Götterdämmerung

Drei Leben, zwei Geliebte, eine Entscheidung

Teil 6: Eine Angelegenheit des Herzens

(Usagi)

Leise trat ich zwischen die beiden Mädchen, die an der Tür zu Hotarus Zimmer Wache schoben. Es wunderte mich schon, daß sich niemand der Nachtschicht darüber wunderte, immerhin lag Hotaru hier auf der Intensivstation und allgemein konnte man nicht einfach so aus- und eingehen. Man sollte da vielleicht mal eine Beschwerde einreichen... nachdem das hier vorbei war.

„Einen Auszeichnung für ihre Sicherheit bekommen die von mir nicht", murmelte Hinagiku und gähnte verschlafen. „Ist sie noch drin", fragte ich und Scarlett nickte ernst. „Es ist relativ ruhig. Aber das ist wohl ganz gut so, wenn wir beide rund um die Uhr bewachen, auch wenn es ihnen nicht gefallen mag." Das war der Sinn der ganzen Angelegenheit und ich war froh, daß die junge Frau mehr Verständnis für meine Entscheidungen zeigte als Makoto. Es war ja nicht so, als ob mir das Spaß machte.

In diesem Augenblick trat Minako aus dem Zimmer und bemühte sich gar nicht sich umzuschauen, als sie uns so dastehen sah. Die Besorgnis war ihr deutlich anzusehen und ich wußte, sie beschuldigte sich selber in einer gewissen Weise für Hotarus Zustand. Das war auch normal, ich würde genauso reagieren. „Komm", sagte ich und legte ihr einen Arm um die Schultern, „ich bring dich nach hause." Meine Freundin nickte schwach und warf den anderen beiden Mädchen noch einen dankbaren Blick zu, dann ließ sie sich mitziehen.

Wir hatten gerade das Ende des Flures erreicht, der sich hier ausweitete und links in eine Treppe abging, die nach unten und oben führte, da gab es ein Krachen aus der Richtung, aus der wir gekommen waren. Minako wirbelte sofort kampfbereit herum und ich folgte ihrem Beispiel. Eine seltsame Gestalt, die man unter der Energieaufwallung noch nicht ganz erkennen konnte, wurde aus Hotarus Raum geschleudert und krachte in die nächste Wand. Daisy und Salvia tauchten in der Tür auf und blickten grimmig zu dem Eindringling hinüber,

Ich hörte Minako neben mir wütend schnauben und wollte sie noch warnen aber es war schon zu spät. „VENUS CRYSTAL POWER, MAKE UP!" Hektisch sah ich mich um und bemerkte, daß anscheinend noch niemand da war aber bestimmt würde bald jemand kommen, um den Grund des Kraches zu ergründen. Also beeilte ich mich und verwandelte mich ebenfalls.

Das Wesen sah auf und jetzt konnte man ihre Gestalt genau sehen. Sie hatte eine durchweg menschliche Form, abgesehen von den zwei breiten dunkelgraublauen Fledermausflügeln, die sie wie ein Mantel um ihren Körper geschlungen hatte. Ihre Haut war ein bläßliches Seegrün und ansonsten trug sie komplett schwarze Kleidung, jedenfalls so weit man sehen konnte, hohe Stiefel und Fingerhandschuhe. Ihre Haare waren ein feuriges Orangerot, voll und schulterlang.

Die dunkelbraunen Augen blitzten kampflustig. „Ha! Vielleicht habe ich die Lady Saturn nicht beibringen können aber zumindest habe ich dich gefunden, Sailorvenus!" Mit blitzartiger Geschwindigkeit war sie vorgeschossen und preßte Venus, die gar nicht so schnell reagieren konnte, gegen die Wand. Ein böses Lächeln umspielte die vollen violetten Lippen des Youmas, doch bevor sie etwas tun konnte, von dem ich mir gut vorstellen konnte, was es sein sollte, wurde sie jäh unterbrochen.

„MARS FLAME SNIPER!" Es war einem Wunder oder vielleicht allein nur Mars' Zielfähigkeit zu verdanken, daß ihr Feuerpfeil nur den Youma traf und nicht auch noch das halbe Krankenhaus in Flammen aufgehen ließ. Jupiter setzte bereits zu einem Angriff an aber ich stoppte sie barsch, keine wertvolle Zeit auf lange Reden verschwendend. „Nicht hier drinnen! Wir müssen sie rauslocken!" Für einen Moment schien Jupiter widersprechen zu wollen, ließ es dann aber, zum Glück.

„Das dürfte sich erübrigen, schaut!" Der Youma verschwand gerade die Treppe hinunter, als Salvia uns darauf aufmerksam machte. Für einen Moment verstand ich diese Taktik nicht ganz, denn es war ungewöhnlich für Youmas oder andere Gehilfen einfach zu türmen. Venus fluchte. „Sie muß mich gesehen haben, als wir uns verwandelt haben!" Ich fluchte ebenfalls. Diese Dämonin schien doch besser und cleverer zu sein als die üblichen Youmas.

Wieder einmal rief der Zeitpunkt nach einer schnellen Entscheidung und ich traf sie innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. „Daisy, Salvia, Venus mit mir. Mars, Jupiter ihr löst Daisy und Salvia ab und bewacht Hotaru!" Ich wußte, daß der Einwand kommen würde aber schlug diesen auch genauso schnell nieder. „Aber wir sollten doch..." setzte Jupiter an. „Ich will keine Überraschungen. Sie könnte uns rauslocken und wiederkommen und dieser Dämon ist zu stark für Daisy und Salvia allein." Das war das letzte Wort und wir waren noch bevor es ausgesprochen war die Treppe halb hinunter. Über die Schulter sah ich noch wie Mars einer wütenden Jupiter eine Hand auf die Schulter legte. Am Liebsten wollte ich hingehen und mit Mako reden aber wenn das alles etwas bringen sollte, mußte ich noch etwas warten.

Draußen angekommen entdeckten wir die Dämonin wieder. Sie hatte ihr Flügel ausgebreitet und war schon ein paar Meter in der Luft. Venus reagierte blitzschnell und feuerte ihre Herzenskette ab, die sie am Fuß erwischte. Daisy und Salvia griffen zusammen an aber wie erwartet konnte die Dämonin nur müde über deren Attacken grinsen – wobei sie vorhin wohl nur überrascht wurde – und brachte es fertig sich zu befreien. Schneller als ich blinzeln konnte war sie verschwunden.

Langes Schweigen herrschte für eine Weile vor, bevor ich mich schließlich dazu aufraffte mit gutem Beispiel voranzugehen, wieder einmal. Wirklich, Luna hatte mir damals nie gesagt, daß dieser Job so schwer sein würde... Wahrscheinlich hatte sie doch aber ich hatte nie zugehört... „Gehen wir nach hause. Daran können wir jetzt eh nichts mehr ändern." Wir verwandelten uns alle zurück und gingen getrennte Wege. So sehr auch einige von uns nicht unbedingt gut zu sprechen waren auf Hilfe von außen, war ich froh, daß Momoko und ihre Freundinnen aushalfen, ohne zu zögern. Das erleichterte einiges.

Ich beschloß Minako noch zurück zu ihrer Wohnung zu bringen. Sie sah mindestens genauso abgekämpft aus wie ich mich fühlte. Versteht das nicht falsch, sie war sicherlich selbstlos und im Grunde genommen war es ihr egal, was mit ihr passierte, solange nur Hotaru nichts geschah. Aber dieser würde nicht mehr zu helfen sein, wenn Minako etwas passierte und das wußte sie ganz genau.

Wir waren gerade halb um das Krankenhaus herum, da blieb sie plötzlich stehen. Ich wartete geduldig. Es war nicht notwendig zu drängen. Sie würde eh sagen, was Sache war. „Ich habe Angst, Usagi. Ich habe Angst, daß sie nicht mehr aufwacht oder nicht rechtzeitig genug. Angst, daß ihr etwas passieren könnte und daß ich nie die Gelegenheit habe..." Meine Freundin schweifte ab und sah an der Außenwand hinauf, auf dieser Seite lag Hotarus Zimmer. Erahnend, was sie vorhatte, drehte ich mich um und ließ sie stehen. Man mußte kein Hellseher sein, um zu erkennen, daß sie heute Nacht nichts hier wegbringen würde. „Versuch ein wenig zu schlafen und sag Rei und Mako ich lös' sie Morgen früh ab."

Mit diesen Worten machte ich mich auf den Heimweg. Sicherlich würde das wieder Konsequenzen haben, was ich da drin getan hatte, aber das mußte sein. Ich glaubte, nur Minako und Luna verstanden vollends, warum ich so handelte, nicht einmal mit Mamoru hatte ich länger darüber geredet, das sollte ich unbedingt nachholen. Gelinde gesagt hatte ich genau wie Minako Angst, Angst vor zu vielen Dingen, um sie jetzt alle aufzuzählen.

