JD beobachtete den Gefangenen verstohlen. Er hatte natürlich schon viel von Jack Johnson gehört und allein beim Anblick dieses Mannes lief ihm ein Schauer über den Rücken. Johnson und McQuinn hatten sich leise unterhalten, als er hereingekommen war, doch nun saß jeder schweigend in seiner Zelle und starrte ihn an. Dass JD sich unwohl fühlte war eher noch eine Untertreibung.

Zwei Soldaten standen vor der Tür, doch das genügte nicht, damit JD sich sicherer fühlte. So viel er wusste war Johnson's Bande groß und zwei Soldaten würden nicht viel Schutz bieten, sollten sie sich entschließen ihnen einen kleinen Besuch abzustatten. Natürlich wusste JD nichts von Buck und Josiah, die auf der anderen Straßenseite unter einem Vordach saßen und die Straße aufmerksam im Auge behielten. Hätte er es gewusst hätte er sich zwar fürchterlich über Chris' mangelndes Vertrauen in ihn aufgeregt - aber er hätte sich wesentlich sicherer gefühlt.

JD unterdrückte ein Gähnen und erinnerte sich daran, dass er nicht wieder auf einem Stuhl einschlafen wollte. Außerdem würde es keinen guten Eindruck machen, wenn er jetzt einfach eingenickt wäre. Immerhin war er der Sheriff.

Es schienen Stunden zu vergehen, in denen nichts geschah. JD fragte sich bereits, ob sie noch einmal davon gekommen waren, als er plötzlich ein seltsames Poltern hörte. Er hörte ein Pferd wiehern, doch bevor er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, brach die Hölle los.

Buck und Josiah, die er nun entdeckte, als er aus der Türe hinauslugte, begannen zu feuern und auch die beiden Soldaten fingen an zu schießen. JD zog den Kopf zurück, als eine Kugel den Türrahmen neben seinem Kopf durchschlug. Einer der Soldaten ging zu Boden, der andere folgte innerhalb von Sekunden. JD konnte nicht viel erkennen, aber es mussten mindestens zwölf Männer sein, die dort draußen wild um sich schossen.

Buck und Josiah waren in Deckung gegangen und der Regen und die Dunkelheit machten es für sie fast unmöglich, genau zu zielen. JD hörte weitere Schüsse und vermutete, dass auch die anderen seiner Freunde auf dem Weg hierher waren. Er versuchte in dem Durcheinander zu zielen, doch sein Schuss ging weit daneben.

Der Gefangene hinter ihm brüllte laut auf und JD fuhr erschrocken herum. Als er seinen Fehler erkannte, war es bereits zu spät. Er hörte, wie der Hahn einer Pistole gespannt wurde und drehte sich langsam um, nur um genau in den Lauf der Pistole zu starren, der ihm schwarz und drohend entgegenstarrte. JD ließ seine eigene Waffe fallen und hob die Arme. Er hatte nicht gedacht, dass es so schnell mit ihm zu Ende gehen würde. Vielleicht hätte er doch öfter auf Chris hören sollen? Wenn er doch nur...

JD unterbrach diesen Gedanken sofort wieder. Alle 'wenn' der Welt halfen ihm jetzt nicht mehr. Er schluckte hart und bemerkte, dass die Schüsse für einen Moment aufgehört hatten. Erst jetzt fand er Zeit, sich das Gesicht seines Gegenübers genauer anzusehen. Was er sah, erschreckte ihn: der Mann war von Narben nur so übersät und blickte ihn finster drohend an. Seine Augen waren vollkommen kalt und gefühllos. Doch zu JD's Erleichterung machte er keine Anstalten zu schießen.

Stattdessen packte er JD am Kragen, riss ihn herum und ging zur Tür. Er feuerte einmal in die Luft und brüllte dann mit tiefer Stimme: "LARABEE!"

Das Feuer wurde wiederum eingestellt. Der Mann lachte heiser auf.

"Wenn ihr den Jungen lebend wollt, dann lasst uns geh'n. Ich verspreche, dass wir ihn angemess'n behandeln." Er lachte wieder und JD wollte gar nicht wissen, was 'angemessen' in diesem Fall bedeutete. Er sah, dass Chris seinen Leuten Zeichen gab, nicht weiter zu feuern und verfluchte sich dafür, dass er so unaufmerksam gewesen war. Sie verloren nicht nur zwei Gefangene - denn JD war sich jetzt sicher, dass Johnson und McQuinn sich zusammengetan hatten - sondern mussten sich auch noch um ihn sorgen.

Der Mann, der ihn noch immer am Kragen gepackt hielt, winkte einen seiner Leute herein. Dieser schloss beide Zellen auf und ließ die Gefangenen heraus. Johnson trat auf JD zu und schlug ihm ohne Vorwarnung mit der flachen Hand ins Gesicht. JD schluckte den Fluch, der ihm auf der Zunge lag, herunter. Es war vielleicht nicht allzu klug diesen Mann noch weiter gegen ihn aufzubringen.

"Gute Arbeit, Mike.", wandte sich Johnson indessen an den narbigen Mann.

"War mir 'ne Freude, Boss. Was ist mit ihm?" Er nickte in Richtung McQuinn, der bis jetzt ruhig dabei gestanden hatte.

"Er kommt mit. McQuinn ist der Ansicht, dass er eine äußerst wertvolle Information für mich hat."

"Was ist mit dem Jungen?", fragte Mike und presste den Revolverlauf gegen JD's Schläfe.

Johnson dachte einige Sekunden lang nach, bevor er antwortete.

"Wir nehmen ihn mit. Larabee wird uns nicht einfach so gehen lassen. Wir könnten ihn noch brauchen. Wieviele Männer hast du mitgebracht?"

