Disclaimer: Buffy: The Vampire Slayer gehört Joss Whedon und Mutant Enemy.
Zeitlinie: 5. Staffel, 2. Story in der Caitlin-Serie
Altersfreigabe: PG
Kapitel: 4/7
Paare: X/ATE, B/SP
Inhalt: Xander wird in die Vergangenheit geschleudert und landet in Irland bei Caitlin, Colin und seinen Childes, während Spike auf die Entfernung seines Chips bei der Union wartet.
Kommentar: Um die FanFic zu verstehen, sollte man „Caitlin" gelesen haben, muß aber nicht. Hier ne kurze Zusammenfassung vom Alternativuniversum: Buffy ist seit „Caitlin" mit Spike zusammen. Angel ist wie in der Serie nach Los Angeles gegangen, hat sich aber nicht von Buffy getrennt, sondern von seiner Frau Caitlin. Spike hat den Chip, wohnt seitdem bei Buffy. Buffy und Riley waren nie zusammen. Die Initiative wurde vernichtet von Scooby Gang und Union (Buffy hat es persönlich genommen, daß die im Gehirn ihres Freundes rumgepfuscht haben). Willow gehört noch zur Gang, ist aber zwischen ihrer Loyalität zu ihrer Meisterin und ihren Vampirfamilie und der Scooby Gang hin- und hergerissen. Tara ist bei Cat und Co. eingezogen.
Kapitel 4
Sonntag, 5. Dezember 93
Gestern Abend habe ich Colin beim Mittagessen gefragt, ob wir einen Weihnachtsbaum bekommen können.
„Was ist ein Weihnachtsbaum?"
„Ein Nadelbaum - wie Fichte, Tanne, Kiefer - der mit Kerzen oder Lichterketten, Lametta und viel anderem glänzenden, funkelnden Zeug geschmückt wird. Man stellt ihn normalerweise ins Wohnzimmer. Können wir einen haben?"
„Ich kenne nur die alte Sitte, daß man Haus, Stall und Feld mit grünen Zweigen schmückt. Aber das ist eine germanische Tradition gewesen."
„Bitte?"
„Es gibt hier kaum Nadelbäume."
„Aber wir könnten bestimmt irgendwo einen kaufen, Kerzenhaltern, um die kleinen Kerzen an die Zweige zu knipsen, und Christbaumschmuck könnten wir beim Kunstschmied in Auftrag geben."
„Ich weiß nicht, Alexander..."
„Aber ich möchte einen Baum haben! Es ist kein richtiges Weihnachten ohne Baum. Und Zuhause hatte ich nie ein richtiges Weihnachten, weil meine Eltern sich nicht um mich gekümmert haben. Ich hätte so gerne einen Weihnachtsbaum und ein richtiges Weihnachtsfest. Morgen ist schon der erste Advent und wir haben noch gar nichts geschmückt." Ich gab Colin meinen besten flehenden Hundeblick. Ich weiß, daß er dem nicht widerstehen kann!
Der Herzog wechselte einen Blick mit Caitlin, seufzte und zuckte mit den Schultern. „Na gut, wir können es zumindest versuchen. Befehle meiner Försterei, einen Baum zu schlagen, spreche mit der Kunstschmiede über den Schmuck und die Kerzenhalter. Am Besten ist, wenn Du mit Athena Zeichnungen machst und persönlich in die Stadt fährst. Was gehört sonst noch zu einem Weihnachtsfest?"
Das war einfacher, als ich gedacht hatte. „Ähm, laß mich einen Moment überlegen... Wir brauchen ein Weihnachtsessen und Geschenke für die Bescherung!"
„Ich überlasse Dir diese Aufgabe, Alexander. Organisiere alles selbst, Du bist schließlich der einzige mit persönlicher Erfahrung. Es wird eine Feier für das Personal und einen Gottestdienst in unserer Kapelle geben, das läßt sich jedoch nicht ändern."
„Kein Problem! Wir können dann ja quasi von Jul bis Neujahr durchfeiern!
Es gibt viele Geschenke und man feiert bei einem großen Festessen,
das ist SEHR wichtig!" Ich würde mir eher die Zunge abbeißen,
als Colin über das Fasten zu erzählen, von dem wir in der High
School gelernt hatten, daß es mal das ursprüngliche Weihnachten
war.
Montag, 20. Dezember 93
Cool! Morgen ist die Wintersonnenwende und wir feiern bis zum 1. Januar durch! Eigentlich ist Neujahr noch am 25. Dezember, aber ich habe Colin überreden können, daß wir es - im privaten Rahmen - richtig am 1. 1. feiern. Das bedeutet, es gibt dreimal Neujahr für uns! Samhain, der 25. und der 1.!
Ich habe es geschafft, das Haus mehr oder weniger - mehr weniger - fit für Weihnachten zu machen, habe es etwas geschmückt und der Tannenbaum steht auch schon da. Ja, ich weiß, es ist noch zu früh, aber in unserer Zeit ist perfektes Timing ein Glücksspiel. Der Förster ist über Weihnachten nicht da und deshalb hat er den Baum schon hergeschickt. Weil ich ihn nicht rumstehen haben wollte, hab ich ihn schon hochgeholt.
Mit der Dekoration und den vertrauten Festen fühle ich mich gleich ein ganzes Stück mehr Zuhause! Es ist fast, als wäre ich wieder bei Euch. Nur ohne Euch und mit meiner neuen Familie. Aber es ist schön so, endlich mal kein Weihnachten im Garten. Obwohl Caitlin etwas miefig ist, weil ich ihr ihren schönen Haupt-Salon vernadele...
Als ich vor ein paar Tagen in der Stadt war, sind wir erst nach Einbruch der Dunkelheit zurückgekommen und die Kutsche war in einem Schlammloch stecken geblieben. Als ich ausgestiegen bin, habe ich richtig gut sehen können! Und das, obwohl ich meine Lampe vergessen hatte!
Ich glaube, das Vampirblut wirkt jetzt bei mir. Ich spüre auch eine viel tiefere Verbindung zu Colin und seinen Childes. Es ist, als wären wir durch ein telepathischen Band verbunden. Ich brauche nur in ihre Augen zu sehen und weiß, wie sie fühlen. Es muß etwas damit zu tun haben, daß Colin in gewisser Weise mein Sire ist und sie meine Geschwister. Es ist ein so wunderbares Gefühl, endlich zu ihnen zu gehören! Ich bin jetzt kein Fremder mehr, den sie aufgenommen haben, sondern ein richtiges Mitglied ihrer Familie.
Und sie behandeln mich auch so! Sogar Ciara und Pjotr sind bedeutend zugänglicher, seit ich McKee-Blut in meinen Adern habe. Mit Maura verstehe ich mich übrigens auch gut. Ich stehe ihr nicht so nah wie Athena und Wulf - ich verbringe jede Nacht mit ihm, da gewöhnt man sich zwangsläufig aneinander - aber besser als mit Ciara.
Athena und ich werden bei der Wintersonnenwende ja auch unsere Verlobung feiern. Ich freue mich schon so darauf! Ich meine, Xander Harris, Eiscreme-Verkäufer und sporadischer Gehilfe der Jägerin, gibt sein Verlöbnis mit Athena, Childe von Colin, Adoptivkind eines Herzogs, offiziell eine Gräfin und Enkelin des Meisters, bekannt!
Und das war es mit der Retrospektive, besagte Verlobte kommt gerade
in unser Zimmer hereingerauscht und schlägt auf den unschuldigen Nachttisch
ein. Ich muß sie irgendwie beruhigen, bevor unser Apartment nur noch
Schrott ist.
Freitag, 31. Dezember 1593
Jetzt ist es soweit: Silvester!
Es ist ein komisches Gefühl, zu wissen, daß dieses Jahr jetzt endet. Dieses Jahr, welches ich unter normalen Umständen nie hätte erleben dürfen. Nur meine Ungeschicklichkeit im Jahre 2001, Sunnydale, Kalifornien, USA, hat mich hierher gebracht. Ins Jahr 1593, nach Irland, ins Herzogtum von Colin McKee.
Als ich ankam habe ich dieses Tag herbeigesehnt. Natürlich nicht so, wie den Tag, an dem ich zurückkehren kann, aber es war ein großer Schritt in die richtige Richtung. Damals bezweifelte ich, ob ich überhaupt bis jetzt überleben würde. Ob meine Gastgeber nicht Lust auf mein Blut bekommen würden, ich nicht einen Unfall haben, mir eine hier unheilbare Krankheit einfangen oder jemanden zu sehr verärgern würde.
Jetzt, wo das Jahr vorbei ist, muß ich zugeben, daß meine Phantasie mal wieder mit mir durchgegangen ist. Wir sind zwar in Irland, aber ich muß nicht gegen Arthurs Tafelrunde kämpfen und es kommen auch keine Leprechauns, Kobolde oder Feen, die mich entführen. Wie peinlich!
Aber man darf wohl etwas verwirrt und ängstlich sein, wenn man ohne Vorwarnung 408 Jahre in die Vergangenheit geschleudert wird!
Ich will kein Unheil heraufbeschwören - ich bin hier tatsächlich abergläubisch geworden - indem ich sage, daß alles immer leicht und einfach war. Es gab mehr als eine kritische Situation, mehr als einmal habe ich gedacht, daß ich diesen Jahreswechsel nicht mehr erleben werde. Um Himmels Willen, ich habe daran gezweifelt, daß ich den nächsten Sonnenaufgang noch einmal erleben werde!
Und jetzt sitze ich hier, in Athenas und meinem Zimmer, vor meinem Sekretär, sehe hinaus in den nächtlichen - vom Mond erleuchteten - Garten und schreibe diesen Brief an Euch. Immer noch in einem Stück, immer noch quicklebendig und immer noch mit einem einzigen Kopf.
Ja, das ist eines der Dinge, das sich verändert hat für mich. Die Nacht ist jetzt meine Tageszeit, die Dunkelheit mein Zuhause. Ich schlafe am Tag, bin wach in der Nacht. Wie die Vampire, die meine Familie geworden sind. Und wie die Frau, mit der ich hoffentlich in vier Jahrhunderten den ewigen Bund schließen werde.
Wobei man „ewig" durchaus wörtlich nehmen kann. Ich bin kein totaler Dummkopf, ich weiß, daß Athena keinen Sterblichen heiraten wird. Wieso sollte sie? Wenn sie bis dann überlebt - was ich nicht bezweifele - ist sie an die 450 Jahre alt. Und ich bin 22. Wie lange werde ich leben? Selbst wenn wir dem Höllenschlund den Rücken zukehren und ich einen normalen Tod sterbe, wird sie allerhöchstens 60 Jahre mit mir haben. Wenn man das auf eine menschliche Lebensspanne umrechnet, bin ich nicht mehr als ein Mann, mit dem sie ein paar Jahre zusammen lebt.
Wieso sollte sie mich heiraten für ein paar Jahre? Wenn sie fast ein halbes Jahrtausend gewartet hat? Ja, genau das, was Ihr denkt! Ich werde zu einem Vampir umgewandelt werden! Und wißt Ihr was? Ich habe gar kein Interesse, mich dagegen zu wehren. Ich habe die letzten Wochen darüber nachgedacht, besonders, seit wir verlobt sind. Aber es gibt keine andere Möglichkeit. Entweder Athena wandelt mich um oder ich bin nicht mehr als eine Affäre für sie.
