JD hatte sich noch nie so sehr gewünscht wieder zurück in Boston zu sein wie in diesem Moment.

Er saß auf einem der Pferde, das vorher einem der Banditen gehört hatte und zitterte am ganzen Körper. Zu seiner Verteidigung musste man sagen, dass es nicht nur die Angst war, die ihm zu schaffen machte. Er war geknebelt und gefesselt und der eiskalte Regen schien in jede einzelne Pore seines Körpers einzudringen. Der Wind tobte um sie herum und wirbelte Staub und Blätter auf und es war fast stockfinster. Außerdem hatten sie vor gut einer halben Stunde die Straße verlassen und danach hatte JD jede Orientierung verloren. Tagsüber hätte er sich wahrscheinlich zurechtgefunden, doch in der nur von Blitzen erleuchteten Dunkelheit schien alles fremd.

Er hoffte, dass seine Freunde ihn finden würden, obwohl er wusste, wie gering die Chancen waren. Sie konnten nicht einfach so losreiten und ihn befreien. Der Regen vernichtete jede noch so kleine Spur, die sie hinterließen. Und außerdem wurde der Untergrund immer steiniger. Vermutlich näherten sie sich den Bergen.

Wo auch immer sie hin wollten, JD hoffte, dass es nicht mehr allzu weit entfernt war. Vermutlich hatte er sich schon jetzt eine schlimme Erkältung, wenn nicht sogar eine Lungenentzündung, geholt und er hatte keine Lust, hier draußen zu sein, wenn das Gewitter erst so richtig losbrach. JD schätzte, dass es nicht mehr lange dauern würde. Selbst in der Dunkelheit konnte er die riesigen schwarz-drohenden Wolken sehen, die sich am Himmel gebildet hatten. Ein Blitz schlug in der Nähe in einen hohen Baum ein und Funken sprühten durch die Nacht.

JD zuckte zusammen, als der folgende Donner über ihnen krachte. Er rollte durch das Tal und hallte an den Bergwänden wider. Ein unheimliches Rauschen erfüllte das Tal und die Stille, die darauf folgte war fast noch unheimlicher.

Die Reiter ritten schweigend weiter, trieben ihre Pferde in selbstmörderischem Galopp über die steinige Wiese. JD war fast erleichtert, dass er nicht der Einzige war, dem dieses Wetter Unbehagen bereitete.

Er sah sich wieder um, konnte aber nichts erkennen, das ihm auch nur im Entferntesten bekannt vorkam. Doch er konnte bereits die Berge sehen, die vor ihnen aufragten. Noch gute zwei Stunden und sie hatten sie erreicht. Danach würde es für seine Freunde noch unmöglicher sein, ihn zu finden. Und selbst wenn: die kleine Straße, die durch die Berge führte war so schmal, dass sie sich von oben leicht verteidigen ließ. Seine Freunde würden keine Chance haben.

Plötzlich kam ihm eine Idee. Er versuchte mit seinen fast steifgefrorenen Finger einen Stofffetzen aus seinem Hemd zu reißen, was ihm nach fast fünf Minuten auch gelang. Es war nicht viel, aber JD war sich sicher, dass Vin es finden würde. Nicht umsonst hielt er ihn für den besten Tracker in dieser Gegend. Er ließ den Stoff fallen und hoffte, dass keiner es bemerken würde. Doch niemand achtete auf ihn und JD atmete erleichtert aus.

Plötzlich tauchte vor ihnen ein Hindernis auf und einige Pferde bockten. Die Reiter schafften es gerade noch im Sattel zu bleiben, doch JD hatte nicht so viel Glück. Durch seine Handfesseln konnte er nirgends einen festen Halt bekommen und als das Pferd nach rechts ausbrach, um dem Hindernis in vollem Galopp auszuweichen wurde JD einfach aus dem Sattel katapultiert.

/Ich werde mir das Genick brechen. Was für ein Ende., dachte er. Dann schlug er hart auf dem Boden auf und seine Welt verschwand hinter einem schwarzen Vorhang.

Mirax betrachtete den Verletzten einige Sekunden, doch nach einem weiteren Blick zu Buck und Chris wusste sie, dass er in 'guten Händen' war, sollte er aufwachen. Sie wartete noch einen Moment, dann ging sie wieder nach draußen, um nach Mara zu suchen.