(Rei)

Makoto und ich saßen in Hotarus Zimmer, nachdem die anderen schon eine Weile weg waren. Ich betrachtete das blasse Mädchen im Schlaf, während Makoto am Fenster saß und eine Zigarette rauchte. Das sonst so humorvolle und herzliche Gesicht war grimmig verzogen und die Augen starrten kalt in die Nacht hinaus. Ich seufzte innerlich. Mußte das jetzt sein? Ausgerechnet ein Streit zwischen Usagi und Makoto. Die beiden hatten sich in den fünf Jahren noch nie gestritten, dafür hätte ich meine Hand ins Feuer gelegt. Ich strich Hotarus Decke glatt und fühlte nach ihrem Gesicht, das eiskalt war. 

„Wo Usagi jetzt wohl hin ist... Vielleicht übernachtet sie ja bei Minako", murmelte ich.

„Keine Ahnung, ist mir auch ziemlich egal", sagte Makoto gleichgültig.

Meine Güte, mir ging Usagis Commanderton auch etwas auf die Nerven aber ich begriff, wieso sie es tat. Bis jetzt waren wir das höchstens von Venus gewöhnt. Ich ließ mir auch ungern was sagen aber Usagi würde sich schon noch einkriegen. War Makoto ernsthaft wütend wegen der Ohrfeige? Naja, an ihrer Stelle wär ich es auch, aber es paßte nicht zu ihr, daß sie jemandem so was übelnahm.

Ich verstand Usagis Verhalten. Sie hatte Angst vor der Zukunft und der Verantwortung, die auf ihr lasten würde. Irgendwie mußte sie doch versuchen sich auf ihre Rolle vorzubereiten. Ja, ich verstand sie, aber ich sah jetzt schon eine Menge Probleme auf uns zukommen. Sailormoon mußte alles erst lernen. Als Freunde brauchte sie unsere Unterstützung. Doch sie durfte da nicht etwas verwechseln, indem Punkt gab ich Makoto Recht. Wir anderen Kriegerinnen würden unser eigenes Ding drehen, doch Usagi konnte sich unserer Hilfe sicher sein. Makoto schien das alles ziemlich egal zu sein. Ich nahm es ihr nicht übel, sie war nun mal so ein Freiheitsbiest. Aber es bewies mal wieder wie sehr sie unter dem Einfluß von Dallas stand, denn sie war nicht immer so ignorant gewesen.

„Warum versuchst du nicht einfach sie zu verstehen", fragte ich sie geradeheraus. Sie hob den Kopf und sah mich überrascht an.

„Wen, Usagi? Fängst du jetzt auch damit an?"

„Sie ist momentan etwas komisch, aber wir wissen alle warum, du auch", fuhr ich fort, ihre Bemerkung ignorierend. „Niemand will versuchen dich unterzubuttern, wer könnte es sich auch schon trauen? Sie war nur wütend, als dir Dallas Flausen in den Kopf gesetzt hat."

„Dallas geht sie überhaupt nichts an", murmelte sie mürrisch und zog an ihrem Glühstengel. „Laß das jetzt, ich hab kein Wort gegen sie gesagt. Ich halt mich in Zukunft sowieso aus allem raus."

Sie konnte einen wirklich wütend machen und ich begriff Usagis Impuls. Ich nahm ihr die Zigarette aus der Hand und warf sie zum Fenster hinaus, dann kniete ich mich vor sie, damit ich ihr in die Augen schauen konnte. „Als ob du das nicht schon genug getan hättest!" rief ich erbost. „Dich interessiert wohl nur noch dein Shiekah, wie? Und auch noch ausgerechnet Dallas, der deinen Bruder umgebracht hat! Ist dir der wichtiger als Usagi?" Ich erschrak über mich selbst. Die Worte waren mir so rausgerutscht. Das war so ungefähr der wundeste Punkt, den ich bei Makoto hätte treffen können. Sie starrte mich entgeistert an, ihre Hände zitterten und plötzlich bekam ich Angst sie könnte auf mich losgehen. Verdammt, wieso hatte ich Lyzäos erwähnt? Es gab nichts was sie mehr verletzen könnte.

„Ich...warte Makoto...es tut mir Leid..." begann ich erschrocken. Sie sank wieder zurück und wandte das Gesicht ab. Ich streckte die Hand nach ihr aus und wollte sie umarmen, doch sie zuckte zurück. Ich sank auf den Boden nieder und blieb unter dem Fensterbrett sitzen. Eine Weile lang rührte sich keine von uns. Dann erhob sie sich und setzte sich zu Hotaru ans Bett.

„Sie hat mir mein Leben zurückgegeben." sagte sie und starrte das bewußtlose Mädchen an. „Ich werde es nach allen Kosten ausnutzen. Minako sollte das auch tun, daher hoffe ich, daß sie glücklich werden. Lyzäos hat sich auch nie unterwerfen lassen."

Ich schüttelte den Kopf, ohne daß sie es merkte. Warum merkte Makoto nicht, daß sie gerade imstande war sich zu unterwerfen? Dallas hatte sie doch komplett unter Kontrolle.

„Rede mit Usagi und erzähl ihr von deinen Gefühlen zu Dallas", riet ich ihr.

Makoto lachte. „Das wird die nie verstehen", meinte sie und ging auf die Tür zu. „Ich drehe ein paar Runden in der frischen Luft. Sollte was los sein...naja, du weißt ja wie du mich erreichst." Damit verließ sie das Zimmer.

(Hotaru)

Schwärze. Da war nichts, gar nichts. Schwärze war dementsprechend auch falsch, denn Nichts konnte nicht Schwarz sein. Nichts war nichts. Rein gar nichts. Es war seltsam dieses Gefühl. Als ob ich da wäre und doch wieder nicht. Aber wie konnte ich nicht da sein, wenn ich das dachte? Und wie konnte ich da sein, wenn ich nicht da war?

Gut, das brachte mich zu nichts. Was war passiert? Ja, das war eine gute Frage, eine auf die man sich konzentrieren konnte. Ich war nicht vorbereitet auf den Sturm an Bildern, es war so vieles auf einmal. Erinnerungen, Visionen, alles zusammen. Ich fürchtete mein Kopf würde platzen. Aber da war ein Bild, das immer wieder auftauchte. Eine Person, das Gesicht eines Mädchens, einer Kriegerin, einer Prinzessin... einer Liebe.

Und dann wurde alles Weiß und ich erinnerte mich, erinnerte mich daran, wie alles einmal angefangen hatte. Damals, vor unendlich langer Zeit...

(Minako)

Verschlafen blinzelte ich mit den Augen. War ich doch wieder weggetreten? Mein Kopf schmerzte und ich fühlte mich, als ob ich über eine Woche jede Nacht durchgemacht hätte. Genau genommen war es ja auch so, Ruhe hatte ich nie wirklich bekommen, schon gar nicht diese Nacht. Hin und wieder war ich weggenickt aber die meiste Zeit hatte ich nur dagesessen und auf Hotarus friedlich schlafende Form geschaut, sanft ihre Hand haltend. So wie sie da lag, sah sie friedlich aus, als ob sie einfach nur schlafen würde und nichts von alledem überhaupt passiert wäre. Aber das war es nicht und ich war Schuld daran...

Einige Tränen wegwischend unterdrückte ich den Impuls zu weinen. Das brachte niemand etwas und insgeheim wunderte ich mich, daß überhaupt noch Tränen da waren. Was hatte sie getan, um all das zu verdienen? Jemanden die höchste Form einer Bindung zwischen zwei Individuen aufzwingen, ohne den eigentlichen Faktor der Liebe zu berücksichtigen... So etwas war für mich abstoßend und einfach nicht akzeptabel... und Hotaru mußte darunter leiden. Ich hätte besser aufpassen müssen, ich hätte... Ich hätte zumindest sicher stellen müssen, daß Duncan nicht überlebt und ihr Opfer nicht umsonst war. Ich hätte ihn erledigen können, als...

Vorsichtig hob ich Hotarus blasse Hand an und führte sie an meine Lippen. Das letzte Mal, das war das letzte Mal, daß ich sie all die Schmerzen auf sich nehmen lassen würde. All das hatte ich begonnen und es war nicht fair, daß sie die ganze Verantwortung tragen sollte.