Ich weiß, Ihr macht Euch Sorgen wegen dem Dämon. Aber die Sorge ist absolut unbegründet. Ich werde mich nicht sehr von der Person unterscheiden, die ich vor der Umwandlung war. Glaubt mir, ich habe den Vergleich gesehen zwischen der menschlichen und untoten Caitlin. Wenn ich es nicht gewußt hätte, hätte ich gar keinen Unterschied bemerkt.
Es liegt an Colins Blut. Es ist sehr stark, so stark wie das von Darla. Aber der Unterschied wird sein, daß Darla von Meister geschlagen und tyrannisiert werden wird - ich weiß das, weil er mit all seinen Childes so umgeht - und Darla wird die gleiche „Erziehung" bei Angelus weitergeben. Erinnert Ihr Euch an den Spruch? Geschlagene Kinder werden schlagende Eltern. So ist es auch bei Vampiren!
Natürlich, manchmal schlägt Colin auch seine Childes, aber entweder entschuldigt er sich später dafür oder sie hatten es wirklich verdient. Bei jungen Vampiren läßt sich eine harte Hand nicht vermeiden, anders kriegt man sie nicht gebändigt. Aber es kommt immer drauf an, wie man diese harte Hand anwendet. Athena wurde liebevoll und mit viel Geduld von Colin erzogen - genauso wie Caitlin es werden wird - deshalb wird sie mich genauso erziehen.
Natürlich gibt es ein paar Dinge, die man von einem seelenlosen Vampir nicht erwarten kann. Ich werde Menschen töten, um zu essen - aber nicht zum Spaß wie Darla und Angelus, das ist bei den McKees verpönt - ich werde vielleicht sogar auf Euch losgehen, aber dabei kann Athena mich kontrollieren. Außerdem KANN ich eine Seele bekommen. Ich weiß, daß die Union einen Zauber ohne Glücklichkeitsklausel kennt. Warum hat Deadboy mit Cat nie seine Seele verloren, hm...?
Oh, ich schweife definitiv vom Thema ab, das sollte ein Rückblick aufs letzte Jahr sein, keine Spekulation über die Union und Angels Liebesleben.
Gut, kommen wir zu meinen Stiefgeschwistern: Von Belle haben wir nichts mehr gehört. Maura finde ich ganz nett, obwohl ich ihr nicht SOO besonders nahe stehe. Wir unterhalten uns manchmal, ich kann gut mit ihr Kalkulationen machen und sie hat für Belle meinen Französisch-Unterricht übernommen.
Mit Pjotr ist es - wie ich in einem der vorigen Briefe schon mal erwähnt hatte - etwas merkwürdig. Er ist super-freundlich, hilfsbereit, man kann sich - wenn er mal den Mund aufkriegt - gut mit ihm unterhalten, aber er ist der große Schweiger. Ihr könnt ihn Euch ungefähr wie Angel vorstellen, nur mit blonden Haaren und blaugrünen Augen. Auch ein absoluter Frauentyp, obwohl er sich für Frauen nicht interessiert. Zugeben, er zeigt an nichts groß Interesse außer Büchern und der Harfe, aber bei Frauen ist es extrem. Athena behauptet felsenfest, daß er schwul ist, aber ich hab mich noch nicht getraut, ihn darauf anzusprechen.
Wulf habe ich inzwischen sehr gut kennengelernt, obwohl ich mit ihm auch anfangs Probleme hatte. Er unterrichtet mich jede Nacht drei Stunden, von neun bis zwölf. Dann lerne ich von ihm Taktiken, Geschichte, Sprachen, Kämpfen und alles, was Ihr Euch vorstellen könnt. Er ist sehr intelligent, interessiert sich für viele Dinge. Man kann sich gut mit ihm unterhalten, wenn wir frei haben reiten wir oft zusammen aus. Außerdem hilft er mir immer aus der Patsche, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Wulf ist ein richtiger großer Bruder für mich.
Mit Ciara verstehe ich mich inzwischen auch besser. Wir verbringen nicht mehr Zeit miteinander, als wir müssen, aber wenn wir zufällig im selben Raum sind, herrscht auch kein betretenes Schweigen. Sie ist relativ alt und erzählt oft zusammen mit Colin Geschichten über das keltische Irland und die Wikinger, wenn wir zusammen am Kamin sitzen. Mehr ist es auch nicht. Ich könnte mich mit ihr vielleicht anfreunden, aber Athena hat mir unmißverständlich klargemacht, daß sie es nicht schätzt, wenn ich zuviel Zeit mit anderen Frauen verbringen.
Die anderen zwei Childes von Colin kenne ich nicht, manchmal wurden sie erwähnt, aber ich kann mich nicht mal richtig an die Namen erinnern. Einer hat was mit satanisch im Namen, glaube ich.
Bleibt noch Caitlin über, meine zukünftige Schwester. Ich habe mich mit Absicht von ihr ferngehalten - ich will Colin nicht verärgern und habe Angst, daß ich mich mal verplappere. Trotzdem sehe ich sie jeden Tag, begleite sie öfters in die Stadt. Sie ist sehr freundlich, höflich, eine liebenswürdige Frau. Und die perfekte Ehefrau in unserer Zeit. Das ist mir am meisten aufgefallen. Sie hat Angel oft die Meinung gesagt - auch vor anderen - aber diese Caitlin tut das nicht. Sie ist die ergebene Gemahlin, immer treu, dienend und sanftmütig. Fast immer. Manchmal kann auch ihr der Kragen platzen.
Colin behandelt sie sehr gut, viel besser als die Männer unserer und sogar Eurer Zeit. Sie trifft Entscheidungen mit - sowohl familiäre als auch geschäftliche - sie arbeitet im Hintergrund mit, darf tun und lassen was sie will - solange sie nicht mit anderen Männern flirtet, beide sind rasend eifersüchtig. Außerdem läßt er Caitlin ihr eigenes Geld behalten, gibt ihr sogar welches, damit sie im Falle einer Scheidung nicht leer dasteht, er behandelt sie gut, schlägt sie so gut wie gar nicht. Colin verlangt noch nicht einmal den Gehorsam und die Anbetung, die sie ihm entgegenbringt.
Überhaupt kann ich Colin nur loben. Gut, es stimmt, was in den Wächter-Tagebüchern steht, er mordet, er ist rücksichtslos zu Anderen - geradezu feindselig - hält sich nicht an die Loyalität unter Vampiren, tut nur das, was für seine eigenen Familie und ihn selbst gut ist. Aber gerade das rechne ich ihm hoch an. Er verteidigt seine Familie, auch, wenn er sich dadurch bei anderen Vampiren unbeliebt macht, ist immer fair zu seinen Leuten, erzieht seine Childes liebevoll, behandelt das Personal mit Respekt, schützt seine Menschen vor anderen Vampiren und tötet nur, um zu Überleben.
Ich habe noch nie erlebt, daß Colin oder einer seiner Angehörigen einen Menschen aus reiner Blutlust ermordet hat. Er versucht - wann immer es geht - zu vermeiden, jemanden zu töten, trinkt meist nur etwas vom Blut seines Opfers und läßt es leben. Wenn er tötet, dann sind es oft Verbrecher. Auch als wir den Ball hatten, hat er nur Schwerverbrecher verfüttert.
Vampire, die sich in seinem Herzogtum aufhalten oder es durchqueren wollen, ist sogar verboten, zum Jagen zu töten. Er ist ein strenger Meistervampir, der auch im Sinne seiner menschlichen Untertanen handelt. In der Woche erlaubt er zum Beispiel nur 25 Übernachtungen von fremden Vampiren und Dämonen, diese müssen sich strengen Regeln unterwerfen. Auch seinen eigenen hat er verboten, zu morden und sie dürfen nicht umwandeln, damit es nicht zu viele Vampire gibt.
Natürlich ist das auch Eigennutz. Als Herzog steckt er in der Patsche, wenn er als Meistervampir seine hörigen Bauern verfüttert. Keine Bewohner heißt keine Pacht, also kann er nicht seine Pacht zahlen. Wenn man bedenkt, daß ein Vampir leicht 15 Menschen in der Woche vernascht, ist das schnell ein Problem - Ihr müßt im Auge behalten, daß das Land in unserer Zeit nur ganz, ganz dünn besiedelt ist.
Trotzdem mag er die Leute, die auf seinem Land leben und er ist nicht wirklich ein brutaler Killer. Technisch gesehen ist er es natürlich, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Stellt Euch mal vor, der Meister, Darla, Angelus oder ein anderer von seiner lieben Verwandtschaft würde an seiner Stelle stehen. Würden die genauso umsichtig handeln?
Na also! Außerdem ist Colin sehr nett. Ich verstehe mich gut mit ihm und es war wirklich großzügig, daß er mich in der einen Nacht aufgenommen hat, ohne zu wissen, wer ich bin. Er hätte mich genausogut essen, der Polizei übergeben oder rauswerfen können. Ich hätte mich zumindest nicht aufgenommen!
Ich vermisse Euch natürlich immer noch, denkt nicht, ich hätte Euch vergessen, aber es ist hier erträglich geworden. Ich mag mein Leben wieder! Wieder? Zugegeben, eigentlich habe ich mich noch nie so gut gefühlt wie jetzt. Das hat aber nichts mit Eurer Freundschaft zu tun! Es ist nur, daß ich hier zum ersten Mal beweisen darf, was ich wirklich kann. Ich mache keine Aushilfsjobs mehr, ich habe keine Freundin mehr, die sich für mich schämt oder mich ständig nur ins Bett zerren will, und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine richtige Familie!
Wißt Ihr, ich habe mir als Kind immer gewünscht, so eine Familie wie die McKees zu haben. Eine Familie, die mich mag, bei der ich willkommen bin... Daß sie reich und adelig sind, ist nur eine Nebensache. Ich würde mich genauso wohl fühlen, wenn wir in einer von diesen kleinen, verzerrten, modrigen Baracken leben würden. Natürlich ist es auch schön, daß meine Familie keine Miete für ein Kellerzimmer verlangt, wir ein schönes Haus haben, ich mich nicht für sie schämen muß und sie mich verwöhnen. Aber wenn sie trinken und rauchen würden, dann könnten sie noch so reich sein und ich würde mich nicht wohlfühlen.
Alles in allem war es ein wirklicher Glücksfall, daß ich in den Wirbel gestolpert bin. Ich hoffe nur, daß Ihr diese Briefe bekommt. Ich vertraue der Magie nämlich nicht mehr, seit ich von Dämonen gejagt wurde, Vamp-Willow in unsere Dimension kam und ich in einen Zeit-/Raum-Strudel gefallen bin. Es kann immer noch etwas schief gehen und dann sollt Ihr wissen, daß es mir gut gegangen ist.
Okay, Caitlin wird Euch inzwischen von meiner Reise in die Vergangenheit berichtet haben, aber Ihr sollt es auch persönlich von mir erfahren. Jetzt ist es nur noch ein halbes Jahr bis zu unserer Abreise zum Hauptquartier. Das bedeutet, ich muß mir jemanden suchen, dem ich vertraue und der die Briefe für Euch aufheben kann. Der einzige, der mir bisher eingefallen ist, ist Michael. Es muß jemand sein, der nicht zu uns gehört, damit ich doppelte Sicherheit habe.
