele Menschen würden Ihren Plan wohl befürwor-
ten... Vereinigung der Seelen, das klingt ganz nett, aber wie würden andere wohl darauf
reagieren, wenn sie erführen, daß sie dafür ihre Körper aufgeben müßten?"
Lautes höhnisches Lachen hallte durch den Raum...
***
In einem Korridor blickte ein einzelner Elitesoldat nach oben, als er ein Geräusch hörte.
Im nächsten Moment stürzten siebzig Kilo Lebendgewicht auf ihn, spürte er die kalte Mün-
dung eines Schalldämpfers an der Stirn und sah als letztes einen hellen Blitz.
Kaji schleppte die Leiche in den nächsten Geräteraum und nahm die schwarze Kleidung und
die Waffen seines Opfers an sich.
***
ODIN-HQ
Larsen stand über dem letzten der Männer, die geschickt worden waren, um ihn zu töten,
Blut tropfte von seinen ausgefahrenen Klingen.
Schräg hinter ihm stand sein Mitstreiter, die rauchende Waffe noch in der Hand.
"Nur fünf... Kiehl hat Sie wirklich unterschätzt."
"Ich hatte Hilfe, Commander."
"George, sagen Sie George zu mir, Wolf."
"Danke."
"Und jetzt?"
"Jetzt bringen wir es zu Ende."
"Zu Kiehl?"
"Genau."
Larsen fuhr seine Klingen ein, hob seine Pistole auf, lud die Waffe nach, hinkte voran.
"Warum mußte der Kerl mir in mein gesundes Bein schießen?!"
Die beiden marschierten den Korridor hinab, ihre Waffen in den Händen.
Ein Alarm gellte auf, zivile Mitarbeiter des Geheimdienstes liefen aufgeschreckt davon.
Am Ende des Ganges war das Büro des ODIN-Direktors Lorenz Kiehl, davor standen zwei
Männer in schwarzen Anzügen, äußerlich denen gleichend, die ausgeschickt worden waren,
die beiden zu töten. Sie griffen nach ihren Waffen, gingen fast gleichzeitig zu Boden,
als die beiden Raben sie niederschossen, über sie hinwegstiegen und die Tür zu Kiehls
Räumen eintraten...
***
Kaworu schwebte auf das große Portal zu, hinter dem sich ADAM aufhalten sollte.
Hinter ihm schlugen EVA-02 und -03 am Boden des Schachtes auf, er drehte sich nicht
um, EVA-02 konnte ihn nicht mehr aufhalten, dessen war er sich sicher.
Er hob die Hand in einer gebieterischen Geste - und das Portal schwang auf, gab den
Blick auf die gekreuzigte weiße Gestalt mit der siebenäugigen Maske frei - und auf
das blauharrige Mädchen, das mit geballten Fäusten in Kaworus Weg stand, ihn aus ro-
ten Augen ansah.
Für einen Moment stockte er, grub sich der Blick der anderen in die Tiefen seines
Wesens. Er lächelte gezwungen, schwebte vorwärts... prallte gegen ein Hindernis...
"So, du kannst also auch ein AT-Feld generieren", flüsterte er, sah die Anstrengung
auf ihren Zügen. "Dann wollen wir doch ´mal sehen, wie lange du durchhälst..."
***
Asuka kletterte aus dem Pilotensitz, betätigte die nötigen Schaltungen, um den Entry-
Plug manuell zu evakuieren, stieß die Luke auf, blickte hinaus, erstarrte.
Sie sah Kaworu, wie er vor dem Portal, der Himmelspforte, stand, die Arme ausgestreckt.
Aus seinen Fingern zuckten bläuliche Blitze, die in ein bis dahin unsichtbares Hinder-
nis einschlugen, es jetzt sichtbar machten. Und jenseits des Portales sah sie Rei ste-
hen, spürte intuitiv, daß sie für die Barriere verantwortlich war, sah, wie Blut aus
Reis Nase zu fließen begann, wie ihre Knie zu zittern begannen, sah, wie Kaworu weiter-
hin das Schutzfeld attackierte.
Sie warf einen Blick zurück in den Plug, zum Pilotensitz, zum Notfallpack in der Rük-
kenlehne.
Teil der Ausrüstung sollte ein Messer sein...
***
Rei spürte, wie ihre Kräfte nachließen. Ihr Atem ging schneller, ihr Herz schien ihre
Brust sprengen zu wollen.
Die Kraft des Engels hingegen schien unerschöpflich, immer wieder griff er das AT-
Feld an, welches sie aufgebaut hatte, ohne wirklich zu wissen, wie sie es ge-
schafft hatte.
Ihre Knie wollten nachgeben, Tränen verschleierten ihren Blick.
Halte aus, wir sind unterwegs. hörte sie plötzlich eine leise Stimme.
"Wer..." flüsterte sie. "Yui-san..."
Wir kommen.
"Ja... Shinji..."
Noch einmal schöpfte sie neue Kraft, warf dem Engel alles entgegen, was sie hatte...
***
Asuka rannte auf Kaworu zu, das Überlebensmesser aus dem Notpack in der Hand.
"Kaworu, hör auf!" schrie sie.
Langsam drehte er sich ihr zu.
"Asuka..."
Für einen Moment wurde sein Blick weich, dann schüttelte er den Kopf.
"Letzte Chance, Rotschopf... geh, oder trage die Konsequenzen."
Aus der anderen Seite des Portals ging Rei leise stöhnend in die Knie, die Hände gegen
den Bauch gepreßt.
"Nein, für dich ist es die letzte Chance..."
Sie winkelte den Arm mit dem Messer an, ging in eine der Grundstellungen, die ihr Onkel
ihr gezeigt hatte.
"Wenn es sein muß..."
Er hob die Hand, zwischen deren Fingern kleine Blitze tanzten.
Ehe er handeln konnte, machte Asuka einen Ausfall, von ihrer Wut vorangetrieben durch-
stieß die Messerklinge das AT-Feld des Engels, fügte ihm einen üblen Schnitt am Unter-
arm zu, der den Knochen freilegte.
Kaworu wich zurück, starrte auf die stark blutende Wunde.
"Das... wirst du... büßen..."
Und er verwandelte sich...
Sein Rücken platzte auf Höhe der Schulterblätter auf, als sich zwei insektoide Arme mit
langen scharfen Chitinklingen herausschoben. Sein Kiefer schob sich nach vorn, enthüll-
te eine Gebiß voller Haifischzähnen, ein Blinzeln und seine roten Augen wurden durch
blutrote Facettenaugen ersetzt, graue Schuppen brachen unter seiner Haut hervor.
Asuka spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Dieses Wesen hatte sie noch am Vortag zum
Abschied geküßt...
Schon zuckten die Chitinklingen auf sie zu. Sie wirbelte zur Seite, riß die Klinge hoch,
spürte einen scharfen Schmerz an der linken Wange, wo eine von Kaworus Klingen
sie nur leicht berührt hatte, fühlte im nächsten Moment warmes Blut über ihr Gesicht lau-
fen, wich zurück.
Kaworu trieb sie Schritt für Schritt zurück, bald fand Asuka sich völlig in der Defensive wie-
der, ihre Plug-Suit war an zahlreichen Stellen aufgeschlitzt, auf der anderen Seite war eine
von Kaworus Klingen teilweise gebrochen. Sie wußte, daß sie diesen Kampf verlieren wür-
de... daß sie nur noch Zeit gewinnen konnte, damit Rei... was auch immer... damit sie flüch-
ten konnte, damit Verstärkung eintreffen konnte, damit... damit sie um ein Wunder beten
konnte...
Ein großer schwarzer Vogel flog über sie hinweg, gab ein leises Krächzen von sich.
Und das Wunder geschah...
Plötzlich rutschte ihr Gegner aus, schlidderde an ihr vorbei. Sie nutzte die Gelegenheit, trieb
ihre Klinge beidhändig in seinen Nacken.
Der Engel ging zu Boden, blieb zuckend liegen.
Sie riß die Klinge heraus, hieb wieder und wieder auf ihn ein, bis er ruhig lag.
Dann stand sie keuchend auf, bemerkte die Eisbahn, die der Grund für Kaworus Ausrut-
scher gewesen war, bemerkte Einheit-01, die endlich den Ort des Geschehens erreichte,
humpelte mit zusammengebissenen Zähnen zu Rei, die zusammengekrümmt auf dem Bo-
den lag, ging neben ihr in die Knie, berührte ihre Schulter.
"Rei!" brüllte Shinji, der mittlerweile aus dem Entry-Plug von EVA-01 geklettert war und
auf sie zurannte.
Neben ihnen ging der schwarze Vogel nieder, sah sie mit schräggelegtem Kopf an. Ne-
ben ihm landete ein zweiter Vogel derselben Art, nur hatte er ein weißes Gefieder. Die
beiden tauschten Krächzlaute aus, während Shinji sich über Rei beugte, zärtlich ihre
Wange streichelte.
"Rei, bitte, sag etwas..."
Ihre Hand bewegte sich langsam auf seine zu, umfaßte sie mit schwachem Griff. Ihr Atem
ging stoßweise.
"Shinji... unser Kind... solche Schmerzen..."
"Nein... bitte, nicht..."
Er hob ihren Oberkörper an, nahm sie in seine Arme.
"Ich hole einen Arzt." flüsterte Asuka, wollte aufspringen, wurde von einer Hand zurückge-
halten, die sich auf ihre Schulter legte, einer eiskalten Hand.
Sie blickte nach oben, in das Gesicht der Gestalt, deren Schatten auf sie fiel.
"Hilfe ist schon da", sagte Winter diArgio leise mit seiner kratzigen Stimme, während
er neben Rei in die Knie ging, dabei Worte in einer Sprache flüsternd, die schon zu ei-
ner Zeit nicht mehr benutzt worden war, als der Grundstein für das spätere Rom gelegt
worden war.
