Geister(-unterrichts)stunde

Harry hatte sich schnell wieder erholt. Die ganze Sache kam ihm und seinen Freunden zwar sehr merkwürdig vor, doch das verdrängten sie ganz gut. Harry hatte von Professor Flitwick erfahren, dass Zoe ihn durch ihren Gesang zurück ins Leben geholt hatte. Diese wich allerdings jedes Mal aus, wenn man sie darauf ansprach und Harry beschloss einfach es hinzunehmen. Die letzten Tage vor den Weihnachtsferien waren angebrochen. Die Große Halle war schon geschmückt und Harry war sich sicher, dass er Hogwarts etwas vermissen würde, auch wenn er glücklich war, Weihnachten mit Shy und Sirius zu verbringen. Die letzte Stunde am Freitag war Wahrsagen. Ron und Harry waren gar nicht froh darüber. Professor Trelawny hatte die Angewohnheit Harry jedes mal ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk zu machen. Etwas frustriert stieg er nun die Treppe zum Wahrsagezimmer hinauf. Auf den kleinen Tischen stand jeweils ein umgedrehtes Glas auf einem Stück Pergament. Ron und Harry setzten sich nach ganz
hinten, als die Professorin auch schon kam. "Meine Lieben, ich weiß es ist die letzte Stunde vor den Ferien und darum habe ich mir etwas ganz besonderes ausgedacht. Wir werden heute mit der einfachsten der Geisterbeschwörung anfangen. Dem Gläserrücken." Harry und Ron schauten auf das Pergament. Es war genau in der Mitte geteilt. In der einen Hälfte stand groß JA und in der anderen NEIN. Was sollte das denn? "Ich werde euch nun sagen, was ihr zu tun habt. Zunächst müsst ihr den Geist prüfen. Ihr stellt ihm eine einfache Frage, dessen Antwort nur ihr wisst. Zum Beispiel: Heiße ich Sybill Trelawny? Ihr legt die Hände auf das Glas, schließt die Augen und wartet einen Moment, dann könnt ihr sehen in welche Hälfte das Glas gerückt ist. Verstanden?" Einstimmiges Nicken kam von der Klasse. "Wenn der Geist richtig geantwortet hat, dann könnt ihr ihn weiter befragen. Natürlich nur mit Fragen, die er mit ,ja' oder ,nein' beantworten kann. Hat der Geist jedoch falsch geantwortet, dann
brecht sofort ab und ruft mich, denn dann ist es ein böser Geist und mit denen ist nicht zu spaßen. Und noch etwas, fragt den Geist niemals nach eurem Tod, oder etwas schreckliches wird euch wiederfahren." Damit endete Professor Trelawny und überließ die Schüler sich selbst. Ron legte seine Hände auf das Glas und fragte "Heiße ich Severus Snape?" Dann legte Harry seine Hände auf Rons und sie schlossen die Augen. Sie kamen sich reichlich albern vor, aber zumindest würde es eine Stunde ohne Todesohmen werden. Sie nahmen die Hände vom Glas und konnten sehen, dass sich das Glas leicht nach rechts in das NEIN- Feld verschoben hatte. "OK, ich bin dran" sagte Harry und legte seine Hände aufs Glas. Er überlegte kurz, bis ihm eine gute Frage einfiel. "Werde ich viele Weihnachtsgeschenke bekommen?" Ron kicherte, legte dann aber auch seine Hände aufs Glas. Harry spürte ein Kribbeln. Er öffnete die Augen wieder und staunte nicht schlecht, als er sah, dass sich das Glas deutlich nach
links verschoben hatte. Ein eindeutigeres JA hätte er nicht bekommen können. Ron fragte den Geist, ob er mal sehr reich sein würde und als sich das Glas überhaupt nicht bewegte schmollte er. Nachdem sie alle ,normalen' Fragen durch hatten fiel Harry eine sehr interessante ein. Er legte die Hände aufs Glas und fragte: "Sind meine Eltern Geister?" Ron blickte ihn entgeistert an spielte aber mit. Das Glas rückte in das JA- Feld und Harry überkam ein sehr merkwürdiges Gefühl. Auf einmal fielen ihm Hunderte von Fragen ein. "Kennst du sie?" fragte er als nächstes und wieder bekam er ein JA als Antwort. Langsam wurde auch Ron neugierig. "Sind sie jetzt hier?" Harry konnte die Antwort nicht abwarten. Auch dieses mal bejahte der Geist. Plötzlich schauderte Harry. Er wollte nicht mehr weiterfragen, doch er und Ron waren einfach zu neugierig. "Bist du Dad?" Ein Schrei! Professor Trelawny kam wie wild kreischend zu ihnen hinüber. "Oh mein Gott, Mister Potter, Mister Weasley, hören sie
sofort auf. Sehen sie denn nicht, was passiert?" Harry und Ron schienen erst jetzt die Augen auf zu machen. Um sie herum war dichter, undurchdringlicher, schwarzer Nebel und ihr Glas war ebenfalls damit gefüllt. Professor Trelawny fuchtelte mit ihrem Zauberstab herum und der Nebel verschwand langsam. "Was hab ich ihnen Gesagt? Fragen sie Geister nie nach dem Tod!" schnaubte sie. "Aber das haben wir nicht Professor. Wir haben den Geist nur über Harrys Eltern ausgefragt" entgegnete Ron. "Wie dumm sind sie beide eigentlich. Glauben sie das Reich der Toten gehört nicht zum Tod? Seine Sie froh, dass ich es früh genug bemerkt habe. Die Stunde ist beendet." Etwas bedeppert dreinblickend verließen Ron und Harry den Nordturm. "Hätte sich die Trelawny eben deutlicher ausdrücken müssen" grummelte Ron, als sie im Gemeinschaftsraum angekommen waren. Harry war schweigsam. Er war nicht sicher, was er davon halten sollte. Hermine wartete schon. Sie hatte einen Brief in der Hand. "Der ist
für dich Harry, Hedwig hat ihn grade gebracht." Sie gab Harry den Brief. Er war von Shy. "Was schreibt sie?" fragte Ron neugierig. Harry begann vorzulesen.