Na ja, ich werde mir noch überlegen, wie ich das mache. Ein halbes Jahr ist noch eine lange Zeit...
Xander
Freitag, 14. Januar 94
Heute habe ich zum ersten Mal seit Monaten richtiges Heimweh! Es ist nicht verwunderlich, da heute mein Geburtstag ist.
Ich werde 21 Jahre alt und niemand hier weiß es. Niemand hat mich gefragt, wann ich Geburtstag habe und ich habe es auch nicht von mir aus gesagt. Ich wollte nicht, daß sie sich verpflichtet fühlen, ein großes Fest für mich zu geben. Es gibt nämlich keine kleinen Feste, nur diese bombastischen Bälle - wenigstens nicht bei gewissen aristokratischen Vampiren - und das kostet immer ein VERMÖGEN.
Also werde ich ganz in Ruhe und für mich alleine feiern. Es ist keine große Sache, ich habe es schon oft gemacht. Darum, daß meine Eltern betrunken aufkreuzen, brauche ich mir zumindest keine Sorgen zu machen! Man muß alles positiv sehen, das ist die einzige Möglichkeit, bei einem solch verrückten Leben nicht den Verstand zu verlieren.
Ich sitze jetzt im Garten mit meinen Schreibutensilien. Es ist schön, noch einmal in der Sonne zu sein. Ich habe gar nicht gemerkt, daß es so lange her ist. Ich bin richtig blaß geworden, so, wie es bei uns Mode ist. Beinahe vampirisch blaß. Meine Familie findet es gut. Ich habe mich erschrocken, als ich mich heute Morgen im Spiegel angesehen habe.
Gerne würde ich noch einmal einen langen Ausritt machen oder mich einen ganzen Abend bei einem kultivierten Buch langweilen. Aber dazu habe ich keine Zeit. Ich bin den ganzen Tag, oder besser gesagt die ganze Nacht, im Streß. Ein halbes Jahr ist für eine einzige Person lange, aber um eine einjährige Reise einer 200köpfigen Reisegesellschaft zu planen, ist es nicht viel Zeit. Nach ersten Berechnungen werden wir auf mehreren Etappen 640 Pferde brauchen und 250 Truhen mitschleppen müssen!
Könnt Ihr Euch vorstellen, was das für eine Arbeit ist? Ich bin nach ein paar Wochen schon fest davon überzeugt, daß wir NIEMALS rechtzeitig fertig werden! Es ist ja nicht nur, daß wir eine Route erarbeiten und die Truhen verteilen müssen. Wir müssen Abmachungen treffen, daß wir Proviant geliefert bekommen, Zwischenstopps bei Adelshäusern abstimmen, bei Reiterhöfen Pferde vorbestellen und die Unterbringung der anderen regeln, nebenbei mit den Herrschern des durchquerten Gebiets Verträge machen und, und, und...
Es ist schlimm! Wir haben eine Planung noch nicht abgeschlossen, dann kommt schon die nächste! Und ich muß in zwei Wochen bei meiner Zenturie sein! Autsch! Das fällt mir in dem Moment erst wieder ein! Das kann ja heiter werden! Es tut mir leid, aber ich muß jetzt sofort rein!
„Das ist typisch Xander! Weiß seit über einem halben Jahr, daß er nach Galway muß und dann fällt es ihm zwei Wochen vorher wieder ein!"
„Genau! So was kann nur er!"
Samstag, 15. Januar 94
Colin hat mir eine Standpauke über Verantwortungsbewußtsein, Erinnerungsvermögen und Schlamperei gehalten, die sich gewaschen hat! Danach hab ich mich richtig wie der letzte Dreck gefühlt!
Aber zum Glück habe ich meine Athena, sie hat mich wieder aufgemuntert. Sie ist so liebenswürdig, ich werde sie sehr vermissen.
Es sieht nun so aus, als würde ich nächste Woche Montag abfahren. Auf diese Weise kann ich noch ein oder zwei Tage in Galway bleiben und mich mit ein paar zukünftigen Kunden von uns treffen. Danach geht es weiter zur Zenturie. Die erste Woche besteht aus Tests und wir müssen denen zeigen, was wir gelernt haben. Danach besuche ich - je nach dem Testergebnis - eine Nachschulung oder habe den nächsten Lernblock. Drei Wochen.
Wenn ich das nächste Mal hinmuß - Anfang September - sind wir noch auf dem Weg zum Hauptquartier. Dafür werde ich es dort nachholen, sofort nach unserer Ankunft. Es ist eine große Ehre, das Hauptquartier besuchen zu dürfen - macht sich auch sehr gut in der Dienstakte. Daß ich dort sogar den nächsten Ausbildungsblock mache, darauf kann ich mir sehr viel einbilden!
Und das Beste ist, daß ich auch noch den vierten Block dort mache!
Im April! Das paßt perfekt, weil ich im Mai wohl zurück kann.
Ein sehr guter Nebeneffekt ist, daß mein nächster Block dann
erst im November ist. Das läßt mir mehr als genug Zeit, mich
einer neuen Zenturie und Garde anzuschließen, meinen Gardekommandanten
kennenzulernen und mich an seinen Ausbildungsstil zu gewöhnen.
Samstag, 26. Februar 93
Okay, das war überhaupt nicht lustig! Wir mußten uns beim Kampftraining durch einen Dschungel hangeln und ich bin unglücklich gefallen, als ich ein Kunststück machen mußte. Jetzt hab ich einen Bänderriß im linken Fuß!
Ich verstehe auch nicht, warum wir all die Pirouetten und Flips und dies alles beherrschen müssen. Ich möchte doch kein Eiskunstläufer werden, sondern ein Prätorianergardist! Außerdem bin ich nicht gut in Akrobatik. Dann hätte ich doch sofort zum Zirkus gehen können!
Der Heiler hat gesagt, daß ich den Fuß erst in zwei bis drei Wochen wieder voll belasten kann. Das ist großartig! Ich habe ohnehin nur vier Monate, bis wir abreisen - und unterwegs kann Wulf mir nicht sehr viel Praxis beibringen - und jetzt fehlen mir noch mal drei Wochen! Dabei habe ich wirklich nicht zu viel Zeit!
Wenigstens ist der Ausbildungsblock am Montag abgeschlossen. Centurio
Karz hat mir gesagt, daß ich trotzdem gewertet werde, weil mir nur
zwei Tage fehlen und meine Leistungen außergewöhnlich gut waren.
Trotzdem bin ich sehr wütend auf die Ausbilder! Aber ich darf mich
nicht beschweren, sonst wird mir Colin zeigen, was es bedeutet, ein paar
JAHRE im Bett zu liegen...
Freitag, 4. März 94
Jetzt bin ich wieder Zuhause! Ich war überrascht, daß Colin gar nicht wütend auf mich ist. Ich hatte damit gerechnet, daß er mir viele Vorwürfe macht, weil ich wegen meiner Verletzung nicht mit Auszeichnung abschließen konnte. Aber als ich ihn darauf angesprochen habe, hat er nur gelacht und gesagt, daß ich immer noch der gleiche Idiot bin wie vor einem Monat. Wenn Colin das sagt, ist es ein Kompliment!
Athena fühlt sich nun berufen, mich zu bemuttern. Sie hat zuerst zwar auch geschimpft, sagte, daß ich mich nicht so ein Mensch sein solle - das bedeutet bei ihr, ich soll mich nicht so ungeschickt anstellen - und ich müßte vorsichtiger sein, wenn ich Stunts mache. Sie hat mir aber - großzügig, wie sie ist - verziehen. Dafür meint meine Verlobte nun, daß ich mich nicht bewegen dürfte, damit ich nicht noch einmal falle.
Nun will sie mich versorgen. Wenn man krank ist und von einer Vampirin
versorgt wird, muß das nicht unbedingt angenehm sein. Sie hat nämlich
völlig vergessen, was ein Mensch braucht. Wenn ich etwas zu trinken
haben will, bringt sie mir Blut! Aber es ist süß, daß
sie es versucht. Vielleicht ist mein Unfall ja doch noch zu etwas gut...
Sonntag, 20. März
Gestern Abend hat mich Colin untersucht und für gesund erklärt. Somit hatte ich in dieser Nacht meinen ersten intensiven Kampfunterricht seit drei Wochen. Ich bin nun erschöpft, meine Kondition hat etwas nachgelassen.
Wulf hat mir versichert, daß sich meine Fähigkeiten nicht verschlechtert haben. Die letzten Wochen konnte ich nur leichten Unterricht nehmen, überwiegend asiatische Kampfsporte, aber nun hatte ich auch wieder Schwertkampf und Selbstverteidigung.
Der Countdown für unsere Abreise läuft unaufhaltbar. Im April fängt auch die heiße Phase an. Dann kann ich mir keine Auszeit mehr erlauben.
Michael hat uns und seinen Childes eine Botschaft gesandt, als er den Kanal überquert hatte. Er wird in den ersten Tagen des April bei uns eintreffen. Seine Familie ist nach England gefahren, um ihn dort abzuholen. Das bedeutet, daß wir mal wieder ein volles Haus bekommen. Aber das ist nicht schlimm, ich freue mich immer auf Besuch. Außerdem hat Michael geschrieben, daß er das neueste Familienmitglied - das bin ich - unbedingt kennenlernen will!
Aber er wird leider nicht so lange bleiben können. Sammy wird mit uns zum Hauptquartier fahren - als Vertreter von Michaels Herzogtum - und solange muß Michael sein Land selbst verwalten. Es ist verständlich, daß er ihm nach mehr als drei Jahrzehnten einiges zu berichten hat und ihn wieder einarbeiten muß.
Von unserer Seite werden im Übrigen Caitlin und Colin, Pjotr, Wulf, Athena und ich fahren. Ciara und Maura wird die Verwaltung des Herzogtums anvertraut - bei offiziellen Anlässen wird Michael sie vertreten.
Was wir an Hofstaat mitnehmen, ist schon beeindruckend! Jeder von uns wird von zwei Pagen begleitet werden, die Damen haben fünf Kammerzofen und die Herren drei Kammerdiener. Daneben sollen uns begleiten: An die 20 Küchenangestellte, Huf- und Kunstschmiede, Schneiderinnen, Wäscherinnen, Schuster, Boten, Pferdepfleger und Kutscher. Eventuell nehmen wir auch Dolmetscher, Schreiber und Maler mit, aber dabei sind wir uns noch nicht ganz sicher. Selber brauchen wir keine Dolmetscher und Schreiber, aber den Bediensteten könnten sie von Nutzen sein. Und bei einer solch großen Reisegesellschaft wird es auf eine Handvoll Menschen mehr oder weniger auch nicht ankommen...
Inzwischen haben wir - bis auf ein deutsches Adelshaus - die Durchreise von allen Herrscherhäusern erlaubt bekommen. Bei diesem Landesherr sind wir ebenfalls guter Dinge. Wenn er sich weigert, nehmen wir eben einen kleinen Umweg von zwei Tagen, das ist auch kein Dilemma.