Ich küßte ihre Handfläche und wisperte leise: „Ich laß dich nicht gehen. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue." Da war noch etwas. Etwas, was sie daran hinderte sich vollkommen zu regenerieren. Ich konnte es spüren, fast schon greifen, nur fast. Da war ein mentaler Block auf unseren Erinnerungen. In den letzten Tagen hatte ich fast alle Erinnerungen über mich und Rhea zurückerhalten. Doch etwas war immer verschwommen geblieben... bis jetzt. Wie waren wir überhaupt aneinandergeraten – damals? Jetzt erinnerte ich mich.

---Rückblick---

(Rhea)

Schlaf. Ein ewiger Schlaf. Das war meine Bestimmung. Von Anbeginn der Zeit und darüber hinaus. Nie hatte ich ihn unterbrochen, bevor die Zeit gekommen war und doch wußte ich, was um mich herum geschah. Es war heute, an diesem Tag, in dem mein Schlaf unterbrochen wurde. Auf eine Art und Weise, die ich nicht erwartet hatte. Jemand war hier eingedrungen. Jemand, der nicht hierhin gehörte. Niemand gehörte hier hin außer mir.

Ich konnte sie spüren, ihre Gedanken, Gefühle und Motive. Sie war neugierig, das war eines der Hauptmotive, glaubte ich. Sie wußte nicht, ob sie bereuen würde, was sie tat oder welche Konsequenzen ihr Eindringen nach sich zog. Vielleicht wußte sie es doch aber das vermochte ich nicht genau zu bestimmen. Etwas zog sie, trieb sie förmlich hierher. Hierher, an einen Ort, an dem sie nicht sein durfte, an dem niemand sein sollte, denn er war zu trostlos zum „seien". Aber es blieb die Frage, was machte sie hier?

Langsam und ohne Hast erhob ich mich. Eigentlich nicht erheben in dem Sinne aber der Begriff gab mir eine gewisse Orientierung. Die Nebel teilten sich vor mir auf meinen Befehl hin und gaben die Sicht frei auf einen einzigen nebelfreien Ort. Es gab eigentlich keinen Boden oder Himmel oder andere Anhaltspunkt, die man sehen konnte, nur die Nebel um den Ort herum waren einer, ein temporärer Anhaltspunkt.

Inmitten dieses Ortes stand sie. Wie eine goldglänzende Sonne, die im Zentrum tiefster Dunkelheit schien und versuchte diese zu erwärmen und zu erhellen. Das lange goldblonde Haar wehte leicht im Wind, der nicht da war, und gleichzeitig wieder doch. Ihre formelle Uniform glänzte und betonte jede Kurve ihres Körpers. Prinzessin Aishar von Venus, Sailorvenus und ehemalige Göttin Venus.

„Was führt euch an diesen Ort, Lady Venus?" Meine Stimme war weder verwirrt noch zeugte sie von Ungeduld. Venus stand einfach nur da und starrte mich an, sie sah mir direkt in die Augen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken oder einmal, wenn auch nur für eine Millisekunde, ihre tiefen blauen Augen abzuwenden. Ich mußte zugeben, ich war beeindruckt.

„Das", meinte sie nach einer Weile und ging ein paar Schritte auf mich zu, „ist eine gute Frage." Ihre Blicke begannen mich jetzt vollständig zu mustern und ich stand ruhig und geduldig da. Dieses Mädchen war interessant. Nicht oft bekam ich Besuch, eigentlich überhaupt nicht. Aber normalerweise erzitterten alle, wenn sie auch nur meinen Namen hörten. Diese hier zeigte anscheinend keine Angst. Doch das wunderte mich nicht...

„Ihr seid es, oder?" Meine Augen lasteten auf ihr, als sie sprach. „Ihr seid die Sailorkriegerin des verbotenen Planeten. Die Kriegerin der Vernichtung und der Wiedergeburt. Sailorsaturn." Ich nickte ernst, nicht so recht verstehend, worauf sie hinauswollte. „Ich habe von dir gehört." Sie sagte es in einer Art und Weise, die mir sagte, daß sie gewiß nicht auf die Gerüchte und Erzählungen anspielte. „Du warst es, die einst Cortéz eingeschlossen hat, als wir schon längst tot waren." Es kostet mich einige Mühe meine Überraschung zu verbergen. Eigentlich hätte es ihr und den anderen vier Göttinnen unmöglich sein sollen sich an Details aus dem letzten Zyklus zu erinnern. „Ich kann mich an Bruchstücke erinnern. Nicht alles aber genug, um den Rest selber zusammensetzen zu können."

„Und nun bist du hier, um mich nach meinen Beweggründen zu fragen?" stellte ich immer noch mit monotoner Stimme fest. Venus wandte sich ab und ging an den Rändern des Nebels entlang, wobei sie mit einer Hand durch sie hindurchfuhr, als ob sie eine Wand berührte. „Nein. Ich weiß nicht, warum ich hier bin." Überrascht hob ich eine Augenbraue. „Vielleicht... Vielleicht, wollte ich nur wissen, wie ihr es schafft auf diesem trostlosen Planeten zu überleben. Ich war noch nie für diese Regelung. Wie könnt ihr dieses Exil aushalten, Lady Saturn?"

Ich war nun verwirrt. Noch nie hatte jemand so mit mir geredet, so...  einfühlsam, verständnisvoll und mitleidig. Es hatte überhaupt noch niemand je mehr als ein paar Worte zu mir gesprochen. Immer wenn ein Zyklus zuende war, nur dann war mir erlaubt den Nebel zu verlassen. „Es ist nicht ganz so wie ihr denkt", entgegnete ich ihr irritiert. „Ich brauche meinen Schlaf, um meine Kräfte zu schüren und im richtigen Moment bereit zu sein. Nämlich dann, wenn ein neuer Zyklus bevorsteht."

Venus sah mich nicht an, sondern blickte irgendwo ins Leere, durch die Nebelwand hindurch. „Ist dem so?" Langsam drehte sie ihren Kopf zu mir und ihre klaren Augen stachen in meine. Nie hätte ich gedacht, daß mich ein Blick einmal so... zweifelnd machen würde. Ich fühlte mich langen nach diesen Augen voller Leben und Freiheit, doch ich zwang mich das Gefühl zu ignorieren. „Nennt ihr das etwa ein Leben? Alles nur für eine einzige Aufgabe und das immer wieder? Seid ihr denn niemals... einsam?" Ihre Worte berührten einen Platz in meinem Herzen, dem nicht erlaubt war zu existieren, doch den kein Gesetz jemals unterdrücken konnte. „Meine Aufgabe ist wichtig. Ohne die ständige Erneuerung des Zyklus würde der Kosmos auseinanderfallen, die Zeit und der Raum würde ineinander stürzen und das Chaos würde die uns bekannte Galaxie auseinandernehmen bis nichts mehr übrig bleibt außer Leere."

Warum schaute sie auf einmal so traurig? Waren das Tränen? Meinetwegen? Warum? Das jemand solch ein Mitleid für mein Schicksal empfand, das kannte ich nicht und das durfte auch eigentlich gar nicht sein. „Ist das ein Grund für euch nicht ein wenig Glück, ein wenig Liebe zu empfinden, Lady Rhea?" Woher kannte sie meinen Namen? Ich begann die Kontrolle zu verlieren und spürte meine aufkommenden Zweifel und meine Verwirrung.

„Dies ist kein Ort für euch, Prinzessin. Ihr solltet jetzt gehen", versuchte ich es und meine Stimme schwankte zunehmend. Anstatt sich abzuwenden machte sie nun aber ein paar weitere Schritte auf mich zu und stand bald direkt vor mir. Ich hatte das Gefühl, sie konnte direkt in meine Seele schauen. „Ich habe noch nicht gefunden, wonach ich hier suche. Und gehen werde ich erst, wenn mir danach ist." Einige Atemzüge nehmend fuhr sie fort: „Gebt es zu, Ihr seid einsam, Ihr wünscht euch nichts mehr, als so zu sein wie wir es sind. Wie... ich es bin."

Ich zitterte, als sie ihre Hand hob und mein Gesicht berührte. Ein innerer Konflikt trug sich in mir aus, der sich auch bei Venus widerspiegelte. Sie hatte Angst aber sie schien sich zugleich ihrer sicher. Da war eine Faszination für das Unbekannte – bei uns beiden –, die mich ängstigte.

„Meine Aufgabe ist es dafür zu sorgen, daß alle glücklich sind und geliebt werden." Sie spielte mit dem Feuer und sie wußte es. Und diese Erkenntnis ängstigte mich noch viel mehr. Was glaubte sie zu erreichen? Was gedachte sie zu tun? Beherrschung! Ich mußte Beherrschung üben und Venus mußte lernen, wo ihre Grenzen waren und das sie sich auf gefährlichen Boden begab, den sie nicht so einfach beschreiten konnte.

