"So tired that I couldn't even sleep, So many secrets I couldn't keep, Promised myself I wouldn't weep, One more promise I couldn't keep. Runaway train never going back, Wrong way on a one way track, Seems like I should be getting somewhere, Somehow I'm neither here nor there. Can you help me remember how to smile? Make it somehow all seem worthwhile? How on earth did I get so jaded? Life's mystery seems so faded. I can go where no one else can go, I know what no one else knows, Here I am just drownin' in the rain, With a ticket for a runaway train. Bought a ticket for a runaway train, Like a madman laughin' at the rain, Little out of touch, little insane, Just easier than dealing with the pain. Runaway train never comin' back, Runaway train tearin' up the track, Runaway train burnin' up my veins, Runaway, but it always seems the same..." - Soul Asylum, 'Runaway Train' "Kannst du mir mal verraten, wie wir jetzt nach Hause kommen sollen?!" schnappte Davis, als er sich vom Fahrplan des Zuges wieder zu Ken drehte. Ken, der gerade damit beschäftigt war, die eingekauften Lebensmittel in seinem Rucksack neu zu ordnen, hob eine Braue. "Es fährt kein Zug mehr?" fragte er, als er den Rucksack wieder auf den Rücken schnallte. "Nein!" grummelte Davis, "Der Nächste fährt um 4 Uhr morgens." Grübelnd steckte Ken seine eiskalten Finger in die Jackentaschen. "Zu Fuß ist es ein bißchen weit, oder?" "Ein BISSCHEN?!" platzte es aus Davis heraus. "Wir sprechen hier von 40 Kilometern!" "Oh." machte Ken nur noch, als er schniefte und gleich daraufhin niesen mußte. "Gesundheit." sagte Davis, der trotz des Fahrplans zu den Gleisen sah. Vielleicht hatte einer der Züge ja verspätung oder es fuhr noch ein Ersatzzug. Aber auf den Gleisen war es ungefähr so leer wie in Davis' Magen. Ken nieste erneut, sehr zu Leafmons Unbehagen. Es saß unter seiner Jacke und wurde jedes Mal ordentlich durchgeschüttelt. Es war aber zu müde zum Protestieren, und so machte es es sich einfach wieder zwischen Jacke und Pulli gemütlich. "Oh mann," beklagte sich Davis nach einer Weile wieder, "Wir werden uns zu Tode frieren! Damit hast du anscheinend schon angefangen." bemerkte er, als er zum zitternden Ken sah. Tatsächlich war Ken schweinekalt, wenn man das so sagen konnte. Seine Lippen hatten sich schon blau gefärbt und er schniefte konstant vor sich hin. Sein Zähneklappern wurde nur ab und zu von einem Niesen unterbrochen. Anklagend hob Davis den Finger. "Du hättest dir eben wärmere Sachen mitnehmen sollen." sagte er belehrend. Ken zuckte mit den Schultern. "Ich habe zwei T-Shirts, einen Pulli und eine dicke Jacke an. Das--" Er mußte niesen. ".. das sollte eigentlich reichen, oder?" "Nicht bei diesen arktischen Temperaturen." erwiderte Davis, als er sich den Schnee von den Haaren und Schultern fegte. "Aber wichtiger ist erstmal, wie wir nach Hause kommen." Ken hatte sich bereits umgedreht und war auf dem Weg zu dem kleinen Wartehäuschen auf dem Bahnsteig. Warum hatten sie auch an den Stadtrand Tokios fahren müssen? Davis hatte darauf bestanden, denn nur hier gab es seiner Meinung nach die Comics, die er unbedingt haben wollte. Importe aus Amerika oder so. Es war absolut schwachsinnig gewesen, um 8 Uhr abends Richtung Stadtrand zu fahren. Aber Davis und seine Ideen... Schniefend setzte sich Ken auf die schmale Bank in dem kleinen Häuschen. "Ich habe keine Ahnung. Wirklich nicht." Davis breitete die Arme aus und fuchtelte damit herum. "Wir können doch nicht bis Morgen Früh hier sitzen bleiben?!" rief er, während Ken husten mußte. "Dann