Es ist eine kuriose Story, die dazu gehört: Michael hatte bei einem Streifzug durch Europa den Ururgroßvater des jetzigen Herrschers getroffen. Dieser klagte, daß er keine Frau für seinen Sohn fand, weil keines der adligen Mädchen, die man ihm vorstellte, seinen Erwartungen entsprach. Weil Michael mit Rhiannon unterwegs war, stellte er sie - aus Höflichkeit - vor... Ahnt Ihr, was passiert? Genau! Er war begeistert und bot Michael sofort an, zu kaufen. Dafür wollte er sogar Land abgeben.
Michael hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber er schuldete dem - was war er noch mal? Ich vergesse immer den Titel. Irgendwas mit Graf oder Fürst - wem auch immer, einen großen Gefallen und er konnte nicht raus, ohne sein Gesicht zu verlieren. Eine Hochzeit ist nur ein Geschäft, die zukünftigen Eheleute haben dabei nichts zu sagen, vor allem nicht die Frauen. Hätte er die Hochzeit verweigert, hätte er also diesen einflußreichen Adligen zutiefst beleidigt, stimmte er zu, verkaufte er sein Childe.
Die einzige Möglichkeit, die er noch sah, war, ehrlich zu sein. Wenn die Braut nicht zur Trauung vor der Kirche kommen konnte - weil sie am Tag stattfand - spätestens, wenn sie ihm in den Hals biß, wäre der frisch angetraute Gatte stutzig geworden...
Um es kurz zu machen: Seitdem sind unsere Häuser verfeindet!
Ich muß meinen Brief nun beenden, sonst komme ich zu spät
zum Frühstück.
Montag, 21. März 94
Heute haben wir mal wieder ein Fest - Ostara, die Frühjahrs Tag- und Nachtgleiche. Aber es ist nicht das gleiche wie sonst. Beim Mittagessen, wenn selbst die größte Vampir-Schlafmütze wach ist, will Colin darauf hinweisen.
Mehr wird es nicht an Feierlichkeiten geben. Warum? Wir haben einfach
keine Zeit! Ich weiß, das hört sich albern an, wir wußten
seit Monaten, daß wir am 01. Juli abfahren, aber es gibt trotzdem
sehr viel zu tun. Ich muß zusätzlich noch mein Training nachholen
von den letzten drei Wochen. Keine Zeit zum Ausruhen und feiern diesmal...
Dienstag, 5. April 94
Wir saßen diese Nacht im Konferenzraum über Beschwerden von hörigen Bauern und diskutierten, wie wir ihre Lebenssituation verbessern können, als ein Diener aufgeregt reinkam. Der Raum ist sehr schön, strahlt Eleganz und Würde aus - wie das ganze Anwesen. Er ist im Stil des restlichen Büros eingerichtet mit Vertäfelungen aus Mahagoni, Marmorboden, kristallenen Kronleuchtern, schweren Garnituren aus schwarzem Leder, dunkelgrünem und royalblauem Samt, schweren, mit Goldfäden bestickten purpurnen Brokatvorhängen. Zugegeben, die Farben sind etwas ZU bunt, aber in unserer Zeit kann es gar nicht bunt und pompös genug sein.
Jedenfalls, der Diener, einer von Colins menschlichen Pagen, kam buckelnd herein, nachdem er an den Flügeltüren geklopft und Colin ihn grob „hereingebeten" hatte. Er kann es nicht ausstehen, wenn man ihn bei der Arbeit oder beim Essen unterbricht. „Was ist denn jetzt schon wieder, Leonard?", seufzte er.
„Mylord, ich bin untröstlich, Euch unterbrechen zu müssen, aber ich dachte, Ihr möchtet sofort in Kenntnis gesetzt werden. Ihre Hoheit Michael Herzog von.."
Ich hätte zu gerne den Adelstitel gehört, den der Diener gerade sagen wollte. Die McKees machen ein großes Geheimnis darum. Aber ein anderer Mann, der aus dem Nichts hinter ihm erschien und etwas an seinem Genick machte, unterbrach ihn. Zuerst dachte ich, er hätte ihm das Genick gebrochen, aber er ist später wieder erwacht.
Der Mann machte ein paar Mal „tz", schüttelte den Kopf unzufrieden und funkelte den Bewußtlosen aus goldenen Augen an, „wann werdet Ihr endlich lernen, daß Ihr nicht zum Denken da seid, Menschen?"
Etwas ängstlich sah ich mir den Vampir genau an. Seine Kleidung war die Mode des Hochadels auf dem Festland, Stile und Jahrhunderte munter gemischt. Er trug ein Hemd aus Goldbrokat, den so beliebten Hosenlatz - an den ich nur denken muß und werde knallrot! - grüne Strumpfhosen, eine kurze Jacke aus rotem Samt, ein großes Barett, was mit Federn, Broschen und Edelsteinen überhäuft war, Halbstiefel, lange rotblonde Haare und einen knallroten Bart. Er sah aus wie ein Papagei!
Ich hätte laut losgelacht, wenn er nicht den eiskalten Mörderblick in den Augen gehabt hätte, bei dem mir immer ein Schauer über den Rücken läuft. Also senkte ich den Kopf und betete, daß sich unter mir ein Höllenschlund bildete, bevor mich Michael töten konnte.
Colin stand auf und umarmte den Mann. „Ceallach, mein Bruder! Ich habe Dich vermißt!"
„Coileán! Du siehst gut aus. Für einen 700 Jahre alten Mann!", lachte er.
Ich hatte Schwierigkeiten, das uralte, keltische Gälisch zu verstehen, aber ich kriegte genug mit, um zu verstehen, daß Michaels leiblicher Name Ceallach sein mußte. Keine Überraschung, wo ich gelernt habe, daß es Krieg, Streit heißt. Es paßt irgendwie zu ihm. Ich kann jetzt verstehen, daß er sich inzwischen nur noch bei seinem Spitznamen nennt.
„Paß auf, daß ich Dich nicht in Rente schicke, Großmaul!"
„Versuch es doch! Ich sehe, Deine Familie hat Zuwachs bekommen?"
„Das stimmt. Mein Stiefsohn Alexander Lavelle Harris. Xander, dies ist mein Bruder Ceallach, Du kennst ihn besser als Michael."
Ich senkte meinen Kopf, „Mylord, es ist mir eine Ehre, Euch zu treffen."
„Wenn Ihr mit mir sprecht, Mensch, dann seht mir in die Augen. Verstanden?!"
„Jawohl, Mylord."
„Und nun hört mit dem verdammten Mylord auf! Ich bin nicht der Pontifex!"
„Bitte verzeiht mir, Sir." Ich blieb still sitzen, während Michael Wulf und Pjotr begrüßte.
„Laßt uns Feierabend machen und was eine Kleinigkeit essen, ja?", fragte Colin danach.
„Danke, Coileán. Ich bin sehr hungrig!"
„Wir können in einen Salon gehen, die Damen rufen lassen und uns ein paar Kannen Blut bringen lassen..."
„Gute Idee!"
Den Rest der Nacht verbrachten wir im Hauptsalon bei Blut, Wein, Ale und Michaels Geschichten von seiner Expedition. Er kann wunderbar erzählen!
Und Michael schien noch nicht einmal schockiert zu sein über die Verlobung von Athena und mir. Er hat uns sogar gratuliert! Ich hatte damit gerechnet, daß er schimpft.
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß Michael einmal so ausgesehen hat!"
„Das war noch einer seiner geschmackssichereren Tage", grinste Caitlin von der Tür.
„Hi Cat!"
„Na, wie ist es mit dem Geschäftspartner gelaufen?"
„Super! Ich hab das Hotel auf Mallorca der Bank abgekauft und mit dem Geschäftsführer habe ich gleich den Umbau zur Schönheitsfarm abgesprochen. Er hätte die Kaufverhandlungen selber führen können - ich vertraue ihm - aber wenn es um eine dreiviertel Million Dollar geht, vertraue ich niemand!"
„Das war SO teuer? Lohnt sich das denn - nur für eine NEBENSTELLE Deiner Schönheitsfarm in den Almen?"
„ALPEN, Buffy. A-L-P-E-N. Viele der Kunden in Bayern haben Interesse an Wellness im Süden gezeigt. Außerdem ist der Markt dort noch nicht so überschwemmt wie in Mitteleuropa. Ich weiß, ich hätte für das Geld ein Grundstück kaufen und nach meinen Bedürfnissen bauen lassen können. Aber die Lage ist einmalig schön! Und wenn die Regierung nicht gesagt hätte, daß diese Bettenburg anderweitig genutzt oder abgerissen wird, hätte ich mindestens zweieinhalb Millionen hinblättern müssen! DAFÜR kriege selbst ich - und ich bin wirklich nicht arm! - keinen Kredit."
„Du hättest uns mitnehmen sollen, als Du es besichtigt hast. Ich wollte mir immer schon mal Spanien ansehen."
„Ich war nicht da, Buffy, sonst hätte ich ja den Bankmann nicht kommen lassen. Es scheint zu viel die Sonne dort. Ich war einmal in Katalonien mit Colin - im 17. Jahrhundert. NIE WIEDER!"
„Schade, es ist bestimmt schön in Europa", sagte Tara traurig.
„Hey, ich hab doch noch mehr Objekte da. Laß mich mal kurz nachdenken... Da haben wir die Länderein in Irland, ein Teil hat Michael gekauft, der Rest ist an seine Bio-Firmen verpachtet - ich bin ne miese Landwirtin - in den Stallungen ist ein Gestüt, die Gesindelhäuser sind ein Hotel. Aber das Haupthaus gehört immer noch uns, einige von unserer Familie leben dort."
„Wow! Ich hab gewußt, daß Du ne gute Managerin bist, aber das... Können wir irgendwann Mal da hinfahren? Ich würde gerne Irland sehen."
„Wenn Xander zurück ist, könnt Ihr es gemeinsam machen."
„Gute Idee!"
„Okay, dann sind da noch ein paar alte Häuser in Galway, Dublin und zwei in London, die sind an Feriengäste vermietet. Wenn Ihr nach London wollt, laßt Euch Angelus' Schlüssel geben, er hat ein größeres Haus dort. Wenn ich mich richtig erinnere, ist noch Gold im Weinkeller", schmunzelte Caitlin.
„Angel hat ein Haus in London?", wiederholte Buffy überrascht. „Das kann ich mir nicht vorstellen!"
„Und ob er das hat! Der Meister hat von seinen Opfern viel gestohlen, aber er wollte immer im Dreck leben, darum hat er es seinen Childes vermacht. Ich weiß nicht, was die anderen kriegten, aber Colin, Michael und Darla schenkte er Geld, Schmuck und Häuser. Weil Darla ein großes wollte, gab er den Jungs zwei kleine. Sie hat es Angelus gegeben, als sie sich mit dem Meister zerstritt", erklärte Willow.
„Deshalb hat Angel es mir verschwiegen! Er dachte bestimmt, ich würde sauer sein, weil er ein Geschenk seines Sires behalten hat", dachte Buffy laut.
„Das ist gut möglich! Was besitze ich noch in Europa? Die Blockhütte in Norwegen, die Danny und ich zusammen haben, ein Häuschen in der Schweiz, die Schönheitsfarm in Bayern. Sie hat 400 Betten und alles, was das gestreßte Herz begehrt! Ich wollte 81 eigentlich wieder in den Ort ziehen und mich als Allgemeinärztin niederlassen. Deshalb habe ich dort ein großes Privathaus bauen lassen."