In einem jähen Impuls und ohne jede Vorwarnung zog ich sie an mich heran und küßte sie voll auf die Lippen. Zuerst war sie überrumpelt und auch ein wenig erschrocken über meine Reaktion. Gut, sie würde schnell merken, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Dann würde sie wieder gehen und ich konnte in Ruhe weiterschlafen. Der harte, beinah kalte Kuß war nur ein Mittel... Jedenfalls war es so gedacht, bis ich erstaunt feststellte, daß sie darauf antwortete. Eine Welle von Terror und Hilflosigkeit schwappte über mich und drohte all meine Bindungen wegzufegen, als ihre Zunge zuerst vorsichtig aber dann doch hungrig um Einlaß bat.

Ich wußte, wenn ich jetzt nicht stoppte, würde ich mein Schicksal, das ihre und das von Abermilliarden Lebewesen für immer verändern. Konnte ich das, konnte ich das verantworten? Konnte ich mein ewiges Schicksal einfach über Bord werfen für so etwas wie persönliches Glück? Nein, das durfte ich nicht aber können... das war etwas anderes. Tun wiederum, das war nicht im Bereich des Möglichen.

Zu spät bemerkte ich meinen Fehler. In dem Moment, als ich meinen Zug gemacht hatte, hatte ich schon verloren, denn das hier, Gefühle, Liebe, das war Venus' Gebiet. Ich hatte ihr eine Chance gegeben und sie hatte sie ergriffen. Entsetzt und gleichzeitig zufrieden stellte ich fest, daß ich meine Arme um ihren Nacken geschlungen hatte und unsere Zungen bereits ein wildes Duell ausfochten. Merkwürdigerweise hatte ich keine Angst, daß das nur ein Impuls sein könnte, nur der Moment, und ich alles dafür zerstörte... Denn das war es nicht, irgendwie wußte ich das ganz genau.

„Du weißt nicht, was du tust", hauchte ich, als ich schließlich mit dem Kopf an ihrer Schulter ruhte und tief ein- und ausatmete. „Doch... Das weiß ich und ich habe nur eine Frage." Sie wartete, anscheinend auf eine Aufforderung fortzufahren. „Welche?" Für einen weiteren Moment schwieg sie und drückte mich dann sachte von sich weg, so, daß ich ihr in die Augen sehen konnte – oder mußte, je nachdem. „Wirst du das hier jemals verlassen... für mich?" Meine Antwort war schnell, bestimmt und ohne jeglichen Zweifel und sie war wahrscheinlich der größte Frevel meines unerfüllten Lebens. „Ja. Das verspreche ich."

---Ende Rückblick---

(Hotaru)

Und dann war ich wieder zurück, für einen kurzen Moment zurück im Nichts, verfolgt und gequält von der einen Erinnerung. Ich schloß die Augen und als ich sie wieder öffnete, sah ich genau in das warmlächelnde Gesicht des einzigen Menschen, für den ich jemals Gefühle hatte, meine Retterin, mein Leitstern und die Sonne in meiner Dunkelheit. Die blauen Augen Minako Ainos sahen mich besorgt und glücklich zugleich an. Eine Welle von wohltuender Wärme überkam mich und ich konnte mir nicht helfen, als einfach nur schwach zu lächeln. Mehr brachte ich nicht fertig.

(Minako)

Mein Herz schlug Purzelbäume und drehte sich wiederholt im Kreis vor Freude, als mein Glühwürmchen die Augen öffnete und ich ihr direkt in diese tiefen, mysteriösen aber gleichzeitig wunderschönen Augen sehen konnte, die ich befürchtet hatte nie wieder zu sehen. Sie lächelte schwach und ihr Blick ruhte allein auf mir. „Hey..." flüsterte sie eine schwache Begrüßung. Ich lächelte zurück und strich ihr dabei sanft ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Hey."

Bedrückendes Schweigen lastete für eine Weile auf dem Raum und ich hielt weiter ihre Hand. Sie senkte kurz ihren Blick und sah dann wieder zu mir hinauf, mit großen Augen voll Verwunderung und Gerührtheit. „Warst du die ganze Zeit hier?" Ich nickte schwach. „Sie haben mich erst nicht reingelassen, ich hab mich heute Nacht aber reingeschlichen." Es war besser ihr erst einmal nichts von dem Angriff zu erzählen, sie würde sich nur unnötig Sorgen machen und das wollte ich ihr nicht zumuten. Sie lud jetzt schon zuviel Schuld auf ihre eigenen Schultern. Und das hätte sie beinah...

Schließlich konnte ich es nicht mehr zurückhalten und vergrub meinen Kopf tief in ihr Krankenhaushemd und durchnäßte es mit Tränen. All die Angst, die Verzweiflung und der ganze Streß der letzten Wochen brach hervor und war nicht mehr zu halten. Ich schämte mich ein wenig, mich nicht so kontrollieren zu können, wie es meiner Stellung angemessen war. Hotarus noch zittrige Hände strichen sanft durch mein Haar und ich hörte sie beruhigende Geräusche machen. Ansonsten sagte sie nichts.

„Ich dachte... Ich dachte, ich hätte dich verloren. Du wärst beinah gestorben und... und..." Mehr konnte ich nicht herausbringen. Hotaru straffte sich etwas und ihre Stimme klang ein wenig traurig. „Eigentlich hatte ich das ja auch vorgehabt aber... es hat wohl nicht ganz funktioniert." Ich sah mit tränenverschmierten Gesicht zu ihr auf. „Du bist so dumm, Glühwürmchen. Verstehst du denn nicht, daß du mir damit noch viel mehr wehgetan hättest? Ich will dich nicht verlieren, nicht so und auch nicht anders. Was nützt mein Versprechen dich zu beschützen, wenn du dich selbst umbringst?" Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloß ihn aber gleich wieder.

Vorsichtig setzte ich mich wieder auf und nahm wieder ihre Hand. „Weißt du es ist soviel passiert und ich muß sagen, ich bin ziemlich verwirrt gewesen. Aber ich glaube, ich habe noch nie klarer gesehen als jetzt. Du hast zu mir gesagt, ich soll mit dem Menschen zusammensein, den ich wirklich liebe, mit dem ich glücklich werden kann. Und du hattest Recht damit, genau das sollte ich tun."

Ich berührte mit der anderen Hand sacht ihre Wange und schloß die Augen. „Erinnerst du dich?"

---Rückblick---

(Aishar)

Ob sie wohl kommen würde? Ich war mir dem überhaupt nicht mehr so sicher wie ich mir in den letzten Tagen so oft eingeredet hatte. Zugegeben glaubte ich momentan fast, ich wäre verrückt. Wenn je jemand herausfand, was ich hier tat... Ich hatte Dinge in Gang gesetzt, von denen ich nicht wußte, ob ich sie kontrollieren konnte. Wie sollte ich auch? Sie war mächtiger als ich, gefährlich und in der ganzen Galaxis gefürchtet und trotzdem... trotzdem liebte ich sie. Das war verrückt und wahnsinnig. Ich war sicher, es würde Konsequenzen nach sich ziehen, deren Folgen keiner von uns absehen konnte. Doch da war diese seltsame Anziehung, die mich anzog, die mich gerufen hatte, dieses mysteriöse Unbekannte und die Neugierde. Es fühlte sich so richtig an und gleichzeitig so fremd.

Dazu kam, daß das, was ich hier tat, meine noch junge Beziehung mit Kunzite beeinflussen könnte und mit Sicherheit auch würde. Ich liebte ihn, ja. Zumindest glaubte ich das. Aber... Was ich für Rhea plötzlich empfand war so anders, so viel stärker. Es erinnerte mich an das, was Saito und ich gehabt hatten. Ich konnte mich kaum noch an ihn erinnern und vielleicht war das auch besser so. Doch die bruchstückhafte Erinnerung reichte, um das Gefühl, die Emotionen, die ich jetzt empfand, vergleichen zu können mit denen von damals. Und das ängstigte mich. Es ängstigte mich so sehr, daß ich am liebsten wieder umkehren und davonlaufen würde. Ich glaube, Rhea hätte es bestimmt verstanden. Jedoch noch viel mehr ängstigte mich, daß ich nicht in der Lage war umzukehren. Etwas hielt mich. Ein Gefühl von Notwendigkeit. Was war so notwendig? Das wir zusammen waren? Wie konnte das notwendig sein? Es brachte doch nur Probleme und Schwierigkeiten, die niemand von uns wollte...