"Lieber Harry,

ich habe eine große Bitte an dich. Ich weiß es ist sehr kurzfristig, aber es ist wirklich wichtig für mich. Es geht um meine Nichte Patricia. Ihre Eltern hatten einen schweren Autounfall und liegen im Krankenhaus. Ich habe sie über Weihnachten eingeladen. Sie kommt morgen eine halbe Stunde nach dir in Kings Cross an. Ich bitte dich sie von Bahnsteig 7 abzuholen. Sie ist etwas jünger las du, ich glaube 13. Sirius und ich holen euch dann ab. Danke im Voraus.

Shy

"Freu dich Harry, du darfst Babysitter spielen" höhnte Ron. "Hör bloß auf, Ron." Hermine sah Ron grimmig an. "Na toll und ich habe gehofft ich könnte dieses Jahr Weihnachten mal ganz normal verbringen." Harry ließ sich in einen Sessel plumpsen und ließ den Brief zu Boden fallen. "Ach komm Harry, das Mädchen kann doch nichts dafür." Hermine setzte sich neben ihn und sah ihn aufmunternd an. Am Abend packte Harry seine Sachen zusammen. Er war so aufgeregt, das er kaum schlafen konnte, obwohl er nicht wusste warum. Er würde doch nur nach hause fahren. Aber vielleicht war es gerade das. Als Harry endlich doch einschlief sah er Professor Trelawny, wie sie ihn und Ron ankeifte. Er wachte wie gerädert auf. Ron war auch gerade im Begriff aufzustehen. Gemeinsam gingen sie hinunter in die Große Halle, um zusammen mit Hermine zu frühstücken. "Guten Morgen, ihr Beiden" begrüßte sie die Jungs. "Na, schon aufgeregt?" fragte sie fröhlich. "Warum sollte ich aufgeregt sein?" antwortete Ron.
"Ach Ron, du warst ja auch gar nicht gemeint." Sie frühstückten in Ruhe, holten dann ihre Koffer herunter und machten sich auf den Weg nach draußen. Die pferdelosen Kutschen standen schon bereit. Es war merkwürdig, weil nicht alle Hogwartsschüler nach draußen strömten, so wie am Schuljahresende. Sie fuhren durch hohen Schnee hinunter zum Hogsmeadebahnhof, wo der Hogwarts-Express schon wartete. Dort angekommen trafen sie Zoe. "Da seid ihr ja. Ich hab euch schon vermisst" sagte sie fröhlich. Gemeinsam suchten sie sich ein Abteil, entledigten sich ihrer Mäntel und Schals und machten es sich bequem. "Und Zoe, freust du dich auf zu Hause?" fragte Hermine. "Hhmm, ja schon. Vor allem freu ich mich auf Mom. Aber ein Weihnachten mit Eve? Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie das wird." Zoe verdrehte die Augen. "Wir sehen uns doch bei Harrys Silvesterparty und da herrscht strengstes Eve-Verbot" sagte Ron und alle lachte. Während der Fahrt begann es zu schneien. Es war ziemlich ruhig
und irgendwie friedlich im Abteil. Ron hielt ein Nickerchen, Hermine las ein Buch und Harry starrte einfach nur Zoe an. Als der Zug endlich zum stehen kam schienen alle wie aus einer Trance zu erwachen. Langsam stiegen sie aus und verabschiedeten sich von einander. Ron und Ginny wurden bereits von Mrs. Weasley erwartet, die auch Harry und Hermine kräftig drücken musste. Zoe blickte sie etwas misstrauisch an. Hermine wurde nur wenige Minuten später von ihren Eltern abgeholt. Auch der Rest der Hogwartsschüler war schon verschwunden. Zoe wurde von Eve gerufen. "Machs gut, Harry. Wir sehen uns" sagte sie, gab Harry einen Kuss und wollte verschwinden. "Warte Zoe, ich habe noch ein Weihnachtsgeschenk für dich." Er holte ein kleines Päckchen aus seiner Jackentasche und gab es Zoe. "Aber nicht vorher aufmachen" sagte er. Sie strahlte. "Bestimmt nicht!" Dann gab sie ihm noch einen Kuss und verschwand mit Eve. Schließlich machte sich auch Harry auf den Weg in die Muggelwelt. Auf dem
Bahnhof war einiges los. Nicht nur Schüler aus Hogwarts, sondern auch von Muggelschulen liefen hier herum. Harry suchte Bahnsteig 7 und als er ihn gefunden hatte, stellte er fest, dass er noch eine viertel Stunde warten musste. Er setzte sich auf eine Bank und starrte auf die Bahnhofsuhr. Er versank irgendwie in Gedanken und schien wie aus einem Traum gerissen, als plötzlich der Zug in den Bahnhof einrollte. Nicht viele Personen stiegen aus. Harry hielt Ausschau nach einem einzelnen Mädchen, doch er konnte keines entdecken.