„Wieder? Heißt das, Du hast schon mal in Deutschland gelebt?"
„Ich liebe es, wenn Berge, Wiesen und Schnee zusammenkommen. Colin hat mir im 16. Jahrhundert Deutschland gezeigt und seitdem bin ich immer wieder zurückgekommen."
„Kitten, wann kann ich endlich in das verdammte Hauptquartier?!"
„Nenn mich noch einmal Kitten und ich hol Dir den Chip persönlich raus, Riesenbaby!"
„Du längst mich nicht mehr Riesenbaby und ich nenn Dich nicht mehr Kitten, Deal?"
„Deal! Ich hab mit der Medizinischen Abteilung telefoniert, die Simulationen sind abgeschlossen. Du kannst Ende übernächster Woche operiert werden. Michael will, daß Du nächsten Donnerstag hinkommst."
„Was ist mit meiner Besuchererlaubnis? Ich lasse Spike nicht alleine da hin!"
„Buffy, er ist in den Händen der besten Ärzte der Welt dort. Du kannst bei der Operation ohnehin nicht dabei sein."
„Aber ich will da sein, wenn er aufwacht!"
„Ich werde ohne Buffy nicht fahren!"
„Ich ruf da noch mal an. Lest Ihr ruhig weiter."
Sonntag, 10. April
Ich kann Michael jetzt schon ein ganzes Stück besser leiden! Ich habe nicht viel Zeit unter vier Augen mit ihm verbracht, aber er scheint mir ein ganz sympathischer Vampir zu sein.
Am Besten ist, daß er gut erzählen kann. Und er hat sogar angeboten, mit mir zu lernen! Als ich ihm erzählte, daß ich verletzt war und nicht viel Zeit habe, mich auf die nächste Prüfung vorzubereiten, weil wir ins Hauptquartier fahren, war er sofort einverstanden, Wulf zu unterstützen. Er ist immerhin der Präfekt der Prätorianischen Garde!
Aber ich bin überrascht, wie schnell und drastisch sich die Prätorianergarde in den nächsten vier Jahrhunderten verändern. Zugegeben, 400 Jahre scheinen eine lange Zeit zu sein. Aber für uns Unions-Mitglieder sind sie es nicht wirklich. Als Vereinigung von Magiern unter dem Namen Union wurde sie ungefähr 1000 Jahre vor Beginn der modernen Zeitrechnung gegründet. Alte Dokumente datieren die Ursprünge auf 3000 vor Christus. Dafür ist es keine lange Zeit.
Was sich geändert hat? Viele kleine Dinge, die ein großes ergeben, nichts dramatisches. Oder besser gesagt, mir ist nichts dramatisches aufgefallen. Jetzt habe ich Insider-Informationen, in Eurer Zeit war ich nur ein lausiger Beobachter. Nehmen wir als Beispiel die Zeit. Michael ist bereits Präfekt und er hatte die letzten 30 Jahre nicht die Möglichkeit, die Prätorianer zu kommandieren. Niemand hat das auch nur im Geringsten gestört. Und in Eurer Zeit? Er hat ein Dutzend Privatflugzeuge und -hubschrauber, jettet gestreßt durch die Weltgeschichte.
Oder etwas anderes: Auch im privaten Bereich werden die Prätorianergardisten uniformähnliche Kleidung tragen. Die schwarze Kleidung, entweder Anzüge oder Vampir-Look. Heute tragen wir normale Kleidung. Die Kleidung, die uns gefällt. Selbst, wenn wir darin absolut lächerlich aussehen, macht sich keiner Sorgen um Gesichtsverlust für die Prätorianer.
Und das wichtigste: Prätorianer haben bei uns ein eigenes Leben. Wir sind Soldaten, aber wir sind trotzdem Privatpersonen. Wir können reisen, wie wir wollen, wir können tun und lassen, was wir wollen. Selbst die Prätorianergardistin, die in der Kaserne leben, müssen nicht immer dort sein. Es reicht, wenn sie nicht allzu weit entfernt sind und zur Verfügung stehen.
Ganz zu Schweigen davon, daß sich niemand aufregt, wenn ein noch so wichtiger Brief nach Übersee ein Jahr unterwegs ist, selbst wenn er mit Hilfe von - zugegeben komplizierten und gefährlichen - Ritualen in wenigen Sekunden den Empfänger erreichen könnte.
Wir Prätorianer sind in diesem Jahrhundert - diesem Zeitabschnitt, möchte ich fast sagen - freiere Persönlichkeiten als wir es in der Zukunft sein werden. Obwohl die meisten von uns unsterblich sind, haben wir uns dem Diktat der Zeit unterworfen, hetzen von einem Ort zum anderen, als würden wir jede Minute sterben.
Natürlich betrifft es nicht nur die Prätorianer, sondern das ganze Leben. Aber mir fällt es dabei am meisten auf, weil die Leute, die diese Zeit erleben, sich im Jahr 2001 noch daran erinnern werden. Und ich gebe zu, ich mag diesen Lebensstil. Wir haben keine Technik, keine fortgeschrittenen Kommunikations- und Fortbewegungsmittel, aber trotzdem haben wir mehr Freiheit als die fortschrittlichen Menschen des 21. Jahrhunderts.
Die Personen, die ich hier kennengelernt habe, werde ich vermissen, nachdem ich zu Euch zurückgekehrt bin. Sie werden mir wahnsinnig fehlen. Aber ich werde sie - zumindest die meisten von ihnen - wiedersehen. Ich bekomme sie zurück und bin nur für kurze Zeit von ihnen getrennt. Sie werden sich weiterentwickelt haben, aber ich bin zuversichtlich, daß unsere Freundschaft sich nicht geändert hat.
Was mir für immer fehlen wird, das ist dieser Lebenswandel. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie mich das letzte Jahr verändert hat! Ich denke manchmal, daß Ihr mich nicht wiedererkennen werdet. Ich hoffe nur, daß ich noch genug vom alten Xander habe, damit wir weiterhin beste Freunde sein können. Ich würde es hassen, meine alten Freunde zu verlieren - trotz meiner neuen Freunde. Die Jahre, die wir zusammen erlebt haben, die bleiben und das habe ich nie mit meinen neuen Freunden erlebt.
Ich bin in er ziemlich seltsamen Stimmung, hm? Nein, ich bin nicht krank, Spike! Und mein Geist ist bester Gesundheit!
Ich hatte durch die Aufregung der letzten Woche nur keine Zeit, über mein einjähriges Jubiläum nachzudenken. Ich war so im Streß - und damit meine ich nicht nur den körperlichen, vor allem meine Gedanken waren bei anderen Dingen - daß ich mich nicht darauf einlassen konnte, diese Dinge zu analysieren. Natürlich bin ich immer noch im Streß. Jedoch hat sich eine wohltuende Routine im Chaos eingestellt.
Ja, Ihr habt richtig gehört. Routine. Und diese Routine ist kein Grund für mich, zu jammern, wie langweilig mein Leben ist und daraus ausbrechen zu wollen. Nein, ich genieße die Routine in vollen Zügen, so, wie ich es selten zuvor in meinem Leben getan habe. Im Grunde nur zweimal. Und beide Male waren hier.
Vielleicht ist es auch ein Zeichen, daß ich endlich erwachsen geworden bin. Ich hoffe es. Denn ich bezweifle stark, daß meine zukünftige Gemahlin es zu schätzen wüßte, einen pubertierenden Teenager zu ehelichen.
Ich selbst kann noch nicht verstehen, was mit mir geschehen ist und geschieht, erwartet deshalb bitte keine Erklärungen von mir. Ich habe keine. Es ist nur ein tiefes, unerschütterliches Wissen. Ich weiß, daß ich hier einen Sinn für mein Leben gefunden habe. Ich spüre es jeden Mittag, wenn ich aufwache und jeden Morgen, wenn ich ins Bett gehe. Ich bin wunschlos glücklich!
Vermutlich haltet Ihr mich nun für verrückt. Ich halte tiefsinnige und leicht depressive Gespräche mit dem Blatt Papyrus vor mir und behaupte ernsthaft, wunschlos glücklich zu sein. Aber es ist die Wahrheit. Ich habe einen Sinn in vielen Dingen erkannt, vieles verstanden, was mir vorher unbegreiflich schient.
Und ich habe hier begonnen, ans Schicksal zu glauben. An das karmische Gesetz, wenn Ihr so wollt. Schon seit langer Zeit mache ich dem Schicksal keinen Vorwurf mehr für meinen Unfall. Ich bin dankbar dafür. Auch, da ich hier gelernt habe, zu akzeptieren, was geschieht. Manche Dinge kann man ändern, andere nicht, und man muß immer das Beste aus dem machen, was man bekommen kann. Ich klinge ganz schön erwachsen, hm? Fast schon wie Caitlin.
Das einzige, was mich jetzt noch beunruhigt, ist die lange Reise, die wir vor uns haben. Ich weiß, daß es eine Geduldsprobe für mich wird, drei Monate lang fast jede Nacht in einer engen Kutsche zu verbringen und nicht mehr Unterhaltung zu haben, als meine Reisekumpanen, ein paar Bücher, meine Arbeit und Gedanken.
Mitte Juni werden wir die extra angefertigte Kutsche geliefert bekommen,
die Platz für uns alle bietet. In normale Kutschen passen nur vier
herein und es gibt keinen Platz für Proviant. Es ist unkomfortabel,
wenn wir uns auf mehrere verteilen müssen. Manchmal ist es bestimmt
schön, es wird mehr als einmal zu Spannungen kommen, aber ich hoffe
doch sehr, daß wir die meiste Zeit die Gesellschaft unserer Verwandten
genießen werden.
Sonntag, 17. April 1594
Hallo!
Nun sind es noch genau 75 Tage bis zu unserer Abreise. 11 Wochen. Nun ja, nicht genau elf Wochen, aber wer will das schon auf die Stellen hinter dem Komma ausrechnen...
Und ja, ich habe mich entschlossen, wieder das volle Datum zu schreiben. Es deprimiert mich nicht mehr, inzwischen finde ich es sogar cool, Briefe mit diesem Datum schreiben zu können! Wer kann das schon machen, ohne in die Klapsmühe zu kommen, hm? Na also!
Auch wenn Ihr immer behauptet, daß es nicht gut ist, wenn ich denke, weil ich mich dann immer in Schwierigkeiten bringen würde - danke, Buffy! - habe ich mir noch etwas überlegt. Wenn es mir zeitlich möglich ist - und ich etwas zu Schreiben habe - werde ich Euch mindestens einmal pro Woche einen Brief schreiben. Diese werden nicht sehr lang werden, dafür kontinuierlich. Ich will endlich was in die Schatulle kriegen!
Jepp, der Kasten aus dem ihr die Briefe nehmt. Verrückt, hä? Eine Schatulle mit dem Wappen meiner Familie. Athena hat mich beim Schreiben erwischt. Deshalb hat die Familie sie mir - nachträglich zum Geburtstag - geschenkt. Nur Athena und Colin wissen, wofür ich sie gebrauche. Es war ihre Idee, daß ich ein Etui für die Briefe brauchte. Und Colin meinte, daß pures Silber der beste Schutz ist, den wir besitzen.