Es war sinnlos. Ich würde warten und weiter warten, bis sie kam. Ein neutraler Ort sollte es sein und so hatten wir beschlossen uns zuerst hier auf Ceres, einem der inneren Asteroiden zu treffen, die immer noch ohne Kriegerin waren, von denen man aber sagte es würden welche in ihnen schlummern... Es wäre sicher kein Problem gewesen ein Treffen auf meinem Heimatplaneten einzurichten. Es gab genug Möglichkeiten. Doch das erschien mir für den Moment zu riskant. Und so wartete ich und hoffte sie würde kommen. Aber wahrscheinlich würde sie es nicht...

Ein kalter Windhauch, ein Flüstern in der Luft... Ich drehte mich um und da stand sie. In einem langen weißvioletten Kleid. Das Planetensymbol von Saturn leuchtete hell und klar. Ihre Aura strahlte einen unnatürlichen Schimmer von Wärme aus. Unnatürlich für die Person, zu der sie gehörte.

„Ihr seid also gekommen?" Zwanghaft versuchte ich Blickkontakt zu vermeiden. Eine letzte Chance gab es aus dieser Situation heraus. Nur noch eine. „Ich weiß selber nicht, warum ich eigentlich hier bin", entgegnete sie genauso wie ich es auf Saturn gemacht hatte. „Dann solltet Ihr wieder gehen", sagte ich trocken und es war in dem Moment, in dem unsere Augen sich trafen und eine ganze Flut von Emotionen durch mich hindurchfuhr. Ich schluckte hart und wartete auf ihre Antwort, die so oder so sowohl erleichternd, als auch verletzend beziehungsweise ängstigend sein würde.

„Gehen werde ich erst, wenn mir danach ist." Und damit war es besiegelt. Irgendwas sagte mir, daß damit unser Schicksal für immer miteinanderverknüpft sein würde, egal wie dieses aussehen würde. Ob ich nun glücklich sein oder Angst haben sollte, das wußte ich nicht. Wahrscheinlich beides. Doch das war eine Tatsache, die sich nicht mehr ändern konnten. Wir hatten einen Pfad betreten, dessen Ziel unklar war und von dem es keine Möglichkeit gab abzuweichen.

---Ende Rückblick---

(Minako)

Ich stand da und sah einfach nur zu wie sie die Szene beobachtete, die uns bis hierher geführt hatte. Ich hatte mich nicht getäuscht damals. Mir war klar gewesen, es würde kein Zurück mehr geben. Ein kleiner Teil von mir wünschte sich, ich hätte den Mut und die Kraft aufbringen können mich abzuwenden und zu gehen, doch der Teil, der all das nicht bereute, was geschehen war, so schmerzhaft es auch gewesen sein mochte, dieser überwog doch.

Hotaru drehte sich schließlich zu mir um und die Szene verblaßte in dem Muster aus ineinanderfließenden Farben, die eine angenehme, wenn auch seltsame Umgebung darstellten. Sie trug genausowenig Kleidung wie ich es tat. Nur ihr Planetensymbol leuchtete sanft auf ihrer Stirn. Wir waren nur Geister hier und doch wieder nicht. In einer gewissen Weise war dieser Ort real, fernab von allem Bekannten. Ich wußte selber nicht, wo hier war aber das war auch nicht weiter wichtig.

„Als du damals gekommen bist, da wollte ich am liebsten weglaufen. Nicht vor der Angst allein, sondern gerade weil ich bleiben wollte... Das klingt paradox, ich weiß. Aber du hast mich fasziniert und das ängstigte mich, weil es nicht sein durfte." Ich ergriff ihre Hände und wir standen eine ganze Zeit so da und sahen uns an. „Zuerst hatte ich gedacht, es wäre nur für eine gewisse Zeit, etwas, das ich ausprobieren müßte... Aber dem war nicht so, das begriff ich schnell. Du hast mir soviel gezeigt, Dinge, die ich gar nicht sehen durfte, Dinge, die zu belastend waren, um sie jemanden zuzumuten, aber auch Dinge, die ich weder mit Saito noch mit Kunzite erlebt oder gefühlt hatte. Wir hatten uns ergänzt in einer Art und Weise, die ich noch nie erlebt hatte.

Dann sind wir wiedergeboren worden und wir hatten endlich die Chance normal ohne Gesetze und Bindungen zu leben. Doch alles war plötzlich viel... komplizierter. Ich mache dir keine Vorwürfe mehr für dein Handeln, das ist sinnlos, denn wahrscheinlich hätte ich ähnlich reagiert. Trotzdem... Trotzdem haben wir uns wiedergefunden, so wie wir es einander versprochen haben. Und ich denke, nun weiß ich, was ich zu tun habe."

Ihre Hand loslassend vollführte ich eine knappe Handbewegung und hatte den Sternenring zwischen den Fingern meiner rechten Hand, den Hotaru mir gegeben hatte. Für einen kurzen Moment war ein Ausdruck von Enttäuschung und Resignation in ihren Augen zu erkennen, als ich den Ring in ihre Hand legte und meine darüber schloß. Doch ich beeilte mich dieses Unbehagen beiseite zu schieben.

„Ich habe ihn immer bei mir getragen. Auch wenn ich damals noch nicht bereit war, ihn anzunehmen. Er hat mir immer Glück gebracht. Doch ich denke, jetzt brauche ich ihn nicht mehr in meiner Tasche zu tragen." Ich lächelte schwach und atmete tief durch, als ich sah, daß der traurige Blick noch nicht verschwunden war. Meine Wortwahl war auch schon einmal besser gewesen. Es wurde Zeit für die endgültige Entscheidung. „Mein Stern solle fallen wie deiner, damit wir als einer wiederauferstehen... Ja, Hotaru Tomoe, Sailorsaturn, Prinzessin Rhea und mein Glühwürmchen, aishiteru und ich möchte deine Sternschnuppe sein."

Bis heute glaubte ich nicht, daß es einem Menschen möglich sein sollte so zu strahlen. Es waren keine Worte notwendig, als Tränen der Freude und des Glückes in ihre Augen schossen. Ihre sanfte Aura flackerte heftig auf und ihr trauriger Ausdruck wandelte sich in ein Lächeln, daß die Dunkelheit des Chaos selbst hätte erhellen können. Mit zitternden Händen und gleichzeitig einer Grazie, die nur ihr zu eigen war, nahm sie meine Hand und ließ den Ring an meinen Finger gleiten. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, lehnte sie sich vor und küßte mich.

Nur am Rande nahm ich wahr wie der Raum um uns weiter verschwamm und wir uns schließlich wieder zurück im Krankenzimmer befanden, den innigen Kuß immer noch haltend. Hotaru saß aufrecht in ihrem Bett – wie auch immer das vonstatten gegangen war – und hatte ihre Arme um meinen Nacken geschlungen.

Der Kontakt hielt sicher eine halbe Ewigkeit und der kleine unscheinbare Ring an meinem Finger glitzerte und funkelte als Antwort darauf. Schließlich lösten wir uns langsam voneinander und ich fing ein paar Freudentränen mit der flachen Hand auf. Wie gerne hätte ich mehr getan, ihr mehr gegeben. Sie verdiente soviel mehr. Jedoch ich spürte ihre Erschöpfung, als wäre es die meine – vielleicht war es auch meine...

„Ruh dich etwas aus und mach dir keine Sorgen. Wir bekommen das schon hin." Hotaru nickte sachte und gab mir einen letzten kleinen Kuß auf die Lippen und ließ sich zurückfallen. Ein breites, freudestrahlendes Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, als ich aufstand und auf sie hinabsah. Sie lächelte immer noch zu mir hoch und ich beugte mich noch einmal hinunter und plazierte einen Kuß auf ihre Stirn. „Schöne Träume."

Ja, beschloß ich, als ich den Raum leise verließ und mir die breit grinsenden Gesichter von Usagi und Momoko gefallen lassen mußte, es war die richtige Entscheidung gewesen. Man sagte, Gegensätze zogen sich an und ich glaube, es hatte noch nie so zugetroffen wie auf uns beide. Ich würde Saito immer lieben aber er war nicht das, was ich mir für eine ewige Bindung wünschte. Wir waren uns zu ähnlich und würden beide es niemals halten können treu zu bleiben. Jedenfalls er nicht aber das schlug dann meistens auch auf mich nieder. Bei Hotaru war das etwas anderes. Was auch immer die anderen sagen mochten, ich wußte, war vollkommen sicher, daß ich es nie übers Herz bringen konnte sie zu betrügen. Aus dem simplen Grund, weil sie mir schon alles gab, was ich brauchte.

„Sag Rei, sie soll sich nach einem geeigneten Ort für eine Zeremonie umsehen." Mit diesen Worten an Usagi gerichtet und einem seligen Lächeln auf den Lippen verließ ich den Krankenhaustrakt und machte mich auf dem Heimweg, zärtlich über den funkelnden Ring an meinem Finger streichend.

