Disclaimer: Buffy: The Vampire Slayer gehört Joss Whedon und Mutant Enemy.
Zeitlinie: 5. Staffel, 2. Story in der Caitlin-Serie
Altersfreigabe: PG
Kapitel: 1/7
Paare: X/ATE, B/SP
Inhalt: Xander wird in die Vergangenheit geschleudert und landet in Irland bei Caitlin, Colin und seinen Childes, während Spike auf die Entfernung seines Chips bei der Union wartet.
Kommentar: Um die FanFic zu verstehen, sollte man „Caitlin" gelesen haben, muß aber nicht. Hier ne kurze Zusammenfassung vom Alternativuniversum: Buffy ist seit „Caitlin" mit Spike zusammen. Angel ist wie in der Serie nach Los Angeles gegangen, hat sich aber nicht von Buffy getrennt, sondern von seiner Frau Caitlin. Spike hat den Chip, wohnt seitdem bei Buffy. Buffy und Riley waren nie zusammen. Die Initiative wurde vernichtet von Scooby Gang und Union (Buffy hat es persönlich genommen, daß die im Gehirn ihres Freundes rumgepfuscht haben). Willow gehört noch zur Gang, ist aber zwischen ihrer Loyalität zu ihrer Meisterin und ihrer Vampirfamilie und der Scooby Gang hin- und hergerissen. Tara ist bei Cat und Co. eingezogen.
Kapitel 1
Buffy, Giles, Willow, Tara, Spike, Dawn, Helen, Caitlin, Danny, Pete, Lisa und Marguerite saßen schweigend im Magieladen und warteten. Sie hatten vor drei Tagen einen Anruf von Michaels Adjutant Rok bekommen, der ihnen das Mitgefühl seines Vorgesetzten und seine Hilfe versicherte, sie informierte, daß der untote Präfekt der Prätorianergarde ihnen an diesem Tag einen Besuch abstatten wollte und die Anwesenheit von allen unverzichtbar war.
Buffy schniefte leise in ihr Taschentuch und fragte mit schwacher Stimme, „und Du hast gar keine Ahnung, warum Michael kommt, Cat?"
„Es tut mir leid, Buffy, aber er hat sich nicht bei mir gemeldet. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber Rok hat mir nur gesagt, daß er auf dem Weg ins Hauptquartier ist. Von dort kann man nirgendwohin anrufen." Sie sah besorgt zu ihrem Lehrling, die von ihrer Geliebten Tara und guten Freundin Helen getröstet wurde. „Willow, vielleicht solltest Du nach Hause gehen?"
„Nein, ich bin Dein Lehrling, Cat, und ich werde mich entsprechend verhalten. Außerdem möchte ich wissen, ob er vielleicht etwas über Xander weiß."
„Verehrteste, Xander hat bei Colin und mir für eine lange Zeit gewohnt. Ich würde wissen, wenn er Michael irgend etwas für Euch gegeben hätte."
„Ja, aber vielleicht ist es von später."
„Ich mache am besten noch eine Kanne Kaffee."
„Nicht notwendig!", sagte ihr Schwager, der gerade mit einer Prätorianergarde und seinem Lehrling das Geschäft betrat.
„Du kannst mich vielleicht erschrecken, Onkel!", keuchte Danny.
„Onkel liebt es, uns zu erschrecken", erklärte ihm Marguerite, die ihren kleinen Hund streichelte.
„Guten Abend! Mister Giles, Sir, es ist immer eine Freude, Sie zu sehen." Er klopfte dem Wächter freundschaftlich auf die Schulter.
„Die Freude ist ganz meinerseits, Präfekt", lächelte Giles. In vielen Nächten voll Bücherwälzen, Blut, Pizza und Kaffee hatten sie neben großem Respekt füreinander eine zaghafte Freundschaft entwickelt, fühlten sich aber mit kühler Höflichkeit am wohlsten. Er schätzte den steinalten Vampir für seine erfrischende Aufrichtigkeit und dafür, daß er Vampir war. Er hatte nicht die Last einer Seele und wollte auch nicht menschlich sein, er war, was er war und darauf war er stolz.
Michael umarmte seine Verwandten - durch Willow und Giles war er oft in Sunnydale gewesen, was sein Verhältnis zu ihnen vertiefte - und gab dem Rest der Gruppe die Hand. Sogar Buffy, die ihm immer noch übel nahm, daß er ihr einmal die Arme gebrochen hatte.
„Gut, Michael, jetzt haben wir dem Anstand genüge getan, würdest Du uns jetzt bitte verraten, warum Du hergekommen bist? Ich kann mir nur sehr schwerlich vorstellen, daß Du die Hot Dogs hier so liebst", hakte Caitlin nach.
„Um ehrlich zu sein, die Hot Dogs hier sind grauenhaft. Alessandro, setz Dich, Dimitrij, hier droht mir keine akute Gefahr, lassen Sie uns alleine."
„Aye, aye, Mylord", flüsterte sein Lehrling mit gesenktem Kopf.
„Aye, aye, Sir!"
Nachdem seine Bodyguards gegangen waren - er fand es albern, daß er welche mitnehmen mußte, aber Vorschriften waren Vorschriften - und alle sich beruhigt hatten, gab Michael Giles die Kassette. „Das sind Briefe von Alexander Lavelle Harris. Er führte seit seiner Ankunft Tagebuch und gab mir die Briefe, damit die Union sie für Sie aufhebt. Er mißtraute dem Rückführungs-Zauber, deshalb wollte er, daß sie den Vorkommnissen erfahren, falls er es nicht überleben würde."
„Danke!", schluchzte Willow. „Armer Xander! Es muß schrecklich für ihn gewesen sein!"
„Weshalb hat er uns nicht die Briefe gegeben?", fragte Caitlin stirnrunzelnd.
„Du kanntest seine Geschichte, deshalb mußte jemand anderes die Briefe nehmen. Doppelte Sicherheit."
„Hast Du ihm dazu geraten oder hat er das selbst überlegt?"
„Er ist cleverer als es den Anschein hat", lächelte der Prätorianer. „Wollen Sie die Briefe nicht lesen?"
„Ich glaube, Michael sollte vorlesen", meinte Buffy. „Er braucht nicht Luft zu holen."
„Hallo Xander", antwortete Giles.
„Wo sind die anderen?", fragte ich verwirrt
„Sie müßten jeden Moment hier sein."
„Okay."
„Hi!", riefen Buffy und Spike, die engumschlungen den Magieladen betraten.
„Worum geht es eigentlich?"
„Die Union hat Hinweise auf einen neuen, gefährlichen Dämon, der sich hier in Sunnydale aufhalten soll. Cat bat um das Treffen. Das ist alles, was ich weiß."
„Ich war bis vor ein paar Minuten bei ihr, sie suchen nur noch einen Parkplatz. Sie haben den Dämon gestern auf dem Friedhof gesehen, beziehungsweise, Cat und Willow wurden von ihm angegriffen. Cat hat ihm mal vor 300 Jahren oder so etwas vermasselt. Er soll irgendwie die Zeit verbiegen können", erklärte Spike.
„Ein Dämon, der die Zeit verbiegen kann?", fragte Giles verwundert.
„Ich weiß es auch nicht genau. Es ist nicht so, als würde sich irgendwer von den Zauberern die Mühe machen, mir was zu erklären!"
„Oh, mein armer, armer Liebling", zog Buffy den Vampir kichernd auf.
„Sei froh, daß ich den Chip habe..."
„Was würdest Du sonst machen? Mich essen?"
„Einen wunderschönen guten Abend, Mister Giles, Xander!", gähnte Caitlin. „Willow, wir müssen gleich von hier aus zum Kampfunterricht!"
„Guten Abend, Doktor McKee, hallo Willow, Tara."
„Können wir das nicht ausfallen lassen?"
„19 bis 20 Uhr hast Du Unterricht, Lehrling, Ende der Diskussion!" Caitlin war nicht gerne so hart zu ihrer Schülerin, aber gerade, nachdem sie wieder angegriffen wurden, würde sie alles dafür tun, daß Willow lernte, sich zu verteidigen - ob sie es wollte oder nicht. Ausnahmsweise war ich dabei mal einer Meinung mit ihr. Obwohl ich sie immer geärgert habe, mochte ich sie ganz gerne.
„Aye, Meisterin." Meine beste Freundin senkte ihren Kopf für einige Sekunden als ein Zeichen ihrer Gehorsamkeit.
„Jetzt fehlt nur noch Anya, oder?"
„Bin hier! Also, was ist passiert? Dämon versucht den Höllenschlund zu öffnen, Meistervampir versucht die Jägerin umzubringen?"
„Keines von beiden", antwortete Caitlin. „Jedenfalls ist unser neuer „Freund" nicht dafür hier. Wenn er das machen kann, wird er es natürlich auch tun. Es geht um einen Dämon der Rasse Torethk. Vor 302 Jahren hat er versucht, mit Hilfe des Höllenschlunds in die Zukunft zu reisen. Dafür muß er ihn nicht öffnen, er braucht nur in die Nähe zu kommen - etwa 100 Yard - und das Ritual durchführen, die Energie des Höllenschlunds ist auf die Entfernung schon stark genug, um seine eigenen magischen Kräfte spürbar zu verstärken. Ich habe ihn damals stoppen können"
„Wenn Du ihn damals getötet hast, dann ist er doch jetzt kein Problem mehr für uns!"
„Nein, Anya, Du verstehst nicht. Ich habe ihn davon stoppen können, in die Zukunft zu reisen, aber nicht vernichten. Er war zu stark und ich zu jung. Er ist zurück, um Rache an mir zu nehmen und dann in die Vergangenheit zu reisen, wo er seine Niederlage revidieren kann!"
„Was würde passieren, wenn er diesmal die Reise in die Zukunft schafft?"
„Das wissen wir nicht, aber es wird wohl kaum angenehm sein. Wir vermuten, daß er in einer anderen Zeit, in der ihn niemand kennt, sein Unwesen weitertreiben will."
„Und das ist schlecht?"
„Nun, denke einmal daran, daß er die Zukunft auslöscht, Xander."
„Ich mag das überhaupt nicht! Soll ich ihn töten?"
„Bei allem Respekt, Buffy, aber das wirst Du kaum schaffen. Er ist schon über 5000 Jahre hier und hat an die 15 Jägerinnen umgebracht."
„Okay, was sollen wir machen?"
„Wir brauchen Eure Rückendeckung, wenn wir gegen ihn kämpfen."
„Kein Problem!"
„Gut."
„Uh... ich werde für ein paar Wochen nach New York", kündigte Anya an. „Ist dringend."
„Soll ich mitfahren?"
„Nein, Xander, das ist keine gute Idee. Ich werde Freunde besuchen. Ich muß noch den Bus um halb acht erwischen, ich muß ganz schnell meinen Koffer Zuhause abholen."
„Hä?", fragte ich entsetzt. „Wieso sagst Du mir das so plötzlich? Wie lange bleibst Du?"
„Ich habe es erst eben erfahren und ich weiß nicht, wie lange ich bleibe. Glaub mir, Xander, es ist extrem wichtig. Ich muß dorthin. Aber ich melde mich bei Dir, sobald ich weiß, wo Du mich erreichen kannst. Ich bin auch bald wieder zurück, ja?"
„Kann ich Dich noch zur Busstation bringen?"
„Okay."
„Giles?"
„Geh nur mit", sagte Buffys Wächter Giles.
Die Gang verabschiedete sich kurz von der Ex-Dämonin,
dann verschwanden Anya und ich. Buffy sah uns stirnrunzelnd nach. „Das
war aber komisch!", hörte ich sie noch sagen.
Ich wartete die nächsten Tage vergeblich auf eine Nachricht meiner Freundin. Ich vermutete, daß sie viel zu beschäftigt war, um mich anzurufen, aber ich war auch etwas besorgt, daß sie mich vielleicht vergessen hatte. Abgelenkt wurde ich von dem Kampf gegen den Dämon, der eine gute Woche später stattfinden sollte. Caitlin hatte herausgefunden, wann der Dämon das Ritual - auf dem Hof der High School - durchführen wollte.
Cat, Willow, Tara, Buffy, Danny, Lisa, Pete und ich beobachteten von einer dunklen Ecke aus das Treiben. „Wir müssen uns beeilen, sonst hat der das Ritual beendet, bevor wir ihn überhaupt angegriffen haben", maulte Buffy.
„Wir werden ja schon angreifen. Ihr habt die Taktik verstanden?" Sieben Köpfe nickten. „Gut, dann schleichen wir uns jetzt an! Bleibt zusammen und haltet Euch von allem fern, was irgendwie verdächtig aussieht!"
Wir huschten leise an den Dämon und seine Leibwächter - fünf Dämonen und zwölf Vampire - heran, griffen dann an. Geplant war, daß Caitlin, Willow und Tara das Ritual abbrachen, währen wir anderen fünf kämpften. Wie immer, kam alles ganz anders...
Während wir gegen die Wachen kämpften, konnte der Torethk-Dämon das Ritual soweit bringen, daß sich ein kleiner Wirbel bildete. In ihm würde er in die Vergangenheit reisen. „Wir müssen uns beeilen!", rief Willow. „Der Wirbel ist noch zu klein, aber in einer Minute wird er durchkönnen!"
Buffy Summers hatte einen Dämonen am Hals, wehrte sich mit Tritten und Schlägen, so gut sie nur konnte. „Ich beeile mich ja schon!"
Zwei andere Dämonen hatten sich Caitlin als Ziel ausgesucht. Sie war eine hervorragende Kämpferin, aber diese zwei machten ihr ganz schöne Probleme. Ihr wäre es besser gegangen, wenn nicht Tara zur gleichen Zeit von drei Vampiren angegriffen worden wäre.
Die Hexe schrie auf, als ein Vampir ihr mit einem Knüppel die Beine wegschlug. Sofort kam Willow auf sie zugerannt und kniete sich neben sie. Danny war mit einem Sprung neben den zwei Mädchen, verteidigte sie. „Wie geht es Tara?"
„Sie hat Schmerzen, aber es ist nichts gebrochen."
„Gut!"
Caitlin und Buffy sahen sich an, beide den gleichen Gedanken im Kopf: Wir würden es nicht schaffen. Nicht, weil ihre Gegner außergewöhnlich gut waren, sondern, weil wir kopflos kämpften. Die ganze Taktik war hinüber, niemand hielt mehr seine Position ein. Normalerweise hätten wir uns zurückgezogen, die Verletzten behandelt und wieder angegriffen, aber diesmal ging das nicht.
Voller Wut pfählte Buffy einen Vampir. Sie drehte sich auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer um, als sie sah, wie groß der Wirbel schon war. „CAT!"
„Wir haben höchstens noch 15 Sekunden! Wir müssen alle ihn angreifen! Willow, Danny, laßt Tara einen Moment alleine!"
Die Taktik ging für den Moment auf, der Dämon war davon abgehalten, in den Wirbel zu springen, erkannte Buffy zufrieden. Aber sie war schon zu lange die Jägerin, um sich darüber freuen zu können. „Es war ein Fehler, die anderen nicht mitzubringen", murmelte sie. Sie war dagegen gewesen, Spike und Willows Freunde, die Kriegervampire Helen, Mark und Lee mitzunehmen, hatte den Dämon und seine Kämpfer unterschätzt. Es könnte unser Verderben werden...
Ich warf einen besorgten Blick zu dem Wirbel. Wenn mich nicht alles täuschte, waren die 15 Sekunden längst vorbei. Und Cat hatte uns eindringlich davor gewarnt, daß der Wirbel binnen wenigen Augenblicken einen starken Ansaugdruck entwickeln würde, wenn er erst einmal groß genug war, den Dämon zu erfassen.
„Wo bleibt ein ordentliches Ablenkungsmanöver, wenn man es braucht?", fragte Pete, Caitlins ältestes Childe, sich selbst. Es war alles nur die Schuld der blöden Jägerin, stand regelrecht in seinem Gesicht geschrieben.
Seine kleine Schwester Lisa spürte es als eine der ersten: Die Saugkraft des Wirbels. Zuerst war es nur ein Luftzug gewesen, jetzt schon ein leichter Sturm. Sie konnte sich noch ohne Mühe dagegen wehren, aber nicht mehr lange, warnte sie uns.
Direkt am Wirbel kämpfte ich. Der Sturm blies mir die Haare ins Gesicht, ich mußte die Augen zusammenkneifen, damit sie mir nicht so weh taten. Plötzlich spürte ich einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf. Dann wurde alles schwarz um mich herum.
Ich nahm nicht mehr wahr, wie ich vermutlich fiel,
in Richtung des Wirbels, dann dem furchterregenden Maul verschluckt wurde.
Und ich sah auch nicht mehr, wie sich der Schlund in Sunnydale auflöste.
Ich spürte als erstes Schmerzen. Starke Schmerzen weckten mich aus der Bewußtlosigkeit. „Es gibt doch keinen besseren Weg, aufzuwachen", murmelte ich sarkastisch. Irgendwie erschien mir alles äußerst seltsam. Ich spürte nicht sein weiches, warmes Bett, sondern harten, kalten und feuchten Erdboden unter mir. Ich öffnete vorsichtig die Augen. Es war dunkel.