So wie ich meine Leute kenne, würde es mich nicht wundern, wenn
sie die Schatulle noch irgendwie präpariert haben, damit Euch Schleim
entgegenspritzt, wenn Ihr sie öffnet, oder ähnliches...
Sonntag, 24. April 1594
Michael ist heute mit seinen Childes zu seinem eigenen Anwesen zurückgekehrt. Er hat sich nun mit der Verwaltung unserer Länderein vertraut gemacht, sich mit Maura und Ciara abgesprochen über ihre Pflichten und Rechte.
Nun muß er sich in seinem eigenen Herzogtum auf den neuesten Stand bringen. Er war seit langer Zeit nicht mehr dort und die Bediensteten wurden mehrmals ausgetauscht, deshalb wird man sich nicht an ihn erinnern. Mit ein bißchen Magie hilft er wahrscheinlich auch nach. Er wird dort als der neue Herzog auftreten. Der Sohn von seiner letzten Identität, sich selbst, sozusagen. Es ist eine schlimme Maskerade, entnervend, aber es gibt keinen anderen Weg. Genau wie Colin muß er immer die Lüge bewahren. Er kann wohl schwerlich seinen Bediensteten erklären, daß er ein unsterblicher Vampir ist.
Natürlich ahnen viele der Diener, daß bei uns nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Aber solange sie gut bezahlt, genährt und gekleidet sind, drücken sie beide Augen zu. Wer einen Verdacht hegt, daß wir mit dunkleren Mächten zu tun haben, verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Glücklicherweise muß sich der Vampirmythos erst noch verbreiten. Die älteren und heidnischeren vermuten böse Naturgeister, die christlicheren und moderneren böse Hexen, Teufelsanbeter und Dämonen. Wenn sie die Wahrheit wüßten, würden sie aus den Schuhen kippen!
Wie gesagt, die meisten interessiert es nicht und die anderen überzeugen
wir. Es gibt bei uns vielleicht ein Dutzend Menschen, die unsere wahre
Natur kennen, an Michaels Hof noch weniger. Es gab mal eine Frau, die er
liebte und die Wahrheit sagte, aber das ist lange her. Die ganze Union
fürchtet sich vor den Hexenprozessen. Ich glaube, sie werden der Grund
dafür sein, daß wir Prätorianer unsere beschützende
Rolle aufgeben und voller Haß auf die Menschen eingreifen.
Sonntag, 1. Mai 1594
Jetzt sind es nur noch zwei Monate. Die Zeit rast. Ich wünschte manchmal, ich könnte sie anhalten. Aber wer tut das nicht?
Langsam kommt der Abschiedsschmerz auf. Ich vernachlässige - mit Colins Erlaubnis sogar - meine Arbeit und genieße jede Minute, die ich hier noch habe. Besonders mit Athena. Ich liebe sie so sehr und es bricht mir das Herz, sie zurücklassen zu müssen. Ich hoffe, sie wird mir verzeihen können.
Auch hoffe ich, daß Ihr verstehen werdet, daß ich nach meiner
Rückkehr hierher zurück will. Nach Irland, auf unser Landgut.
Wenn ich schon nicht in dieser Zeit hier sein kann, dann will ich es wenigstens
in Eurer. Ich weiß, daß Caitlin das Haus noch gehört.
Ich kümmere mich auch drum. Bitte, bitte, bitte?
Sonntag, 15. Mai 1594
Ich war letzte Woche sehr beschäftigt, deshalb hatte ich keine Zeit, Euch zu schreiben. Es ist auch nichts geschehen, wovon ich Euch hätte berichten können.
Diese Woche hat sich auch nicht sehr viel ereignet. Wir sind in der letzten Phase der Vorbereitungen, der Adlige aus Deutschland hat uns widerwillig eingeladen, die ersten Truhen - mit haltbarem Proviant und Equipment - werden von Morgen an gepackt werden.
Dafür gibt es zwei schöne Neuigkeiten: Wir werden einen Mitreisenden mehr haben! Weiter? Athenas schwangere Kammerzofe wurde Mittwoch von Raven geheiratet und er nimmt das Kind an, das im Juni geboren wird. Es ist nicht ausschließlich eine Liebesheirat - Athena und ich wollten, daß er sie heiratet, bevor das arme Mädchen vollends ihre Ehre verliert - aber ich bin sicher, daß er sie gut behandeln wird. Falls nicht, wird Athena schon wissen, ihm Manieren beizubringen.
Die zweite ist, daß gestern ein paar Sklaven angekommen sind.
Nein, Colin hat sich keine gekauft, im Gegenteil. Die Union schickt gerne
Leute auf Sklavenmärkte, um zukünftige Hüter und Prätorianer
zu finden. Sie kaufen sie mit ihren Familien frei und senden sie zu wohlhabenden
Unionsmitgliedern zum Aufpäppeln, Lesen und Schreiben lernen, bevor
sie ausgebildet werden. Anderweitig würden sie nie ihre Talente nutzen
können. Wir haben jetzt zwei Familien aufgenommen. Maura wird sie
versorgen. Sie macht das gerne, weil sie selbst kein gutes Unleben hatte
und will, daß es ihnen besser geht.
Sonntag, 22. Mai 1594
Jetzt ist schon wieder eine Woche um! Ich weiß nicht, wo die Zeit bleibt. Es ist doch erst ein paar Wochen her, seit wir Neujahr feierten! Auf den Tag genau in einem Monat ist Mittsommer! Und dann sind es nur noch Tage bis zu unserer Abreise...
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, zu wissen, daß ich diesen Ort und diese Personen bald wiedersehen kann, es für sie aber Jahrhunderte gewesen sein werden. Ihr könnt sicher verstehen, daß ich mir - trotz Verlobung - Sorgen um meine Beziehung zu Athena mache. Aber, als ich ihr heute wieder anbot, zu bleiben, lehnte sie wieder ab. Sie befürchtet, daß ich hier auf lange Sicht eingehen werde, ohne die Gesellschaft meiner Art. Außerdem möchte sie, daß ich mit Anya Schluß mache vor unserer Hochzeit, damit sie nicht wie eine Frau erscheint, die einer anderen den Mann ausgespannt hat.
So ist sie eben, immer auf den guten Ruf unserer Familie bedacht. Es ist eines der Dinge, die ich an ihr am meisten liebe. Sie denkt immer zuerst an ihre Lieben und dann an sich - obwohl sie von einem Dämon kontrolliert ist. Es ist eine bequeme Illusion, daß Vampire nichts fühlen können und keine Persönlichkeiten sind, nur, weil sie keine Seele haben. Sie sind nicht mehr die gleichen Personen, aber der Dämon ist auch ein Individuum.
Zudem gehören Vampire zu den loyalsten und aufopferungsvollsten Freunden, die man sich nur wünschen kann. Genauso, wie sie niemals verzeihen, was man ihnen angetan hat, vergessen sie nicht, wenn man ihnen etwas Gutes getan hat. Colin und Michael hatten im 15. Jahrhundert eine Konfrontation mit einem englischen Landlord und Michael kann deswegen Engländer im 21. noch nicht leiden!
„DESHALB!"
„Ja, Caitlin hat diese Antipathie aus Sympathie übernommen", lächelte Willow. „Wenn Spike kein Verwandter von ihr wäre, hätte sie ihn bestimmt schon lange zu Staub verarbeitet."
„Denkt Ihr auch, was ich denke?"
„Und was ist das, Jägerin?"
„Nenn mich nicht Jägerin, Liebling, Du weißt, ich könnte Dich dafür jedes Mal pfählen. Ich glaube, das Xander viel dazugelernt hat. Hoffentlich wird er nicht mehr so eine Nervensäge sein..."
Sonntag, 29. Mai 1594
Athena fühlte sich heute dazu berufen, mir einen äh... speziellen Unterricht zu geben. Nein, nicht was Ihr jetzt denkt! Könnt Ihr die schmutzigen Gedanken mal weglassen? Danke.
Jedenfalls, sie bat mich in ein leerstehendes Nebengebäude, in dem die Opfer und Leichen aufbewahrt werden. Nachdem wir durch ein paar versteckte Türen gegangen waren, kamen wir in einen großen Raum mit allerhand Folterwerkzeugen. „Wir finden es Zeit, Dich mit einigen der weniger appetitlichen... Amüsements unter Vampire vertraut zu machen. Du warst schon einmal in diesem Gebäude, nicht wahr?"
„Ähm... ja. Zwei oder dreimal, wenn Du oder Colin es nicht abwarten konnten, mit mir etwas zu besprechen, bis sie gegessen hatten und mehrmals bei der Vorbereitung für Samhain. Aber dann war ich in den anderen Räumen."
„Gut. Beginnen wir mit der Theorie. Ich habe auf diesem Tisch 20 verschiedene Folterwerkzeuge vorbereitet, die allgemein gebräuchlich sind. Es ist notwendig, daß Du lernst, sie richtig zu benutzen. Selbst, wenn es Dir jetzt unverständlich erscheint, wirst Du es einmal benötigen. Es kann immer dazu kommen, daß Du selber jemanden verhören mußt."
„Ich muß aber nicht Leute foltern, oder?" Es war ein Unterschied dazwischen, Vampire zur Jagd zu begleiten und selber Menschen zu foltern.
„Noch nicht. Wenn es Dein Gewissen beruhigt, können wir Verbrecher nehmen. Folgende Grundregeln: Machst Du es aus Spaß, beginne mit Folter, gehe dann zu Verkrüppelung über, bevor Du tötest. Verhörst Du jemanden, mußt Du darauf achten, daß Du keine zum Überleben, Sprechen oder Denken notwendigen Organe verletzt. Es ist immer von Erfolg gekrönt, die Marter schrittweise zu verstärken. Immer, wenn das Opfer denkt, es könnte nicht mehr schlimmer werden, beweist Du das Gegenteil. Wir sprechen hier nur über physische Tortur, die psychische kannst Du unterwegs lernen."
Die nächsten Stunde berichtete mir Athena voller Begeisterung, wie man mit dem menschlichen Körper „spielen" konnte. Sie war beeindruckt, daß mir dabei kein einziges Mal übel wurde. Ich verschwieg, daß ich das meiste davon bei Angelus schon erlebt hatte. Trotzdem befürchte ich, daß mein Magen beim praktischen Training nicht kooperieren wird.
Bevor Ihr jetzt denkt, man würde mich in einen erbarmungslosen Vampir umerziehen, so ist es nicht. Ich kann sehr gut nachvollziehen, daß ich Verhörmethoden beherrschen muß als Prätorianergardist. Und Ihr glaubt doch nicht selbst, daß ich einen Massenmörder-Vampiren mit Hafterleichterungen überreden kann, oder?
Jedenfalls hoffe ich, daß wir zum Praxistraining nicht mehr vor
unserer Abreise kommen, oder es werden ein paar übelkeitsreiche Monate
werden...