(Mamoru)

Ich öffnete die Tür und war überrascht direkt in das grimmige Gesicht von Makoto zu blicken. „Ist Usagi da?" kam sie ohne Umschweife zum Thema und ich hatte irgendwie das Gefühl, als ob sie mich gar nicht richtig zur Kenntnis nahm. Es war kein Kunststück für mich zu erahnen, warum sie so grimmig war. Usakos Aktion von gestern mußte eine Menge Spannungen aufgebaut haben. In einer gewissen Weise war ich stolz auf sie, daß sie in einer solchen Weise die Initiative ergriffen hatte. Doch Makoto schien das nicht so zu sehen, irgendwie konnte ich nur vermuten, daß in der Zwischenzeit mehr passiert war als ich gedacht hatte. Usagi war am vergangenen Tag ein wirbelndes Bündel aus Hektik gewesen und heute hatte ich sie noch gar nicht gesehen, da sie früh aus dem Bett war.

„Nein, ich dachte du wüßtest, daß sie euch ablösen wollte?" Für einen Moment schien die große Brünette verwirrt, dann zuckte sie mit den Schultern. „Ich bin eher gegangen. Es war unnötig mit Rei da und Minako unbeweglich an Hotarus Seite dazubleiben und ich hatte einiges, worüber ich nachdenken konnte." Das kann ich mir vorstellen, dachte ich, sprach es aber nicht laut aus. „Warum kommst du nicht rein. Ich bin sicher Usako kommt bald zurück. Sie wollte nicht lange bleiben, da sie noch was vorbereiten mußte." Makoto nickte und zwängte sich an mir vorbei, bevor ich überhaupt Zeit hatte Platz zu machen. „Das kann ich mir vorstellen. Kann ich eure Dusche benutzen?" Erneut wartete sie nicht auf meine Antwort, sondern war schon in Richtung Badezimmer verschwunden, bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte. „Bedien dich", murmelte ich.

Kopfschüttelend trat ich ins Wohnzimmer und setzte mich auf das Sofa. Für einen Moment schloß ich die Augen und versuchte mich zu entspannen. Etwas brodelte, etwas würde geschehen... nein, es war schon geschehen aber war noch nicht zuende. Es war wie eine zentnerschwere Last, die auf den Schultern der Erde lastete. Kurz, ganz kurz war diese Last aufgehoben. Das Gefühl der Wärme und Liebe hatte mich aus meinem Schlaf geweckt und es war leicht zu identifizieren gewesen.

Luna nannte es das Erwachen meiner rechtmäßigen Kräfte über diesen Planeten. Die Macht, die mich zu Usakos gleichgestellten Partner und König machen würde. Ich spürte die Echos des Zustands der Erde immer deutlicher und ich fühlte deutlich, wenn etwas nicht richtig war, so wie jetzt.

„Mamo-chan...?" Ich sah ruckartig auf. Usagi stand am Türrahmen lehnend, ein Ausdruck von Müdigkeit und Abgekämpftheit betonte ihre ganze Haltung. Ich hatte das schon öfters in den letzten Tagen bemerkt aber nie war es so... offensichtlich gewesen. Zum Aufstehen kam ich nie, denn sie durchquerte den Raum schnell und ließ sich mit einem tiefen Seufzer neben mich fallen... OHNE sich an mich zu schmiegen oder anzulehnen oder sonst eine Art von Zuneigung und notwendiger Nähe zu zeigen.

„Machst du mir einen Kaffee, Schwarz?" Ich nickte schwach, irgendwie hatte ich das Gefühl, daß das ein längeres Gespräch sein würde. Sorge war ein zu schwaches Wort, um zu beschreiben, was ich gerade empfand, als ich abwesend zwei Tassen von dem Kaffee zubereitete, den ich eigentlich für mich gemacht hatte. Diese ganze Sache um Minako und Hotaru hatte sie mehr mitgenommen als die Sache mit den Shiekah. Das war keine Untertreibung. Es war anders als damals, doch sie gab mir das Gefühl jetzt endgültig nicht mehr das Mädchen sein zu können, das ich im zarten Alter von vierzehn Jahren kennen und lieben gelernt hatte. Und beim besten Willen konnte ich mir nicht beantworten, ob das gut oder schlecht war.

Beinah hätte ich die dampfenden Kaffeetassen fallengelassen, als ich wieder ins Wohnzimmer trat. Die Szene vor meinen Augen drohte mein Herz genau in der Mitte durchzureißen. Usagi saß da mit leeren Blick ins Nirgendwo starrend und weinte. Kein Weinen, wie es für Usagi typisch war. Nein, dieses hier war leise und mit einem Ton von Bitternis. Und das war viel schlimmer als jede offenherzige Träne, die ich sonst schon so oft bei meiner Usako gesehen hatte.

Lautlos ging ich zu ihr hinüber und stellte die Tassen auf den flachen Tisch und wollte sie umarmen, doch sie schüttelte mich ab, was mich ziemlich irritierte, und griff nach ihrer Tasse. Nachdem sie einige Schlücke genommen hatte – ich wagte gar nicht meinen Kaffee anzurühren –, setzte sie das heiße Gebräu wieder ab und sah mich mit ernsten Augen an. Da waren keine Tränen mehr, nur ein schmerzender Hauch von Bitternis und Selbstbeschuldigung, für was auch immer. „Mamoru..." Huh, wie? Was? Seit wann...? „Bin ich eine gute Prinzessin?"

Wenn ich nicht schon gesessen hätte, ich glaube nicht, daß ich schnell genug einen Sitzplatz gefunden hätte, selbst wenn ich direkt davor gestanden hätte. Entgeistert starrte ich meine Verlobte an. Es gab Tausende, Millionen von Fragen, die sie hätte stellen können und die mich nicht im Geringsten überrascht hätten, aber diese hier... Diese traf mich so unvorbereitet, daß ich froh war meinen Kaffee nicht angerührt zu haben, denn es wäre wohl nicht mehr viel davon übriggeblieben. Diese Frage war so paradox, daß sie Gefahr lief sich selbst zu widersprechen. Normalerweise hörte man diese Frage umgedreht als verneinte Feststellung von den anderen und gerade Luna, zumindest war es am Anfang so gewesen. Aber niemals – NIEMALS – hatte Usagi ihre eigene Position in Frage gestellt, das war einfach absurd.

Ich war sicher für ein paar Sekunden hatte ich den Atem angehalten, bevor ich es schließlich schaffte mich einigermaßen zu fangen und diesen ernsten, erwartenden Augen eine Antwort zu geben. „Nun, gemessen daran, daß du in diesem Leben nie als eine Prinzessin aufgezogen worden bist und bis zu deinem vierzehnten Lebensjahr das komplette Gegenteil davon warst, würde ich schon sagen, daß du unter den gegebenen Umständen eine gute Prinzessin bist." Sie lachte, bitter, und ich schluckte hart. „Das ist nicht wahr und du weißt es." Sie sagte es mit einer solchen Bestimmtheit und Glauben daran, daß ich mich in diesem Moment fragte, wer meine Usako auf dem Heimweg ausgetauscht hatte. Doch das konnte nicht sein, da ich immer noch unsere Verbindung spüren konnte.

„Eine gute Prinzessin sollte in der Lage sein, die ihr anvertrauten Aufgaben zu erfüllen, oder? Aber das habe ich nie. Ich komme mir vor, als ob ich versagt hätte. Eine Prinzessin sollte es schaffen unter allen Umständen die Kontrolle zu behalten, doch das habe ich nicht. Du willst jetzt wahrscheinlich sagen, das würde nicht stimmen, aber denk einmal nach. Unser Schicksal ist es eines Tages ein neues Silberreich zu errichten, früher als wir uns jetzt wahrscheinlich vorstellen können. Doch wie kann ich eine gute Königin sein, wenn ich als Prinzessin nicht mal in der Lage bin, die zusammenzuhalten, mit denen wir GEMEINSAM ein neues, friedliches Königreich aufbauen sollen."

Ich hätte wohl etwas sagen sollen aber schwieg statt dessen. Etwas sagte mir, daß sie das einfach alles mal ausschütten mußte, ohne, daß jemand ihr ständig versicherte, es wäre nicht ihre Schuld und sie würde alles so gut tun wie sie konnte. Es war schwer nichts zu sagen und herzerreißend ebenso, doch wenn sie jetzt nicht redete, würde es später nur noch schlimmer werden.

„Merkst du nicht?" fuhr sie fort und vermied es mich direkt anzusehen. „Wir fallen auseinander." Ich hob fragend eine Augenbraue und wartete bis sie fortfuhr. „Inners und Outers waren nie gut aufeinander zu sprechen gewesen und da fängt es schon an falsch zu werden. Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir alle eine große, glückliche Familie hätten sein können oder besser sein sollen. Es wäre meine Aufgabe dafür zu sorgen aber ich hab zu lange akzeptiert es so zu belassen wie es war und zu hoffen, alles würde sich von allein einrenken. Aber dem war nicht so.