Reis Atem normalisierte sich.
"Besser?"
"Ja. Danke..."
Shinji sah ihn an.
"Sensei..."
Winter nickte nur.
"Es ist gut."
Für einen kurzen Moment fühlte er sich weit in die Vergangenheit zurückversetzt, in jene
Zeit, in der er selbst ein Vater gewesen war, in jene Zeit, in der er um die Zukunft seines
Sohnes mit aller Macht gegen seinesgleichen gekämpft und gesiegt hatte. Und ihm wurde
bewußt, daß er seit jeher andere beschützt hatte.
Eine kurze Handbewegung brachten Asukas zahlreiche Schnittwunden dazu, sich zu
schließen.
Als er sich aufrichtete, spürte er die Erschöpfung, die ihm der Einsatz seiner Kraft abver-
langt hatte. Er blickte zu dem gekreuzigten Riesen, erkannte endlich, wohin all die Chi-
Energie der Region verschwand, blickte dann zu den EVANGELIONs hinüber, von denen
zwei auf der Seite lagen und der dritte sich auf ein Knie stützte.
Langsam ging er zu Einheit-01 hinüber.
Von dem purpur-grünen EVANGELION ging ein leiser Ruf aus.
Er wob mit den Händen rasch ein Muster, welches ihm erleichtern sollte, die Natur des Ru-
fes zu erkennen, nahm ein goldenes Leuchten hinter der Brustpanzerung wahr. Eine weite-
re Handbewegung und er stieg in die Höhe, bis er sich direkt vor dem Licht befand. Das
Amulett vor seiner Brust löste sich von seinem Ruheplatz, das bisher halbgeschlossene
Auge öffnete sich vollständig und gab ein sanftes warmes Licht war.
Und er sah...
"Doktor Yui Ikari, nehme ich an..."
***
"Das NERV-Hauptquartier befindet sich in der Hand unserer Truppen", erklärte SEELE-07.
"Es beginnt." flüsterte SEELE-04.
"Bald... bald werden wir Götter sein." kam es von SEELE-06.
Lorenz Kiehl lächelte, natürlich sah es keiner der anderen, schließlich wurden sie im VR-
Raum, in dem sie sich trafen, nur durch Obelisken vertreten.
Plötzlich verschwand das Symbol von SEELE-03.
"Wo ist er hin? Warum wurde die Verbindung unterbrochen?" fragte SEELE-02.
Im nächsten Moment war ein Schuß zu hören. SEELE-08 verschwand.
"Was...?"
"Eindringlinge!" schrie SEELE-07. "Attentäter dringen in meine Räume ein!"
"Es sind Raben! ODINs Raben! Kiehl, Sie haben uns verraten!" brüllte SEELE-05, wollte
noch mehr sagen, doch seine Worte gingen in einem Gurgeln unter, direkt bevor sein
Obelisk verschwand.
Kiehl riß sich den Visor vom Kopf, fand sich schlagartig in der Wirklichkeit wieder,
drehte den Kopf zur Tür, die gerade eingetreten wurde.
Zwei Männer stürmten mit gezogenen Waffen in sein Büro.
Kiehl zog die Schublade seines Schreibtisches auf.
"Verlassen Sie sofort mein Büro!"
"Direktor Kiehl, Kraft der Befugnisse, die mir von den Vereinten Nationen verliehen wor-
den sind, nehme ich Sie fest, die Anschuldigung lautet Verrat an der ODIN-Agenda und
der Menschheit", knurrte Wolf Larsen.
"Sie können mich nicht festnehmen, ich stehe weit über Ihnen."
"So? Heben Sie langsam die Hände, oder ich schieße Sie über den Haufen."
"Das wagen Sie nicht... Das können Sie nicht! Ich bin unsterblich!" brüllte Kiehl und riß
seine Waffe hoch.
Die Kugeln, die ihn im nächsten Moment trafen und die Tatsache, daß sich sein Gehirn
über die Wand hinter ihm verteilte, straften seine Worte Lügen.
Larsen lehnte sich gegen den Türrahmen und ließ sich zu Boden sinken.
"Es ist vorbei..."
Sein Begleiter bemerkte, daß sein ganzes Hosenbein voller Blut war, löste eilig seine
Krawatte.
"Hier, binden sie ihr Bein damit ab."
"Danke. Erklären Sie den Kollegen, was wir da getan haben?"
"Ja. Das werde ich." Er rief einige verschlüsselte Anweisungen in die Leere des Büros.
"Was tun Sie?"
"Ich gebe HEIMDALL ein paar Befehle, er soll den Status der Raben in Erfahrung brin-
gen."
"Gut."
Der Cyborg schloß die Augen, sein Kampf war vorbei.
***
[Musik: Trevor Jones - OST Merlin, Track 10: In Search of the Grail]
"Doktor Yui Ikari, nehme ich an."
Wer? Wer ist da?
"Ich bin Winter bani Hermes."
Er benutzte die unter Angehörigen der Traditionen verwandte Formulierung, um sich zu er-
kennen zu geben.
Magus diArgio...
"Kennen wir uns?"
Nein, aber Euer Ruf ist mir bekannt. Erzmagus Winter diArgio, der Große Lehrmeister des
Ordens... der Dunkle Gelehrte... der General der Traditionen...
"Das war einmal."
Ihr tragt eine Umbrood in Euch...
"Seit acht Jahrhunderten, ja... der Grund, daß ich noch am Leben bin nach all der Zeit."
Welch eine Ironie...
"Wie seid Ihr in den EVANGELION gekommen?"
Ich habe die EVAs erschaffen... zusammen mit einigen anderen... beim ersten Testlauf
wurde ich von Einheit-01 absorbiert. Meine Seele ist seit über elf Jahren im Kern des EVAs
gefangen.
"Hm... Als Magier der Traditionen gebe ich Euch mein Wort, mein Bestes zu tun, um Euch zu
befreien."
Seit elf Jahren habe ich darauf gehofft, daß ein Kollege mich findet. Durch die Ab-
sorption ist meine Fähigkeit zu Ausübung von Magick gelähmt worden. Wie seid Ihr
hierhergekommen?
"Der Rat der Neun hat mich geschickt."
Ja.
"Also, was kann ich tun?"
Mein Körper müßte rekonstruiert werden, dann wäre es möglich, meine Seele zu
transferieren.
"Das sollte möglich sein, ich werde eine Reihe von Kollegen zusammenrufen, die sich
noch auf der Erde befinden, zusammen sollten wir das Problem lösen können."
Es tut gut, mit einem anderen Wissenschaftler sprechen zu können. Warten Sie... Ich
bekomme Daten vom MAGI-Computerverbund... Bewaffnete Truppen sind in das
Hauptquartier eingedrungen!
"Oh, toll, das dürfte unseren Zeitplan etwas beeinflussen. Es ist Euer Terrain, was
schlagt Ihr vor?"
Ich könnte mit Unterstützung der MAGI die internen Abwehrsysteme reaktivieren, al-
lerdings müßte ich dazu ins Zentral-Dogma...
"In Ordnung, ich hole den Jungen."
Nein, mit dem EVA können wir nicht bis zu den MAGI vordringen.
"Vorschläge? Kann der Kern entfernt werden, ohne daß Ihr Schaden erleidet?"
Das ist möglich... Aber der Kern gibt eine starke Strahlung ab.
Er lächelte voller Ironie.
"Das muß ich riskieren. Seid Ihr bereit?"
Ja...
Eine energische Handbewegung brachte die Brustpanzerung des EVAs dazu, sich zu lö-
sen und laut scheppernd zu Boden zu fallen.
Shinji, der dem Geschehen bisher keinen Blick geschenkt, sondern ausschließlich damit
beschäftigt gewesen war, Rei festzuhalten, sah auf.
"Was?"
Hier der Brustpanzerung kam der pulsierende Kern des EVANGELIONs zum Vorschein,
auf einen Wink des Magiers hin löste sich der Kern aus seiner Verankerung, schwebte
inter diesem her.
Wir sollten auch Doktor Soryu mitnehmen.
"Wen?"
Einheit-02... Doktor Kyoko Soryu von den Virtuellen Adepten hat ein ähnliches Schicksal
wie ich erlitten.
"Gut."
Eine weitere Handbewegung, ein weiterer Wink und ein zweiter Kern schwebte neben dem
ersten.
"He, was soll das!" rief Asuka, wurde aber ignoriert.
Von dem zweiten Kerl kamen unverständliche Gedankenimpulse.
Yui Ikari begann, auf die zweite Gefangene einzureden, während Winter mit dem Händen
weitere Symbole in die Luft zeichnete.
Dann erklang ein langgezogener mentaler Schrei, als Kyoko Soryu erwachte.
"Kümmert Ihr Euch um sie, Doktor Ikari, ich kümmere mich um den Aufstieg."
Er spürte die Hitze, die von den Kernen ausging, wußte, daß dies der Anfang vom Ende
war.
"So endet es also..." flüsterte er, drehte sich noch einmal um. "Tymael, achte auf die
Kinder", wies er seinen Vertrauten an, dann stieg das seltsame Gespann auf, schwebte
den Zentralen Schacht hinauf, schneller und schneller werdend.
Hinter Einheit-01 zugeglittene Sicherheitstore aus molekülverdichtetem Stahl zersprangen
wie brüchiges Glas, als ihre Struktur in Eis verwandelt wurde...
***
Der Kommandant der Elitetruppen nahm vor Cagliostro Haltung an.
"Wir haben den Kontakt zu dem Team verloren, das am Schachtzugang postiert war."
"Das ist... besorgniserregend. Was haben Sie unternommen?"
"Ein weiteres Team ist unterwegs, um die Lage zu klären."
"Gut."
"Moment, ich erhalte Meldung..." Der Mann erblaßte. "Zerbrochene Eisstatuen..."
"Wiederholen Sie das."