nehmen wir eben ein Taxi oder so!" "Ich habe noch ganze zwei Yen." kam die trockene Antwort von Ken. Davis hielt inne. "Dann fliegen wir eben." "Hä--?" Aber Davis war schon in seinem eigenen Rucksack am kramen und zog ein ziemlich schlaff guckendes DemiVeemon hervor. "Los, DemiVeemon, jetzt bist du dran!" sagte er, als er das kleine digitale Monster auf den gefrorenen Boden setzte. "Ich bin doch nicht wahnsinnig!" murmelte DemiVeemon, bevor es an Davis hoch und zurück in seinen Rucksack kletterte. Davis patschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und schlang dann die Arme um sich selbst, weil ihm mittlerweile auch bitterkalt wurde. "Meinst du, hier kommt in absehbarer Zeit noch ein Auto vorbei?" fragte Ken plötzlich. "Wieso.. ach, natürlich! Wir können per Anhalter fahren!" stellte Davis breit grinsend fest und machte sich sofort auf den Weg zum Ende des Bahnsteigs. Ken seufzte und trottete ihm langsam hinterher. Ihm wurde immer kälter, obwohl er recht dick angezogen war. Als die beiden an der Hauptstraße des kleinen Ortes angelangt waren, bot sich ihnen das gleiche Bild wie auf dem Bahnsteig. Gähnende Leere. Grummelnd setzte sich Davis auf die Bank einer Bushaltestelle und stützte den Kopf auf die Hände, während er mißmutig die Schneeflocken vor seinem Gesicht wegpustete. Ken setzte sich neben ihn, seitlich weggedreht, da die Bank doch ziemlich klein war und die beiden sich bei jeder größeren Bewegung selbst runtergeschubst hätten. "Wir werden erfrieren!" klagte Davis, "Hier fährt doch das nächste Mal ein Auto in zehn Jahren oder so!" Langsam bemerkte er, wie Ken neben ihm immer stärker zu zittern begann. Ihm mußte wirklich verdammt kalt sein. "Hey, hör mal, nicht, daß du hier den Anfang machst, klar?" sagte er, als er sich zu Ken drehte. Der sah ihn mit einer roten Nase und blauen Lippen an, mühte sich ein Lächeln ab und nickte. "Ich werd' schon nicht erfrieren." "Das sieht mir aber ganz danach aus, mein Lieber." Davis nahm seinen Schal ab und hängte ihn Ken, bevor dieser protestieren konnte, um den Hals. "Hier, nimm den. Ist sogar schon vorgewärmt." fügte er mit einem Grinsen hinzu. Ken schaute für einen Moment verdutzt, lächelte dann aber und wickelte sich den weißen Schal um den Hals. Ken konnte nicht anders, als festzustellen, daß er nach Davis roch. Ein Geruch, an den er sich gewöhnt hatte, den er sogar mochte. Wieder sah Ken zu Davis, wurde sofort rot und schaute in die andere Richtung. Davis hatte ganz sicher ein Auge auf jemanden anders geworfen. Auf jemanden des gegensätzlichen Geschlechts. Am Liebsten hätte Ken sich in diesem Moment selbst eine Ohrfeige verpasst. Davis würde ihn sicher sofort rauswerfen, wenn er diese Gedanken kennen würde... So saßen die Beiden dort eine ganze Weile, die Schneeflocken wurden nur noch dicker und der Wind nur noch kälter. Ken, der sich anscheinend eine Erkältung eingefangen hatte, war nach einer Weile im Sitzen eingeschlafen und fast von der Bank gerutscht. Davis blieb nichts anderes übrig, als ihn bei den Schultern zu packen und ihn festzuhalten. Seine Arme wurden aber auch irgendwann lahm und so legte er den rechten Arm um Ken und den Kopf des blauhaarigen Jungen gegen seine Schulter. Irgendwie erinnerte ihn das an diese schnulzigen Szenen der Kino-Liebespäärchen. Ken hätte ihn wohl wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, wenn er diesen Gedanken laut geäußert hätte. Ein "Liebespäärchen"... er mußte schmunzeln, als er seine Wange geistesabwesend gegen Kens Haare streifen ließ. Irgendwie genoß er diesen Augenblick