Mirax beobachtete, wie Chris sich mit dem Major unterhielt. Sie musterte die Soldaten misstrauisch und schüttelte den Kopf. Was hatte die Armee hier zu suchen? Mirax war nicht sonderlich auf die Kavallerie zu sprechen und verspürte auch nicht das geringste Bedürfnis ihnen zu begegnen. Natürlich konnte sie ihnen nicht ewig aus dem Weg gehen, schon gar nicht bei diesem Wetter, aber wenn sie sich irgendwann mit ihnen abgeben musste, dann wenigstens nicht hier.
Sie warf Vin einen kurzen Blick zu und war sich sicher, dass er das gleiche dachte wie sie. Sie sah nach oben und warf Vin einen fragenden Blick zu. Dieser nickte zustimmend.
Schnell kletterten sie die schmale Leiter nach oben auf den Heuboden. Es war nicht viel Platz, aber die Soldaten ließen sich von hier aus gut beobachten, ohne dass man selbst gesehen wurde. Mirax machte es sich auf einem Heuballen gemütlich und Vin setzte sich neben sie. Schweigend warteten sie.
Die Soldaten, die nun den Stall betreten hatten und begannen, sich um ihre Pferde zu kümmern, scherzten lauthals über ihren Gefangenen. Mirax spitzte die Ohren, als sein Name fiel. Jack Johnson. Nicht übel. Das Kopfgeld, das auf ihn ausgesetzt war, war fast doppelt so hoch wie das für McQuinn.
Außerdem hatte Mirax noch eine Rechnung mit ihm offen. Sie war ihm öfter als einmal begegnet, aber dass sie in dieser Zeit Freunde wurden konnte keiner ernsthaft erwarten. Johnson war so ein arroganter Bastard, dass Mirax schon allein bei seinem Anblick übel wurde. Sie schob diese Gedanken beiseite. Für Rachepläne war jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt.
Vin warf ihr einen wissenden Blick zu und lächelte leicht. Mirax wusste, dass er selbst einmal Kopfgeldjäger gewesen war und nahm an, dass er das selbe gedacht hatte wie sie. /Ob er von meinen kleinen 'Zusammenstößen' mit Johnson weiß/ Dieser Gedanke war absurd. Aber Mirax betrachtete Vin einen Moment länger, bis sie sicher war, dass er nichts wusste.
Die Tür wurde geöffnet und Chris kam herein. Er sah sich kurz um und dann kurz nach oben, als er niemanden entdeckte. Er wusste, dass sie sich hier versteckten. Da er ihre Anwesenheit nicht verraten wollte, indem er einfach zu ihnen heraufkletterte, lehnte er sich gegen die Wand, zündete sich eine seiner Zigaretten an und beobachtete die Soldaten wachsam.
Schließlich waren sie fertig und gingen und Chris schüttelte den Kopf, als er ihre Pferde betrachtete. Die Armee hatte keine Ahnung von Pferden. Vermutlich hatten sie zu viele, als dass sie sich darum kümmerten, ob es ihnen gut ging oder nicht. Diese Pferde hier waren auf jeden Fall vollkommen erschöpft und nass bis auf die Knochen. Viel länger hätten sie es wahrscheinlich nicht bei diesem Wetter ausgehalten.
Mirax und Vin kletterten wieder nach unten und Mirax versuchte, das Heu loszuwerden, das überall auf ihrem schwarzen Mantel hing. Vin versuchte ihr zu helfen so gut es ging. Chris grinste, als er das sah.
"Das solltet ihr nicht zu oft wiederholen. Die Leute werden sonst anfangen zu reden..."
Vin warf ihm einen vernichtenden Blick zu und Mirax verpasste ihm einen Rippenstoß mit dem Ellbogen. Doch ihr Ärger war schnell verflogen.
"Wie lange werden sie bleiben?", fragte sie neugierig.
"Solange der Sturm anhält. Mir gefällt das Ganze nicht. McQuinn ist eine Sache, aber Jack Johnson..." Chris verzog missmutig das Gesicht.
"Ich weiß was du meinst. Hab viel von diesem Johnson gehört. Nichts davon war gut." /Blutige Gemetzel bei denen Unschuldige sterben sind niemals gut./ "Lasst ihr das Gefängnis bewachen?"