„Ich erinnere mich nicht, nach Hause gegangen zu sein", dachte ich laut. Es erschien irgendwie beruhigend, den Klang der eigenen Stimme zu hören. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, setzte ich mich unter Schmerzen auf und sah mich um. „Wiese, Hügellandschaft, Nacht?! Und was hab ich für Klamotten an?" Ich trug eine dunkle Lederhose, ein blaues Samthemd, darüber einen schwarzen Umhang und schwere Stiefel.
Nachdem ich mich ein paar Minuten umgesehen hatte, entschied ich mich, etwas zu unternehmen. Ich würde ein Haus finden, fragen, wo ich war, ein Zimmer finden konnte und Morgen herausfinden, was geschehen war. Weil ich von meinem Platz nichts sehen konnte, entschied ich mich, auf die Spitze des Hügels zu gehen, in dessen Senkung ich lag.
Mit meinem schmerzenden Körper war der Weg anstrengender
gewesen, als ich erwartet hatte. Dafür hatte ich von der Spitze einen
atemberaubenden Blick auf die Hügellandschaft. Unter anderen Umständen
hatte ich das Panorama zu würdigen gewußt. Jetzt interessierten
mich nur die Lichter, die ich rechts sah. Kurzentschlossen ging ich in
deren Richtung.
Ich wußte nicht, wie lange ich wirklich gelaufen war, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Dann hatte ich endlich den letzten Hügel erklommen. Das Gebäude, dessen Lichter ich gesehen hatte, war ein stattliches Herrenhaus, daneben standen fünf kleine Häuser.
Ich überlegte, was ich machen sollte. Normalerweise würde ich mich umsehen, bevor ich mich zu erkennen gab, vielleicht die Nacht auch abwarten. Aber die Gebäude, die Landschaft und sogar meine Kleidung gaben mir ein seltsames Gefühl von Vertrautheit. Wie ein Traum - der Realität wurde - oder eine Erzählung. Wenn ich mich doch nur hätte erinnern können! Aber ich wußte einfach, daß mir keine Gefahr drohte.
Mir wurde erst bewußt, daß ich zu den Häusern ging, als die Wiese zu einem Lehmweg wurde. Wenige Meter später betrat ich eine richtige Straße. Mich wunderte, daß ich niemand sah, aber die rauchenden Kamine und Lichter bewiesen, daß die Häuser bewohnt wurden. Mutig ging ich auf den Haupteingang zu und klopfte.
Eine ältere Frau öffnete und musterte mich überrascht. „Guten Abend, Sir, wie darf ich Euch behilflich sein?"
Erleichterung! Sie sprach englisch, wenn auch ein sehr altmodisches und mit irischem Akzent. „Guten Abend, ich bitte, Euren Hausherrn sprechen zu dürfen", versuchte ich, genauso vornehm zu klingen.
„Werdet Ihr erwartet?"
„Nein, das glaube ich wohl kaum. Mein Name ist Alexander Lavelle Harris. Richtet ihm aus, daß es von Wichtigkeit ist, daß er mich noch heute empfängt." Es konnte nicht schaden, vorsichtig zu sein, wer sich solch ein Schloß leisten konnte, mußte bedeutend sein.
„Harris", wiederholte die Irin leise. „Tretet bitte ein, Sir."
„Danke." Ich ließ mich von der Bediensteten
ins Innere des Hauses führen. Die Einrichtung war so alt wie die Kleidung.
Hätte ich doch nur besser in Geschichte aufgepaßt... Sie brachte
mich in ein Zimmer zum Warten, ließ mir Wein bringen.
Während ich warten mußte, dachte ich über meine Lage nach. Ich vermutete, daß ich in Irland oder Schottland war. Nicht schlecht, je nach der Zeit könnte ich Caitlin oder Angelus suchen. Ich hatte zwar keine Lust auf Vampire, aber immerhin hätte ich dann einen Anhaltspunkt. Und Caitlin konnte mir als Hexe vielleicht sogar erklären, wie ich hierher gekommen war. Falls sie mich nicht vorher aß... „Wenn ich zurückkomme, bin ich ein Held! In der Vergangenheit war noch nicht mal Buffy!", freute ich mich.
„Entschuldigung?"
Ich sah verlegen auf. In der Tür stand ein Mann, der Michael aus dem Gesicht geschnitten schien. „Guten Abend."
Der blonde Mann schüttelte zögernd meine Hand. „Colin McKee, Ihr wolltet mich sprechen."
„Colin McKee?", stotterte ich.
„Ja, das ist mein Name."
„Uh... welches Datum haben wir? Ich weiß, die Frage ist blöd, aber es ist wichtig."
„Wir schreiben seit wenigen Minuten den 17. März im Jahre 1593 unseres Herrn. Geht es Euch gut, Mister Harris?"
„Vielleicht habe ich doch noch Glück im Unglück", murmelte ich. „Sie sind doch der irische Herzog, der Ehemann und Meister von Caitlin! Und Sie sind ein Vampir!"
„Vampir? Entschuldigt, aber Vampire sind Sagengestalten, es gibt sie nicht wirklich und..."
„Nein, Herzog, da bin ich mir ganz sicher! Ich wohne in Sunnydale, wir haben unseren eigenen Höllenschlund und eine meiner besten Freunde ist die Jägerin! Ich erkenne einen Vampir sofort. Sie haben kalte Hände, sind blaß und wenn ich nach Ihrem Herzschlag fühlen würde, würde ich NICHTS finden. Sie haben die Privilegien des Adels behalten, obwohl Sie keinen Titel mehr tragen dürfen und einen bürgerlichen Namen annehmen mußten."
Colin beäugte mich für quälend lange Sekunden. Dann ließ er sich in den nächsten Sessel fallen, wechselte dabei ins Vampirgesicht. „Ihr habt gewonnen! Aber beantwortet mir jetzt auch ein paar Fragen: Wer seid Ihr und woher wißt Ihr, daß ich ein Vampir bin?"
„Das mag sich vielleicht... Unsinn, das WIRD sich völlig unglaublich für Sie...Euch anhören, aber es ist die Wahrheit und Ihr könnt es von mir aus nachprüfen, Herzog: Ich war bis vor ein paar Stunden im Jahr 2001 und habe mit Eurer Gemahlin, ihrem Lehrling und meiner besten Freundin Willow, der Jägerin Buffy und ein paar anderen Freunden gegen einen Torethk-Dämon gekämpft. Er hat einen Zeitwirbel erzeugt - um in die Vergangenheit zu reisen und seine Niederlage gegen Eure Frau zu ändern - in den ich hineingezogen wurde."
„Das war ein vortrefflicher Scherz! Und jetzt erzählt mir die Wahrheit", lachte Colin.
„Das war doch die Wahrheit! Ich verlange wirklich nicht viel, Sir! Ich möchte nur ein Bett, in dem ich schlafen kann, drei warme Mahlzeiten am Tag und Eure Hilfe, um zurückzukommen in meine Zeit. Ich werde mich auch nützlich machen. Ich bin ein ziemlich guter Kämpfer, ich kann aber auch was anderes machen. Den Stall saubermachen, oder so. Ich weiß, daß Ihr ein mächtiger Magier seid und Eure Gemahlin auch viele Kräfte besitzt. Ich bitte Euch! Und ich bitte Vampire normalerweise nicht..."
„Wir werden Eure Bitte in Erwägung ziehen."
„Was heißt das? Schickt Ihr mich jetzt wieder weg? Ich bin nämlich hier auf einer Wiese gelandet. Alles, was ich hab, sind diese Klamotten."
„Klamotten?"
„Diese Kleidung. Gewänder, Roben, wie Ihr es nennen wollt."
„Kleidung ist in Ordnung", schmunzelte der Vampir. „Übrigens: Seid Ihr Engländer?"
„Nein, ich bin Amerikaner. Amerika, Ihr versteht? Columbus? Da leben viele Menschen in meiner Zeit. Der Höllenschlund ist dort auch."
„Das muß ich Euch wohl einfach glauben... Habt Ihr Hunger? Der Koch kann Euch geschwind ein Mahl zubereiten."
„Danke!"
„Ein Diener wird Euch in den Speisesaal bringen."
„Okay."
Ein Butler brachte mich in den Eßraum, wo man mir ein äh... gewöhnungsbedürftiges Essen - um es nett auszudrücken - vorsetzte. Aber der Hunger und die Erschöpfung trieben es herunter. Danach brachte man mich in einen anderen Salon und sagte mir, daß ich auf Colin warten sollte.
Nach ein paar Minuten - es war inzwischen drei Uhr in der Nacht - kam Colin mit Caitlin herein. Sie sah jünger aus, als ich sie kannte, aber es beruhigte mich, ein vertrautes Gesicht in der Nähe zu haben. „Hallo! Danke für das Essen, übrigens, war gut."
„Caitlin, das ist Mister Alexander Lavelle Harris. Mister Harris, meine Gemahlin Ihre Hoheit Herzogin Caitlin McKee."
„Ich weiß. Hallo, Caitlin. Du... Ihr kennt mich nicht, aber ich kenne Euch."
„Mein Gemahl hat mir erzählt, daß Ihr behauptet, aus der Zukunft zu stammen. Ich bin neugierig, zu erfahren, wie mein zukünftiges Selbst sein wird. Aber zuerst..." Sie lächelte Colin an.
„Wir haben beschlossen, daß wir Euch vorerst als unseren Gast empfangen werdet. In der morgigen Nacht werden wir eine Weissagung durchführen, mit der wir Eure Aussage überprüfen werden."
„Wir haben Euch einen Pagen zugeteilt, der Euch zu Eurem Gemach führen und für Eure Wünsche und Bedürfnisse zur Verfügung stehen wird. Kleidung ist in Eurem Schrank, für Eure Verletzungen senden wir nach einem Heiler."
„So schwer sind sie nicht, wenn Ihr mir nur ein schmerzlinderndes Mittel geben würdet, Ihr seid doch Heilerin." Caitlin lächelte. Ich hatte den Test bestanden!
„Ich hatte nicht vor, nach einem Heiler zu rufen. Er könnte frühestens Übermorgen hier sein und bis dann seid Ihr an Euren Verletzungen gestorben oder Ihr braucht ihn nicht mehr. Schickt nach mir, ich werde dann in Euer Gemach kommen. Die beste Medizin ist jedoch Schlaf."
„Davon werde ich ne Menge nehmen!"
„Wenn das alles ist... Wir können Morgen über alles weitere sprechen."
„Okay. Ich such dann mal meinen Pagen." Ich stand schwerfällig auf und gähnte. An der Tür des Salons wartete ein vornehm gekleideter Junge auf mich. Ich sah auf den ersten Blick, daß er ein Vampir war. Zynisch, daß sie ihn als Pagen bezeichneten.
„Folgt mir", befahl er knapp.
„Wie heißt Ihr?"
„Ich bin Raven, Sir."
„Ihr könnt mich duzen, wenn Ihr wollt. Ich bin dieses Euch nicht gewöhnt."
„Gerne, Sir."
„Nein, ich meine duzen und auch Xander nennen."
„Mache ich, Xander."
„Wie soll ich Dich nennen, wenn das menschliche Personal dabei ist?"
„Es ist gewohnt, daß hier nicht alles „normal" verläuft. In wichtigen Positionen sind auch Vampire. Mindestens der Erste Kammerdiener, beziehungsweise Kammerzofe, oder der Erste Page ist eingeweiht. Wenn Du hier eine Weile bist, wird man Dich auch nicht mehr so förmlich behandeln."
„Dann geht es ja..."
Mein „Gästezimmer" war selbst für das 21. Jahrhundert luxuriös. Ich hatte ein kleines Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und einen Ankleideraum. Das einzige, was ich vermißte, waren eine heiße Dusche und Fernsehen. Weil ich aber unglaublich müde war, trauerte ich dem nur kurz nach. Ich lag schon im Bett und wollte gerade einschlafen, als Colin zu mir kam. „Meine Gemahlin kann bedauerlicherweise Euch nicht behandeln, sie hat dringend etwas zu erledigen, darum hat sie mich geschickt."
„Was soll ich machen, Sir?" Ich wußte ganz genau, daß es Colin nicht leid tat. Hätte mich auch gewundert, wenn er seine Frau zu einem wildfremden Mann geschickt hätte.
„Wo habt Ihr Schmerzen?"
„Na ja, eigentlich am ganzen Körper, aber ich glaube, ich habe mir eine Rippe geprellt, meine Schulter tut auch sehr weh..."
Colin untersuchte mich gründlich, dann gab er
mir ein paar Salben, bandagierte die Rippe und ließ mich schlafen.
Nach einem erholsamen, ruhigen Schlaf wurde ich wach. Ich goß mir einen Becher Wasser aus dem Krug ein, der auf meinem Nachtschrank stand und überlegte, was ich tun sollte. Die Fenster waren - wie in einem Vampirhaushalt zu erwarten - lichtundurchlässig verschlossen, eine Uhr hatte ich noch nicht entdeckt. Nach einem Gähnen stand ich auf und ging ins Ankleidezimmer. Dort erinnerte ich mich, daß ich nicht wußte, diese Sachen anzuziehen. „Raven, bist Du da?"
Der Vampir kam sofort angerannt. „Es tut mir leid, Xander, ich habe nicht bemerkt, daß Du aufgewacht bist", entschuldigte er sich.
„Weißt Du, wie spät es ist?"
„Ja, drei Uhr am Nachmittag."
„DREI Uhr?! So ein Mist! Der Herzog ist bestimmt sauer auf mich! Kannst Du mir bitte schnell helfen, diese Lappen anzukriegen?"
„Sicher. Herzogin Caitlin hat befohlen, Dich ausschlafen zu lassen. Ich habe den Koch Huhn und Eiersuppe für Dich zurückstellen lassen. Die nächste Mahlzeit wird erst bei Sonnenuntergang verzehrt. Wenn Du ein Bad zu nehmen wünschst, werde ich die Vorbereitungen treffen."
„Das ist gar keine so schlechte Idee... Ja, mach das bitte. Badet man vor oder nach dem Essen?"
„Für gewöhnlich wird während des Tages gebadet."
„Gut, dann mach ich das später. Such mir bitte einfach was zum Anziehen raus, was angemessen ist. Ich will mich ja nicht gleich blamieren."
„Ist Dir dies recht, Xander?"
Ich beäugte die Kombination skeptisch. Ich würde mir darin lächerlich vorkommen. „Ja, das ist gut."
„Colin wird Dir einen Kammerdiener zuweisen, sobald Deine Herkunft bestätigt wurde."
„Wie, Du weißt davon?"
„Es ist ein kleines Haus für Gerüchte..."
„Kein Problem! Womit soll ich einen Kammerdiener den ganzen Tag beschäftigen?"
„Er wird sich um Deine Kleidung und Deine niederen Wünsche kümmern", erklärte Raven geduldig. „Meine Aufgabe wird sein, Dich in die Stadt zu geleiten und Dir bei der Eingewöhnung behilflich zu sein. So war es zumindest bisher."
„Sorry, wenn ich Dich jetzt irgendwie ne niedere Arbeit machen lasse."
„Es bereitet mir keine Umstände."
„Können wir jetzt gehen?", fragte ich ungeduldig.
„Das Hühnchen war lecker! Ungewohnt, aber lecker!"
„Wenn es Dir recht ist, werde ich nun das Bad vorbereiten lassen gehen."
„Ja, klar. Ich geh in die Bibliothek. Vielleicht find ich ja ein Benimm-Buch oder so, damit ich nicht mehr in jedes Fettnäpfchen trete. Das war den Gang runter und dann rechts, ja?"
„Richtig."
Gelangweilt schlenderte ich den Gang runter. Ich hatte keine Lust auf Bücher, aber noch weniger wollte ich mich wieder lächerlich machen. Wie hätte ich aber auch wissen sollen, daß ich die Hühnchenkeule nicht mit den Fingern essen sollte? Ich ging die Buchregale entlang, bis ich die richtige Abteilung gefunden hatte.
Mit drei dicken Wälzern ging ich zur nächsten Couch. Die Frau Anfang 20, die darauf saß, raubte mir den Atem. Sorry, Anya, sie ist die schönste Frau, die ich je getroffen habe. Ihre Haut war oliv, das Gesicht unter einem Meer dunkelbrauner Haare verborgen. Ihre braunen Augen folgten verstohlen meinen Bewegungen. „Hallo."
„Guten Tag."
„Darf ich mich zu Euch setzen?"
„Nehmt Platz."
„Lebt Ihr hier?"
„Ja. Euch treffe ich zum ersten Mal, seid Ihr neu?"
„Ich bin seit gestern hier zu Gast. Alexander Lavelle Harris."
„Ihre Hoheit erwartet Euch, Madam", störte uns ein Dienstmädchen.
„Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen,
Mister Harris."