"Zwölf." Mike warf einen Blick auf die Straße. "Aber es sind nur noch acht. Wir haben also genügend Pferde.", meinte er ohne irgendeine Gefühlsregung. Anscheinend waren seine Leute nützliche Werkzeuge, mehr aber auch nicht.

"Gut, dann los. Dieses Kaff wird bezahlen, genauso wie dieser arrogante Major." Er nahm die Pistole, die einer seiner Männer ihm reichte und befahl ihnen aufzusitzen.

JD konnte seine Freunde erkennen, als Mike ihn auf sein Pferd hinaufzerrte und ihn wie einen Schild benutzte, die Waffe noch immer an seine Schläfe gepresst. Langsam zogen sie sich zurück und als sie einige Meter zwischen sich und Larabee und die Armee gebracht hatten, rissen sie ihre Pferde herum und stürmten davon.

"VERDAMMT!" Buck fluchte ununterbrochen.

Kurz nachdem die Reiter verschwunden waren, war er zum Stall geeilt, um sein Pferd zu holen, doch Chris hatte ihn auf halbem Wege aufgehalten. Vermutlich hatte Chris Recht. Es brachte nichts, sie bei Nacht und bei diesem Wetter zu verfolgen. Wie um diesen Gedanken noch zu unterstreichen, erleuchtete ein greller Blitz in diesem Moment den pechschwarzen Himmel. Der Donner der folgte klang drohend und nah. Viel zu nah. Noch eine Stunde und das Unwetter würde genau über ihnen sein. Ein weiterer Blitz folgte und Buck fluchte wieder.

Er hätte besser aufpassen sollen. Die Reiter hatte er erst bemerkt, als es schon zu spät gewesen war. Sie waren wohl langsam herangeritten und durch den Regen, die Dunkelheit und das Donnern in der Ferne hatte er sie weder gesehen noch gehört. Und jetzt hatten sie JD.

Chris kam zu ihm, gefolgt von Vin, und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.

"Keine Sorge, wir finden sie.", meinte er finster. Buck betrachtete seinen langjährigen Freund schweigend und erkannte in ihm die gleiche Wut, die er selbst spürte. Chris' Blick war hart und undurchdringlich und kalt wie Eis. Buck wandte den Blick ab, als er diese eisblauen blitzenden Augen auf sich ruhen fühlte. Statt dessen sah er Vin an und warf ihm einen fragenden Blick zu.

"Wir werden morgen nicht sehr viele Spuren finden. Der Regen hat schon jetzt die meisten weggespült. Aber immerhin wissen wir, in welche Richtung sie geritten sind.", meinte dieser und klang nicht gerade zuversichtlich.

Buck wusste, dass das nicht viel zu sagen hatte. Diese Männer wären nicht die ersten, die irgendwann in sicherer Entfernung die Richtung änderten. Und die Chancen, dass sie JD lebend wiederfanden wurden von Minute zu Minute geringer. An jedem anderen Tag hätte sich Buck auf Vin's Fähigkeiten als Tracker verlassen, doch gegen die Naturgewalten war selbst Vin machtlos. Wenn sie Pech hatten konnten sie morgen nicht einmal mit der Suche anfangen. Denn so wie es aussah, hatte sich die Natur gegen sie verschworen. Die Straße war schon jetzt so glitschig vom Schlamm, dass das Laufen Schwierigkeiten bereitete. Reiten - vor allem schnelles reiten - erschien fast unmöglich.

Buck bemerkte Mirax, die sich ihnen näherte. Er hatte gar nicht gemerkt, dass sie bei der Schießerei auch dabei gewesen war. Außerdem kam sie aus der Richtung, in der die Reiter verschwunden waren. Ihr Blick war genauso grimmig wie der von Chris. Er selbst sah wahrscheinlich auch nicht anders aus.

"Ich habe sie verloren, als sie die Straße verlassen haben.", meinte sie. Buck sah sie erstaunt an. Jedenfalls wussten sie jetzt, dass sie tatsächlich die Richtung geändert hatten.

"Ich hätte wissen müssen, dass ich McQuinn nicht aus den Augen lassen darf. Der Typ würde seine Mutter verkaufen, wenn er irgendeinen Vorteil darin sehen würde. Ich frage mich, was er Johnson versprochen hat." Mirax fluchte leise und sah sich kurz um.

Die Soldaten hatten ihre getöteten Kameraden zur Seite getragen und Nathan kümmerte sich um die wenigen Verletzten. Immerhin hatten sie vier der Gangster erwischt. Doch sie waren tot und würden ihnen nicht mehr weiterhelfen können. Buck bemerkte, wie Nathan plötzlich Josiah zu sich winkte. Er beugte sich über einen der Gangster und fühlte nach einem Puls. Anscheinend hatte er einen gefunden, denn zusammen mit Josiah hob er den Mann hoch und trug ihn ins Gefängnis.

Chris hatte es auch bemerkt und folgte ihnen. Die anderen begleiteten ihn.

"Was ist los?", fragte er als sie das Gefängnis betraten. Nathan hatte den Mann auf eine der Bänke gelegt und untersuchte seine Schulter.

"Der hier lebt noch. Er ist nicht so schwer verletzt, wie's zuerst aussah. Ich glaube, er kommt durch.", meinte Nathan und betrachtete die Wunde genauer. Es war ein glatter Durchschuss, aber der Mann hatte viel Blut verloren und war wahrscheinlich deshalb bewusstlos.

"Er sollte lieber überleben.", meinte Chris. Es klang drohend und Buck erschauerte leicht.

Selbst wenn der Mann starb zweifelte Buck nicht daran, dass Chris mit dieser eiskalten Stimme selbst Tote wieder ins Leben zurückholen konnte. Und sei es nur, um sie dann eigenhändig zu töten.

TBC...