"Ich hab dem Major vorgeschlagen, dass er Wachen abstellt. Vermutlich wird er das auch tun. Aber ich bezweifle, dass ein paar Soldaten Johnson's Gang abhalten könnten, sollten sie wirklich hier auftauchen." Chris schüttelte besorgt den Kopf. "Außerdem wird JD sich nicht davon abhalten lassen, die Gefangenen ebenfalls zu bewachen. Ich werde Buck und Josiah Bescheid sagen, dass sie ihm helfen sollen. Ich habe ein ungutes Gefühl..."
Sie gingen wieder nach draußen. Plötzlich kam Chris der Wind viel kälter vor als noch vor wenigen Minuten. Er erschauerte leicht und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich sollte JD lieber gleich warnen." Er nickte den beiden zu, dann eilte er zum Saloon zurück. Seine schwarze Kleidung verschmolz mit der Dunkelheit und schon nach wenigen Metern war er nicht mehr zu sehen.
Mirax sah ihm kurz nach, dann warf sie Vin einen Blick zu. Er musterte sie, unschlüssig, was sie nun tun sollten.
"Ich werde ins Hotel gehen. Heute passiert sowieso nichts mehr. Gute Nacht, Vin." Sie nickte ihm zu und er lächelte zurück.
"Ma'am." Mit zwei Fingern tippte er an den Hutrand, dann folgte er Chris.
Mirax sah ihm nach. Sie hatte ihn bis jetzt nicht weiter beachtet. Das war vielleicht ein Fehler gewesen. Vin Tanner schien ein interessanter Mann zu sein. Sie schüttelte diesen Gedanken ab und ging zum Hotel, um zu sehen, was für Zimmer Mara gemietet hatte.
Mara Jade gefiel es immer besser in Four Corners. Nicht nur, dass der Whiskey ganz ausgezeichnet schmeckte. Es gab obendrein noch jemanden, der ihr beim Pokerspielen in Nichts nachstand. Es war Ezra Standish sogar ein oder zweimal gelungen, sie zu betrügen. Mara sagte nichts dazu, denn sie tat das selbe fast die ganze Zeit, aber sie bewunderte es doch, dass es ihr nicht einmal aufgefallen war. Oder zumindest erst im Nachhinein.
Nichtsdestotrotz gewann sie die meisten Spiele. Die anderen beiden hatten es längst aufgegeben, nicht zuletzt weil sie bereits fast ihr ganzes Geld verspielt hatten. Sie begnügten sich damit, einfach zuzusehen.
Überdies war Ezra auch noch ein äußerst redegewandter Mann, und intelligent dazu. Mara ertappte sich immer öfter dabei, dass sie tatsächlich über seine Witze lachte. Es war schön, sich wieder einmal gehen zu lassen und die Gesellschaft dieses Mannes war eine willkommene Abwechslung. Immerhin hatte sie die letzten Tage Terryl McQuinn ertragen müssen. Und dieser konnte mehr als einfach nur lästig sein.
Außerdem hatte Buck endlich das Interesse an ihr verloren. Er beschäftigte sich jetzt wieder mit dem Mädchen aus dem Saloon. Mara hatte von JD erfahren, dass ihr Name Inez war und das Buck schon seit längerem ein Auge auf sie geworfen hatte - bis jetzt ohne Erfolg.
Mara sah von ihren Karten auf, als die Saloontür aufgestoßen wurde. Überrascht erkannte sie, dass es sich um Soldaten handelten. Sie waren vollkommen durchnässt, was sie allerdings wenig zu stören schien. Sie gingen zur Bar und bestellten Bier, wobei sie sich aufmerksam umsahen. Einer der Soldaten - ein Sergeant - musterte Mara interessiert, doch diese ignorierte ihn - nicht nur, dass er äußerst hässlich war, in Mara's Augen passte er einfach nicht zur Armee - und wandte sich wieder Ezra zu, der sich ebenfalls von seiner Überraschung erholt hatte und sich jetzt wieder seinen Karten widmete.
Währenddessen näherte sich ein Major, der sich vorher beim Wirt über irgendetwas erkundigt hatte, JD und fing leise an mit ihm zu reden. Mara konnte die Worte nicht verstehen, doch der Ausdruck auf JD's Gesicht war Antwort genug auf ihre Fragen: Es gab Probleme. JD erhob sich und eilte nach draußen.