Nach dem Bad bekam ich eine Führung durch die Gebäude und ließ ich mich von Raven über die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage informieren. Wie langweilig! Aber ich wollte vorbereitet sein, falls Colin mich doch rauswarf. Viel zu spät war es Zeit für das Abendessen, welches die Familie im Speisesaal verzehrte. An der Tür verabschiedete sich Raven von mir und ich mußte alleine herein. An dem langen Tisch konnte ich fünf Männer und Frauen erkennen, die sich fröhlich unterhielten. „Guten Abend."
„Mister Harris!", winkte mir Caitlin zu.
Ich ging zu Cat und verbeugte mich vor ihr, wie Raven es mir beigebracht hatte. „Euer Hoheit."
„Wie ich sehe, hat man an Euren Umgangsformen geschliffen. Nehmt dort bitte Platz."
„Danke."
„Wie war Euer Tag?"
„Sehr gut. Ich habe zu lange geschlafen, sonst hätte ich mehr machen können. Aber immerhin habe ich die nötigsten Dinge erledigen können."
Herein kam Colin mit der schönen Unbekannten aus der Bibliothek. Er stellte sich an den Kopf des Tisches. „Ich möchte Euch Mister Alexander Lavelle Harris vorstellen. Wir haben ja bereits heute Morgen über ihn gesprochen. Mister Harris, meine Childes Maura, Pjotr, Ciara, Wulf und Athena."
„Äh... guten Abend", wiederholte ich unsicher.
„Bedenkt bitte, daß Mister Harris kein Gälisch versteht. Sie dürfen servieren", befahl er den Dienern. Sie brachten Krüge mit Blut - was sie natürlich nicht wußten - und Wein, Essen, verschwanden dann sofort wieder.
Ich lächelte Athena schüchtern an. Mir wollte beim besten Willen nichts intelligentes einfallen.
„Seid Ihr auch in der Union, Mister Harris?", sprach sie mich an.
„Nein. Aber ich helfe der Jägerin. Ich bin ziemlich gut."
„Ich bin auch eine Kämpferin. Die Magie liegt mir nicht so recht. Habt Ihr schon einmal von der Prätorianergarde gehört?"
„Ja, ich kenn sogar den Präfekt. Ich kenn ihn nicht wirklich, aber flüchtig. Er besucht manchmal die Meisterin meiner besten Freundin."
„Nun dann... Was ist Euer Beruf?"
„Ich... ich habe mich noch nicht für einen entschieden. Ich mache Gelegenheitsjobs und helfe im Magieladen von Buffys Wächter."
„Das ist faszinierend! In meiner Zeit ist es leider einer Frau nicht möglich, offen einen Beruf auszuüben. Aber ich bin Prätorianerin."
„Das ist toll! Ich habe auch schon das ein oder andere Mal darüber nachgedacht, der Prätorianergarde beizutreten", log ich, um Athena zu beeindrucken. „Wie lange seid Ihr dabei?"
„Seit meiner Umwandlung vor 27 Jahren."
„Das ist ne lange Zeit! Ich bin erst 20 Jahre."
„Das ist nicht schlimm. Ich kenne das Gefühl, wenn man von den anderen wie ein kleines Kind behandelt wird. Ich bin das Nesthäkchen. Sogar Wulf ist 40 Jahre älter als ich..."
„Sind alle Childes von Eurem Sire hier? Ich meine, mich zu erinnern, daß er mehr hat."
„Drei meiner Geschwister sind zur Zeit nicht anwesend."
„Gut. Dann blamiere ich mich wenigstens nicht bei allen gleichzeitig!"
Athena lachte leise. „Nun, Mister Harris, erwartet Ihr das Ritual mit Sorge?"
Eine Fangfrage. Darauf würde ich nicht hereinfallen. „Nein. Ich habe nichts zu verbergen, also muß ich mir auch keine Sorgen machen. Natürlich bin ich aufgeregt - ich habe so etwas noch nie erlebt - aber ich freue mich auch darauf, weil sich beweisen wird, daß ich die Wahrheit sage."
„Ich für meinen Teil zweifle nicht. Habt Ihr Euch schon entschieden, was Ihr tun werdet?"
„Ich hoffe, daß Euer Sire mich nach Hause schicken kann. Nicht, daß es mir hier nicht gefällt oder ich Eure Gastfreundschaft nicht zu schätzen weiß, aber ich sehne mich nach meinen Freunden und meinem Zuhause. Außerdem möchte ich Euch nicht zur Last fallen. Und irgendwann wird jemand mißtrauisch werden..."
„Es wird seine Zeit dauern, Mister Harris, bis wir Euch zurücksenden können", dämpfte Colin meine Freude. „Wir müssen zuerst herausfinden, wie Ihr hierher gekommen seid, dann müssen wir einen Spruch finden, mit dem wir Euch sicher zurücksenden, einen Hüter finden, der dieses Ritual beherrscht und ihn treffen. Ich kenne Zeitreisezauber, aber es muß ein besonderer sein."
„Wieso denn, Euer Hoheit?"
„Üblicherweise bleibt man am gleichen Ort, aber in Eurem Falle geht das nicht, dann müßtet Ihr zuerst zurück nach Amerika und Ihr habt weder Geld noch Papiere. Ihr dürft nicht auf dem Meer oder in einem unbewohnten Gebiet landen, aber auch nicht in einer Stadt, zur etwa gleichen Zeit, zu der ihr hergebracht wurdet, aber auch nicht davor..."
„Wie lange meint Ihr denn, daß das dauert?"
„Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein. Wenn der Experte gerade die Neue Welt oder Asien bereist, dauert es länger, wenn er im Nachbardorf ist weniger lang, wenn die Postkutsche in einem Schneesturm im Gebirge festsitzt, wird es lange dauern, bis die Zentrale unsere Nachricht erreicht, es kommt auf die Jahreszeiten an und auf Fortuna."
„Mist! Warum finden wir nicht einfach den Dämon, durch den ich hergekommen bin und lassen ihn mich zurücksenden?"
„Die Erde ist ein großer Planet, Mister Harris..."
„Na toll! Dann steck ich jetzt auch noch in der Vergangenheit fest! Zuerst verlierst Du den Anschluß an Deine Freunde, Xander, Du kannst nicht aufs College gehen und hast keinen Beruf, dann verlangen Deine Eltern noch Geld für Dein Kellerzimmer, Deine Freundin verläßt Dich und zu guter letzt landest Du auch noch in der Vergangenheit und kannst nicht zurück!", erinnerte ich mich selbst an meine Pechsträhne.
Die Vampire am Tisch hatten die gemurmelten Worte verstanden. Colin lächelte aufmunternd, „vielleicht ist es gar nicht so ein Unglück, Mister Harris. Hier können Sie noch einmal von vorne anfangen, sich ein neues Leben aufbauen. Sie haben - in gewisser Weise - eine zweite Chance geschenkt bekommen."
Ich sah den irischen Herzog verlegen an. „Ihr habt eigentlich recht, Euer Hoheit! Wenn ich doch nur besser im Geschichtsunterricht aufgepaßt hätte..." Ich nahm noch einen Bissen von dem Fleisch und dachte nach. Vielleicht würde es sogar Spaß machen, ein paar Monate in dieser Zeit zu verbringen. „Ich muß mich dann mal langsam nach einer Arbeit umsehen. Ich brauch nur genug Geld, damit ich mir ein Zimmer, Essen und Kleidung leisten kann. Ihr kennt nicht zufällig jemanden, der einen 20jährigen aus dem 21. Jahrhundert gebrauchen kann?"
„Ihr könntet als Schreiber arbeiten oder als Diener. Wenn es Euch nichts ausmacht, mit Vampiren unter einem Dach zu leben, könnt Ihr so lange hierbleiben, wie Ihr wünscht. Wir sind immer auf der Suche nach fleißigen Arbeitskräften."
„Was könnte ich zum Beispiel machen? Küchenhilfe würde ich können, auf dem Bau hab ich Erfahrung, Hausmeister, Bote, Tierpfleger..."
„Für die einfache Arbeit können wir Menschen einstellen, die nichts über Vampire wissen. Ich brauche Hilfe bei der Verwaltung der Ländereien, kennt Ihr Euch damit aus?"
„Sorry, aber bei Wirtschaftszeug bin ich nicht so gut."
„Es ist wirklich nicht schwer", meinte Cat. „Ihr müßt nur überprüfen, welche der hörigen Bauern ihre Abgaben bezahlt haben, welche nicht, bei der Ausgabe der Löhne helfen, später werdet Ihr direkt mit den Vasallen sprechen, die Besorgungen absegnen - welche die Bediensteten machen wollen - und mit den Bauern in Kontakt stehen. Es ist ein halber Tag, den Ihr damit beschäftigt sein werdet."
„Ich möchte, daß Ihr meine Gemahlin in die Stadt begleitet. Sie kann als Frau nicht alleine fahren und tagsüber kann sie keiner von uns begleiten."
„Aber ich habe gehört, daß Ihr Euch in der Sonne aufhalten könnt..."
„Für einige Minuten. Es ist zu anstrengend, um jeden Tag Stunden im Tageslicht zu verbringen. Ich werde Euch in Gälisch, Latein, Reiten, Jagen und Kampf unterrichten lassen. Des weiteren benötigt Ihr Grundwissen über die schönen Künste. Ich werde Euch als meinen Cousin dritten Grades ausgeben und ein Adliger ohne solches Wissen ist unglaubwürdig."
„Euer Cousin dritten Grades?", wiederholte ich panisch. „Ich bin ein ganz katastrophaler Schauspieler und der Klassenclown, ich kann das nicht! Ich..."
„Ihr habt kaum eine andere Wahl. Ich muß Euch eine Identität geben."
„Kann ich nicht einfach ein schottischer Mathe-Student sein?" Colin warf mir einen tödlichen Blick zu. „Okay, dann eben ein Adliger. Aber ich hab Euch gewarnt..."
„Es ist nicht so schwer, wie es erscheinen mag", beruhigte mich Athena. „Ich spiele auch Colins Cousine und bin eine Bürgerliche."
„Was für einen Titel hab ich eigentlich?"
„Ihr seid ein Graf."
„Kann ich nicht ein Fürst sein?" Noch ein abschätziger Blick. „Graf, Euer Hoheit. Wie heiße ich?"
„Wir müssen uns die Einzelheiten noch überlegen", antwortete Caitlin.
„Okay. Äh... wann wird das Ritual gemacht?"
„Es heißt: „Wann werdet Ihr das Ritual durchführen?". Ihr müßt an Eurer Ausdrucksweise arbeiten, Mister Harris, sonst werdet Ihr Euch noch verraten. Nach dem Mahl beginnen wir mit den Vorbereitungen."
„Und wann soll ich kommen?"
„Eure Anwesenheit wird nicht benötigt."
„Oh! Darf ich zusehen?"
„Ihr müßt verstehen, daß Ihr das Resultat verändern könntet, wenn Ihr ein mächtiger Magier wärt. Deshalb dürft Ihr nicht anwesend sein. Das Ergebnis werden wir Euch Morgen mitteilen."
Plötzlich hatte ich wieder ein schlechtes Gefühl. Wenn ich sie belogen hätte, dann würden sie mich bestimmt in der Nacht umbringen. Ich war froh, daß ich schonungslos die Wahrheit gesagt hatte. „Athena, ich möchte mir gleich den Garten ansehen. Kommen Sie mit?"
„Gerne, Mister Harris."
„Das freut mich."
Ich verbrachte den Abend mit Athena im gut gepflegten Garten und erzählte ihr von Sunnydale. Ich genoß die Stunden mit der Vampirin, die mir begeistert zuhörte. Es war eine angenehme Abwechslung, daß mir eine Frau mal richtig zuhörte, dazu noch eine solch gutaussehende und intelligente.
Okay, das waren die ersten 24 Stunden. Ich habe mir vorgenommen, Euch täglich zu schreiben, vielleicht werde ich auch noch Einzelheiten von heute erzählen, aber jetzt bin ich erst mal erschöpft von dem aufregenden Tag und Ravens Benimm-Unterricht. Es ist zwar erst nach zehn, aber in die Vergangenheit zu reisen ist ganz schön anstrengend!
Ich drück Euch!
Xander
„Findest Du nicht auch, daß Xander die Vergangenheit ganz schön eingebildet gemacht hat?", grinste Buffy.
Willow kicherte, erleichtert, daß es ihrem Sandkastenfreund gut ging. „Bitte, Michael!"
„Tut mir leid, aber ich muß zurückfliegen, hab Hunger und meine Prätorianer werden gleich den Laden stürmen, weil ich schon viel zu lange hier bin..."
„Können Sie sich nicht eine Blutpackung nehmen und die Prätorianer nach Hause schicken?"
„Sei kein Spielverderber, Michael, die Nacht wird noch lang werden und Du kannst doch Morgen zurückfliegen... Du kannst auch bei uns übernachten, wenn Du willst."
„Das ist eine gute Idee von Caitlin, ich könnte Ihre Hilfe noch gebrauchen bei ein paar Texten."
„Okay! Lest schon mal weiter, ich muß meiner Garde Bescheid sagen und den Flug streichen."
Donnerstag, 18. März 1593
Ich sollte noch glücklich darüber werden, so früh ins Bett gegangen zu sein. Denn als mich mein verständnisvoller, liebevoller und großzügiger Page mit einem kalten Waschlappen weckte, zeigte die Uhr - die gegenüber von meinem Bett aufgehangen worden war - erst halb vier. "Warum weckst Du mich so früh?", jammerte ich verschlafen.
„Herzogin Caitlin wünscht Dich um vier Uhr im Speisesaal zum Frühstück zu sehen."
Ich stand gähnend auf und ging ins Ankleidezimmer. „Wie, Ihr frühstückt schon so früh?", fragte ich entsetzt. Da konnte ich mich ja auf wunderbare Monate freuen!
„Nein, bei Sonnenaufgang, aber die Herzogin fährt heute in die Stadt und möchte Dich mitnehmen, damit Du Dir Kleidung schneidern lassen und persönliche Gegenstände kaufen kannst."
„Kommst Du auch mit?"
„Ich kann nicht, Xander, ich bin ein Vampir."
„Uups, daran hab ich gar nicht mehr gedacht!" Schon geschickter suchte ich mir bequeme Kleidung aus und zog mich - mit Hilfe und Spott von Raven - an. Danach noch schnell die Haare gekämmt, das Gesicht gewaschen, Zähne geputzt und frisiert, dann war ich fertig. Dachte ich.
„Xander, Du mußt Deine Taschenuhr mitnehmen. Hier sind die Handschuhe für die Stadt. Es ist wichtig, daß Du sie anziehst", nörgelte Raven. Hab ich nicht gesagt, daß er so liebevoll ist?
„Darf ich jetzt gehen?"
„Ja, aber paß auf, daß Du Dein Gewand nicht dreckig machst."
Ich rollte im Herausgehen die Augen. Jetzt war es
schon soweit, daß ich mich von einem Vampir bemuttern lassen mußte!
„Natürlich, Raven."
„Guten Morgen, Euer Hoheit!" Ich setzte mich neben Caitlin an den gedeckten Tisch.
„Morgen, Mister Harris. Bedient Euch."
„Danke."
„Ich bedauere, Euch aus dem Bett geholt zu haben, aber wir fahren vier Stunden mit der Kutsche in die Stadt und wir kommen zu spät an, wenn wir erst nach Sonnenaufgang losfahren."
„Was machen wir den ganzen Tag?"
„Wir werden als erstes den Schneider besuchen und vor unserer Rückfahrt die Kleidung abholen. Danach gehen wir einkaufen und Freunde meines Gemahls besuchen."
„Ich werde eine Katastrophe sein! Ich kann noch nicht einen Graf spielen. Apropos Graf, wie soll ich mich nennen?"
„Ihr seid der Sohn eines irischen Grafengeschlechts, dem der Adelstitel aberkannt wurde und jetzt bürgerlich ist. Bisher habt Ihr im europäischen Ausland im Exil gelebt. Wir waren uns einig, daß es leichter für Euch sein würde, Euren richtigen Namen zu behalten."
„Ja, danke."
Die ersten zwei Stunden in der Kutsche verbrachte Cat mit Büroarbeiten und Essen. Ich hatte neugierig die Gardinen zurückgezogen und beobachtete die Landschaft. Alle paar Minuten - wenn ich Menschen in der lustigen altmodischen Kleidung oder wilde Tiere sah - rüttelte ich meine Begleiterin, damit sie heraussah. „Guckt schnell! Da ist ein Häschen!"
Caitlin hob den Kopf ein kleines Stück, sah aber weiter auf die Speiseliste des Kochs für nächste Woche, „beeindruckend."
„Haha! Das Haus ist ja lustig!"
„Das ist ein ganz normales Haus, Graf Harris." Wir hatten abgemacht, daß sie mich immer mit „meinem" Titel ansprachen, falls uns ein mal Bedienstete belauschten.
„Aber es ist schief!"
„Das sind alle Häuser der einfachen Bauern. Diese Bürgerlichen können sich keinen kostspieligen Architekten leisten."
„Die Leute hier scheinen alle sehr arm zu sein, Euer Hoheit. Wie könnt Ihr von ihnen noch Geld für diese Hütten verlangen?"