Ich frage dich, wie können wir zusammen ein Königreich regieren, wenn wir die meiste Zeit nicht einmal untereinander auskommen? Wofür sind wir denn alle zusammen auf dieser Welt wiedergeboren worden, damit wir alle zusammen sind. Man könnte sagen, es ist eine Linie, die uns langsam zusammenbrachte, von einzelnen Göttinnen auf unseren Planeten, über Gruppen von Kriegerinnen, hin zu einer Einheit... Nur, daß diese Einheit nicht existiert, jedenfalls nicht wie sie es sollte."

Stumm nahm sie einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee, während ich meinen immer noch nicht angerührt hatte. Ich war baff von ihren Worten, das mußte ich zugeben, nicht nur von dem schweren Gewicht an Verantwortung, das sie auf sich lud, sondern gerade von ihrer klaren und logischen Analyse, die von Ami oder vielleicht auch von Rei hätte kommen können.

„Aber es ist nicht nur das. Wir – damit meine ich uns Inners – wir driften auch langsam immer weiter voneinander weg. Man sollte meinen die letzten Ereignisse und die Zerstörung unseres Zuhauses hätte uns enger zusammenschweißen sollen aber dem ist nicht so. Dieser ganze Konflikt hat uns zerrissen.

Es ist nicht nur Mako. Ich habe kein persönliches Problem mit ihr oder Dallas oder ihr und Dallas, wie sie vielleicht denken mag. In diesem Moment war sie halt einfach nur in der Schußlinie, wie noch einige andere Male... Ami z. B. sieht man fast kaum noch, da sie sich immer mehr in ihre Studien vergräbt. Das ist in Ordnung aber ich habe das Gefühl sie schließt sich aus, wie sie es getan, als wir sie zum ersten Mal getroffen haben. Rei ist mir fremd geworden, das muß ich zugeben. Es gibt Tage, da denke ich, ich habe sie ganz an Mars verloren. Ich weiß, daß das nicht stimmt, doch ich vermisse die alten Zeiten. Und Minako... Ihre Probleme brauche ich nicht zu erläutern, obwohl ich glaube, daß sie noch am ehesten versteht, was mit uns geschieht.

Gerade deshalb, versuche ich mich so sehr für sie und Hotaru einzusetzen. Ihre Beziehung hat uns alle wieder näher zusammengebracht und obwohl wir uns nicht ganz einig waren, was wir davon zu halten hatten, stimmten wir doch darin überein, Hotaru unter allen Umständen zu beschützen und als Dallas dann etwas gesagt hatte, da ist es mit mir durchgegangen.

Ich will nicht, daß wir alle auseinanderbrechen. Ich glaube nicht, daß ich in der Lage sein könnte eine Königin zu sein, ohne sie – jede von ihnen. Ich glaubte dieses Bündnis zwischen Minako und Hotaru könnte uns allen zugute kommen, doch mittlerweile... bin ich mir da nicht mehr so sicher."

Wortlos nahm ich ihr die Tasse aus der Hand, als sie anfing zu schluchzen und unkontrolliert zu zittern. Dieses Mal akzeptierte sie meine Umarmung und begann endlich offenherzige Tränen hervorzubringen. „Ich kann das nicht, Mamo-chan... Ich habe versucht sie zusammenzuhalten, meine Stellung zu nutzen aber es wird nie wieder alles so sein wie es war oder wie es sein sollte. Sie sind schon zu weit weg, um zu verstehen. Und ich kann es einfach nicht ertragen sie zwanghaft zusammenzuschweißen.

Das Einzige, was ich will, ist, daß alle glücklich sind. Doch es scheint, daß jeder Tag uns weiter von diesem Ziel wegbringt. Versteh mich nicht falsch. Ich will Kristall Tokyo, ich will eine friedliche Zukunft, eine Familie, Chibiusa, all das und ich will es alles mit ihnen zusammen. Doch... Ich glaube nicht, daß ich je sein kann, was mir vorherbestimmt ist. Ich kann diese Fassade nicht mehr aufrechterhalten, es ist zu schmerzhaft, obwohl ich weiß, daß es sein muß..."

Ich fühlte, spürte sie wollte noch viel mehr sagen, doch ihr fehlten die Worte und die Tränen machten es unmöglich. Schließlich gab sie sich vollends ihren Emotionen hin und ich konnte nichts anderes tun, als sie festzuhalten und sanft durch ihr goldenes Haar zu streichen. Selten hatte ich mein Usako so vollkommen am Boden zerstört und hilflos gesehen und noch nie in all der Zeit, die ich sie kannte, hatte sie einen solch langen Monolog zustande gebracht. Ich schwor mir in dem Moment alles zu tun, um ihr da durchzuhelfen. Schließlich war die Zukunft nicht nur allein ihre Sorge, denn es war auch meine, und ich schämte mich nicht bemerkt zu haben, was sie schon so klar erkannt hatte. Ich begriff, daß ich noch lange nicht ein gleichwertiger Partner für sie war.

Mich beschlich das ungute Gefühl, daß ich etwas vergessen hatte und sah auf. Makoto stand, ein Handtuch um die Schultern hängend, mit einer Mischung aus Schock und einem Ausdruck, den ich nicht interpretieren konnte im Türrahmen. Da war ein Ansatz von Schuld aber noch so viel mehr. Usagi mußte gemerkt haben wie ich mich versteift hatte und schaute ebenfalls auf. Für den Bruchteil einer Sekunde schien es, daß ihre und Makotos Augen sich trafen und die Zeit schien im wahrsten Sinne des Wortes gefroren zu sein.

Dann, ganz langsam, stand Usagi auf und ging auf Makoto zu. Ich konnte Usakos Gesicht nicht sehen aber das von Makoto war ausdruckslos, nicht mehr grimmig wie vorhin, sondern ausdruckslos. Ich hatte es kommen sehen, bevor es passierte. Ihre Hand war so schnell, daß ich sie kaum sah. Usagis Kopf zuckte zurück und sie gab nicht einen Laut von sich. Sicherlich war das nicht böse gedacht gewesen, sondern nur eine aufweckende Geste, um Usagi aus ihrer selbstmitleidigen Trance zu bringen – so sah es zumindest sicher für Makoto aus – aber Usako verstand es vollkommen falsch. Ihr Kopf hob sich nicht wieder um Makoto anzusehen, und ihre Augen waren gen Boden gerichtet, als sie sich schneller an Makoto vorbeizwängte als sie auch nur ein Wort sagen konnte. Man hörte die Wohnungstür leise in Schloß fallen und wenn jemand jetzt eine einzelne Münze hätte fallen lassen, wäre es wohl einer Nuklearexplosion gleichgekommen.

Innerhalb eines Augenblickes war ich schon halb aufgesprungen, verharrte dann aber und setzte mich wieder. Es brauchte nur einen einzigen Blickkontakt und Makoto hatte sich umgedreht und folgte Usagi wortlos. Ich schnitt eine Grimasse, als die Haustür ein zweites Mal – diesmal wesentlich lauter – ins Schloß fiel.

Meinen Kaffee hatte ich immer noch nicht angerührt... Seufzend erhob ich mich, um mir eine neue Tasse einzuschenken. Jetzt weißt du, warum du den Tag nie ohne eine gute heiße Tasse Kaffee beginnen solltest...