Sonntag, 5. Juni 1594
Jetzt noch gute drei Wochen, bis unsere Reise beginnt. Das Reisefieber macht sich immer intensiver zu merken, ich sorge mich darum, daß alles reibungslos ablaufen wird. Wir nicht allzu oft überfallen werden, die Durchreise nicht doch noch verweigert bekommen, es keinen politischen Eklat gibt, keinen frühzeitigen Wintereinbruch, Mensch und Tier nicht an Seuchen erkranken, wir nicht steckenbleiben in der Wildnis... Alles mögliche und unmögliche!
Es ist albern, wirklich. Ich weiß das. Aber wenn man an der Planung solch einer Reise selbst beteiligt ist, macht man sich viel mehr Gedanken als sonst - weil man weiß, von wie vielen Kleinigkeiten das Gelingen abhängt und wieviel schief gehen kann. Wie schön wäre es, wenn wir einfach nach Dublin fahren und uns ins Flugzeug setzen könnten!
Michael hat einen Boten mit der Nachricht zu uns gesandt, daß er am 25. bei uns eintreffen will, um sich von uns zu verabschieden und noch ein letztes Mal mit Colin durch die Bücher zu gehen. Sammy hat sein Herzogtum besser verwaltet, als er es erwartet hatte, deshalb kann er sich die Zeit dazu nehmen.
Ich will ihm die Briefe geben. Es ist merkwürdig, aber ich vertraue
ihm. Gut, er wird sie der Union zur Untersuchung überlassen, aber
er wird sie Euch auch nicht vorenthalten. Und solange sie bei der Union
sind, sind sie gut untergebracht.
Sonntag, 12. Juni 1594
Hallo Scoobies!
Während ich diesen Brief hier schreibe, wundere ich mich, ob Ihr meine Briefe überhaupt noch lest, oder ob sie Euch zu langweilig geworden sind und Ihr seid eingeschlafen.
Ihr solltet sie besser lesen, sonst habt Ihr keine Warnung, daß ich bald zurückkomme. Ich weiß noch nicht, wie es ablaufen wird - das einzige, was Colin mit 99 Prozent Wahrscheinlichkeit weiß, ist, daß ich wieder im Hauptquartier erscheinen werde. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie mich sofort das nächste Flugzeug zu Euch nehmen lassen. So wie ich uns Prätorianer kenne, haben wir sogar dafür Protokolle!
Vermutlich muß ich einen groben Bericht abgeben - ich BIN schließlich selbst Prätorianer - die Ärzte werden mich untersuchen, daß ich keine Seuchen mitbringe, vielleicht wollen sie mich auch ein paar Stunden zur Beobachtung im Krankenhaus behalten. Ich war nach meiner Ankunft sehr erschöpft, also werde ich es nach meiner Rückkehr wohl auch sein. Aber dann hält mich nichts mehr da!
Oh, da fällt mir ein, ich habe gar kein Geld, um meinen Rückflug zu bezahlen, oder auch nur den Zug zum Flughafen. Kann Caitlin mir bitte den Gefallen tun und jemanden bitten, es mir zu leihen? Ich zahle es auch ganz bestimmt zurück! Ich habe jetzt ja eine Arbeit, muß nicht mehr in einem Kellerloch wohnen und Hot Dogs verkaufen. Als Prätorianergardist verdient man nicht schlecht. Was ich hier bekommen, dürften nach Eurem Wert etwa 3000 Dollar pro Monat sein.
Jetzt fange ich schon an, mir Checklisten zu erstellen, was ich nach meiner Rückkehr alles erledigen muß. Meine Familie erklärt mich deswegen für verrückt, aber es macht Spaß. Ich werde als erstes natürlich Euch sehen und mich wieder einleben. Dann werde ich über Caitlin Kontakt zu meinen Verwandten aufnehmen und Angel anrufen. Ich muß mich bei ihm für eine Menge entschuldigen. Bis ich im Hauptquartier meine berufliche Zukunft geklärt habe, sollte Athena gekommen sein und dann können wir nach Irland. Hört sich nach einem Plan an, nicht wahr?
Ich hoffe nur, daß ich ihn verwirklichen kann. Ich habe ein paar unangenehme Eigenschaften bei den Vampiren hier angenommen und ich würde es wirklich hassen, wenn ich mein Training an jemandem ausprobieren müßte... Aber ich erwarte keine Probleme. Niemand stellt sich den McKees in den Weg und überlebt es!
Aber wovor ich mich wirklich fürchte, ist, daß der Zauber nicht funktioniert und ich sterbe. Ich habe so keine Angst vor dem Tod, ich habe mich ihm im letzte Jahr öfters als einmal gestellt. Ich würde es nur hassen, hier alles aufzugeben und Euch trotzdem nicht zurückzubekommen. Ich spreche nie darüber, daß es einen Unfall gibt, weil das Athena traurig macht, aber ich habe es nicht vergessen.
Bis bald!
Xander
Sonntag, 19. Juni 1594
So, das war es jetzt also? Noch elf Mal aufstehen und dann werde ich nie mehr in dieses Bett zurückkehren. In sechs Tagen sogar wird Michael hier erscheinen. Ich freue mich natürlich, ihn und Sammy wiederzusehen. Wenn es nur nicht so etwas von Abschied für immer an sich hätte...
Meine Stimmung wechselt nicht selten mehrmals pro Tag. Ich weiß, daß ich damit die Nerven meiner Freunde und Angehörigen strapaziere, doch was soll ich tun? In einer Sekunde bin ich depressiv und in der nächsten kann ich unsere Abreise nicht erwarten. Werde ich etwa verrückt? Nein, das wäre zu einfach. Nicht, nach der Zeit!
Ich fühle mich unglaublich müde. Ich bin es leid, nirgendwo zugehören zu können. In dieser Zeit sollte ich - nach den Naturgesetzen - nicht sein und in Eurer bin ich noch weniger. Es ist einfach ermüdend. Athena ist auch keine leichte Frau, sie hat keine geringen Unterhaltskosten. Okay, das hörte sich blöd an, aber Ihr wißt, was ich meine. Es ist sehr schwer, es ihr immer Recht zu machen und manchmal geht es einfach nicht!
Ich merke, daß sie unter unserer Situation leidet und es an irgend
jemandem auslassen muß. Dieser jemand bin meistens ich. Gut, bevor
ich Euch noch mit meiner Stimmung anstecke, höre ich auf.
Sonntag, 26. Juni 1594
Seit gestern Morgen ist Michael mit Sammy hier. Es war ein freudiges Wiedersehen. Nichtsdestotrotz sind wir alle gestreßt und jedermanns Nerven sind blank gerieben.
Der Zeitplan ist durcheinandergeraten - wie es nicht anders zu erwarten war - weil einige Lieferungen zu spät eingetroffen sind. Trotzdem besteht Colin auf dem 1. Juli als Abreisedatum. Das macht es nicht gerade einfacher.
Ich habe Michael heute in einem ruhigen Moment abfangen können. Wir waren nach dem Essen als einzige im Speisesaal übrig geblieben und der Vampir grinste mich an. „Dann sind es jetzt nur noch wir beide."
„Willst Du trinken oder weshalb starrst Du so auf meine Halsschlagader?"
„Tu ich das? Dies ist mir entgangen."
Das konnte ich mir kaum vorstellen, schwieg aber. „Äh... kann ich etwas mit Dir besprechen, Michael?"
„Selbstverständlich."
„Das wird bestimmt albern klingen, aber ich hab seit meiner Ankunft Briefe geschrieben. Für den Fall, daß ich es nicht zurückmache. Damit meine Freunde wissen, was aus mir wird..."
„Ich verstehe."
„Nun, wir werden in wenigen Tagen abreisen und ich fühle mich nicht wohl dabei, die Schatulle mit den Briefen mitzunehmen. Von der Reise kann ich ohnehin nicht berichten, ohne Hinweise auf den Standort des Hauptquartiers zu geben und die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, direkt, bevor ich zurückgeschickt wurde, werden mir noch durch den Kopf schwirren, wenn ich ankomme. Deshalb suche ich jemanden, der die Briefe für mich aufbewahrt bis ins Jahr 2001..."
„Und Du möchtest, daß ich das für Dich tue?"
„Nur, wenn es Dir nichts ausmacht. Ich kann Dir das Datum und die Adressen meiner Freunde geben."
„Geb mir die Schatulle, nachdem Du den letzten Brief geschrieben hast. Ich werde sie Dienen Freunden pünktlich übergeben."
„Vielen, vielen Dank!" Ich kann immer noch nicht ganz glauben, daß
es so einfach war. Michael muß mich wirklich mögen, daß
er das für mich tut Er weiß, daß eine meiner besten
Freunde die Jägerin ist und muß damit rechnen, daß Du
versuchst, ihn zu pfählen, wenn er Kontakt mit Dir aufnimmt, Buffy.
Es gibt so viele Dinge, die ich Euch noch schreiben möchte. Und ich habe nur noch vier weitere Tage dazu. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll! Deshalb werde ich es lassen, sonst würde dies hier aus dem Rahmen schweifen. Ich bin guter Hoffnung, daß ich in einem Jahr Gelegenheit haben werde, es Euch persönlich zu sagen.
Nur soviel: Nach meiner Rückkehr werdet Ihr mir wahrscheinlich Vorwürfe machen, weil ich mich nicht wie ein perfekter Helfer der Jägerin benommen habe. Aber bevor Ihr auf mich einhackt, überlegt zuerst, was Ihr an meiner Position getan hättet. Bitte.
Buffy ließ sich nichts davon anmerken, aber dieser Absatz ihres Freundes hatte sie mehr verletzt, als die Briefe, in denen er schrieb, daß er mit Vampire jagen war und sogar einigen sein Blut angeboten hat. Sie wußte, daß er damit nur sie meinte - Spike war selbst ein Vampir, Anya eine Ex-Dämonin, Willow war selbst sehr vampirfreundlich und Tara teilte die Meinung ihrer Freundin.
„Wie Xander wohl reagieren wird, wenn er erfährt, was hier in der Zwischenzeit passiert ist?"
„Oder besser gesagt, was NICHT passiert ist. Das kleine Flittchen von Dämonin hätte sich wenigstens EINMAL melden können!"
Die Jägerin sah ihren Freund mit großen Augen an. „Spike! Du hast gerade Xander verteidigt, Bist Du Dir sicher, daß es Dir gut geht?"
Während ihre Freunde spielerisch kämpften, meinte Willow zu Tara, „wenigstens kann er hier wohnen, bis er sich entschieden hat. Aber ich finde es trotzdem unverschämt, daß seine Eltern ihn rausgeworfen haben, nur weil er die Miete nicht rechtzeitig bezahlt hat!"
„Das ist e. Nur gut, daß wir genug Platz haben. Darf ich einmal lesen?", fragte die blonde Hexe schüchtern.
„Klar!"
Donnerstag, 29. Juni 1594
Ich freue mich schon so darauf, daß es Übermorgen los geht! Nur noch zwei Tage!
Wenn ich jetzt noch einmal meine ersten Briefe lese und mich daran erinnere, wie ich mich damals gefühlt habe, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie konnte ich nur denken, meine Freunde könnten eine Gefahr für mich darstellen? Sie könnten mich essen! Das war albern! Gut, sie sind eine theoretische Gefahr, aber meine Athena oder ihre Verwandten würden mich NIEMALS aussaugen! Sogar fremde Vampire und Dämonen behandeln mich mit Respekt!