„Harris, haltet Euch einfach aus Dingen raus, die Euch nichts angehen!"
„Hey, hey, wir müssen nicht gleich ausflippen, okay? Ich finde es unmenschlich."
„Erstens: Falls Ihr Euch daran erinnert, mein Gemahl ist kein Mensch! Zweitens: Ich weiß nicht, wie es bei Euch üblich ist, aber hier müssen die hörigen Bauern für das Land bezahlen, daß sie bewirtschaften und auf dem sie leben. Drittens: Wenn sie unter der Herrschaft der englischen Besatzer leben würden, ginge es ihnen viel schlechter. Wir verlangen gerade genug Geld, damit wir unsere Abgaben an diese arroganten Heuchler von Königshaus bezahlen können und dafür beschützen wir die Bewohner unseres Landes!", zischte Caitlin wütend.
„Ihr müßt auch für Euer Land bezahlen?", fragte ich überrascht.
„Natürlich! Sehen Sie, Mister Harris, der irische Adel wurde von den Engländern entmachtet. Colin und sein Bruder Michael haben nur ihr Land und Ansehen behalten, da sie einige einflußreiche Personen erpreßt haben und nicht zu geringe Abgaben zahlen. Wir wären zufrieden mit einem einfachen Leben, aber nur wenn wir wie reiche Adlige leben und mächtige Freunde gewinnen, haben wir die Möglichkeit, unsere Bauern zu beschützen."
„Wollt Ihr sagen, der ganze Gutshof, das Personal und das verschwenderische Leben sind nur Fassade?"
„Ja. Colin hat nichts gegen ein gutes Leben, aber er haßt Verschwendung, weil sie für ihn eine menschliche Schwäche ist."
„Warum kümmern ihn die Bauern?"
„Die Union ist gegen Stände, deshalb sollen sich die Mitglieder, die hohen Standes sind, um die Menschen der niederen sorgen. In ein paar Jahren können wir es uns erlauben, weniger präsent zu sein, aber jetzt müssen wir wieder Einfluß gewinnen."
„Und wer leitet dann Eure Ländereien?"
„Ein Statthalter. Meist ist es ein befreundeter Vampir,
manchmal sogar ein Childe. Ihr hört jetzt mal auf nach draußen
zu starren und ich erkläre Euch die Arbeit, die ich gerade erledige.
Sie wird zu Euren Pflichten gehören." Caitlin wartete, bis ich mich
neben sie gesetzt hatte, dann zeigte sie mir den Stapel Papiere. „Hier
das ist die Speiseliste, muß Euch nicht interessieren. Einkäufe,
Beschwerden, eine Liste der gestohlenen Dinge... hier! Das ist eine Liste
mit hörigen Bauern. Der Name, wieviel Personen auf dem Hof leben,
die Größe des Lands und die Abgabe, in dem Fall fünf Ballen
Heu..."
In der Stadt war an diesem Donnerstag Hochbetrieb. Der Schneider hatte nach Colins groben Vorgaben schon ein paar Anzüge für mich gemacht, die er nur noch umändern mußte. Ich machte eine peinliche Szene in dem Geschäft, weil ich keine Strumpfhosen kaufen wollte und Caitlin mußte ihre ganze Überzeugungskraft aufbringen, um mir zu versichern, daß man dies nun mal trug. Danach gingen wir zu einem Goldschmied, Schuster und Waffenschmied.
Ich verlor mittlerweile die Lust. „Können wir jetzt nicht mal was anderes machen als nur einkaufen und Sachen anprobieren?"
„Wir waren erst in vier Geschäften."
„Aber wir waren zwei Stunden beim Schneider und bei den anderen bestimmt auch eine Stunde. Es ist schon zwei, können wir jetzt nicht was Essen? Ich hab Hunger und ich hab da hinten ne kleine Schenke gesehen!"
Caitlin sah mich verärgert an. Ich mußte wie ein trotziges Kind auf sie gewirkt haben, wie peinlich! „Wir sind in zwei Stunden eingeladen!"
„Aber ich hab JETZT Hunger!", beschwerte ich mich. „Es ist schon zwei und normalerweise esse ich um diese Zeit immer was. Mittagessen, versteht Ihr? So wie Ihr das am Vormittag macht, die erste Hauptmahlzeit. Die wir - nebenbei bemerkt - nicht gegessen haben, weil Ihr unbedingt zum Goldschmied wolltet, damit Ihr Euere neue Halskette noch heute abholen könnt. Warum gehen wir nicht da rein und essen eine Kleinigkeit? Ich weiß von Raven, daß man an langen Tagen zwischendurch was ißt."
„Aber es ist noch nicht Sommer, Graf."
„Trotzdem. Wir bekommen da bestimmt etwas. Zumindest ein Stück Brot. Wir sind doch Adlige, schon vergessen? Die müssen uns was machen!"
„DIESES Land gehört Michael!"
„Ihr Punkt? Ihr seid Michaels Schwägerin und ich bin sein Cousin dritten Grades!"
„Gut, wir werden in diese Schenke gehen. Aber, Graf Harris, wenn wir bestohlen oder überfallen werden, dann werdet Ihr das meinem Gemahl erklären. Dies ist ein einfacher Krug und wir werden sofort auffallen."
„Na und? Kutscher, fahrt Ihre Hoheit und mich bitte
zu der Schenke die Straße runter."
Als die edle Kutsche vor dem billigen, heruntergekommenen Wirtshaus anhielt, ernteten wir überraschte Blicke von den Passanten. Wir waren in einem einfachen Viertel, um das der Adel normalerweise einen großen Bogen machte. Ich half Caitlin, ganz Gentleman, persönlich heraus und ging zu dem Kutscher. „Ich lasse jemanden kommen, der den Pferden Wasser und Heu gibt, Ihr könnt dann hereinkommen. Was soll ich für Euch bestellen? Wein und Brot?"
„Vielen Dank, Sir."
„Keine Ursache." Ich reichte Caitlin den Arm und sie hakte sich bei mir ein. „Eure erste Erfahrung unter normalsterblichen, Hoheit?"
„Es gibt keinen Grund, mich zu verspotten, GRAF!", grinste sie.
„Ganz wie Ihr meint..." Ich öffnete die schwere Tür zu dem Wirtshaus und sah mich darin um. Es war nicht viel Betrieb, nur ein paar Männer, die etwas tranken und Familien, die einen Snack aßen. Alle drehten sich zu uns zwei Neuankömmlingen um, flüsterten aufgeregt. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und ging zu dem Wirt. „Guten Tag. Könnt Ihr bitte jemanden zu meiner Kutsche schicken, der die Pferde ausschirrt, ihnen Heu und Wasser gibt?"
„Ja, natürlich, Sir." Der Wirt drehte sich zu seinem Sohn um, befahl ihm, „Junge, geh nach draußen und kümmere Dich um die Pferde des Gentleman."
„Ja, Daddy."
„Sprecht ruhig Gälisch, wir sind keine Engländer", grinste ich. „Bringt Ihr uns bitte drei Becher Wein und drei Brot mit Käse?"
„Sofort, Sir."
„Kommt, Herzogin, setzen wir uns an einen Tisch." Ich führte Caitlin an einen Ecktisch, an dem ein junges Pärchen mit zerlumpter Kleidung saß. „Guten Tag, Madam, Sir, dürfen wir uns zu Euch setzen?"
„Huh? Ja, klar, tut..." Der Mann sprang von seinem Stuhl, als er aufsah und zwei Adlige neben ihm stehen sah, verbeugte er sich. „Es tut mir leid, Sir, nehmt Platz, wir gehen an einen anderen Tisch."
„Nein, nein, laßt doch den Unsinn!" Ich zog meinen Mantel aus und ließ mich unvornehm auf den Stuhl plumpsen.
„Mein Gemahl wird Euch umbringen, Graf", zischte Cat.
„Was genau ist Euer Argument, Hoheit?", grinste ich. „Oh, ich habe vergessen, uns vorzustellen: Ihre Hoheit Herzogin Caitlin McKee, ich bin Graf Alexander Lavelle Harris."
Das Pärchen starrte sie mit großen Augen ehrfurchtsvoll an. „Ihr seid die Herzogin, Euer Hoheit?"
„Ja, das bin ich."
„Unser Essen! Danke, Sir. Wo unser Fahrer bleibt?"
„Fahrer?"
„Ich meine den Kutscher. Na ja, wenn er nicht bald auftaucht esse ich seine Portion!" Ich biß genüßlich in das Brot. „Lecker! Aber was für ein Brot ist das?"
„Haferbrot, Sir", antwortete die junge Frau schüchtern.
„Esse ich zum ersten Mal! Können wir das auch mal backen lassen, Hoheit?"
Caitlin verzweifelte. „Ich werde es an den Koch weitergeben lassen." Sie schluckte das Brot mit Wein herunter, in diesem Moment interessierte sie nicht, daß sie sich nicht damenhaft verhielt.
„Was müssen wir gleich noch machen?"
„Ähm... zur Gerberei und zum Barbier. Dann wird es Zeit sein, Mister O'Neal zu besuchen. Wir werden den Nachmittag dort verbringen."
„Und kommen auf dem Rückweg noch mal vorbei und holen Eure Klunker ab!"
„Graf Harris!", zischte die Hexe.
„Gut, auch meine Lumpen. Obwohl ich immer noch nicht einsehe, weshalb ich Strumpfhosen anziehen muß! Das ist lächerlich!"
„Bitte, müssen wir das in aller Öffentlichkeit diskutieren?!"
„Entschuldigung."
„Madam, Sir", kam der Kutscher dazu.
„Lebt Ihr hier?", fragte sie das Pärchen, um mich abzulenken.
„Ja, wir sind vor drei Wochen hierher gezogen vom Norden, Euer Hoheit."
„Was ist Euer Beruf?"
„Ich bin Gärtner."
„Wo arbeitet Ihr?"
„Ich habe keine Arbeit."
Caitlin hob eine Augenbraue. „Habt Ihr Euch bemüht, eine Stelle zu finden?"
„Ja, Madam. Ich habe es versucht, aber erfolglos. Wir hatten gedacht, daß es hier leichter sein würde, aber das ist falsch."
„Habt Ihr Kinder, kleine Geschwister oder Eltern, die Ihr versorgen müßt?"
„Nein, aber meine Gemahlin ist schwanger."
„Nun... zieht Ihr um für eine Arbeit?"
„Ja, natürlich, Madam!"
„Gut!"
„Was habt Ihr vor?", flüsterte ich ihr zu.
„Ihr habt jetzt eine Arbeit. Geht nach Hause mit Eurer Gemahlin, packt Eure Sachen und seid zwei Stunden nach Sonnenuntergang wieder hier. Ich lasse Euch abholen."
„Ist das wahr?", fragte der Mann fassungslos.
„Ich mache keine Witze, mein Freund." Sie holte ein Goldstück aus ihrem Geldtäschchen und gab es ihm. „Das ist Eure Anzahlung. Seid pünktlich!"
Als das Pärchen gegangen war, fragte ich stirnrunzelnd, „warum habt Ihr das gemacht?"
„Ich wollte sie loswerden, bevor Ihr mich mit Eurem
losen Mundwerk in Schwierigkeiten bringt und wir brauchen dringendst einen
Gärtner", erklärte sie gelassen.
Das Anwesen des reichen Geschäftsmannes war fast genauso prunkvoll wie das der McKees. Wir wurden an der Kutsche von Dienern abgeholt, die uns in das Haus brachten, in dem die O'Neals schon warteten. Sie erschienen mir sympathisch, aber Caitlin hatte mich davor gewarnt, daß sie weder Loyalität noch Freundschaft kannten, wenn es zu ihrem eigenen Vorteil war. Sie gehörten zu den Menschen, die Caitlin genauso wie ihr Mann haßte, aber sie waren einflußreich.
Nach einem Nachmittag mit dem Ehepaar waren wir beide erschöpft und sehr dankbar, daß wir zu einem von Michaels Childes zum Abendessen eingeladen waren. Der dunkelhaarige Untote mit den blaugrauen Augen war ein wenig zu verschlossen, aber er war mir sympathisch - ich hatte nicht mal Angst, auf der Speisekarte zu landen! - und ich genoß den Abend.
Weil es auf der Rückfahrt schon dunkel war, konnte ich nicht mehr die Landschaft beobachten - was mir überhaupt nicht gefiel - und half statt dessen Caitlin bei den Schreibarbeiten. Als die Unterlagen alle abgearbeitet waren, schwärmte ich der Herzogin von der Stadt vor. Cat hätte mir am liebsten den Hals umgedreht, glaube ich...
„Ich weiß, es ist ein angenehmer Ort. Aber ich kann die O'Neals beim besten Willen nicht mögen!"
„Ich mag sie auch nicht. Snobs! Meine Eltern werden mich umbringen, weil ich jetzt die Miete nicht mehr bezahlen kann und Buffy wird mich umbringen, weil ich sie nicht mitgenommen habe. Sie würde das hier bestimmt auch mal gerne erleben. Sie schwärmt schon seit Jahren von Zeitreisen."
„Euch gefällt die Vergangenheit und ich freue mich auf das 21. Jahrhundert", lächelte Caitlin.
„Schade, daß ich Euch nicht mitnehmen kann..."
„Ich werde Eure Zeit doch erleben, wenn auch erst in ein paar Jahrhunderten, Mister Harris. Es ist besser auf diesem Weg, so werde ich mit Eurer Zeit auf natürlichem Wege vertraut und die Eingewöhnung wird mir keine Schwierigkeiten bereiten."
„Ihr seid in meiner Zeit ein genialer Hacker, eine Ex-CIA-Agentin, die Central Intelligence Agency ist der Geheimdienst von meinem Land, den Vereinigten Staaten von Amerika, Ärztin und PR-Beraterin von Firmen auf der ganzen Welt! Und Ihr hattet bis vor ein paar Jahren Dead Boy als Freund. Gar nicht gut!", verzog ich das Gesicht.
„Wer ist Dead Boy?"
„Angel. Er wird im 18. Jahrhundert geboren, Euer Cousin und einer der schlimmsten Vampire aller Zeiten werden. Dann bekommt er eine Seele, hilft Buffy, verliert seine Seele, versucht seine eigene Version von „unsere Stadt soll schöner werden", bekommt die Seele zurück, brutzelt in der Hölle, kommt zurück und verliebt sich wieder in Euch."
„Interessante Lebensgesichte, hm?", grinste Cat.
„Und der größte Teil davon ist nicht besonders appetitlich... Puh, bin ich froh, daß ich nicht später gelandet bin, wenn ich Euch dann nicht gefunden hätte, hätte ich zu ihm gemußt!"
„Wieso?", fragte mich Caitlin.
„Ist doch einfach! Es gibt genau sieben Leute aus der fernen Vergangenheit, die ich kenne oder von denen ich viel gehört habe: Euch, Colin, Michael, Pete, Angelus, Spike und Drusilla! Spike und Dru sind Angelus Childes und lebten bei ihm, also wäre meine Auswahl auf vier begrenzt. Ihr, Colin und Pete werdet nach Amerika in ein paar Jahrzehnten und dann müßte ich Michael finden. Und ich hab absolut keine Ahnung, wo er war... ist... sein wird, wie auch immer! Also blieb nur Angel über."
„Nachdem, was Ihr über ihn berichtet habt, hätte er Euch verspeist."
„Jepp! Aber besser von einem Vampir zum Nachtisch gegessen werden, den ich von allen am meisten hasse, als irgendwo zu versauern."
„Versauern?"
„Nicht so wichtig. Jedenfalls hätte ich ohne ihn gar keine Chance gehabt, zurückzukommen. Ich hab kein Geld und nichts, wie soll ich da mir ein Leben aufbauen?"
„Trotzdem, es wäre sehr riskant gewesen", schüttelte Caitlin den Kopf.
„Na ja, mir ist es so auch BEDEUTEND lieber..."
„Das hat nicht zufällig was mit einer dunkelhaarigen, griechischen Vampirin zu tun...?"
„Ihr habt es erraten!"
All die Höflichkeit verschwand und ihre tiefgrünen Augen nahmen die Wärme von Gletschern an, als sie mich warnte, „wenn Ihr mit Athena spielt und sie dann sitzen laßt, werde ich Euch eigenhändig in Stücke reißen und Euren Kopf als Trophäe vor meine Tür hängen."
„Ich weiß."
„Das hoffe ich. Für Euch..."
Der Rest des Tages ist schnell erzählt: Ich schlief in der Kutsche, aß noch was, als wir zurück waren, bekam meinen Kammerdiener vorgestellt, einen Halbdämonen - ich glaube, sie wollten mich unter Kontrolle halten - und ging hundemüde ins Bett.
Bye!
Xander
Freitag, 19. März 1593
Heute war mein erster „normaler" Tag! Ich wurde vor Sonnenaufgang geweckt, hab mit den McKees gefrühstückt - das erste Mal hab ich's mal geschafft! - und danach hab ich im Büro gearbeitet. Cool, daß ich bei der Familie essen darf. Das ist so was wie ein Super-Privileg. Na ja, ich spiele ja auch einen Verwandten von Colin, der jetzt hierher gezogen ist. Also nicht dauerhaft, aber der hier vorerst mal bleibt, um bei der Verwaltung der Ländereien zu helfen.