(Makoto)

Ich lief den Bürgersteig entlang, ignorierend, daß die Leute stehen blieben und mich verwundert ansahen. Das nasse Haar klatschte mir ins Genick und das Handtuch, das ich um die Schultern gewunden hatte, war unterwegs irgendwo verloren gegangen. Ich atmete schwer und durch das dünne T-Shirt drang die kalte Oktoberluft. Ich nahm es nicht mehr wahr. Meine Reaktion war unüberlegt gewesen, doch ich hätte es nicht lassen können. Und es hat gutgetan. Obwohl ich Usagi wegen diesen Worten einen Augenblick am Liebsten an mich gedrückt hätte, schrie die andere Hälfte in mir danach ihr eine reinzuhauen. Ich wollte sie nicht weinen sehen. Ich wollte überhaupt keine Tränen mehr sehen, keinen Streit und keine Gefühlsausbrüche. Ihre Worte, die sie mehr zu sich selbst als zu Mamoru gesagt hatte, hatten sich in mein Gedächtnis eingraviert. Sie waren für mich, Ami, Rei, Minako, und auch die Outers gedacht. Und tatsächlich begann ich mich schuldig zu fühlen, was selten bei mir vorkam. Schuldig, daß ich Usagis Traum zerstörte, daß sie unter anderem meinetwegen Gewissensbisse hatte nicht ihrer Position als Prinzessin gerecht zu werden. Daß ich noch nie zu der glücklichen Familie, die sie sich wünschte beigetragen hatte, weil ich immer mehr auf mich selbst vertraut hatte, meinen eigenen Befehlen folgte und mir nie die Mühe gegeben habe mit den Outers ins Reine zu kommen. Doch auf der anderen Seite hatte ich immer noch die brennende Wut in mir, die in mir brodelte als ich zugeschlagen hatte. Es war nicht mein Fehler. Es war nicht mein Fehler, daß die Shiekah wieder aufgetaucht waren, daß ich mich wieder an meine Vergangenheit erinnere und daß Dallas wieder da ist. Vor allem, daß ich mich wieder an Jupiter erinnerte, an diese verfluchte Jupiter, die Makoto Kino vor einigen Monaten platt gewalzt hatte. Die starke Kriegerprinzessin, die sich nach alten Zeiten und nach Lyzäos sehnte. Sie war immer noch in mir und würde wohl niemals sterben. Jupiter hatte sich in meiner Seele festgefangen, sie würde nicht ruhen und nicht zulassen, wenn ich etwas tat, was sie nicht wollte, nämlich unter Befehlen arbeiten und nicht allein das tun würde, was mir gefiel. 

Usagi mußte hier in der Nähe sein. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie weit gelaufen war, außerdem lief ich selbst ziemlich schnell. Ich blieb stehen und sah mich schwer atmend um. Neben mir war ein kleiner Kinderspielplatz. Ich stieß das Tor mit dem Fuß auf und stellte fest, daß ich mich nicht geirrt hatte, Usagi saß auf dem Rand des Sandkastens und rührte sich nicht. Sie wandte mir den Rücken zu und hatte das Gesicht halb in den Händen vergraben. Die langen blonden Zöpfe berührten fast den Boden. Ihr mußte genauso kalt sein wie mir, denn sie hatte ihren Mantel ebenfalls vergessen.

Erschöpft ließ ich mich auch auf den Rand sinken, auf der gegenüberliegenden Seite, ihr ebenfalls den Rücken zukehrend. Ich starrte hoch in den wolkengrauen Himmel. Worte fuhren mir durch den Kopf, Worte um sie anzufahren, um sie zu trösten, um ihr zu erklären. Doch kein halbwegs anständiger Satz fiel mir ein. Ich wußte tatsächlich beim besten Willen nicht, was ich sagen sollte, obwohl ich sonst immer die große Klappe hatte. Daß ich nicht mal mehr wußte, was ich meinen besten Freunden zu sagen hatte, machte mich halb wahnsinnig.

Ich scharrte mit den Füssen im Sand herum und zwang mich etwas zu sagen. „War das alles einfach als wir noch Vierzehn waren..."  murmelte ich. „Selbst wenn wir uns schon damals mit Zoisite und Kunzite rumschlagen mußten... Irgendwie mußten wir doch nur auf die Befehle von Luna und Artemis hören und sie befolgen. Damals habe ich gekämpft, wenn es sein mußte, ohne zu überlegen, ob es immer richtig war. Wenn der Kommunikator gepiepst hat bin ich jedesmal ganz kribbelig geworden vor Lust aufs Abenteuer. Hätte ich auf der Seite der Feinde gestanden, hätte ich todsicher genausowenig überlegt, ob es richtig war." Die Worte begannen plötzlich aus mir rauszusprudeln. „Jetzt ist alles anders. Noch bevor die Shiekah aufgetaucht sind, während dem Kampf von Galaxia als du den Ursprung der Sterne gesehen hast, und als die Frau alles, Licht- und Schattenseite, in Frage gestellt hat, fragte ich mich, warum wir eigentlich behaupten für Gerechtigkeit zu stehen. Wir kämpfen doch alle, genau wie unsere Gegner, ums Überleben."

Ich legte mich jetzt mit dem ganzen Körper auf die Bank und starrte in den Himmel, während ich weiterredete. „Und dann kam Cortez. Wir durften unsere letzte und gefährlichste Seite kennenlernen. Eine wilde Göttin der Kraft nimmt von mir Besitz und ich erinnere mich an all das Gemetzel, an die Kämpfe und an meine unzähligen Sünden aus der Shiekahzeit. Jupiter wurde von den Meuren wieder verdrängt, aber sie lebt weiter. Und sie befiehlt mir genauso zu leben wie damals, was aber der Untergang von Makoto Kino wäre. Oft habe ich Angst, daß sie wieder Überhand nimmt...Seit Jupiter erwacht war, war mir die ganze Welt, das Mondkönigreich, Kristall Tokyo und die Aufgabe als Sailorkriegerin plötzlich egal."

Ich schloß die Augen, denn es fiel mir unsagbar schwer das alles zu sagen, besonders vor Usagi. „Ich war noch nie eine gute Sailorkriegerin Usagi. Anfangs war ich eine kampfwütige, kleine Kuh, jetzt bin ich eine Verräterin an alle, die es gut mit mir gemeint haben."

Mir fiel plötzlich auf, daß jemand vor mir stand. Ich öffnete die Augen und starrte in Usagis blaue Augen. Sie lächelte. Es war ein trauriges Lächeln, doch von einer Art, die ich noch nie bei ihr gesehen hatte. Ich richtete mich auf und sah sie unbeweglich an.

„Makoto..." begann sie leise. „Du kannst dich nicht als Verräterin bezeichnen. Wie könntest du das auch, wenn du schon unzählige Male für die, die es gut mit dir gemeint haben, den Kopf hingehalten hast?"

Ich schüttelte diesen. „Das ist gar nichts, verstehst du, gar nichts. Ich kann kämpfen soviel ich will und solange ich will. Kämpfen ist für mich kein Problem. Doch wenn jemand mich fragen würde auf welcher Seite ich wirklich stehe, dann wüßte ich nicht, was ich antworten sollte. Ich möchte dir so gerne helfen Usagi, bei allem. Ich wünschte auch, daß wir alle eine große Familie sind. Wir, und damit meine ich jetzt die zehn Kriegrinnen, kennen uns jetzt schon seit Tausenden von Jahren. Jede kennt die Geschichte und Seele der anderen. Und trotzdem gibt es noch Gefahr, daß wir auseinandergerissen werden..."

Usagi hob den Kopf und sah mich mit einem fragenden und erwartungsvollen Blick an. Ich umarmte sie. „Es tut mir Leid, Usagi, dieser ganze Streit. Ich werde versuchen dir zu helfen bei deinem Weg zur Bestimmung", sagte ich leise. Usagi drückte mich fest und sagte nichts. Worte waren auch eigentlich nicht nötig. Nach einer halben Ewigkeit ließen wir einander auch wieder los.

Ich stand auf und band mir die braunen Haare, die nun vom Wind schon ganz lockig geworden war und noch dicker aussahen als schon sowieso, zu einem Pferdeschwanz zusammen. Usagi stand auch auf und lächelte. „Wir werden uns noch alle beide erkälten!" sagte sie.

Ich schauderte. „Allerdings. Gehen wir zurück."

Als wir nach zehn Minuten wieder drinnen in ihrer Wohnung saßen und Mamoru aus Diskretion getan hatte, als sei nichts gewesen, setzten wir uns ins Wohnzimmer. Usagi bestand darauf mir die Haare ordentlich zu fönen. Während sie sich mit meinen Locken rumplagte, spielte ich auf meinen Kommunikator ein kleines Game, das Ami einmal aus Spaß eingebaut hat. Während eine kleine Sailor V über den winzigen Schirm wieselte, fragte ich mich, wieso ich nicht mit Usagi über Dallas gesprochen habe. Ich wollte es einfach nicht. Davon abgesehen, daß Usagi feinfühlig war und es auch so begriff, wollte ich es ihr nicht zumuten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müßte sie vor Dallas beschützen. Auch mit Ami sprach ich selten über ihn, weil ich wußte sie hatte Angst vor ihm, obwohl er einmal mit ihr das Brettspiel der Shiekah gespielt hatte und sie sich gut amüsiert hatten. Doch das ist jetzt auch schon Monate her. Ihn konnte ich höchstens Minako und Rei zumuten. Überhaupt, ich fragte mich, wo er jetzt wohl gerade war...

„Autsch!" brüllte ich auf. „Usagi, hör auf mir die Nackenhaare auszureißen!" 

„Jetzt halt mal still!" keifte sie. „Wie soll ich sie denn sonst kämmen?"

„Kämmen muß man auch können..." murmelte ich. Dann lachten wir beide.