Könnt Ihr Euch das vorstellen? Ich werde von Vampiren und Dämonen tatsächlich mit Respekt, Ehrfurcht, guten Manieren und alle dem behandelt! Gestern erst ist eine Vampirin abgereist, die beinahe die Dienerschaft verspeist hätte. Aber sie hat vor mir geknickst!
Oh, ich kann gar nicht abwarten, das Hauptquartier zu sehen. Es muß
wunderschön sein! Okay, vielleicht nicht schön, aber zumindest
beeindruckend. Ich bin mal gespannt, ob in unserer Zeit auch schon so viele
Leute darin leben, wie Willow erzählte. Ich würde es schön
finden. Endlich mal kein Gut, von dem man vier Stunden bis zum nächsten
vernünftigen Haus fahren muß! Es wird sicher schön werden.
Freitag, 30. Juni 1594
Hallo!
Der letzte Brief, den ich Euch schreiben werde. Nachdem ich fertig mit ihm bin, bringe ich die Schatulle zu Michael. Er wird sie für mich aufheben. Ich habe ihm gesagt, wann genau er Euch die Briefe geben soll, damit es nicht zu noch einer Überschneidung der Zeitlinie kommt.
Ich frage mich, was aus Anya geworden ist. Hat sie sich vielleicht noch einmal gemeldet? Ist sie zurückgekommen? Mein Gefühl sagt mir, daß es nicht so ist. Und auf diese Weise ist es auch besser. Ich möchte sie nicht verlassen müssen, aber Athena ist die Liebe meines Lebens. Ich wünsche Anya von ganzem Herzen, daß sie glücklich wird und einen Mann findet, der wirklich zu ihr paßt.
Doch ich habe mich nie mit einer Frau so gut verstanden, wie mit ihr. Wir verstehen uns blind, brauchen keine großen Worte. Wenn ich mich mit ihr unterhalte, habe ich das Gefühl, daß sie wahrlich nachfühlen kann, was ich empfinde, auch, wenn sie es noch nie selbst erlebt hat. Sie interessiert sich dafür, was ich denke, was mich bewegt. Es ist, als würden wir uns schon für Jahrhunderte kennen, obwohl es nur ein Jahr ist. Es gibt keinen großen, einen, wahren Grund, ich weiß einfach, daß sie die richtige ist.
Und die McKees! Ich werde sie so sehr vermissen. Die meisten von ihnen werde ich zwar wiedersehen, aber es wird nicht das gleiche sein. Besonders, wenn Colin nicht mehr da ist. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wieviel er für mich bedeutet. Er steht mir so nahe, wie es mein leiblicher Vater sollte! Ja, man könnte wohl sagen, daß er ein Ersatzvater für mich ist. Es ist sehr schmerzhaft, zu wissen, daß ich ihn verlieren werde. Meine Geschwister haben wenigstens anderthalb weitere Jahrhunderte mit ihm. Ich habe das nicht.
Und meine Wahlgeschwister. Sie wurden mir auch so schnell zur Familie - sogar die, die mir normalerweise nicht so nahe stehen würden. Aber es war immer ein Gefühl der Vertrautheit da, ich wußte, daß ich zu ihnen gehöre und sie wußten es auch. Niemals mußte ich bei ihnen eine Rolle spielen, wurde in irgendwelche Erwartungen gedrängt, die sie von mir hatten. Es ist schade, daß es nie wieder so sein wird wie jetzt. Im 21. Jahrhundert sind selbst die Kleinen erwachsen und haben eigenen Familien, eigene Leben, eigene Verpflichtungen...
Es fällt mir immer noch schwer, meine Situation nur von der positiven Seite zu betrachten. Aber meine Familie hilft mir dabei. Sie sagen mir immer wieder, daß ich die Zeit, die ich habe - auch wenn es nicht viel ist - in vollen Zügen auskosten muß, da es ein Geschenk ist. Ein außergewöhnliches Geschenk, welches nur wenige Menschen bekommen. Und dabei sind sie natürlich im Recht.
Ich habe eine zweite Chance bekommen, konnte noch einmal neu anfangen. Hier konnte ich beweisen, was ich kann und wozu ich in der Lage bin. Jetzt ist es an der Zeit, mit diesem neuen Selbstbewußtsein, Wissen und den neuen Erfahrungen mein eigenes Leben wieder aufzunehmen. Nicht länger Graf Harris oder Xander McKee zu sein, sondern wieder Xander Harris. Darum komme ich nicht herum. Aber jetzt habe ich eine neue Sichtweise bekommen.
Und glaubt mir, ich bin dankbar für jeden einzelnen Tag. Und ich meine nicht nur die angenehmen Erlebnisse - am meisten haben mich die unangenehmen geprägt. Verrückt, was?
Ach ja, ich wollte Euch noch ein paar Fakten aufschreiben, damit Ihr einen ungefähren Eindruck davon bekommt, wie unsere Reisegesellschaft aussehen wird. Um es wirklich zu glauben, muß man es mit eigenen Augen gesehen haben.
Es sind insgesamt 211 Bedienstete, pro Abschnitt durchschnittlich 150 Pferde - das kommt drauf an, wie schwer die Etappen sind .- 278 Truhen und 30 Kutschen. Es sind 13 Planwagen für die Bediensteten, 12 Transportkutschen, die anderen fünf sind für uns. Die Bediensteten verteilen sich folgendermaßen: 30 Küchenangestellte, zwei Hufschmiede, zwei Kunstschmiede, vier Wäscherinnen, zwei Schneider, zwei Schuster, 10 Boten, 10 Dolmetscher, zwei Schreiber, ein Maler, 55 Kutscher, 15 Pferdepfleger, 40 Wachleute und 34 sonstige Bedienstete. Der Rest sind Angehörige.
Ihr könnt Euch wohl vorstellen, was das für eine Kolonne an Kutschen gibt! Und neben den Kutschen werden ja auch noch Pferde so mitgeführt... Wir werden schon ein imposantes Bild abgeben!
Ich bin froh, daß ich mich inzwischen darüber freuen kann. Unterwegs werde ich dann in Sachen Prätorianerausbildung viel Theorie haben. Da kommt dann auch die psychische Folter dran, auf die sich Athena so freut. Aber da habe ich ja auch schon den ein oder anderen Trick - unfreiwillig - von Deadboy gelernt.
Die irische Landschaft werde ich wirklich vermissen. Nichts gegen Kalifornien, aber ich habe mich einfach in sie verliebt. Es ist wunderschön hier. Freie Natur, man kann durchatmen. Wenn man atmet, dann riecht man noch Natur, Gras, keine Autoabgase. Ich hoffe, daß Caitlin unserem Anwesen das erhalten kann.
Oh, mir fällt gerade ein, daß Athena Euch ihre Grüße ausrichten möchte. Sie hofft, Euch einmal zu begegnen. Und weil ich ihr erzählt habe, wie man im 21. Jahrhundert aussieht, hat sie eine Zeichnung von mir angefertigt, damit Ihr Euch über mich lustig machen könnt! Ist doch bezaubernd, hm? Die Zeichnung ist in der Schriftrolle, zusammen mit einer von unserer ganzen Familie.
Ich bewundere sie für das künstlerische Talent. Für Vampire ist es die einzige Möglichkeit- und wird es auch trotz Fotos und Filmen bleiben - sich zu sehen, deshalb ist das Zeichnen und Malen wohl so beliebt bei ihnen. Colin und Belle können es relativ gut, wenn ich mich richtig erinnere, ist Deadboy ein super Zeichner. Allen Nachfahren der Linie des Meisters liegt die Kunst in irgendeiner Weise. Ist doch ironisch, ausgerechnet bei dieser brutalen Familie...
Mir will jetzt gar nichts mehr einfallen, obwohl ich soviel hatte, wo ich dachte, daß ich es Euch schreiben will. Vergessen! Nun ja, wir sehen uns ja - für Euch - bald.
Macht es bitte gute und drückt mir die Daumen. Viele Grüße
Xander
Seufzend legte Tara das Papyrus weg. „Das war der letzte Brief."
„Ich hoffe nur, daß Xander bald wieder da ist. Ich bin nicht gut beim Warten!"
„Ich weiß, Buffy. Es wird sich alles finden und Xander ist bald unversehrt zurück, vertrau mir."
„Danke, Willow."
„Darf ich bitte einmal die Bilder sehen?", fragte Spike beinahe schüchtern.
„Klar!" Willow reichte dem blonden Vampir die versiegelte Schriftrolle. Sie beobachtete gespannt, wie der Untote das Wachssiegel vorsichtig aufbrach und den Brief aufrollte. Durch die Rolle geschützt waren zwei sorgfältig gezeichnete Bilder.
„Seht mal!" Spike legte die erste auf den Tisch vor ihnen. Es war ein Porträt von Xander, dem man ansah, mit wieviel Liebe es erstellt worden war.
„Xander hat ja ganz lange Haare!"
„Er sieht richtig verwegen aus!"
Willow sah sich minutenlang das Gesicht ihres Freundes an, starrte immer wieder auf die Augen. „Seine Augen, seht Ihr das? Sie haben diese Kälte, wie...."
„...die von meinem verdammten Sire!"
Buffy runzelte besorgt die Stirn. „Anhand eines Bilds können wir nicht viel sagen. Vielleicht hatte er auch nur einen schlechten Tag. Er ist doch nicht wie Angelus. Er hat noch seine Seele."
„Bestimmt. Aber er hat ein Jahr unter Vampiren gelebt. Natürlich hat ihn das verändert. Das ist doch ganz selbstverständlich", beruhigte Danny sie.
„Kann ich mit Spike mitkommen?"
„Es steht noch nicht fest. Du mußt Geduld haben, Jägerin. Willow, Du hast gleich Unterricht..."
„Oh, es ist ja schon so spät!"
Es war Dienstag Abend und sie hatten noch immer keine Nachricht von Xander. Giles, Spike und Buffy waren zutiefst besorgt, während Willow und Tara bedrückt, aber nicht ganz so besorgt waren. Buffy mußte Dawn babysitten, während ihre Mutter zum Arzt war, deshalb brachte sie ihre kleine Schwester mit zum Magieladen. Buffy, Dawn, Spike und Giles saßen über den zwei Zeichnungen, als die Türe aufgerissen wurde. Willow und Tara kamen hereingestürmt, hinter sich ein Dutzend Männer und Frauen in schwarzen Anzügen.
„Willow, Tara, was ist passiert?"
„Wir haben Euch Besuch mitgebracht", strahlte die rothaarige Hexe von einem Ohr zum anderen.
Langsam klärte sich die Menschenmasse und ein Gang in der Mitte bildete sich. Durch diesen schritt ein dunkelhaariger Mann mit Sonnenbrille. Er trug - alles in schwarz - ein Seidenhemd, eine Lederhose, schwere Lederschuhe und darüber einen offenen Ledermantel. Sein Haar war zu lang für die aktuelle Mode, die Haut zu blaß und ein Claddagh-Ring schimmerte an seiner Hand.
„Soll das etwa Eure Begrüßung darstellen, Freunde?"
Vier Kinnladen klappten in Schock herunter, acht weit aufgerissene Augen
starrten ihn an und vier Stimmen fragte ungläubig, „Xander?!"