Ich hab übrigens auch seit gestern ein richtiges Zimmer. War zu müde, um es noch zu beschreiben und bei der Dunkelheit konnte ich auch nicht alles sehen. Das Licht vom Kamin und den Kerzenleuchtern ist echt dürftig. Es ist wunderschön! Ich hab zwar „nur" Schlaf- und Ankleideraum, aber dafür kann ich vom Schlafzimmer aus direkt in den Garten. Ich gehöre jetzt ja quasi zu den „Hausherren", da kann ich die Salons mitbenutzen.
Hab heute auch den ersten richtigen Tag mit den Leuten gehabt. Mittwoch hab ich ja bis Nachmittags geschlafen und gestern war ich in der Stadt. Colin hat mir den ganzen Bürokram persönlich gezeigt und erklärt, am Nachmittag begann dann mein Unterricht, ich komm mir ziemlich doof dabei vor.
Mein Tagesplan ist jetzt so: Bei Sonnenaufgang Frühstück, dann Arbeit, zwischendurch Mittagessen, von 14 bis 16 Uhr Gälisch-Unterricht mit Caitlin oder Ciara, von 16 bis 18 Latein und Kultur mit Colin, Abendessen, danach ne Stunde Reiten mit Raven und zwei Kampf-Training mit Wulf oder Athena, da muß ich von Schwertkampf bis Schießen alles lernen.
Über Langeweile kann ich mich wirklich nicht beschweren! Aber solange ich beschäftigt bin, denke ich wenigstens nicht so viel an Euch, deshalb mach ich das auch alles mit. Um den schönen Schein zu bewahren - hier sind ja alles so gute Christen haha! - ist Sonntags keine Arbeit. Unterricht hab ich trotzdem, weil Colin sagt, daß ich noch mehr als genug Zeit haben werde, mich auszuruhen, wenn ich im Grab liege. Wie verständnisvoll!
Irgendwie wird Müdigkeit bei mir zum Dauerzustand. Kein Wunder, wenn man nach Mitternacht erst ins Bett kommt und so einen super Pagen hat, der einen schon kurz nach fünf weckt. Wenn Raven kein Vampir wäre, hätte ich ihn schon lange erdrosselt! Ich mach Schluß, bevor ich über meinem Sekretär einschlafe.
Gute Nacht!
Mit einer Portion Pommes in der einen und einem Hamburger in der anderen Hand, lauschte Cat Giles. „Ja, das ist typisch Colin! Ich habe ihm gesagt, daß er den armen Jungen noch ins Grab bringen würde, aber bei solchen Dingen hat er nie auf mich gehört."
Ein böses Grienen wuchs auf Lisas überschminktem Gesicht. „Marguerite, Schätzchen, warum gibst Du mir nicht Buddy und ich gehe mit ihm spazieren? Dein armes, kleines Hündchen muß bestimmt Gassi gehen", schnurrte sie.
„Nein, Lisa, Du wirst Buddy nicht umwandeln!", wedelte Willow - die sich in den Jahren, in denen sie unter Vampiren lebte, an die schwarze Kleidung angepaßt hatte - mit einem Pflock.
„Mummy!", plärrte Lisa.
„Was ist hier los?!", verlangte Caitlin zu wissen
„Lisa will Marguerites Hund in einen Vampir umwandeln!"
„Will ich nicht!"
„Will sie! Du hast selber gesehen, wie sie es bei der Katze versucht hat! Pete hat gesagt, daß wir sie nicht mit einem Tier alleine lassen sollen! Lisa ist gemein!"
„Gar nicht wahr! Willow ist gemein!", formte die Gothic ihre überschminkten Lippen zum Schmollmund.
„Kinder", schüttelte Caitlin den Kopf. „Marguerite, gib mir Buddy, ich paß auf ihn auf, ja?"
„Geh zu lieber Omi, Buddy", streichelte ihn die hellblond gefärbte Französin.
„Marguerite ist total durchgeknallt! Gegen die ist Drusilla ein Rationalist!", murrte Lisa.
„Laß Dru aus dem Spiel!", knurrte Spike.
„Schatz, ignorier sie, sie ist es doch nicht wert, daß Du Dich in Schwierigkeiten bringst. Bitte!", hielt Buffy ihren Freund mit viel Mühe davon zurück, die arrogante Britin zu pfählen.
„Ich les jetzt weiter!", beendete Danny den Streit entschlossen.
Sonntag, 21. März 1593
Gestern ist nichts aufregendes passiert. Ich habe gearbeitet, gebüffelt, gefressen - ich liebe das Essen hier! - und geschlafen.
Heute war super! Ich brauchte nicht zu arbeiten, konnte ausschlafen und dann habe ich eben noch den Abend mit Athena verbringen können. Nach Sonnenuntergang sind wir durch den Garten gegangen.
„Ist es hier nicht bezaubernd, Graf Harris?"
„Ja, es ist sehr schön."
Athena sah mich prüfend an. „Ihr betrachtet im Moment nicht den Garten, Alexander Harris! Ich bin eine ehrbare Frau!", entrüstete sie sich.
„Huh? Verzeihung, Madam!" Ich merkte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg. „Ich wollte nicht... äh... kommt nicht mehr vor, okay?"
Sie lächelte wissend. „Ich werde Euch dieses Versprechen nicht abnehmen. Seht, dort ist Mohn. Wir sollten ein paar Pflanzen für Caitlin hereinnehmen. Mohn ist ihre Lieblingsblume."
„Kriegen wir dann keinen Ärger mit den Gärtnern?"
„Nein. Wir sind die Hausherren, es ist unser Garten und wir dürfen darin tun, was wir belieben."
„Cool!" Ich ließ mich auf den englischen Rasen fallen und zeigte auf eine große Eiche, die am Ende der Wiese Schatten spendete, „wollen wir da raufklettern?"
„Raufkletten?!"
„Ja."
„Graf Harris, habt Ihr schon einmal mein Kleid betrachtet? Ich kann damit nur mit Mühe gehen, ganz zu schweigen denn klettern."
„Warum seid Ihr nicht verheiratet, Athena?", fragte ich nach ein paar Minuten Stille.
„Verzeihung?"
„Ihr braucht nicht zu antworten, wenn Ihr nicht wollt."
„Doch, doch. Ich habe meinen Gemahl verzehrt, nachdem ich zum Vampir wurde", erzählte sie, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, den Ehemann zu essen.
„Autsch! Der arme Mann! Warum habt Ihr das gemacht?"
„Warum?! Er hat mich geschlagen, gedemütigt und wollte mich in die Sklaverei verkaufen, damit er mehr Geld für Alkohol und Glücksspiele hatte."
Das hatte ich ja großartig gemacht! „Es tut mir leid, ich wußte nicht, daß Ihr schlimme Erinnerungen an ihn habt und..."
„Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen. Ich weiß nicht, wie es in Eurer Zeit ist, aber in dieser ist diese Behandlung von Frauen üblich."
„In meiner Zeit haben Frauen die gleichen Rechte wie Männer und es gibt auch keine Sklaverei mehr. Es ist verboten, eine Frau zu schlagen! Und die meisten Männer würden es auch nicht tun, wenn sie es dürften. Mein Vater hat meine Mutter auch geschlagen. Es war schrecklich."
„Wenn ein Mann mich schlecht behandelt, dann töte ich ihn!"
„Kann ich gut verstehen. Ich meine, das ist ziemlich brutal, aber in Eurer Zeit ist wohl alles brutal. Das stört mich hier am meisten."
„Ich würde gerne schon jetzt in einer so friedlichen Zeit wie Eurer leben. Aber um ehrlich zu sein, ich glaube nicht daran, daß die Menschen ihre Natur überwinden können."
„Vampire sind auch brutal!"
„Ja, aber Vampire führen keine Kriege und Vampire versklaven nicht ihre Artgenossen. Außerdem sind wir durch den Dämon in uns brutal, während Ihr eine Seele habt", erinnerte Athena mich, während sie immer noch mit dem Rock ihres Kleids kämpfte. Er war so groß, daß sie sich kaum auf den Boden knien konnte. „Wie ich das hasse! Sagt, Graf Harris, gibt es in Eurer Zeit zumindest handlichere Damenroben?"
„Ja. Die Klamotten sind alle besser als hier."
„Was trägt man?"
Ich erklärte ihr die Mode des 21. Jahrhunderts,
so gut ich konnte und Athena war begeistert. Sie wollte Colin vorschlagen,
solche Kleidungsstücke für das Kampftraining schneidern zu lassen.
Ich war stolz auf mich selbst, weil ich es geschafft hatte, sie zu beeindrucken.
Und das war bei einer Vampirin, die ganz Europa besucht hatte, nicht so
einfach...
Nun, das war vor einer Stunde, jetzt sitze ich wieder vor dem Pult und schreibe Euch. Habt Ihr schon mal versucht, mit einer FEDER zu schreiben? Ist verdammt schwer! Daran werde ich mich - glaube ich - nie gewöhnen. Ich hoffe, daß demnächst Kugelschreiber erfunden werden. Das ist ein komisches Gefühl, so was zu denken und zu schreiben! Mir wird erst jetzt mit der Zeit bewußt, was eigentlich mit mir passiert ist. Wenn ich meinetwegen ins 20. Jahrhundert wäre, dann wäre es wenigstens nicht alles SO abstrakt gewes... Noch schlimmer! Jetzt fang ich schon an, wie Colin zu reden!
Es wird Zeit, daß ich zurück zu Euch komme. Und ich bin erst eine Woche hier! Ich vermisse Euch alle wahnsinnig! Hab nie gedacht, daß ich das mal sagen würde, aber mir fehlt sogar Spike... Nein, Du wirst jetzt keine blöden Witze darüber reißen, Dead Boy 2!
Ich hoffe, daß Colin mich schnell zurückschicken kann. Aber wenn ich mir ansehe, wie langsam hier alles vorangeht - Postkutschen! - und wieviel Zeit sich jeder läßt, habe ich nicht mehr soviel Hoffnung. Na ja, ich verstehe mich - zu meiner eigenen Überraschung - gut mit Colin, seine Childes scheinen auch ganz okay zu sein, Raven ist unglaublich geduldig mit mir. Unheimlich ist nur, daß ich Cat kenne und ich für sie ein Fremder bin.
Ich werde Euch Morgen wieder schreiben, versprochen!
Xander
Montag, 22. März 1593
„Im übrigen, Graf Harris, Ihr werdet heute von Ciara Gälisch und von Wulf im Kämpfen unterwiesen werden, da Athena und ich zu einer befreundeten Familie fahren."
„Äh... ja, okay, klar", stotterte ich. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich die zwei Childes von Colin. Ich hatte noch nie mehr als zwei Sätze mit ihnen am Stück gesprochen, das konnte ja ein interessanter Tag werden... Ich hatte nie den Eindruck, daß sie mich nicht mochten, nur keine Gelegenheit gehabt, sie besser kennenzulernen.
„Ich habe schon mit Caitlin darüber gesprochen, was wir heute durchnehmen werden, Graf Harris."
„Ja, schön." Ich wußte wirklich nicht, was ich sagen sollte und kam mir wie ein Vollidiot vor.
„Graf Harris, wenn Ihr einverstanden seid, könnten wir heute Abend ausreiten. Sie sollten sich mit der Umgebung vertraut machen."
„Das würde ich liebend gerne machen, aber ich kann noch nicht so gut reiten. Raven unterrichtet mich ja erst seit Freitag. Ich kann noch nicht mal alleine in den Sattel kommen..."
„Deshalb mache ich Euch das Angebot."
Manche Leute haben noch verrücktere Logik als Cordelia! Ich antwortete mit einem intelligenten, „hä?"
„Ihr hattet bisher keine Motivation, weil Ihr keinen Fortschritt sehen konntet. Bevor sich Frustration aufbaut und Ihr das Interesse verliert, möchte ich Euch beweisen, daß Ihr sehr wohl etwas gelernt habt. Ich habe das Reiten vor dem Laufen erlernt, glaubt mir, wenn man erst einmal im Sattel sitzt, dann läuft das Pferd schon von alleine", grinste er.
„Und das ist mein Problem. Die Pferde können mich nicht ausstehen!"
„Ich werde Euch helfen, macht Euch keine Sorgen. Treffen wir uns um acht vor den Stallungen?"
„Abgemacht!"
Als ich den kleinen Salon betrat, in dem ich unterrichtet wurde, ging ich als erstes zum Kamin und warf Holz nach, dann setzte ich mich auf die Couch, las meine Notizen und wartete auf Ciara. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, für Stunden mit einem Vampir alleine in einem Zimmer zu sein. Mit Colin war es etwas anderes, ich wußte, daß er mich schon lange ausgesaugt hätte, wenn er das wollte, und Athena vertraute ich einfach. Aber Ciara hatte etwas unheimliches an sich.
„Graf Harris." Sie nickte mir vom Eingang zu, schloß die Tür und setzte sich neben mich. „Beginnen wir."
„Okay."
Sie gab mir ein Blatt Papier, „dies sind die nächsten
15 Vokabeln. Wir werden heute Zahlen und ihre Verwendung durchgehen. Es
ist ganz einfach..."
„Der 21., die 21. und 21 werdet Ihr mir jetzt auf Gälisch sagen."
Als Antwort gähnte ich laut.
„Langweile ich Euch mit meinem Unterricht?"
„Nein, ich lerne nur nicht gerne und das hier ist keine Ausnahme. Ich versteh das einfach nicht! Wieso braucht man Grammatik und drei Vergangenheitsformen?", beschwerte ich mich.
„Mir ist nicht entgangen, daß Euer Interesse sich in Grenzen hält", erwiderte Ciara spitz.
„Was soll das denn heißen?"
„Genau das, was ich gesagt habe, Graf."
„Na gut, einen letzten Versuch und dann dürft Ihr mich beim Abendessen als totalen Versager bloßstellen, ja?"
„Ich plane nicht, Euch bloßzustellen, Graf Harris. Alles was ich erreichen will, ist, daß Ihr mit etwas mehr Begeisterung meinem Unterricht folgt. Ihr werdet für ziemlich lange Zeit hier bleiben müssen und irgendwann wird Euer Überleben davon abhängen, ob Ihr Eure Tarnung aufrechterhalten könnt oder nicht!"
„Aber es ist doch sowieso verboten, Gälisch zu sprechen. Warum muß ich das noch lernen?"
„Weil Ihr es braucht! Wenn Ihr mit den Bauern sprecht, werdet Ihr es auf Gälisch tun müssen, die Bediensteten werden Euch mehr Respekt entgegenbringen, wenn Ihr ihre Sprache sprecht und man wird nicht hinter Eurem Rücken über Euch lästern können. Ganz abgesehen davon, daß Gälisch eine der fünf wichtigsten Sprachen der Union ist und von vielen Vampiren gesprochen wird. Was Euch beides für sich schon das Leben retten kann."
Ich seufzte resigniert und zuckte mit den Schultern.
„Gut, machen wir weiter."
Ciara hatte mich zwar nicht zu ihrem Snack erklärt, aber dafür hat sie mich mit ihrem Unterricht durch die Hölle geschickt! Ich hab mir vorgenommen, das nächste Mal krank zu spielen, wenn ich wieder mit ihr lernen soll. Caitlin ist viel verständnisvoller als diese Sklavenschinderin! Sie hat mir keine einzige Minute Pause gegeben, in meinem Kopf dreht sich jetzt immer noch alles!
Colin war eine angenehme Abwechslung. Er ist ein extrem geduldiger Lehrer, der auch nicht aus der Haut fährt, wenn man ihn zum 50. Mal das gleiche fragt. Seine Childes haben großes Glück mit ihm. Na ja, nach 800 Jahren sollte man wohl auch so eine Gelassenheit gelernt haben.
Als ich nach dem Abendessen in mein Zimmer kam, hatte mir Raven schon meine Reitkleidung herausgelegt. Weil sie erst heute von der Schneiderei gebracht worden war, sah ich sie zum ersten Mal. „Raven, damit verscheuche ich die Pferde! Und das sieht ganz schrecklich aus!"
Mein untoter Page verdrehte die Augen. „Das ist der neuste Trend, Xander."
„Meinetwegen, aber warum muß ich den neuesten Trend anziehen?", jammerte ich.
„Dieses Garderobe gibt Dir Bewegungsfreiheit, das Material schützt Dich vor leichten Verletzungen und es sieht gut aus."
Ich sah ihn mit meinem besten Hundeblick an. Erfolglos. Weil Raven ein Vampir und ich... na ja, nur ein Mensch bin, kann ich mich noch nicht mal Colin beschweren gehen! Als ich einmal zu Caitlin ging, sagte sie mir, daß Raven am besten weiß, was gut für mich ist und ich seinen Anweisungen gefälligst folgen sollte.
„Ich kann mich darin gar nicht bewegen!", murrte ich, als ich mich in meinem lächerlichen Outfit vor dem Spiegel betrachtete.