und wollte, daß er nie vorbei ging. Wenn es nach ihm ginge, hätte die Nacht ruhig 60 Stunden haben können. Daß ihm kalt war merkte er gar nicht mehr. Nach einer guten halben Stunde öffnete Ken die Augen und merkte irgendetwas auf seiner Schulter liegen. Bevor er sich jedoch bewegte, entschloss er sich, es nicht zu tun. Dieser Jemand, an dem er da lag, war ganz eindeutig Davis. Und das alles wohl wieder nur ein Traum... was schade war. Ein paar Minuten später war Ken wieder eingeschlafen. Aus weiter Ferne hörte Davis ein Brummen und Knirschen, wie von einem Auto, das sich mühsam durch den Schnee bewegte. Aufgeregt schaute er auf - und tatsächlich, ein Paar Scheinwerfer beleuchteten die Straße ein wenig weiter weg. "He?!" sagte Davis ungläubig, wiederholte sich dann aber etwas lauter. "He!!" Er packte Ken bei den Schultern und schüttelte ihn. "Wach auf! Da kommt tatsächlich 'n Auto!" "Wie? Was?" fragte Ken, der gerade so seine Augen aufbekam, ansonsten aber Dank Schüttelei und Dunkelheit nichts sehen konnte. Nach ein paar Sekunden ließ Davis von ihm ab und sprang auf die Straße, wild winkend. Ken kippte fast von der Bank, fing sich aber. "Wasissnlos?" kam das müde Murmeln aus seiner Jacke. Anscheinend war Leafmon auch aufgewacht. Ken schniefte, bevor er antwortete. "Da kommt ein Auto, so wie ich das sehe." antwortete er, als er dem wie verrückt mit den Armen fuchtelnden Davis hinterher sah. "Wollen wir hoffen, daß Davis' Methode Erfolg hat." Leafmon rutschte in Kens Jacke weiter nach oben, so daß es aus dem Kragen das Geschehen mit verfolgen konnte. Tatsächlich hielt das Auto, ein alter Toyota, vor Davis an und der Fahrer steckte seinen Kopf aus dem Fenster. "Was hat dich denn gebissen?" rief er. Der Stimme nach war er vielleicht 30 Jahre alt, schlussfolgerte Ken, als er aufstand und zu dem Wagen ging. "Wir frieren uns hier den Arsch ab." erklärte Davis, "Es fährt kein Zug mehr und wir wohnen in der Innenstadt von Tokyo..." Der Mann mußte herzlich lachen. "Dann springt rein. Ihr habt Glück, ich wohne auch in Tokyo." Mit einem Freudenschrei und einem entsprechenden Luftsprung riss Davis die hintere Autotür auf und stieg in den Wagen. "Du sitzt vorne, Ken." sagte er noch, bevor er die Tür wieder zuschlug. Ken war nicht in der Stimmung, großartig zu diskutieren und außerdem hatte er auch nichts dagegen, vorne zu sitzen. So stieg auch er in das gut beheizte Auto des Mannes und schon bald waren sie auf dem Heimweg. "Was treibt euch denn bitte in ein Kaff wie dieses?" wollte der Mann nach einer Weile wissen. Er schien sehr nett zu sein. Neben braunen, kurzen Haaren hatte er einen drei-Tage-Bart und einen dunklen Mantel an. Ken hielt seine fast erfrorenen Finger vor die Heizung des Autos, die seine Finger gottseidank aufzutauen schien. Seine Nase war verstopft, und das Kratzen in seinem Hals ließ auch auf eine Erkältung schließen. Aber da war er schließlich selbst dran schuld. Davis kratzte sich am Hinterkopf. "Hier gibt's so 'nen Comicladen ... und die haben Importe. Sehr coole Importe." "Oh! Du meinst den kleinen Laden neben dem Restaurant?" sagte der Mann, als er Davis im Rückspiegel anblickte. "Ja, genau der! Kennen sie den etwa?" "Natürlich kenne ich den! Die haben immer die neueste Ausgabe von Resident Evil." Ken hörte dem Gespräch der Beiden nicht länger zu. Müde und kaputt sah er aus dem Fenster, beobachtete die immer noch fallenden Schneeflocken, wie sie vorbeizogen und wie der Schnee wunderschön unter dem Licht des Autos glitzerte. Vor seinem Fenster schienen sich Felder von glitzernden