"Meine Leute melden, daß sie mehrere Statuen aus Eis gefunden haben, die auf dem Bo-
den zerschellt sind, Statuen von Menschen."
"Ihre Leute sollen in den Schacht vordringen und jeden töten, dem sie begegnen."
"Ja, ich gebe den Befehl weiter."
Ikari riß die Augen auf.
"Dort unten sind nur die Kinder..."
"Ihre wertvollen Piloten, Ikari... Ihr Sohn... warum sollte mich das kümmern?"
Gendo riß sich von Aoba los, der ihn gestützt hatte, stolperte auf den Puppenspieler zu,
wurde von den Soldaten mit Schlägen in die Magengrube abgefangen.
"Hören Sie auf!" schrie Misato Katsuragi, warf sich auf einen der Soldaten, flog im näch-
sten Moment zurück, landete auf dem Rücken, preßte die Hände gegen die Schußwunde in ih-
rer Leibesmitte...
"Sie alle werden sterben", flüsterte Cagliostro, "das Wie liegt einzig und allein bei Ihnen."
Dann kniff er die Augen zusammen, fixierte einen Punkt jenseits der nächsten Wand.
"Ich nehme etwas wahr... eine Präsenz, die ich lange nicht mehr... Colonel!"
"Ja?"
Der Befehlshaber der Truppen nahm wieder Haltung an.
"Lassen Sie das Hauptquartier durchkämmen... wir haben einen unerwünschten Gast,
lassen Sie ihn töten."
"Zu Befehl."
***
Winter ließ die beiden gefesselten Seelen im Raum der MAGI zurück, marschierte in die
Richtung, welche das Orientierungssystem ihm wies.
Ihr müßt vorsichtig sein. Der Anführer der Eindringlinge ist der Nephandi Cagliostro.
Er blieb stehen, starrte auf die Anzeigetafel, die ihm gerade diese Information vermittelt
hatte.
"Cagliostro..."
Ihr kennt ihn?
"Er war mein Schüler... mein einziger Fehlschlag..."
Er mußte lachen.
"Seltsam, wie alles zusammenkommt, wie Baustein zu Baustein findet... Sagt, wofür wur-
den die EVANGELIONs eigentlich konstruiert?"
Um den Sturm zu überwinden.
"Das paßt... der Schüler, bei dem ich versagt habe, die Mission, bei der ich versagt habe..."
Ein grimmiges Lächeln umspielte seine Lippen.
"Ist Doktor Soryu ansprechbar?"
Ja.
"Es tut mir leid... Ich weiß nicht, ob ich imstande sein werde, mein Versprechen einzulö-
sen..."
Was habt Ihr vor?
"Zeigt mir den Weg zu Cagliostro."
Ja, folgt den Symbolen auf den Tafeln. Was habt Ihr vor?
"Es zu Ende zu bringen..." flüsterte er, schleuderte drei blitzende Eiskristalle in die Luft,
rief die Eisige Wehr herbei, wob weitere Zauber um sich, während er sich wieder in Be-
wegung setzte.
Ich konnte die Verteidigungseinrichtungen reaktivieren, so daß ich Euch jetzt unterstü-
tzen kann. Derzeit lasse ich verschiedene Sektionen mit Bakelit fluten, um die Eindring-
linge festzusetzen oder einzuschließen.
"Gut."
Plötzlich hielt er wieder inne, preßte die Hand gegen die Brust.
"Nein..."
Eine einzelne Träne lief aus seinem linken Auge, als ihn unendliche Trauer überkam.
Was ist?
"Mein Familiar ist tot..."
***
Fünf Soldaten in dunkler Tarnkleidung erreichten den Boden des Zentralen Schachtes,
Waffen im Anschlag.
"Na, endlich kommt jemand. Rei braucht einen Arzt..." rief Asuka, wurde leiser, als die Waf-
fenläufe auf sie gerichtet wurden, wich zurück.
Rei lag aus gestreckt auf dem Boden, den Kopf auf Shinjis Schoß.
"Gefahr..."
Shinji drehte den Kopf, löste seinen Blick von seiner Gefährtin, um sich den Neuankömmlin-
gen zuzuwenden. Seine Augen weiteten sich.
Der weiße Schneerabe gab ein heiseres Krächzen von sich, schlug mit den Flügeln, er-
zeugte einen heftigen Windstoß, der die Soldaten von den Füßen riß.
Die Eindringlinge eröffneten das Feuer.
Shinji warf sich über Rei, deckte sie mit seinem Körper, spürte etwas heißes über seinen
Rücken fegen, als eine Kugel den Stoff seiner Plugsuit aufriß und eine blutige Strieme
auf seiner Haut hinterließ.
Asuka sprang in die Deckung der großen Pforte.
Tymael ging in einer blutigen Federwolke mit einem mitleidserregenden Krächzen zu Boden.
Eine einzelne Waffe bellte auf, viermal insgesamt. Vier der Soldaten sanken leblos hernie-
der. Der letzte, der Schütze, wischte sich mit dem Ärmel über das mit Tarnfarbe beschmier-
te Gesicht, gab sich als Ryoji Kaji zu erkennen.
"Tut mir leid, daß es soweit gekommen ist", erklärte er nur, als er neben Shinji und Rei in
die Knie ging. "Seid ihr in Ordnung?"
"Ja, Kaji", keuchte Shinji. "Was ist geschehen?"
"Ah, nur ein paar Irre, die ins HQ eingedrungen und alle als Geiseln genommen haben."
"Ist das wahr?"
"Ja, wir vier sind die einzigen, die sie nicht erwischt haben - und ich habe bisher mein Be-
stes getan, um ihre Zahlen etwas zu dezimieren."
"Sie haben sie alle... erschossen..."
"´War notwendig. - Rei, bist du in Ordnung?"
"Ja..."
Die Schmerzen waren fort. Und seltsamerweise wußte sie, daß auch dem Ungeborenen
nichts geschehen war.
"Gut - Shinji, was ist mit den EVAs? Mit nur einem EVANGELION könnten wir den
Kerlen einheizen."
"Ah... Sensei diArgio hat... die Kerne..."
"Wer? Was für ein Sensei?"
"Kaji, es ist... ah..."
Rei legte ihre Hand auf Shinjis.
"Wir können gar nichts tun. Ohne die Kerne werden die EVAs nicht reagieren, selbst
wenn sie Energie hätten... Ich..."
Sie versuchte aufzustehen, wurde von Shinji aber zurückgehalten.
"Kaji, was können wir tun?"
"Ihr bleibt hier..." Er warf Asuka eine seiner Pistolen zu. "Du weißt, wie man damit umgeht."
"Ja, Kaji."
Asuka nickte.
"Verschanzt euch, ich gehe wieder hoch..."
"Kaji-san..."
"Ja, Rei?"
"Warten Sie, es gibt einen Aufzug, ich kenne die Codes..."
***
Hyuga hockte neben Misato, die beide Hände auf die Schußwunde gepreßt hielt, und
starrte zu dem Irren hinüber, der sich selbst Cagliostro nannte - und der ihr aller Leben
in der Hand hatte.
Bis auf zwei der Soldaten waren alle anderen ausgerückt, doch diese standen so, daß sie
problemlos den ganzen Raum mit Garben aus ihren Maschinenpistolen bestreichen konn-
ten.
Gendo Ikari stand mit zittrigen Beinen vor dem Schreibtisch, sein Pullover war voller fri-
scher Blutflecken, seine Brillengläser wiesen Sprünge auf, seine Nase war gebrochen,
die Lippen aufgeschlagen, ihm war anzusehen, daß er mit seiner Kraft am Ende war.
"Haben Sie noch etwas zu sagen, Ikari?" höhnte der Hexenmeister.
"Brenn´ in der Hölle."
"Wie originell, das hat man mir schon seit..., hm, zweihundert Jahren nicht mehr ge-
wünscht. Aber das habe ich schon hinter mir. Die Kinder dürften mittlerweile tot
sein, zu dumm nur, daß Tabris offenkundig versagt hat, nun ja, muß ich halt eine
weitere Umbrood rufen, eine minima-le Verzögerung... Aber dazu brauche ich Sie
nicht mehr."
Er schnipste mit den Fingern und Gendo Ikari flog rückwärts durch die Luft, als hätte
ihn der Schlag einer unsichtbaren Faust getroffen.
Cagliostro hob die Hand, winkte mit zwei Fingern, marionettengleich wurde Ikari auf-
gehoben, hart gegen die Wand geschleudert.
"Hören Sie auf!" rief Fuyutsuki. "Warum töten Sie uns nicht einfach?"
"Weil ich etwas Spaß haben will."
"Das endet jetzt." erklärte eine Frauenstimme hinter ihm.
Fuyutsuki, der über Cagliostros Schulter hinwegsehen konnte, riß die Augen auf.
"Yui..."
Hinter dem Hexenmeister stand Yui Ikari, gekleidet in einen weißen Laborkittel. Sie war
leicht durchscheinend. Zwischen ihr und dem Holoprojektor in der Decke tanzten Staub-
partikel in der Luft.
"Was?" zischte Cagliostro, schleuderte ohne Nachzudenken einen Blitz aus der Hand auf
die Wissenschaftlerin. Der Lichtstrahl zuckte wirkungslos durch die Projektion hindurch,
schlug in die Rückwand des Büros, hinterließ dort einen dunklen Flecken.
Yui blickte ihn zornig an.
"Zehn Jahre..."
"Ein Trugbild... Wie konntet Ihr Euch befreien?"
"Ich hatte Hilfe."
Im selben Moment explodierte die Decke über Cagliostro in einem Regen aus Eissplittern,
sprang eine schmale Gestalt, gehüllt in Schatten und Kälte herab, gekleidet in einen wal-
lenden Umhang, bewaffnet mit einer Klinge aus glänzendem Eis, landete sicher in der
Hocke auf dem Schreibtisch, schleuderte zwei einzelne Frostdolch hinter sich, welche
die verbliebenen Wachen durchbohrten, an die Wand nagelten.