„Sir Wulf wartet schon auf Dich, Xander. Es ist zehn nach acht. Du wirst ihn verärgern, wenn Du ihn zu lange warten läßt und Deine Kleidung ist angemessen. Vermutest Du etwa, wir würden immer mögen, worin wir uns kleiden? Aber die Mode läßt sich nun mal nicht ändern."
„Du hast recht. Danke. Bis später!" Ich hetzte
zu meiner Zimmertür, überlegte es mir dann anders und nahm die
Abkürzung durch den Garten. Selbst rennend würde ich ein paar
Minuten bis zum Pferdestall brauchen, der ein gutes Stück entfernt
lag, damit der Gestank die Bewohner des Hauses nicht störte.
Wulf stand bereits mit zwei Pferden vor dem Stall, als ich dort ankam. „Es tut mir leid, Sir, ich hab's nicht schneller geschafft und..."
„Nicht der Rede wert. Ich halte das Pferd fest und Ihr versucht, heraufzusteigen."
Ich sah ihn zweifelnd an, versuchte es aber. Und landete auf dem Hintern. „Mist!"
„Noch einmal."
„Das geht nicht, ich weiß das schon jetzt. Brauche ich gar nicht zu versu..."
„Tut es!"
Ich schaffte es wieder nicht. „Seht Ihr? Ich kann es nun mal noch nicht."
Wulf grinste. „Versucht es noch einmal, ich helfe Euch."
Als ich einen Fuß im Steigbügel hatte, hob er mich hoch und setzte mich in den Sattel. „Seht Ihr? Es ist kinderleicht."
„Ja, aber ich muß das doch alleine können!"
„Das werdet Ihr lernen." Er steig auf sein eigenes Pferd. „Ihr wißt, wie man dem Pferd befiehlt, im Schrittempo zu trotten?"
„Ja, ich glaube, daran erinnere ich mich."
„Tut es. Ich habe Euch mit Absicht ein sehr zahmes Pferd ausgewählt. Ihr solltet keine Probleme mit ihm haben. Wir werden in die Richtung."
„Es funktioniert! Das Pferd läuft und ich sitze noch drauf", wunderte ich mich.
„Habe ich es Euch nicht gesagt?"
Was soll ich es sagen? Der Abend war gut, wir sind
zu einem See geritten, in den ich reingeplumpst bin, danach hat Wulf versucht,
mir Schwertkampf beizubringen - versucht, weil ich mich nur selber geschnitten
habe - und ich hab's sogar geschafft, zurückzureiten, ohne vom Pferd
zu fallen. Juhu! Ich glaube, ich mag Wulf, obwohl er ständig davon
geschwärmt hat, wie toll es ist, Menschen zu foltern und ich müßte
unbedingt mal Blut versuchen. Ekelig!
Dienstag, 23. März 1593
Heute war der schlechteste Tag bisher! Wißt Ihr warum? Ich bin jetzt genau eine Woche hier. Alle waren heute ganz besonders nett zu mir, haben versucht, mich abzulenken und aufzuheitern, aber ich hab trotzdem nur daran denken können, daß es die erste von unendlich vielen Wochen gewesen ist und ich nur nach Hause will.
Ich vermisse Euch jeden Tag mehr. Zum Glück macht mir meine Arbeit Spaß und ich bin sogar ziemlich gut darin, das lenkt mich ab. Könnt Ihr Euch das vorstellen? Xander Harris macht freiwillig unbezahlte Überstunden! Wozu einen die Einsamkeit hinbringt...
Okay, ich bin nicht wirklich einsam. Ich hab schon ein paar Freunde gefunden - Raven sowie Athena -und ich bin dabei, mich mit Colin, Caitlin und Wulf anzufreunden. Den einzigen von dem Clan hier, über den ich gar nicht sagen kann, das ist Pjotr. Er ist ein totaler Einzelgänger, wenn er beim Essen, „guten Tag", und, „bis später", sagt, dann ist das schon extrem viel! Ihr könnt Euch denken, daß wir damit nicht gerade auf der gleichen Wellenlänge liegen... Und trotzdem finde ich es einsam. Es ist kein Vergleich, ob ich Leute ne Woche kenne oder fünf Jahre.
Ich hoffe wirklich, daß ich noch in diesem Jahr nach Hause kann. Ich habe selber ein paar Nachforschungen angestellt und erfahren, daß die Kutschen im kühleren Europa, wie Alpen, Pyrenäen, Osteuropa und so, im Winter nur sehr, sehr eingeschränkt fahren. Es gibt in dieser Zeit keinen Streudienst und auch keine Räumfahrzeuge! Außerdem ist es zu kalt für Passagier-Kutschen. Ich weiß zwar nicht, wo das Hauptquartier ist, mit dem Colin Kontakt aufnehmen muß, aber wäre logisch, daß es in einer kaum bewohnten oder schwer zugänglichen Region liegt...
Er hat mir gesagt, daß sein erster Brief - in dem er erklärt, was passiert ist und, daß er einen Hüter mit Fachwissen über Zeitreisen braucht - schon auf dem Weg ist, aber daß es mindestens einen Monat dauert, bis er eine Antwort bekommt. Ich bin nicht blöd, natürlich werden die erst mal überlegen, ob sie mich überhaupt zurückschicken sollen, wenn, sollen sie mir die Erinnerungen lassen, in welche Zeit schicken sie mich, oder machen sie meine ganze Zeitreise ungeschehen; dann müssen sie einen der beiden Hüter mit dem speziellen Wissen über das Ritual rufen, der kann auch nicht alles stehen und liegen lassen und wenn er gerade in Südafrika oder Japan ist, dann kann ich lange warten!
Ich hoffe nur, daß ich lange genug lebe, um überhaupt die Entscheidung zu erfahren. Hier kann jede kleine Erkältung tödlich sein, ganz zu schweigen von den Seuchen... Außerdem darf ich nicht vergessen, daß ich hier in einem Haus mit Vampiren lebe und bei Dead Boy haben wir ja gesehen, wie schnell aus einem Kuschelvampir ein Monster wird. Sorry, Buffy, aber es ist wahr! Die Dämonen sind mir auch noch nicht besonders sympathisch.
Wie auch immer, ich hoffe, Ihr habt eine gute Zeit, ich wäre jetzt gerne bei Euch. Eine Bitte. Sagt bitte Anya, daß ich sie liebe. Und könnt Ihr mir nicht Spike nachschicken, damit ich wieder jemanden zum Ärgern habe? Haha, Ihr könnt jetzt gar nichts machen!
Xander
„Wenn der verdammte Welpe zurück ist, kann er was erleben!", grollte Spike.
„I... ich gl... glaube, das ist d... der Zweck. Er kann D... Dich jetzt ärgern, per Post, und Du kannst ihn nicht schlagen, weil er in der Vergangenheit ist", meine Tara schüchtern.
„Ja, aber wenn er zurück ist..."
„Hast Du immer noch den Chip, Liebling. Du kannst ihm nichts tun, außer, Colin wandelt ihn um."
„Ich hoffe, daß ich den Chip bis dann los bin!"
„Das ist kein Problem. Ich bin fast so weit. Es tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, aber ich kann nicht einfach Professor Schmidt anrufen und ihm sagen, „Professor, mein untoter Urgroßcousin hat einen Chip im Kopf, der ihn davon abhält, Ihnen bei lebendigem Leib das Herz rauszureißen, können Sie den bitte rausoperieren", Du verstehst?"
„Ich weiß, Cat. Du hast mir von Anfang an gesagt, daß es dauern wird."
„Ich denke, daß Du in spätestens drei Wochen operiert werden kannst. Die Unions-Ärzte wollen noch ein paar Simulationen durchführen, bevor sie die Operation machen. Ein ziviles Krankenhaus würde schneller operieren - gegen eine beträchtliche Summe von Dollars - aber das ist zu gefährlich, wir wissen nicht, ob noch Überreste von der Initiative aktiv sind."
„Das weiß ich, Caitlin." Spike fuhr Buffy, die auf seinem Schoß saß, nachdenklich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Er war unendlich erleichtert darüber, daß sie die Initiative - mit Hilfe von LA und ein paar Dutzend Prätorianergarden - stoppen konnten, bevor sie seine Freundin als Laborratte mißbraucht hatten. Die Jägerin wäre bestimmt noch interessanter für sie gewesen als Vampire und Dämonen.
Mittwoch, 30. März 1593
Hi!
War lange, habt Ihr mich schon vermißt? Nein, habt Ihr natürlich nicht, weil Ihr den Brief direkt nach dem letzten liest, mein Fehler. Was macht der Höllenschlund, noch geschlossen? Ja, ich weiß selbst, daß Ihr mir nicht antworten könnt, ich versuche nur, nett zu sein.
Nachdem ich Freitag die Treppe runtergefallen bin und dabei Athena mitgerissen habe, die gerade heraufging, bekomme ich auch noch Benimm-Unterricht. Colin sagte wortwörtlich, „es genügt, daß Ihr Euch wie ein gehirnloser Frischling in unserer Gegenwart betragt, Ihr braucht nicht auch noch meinen Ruf zu ruinieren!". Ich konnte Euch das nicht früher schreiben, weil Cat und Colin mir wegen meiner geprellten Rippe einstimmig Bettruhe verordnet haben - versuchte, sie gegeneinander auszuspielen, hat aber nichts genutzt - und man mit einer Feder schlecht im Liegen schreiben kann. Mir war das so peinlich! Am liebsten wäre mir gewesen, wenn mich die Erde verschluckt hätte, aber hier gibt es ja keinen Höllenschlund. Ausgerechnet muß ich mich vor ATHENA als Volltrottel outen!
Heute durfte ich wieder arbeiten. Colin meint, daß ich, wenn ich fit genug bin, um herumzulaufen, auch fit genug bin, mich nützlich zu machen. Manchmal habe ich das Gefühl, er ist ein noch größerer Sklavenschinder als Ciara es ist! Aber was soll ich auch von ihr bei diesem Sire erwarten? Wenigstens ist sie kein Psychopath wie ihr Cousin und Colin kann man auch keinen Vorwurf machen, mit dem Meister als Sire...Trotzdem ist es gemein!
Aber immerhin fand Athena lustig, daß ich die Treppe runtergekullert bin und findet mich jetzt süß für meine Tolpatschigkeit! Vielleicht kann ich mich doch an die Vergangenheit gewöhnen...
Mir ist gerade in dem Moment was ganz schreckliches aufgefallen: Ich verwandele mich langsam in Dead Boy! Ich lese auf einmal anspruchsvolle Literatur, ich drücke mich gewählter aus - wie eben mit „anspruchsvolle Literatur" -, grübele andauernd und ich bin technisch gesehen nach meiner Rückkehr noch 150 Jahre älter als er! Wenn ich jetzt noch Blut trinke und ne mörderische Vergangenheit bekomme, werde ich vielleicht auch in den Wächter-Tagebüchern erwähnt...
Bye!
Xander
Donnerstag, 31. März 1593
Letzte Nacht haben wir eine Nachricht bekommen, daß Michael uns besuchen wird! Ich bin schon ganz neugierig darauf, ihn kennenzulernen. Bei den anderen konnte ich mir vorstellen, wie sie wohl sein würden, aber bei ihm weiß ich es gar nicht.
Nun ja, zurück zum Thema: Er ist mit einer Expedition der Union in Amerika, sie wollen überprüfen, wie viel die Spanier wirklich entdeckt haben und was sie wissen. Die Union gab es ja schon, als die Wikinger Amerika das erste Mal entdeckt haben, da denke ich mir, daß sie irgendwas dort gemacht haben und kriegen jetzt Angst, daß es jemand entdeckt. Vielleicht hat es was mit dem Höllenschlund zu tun, aber ich könnte mir auch vorstellen, mit der indianischen Religion oder, daß sie dort Leute verstecken, keine Ahnung, es gibt so viele Möglichkeiten. Aber mehr als, daß sie Gerüchte überprüfen, will mir niemand verraten. Muß Top Secret sein...
Aber das beste daran ist - und warum ich überhaupt davon erfahren habe: Ein Kurier hat die gute Nachricht überbracht, daß die Flotte - wenn alles nach Plan verläuft - Ende August Europa erreicht. Michael wird dann mit den anderen ins Hauptquartier, Daten auswerten, Rede und Antwort stehen, berichten über was auch immer sie da gemacht haben und dann zu uns kommen. März oder April kommt er zurück nach Irland. Er hat irgendwas mit Colin zu besprechen - ich vermute wegen Amerika - und wird deshalb zuerst zu uns.
Ich weiß, es klingt noch lange, ein Jahr ist auch für mich lange, aber nicht mehr ganz so lange wie in Eurer Zeit. Tage vergehen wie im Flug! Jetzt bin ich schon 2 ½ Wochen hier und ich hatte immer noch keine Zeit, mich mit Pjotr zu unterhalten, könnt Ihr Euch das vorstellen? Zugegeben, er ist nicht der gesprächigste in dem Clan, aber ich komme mir ziemlich doof deswegen vor. Ich habe auch zuerst gedacht, daß die Zeit hier langsamer vergeht, weil es so wenig Ablenkung gibt, aber das ist nicht wahr. Hier ist viel mehr zu tun als 2001 und man braucht für alles länger.
In die Stadt könnte man mit einem Auto in einer halben Stunde fahren - ohne zu rasen - aber mit der Kutsche braucht man vier. Genauso ist es mit den anderen Sachen. Ich möchte hier zum Beispiel nicht in der Küche arbeiten. Könnt Ihr Euch das vorstellen, keine Mikrowelle, keine Kaffeemaschine, nicht mal einen richtigen Herd oder fließendes Wasser gibt es hier! Und Waschen! Alles mit der Hand waschen, die werden ja nie fertig! Ich bin wirklich froh, daß ich hier in der Verwaltung helfen kann. Wenn ich jeden Tag zehn Stunden in der Küche stehen würde, wäre ich schon lange durchgedreht!
Aber es hat auch seine Vorteile. Es gibt keine Uhr, nach der man sich minutengenau richten muß, man kann sich einfach Zeit lassen, zwischendurch mal entspannen. Wenn ich hier Euch, Radio und Fernsehen hätte, dann könnte ich mich wirklich an dieses Leben gewöhnen. Okay, das war keine gute Idee, daran zu denken, daß Ihr so weit weg seid.
Colin hat mir gesagt, daß Samstag die Familie den ganzen Abend ausreiten will, ich hab ihm gesagt, daß ich mir noch überlegen muß, ob ich mitmache - ich fühle mich immer noch nicht so besonders wohl alleine mit den ganzen Vampiren - vielleicht nehme ich an, damit ich Pjotr ein bißchen besser kennenlerne. Wie ich schon mal sagte, er ist super-still, aber ich will nicht, daß es so aussieht, als könnte ich ihn nicht ausstehen. Mal sehen, ob ich Raven bearbeiten kann, mit mir Morgen ne extra Stunde Reitunterricht zu machen, damit ich fit für den Ausritt bin.
Nächsten Monat wird auch Colins Childe Belle zurückkommen. Sie ist für vier Jahre mit dem Meister durch Europa gewandert, aber Colin hatte ihr den Befehl geschickt, spätestens im Mai zurück zu sein. Er will, daß sie Caitlin kennenlernt. Bei der Hochzeit konnte sie nicht anwesend sein, weil Colin sie so plötzlich angesetzt hatte, daß der Meister - der gerade mit Belle in der Türkei war - nicht kommen konnte. Ich hoffe nur, daß er nicht mitkommt.
Hoffentlich kann ich darüber auch was bei dem Ausritt erfahren. Ich hab nicht so große Angst, daß der Meister mich ißt, aber dieser Tod wäre selbst für mich zu verrückt!
Xander
Sonntag, 4. April 1593
„Von hier aus hat man den besten Ausblick der ganzen Region, Mister Harris", erklärte mir Athena begeistert. „Seht Ihr das da unten? Das ist schon das Land meines Onkels."
„Ich dachte, Euer Besitz wäre viel größer."
„Unser Besitz erstreckt sich zur anderen Seite. Soweit Ihr nach dort sehen könnt, seht Ihr unser Land", sagte sie stolz.
„Das ist beeindruckend."
„Euch bedrückt etwas. Wünscht Ihr, darüber zu sprechen?"
„Na ja, wahrscheinlich werdet Ihr mir den Kopf dafür abreißen..."
„Dies ist sehr unwahrscheinlich. Ich plane nicht, meine Robe mit Blut zu verschandeln."
„Sehr beruhigend!"
„Mehr Sicherheit kann ich Euch nicht anbieten. Nun...?"
„Ich... ich mache mir Sorgen, daß Eure Schwester Belle den Meister mitbringt. Ich bin ihm im 21. Jahrhundert einige Male begegnet weil Buffy gegen ihn gekämpft hat. Ich würde mich unwohl dabei fühlen, ihn wiederzusehen."
„Diese Aussage ist nicht korrekt, Graf Harris. Ihr trefft - aus chronologischer Sicht - den Meister hier zum ersten Male. Zudem wird er sich nicht an Euch erinnern, Ihr braucht also nichts von ihm zu fürchten."