"Nun, Miss Jade? Wollen sie aufgeben, oder kann ich damit rechnen, dass sie ein ebenso gutes Blatt haben wie ich?", fragte er lächelnd.
Mara erwiderte das Lächeln und zog aus ihrer Jackentasche ein weiteres Bündel Dollarscheine. "Sie dürfen damit rechnen. Ich erhöhe um... 20 Dollar."
"Ich gehe mit und möchte sehen, wenn sie nichts dagegen haben." Ezra legte das Geld in die Mitte des Tisches und wartete, dass Mara ihr Karten aufdeckte.
Sie lächelte. Ezra verbarg seine Überraschung gut, aber Mara sah trotzdem das kurze Aufflackern in seinen Augen. Mara hatte vier Könige. Ezra legte seine Karten verdeckt auf den Tisch. Er zeigte niemals sein Blatt, wenn er verlor.
"Das Glück scheint heute nicht auf meiner Seite zu stehen. Schönheit vor Alter, wie es scheint."
Mara sagte nichts dazu. Schönheit und Alter vor ihm wäre treffender gewesen. Aber das brauchte er ja nicht zu wissen. Jedenfalls noch nicht. Nach allem, was Mara erfahren hatte, glaubte sie, dass wenigstens Larabee über sie Bescheid wusste. Aus welchem Grund auch immer Mirax es ihm anvertraut hatte, sie schien ihm zu vertrauen. Es gab keinen Grund nicht dasselbe zu tun.
"Nun, Mr Standish. Wenn sie nichts dagegen haben, würde ich es heute gerne dabei belassen." Mara steckte das gewonnene Geld in die Jackentasche. Es war nicht gerade wenig. Ezra nickte zustimmend.
Sie wandten sich wieder den anderen zu und Buck begann gerade damit, von einem ihrer Abenteuer zu berichten, als die Tür ein weiteres Mal geöffnet wurde und Larabee hereinkam. Er wandte sich sofort an Buck und Josiah.
"JD könnte eure Hilfe gebrauchen." Er nickte in Richtung Bar, wo die Soldaten standen. "Sie haben einen Gefangenen mitgebracht: Jack Johnson. JD wird ihn sicher bewachen wollen. Ich möchte, dass ihr auf ihn aufpasst."
Buck fluchte. "Der Junge wird sich noch mal in ernste Schwierigkeiten bringen. Warum hat er uns vorhin nichts gesagt?" Er nickte Josiah zu und beide gingen eiligst nach draußen. Sie wären fast mit Vin zusammengestoßen, der eben hereinkam.
"Wo ist Mirax?", wollte Chris wissen.
"Ins Hotel.", war Vin's knappe Antwort.
Er setzte sich zusammen mit Chris an ihren Stammplatz und Inez brachte sofort eine Flasche Whiskey. Währenddessen erzählte Nathan die Geschichte weiter, die Buck angefangen hatte.
Mara beobachtete Ezra, als dieser auf seine Taschenuhr sah. Es war bereits zwei Uhr nachts und langsam wurde der Saloon leer. Chris und Vin saßen noch immer an ihrem Tisch, und Nathan hatte sich bereits verabschiedet. Die meisten Soldaten waren gegangen und der Wirt begann damit, aufzuräumen.
Ezra sah auf und lächelte charmant. "Ich bin der Meinung es wird Zeit diesen Tag zu beenden. Darf ich sie dazu überreden mir morgen beim Mittagessen Gesellschaft zu leisten?", fragte er höflich.
Mara lächelte. "Betrachten sie mich als überredet."
"Sehr schön. Ich werde sie abholen. Ich wünsche eine angenehme Nacht."
Mara nickte ihm zu und sah ihm nach, als er die schmale Treppe neben dem Tresen hinaufging. Ezra hatte sein Zimmer im Saloon, gleich in der Nähe seiner geliebten Spieltische. Mara konnte darüber nur den Kopf schütteln. Sie stand auf, verabschiedete sich von den anderen und machte sich ebenfalls auf den Weg zu ihrem Zimmer.
Dieser Ort gefiel ihr wirklich immer besser. Vielleicht hielt der Sturm noch einige Tage an?
TBC...