"Hallo, Alessando..." flüsterte Winter diArgio.
"So sehen wir uns also wieder."
"Es ist lange her... zu lange für meinen Geschmack..."
"Ja... Doch heute werde ich der Meister sein."
"Natürlich... sonst hast du keine Probleme, oder? Diesesmal werde ich dich nicht ver-
schonen!"
Er untermalte seine Worte mit einem örtlich begrenzten Hagelsturm und einem Sprung
vom Tisch. Mit der freien Hand deutete er auf die Tür.
"Alle raus!"
Die Tür wurde von außen aufgerissen - von Ryoji Kaji, der mit gezogenen Pistole in den
Raum hechtete, sich abrollte und erst einmal die Lage zu überblicken versuchte.
Zwischen den Magiern tobte derweil ein Duell jenseits der Vorstellungskraft eines Nor-
malsterblichen, zuckten Blitze hin und her, explodierten Flammenbälle und trieben Säu-
rewolken durch die Luft, während die Angehörigen des NERV-Stabes die Flucht er-
griffen. Hyuga und Aoba zogen Misato mit sich, als letzter ging Gendo Ikari, der sich
vom Anblick des Abbildes seiner Frau nicht losreißen konnte, die inmitten des Chaos
stand.
Schließlich flog Winter zurück, als seine Abwehrschilde unter einem Dutzend Feuerku-
geln brachen.
"Nun, Meister... Immer noch die alten Schwächen? Ja, ich war ein guter Schüler, auch
wenn mich vieles von Eurem Geschwafel nicht interessiert hat, warum im Himmel die-
nen, wenn man auch in der Hölle herrschen kann?"
Der Nephandi lachte, während sein Gegner versuchte, wieder auf die Beine zu kommen.
"Ihr habt wieder versagt. Wieder seid Ihr an mir gescheitert... zum dritten Mal... erinnert
Ihr Euch noch LaRochelle? Oh, sicher werdet Ihr das, sicher konntet Ihr die Schreie Euer
Mitstreiter nicht vergessen, als sie starben... Wie war es, als Euer Sohn in Euren Armen
starb? Als die schöne Dame Rasha sich opferte, damit Ihr entfliehen konntet?"
"Du Teufel..."
"Ja, Teufel, das bin ich, und ich bin stolz darauf. Wollt Ihr wissen, weshalb Euer ach so
sorgfältig geplanter Angriff gescheitert ist? Weshalb die Technokraten Euch bereits er-
wartet hatten? Sie wußten es, sie wußten, daß Ihr kommen würdet, daß Ihr die Streitkräfte
der Traditio-nen in die Schlacht werfen würdet, bis auf den letzten Initiaten... sie wußten
es von mir. Und nun... sterbt mit diesem Wissen, General!"
Cagliostro hob die Hand zum letzten Schlag.
Kaji feuerte, schoß in rascher Folge die Magazine seiner Waffen leer. Die Kugeln schlu-
gen wirkungslos in die unsichtbare Barriere, welche den Hexenmeister umgab, erzeugten
jedoch eine Ablenkung, die Winter erlaubte, seine letzte Waffe einzusetzen...
Aus Mund und Nase des Magus drang weißer Nebel, der sich rasch zu einer humano-
iden Erscheinung verdichtete, einer entfernt menschenähnlichen Gestalt mit langen Ar-
men und einem gedrungenen Kopf, einem Wesen aus Kälte mit gelblich glühenden Augen,
das sich auf Cagliostro stürzte, dessen Schilde mühelos zerfetzte, dem Hexenmeister
schließlich die krallenbewehrte Pranke in die Brust trieb und dann einfach verschwand.
Cagliostro stand reglos mitten im Raum, unfähig, auch nur mit der Wimper zu zucken.
Zitternd und keuchend kam Winter auf die Beine, mußte sich am Schreibtisch festhalten,
als acht Jahrhunderte zu ihm aufschlossen, als Runzeln und Falten seine Haut überzogen
und er sich äußerlich von einem vierzig- in einen hundertjährigen verwandelte.
Yui Ikaris Projektion eilte zu ihm, die helfend ausgestreckte Hand griff jedoch durch ihn hin-
durch.
"Was ist geschehen?"
"Ich habe... den Umbrood freigelassen... den Grund meiner Langlebigkeit..."
"Ihr braucht sofort Hilfe."
"Ich habe noch etwas zu erledigen."
Mit einer Mischung aus neugewonnener Kraft und letzten Reserven richtete er sich vor
Cagliostro auf.
"Alessando diCagliostro bani Hermes... Filius ex Winter... im Jahre 1773 erging durch den
Hohen Rat des Ordens des Hermes... folgendes Urteil... Wegen Verrates am Orden und den
Traditionen und Konspiration mit den Dunklen Mächten des Umbra... werdet Ihr zu Gilgul
verurteilt... der Vernichtung Eurer Gabe, Eurer Seele und Eures Leibes, auf daß nichts zu-
rückbleibe, das an Eure Schande zu erinnern vermag."
Er keuchte.
"Mangels der Gegenwart eines Schwarzen Tribunales werde ich gemäß dem Hermetischen
Eid diese Strafe vollstrecken..."
Und er begann leise Worte zu flüstern, Worte der Macht, nicht geschaffen für die mensch-
liche Zunge, mächtig genug, daß die Wandelemente des Büros zu vibrieren begannen,
machtvoll genug, daß Kajis Ohren zu bluten begannen, derart alt, daß die bloße Ausspra-
che genügte, um alle Grillen und sonstige Insekten in einem Umkreis von fünf Kilometern
abzutöten. Den Worten in der Sprache, die älter war als die Menschheit, folgte ein einfa-
cher Befehl: "Stirb!"
Und Cagliostro verlosch...
Asuka holte allmählich auf, EVA-03 bewegte sich nur langsam. Auf der anderen Seite war
sie an kein Versorgungskabel angeschlossen und ihre Zeit lief langsam aber sicher ab.
Plötzlich verharrte Einheit-03, drehte sich um.
"Ich hatte gesagt, ihr solltet mir nicht folgen." donnerte Kaworus Stimme. "Ich hege
nicht den Wunsch, dich zu verletzen, Asuka, oder jemand anders, aber ich muß meine Mis-
sion erfüllen."
Auf ihrem taktischen Schirm erschien er als blau-pulsierender Punkt, was ihre letzten
Zweifel beseitigte. Erneut spürte sie Tränen in sich aufsteigen, konzentrierte sich
ganz auf die in ihr neu erwachende Wut .
"Ich werde dich aufhalten, Kaworu, wenn du nicht aufgibst."
"Ich kann nicht aufgeben, es ist mein Schicksal. Es tut mir leid, Asuka..."
Mit diesen Worten schwebte er zur Seite, zur Schachtwand hin und dann weiter abwärts,
wäh-rend Einheit-03 sich auf den roten EVA stürzte.
EVA-02 hat sein PROG-Messer bereits in der Hand, schlug nach dem heransausenden Arm
des schwarzen EVAs, durchtrennte Muskeln und Sehnen, wich tänzelnd aus.
Asuka behielt die Anzeige der Batteriezeit im Auge, während sie zum Gegenangriff über-
ging, innerlich, jenseits des an der Oberfläche brodelnden Zorns, völlig ruhig, ganz
so, wie ihr Onkel es ihr beigebracht hatte.
Ein harter Schlag traf die linke Schulter von EVA-02, beförderte den Arm aus der Ge-
lenkpfanne, zugleich schrie Asuka im Entry-Plug auf, als ihr linker Arm gefühlslos
wurde.
Sie duckte sich unter einem weiteren Schlag hinweg, nutzte eine Öffnung in der Abwehr
von Einheit-03 und trieb ihr PROG-Messer in den Schädel des schwarzen EVAs.
EVA-03 erstarrte, seine Augen erloschen. Er verlor den Halt, kippte nach vorn, riß EVA-
02 mit sich.
Der Sturz schien eine Ewigkeit zu dauern.
Asuka hörte sich selbst schreien, dann erlosch plötzlich die Verbindung zu EVA-02, so
daß sie den Aufprall auf dem Boden des Schachtes durch das LCL abgeschwächt spürte,
anstatt aus erster Hand über die Synchronisation.
***
Ritsuko Akagi zuckte zusammen, als neben ihr eine Kugel in die Wand einschlug, aber
immerhin hatte sie es geschafft, EVA-02 und Asuka zu trennen. Ihren Anzeigen nach
lief ohnehin die Zeit aus, welche EVA-02 auf Batteriestrom hatte laufen können.
Maya Ibuki stieß einen spitzen Schrei aus.
Langsam hob sie die Hände, als sie sich umdrehte.
Der schwarzgekleideten Elitesoldaten an der Tür winkte ihr mit dem Lauf seiner Waffe
ihm zu folgen. Er brachte sie und ihre Assistentin in Gendo Ikaris riesiges Büro, wo
bereits ein Gutteil des Kommandostabes zusammengetrieben worden war.
Gendo blutete aus der Nase, seine rechte Wange war bereits dunkel angeschwollen.
Fuyutsuki hielt sich den linken Arm, der Ärmel seiner Jacke wies ein dunkles Loch auf,
um welches sich ein tiefroter Flecken langsam ausbreitete.
Makoto Hyuga hatte eine häßliche Platzwunde an der Stirn, Misato Katsuragi eine aufge-
schlagene Lippe.
Hinter Ikaris Schreibtisch saß eine dürre Gestalt mit wirrem schulterlangem schwarzem
Haar, bei dem nicht gesagt werden konnte, ob er Europäer oder Asiat war, der dünne
Spitzbart wies ihn als Angehörigen der männlichen Hälfte der menschlichen Spezies aus.