Kristallen aufzutun, als der Wagen gemütlich über die Landstraße fuhr. Dann und wann kam auch ein Baum auf den Feldern in Sicht, auf dem bunt leuchtende Kristalle zu wachsen schienen. In seiner Jacke war hin und wieder ein kleines Zucken zu spüren, aber ansonsten verhielt Leafmon sich ruhig. Es war wohl wieder eingeschlafen. Ein Blick auf das Autoradio sagte Ken, daß es bereits 11 Uhr 30 war. Kein Wunder, daß die beiden so müde waren. Ken wußte nicht mehr, ob er die ganze Fahrt über die Felder draußen beobachtet hatte oder ob er eingeschlafen war, aber als er das nächste Mal aus dem Fenster sah, sah er keine Felder mehr. Nur noch geschmolzenen Schnee und Hochhäuser. Sie mußten Tokyo erreicht haben. Davis war, wie ein eindeutiges Schnarchen verriet, mittlerweile auch eingeschlafen. Ken nahm den Kopf von der Scheibe und renkte seinen Nacken wieder ein. "Oh, guten Morgen." grinste der Mann. Ken lächelte ihn freundlich an, sagte aber nichts. Er war heilfroh, wenn er sich zu Hause - oder eher, bei Davis zu Hause - endlich richtig ins Bett legen konnte. Sein Gesicht glühte förmlich, ein Anzeichen dafür, daß er mittlerweile Fieber haben mußte. "Scheint, als wart ihr vorher noch einkaufen, hm?" sagte der Mann, als er auf Kens Rucksack, der vor seinen Füßen stand, deutete. "Was habt ihr denn feines gekauft?" Ken runzelte die Stirn. Weshalb wollte der Mann das wissen? Nun, vielleicht suchte er nur Gesprächsstoff. "Nur Lebensmittel." antwortete Ken schließlich. "Oh. Dann habt ihr sicher noch eine Menge Geld bei euch, hm?" "Eigentlich--" begann Ken, brach seinen Satz jedoch ab, als er in die schwarze Mündung einer Parabellum guckte. (Anm.: Das ist 'ne ganz normale 9 mm Handfeuerwaffe.) Sein Herz verpasste einen Schlag und sein Mund wurde schlagartig trocken. Sie saßen mit einem Kriminellen im Auto. Davis schlief, die beiden Digimon schliefen auch und er selbst hatte eine Waffe am Kopf. Eine falsche Bewegung und dieser Typ würde ihn sicher umbringen. Wenn Davis aufwachen würde... er würde die Situation sicherlich vollkommen falsch einschätzen, irgendetwas Unüberlegtes tun und dieser Irre würde ihn umbringen. "Zeig' mir doch einfach mal, was ihr so an Geld dabei habt." sagte der Mann ruhig und gelassen. Ken sah, daß sein Finger nicht an dem Abzug der Waffe ruhte, sondern ausgestreckt daneben war. Vielleicht war der Dieb doch nicht so scharf darauf, einen Jungen abzuknallen. Vorsichtig, einerseits um nicht erschossen zu werden, andererseits um Leafmon nicht zu wecken, griff Ken in seine Jackentasche und holte vier Yen hervor. "Das ist alles." sagte er mit trockener Stimme. Der Mann hob eine Braue. "Das ist doch nicht dein Ernst?!" fragte er, immer noch gelassen. Aber jetzt hatte diese Ruhe irgendwie etwas bedrohliches an sich. Schneller als Kens logischer Verstand etwas dagegen unternehmen konnte, hatte sich sein Geist einen Plan zurecht gelegt, wie er den Mann entwaffnen würde. Er war nicht umsonst ein Schwarzgurt. Und jetzt würde sich zeigen, wie viel ihm das bringen würde. Er müßte den Mann irgendwie dazu bringen, die Waffe auch nur ein paar Zentimeter neben seinen Kopf zu halten. Dann könnte er zupacken. Wenn er sich allerdings verschätzte und der Mann doch noch auf seinen Kopf zielte... und wenn sich ein Schuß lösen würde... Über solche Möglichkeiten denkt man in solchen Situationen jedoch nicht nach. Ken hob die Hände vor sein Gesicht. "Na na na..." fing der Mann an. "Ich muß nur niesen." sagte Ken. Sein Verstand ging den Plan immer und immer wieder durch. Eigentlich sollte es klappen. Eigentlich.