Sie brauchte nicht lange, um ihre Partnerin zu finden. Mara war gerade damit beschäftigt, Ezras Arm zu verbinden. Eigentlich hatte Mara vorgehabt die Bande zu verfolgen, doch anscheinend hatte sie genauso wenig Erfolg dabei gehabt wir Mirax selbst.

"Wie sieht's aus?", fragte Mirax, als sie sich den beiden näherte.

"Es ist nur ein kleiner Kratzer.", versicherte Ezra ihr, doch ein Blick auf Mara's Gesicht verriet ihr, dass es keineswegs so harmlos war. Mara schnaubte leise, sagte aber nichts. Es war nicht ihr Problem, wenn Ezra unbedingt eine Infektion riskieren wollte. Aber sie würde Nathan trotzdem Bescheid sagen. Vielleicht war es nicht ihr Problem, aber egal war es ihr auch nicht wirklich.

"Hattest du Glück?", wechselte Mirax das Thema, obwohl sie die Antwort schon kannte.

Mara schüttelte missmutig den Kopf. "Keine Chance. Bei dem Wetter ist es fast unmöglich, irgendwelche Spuren zu finden. Außerdem ist es zu dunkel. Ich habe sie ziemlich schnell verloren." Sie überprüfte den Verband noch einmal, dann stand sie auf. "Das wär's. Sollte 'ne Weile halten."

"Unser gemeinsames Mittagessen muss wohl verschoben werden." meinte Ezra entschuldigend. Er bedankte sich und ging dann zu den anderen. Mara sah ihm kurz nach, dann wandte sie sich wieder Mirax zu.

"Dieser verdammte Mistkerl. Hätte wissen müssen, dass irgendwas schief läuft.", murmelte sie. Mirax nickte zustimmend.

"Ich frage mich wirklich, wie er Johnson überreden konnte, ihn mitzunehmen. Ich habe ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Irgendwas stimmt hier nicht." Mirax betrachtete den schwarzen Himmel und in diesem Moment wurde der Regen - falls das möglich war - noch stärker. Sie beobachtete unruhig die Blitze, die in der Nähe über den Himmel zuckten. "Wir sollten für heute Schluss machen. Morgen gibt's genug zu tun." Sie klopfte Mara zum Abschied auf die Schulter und eilte über die Straße, die sich in eine wahre Schlammgrube zu verwandeln schien.

Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Mara sich dem Gefängnis näherte, wahrscheinlich um Nathan über Ezra's Zustand zu informieren.

Mirax lächelte leicht. Auf der anderen Straßenseite erwartete Vin sie bereits. "Was werdet ihr jetzt tun?", fragte er und musste fast schreien, damit Mirax ihn überhaupt verstand. Der Wind wurde zu einem wütenden Heulen und hätte sie beide fast umgerissen. Sie eilten auf dem hölzernen Gehsteig weiter bis sie eine einigermaßen windgeschützte Stelle gefunden hatten und Vin wiederholte seine Frage. Mirax zuckte mit der Schulter.

"Wir werden uns McQuinn wiederschnappen, wenn möglich Johnson auch noch. Aber wahrscheinlich wird die Armee was dagegen haben. Und so nebenbei werden wir euch noch helfen, euren Sheriff wieder zurückzuholen. Natürlich nur, wenn ihr nichts dagegen habt.", meinte sie, als wäre das alles die leichteste Sache der Welt.

Vin schüttelte verwundert den Kopf. "Ich glaube nicht, dass Chris was dagegen hat. Er scheint ja 'ne ziemlich hohe Meinung von dir zu haben."

Mirax hob fragend eine Augenbraue und lächelte leicht. "Und was ist mit dir, Vin Tanner?"

Dieser zuckte nur mit der Schulter. "Keine Ahnung. Das wird sich noch zeigen, nehm' ich an."

Er grinste. "Mich würde nur interessieren, wie so eine schöne Frau zu diesem Job kommt. Es ist etwas ungewöhnlich, finde ich."

"Das ist es wohl. Aber wenn ich sage, dass es aus purer Langeweile so ist, glaubst du mir wohl nicht, oder?" Sie seufzte leicht. "Naja, Mara ist eines Tages aufgetaucht und da ich nichts zu tun hatte, bin ich mit ihr geritten. Aber irgendwann ging uns das Geld aus und dieser Job war eine gute Möglichkeit, reich zu werden. Ganz nebenbei macht er auch noch Spaß. Meistens."