Seine Augen erinnerten an schwarze Kohlen. Der Fremde trug einen dunklen Anzug unter
seinem grauen Mantel, er hatte die Füße auf die Tischplatte gelegt und musterte jeden
der Anwesenden eingehend.
Ein dünnes Lächeln umspielte seine kaum vorhandenen Lippen.
Sein Blick blieb an Gendo hängen.
"So, endlich lerne ich Sie persönlich kennen, Ikari..."
Gendo preßte sich ein Taschentuch gegen die Nase.
"Wer sind Sie?"
Der andere nahm die Füße vom Tisch.
"Ich... Ich bin SEELE..."
Und begann zu lachen...
"Wir sind uns nie zuvor begegnet."
"Nein, das sind wir nicht, aber ich habe schon viel von Ihnen gehört. Sie waren mir ein
gutes Werkzeug, genau wie Kiehl und seine Freunde."
"Sie..."
"Ich sehe, Sie beginnen zu verstehen. Ja, ich bin der Mann hinter dem Komitee, ich habe
Ihre Geschicke gelenkt... Kiehl und die seinen arbeiten für mich, weil sie sich Macht
und Unsterblichkeit versprechen... weil ich ihnen Macht und Unsterblichkeit versprochen
habe. Und Sie haben für mich gearbeitet, weil ich Ihnen versprochen habe, daß Sie Ihre
Frau wiedersehen...
Und wissen Sie, was die Ironie daran ist? - Ich habe dafür gesorgt, daß es so gekommen
ist. Ich habe Naoko Akagi gezwungen, die Sicherheitsprogramme abzuschalten... gut, sie
hat sich dem nicht wirklich widersetzt, auf der anderen Hand hätte ich sonst ihre Toch-
ter getötet... Sehen Sie, so einfach ist das."
Ikari ließ die Hand mit dem Taschentuch sinken, der blutbefleckte Stoff fiel langsam zu
Boden.
"Du... verdammter Bastard!"
Und er stürzte sich auf den anderen.
Sofort setzten sich die Soldaten im Raum in Bewegung.
Ikari erreichte sein Ziel nicht, prallte gegen eine unsichtbare Wand, stolperte zurück,
in die Arme zweier Soldaten, die ihm die Beine wegtraten und dann mehrere Tritte in den
Leib verpaßten.
"Was..." preßte er hervor.
"Sie nennen das ein AT-Feld... ich nenne es Magie..."
"Nenn mir deinen Namen, du Mistkerl..."
Ikari spuckte Blut.
"Wenn das Ihr letzter Wunsch ist... ich bin Alessandro deCagliostro."
Von Fuyutsuki kam ein erstaunter Ausruf.
"Haben Sie etwas zu sagen, Professor?"
"Ich kenne Ihren Namen. Sie sind ein... Hexenmeister..."
"Oh, ich bin gekränkt, aber soetwas passiert wohl, wenn man seit vier Jahrhunderten ein
niedriges Profil wahrt... Ja, Sie haben richtig gehört, Kozo, doch ich schätze, das über-
rascht Sie nicht sonderlich, oder? Yui Ikari hat Ihnen doch verraten, daß sie... hm,
anders ist, oder? Egal, jetzt kontrolliere ich ihr Werk, die EVANGELIONs, die sie mit so
hochtrabenden Plänen erschaffen hat, werden nun mir gehorchen. Das Ende der Welt ist nah,
deshalb gebe ich mich jetzt mit Ihnen ab. Die EVAs sollten die Menschheit retten, jetzt
werden sie sie zerstören. Und ich werde lachen, wenn meine Verbündeten sich an den Seelen
der Toten laben."
Er klopfte auf den Koffer, in dem Ikari das Embryo ADAMs aufbewahrte.
"Und Sie alle haben mir den Weg dazu geebnet, freiwillig. - Ikari, bedenken Sie doch, wes-
halb sind Sie so schnell meinen Einflüsterungen erlegen? Sie haben nicht einmal daran ge-
zweifelt, daß das Szenario, welches letztlich ich entworfen habe, fehlerhaft sein könnte.
Sie hatten kein einziges Mal Skrupel... wieviele Menschen würden Ihren Plan wohl befürwor-
ten... Vereinigung der Seelen, das klingt ganz nett, aber wie würden andere wohl darauf
reagieren, wenn sie erführen, daß sie dafür ihre Körper aufgeben müßten?"
Lautes höhnisches Lachen hallte durch den Raum...
***
In einem Korridor blickte ein einzelner Elitesoldat nach oben, als er ein Geräusch hörte.
Im nächsten Moment stürzten siebzig Kilo Lebendgewicht auf ihn, spürte er die kalte Mün-
dung eines Schalldämpfers an der Stirn und sah als letztes einen hellen Blitz.
Kaji schleppte die Leiche in den nächsten Geräteraum und nahm die schwarze Kleidung und
die Waffen seines Opfers an sich.
***
ODIN-HQ
Larsen stand über dem letzten der Männer, die geschickt worden waren, um ihn zu töten,
Blut tropfte von seinen ausgefahrenen Klingen.
Schräg hinter ihm stand sein Mitstreiter, die rauchende Waffe noch in der Hand.
"Nur fünf... Kiehl hat Sie wirklich unterschätzt."
"Ich hatte Hilfe, Commander."
"George, sagen Sie George zu mir, Wolf."
"Danke."
"Und jetzt?"
"Jetzt bringen wir es zu Ende."
"Zu Kiehl?"
"Genau."
Larsen fuhr seine Klingen ein, hob seine Pistole auf, lud die Waffe nach, hinkte voran.
"Warum mußte der Kerl mir in mein gesundes Bein schießen?!"
Die beiden marschierten den Korridor hinab, ihre Waffen in den Händen.
Ein Alarm gellte auf, zivile Mitarbeiter des Geheimdienstes liefen aufgeschreckt davon.
Am Ende des Ganges war das Büro des ODIN-Direktors Lorenz Kiehl, davor standen zwei
Männer in schwarzen Anzügen, äußerlich denen gleichend, die ausgeschickt worden waren,
die beiden zu töten. Sie griffen nach ihren Waffen, gingen fast gleichzeitig zu Boden,
als die beiden Raben sie niederschossen, über sie hinwegstiegen und die Tür zu Kiehls
Räumen eintraten...
***
Kaworu schwebte auf das große Portal zu, hinter dem sich ADAM aufhalten sollte.
Hinter ihm schlugen EVA-02 und -03 am Boden des Schachtes auf, er drehte sich nicht
um, EVA-02 konnte ihn nicht mehr aufhalten, dessen war er sich sicher.
Er hob die Hand in einer gebieterischen Geste - und das Portal schwang auf, gab den
Blick auf die gekreuzigte weiße Gestalt mit der siebenäugigen Maske frei - und auf
das blauharrige Mädchen, das mit geballten Fäusten in Kaworus Weg stand, ihn aus ro-
ten Augen ansah.
Für einen Moment stockte er, grub sich der Blick der anderen in die Tiefen seines
Wesens. Er lächelte gezwungen, schwebte vorwärts... prallte gegen ein Hindernis...
"So, du kannst also auch ein AT-Feld generieren", flüsterte er, sah die Anstrengung
auf ihren Zügen. "Dann wollen wir doch ´mal sehen, wie lange du durchhälst..."
***
Asuka kletterte aus dem Pilotensitz, betätigte die nötigen Schaltungen, um den Entry-
Plug manuell zu evakuieren, stieß die Luke auf, blickte hinaus, erstarrte.
Sie sah Kaworu, wie er vor dem Portal, der Himmelspforte, stand, die Arme ausgestreckt.
Aus seinen Fingern zuckten bläuliche Blitze, die in ein bis dahin unsichtbares Hinder-
nis einschlugen, es jetzt sichtbar machten. Und jenseits des Portales sah sie Rei ste-
hen, spürte intuitiv, daß sie für die Barriere verantwortlich war, sah, wie Blut aus
Reis Nase zu fließen begann, wie ihre Knie zu zittern begannen, sah, wie Kaworu weiter-
hin das Schutzfeld attackierte.
Sie warf einen Blick zurück in den Plug, zum Pilotensitz, zum Notfallpack in der Rük-
kenlehne.
Teil der Ausrüstung sollte ein Messer sein...
***
Rei spürte, wie ihre Kräfte nachließen. Ihr Atem ging schneller, ihr Herz schien ihre
Brust sprengen zu wollen.
Die Kraft des Engels hingegen schien unerschöpflich, immer wieder griff er das AT-
Feld an, welches sie aufgebaut hatte, ohne wirklich zu wissen, wie sie es ge-
schafft hatte.
Ihre Knie wollten nachgeben, Tränen verschleierten ihren Blick.
Halte aus, wir sind unterwegs. hörte sie plötzlich eine leise Stimme.
"Wer..." flüsterte sie. "Yui-san..."
Wir kommen.
"Ja... Shinji..."
Noch einmal schöpfte sie neue Kraft, warf dem Engel alles entgegen, was sie hatte...
***
Asuka rannte auf Kaworu zu, das Überlebensmesser aus dem Notpack in der Hand.
"Kaworu, hör auf!" schrie sie.
Langsam drehte er sich ihr zu.
"Asuka..."
Für einen Moment wurde sein Blick weich, dann schüttelte er den Kopf.
"Letzte Chance, Rotschopf... geh, oder trage die Konsequenzen."
Aus der anderen Seite des Portals ging Rei leise stöhnend in die Knie, die Hände gegen
den Bauch gepreßt.
"Nein, für dich ist es die letzte Chance..."
Sie winkelte den Arm mit dem Messer an, ging in eine der Grundstellungen, die ihr Onkel
ihr gezeigt hatte.
"Wenn es sein muß..."
Er hob die Hand, zwischen deren Fingern kleine Blitze tanzten.