„Ja, aber was, wenn er mich auf die Speisekarte setzt? Ich bin nicht durch die Zeit gereist, nur um als Vampirfutter zu enden! Das wäre einfach zu blöd, nachdem ich so oft überlebt habe..."
„Ich verstehe Eure Bedenken, Graf. Falls es Euch beruhigen sollte: Die Wahrscheinlichkeit, daß der Meister Belle begleitet ist sehr gering. Es gab Gerüchte, daß er in die Kolonien will und sein Verhältnis zu unserem Sire ist... sehr angespannt. Er würde sich damit nur selbst Unannehmlichkeiten bereiten."
„Wieso ist das Verhältnis angespannt? Er ist doch Colins Sire!"
„Sire und Childe stehen sich in den meisten Fällen sehr nahe, aber nicht in allen..."
„Familienkrach, verstehe!"
„Als Familienkrach würde ich es nicht bezeichnen, eher als unabänderliche Entfremdung. Colin und sein Bruder wurden gegen ihren Willen zu Vampiren umgewandelt. Der Meister erhoffte sich neue Spielzeuge, aber sie verhielten sich nicht, wie erwartet. Nach ihrer Wiedergeburt trennten sie sich von ihm. Die Union setzte sich sofort mit ihnen in Verbindung, als sie durch Gerüchte erfuhr, daß sich Childes des Meisters von ihm abgewandt hatten. Sie hatten einen Grundsatz unserer Gemeinschaft gebrochen, das Unvorstellbare getan..."
„Dann sind sie so in die Union gekommen?" Ich hätte es mir eigentlich denken können, so wie ich sie kannte, waren sie keine gehorsamen Childes, die vor ihrem Sire buckelten.
Athena grinste breit. „Ja. Colin und der Meister sind wie Feuer und Eis. Selbst wenn sie es wollten, sie würden nicht miteinander zurechtkommen können. Sie sind schlicht und einfach zu verschieden. Deshalb glaube ich nicht, daß der Meister uns besuchen wird."
„Ich hoffe es. Nichts gegen Euch, aber ich würde wirklich gerne bei meinen Freunden sterben. Noch einmal ins Bronze gehen, einen Film sehen, Pommes und Hamburger essen, Cola trinken..."
„Ihr sehnt Euch nach Speisen und Getränken?", fragte Athena überrascht. „Ihr Menschen seid die merkwürdigsten Kreaturen, denen ich je begegnet bin!"
„Ihr ward früher auch ein Mensch."
„Ja, aber ich verspürte niemals solch sinnlose Wünsche."
„Ihr werdet Eure Meinung noch ändern, wenn Ihr es selber probiert habt. Der Meister wird also nicht mitkommen? Das ist gut. Aber was habe ich von Belle zu erwarten?"
„Zuerst einmal: Ihr steht nicht jetzt auf der Speisekarte und auf unserem Land werdet Ihr auch in Zukunft nicht draufstehen. Was kann ich Euch über Belle berichten? Ich kenne sie selbst recht schlecht, da Colin sie seit 20 Jahren nicht mehr getroffen hat und ich erst seit 29 Jahren Colins Childe bin. Nun, sie ist das schwarze Schaf unserer Familie. Belle hört nur selten darauf, was unser Sire ihr befiehlt, weigert sich, in seiner Nähe zu bleiben, ist störrisch, anmaßend und vorlaut. Und sie ist Colins Lieblings-Childe."
„Hä? Wieso das?!"
„Sie ist seine erste."
„Seine erste was?"
Athena rollte genervt die Augen. Ihr ganzes Gesicht sagte „blöder Mensch versteht gar nichts". „Was denn wohl? Sein erstes Childe! Er hat sie als erste umgewandelt, als erste unterrichtet und gemeinsam haben sie gelernt, die Dämonen in ihnen unter Kontrolle zu halten. Alles was wir wissen und weitaus mehr weiß Belle. Die Wahrheit ist, sie kann es sich erlauben, sich so schlecht zu betragen. Und sie weiß es - unglücklicherweise."
Eine zweite Cordelia fehlte mir gerade noch! Langsam sollte ich doch wirklich mal den Tiefpunkt erreichen. „Wenn die so alt ist, dann muß sie auch eigene Childes haben... Sagt mir bitte nicht, daß die auch noch herkommen! Ich krieg langsam echt einen Panikanfall!"
„Ich weiß es nicht. So wie ich sie einschätze, wird sie nicht für nötig halten, auf Colins Nachricht zu antworten und eines Nachts vor der Tür stehen."
„Das ist ja großartig", seufzte ich.
„Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen, Graf Harris. Meine Schwester ist widerspenstig, aber sie wird es nicht wagen, Sie zu verzehren, genausowenig wie es der Meister oder eines ihrer Childes wagen würde!"
Ich war noch längst nicht überzeugt, aber ich wollte mich auch nicht mit Athena streiten. Nicht mit ihr. „Danke. Wie gut kennst Du eigentlich Deinen Onkel?"
„Michael?"
„Ja, Michael. Wie lange ist er schon in Amerika?"
„Die Mission ist für 15 Jahre veranschlagt."
„Wow! Muß ganz schön viel Mut zu gehören, für so lange die Heimat zu verlassen. Wenn Ihr Telefon und e-Mail hättet, dann würde ich es vielleicht auch machen - für ein paar Monate - aber so..."
„15 Jahre ist nicht wirklich lange. Ungewöhnlich, aber nicht extrem lange. Er ist 696 Jahre alt, Graf Harris. Alle Mitglieder der Exkursion sind Vampire und Unsterbliche."
„Wovon ernähren sie sich während der Überfahrt? Oh nein, ich will es gar nicht wissen!"
„Vampire müssen nicht auf Blut angewiesen sein, so wie Ihr Blut versteht..."
„Hä?"
„Ich kenne die Details ebenfalls nicht, aber vertraut mir, es ist möglich."
„Weiß jemand, wieviel Uhr es ist?"
„Die erste Stunde des neuen Tages", antwortete Pjotr.
„Wie könnt Ihr das ohne Uhr feststellen?"
„Mit der Zeit lernen Vampire, ihren Sinn für den Stand der Sonne zu verfeinern, bis daran - gemessen an Sonnenauf- und -untergang - die ungefähre Uhrzeit bestimmbar ist."
„Muß man dafür sehr alt sein?"
„Ja."
Ich ritt neben Colins zweitältestes Childe. „Wie mißt Ihr das denn?"
„Intuition."
„Und wie alt muß ein Vampir sein, um so etwas zu können?"
Pjotr zuckte mit den Schultern, „das kann man nicht so leicht bestimmen, es kommt auf das Blut und die persönlichen Fähigkeiten. Ich konnte es zum ersten Mal mit etwa 300. Wir kommen gleich an eine Straße, seid vorsichtig."
„Danke. Ich will nicht aufdringlich sein oder so, aber wie alt seid Ihr?"
„587 Jahre."
Das hat mich gar nicht beruhigt! Wenn er schon fast 600 Jahre alt ist, wie alt ist dann erst Belle? „Oh." Ich suchte verzweifelt nach einem guten Gesprächsthema. „Was haltet Ihr vom letzten Dekret der Königin?"
„Von welcher Königin sprecht Ihr, Graf?"
„Elisabeth von England natürlich!"
„Nicht das Papier wert, auf dem es geschrieben ist. Wißt Ihr, wie lange sie noch herrschen wird?"
„Ich hab in Geschichte nie richtig aufgepaßt, tut mir leid."
„Wenn Ihr in Eure Zeit zurückgekehrt seid, werdet Ihr eine Koryphäe für dieses Zeitalter sein."
Ich verkniff mir lieber die Frage, was eine Koryphäe ist, wollte mich ja nicht mehr blamieren, wie ich es schon tat und hoffte, daß es keine Beleidigung war. „Danke, aber ich werde nicht Geschichte studieren oder so etwas. Wenn ich erst einmal wieder Zuhause bin, dann ist mir genug Geschichte für mein ganzes Leben am eigenen Leibe zuteil geworden!"
„Eure Grammatik ist greulich!"
„Wenigstens versuche ich, mich wie Ihr auszudrücken! Was kann ich denn dafür, daß Ihr alle so geschwollen redet?"
„Wenn Ihr erst einmal Gälisch beherrscht, wird es Euch leichter fallen, sich wie wir auszudrücken, da Ihr von Beginn an unser Gälisch erlernt und nicht das Eurer Zeit."
„Ich hoffe es. Aber bisher kann ich gerade „Guten Tag", „Auf Wiedersehen", „ich will nicht gegessen werden", die Artikel und Zahlen!", grinste ich.
„Ihr sprecht mehr."
„Ach ja? Wollt Ihr es versuchen?"
„Es vergeht kein Tag, an dem Caitlin nicht Euer Auffassungsvermögen und Euren Scharfsinn lobt."
„Wirklich? Das ist kein Scherz?"
„Nein, es ist die Wahrheit. Ihr könnt sie selbst fragen."
„Wow! Ich war nie besonders gut in der Schule..."
„Ihr hattet womöglich nur die falschen Magister und schlechte Motivation."
Ich war vollkommen sprachlos! Das war das erste Mal
in meinem Leben, daß ich als schlau bezeichnet wurde! Ich kann es
heute immer noch nicht fassen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, mir jetzt
mal richtig Mühe zu geben. Bisher habe ich den Unterricht nur mitgemacht,
um nicht auf der Speisekarte zu landen, aber da habe ich mir vorgenommen,
mich mehr anzustrengen.
Heute ist übrigens das erste Mal, daß ich Euch tagsüber schreibe. Ich hab nicht so ein gutes Gefühl, es zu machen, wenn ein Dutzend Leute in meinem Zimmer ein- und ausgehen, aber ich habe meinem Personal freigegeben, weil heute Sonntag ist. Bestimmt würden mich die anderen für verrückt halten, wenn sie von den Briefen wüßten, aber es ist ein wichtiges Ritual für mich geworden, Euch zu schreiben - auch, wenn es nicht jeden Tag ist, wie ich ursprünglich geplant hatte. Aber ich wollte unbedingt das von gestern schreiben, bevor ich es vergesse.
Ich habe nicht mehr viel Zeit, in 20 Minuten hab ich Gälisch und vorher muß ich noch schnell was essen, ich hab den ganzen Vormittag geschlafen. Meine neuen Vorsätze kann ich nicht gerade damit in die Tat umsetzen, daß ich zu spät komme. Außerdem gibt es dann Ärger, Caitlin kann es nicht ausstehen, wenn ich sie warten lasse.
Xander
Tara gähnte laut. Obwohl sie mit ihrer Freundin Willow bei Caitlin wohnte und somit einiges an Nachtaktivität gewohnt war, wurde sie langsam müde. Als alle anderen sie ansahen, wurde sie tomatenrot. "Ähm... äh... es t... t... tut mir leid", stotterte sie.
„Das macht nichts, Kleine." Cat sah auf ihre Uhr und verzog das Gesicht. „Es ist schon zwei, wir sollten langsam nach Hause, Willow, Tara und Buffy haben Morgen Unterricht!"
Willow nickte teilnahmslos. Sie haßte das College. Nicht, daß es ihr keinen Spaß machte, aber Lehrlinge gingen nicht aufs College - mit gutem Grund. Sie hatte einen 24 Stunden-Job, mußte Cats Schatten sein, sie begleiten, beraten und ihr zusehen. Es ging nicht nur darum, daß sie Magie lernte, sie mußte auch Kontakte knüpfen und zu offiziellen Anlässen mit. Nebenbei mußte sie ein vorbildliches Childe sein; sich um ihre „Schwester" Marguerite kümmern, die nicht mal alleine jagen konnte; hatte Verpflichtungen als quasi-Childe einer Meistervampirin, Hüterin und der Anführerin der Vampire von Sunnydale; Tara; ihre Freunde; ihre Familie; die Scooby Gang; ihre Vampir-Familie und mußte sich in einer Kultur zurechtfinden, die sie immer noch kennenlernte.
Das College selbst würde sich unterbringen lassen, da der Unterricht tagsüber war, wenn die meisten Vampire schliefen und Caitlin arbeitete, aber, daß sie dort wohnen mußte, machte es unmöglich. Ihr Vertrag verlangte, bei Cat zu wohnen und sie mußte andauernd von einem Ort zum anderen, was Nachts nicht gerade ungefährlich war und ihr viel Zeit kostete. Nebenbei hatte sie ständig ein schlechtes Gewissen.
Willow war froh, wenn ihr erstes Jahr vorbei war. Denn Caitlin hatte gewollt, daß sie es versucht, um ihr ein möglichst normales Leben zu ermöglichen und sie den Anschluß zu ihren Freunden behielt. Wenn sie danach nicht weitermachen wollte und konnte, würde Cat ihre Eltern überzeugen. Willow wollte lieber nicht dran denken, wie. Natürlich wußte sie, daß sie nicht studieren konnte ohne College, aber ihren Austritt aus der Union würde sie sowieso nicht überleben...
Tara sah besorgt zu ihrer Freundin. Willow war nur noch im Streß, seit sie das College besuchte. „Wir könnten Zuhause schlafen und erst Morgen in unser Zimmer zurück, oder, Cat? Der erste Unterricht ist um zehn, wenn uns Danny fährt, ist das kein Problem."
„Tut das. Wer will mitgenommen werden?"
„Caitlin, ich wohn..."
„Außer den Leuten, die bei mir wohnen, Lisa!"
„Liebling, macht es Dir was aus, wenn Du mit Dawn nach Hause fährst und ich noch ne Patrouille mache? Ich hab diese Nacht noch gar keine gemacht. Bitte?" Weil ihre Mutter im Krankenhaus lag, versorgte sie mit Spikes Hilfe ihre kleine Schwester und führte die Galerie weiter.
Spike verzog das Gesicht, er mochte es gar nicht, wenn Buffy ihn vor anderen Leuten „Liebling" nannte. Und genau deshalb tat Buffy es immer wieder. „Kein Problem."
„Ich muß acht Leute zu mir mitnehmen, können Sie bitte Spike und Dawn zu Buffys Haus und Helen zu ihrem fahren, Mister Giles?"
„Natürlich, Doktor McKee." Er war selbst überrascht, daß er gar keine Angst hatte, mit zwei Vampiren in einem Auto zu sitzen.
„Danke, Wächter, ich hab total die Zeit vergessen, Lee und Mark werden denken, daß ich den ganzen Abend alleine gejagt habe, aber wenn Sie mich zurück bringen, glauben sie mir. Willow, das ist doch okay für Dich, wenn ich nach Hause gehe? Ich kann nämlich auch anrufen und noch ne Nacht bei Euch bleiben..."
„Danke, aber das ist nicht nötig. Ich werde jetzt sowieso schlafen und dabei bin ich nicht so interessant", lächelte Willow tapfer.
„Soll ich die Briefe hierlassen oder nehmen wir sie mit?"
„Darf ich sie haben, Mylord?", fragte Willow schüchtern.
„Natürlich, Rosenberg." Der Vampir schloß die Schatulle und reichte sie dem Lehrling seiner Schwägerin. Sein eigener Lehrling stand mit gesenktem Kopf auf und wartete auf Anweisungen.
Nachdem sich alle verabschiedet hatten, stieg jeder
in sein Auto oder ging los.
„Wie lange kannst Du wirklich bleiben, Michael?", fragte Caitlin, sobald sie die Autotüren geschlossen hatten.
„In vier Tagen werde ich in Irland erwartet. Ich werde noch einmal nach Sunnydale kommen müssen, sobald Mister Harris zurück ist, um ihn zu befragen."
„Das ist gut. Es könnte nicht schaden, wenn Du mir eine Prätorianergarde hier läßt. Die Jägerin ist zur Zeit nicht in der Lage, ihre Aufgabe vernünftig zu erfüllen - neben Harris Verschwinden ist auch noch ihre Mutter krebskrank und sie muß sich um ihre kleine Schwester und eine Kunstgalerie kümmern - und mein Lehrling leidet ebenfalls. Ich gebe zu, daß ich selbst erschüttert bin, obwohl ich wußte, daß es geschehen würde."
„Ich werde eine Garde für Dich anfordern. Sie wird sich aber im Hintergrund halten, bis sie benötigt wird."
„Danke."
Willow freute sich insgeheim. Wenn Michael drei Tage blieb, dann müßte sie die Woche mit etwas Glück nicht aufs College und er brachte ihr statt dessen ein paar Geheimnisse bei. „Es tut mir leid, daß ich im Moment nicht so ganz bei der Sache bin, Caitlin."
„Das ist verständlich."
„Sie werden Ihren Freund wiedersehen, Miss Rosenberg, Sie brauchen sich nicht um ihn zu sorgen. Caitlin, wir müssen uns gleich noch unterhalten!"
„Ja, Michael." Caitlin wußte, daß er sich wieder beschweren würde, daß Willow das College besuchte. Sie hätte vor ihm nicht darüber sprechen sollen. Sie konnte verstehen, daß es ihm nicht gefiel, ihr paßte es auch nicht, aber sie wollte Willow die Chance geben, den Anschluß an ihre Freunde zu behalten. Michael ermahnte sie jedes mal, ihm gefiel auch nicht, daß sie im Studentenwohnheim schlief, mit Tara zusammen war und der Scooby Gang weiterhin half. Caitlin wußte, daß sie sich spätestens den Wünschen des einflußreichsten Manns der Union beugen mußte, wenn Willow 21 war.