"Spaß würde ich das nicht nennen. Immerhin ist es ziemlich gefährlich. Man bleibt nicht lange am Leben, wenn man die Sache zu locker sieht."

"Keine Sorge, Vin, ich kann auf mich aufpassen."

"Daran zweifle ich gar nicht. Nur..."

Mirax legte ihm die Hand auf den Arm und brachte Vin damit zum Schweigen. "He, keine Sorge. So wie ich das sehe, überlebe ich wahrscheinlich dieses ganze Städtchen hier." Sie lächelte beruhigend. "Ich bin lange genug in dem Job um zu wissen worauf's ankommt."

Vin setzte ein schiefes Grinsen auf. "Wer macht sich hier Sorgen?" Er seufzte. "Na schön. Ich bring dich zu deinem Zimmer."

Sie gingen schweigend weiter und Mirax verschränkte die Arme vor der Brust, um sich vor der durchdringenden Kälte zu schützen. Sie hatte noch immer das ungute Gefühl, dass hier noch etwas anderes im Gange war, aber sie schob den Gedanken einstweilen beiseite. Morgen hatte sie noch genug Zeit, darüber nachzugrübeln.

Sie erreichten das Hotel und stiegen die Treppe hinauf zu Mirax' Zimmer. Mirax kramte den Schlüssel aus der Jackentasche und schloss auf. Dann drehte sie sich noch einmal zu Vin um.

"Danke für die Begleitung.", meinte sie grinsend und musste plötzlich lachen.

"Was ist los?", fragte Vin verständnislos.

"Chris hat Recht. Wenn wir so weitermachen, wird man anfangen zu reden." Vin grinste und räusperte sich dann.

"Dann sollte ich wohl jetzt gehen. Gute Nacht." Mirax seufzte, griff nach seiner Hand und zog ihn zurück.

"Du bist begriffsstutziger als ein alter Esel!", meinte sie, beugte sich vor und küsste ihn. Vin war im ersten Moment völlig perplex, doch dann erwiderte er den Kuss. Nur der Sauerstoffmangel zwang sie, sich schließlich voneinander zu lösen. "Ich werde versuchen, mich zu bessern.", meinte Vin grinsend und strich Mirax eine der schwarzen nassen Locken aus dem Gesicht.

"Dafür werde ich sorgen." Mirax zog ihn mit sich ins Zimmer und die Tür fiel mit einem leisen Klack zurück ins Schloss.

Mara hatte keinesfalls vor schon Schluss zu machen. Ganz davon abgesehen, dass sie jetzt sowieso nicht mehr würde schlafen können musste sie nachdenken. Und der geeignete Ort dafür schien der Saloon zu sein. Also folgte sie den anderen hinein, holte sich an der Bar eine Flasche Whiskey und setzte sich zu Buck, der unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte.

Ihn hatte es besonders hart getroffen. Obwohl Mara noch nicht einmal einen Tag lang hier war, wusste sie bereits mehr über diese seltsamen Männer als irgend jemand anderes in dieser Stadt. JD und Buck waren offensichtlich gute Freunde und Buck machte sich dafür verantwortlich, dass JD nun in der Gewalt dieses Verrückten war.

Mara beobachtete, wie er das Whiskeyglas unsanft auf den Tisch zurückstellte. Dass es nicht zerbrach war nur Zufall. Sie seufzte leise und leerte ihr kleines Glas in einem Zug. Der Whiskey hinterließ ein leichtes Brennen in ihrer Kehle und Mara genoss es kurz, dann füllte sie ihr Glas nach. Sie wusste nur zu gut, wie Buck sich in diesem Moment fühlte.

Rache kombiniert mit Schuldgefühlen war eine tödliche Mischung. Sie verführte einen dazu Fehler zu machen und unnötige Risiken einzugehen. Mara selbst hatte das am eigenen Leib erfahren müssen. Doch sie hatte den winzigkleinen Vorteil, dass sie dem Tod immer einen Schritt voraus war. Buck hatte diesen Vorteil nicht und so ungern Mara es auch zugab, sie wollte nicht, dass ihm - oder überhaupt irgendeinem der Sieben - etwas zustieß.

Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich wieder wohl und wenn es nach ihr ginge könnte sie noch länger in dieser Stadt bleiben. Vielleicht sollte sie sich wieder einmal irgendwo niederlassen. Es war schon zu lange her und so sehr sie auch ein Leben in Freiheit genoss war ab und zu eine kleine Abwechslung nötig. Sie würde mit Mirax darüber sprechen. Vielleicht war ihre Freundin der gleichen Meinung.

Mara grinste. Eigentlich war sie sich sicher, dass Mirax der gleichen Meinung war. Sie kannte ihre Partnerin - und nebenbei langjährige Freundin - gut genug. Zugegeben, Mirax verbarg es gut. Mara war sicher, dass niemand - außer vielleicht Chris - es gemerkt hatte. Aber ihre Freundin hatte sich in den letzten Stunden sichtlich... entspannt. Ein besseres Wort fiel Mara nicht ein, aber es beschrieb die Situation nichtsdestotrotz ziemlich treffend.

Und wenn es nichts mit diesem Tracker zu tun hatte, dann konnten Schweine fliegen.

Mara sah zum Fenster hinaus, während sie mit der linken Hand das Glas umfasste. Das Gewitter hatte sie nun endlich erreicht. Der Regen peitschte gegen das Fenster, Donner rollte über die Dächer und grelle Blitze zuckten über den aufgewühlten Himmel. Mara betrachteten den Himmel genauer und konnte eine Spur von Besorgnis nicht zurückhalten, die in ihr hochkroch. Das sah gar nicht gut aus. Bei ihrem Glück würde das Unwetter auch morgen noch anhalten. Und dann würde es unmöglich sein, eine Rettungsaktion zu starten, egal wie ungern Buck das hören wollte.

Es würde nichts bringen, wenn sie ihr eigenes Leben da draußen riskierten. Sie spürte Chris' Blick auf sich ruhen und als sie ihn einige Sekunden lang anstarrte wusste sie, dass er dasselbe dachte. Er nickte ihr kurz zu und widmete sich wieder seiner Flasche.

Ein eisiger Windstoß fuhr durch den kleinen Raum, als die Tür aufgestoßen wurde und Nathan, gefolgt von Ezra hereingestürmt kam. Zu Mara's Zufriedenheit entdeckte sie einen frischen Verband an Ezra's Arm. Während Ezra die Stufen zu seinem Zimmer hinauf ging, steuerte Nathan direkt auf zu Chris und ließ sich auf den Stuhl neben ihm fallen.

"Unser Freund im Gefängnis ist in Ordnung. Morgen sollte er vernehmungsfähig sein." Er lächelte grimmig. "Und wenn er nicht redet werde ich mein medizinisches Wissen einmal anders einsetzen.", fügte er hinzu und griff ebenfalls nach der Whiskeyflasche. Chris sagte nichts dazu, aber Mara sah die verborgene Absicht in seinen Augen. Nathan würde keine Gelegenheit haben seine Fähigkeiten zu testen, sollte der Mann wirklich nicht reden. Das würde Chris für ihn erledigen. Auch ohne medizinische Vorkenntnisse.

Mara sah sich wieder im Saloon um. Der Barkeeper war zwar damit beschäftigt aufzuräumen, aber er hatte offensichtlich den Gedanken aufgegeben für heute zu schließen. Denn das hätte bedeutet, die Männer aus dem Saloon zu scheuchen. Und Mara bezweifelte, dass der Mann einem eiskalten Larabee-Blick auch nur zwei Sekunden standgehalten hätte.

Mara dachte an die Soldaten, die noch vor zwei Stunden am Tresen gestanden hatten. Dieser war jetzt verlassen und Mara konnte darüber nur den Kopf schütteln. Diese Männer waren bestimmt keine Anfänger. Sie sollten wissen, dass man bei diesem Wetter nicht draußen über die Straßen jagte. Selbst wenn es darum ging, Jack Johnson wieder einzufangen.

Oder gerade deshalb.

Mara traute diesem Verrückten durchaus irgendeine Teufelei zu, auch wenn es bei logischer Betrachtung eher unwahrscheinlich war. Wenn Johnson auch nur halb so schlau wie diese Soldaten war, hatte er sich längst in Sicherheit gebracht.

TBC...