Ehe er handeln konnte, machte Asuka einen Ausfall, von ihrer Wut vorangetrieben durch-
stieß die Messerklinge das AT-Feld des Engels, fügte ihm einen üblen Schnitt am Unter-
arm zu, der den Knochen freilegte.
Kaworu wich zurück, starrte auf die stark blutende Wunde.
"Das... wirst du... büßen..."
Und er verwandelte sich...
Sein Rücken platzte auf Höhe der Schulterblätter auf, als sich zwei insektoide Arme mit
langen scharfen Chitinklingen herausschoben. Sein Kiefer schob sich nach vorn, enthüll-
te eine Gebiß voller Haifischzähnen, ein Blinzeln und seine roten Augen wurden durch
blutrote Facettenaugen ersetzt, graue Schuppen brachen unter seiner Haut hervor.
Asuka spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Dieses Wesen hatte sie noch am Vortag zum
Abschied geküßt...
Schon zuckten die Chitinklingen auf sie zu. Sie wirbelte zur Seite, riß die Klinge hoch,
spürte einen scharfen Schmerz an der linken Wange, wo eine von Kaworus Klingen
sie nur leicht berührt hatte, fühlte im nächsten Moment warmes Blut über ihr Gesicht lau-
fen, wich zurück.
Kaworu trieb sie Schritt für Schritt zurück, bald fand Asuka sich völlig in der Defensive wie-
der, ihre Plug-Suit war an zahlreichen Stellen aufgeschlitzt, auf der anderen Seite war eine
von Kaworus Klingen teilweise gebrochen. Sie wußte, daß sie diesen Kampf verlieren wür-
de... daß sie nur noch Zeit gewinnen konnte, damit Rei... was auch immer... damit sie flüch-
ten konnte, damit Verstärkung eintreffen konnte, damit... damit sie um ein Wunder beten
konnte...
Ein großer schwarzer Vogel flog über sie hinweg, gab ein leises Krächzen von sich.
Und das Wunder geschah...
Plötzlich rutschte ihr Gegner aus, schlidderde an ihr vorbei. Sie nutzte die Gelegenheit, trieb
ihre Klinge beidhändig in seinen Nacken.
Der Engel ging zu Boden, blieb zuckend liegen.
Sie riß die Klinge heraus, hieb wieder und wieder auf ihn ein, bis er ruhig lag.
Dann stand sie keuchend auf, bemerkte die Eisbahn, die der Grund für Kaworus Ausrut-
scher gewesen war, bemerkte Einheit-01, die endlich den Ort des Geschehens erreichte,
humpelte mit zusammengebissenen Zähnen zu Rei, die zusammengekrümmt auf dem Bo-
den lag, ging neben ihr in die Knie, berührte ihre Schulter.
"Rei!" brüllte Shinji, der mittlerweile aus dem Entry-Plug von EVA-01 geklettert war und
auf sie zurannte.
Neben ihnen ging der schwarze Vogel nieder, sah sie mit schräggelegtem Kopf an. Ne-
ben ihm landete ein zweiter Vogel derselben Art, nur hatte er ein weißes Gefieder. Die
beiden tauschten Krächzlaute aus, während Shinji sich über Rei beugte, zärtlich ihre
Wange streichelte.
"Rei, bitte, sag etwas..."
Ihre Hand bewegte sich langsam auf seine zu, umfaßte sie mit schwachem Griff. Ihr Atem
ging stoßweise.
"Shinji... unser Kind... solche Schmerzen..."
"Nein... bitte, nicht..."
Er hob ihren Oberkörper an, nahm sie in seine Arme.
"Ich hole einen Arzt." flüsterte Asuka, wollte aufspringen, wurde von einer Hand zurückge-
halten, die sich auf ihre Schulter legte, einer eiskalten Hand.
Sie blickte nach oben, in das Gesicht der Gestalt, deren Schatten auf sie fiel.
"Hilfe ist schon da", sagte Winter diArgio leise mit seiner kratzigen Stimme, während
er neben Rei in die Knie ging, dabei Worte in einer Sprache flüsternd, die schon zu ei-
ner Zeit nicht mehr benutzt worden war, als der Grundstein für das spätere Rom gelegt
worden war.
Reis Atem normalisierte sich.
"Besser?"
"Ja. Danke..."
Shinji sah ihn an.
"Sensei..."
Winter nickte nur.
"Es ist gut."
Für einen kurzen Moment fühlte er sich weit in die Vergangenheit zurückversetzt, in jene
Zeit, in der er selbst ein Vater gewesen war, in jene Zeit, in der er um die Zukunft seines
Sohnes mit aller Macht gegen seinesgleichen gekämpft und gesiegt hatte. Und ihm wurde
bewußt, daß er seit jeher andere beschützt hatte.
Eine kurze Handbewegung brachten Asukas zahlreiche Schnittwunden dazu, sich zu
schließen.
Als er sich aufrichtete, spürte er die Erschöpfung, die ihm der Einsatz seiner Kraft abver-
langt hatte. Er blickte zu dem gekreuzigten Riesen, erkannte endlich, wohin all die Chi-
Energie der Region verschwand, blickte dann zu den EVANGELIONs hinüber, von denen
zwei auf der Seite lagen und der dritte sich auf ein Knie stützte.
Langsam ging er zu Einheit-01 hinüber.
Von dem purpur-grünen EVANGELION ging ein leiser Ruf aus.
Er wob mit den Händen rasch ein Muster, welches ihm erleichtern sollte, die Natur des Ru-
fes zu erkennen, nahm ein goldenes Leuchten hinter der Brustpanzerung wahr. Eine weite-
re Handbewegung und er stieg in die Höhe, bis er sich direkt vor dem Licht befand. Das
Amulett vor seiner Brust löste sich von seinem Ruheplatz, das bisher halbgeschlossene
Auge öffnete sich vollständig und gab ein sanftes warmes Licht war.
Und er sah...
"Doktor Yui Ikari, nehme ich an..."
***
"Das NERV-Hauptquartier befindet sich in der Hand unserer Truppen", erklärte SEELE-07.
"Es beginnt." flüsterte SEELE-04.
"Bald... bald werden wir Götter sein." kam es von SEELE-06.
Lorenz Kiehl lächelte, natürlich sah es keiner der anderen, schließlich wurden sie im VR-
Raum, in dem sie sich trafen, nur durch Obelisken vertreten.
Plötzlich verschwand das Symbol von SEELE-03.
"Wo ist er hin? Warum wurde die Verbindung unterbrochen?" fragte SEELE-02.
Im nächsten Moment war ein Schuß zu hören. SEELE-08 verschwand.
"Was...?"
"Eindringlinge!" schrie SEELE-07. "Attentäter dringen in meine Räume ein!"
"Es sind Raben! ODINs Raben! Kiehl, Sie haben uns verraten!" brüllte SEELE-05, wollte
noch mehr sagen, doch seine Worte gingen in einem Gurgeln unter, direkt bevor sein
Obelisk verschwand.
Kiehl riß sich den Visor vom Kopf, fand sich schlagartig in der Wirklichkeit wieder,
drehte den Kopf zur Tür, die gerade eingetreten wurde.
Zwei Männer stürmten mit gezogenen Waffen in sein Büro.
Kiehl zog die Schublade seines Schreibtisches auf.
"Verlassen Sie sofort mein Büro!"
"Direktor Kiehl, Kraft der Befugnisse, die mir von den Vereinten Nationen verliehen wor-
den sind, nehme ich Sie fest, die Anschuldigung lautet Verrat an der ODIN-Agenda und
der Menschheit", knurrte Wolf Larsen.
"Sie können mich nicht festnehmen, ich stehe weit über Ihnen."
"So? Heben Sie langsam die Hände, oder ich schieße Sie über den Haufen."
"Das wagen Sie nicht... Das können Sie nicht! Ich bin unsterblich!" brüllte Kiehl und riß
seine Waffe hoch.
Die Kugeln, die ihn im nächsten Moment trafen und die Tatsache, daß sich sein Gehirn
über die Wand hinter ihm verteilte, straften seine Worte Lügen.
Larsen lehnte sich gegen den Türrahmen und ließ sich zu Boden sinken.
"Es ist vorbei..."
Sein Begleiter bemerkte, daß sein ganzes Hosenbein voller Blut war, löste eilig seine
Krawatte.
"Hier, binden sie ihr Bein damit ab."
"Danke. Erklären Sie den Kollegen, was wir da getan haben?"
"Ja. Das werde ich." Er rief einige verschlüsselte Anweisungen in die Leere des Büros.
"Was tun Sie?"
"Ich gebe HEIMDALL ein paar Befehle, er soll den Status der Raben in Erfahrung brin-
gen."
"Gut."
Der Cyborg schloß die Augen, sein Kampf war vorbei.
***
[Musik: Trevor Jones - OST Merlin, Track 10: In Search of the Grail]
"Doktor Yui Ikari, nehme ich an."
Wer? Wer ist da?
"Ich bin Winter bani Hermes."
Er benutzte die unter Angehörigen der Traditionen verwandte Formulierung, um sich zu er-
kennen zu geben.
Magus diArgio...
"Kennen wir uns?"
Nein, aber Euer Ruf ist mir bekannt. Erzmagus Winter diArgio, der Große Lehrmeister des
Ordens... der Dunkle Gelehrte... der General der Traditionen...
"Das war einmal."
Ihr tragt eine Umbrood in Euch...
"Seit acht Jahrhunderten, ja... der Grund, daß ich noch am Leben bin nach all der Zeit."
Welch eine Ironie...
"Wie seid Ihr in den EVANGELION gekommen?"
Ich habe die EVAs erschaffen... zusammen mit einigen anderen... beim ersten Testlauf
wurde ich von Einheit-01 absorbiert. Meine Seele ist seit über elf Jahren im Kern des EVAs
gefangen.
"Hm... Als Magier der Traditionen gebe ich Euch mein Wort, mein Bestes zu tun, um Euch zu
befreien."