„Können wir bitte Morgen noch einmal eine Anrufung des Anubis machen, Michael, wenn Sie Zeit dafür haben?", fragte sie hoffnungsvoll.
„Selbstverständlich, Miss Rosenberg." Der Prätorianerpräfekt
respektierte Willow, aber er sah ihre Fähigkeiten bei einem weltlichen
College als schändlich vergeudet an. Wäre sie sein Lehrling,
dann würde er ihr das Universum zu Füßen legen und sie
keine Mathearbeiten schreiben lassen...
Bis auf die üblichen Zankereien der Geschwister wurde der Rest der Fahrt in angespanntem Schweigen zurückgelegt. Caitlin parkte den Minibus auf dessen Stammparkplatz vor ihrem Haus, stellte den Motor ab und stieg mit ihren Begleitern aus. Müde gingen sie durch den ausladenden Vorgarten zum Haupteingang.
Nachdem sie durch die massive Doppeltür aus Holz gegangen waren, standen sie in einer kleinen Diele, aus der eine weitere Tür führte. Damit die Vampire nicht Asche wurden, wenn die Menschen raus- und reingingen, hatten sie überall zwei Türen gebaut. Von dem großen Foyer führten Treppen und ein Fahrstuhl zu den anderen Stockwerken, zu denen die meisten verschwanden.
„Werden wir noch gebraucht? Tara und ich möchten sonst nämlich gerne auf unser Zimmer gehen."
„Ihr könnt gehen. Aber wenn Ihr wollt, mache ich Euch noch etwas zu essen. Ihr müßt doch Hunger haben! Ich kann Euch schnell ein paar Nudeln kochen..."
„Danke, Cat, aber ich mache mir nur schnell ein Müsli."
„Gut, Tara. Willow?"
„Ich auch. Wir gehen dann von der Küche gleich nach oben, ja?"
„Tut das. Gute Nacht!"
„Gute Nacht, Caitlin, Mylord!"
„Gute Nacht. Caitlin, in den Keller, bitte."
Sie hüpfte betont lässig herunter. Wenn er mit ihr in den Keller ging, dann mußte es ernst sein. Im ausgebauten Souterrain befanden sich neben Trainingshallen, einem schalldichten und magisch geschützten Bunker - scherzhaft Folterkammer genannt - und einem Bad auch einen Aufenthaltsraum, in dem man sich - besonders nachts - diskret unterhalten konnte. Meistens verkündete ihr Michael dort schlechte Nachrichten.
Der Prätorianer ging zielstrebig in das gemütliche Zimmer und ließ sich auf die einzige Couch fallen. „Nein, Caitlin, bevor Du anfängst: Es geht auch um Deinen Lehrling, aber deshalb bin ich nicht HIERHIN gekommen."
„Worüber ist es dann?"
„Man macht sich im Hauptquartier große Sorgen, Caitlin. Wir können es hier sehr leicht nicht nur mit einer zweifachen, sondern DREIFACHEN Überscheidung der Zeitlinie zu tun haben. Natürlich, wir wissen, wie es ausgegangen ist, aber wir wissen nicht mit Sicherheit, wie es ausgehen wird und wie es ausgeht."
„Aber dadurch das wir wissen, was geschehen wird, weil es für uns die Vergangenheit ist, können wir doch das Geschehen der Zukunft sicherstellen!"
„Ja, Cat, aber wir wissen, was geschehen WIRD. Das allein verletzt schon die Zeitlinie. Wir verbiegen und zerschneiden sie in diesem Fall bis in die Unendlichkeit. Es gibt einige Leute, die möchten, daß wir es nicht wieder tun..."
„Das könnte die Vergangenheit und die Zukunft zerstören!"
„Wir haben schon jetzt die Zukunft - so wie sie existieren sollte - zerstört, sie wurde schon vor Jahrhunderten zerstört. Wir sollten es diesmal in Ordnung bringen und nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen, sind sie der Ansicht. Du hast meine Unterstützung, aber ich bin Prätorianer und habe nur meine persönliche Authorität in magischen Dingen."
„Egal, was wir tun werden, Michael, wir zerstören die Kontinuität der Zeit!"
„Ich weiß..."
Willow las in ihrem Bett noch einen der Briefe. Sie konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, wo die Schatulle nur wenige Meter entfernt stand. Normalerweise hätte sie sich in den Aufenthaltsraum „ihrer" Etage gesetzt, aber weil ihr und Taras Zimmer das dritte Obergeschoß mit den Gästezimmern teilte, machte sie es lieber nicht. Michael würde sicher schimpfen, daß sie lesen wollte anstand zu schlafen. Der uralte Vampir würde nicht verstehen, wie viel Sorgen sie sich schon nach einer Woche um Xander machte.
Freitag, 16. April 93
Hallo!
Jetzt habe ich es endlich erreicht! Ich habe den ersten Monat hinter mich gebracht! Ich bin spät am Abend des 16.3.93 angekommen in diese Zeit und nun ist es zehn Uhr am Abend.
Ich bedaure, daß ich Euch in den letzten Tagen nicht geschrieben habe. Zunächst einmal war ich sehr beschäftigt und ich habe - vor allem - versucht, nicht an Euch zu denken. Nicht, daß ich Euch nicht mehr mögen würde, ganz im Gegenteil, es fällt nur leichter auf diese Weise. Ich kann eher glauben, daß es die Wahrheit ist, wenn ich mir immer wieder sage, daß ich in diese Zeit und an diesen Ort gehöre und es richtig ist, daß ich im 16. Jahrhundert bin, anstatt bei Euch, im 21. Jahrhundert und in Sunnydale.
Ihr werdet nicht für möglich halten, welches Hobby ich entdeckt habe: Lesen! In unserer Bibliothek gibt es keine sehr große Auswahl an englischsprachiger und interessanter Literatur, dafür ist die, welche es gibt, überraschend gut. Ich sitze oft abends noch in meinem Zimmer und lese oder setze mich in den Garten - die Dunkelheit ist längst nicht mehr so furchterregend, wenn man weiß, daß einen die Vampire in ihr nicht zum Abendessen nuckeln wollen. Schade, daß ich nicht während meiner High School-Zeit hierher gekommen bin, ich hätte nach meiner Rückkehr viele gute Noten in Literatur und Geschichte bekommen.
Wahrscheinlich ist das der Zeitpunkt, um eine erste Bilanz zu ziehen... Nun, ich werde es einmal versuchen:
Ich hätte es viel schlechter treffen können und nur kaum besser. Ich habe sofort und ohne Schwierigkeiten - Bleibe und Arbeit gefunden, eine neue Identität erhalten, die es mir ermöglicht, relativ wenig Verdacht zu erregen, erhalte tatkräftige Hilfe bei der Eingewöhnung und verstehe mich gut mit meinen wohlhabenden und einflußreichen - ohne Beziehungen und Geld ist man hier nichts - Gastgebern - die zudem Magier sind, die mir nach Hause helfen können und ein sehr attraktives Childe haben.
Inzwischen habe ich mich an die Kleidung, Sitten und Ausdrucksweise angepaßt, erfülle die Erwartungen, die man an mich stellt - letzte Woche hat mich Colin vor allen Mitarbeitern für meine gute Buchhaltung gelobt, beim Mittagessen haben wir uns heute NUR auf Gälisch unterhalten! - und ich fühle mich wirklich wohl.
Mit wem verstehe ich mich nicht gut? Dazu fällt mir nur Pjotr ein, obwohl ich mich nicht schlecht mit ihm verstehe, wir haben schlicht und einfach keine Gemeinsamkeiten. Wenn wir uns sehen, dann machen wir Small Talk und damit hat es sich. Was unsere „Nachbarn" angeht, kann ich noch nichts sagen, dafür habe ich zu wenige getroffen.
Im Juni wird es eine riesengroße Hochzeit geben in der übernächsten Stadt geben, dabei soll ich all den Großgrundbesitzern, britischen Verwaltern und Co. vorgestellt werden. Ich suche noch nach einer Ausrede, um nicht mitgehen zu müssen. Nach allem, was ich von der hiesigen High Society gesehen und gehört habe, ist mir allein bei dem Gedanken zum Kotzen, diesen Snobs für Tage die Füße küssen zu „dürfen"! Wie erträgt Colin das nur?!
Ich frage mich mit der Zeit, wann Belle endlich kommen
wird - nicht, daß ich mich beschwere. Wenn sie sich Colins Befehl
widersetzt, wird es hier sehr unappetitlich werden und ich kann mir eine
Menge heroischere Tode vorstellen, als in eine Sire-Childe-Fehde zu geraten...
Samstag, 17. April 1593
Heute Abend mußte Colin mal wieder mit seiner Medizintasche auf meiner Bettkante sitzen. „Legt Euch auf den Rücken. Wo habt Ihr Euch diese Verletzungen zugezogen?"
„Kennt man hier nicht so was wie Privatsphäre?!"
„Wenn Ihr es mir nicht verraten wollt, kann ich Euch leider nicht helfen."
„Ihr müßt mich behandeln, Hoheit!"
„Ihr seid Euch da sicher?", schnurrte er im Angelus-Ton.
„Aber Ihr werdet mich auslachen!"
„Nun, ich könnte heute Humor gut gebrauchen, Graf Harris."
„Schön! Wie Ihr wollt! Athena hat mich verprügelt!"
„Das war eine bemitleidenswert schlechte Lüge, Graf. Wer hat Euch in Wahrheit geschlagen?"
„ATHENA! Wie viele von den Leuten hier sind denn Prätorianer?"
„Wieso sollte mein Childe Euch züchtigen? Nebenbei bemerkt, Ihr fallt in die Ausdrucksweise Eurer Zeit zurück."
„Danke für den Hinweis, das würdet Ihr auch, wenn Ihr gerade von einem Mädchen geboxt wurdet! Nun, ich habe sie geküßt - wir waren Reiten - und dann hat sie mich mit einem Tritt von meinem Pferd befördert, hat mich geschlagen und mir gesagt, daß sie eine ehrenwerte Frau ist, die sich so etwas nicht bieten lassen muß. Wenn ich sie noch einmal anfasse, bevor wir zumindest verlobt sind, wird sie mich essen."
Colin amüsierte sich köstlich.
„Das ist nicht fair! Ich wollte sie doch nicht beleidigen! Jetzt will Athena bestimmt nichts mehr mit mir zu tun haben."
„Doch, doch, Athena wird Euch verzeihen."
„Wirklich? Sie vertraut mir doch nicht mehr! Aber woher sollte ich auch wissen, daß ich sie nicht küssen darf?", beschwerte ich mich. „Gemein!"
„Vielleicht hättet Euch einen Hinweis geben können, daß dies als unsittsam gilt in dieser Gesellschaft..."
„Und woher sollte ich das bitteschön wissen? Ich meine, es ist nicht so, als wenn ich hier aufgewachsen wäre..."
„Mein Childe neigt zu einem hitzigen Temperament, sobald sie sich beruhigt hat, wird sie Euch vergessen und vergeben. Aber ich verstehe auch Euer Problem. Es ist keinesfalls so, als wäre ich blind für Euer Interesse an meinem jüngsten Childe."
„Athena IST blind für mein „Interesse" an ihr!", schmollte ich.
„Das ist sie nicht, Graf Harris. Ich habe bereits viele Gespräche mit ihr über Euch geführt. Aber ich kann Euch nicht helfen. Ihr werdet in Eure Zeit zurückkehren. Was für einen Sinn würde es denn machen, wenn Ihr Euch hier vermählt - außer, daß Ihr Eure Gemahlin als Witwe zurücklaßt? Entweder Ihr lebt im Hier und Jetzt mit Eurem ganzen Herzen oder Ihr wartet nur, bis Eure Zeit um ist! Beides zu haben ist unmöglich!"
Colins Tonfall ließ keine Diskussion zu. Ich überhörte diese Warnung konsequent. „Ich kann nichts dafür, daß ich hierher geschleudert wurde! Wenn ich mich hätte entscheiden können, wäre ich lieber Zuhause geblieben, aber ich hatte keine Wahl und ich versuche nur, das Beste aus meiner Situation zu machen! Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme und ob überhaupt noch einmal. Vielleicht bekomme ich Morgen eine Lungenentzündung oder eine meiner Wunden eitert und ich bin in ein paar Tagen tot! Ihr habt die Ewigkeit, aber ich nicht!"
Er wechselte ins Gameface und würgte mich. „Das läßt sich sehr leicht ändern, Alexander Harris! Entweder Ihr haltet Euch an unsere Regeln oder Ihr werdet keine Chance mehr haben, Eure Meinung zu ändern! Gibt es überhaupt eine Zeiteinheit, die so klein ist, daß sie beschreiben kann, wie schnell ich Euch töten könnte?! Ich glaube nicht! Nur eine Bewegung und Euer Genick ist gebrochen! Ihr seid NICHT in der Position, um FORDERUNGEN zu stellen!", knurrte der Vampir.
„Warum tut Ihr es dann nicht einfach? Es ist eine Befreiung für Euch, wenn ich Euch nicht mehr zur Last falle!"
„Warum?", lachte Colin. „Ich töte keine Unterlegenen!"
„Das ist es also! Ich bin für Euch nur ein Zeitvertreib, ein Spielzeug!"
„Nein. Aber Ihr seid auf dem besten Weg, mein Abendessen zu werden." Er lächelte mich absolut gefühllos und mordlustig an. Pur Angelus, sage ich Euch! In solchen Momenten wird mir immer schmerzhaft klar, daß sie Onkel und Neffe sind.
Mir wurde erst jetzt richtig klar, in welche Situation ich mich gebracht hatte. Das ist das Problem mit Vampiren, die Stimmungsschwankungen ihrer Dämonen sind unberechenbar. „Kein Grund zur Gewalttätigkeit, Euer Hoheit. Ich wollte... äh... Euch nicht beleidigen oder herausfordern oder irgend etwas in der Richtung. Man kann doch alle Dinge friedlich regeln..." Besser meinen Stolz schlucken als auf dem Teller landen, tröstete ich mich.
Er lachte leise. „Ich wußte, daß Ihr mich verstehen würdet."
Wie sollte ich das denn verstehen? „Hä?" Als er in schallendes Gelächter ausbrach, machte ich einen Schmollmund. Ich kann es wirklich nicht leiden, wenn ich von Vampiren ausgelacht werde, ohne zu wissen, worüber sie lachen. „Hey! Darf ich mitlachen?"
„Entschuldigung." Er hörte sich gar nicht schuldbewußt an.
Ich warf ihm noch einen letzten beleidigten Blick zu, dann streckte ich meine Hand in einer - ich hoffte - friedlichen Geste aus. „Wieder Freunde?"
„Gut. Aber versagt Euch in Zukunft Eure vorlauten Kommentare gegenüber Meistervampiren. Ich würde nur sehr ungern auch noch Eure Beerdigung bezahlen müssen." Colin rieb Salbe auf die letzte meiner Schrammen und packte seine Medizin wieder zusammen. „Ihr habt zwei Rippen leicht geprellt, eine starke Hautabschürfung am linken Knie, den rechten Knöchel verstaucht, den linken Knöchel, Unterarm und das rechte Knie geprellt, die linke Schulter ausgerenkt."
Nachdem Colin mir die Medikamente erklärt hatte, verschwand er und überließ mich ganz meinen Grübeleien. Vielleicht hat er Recht, daß es unverantwortlich ist, mir hier ein Leben aufzubauen, wenn es nur ein Ersatz-Leben ist. Aber ich will auch nicht nur warten. Und ich würde Athena ja wiedersehen. Nur 400 Jahre später. Natürlich mache ich mir Sorgen, ob sie mich dann noch liebt, es ist eine sehr lange Zeit, aber besser als gar nichts...
Ich hatte gehofft, daß ich meine Gedanken ordnen könnte, wenn ich unser Gespräch niederschreiben würde, es noch einmal durchlesen konnte, aber das war ein Trugschluß. Ich bin noch genauso verwirrt wie zuvor. Ich bin hin- und hergerissen zwischen meinen Gefühlen für Euch und für die Menschen... Wesen hier. Vielleicht hilft es, wenn ich darüber schlafe - auch wenn meine Hoffnung nicht sehr groß ist, es ist einen Versuch wert.
Gute Nacht!
Xander
„Ich wünschte, ich könnte Dir helfen, Xander,
und wir könnten die Zeit überbrücken. Ich würde gerne
jetzt bei Dir sein. Nein, dann wäre Tara ja alleine. Wir hätten
alle zusammen in die Vergangenheit..." Willow gähnte und tat den Brief
ganz vorsichtig in seinen Umschlag zurück. Dann steckte sie ihn zu
den anderen in die Schatulle auf ihrem Nachttisch, schloß den Deckel
und schaltete ihre Lampe aus. Nach wenigen Sekunden war sie eingeschlafen.