"Harry Potter?" Harry erschrak fürchterlich, als er plötzlich auf die Schulter getippt wurde. Er drehte sich um und sah in das Gesicht eines Mädchens mit Brille und kurzen, dunkelblonden Haaren, die fast unter der roten Baskenmütze verdeckt waren. Sie trug einen knielangen, dicken braunen Mantel, einen roten gestrickten Schal und einen Rock, der mit dem Mantel endete. "Ja" sagte Harry "und du bist..." "Patricia Lockhard, nicht verwand oder verschwägert mit Gilderoy Lockhard" sagte sie merkwürdig mechanisch und tonlos. "OK, Patricia" setzte Harry an. "Nenn mich bitte Trish, ich kann den Namen Patricia nicht ausstehen. Er klingt so prinzessinnenhaft und sieh mich an!" Harry tat wie ihm geheißen. Er hätte ihr ja jetzt gerne widersprochen, doch Patricia sah wirklich nicht so aus, wie man sich eine Prinzessin vorstellte. Sie war zwar nicht hässlich, aber auch nicht unbedingt strahlend schön. Ihr Gesicht war eher freundlich als hübsch und ihre Größe ließ sie in den Sachen, die sie
trug merkwürdig schlaksig aussehen. "Also gut, Trish" versuchte es Harry erneut. "Auf welche Schule gehst du?" Er gab zu, dass diese Frage ziemlich bescheuert war. "Also schön, Harry" sie betonte seinen Namen sehr merkwürdig. "Wir wissen beide, dass dich das nicht wirklich interessiert. Ich hab keine Lust mit dir mein Leben zu diskutieren und du nicht das deinige mit mir. Also werde ich dir jetzt das wichtigste von mir zu erzählen. Das wichtigste zuerst. Nein, ich bin kein Muggel, obwohl meine Eltern beide Squibs sind habe ich magisches Blut. Ich bin 13 Jahre alt und habe leider Gottes einen Intelligenzquotienten von 141 und gelte somit als hochbegabt. Aus diesem Grund gehe ich nicht nach Hogwarts, sondern bin in der Schweiz auf einem Privatinternat. Ich lese gerne Autobiografien von berühmten Zaubern und Muggeln. Meine Lieblingsfarbe ist rot und ich mag Katzen." Das alles sagte sie mit monotoner Stimme und ohne das geringste Interesse, so als würde sie ihr Leben hassen.
Harry wunderte sich gerade, wie ein so junger Mensch schon so verbittert sein konnte, als sie plötzlich von jemanden gerufen wurden. Shy und Sirius winkten und hatten beide ein breites Grinsen im Gesicht. Harry schritt hinter Trish her, auf sie zu. Sofort wurde er von Shy umarmt. Etwas fiel Harry sofort an ihr auf. Entweder sie hatte zugenommen, oder sie... "Du bist schwanger, Tante Shy?" fragte Trish und etwas wie ein Lächeln zuckte über ihr Gesicht. Shy nickte glücklich. Mit der rechten Hand fuhr sie sich sehr auffällig durchs Haar. Harry bemerkte erst auf den zweiten Blick den goldenen Ring an ihrem Finger, der mit einem kleinen Brillianten besetz war. Trish fiel es jedoch sofort auf. "Oh, und ihr seid verlobt." Harry sah Sirius fragend an. Dieser nickte nur und lächelte breit. Jetzt glaubte Harry zu wissen was für Überraschungen auf ihn gewartet hatten. Doch eigentlich hatte er keine Ahnung.