Seit elf Jahren habe ich darauf gehofft, daß ein Kollege mich findet. Durch die Ab-
sorption ist meine Fähigkeit zu Ausübung von Magick gelähmt worden. Wie seid Ihr
hierhergekommen?
"Der Rat der Neun hat mich geschickt."
Ja.
"Also, was kann ich tun?"
Mein Körper müßte rekonstruiert werden, dann wäre es möglich, meine Seele zu
transferieren.
"Das sollte möglich sein, ich werde eine Reihe von Kollegen zusammenrufen, die sich
noch auf der Erde befinden, zusammen sollten wir das Problem lösen können."
Es tut gut, mit einem anderen Wissenschaftler sprechen zu können. Warten Sie... Ich
bekomme Daten vom MAGI-Computerverbund... Bewaffnete Truppen sind in das
Hauptquartier eingedrungen!
"Oh, toll, das dürfte unseren Zeitplan etwas beeinflussen. Es ist Euer Terrain, was
schlagt Ihr vor?"
Ich könnte mit Unterstützung der MAGI die internen Abwehrsysteme reaktivieren, al-
lerdings müßte ich dazu ins Zentral-Dogma...
"In Ordnung, ich hole den Jungen."
Nein, mit dem EVA können wir nicht bis zu den MAGI vordringen.
"Vorschläge? Kann der Kern entfernt werden, ohne daß Ihr Schaden erleidet?"
Das ist möglich... Aber der Kern gibt eine starke Strahlung ab.
Er lächelte voller Ironie.
"Das muß ich riskieren. Seid Ihr bereit?"
Ja...
Eine energische Handbewegung brachte die Brustpanzerung des EVAs dazu, sich zu lö-
sen und laut scheppernd zu Boden zu fallen.
Shinji, der dem Geschehen bisher keinen Blick geschenkt, sondern ausschließlich damit
beschäftigt gewesen war, Rei festzuhalten, sah auf.
"Was?"
Hier der Brustpanzerung kam der pulsierende Kern des EVANGELIONs zum Vorschein,
auf einen Wink des Magiers hin löste sich der Kern aus seiner Verankerung, schwebte
inter diesem her.
Wir sollten auch Doktor Soryu mitnehmen.
"Wen?"
Einheit-02... Doktor Kyoko Soryu von den Virtuellen Adepten hat ein ähnliches Schicksal
wie ich erlitten.
"Gut."
Eine weitere Handbewegung, ein weiterer Wink und ein zweiter Kern schwebte neben dem
ersten.
"He, was soll das!" rief Asuka, wurde aber ignoriert.
Von dem zweiten Kerl kamen unverständliche Gedankenimpulse.
Yui Ikari begann, auf die zweite Gefangene einzureden, während Winter mit dem Händen
weitere Symbole in die Luft zeichnete.
Dann erklang ein langgezogener mentaler Schrei, als Kyoko Soryu erwachte.
"Kümmert Ihr Euch um sie, Doktor Ikari, ich kümmere mich um den Aufstieg."
Er spürte die Hitze, die von den Kernen ausging, wußte, daß dies der Anfang vom Ende
war.
"So endet es also..." flüsterte er, drehte sich noch einmal um. "Tymael, achte auf die
Kinder", wies er seinen Vertrauten an, dann stieg das seltsame Gespann auf, schwebte
den Zentralen Schacht hinauf, schneller und schneller werdend.
Hinter Einheit-01 zugeglittene Sicherheitstore aus molekülverdichtetem Stahl zersprangen
wie brüchiges Glas, als ihre Struktur in Eis verwandelt wurde...
***
Der Kommandant der Elitetruppen nahm vor Cagliostro Haltung an.
"Wir haben den Kontakt zu dem Team verloren, das am Schachtzugang postiert war."
"Das ist... besorgniserregend. Was haben Sie unternommen?"
"Ein weiteres Team ist unterwegs, um die Lage zu klären."
"Gut."
"Moment, ich erhalte Meldung..." Der Mann erblaßte. "Zerbrochene Eisstatuen..."
"Wiederholen Sie das."
"Meine Leute melden, daß sie mehrere Statuen aus Eis gefunden haben, die auf dem Bo-
den zerschellt sind, Statuen von Menschen."
"Ihre Leute sollen in den Schacht vordringen und jeden töten, dem sie begegnen."
"Ja, ich gebe den Befehl weiter."
Ikari riß die Augen auf.
"Dort unten sind nur die Kinder..."
"Ihre wertvollen Piloten, Ikari... Ihr Sohn... warum sollte mich das kümmern?"
Gendo riß sich von Aoba los, der ihn gestützt hatte, stolperte auf den Puppenspieler zu,
wurde von den Soldaten mit Schlägen in die Magengrube abgefangen.
"Hören Sie auf!" schrie Misato Katsuragi, warf sich auf einen der Soldaten, flog im näch-
sten Moment zurück, landete auf dem Rücken, preßte die Hände gegen die Schußwunde in ih-
rer Leibesmitte...
"Sie alle werden sterben", flüsterte Cagliostro, "das Wie liegt einzig und allein bei Ihnen."
Dann kniff er die Augen zusammen, fixierte einen Punkt jenseits der nächsten Wand.
"Ich nehme etwas wahr... eine Präsenz, die ich lange nicht mehr... Colonel!"
"Ja?"
Der Befehlshaber der Truppen nahm wieder Haltung an.
"Lassen Sie das Hauptquartier durchkämmen... wir haben einen unerwünschten Gast,
lassen Sie ihn töten."
"Zu Befehl."
***
Winter ließ die beiden gefesselten Seelen im Raum der MAGI zurück, marschierte in die
Richtung, welche das Orientierungssystem ihm wies.
Ihr müßt vorsichtig sein. Der Anführer der Eindringlinge ist der Nephandi Cagliostro.
Er blieb stehen, starrte auf die Anzeigetafel, die ihm gerade diese Information vermittelt
hatte.
"Cagliostro..."
Ihr kennt ihn?
"Er war mein Schüler... mein einziger Fehlschlag..."
Er mußte lachen.
"Seltsam, wie alles zusammenkommt, wie Baustein zu Baustein findet... Sagt, wofür wur-
den die EVANGELIONs eigentlich konstruiert?"
Um den Sturm zu überwinden.
"Das paßt... der Schüler, bei dem ich versagt habe, die Mission, bei der ich versagt habe..."
Ein grimmiges Lächeln umspielte seine Lippen.
"Ist Doktor Soryu ansprechbar?"
Ja.
"Es tut mir leid... Ich weiß nicht, ob ich imstande sein werde, mein Versprechen einzulö-
sen..."
Was habt Ihr vor?
"Zeigt mir den Weg zu Cagliostro."
Ja, folgt den Symbolen auf den Tafeln. Was habt Ihr vor?
"Es zu Ende zu bringen..." flüsterte er, schleuderte drei blitzende Eiskristalle in die Luft,
rief die Eisige Wehr herbei, wob weitere Zauber um sich, während er sich wieder in Be-
wegung setzte.
Ich konnte die Verteidigungseinrichtungen reaktivieren, so daß ich Euch jetzt unterstü-
tzen kann. Derzeit lasse ich verschiedene Sektionen mit Bakelit fluten, um die Eindring-
linge festzusetzen oder einzuschließen.
"Gut."
Plötzlich hielt er wieder inne, preßte die Hand gegen die Brust.
"Nein..."
Eine einzelne Träne lief aus seinem linken Auge, als ihn unendliche Trauer überkam.
Was ist?
"Mein Familiar ist tot..."
***
Fünf Soldaten in dunkler Tarnkleidung erreichten den Boden des Zentralen Schachtes,
Waffen im Anschlag.
"Na, endlich kommt jemand. Rei braucht einen Arzt..." rief Asuka, wurde leiser, als die Waf-
fenläufe auf sie gerichtet wurden, wich zurück.
Rei lag aus gestreckt auf dem Boden, den Kopf auf Shinjis Schoß.
"Gefahr..."
Shinji drehte den Kopf, löste seinen Blick von seiner Gefährtin, um sich den Neuankömmlin-
gen zuzuwenden. Seine Augen weiteten sich.
Der weiße Schneerabe gab ein heiseres Krächzen von sich, schlug mit den Flügeln, er-
zeugte einen heftigen Windstoß, der die Soldaten von den Füßen riß.
Die Eindringlinge eröffneten das Feuer.
Shinji warf sich über Rei, deckte sie mit seinem Körper, spürte etwas heißes über seinen
Rücken fegen, als eine Kugel den Stoff seiner Plugsuit aufriß und eine blutige Strieme
auf seiner Haut hinterließ.
Asuka sprang in die Deckung der großen Pforte.
Tymael ging in einer blutigen Federwolke mit einem mitleidserregenden Krächzen zu Boden.
Eine einzelne Waffe bellte auf, viermal insgesamt. Vier der Soldaten sanken leblos hernie-
der. Der letzte, der Schütze, wischte sich mit dem Ärmel über das mit Tarnfarbe beschmier-
te Gesicht, gab sich als Ryoji Kaji zu erkennen.
"Tut mir leid, daß es soweit gekommen ist", erklärte er nur, als er neben Shinji und Rei in
die Knie ging. "Seid ihr in Ordnung?"
"Ja, Kaji", keuchte Shinji. "Was ist geschehen?"
"Ah, nur ein paar Irre, die ins HQ eingedrungen und alle als Geiseln genommen haben."
"Ist das wahr?"
"Ja, wir vier sind die einzigen, die sie nicht erwischt haben - und ich habe bisher mein Be-
stes getan, um ihre Zahlen etwas zu dezimieren."
"Sie haben sie alle... erschossen..."
"´War notwendig. - Rei, bist du in Ordnung?"
"Ja..."
Die Schmerzen waren fort. Und seltsamerweise wußte sie, daß auch dem Ungeborenen
nichts geschehen war.
"Gut - Shinji, was ist mit den EVAs? Mit nur einem EVANGELION könnten wir den
Kerlen einheizen."
"Ah... Sensei diArgio hat... die Kerne..."
"Wer? Was für ein Sensei?"
"Kaji, es ist... ah..."
Rei legte ihre Hand auf Shinjis.
"Wir können gar nichts tun. Ohne die Kerne werden die EVAs nicht reagieren, selbst
wenn sie Energie hätten... Ich..."
Sie versuchte aufzustehen, wurde von Shinji aber zurückgehalten.
"Kaji, was können wir tun?"
"Ihr bleibt hier..." Er warf Asuka eine seiner Pistolen zu. "Du weißt, wie man damit umgeht."
"Ja, Kaji."
Asuka nickte.
"Verschanzt euch, ich gehe wieder hoch..."
"Kaji-san..."
"Ja, Rei?"
"Warten Sie, es gibt einen Aufzug, ich kenne die Codes..."
***
Hyuga hockte neben Misato, die beide Hände auf die Schußwunde gepreßt hielt, und
starrte zu dem Irren hinüber, der sich selbst Cagliostro nannte - und der ihr aller Leben
in der Hand hatte.
Bis auf zwei der Soldaten waren alle anderen ausgerückt, doch diese standen so, daß sie
problemlos den ganzen Raum mit Garben aus ihren Maschinenpistolen bestreichen konn-
ten.
Gendo Ikari stand mit zittrigen Beinen vor dem Schreibtisch, sein Pullover war voller fri-
scher Blutflecken, seine Brillengläser wiesen Sprünge auf, seine Nase war gebrochen,
die Lippen aufgeschlagen, ihm war anzusehen, daß er mit seiner Kraft am Ende war.
"Haben Sie noch etwas zu sagen, Ikari?" höhnte der Hexenmeister.
"Brenn´ in der Hölle."
"Wie originell, das hat man mir schon seit..., hm, zweihundert Jahren nicht mehr ge-
wünscht. Aber das habe ich schon hinter mir. Die Kinder dürften mittlerweile tot
sein, zu dumm nur, daß Tabris offenkundig versagt hat, nun ja, muß ich halt eine
weitere Umbrood rufen, eine minima-le Verzögerung... Aber dazu brauche ich Sie
nicht mehr."
Er schnipste mit den Fingern und Gendo Ikari flog rückwärts durch die Luft, als hätte
ihn der Schlag einer unsichtbaren Faust getroffen.
Cagliostro hob die Hand, winkte mit zwei Fingern, marionettengleich wurde Ikari auf-
gehoben, hart gegen die Wand geschleudert.
"Hören Sie auf!" rief Fuyutsuki. "Warum töten Sie uns nicht einfach?"
"Weil ich etwas Spaß haben will."
"Das endet jetzt." erklärte eine Frauenstimme hinter ihm.
Fuyutsuki, der über Cagliostros Schulter hinwegsehen konnte, riß die Augen auf.
"Yui..."
Hinter dem Hexenmeister stand Yui Ikari, gekleidet in einen weißen Laborkittel. Sie war
leicht durchscheinend. Zwischen ihr und dem Holoprojektor in der Decke tanzten Staub-
partikel in der Luft.
"Was?" zischte Cagliostro, schleuderte ohne Nachzudenken einen Blitz aus der Hand auf
die Wissenschaftlerin. Der Lichtstrahl zuckte wirkungslos durch die Projektion hindurch,
schlug in die Rückwand des Büros, hinterließ dort einen dunklen Flecken.
Yui blickte ihn zornig an.
"Zehn Jahre..."
"Ein Trugbild... Wie konntet Ihr Euch befreien?"
"Ich hatte Hilfe."
Im selben Moment explodierte die Decke über Cagliostro in einem Regen aus Eissplittern,
sprang eine schmale Gestalt, gehüllt in Schatten und Kälte herab, gekleidet in einen wal-
lenden Umhang, bewaffnet mit einer Klinge aus glänzendem Eis, landete sicher in der
Hocke auf dem Schreibtisch, schleuderte zwei einzelne Frostdolch hinter sich, welche
die verbliebenen Wachen durchbohrten, an die Wand nagelten.
"Hallo, Alessando..." flüsterte Winter diArgio.
"So sehen wir uns also wieder."
"Es ist lange her... zu lange für meinen Geschmack..."
"Ja... Doch heute werde ich der Meister sein."
"Natürlich... sonst hast du keine Probleme, oder? Diesesmal werde ich dich nicht ver-
schonen!"
Er untermalte seine Worte mit einem örtlich begrenzten Hagelsturm und einem Sprung
vom Tisch. Mit der freien Hand deutete er auf die Tür.
"Alle raus!"
Die Tür wurde von außen aufgerissen - von Ryoji Kaji, der mit gezogenen Pistole in den
Raum hechtete, sich abrollte und erst einmal die Lage zu überblicken versuchte.
Zwischen den Magiern tobte derweil ein Duell jenseits der Vorstellungskraft eines Nor-
malsterblichen, zuckten Blitze hin und her, explodierten Flammenbälle und trieben Säu-
rewolken durch die Luft, während die Angehörigen des NERV-Stabes die Flucht er-
griffen. Hyuga und Aoba zogen Misato mit sich, als letzter ging Gendo Ikari, der sich
vom Anblick des Abbildes seiner Frau nicht losreißen konnte, die inmitten des Chaos
stand.
Schließlich flog Winter zurück, als seine Abwehrschilde unter einem Dutzend Feuerku-
geln brachen.
"Nun, Meister... Immer noch die alten Schwächen? Ja, ich war ein guter Schüler, auch
wenn mich vieles von Eurem Geschwafel nicht interessiert hat, warum im Himmel die-
nen, wenn man auch in der Hölle herrschen kann?"
Der Nephandi lachte, während sein Gegner versuchte, wieder auf die Beine zu kommen.
"Ihr habt wieder versagt. Wieder seid Ihr an mir gescheitert... zum dritten Mal... erinnert
Ihr Euch noch LaRochelle? Oh, sicher werdet Ihr das, sicher konntet Ihr die Schreie Euer
Mitstreiter nicht vergessen, als sie starben... Wie war es, als Euer Sohn in Euren Armen
starb? Als die schöne Dame Rasha sich opferte, damit Ihr entfliehen konntet?"
"Du Teufel..."
"Ja, Teufel, das bin ich, und ich bin stolz darauf. Wollt Ihr wissen, weshalb Euer ach so
sorgfältig geplanter Angriff gescheitert ist? Weshalb die Technokraten Euch bereits er-
wartet hatten? Sie wußten es, sie wußten, daß Ihr kommen würdet, daß Ihr die Streitkräfte
der Traditio-nen in die Schlacht werfen würdet, bis auf den letzten Initiaten... sie wußten
es von mir. Und nun... sterbt mit diesem Wissen, General!"
Cagliostro hob die Hand zum letzten Schlag.
Kaji feuerte, schoß in rascher Folge die Magazine seiner Waffen leer. Die Kugeln schlu-
gen wirkungslos in die unsichtbare Barriere, welche den Hexenmeister umgab, erzeugten
jedoch eine Ablenkung, die Winter erlaubte, seine letzte Waffe einzusetzen...
Aus Mund und Nase des Magus drang weißer Nebel, der sich rasch zu einer humano-
iden Erscheinung verdichtete, einer entfernt menschenähnlichen Gestalt mit langen Ar-
men und einem gedrungenen Kopf, einem Wesen aus Kälte mit gelblich glühenden Augen,
das sich auf Cagliostro stürzte, dessen Schilde mühelos zerfetzte, dem Hexenmeister
schließlich die krallenbewehrte Pranke in die Brust trieb und dann einfach verschwand.
Cagliostro stand reglos mitten im Raum, unfähig, auch nur mit der Wimper zu zucken.
Zitternd und keuchend kam Winter auf die Beine, mußte sich am Schreibtisch festhalten,
als acht Jahrhunderte zu ihm aufschlossen, als Runzeln und Falten seine Haut überzogen
und er sich äußerlich von einem vierzig- in einen hundertjährigen verwandelte.
Yui Ikaris Projektion eilte zu ihm, die helfend ausgestreckte Hand griff jedoch durch ihn hin-
durch.
"Was ist geschehen?"
"Ich habe... den Umbrood freigelassen... den Grund meiner Langlebigkeit..."
"Ihr braucht sofort Hilfe."
"Ich habe noch etwas zu erledigen."
Mit einer Mischung aus neugewonnener Kraft und letzten Reserven richtete er sich vor
Cagliostro auf.
"Alessando diCagliostro bani Hermes... Filius ex Winter... im Jahre 1773 erging durch den
Hohen Rat des Ordens des Hermes... folgendes Urteil... Wegen Verrates am Orden und den
Traditionen und Konspiration mit den Dunklen Mächten des Umbra... werdet Ihr zu Gilgul
verurteilt... der Vernichtung Eurer Gabe, Eurer Seele und Eures Leibes, auf daß nichts zu-
rückbleibe, das an Eure Schande zu erinnern vermag."
Er keuchte.
"Mangels der Gegenwart eines Schwarzen Tribunales werde ich gemäß dem Hermetischen
Eid diese Strafe vollstrecken..."
Und er begann leise Worte zu flüstern, Worte der Macht, nicht geschaffen für die mensch-
liche Zunge, mächtig genug, daß die Wandelemente des Büros zu vibrieren begannen,
machtvoll genug, daß Kajis Ohren zu bluten begannen, derart alt, daß die bloße Ausspra-
che genügte, um alle Grillen und sonstige Insekten in einem Umkreis von fünf Kilometern
abzutöten. Den Worten in der Sprache, die älter war als die Menschheit, folgte ein einfa-
cher Befehl: "Stirb!"
Und Cagliostro verlosch...
