Chris und Mirax saßen zusammen im Saloon bei einer Flasche Whiskey, als Vin zu ihnen kam. Er ließ sich seufzend auf einen Stuhl sinken und nachdem Inez ihm ein Glas gebracht hatte, trank er erst einmal genüsslich den Whiskey.

"Wie sieht's aus?", fragte Chris.

"Der Kerl ist erst mal ausgeflippt, als er zu sich gekommen ist. Ich glaub er is' mit dem Gesetz in dieser Stadt nicht einverstanden." Vin grinste leicht. "Aber Buck hat ihm dann klar gemacht, dass er noch ziemlich gut dran ist. Ich glaube, sie führen grad' ein nettes Pläuschchen über Johnson's Lagergewohnheiten." Vin nahm einen weiteren Schluck und fuhr dann fort: "Nathan und Josiah passen auf, dass Buck nichts anstellt. Ich hab Richter Travis ein Telegramm geschickt."

Chris nickte. Wahrscheinlich würde der Richter ungefähr eine Woche brauchen, um nach Four Corners zu gelangen. Aber soviel Zeit brauchten sie hoffentlich nicht, um diese Sache auf ihre Weise zu erledigen. Der Richter hatte nichts gegen ihre Methoden, aber wenn er erst einmal hier war, würde er sie nicht dulden. Immerhin vertrat er das Gesetz.

Aber Chris hatte keine Skrupel ihm etwas Arbeit abzunehmen. Zu Johnson's Beerdigung würde er noch rechtzeitig kommen.

"Wann kommt Mary wieder?", fragte er, obwohl er die Antwort eigentlich wusste. Die Schwiegertochter von Richter Orin Travis war vor einigen Tagen nach River Bend gefahren, um zusammen mit ihrem Sohn Billy einige Verwandte zu besuchen. Mary führte nach dem Tod ihres Mannes die örtliche Zeitung - den Clarion - und auch wenn Chris es nicht zugeben wollte, hatte sie eine gewisse Wirkung auf ihn. Es war gut zu wissen, dass sie und Billy in Sicherheit waren.

"Sie kommt erst wieder in einer Woche. Sie wird sich freuen, ihren Vater wiederzusehen.", meinte Vin. Chris nickte. Allerdings würde sie nicht sehr glücklich über die Tatsache sein, all das hier verpasst zu haben. Mary hatte leider die Angewohnheit, sich für ihre Zeitung manchmal zu sehr zu engagieren. Und dabei vergaß sie oft, dass das hier der Wilde Westen und keine Großstadt war. Schon zu oft hatte sie sich deswegen in Gefahr gebracht.

Mirax lauschte dem Wortwechsel schweigend. Sie kannte weder den Richter noch Mary, aber anscheinend sorgte Chris sich um sie. Mirax hatte nichts dagegen, sie war sogar froh. Nach dem Tod seiner Frau hatte Chris sich zu sehr zurückgezogen. Es wurde langsam Zeit, dass er darüber hinwegkam.

Die Tür wurde aufgestoßen und Buck und Josiah kamen zu ihrem Tisch.

"Lebt er noch?", fragte Chris sofort, wobei er allerdings nicht sehr besorgt oder mitfühlend wirkte.

Buck zuckte mit der Schulter. "Ziemlich. Aber das wichtigste: Wir wissen nun, wie wir zu Johnson's Versteck gelangen können, ohne in eine Falle zu tappen." Buck grinste triumphierend und zum erstenmal seit Mara's und Ezra's Verschwinden blitzte wieder Entschlossenheit in seinen braunen Augen.

"Johnson's Lager befindet sich in einer Höhle. Der Weg dorthin wird allerdings schwer bewacht und sogar mit nur einem Mann könnten sie ihn leicht verteidigen. Von dort haben wir also keine Chance. Aber wenn wir von oben kommen, können wir sie überraschen." Buck hatte alles in einem einzigen Atemzug gesagt und schnappte jetzt erst mal nach Luft.

"Der Kerl hat gemeint es gibt noch einen zweiten kleineren Pfad zu der Höhle. Er ist einige Meilen länger, weil er von einer anderen Stelle in die Berge führt, aber wir kommen so von der genau entgegengesetzten Richtung und können die Wachen erledigen.", fuhr er fort.

Chris nickte bedächtig. Das hörte sich alles ganz gut an, aber bestimmt hatte die Sache einen Haken. Dem Kerl konnte man nicht trauen. Selbst auf dem Sterbebett würde er noch lügen, wenn er irgendeinen Vorteil darin sah - und sei es nur, ihnen eins auszuwischen.

"Na schön, wir brechen morgen früh auf. Aber wir werden vorsichtig sein. Ich traue dem Mann nicht."

Alles in allem hatten die beiden es ziemlich gut aufgenommen. Für Sterbliche. Jedenfalls schwiegen sie nun. Oder vielleicht hatte ihnen auch nur der Schock die Sprache verschlagen?

Mara beäugte sie unruhig. Die Stille zehrte an ihren Nerven. Sie hatte schon viel erlebt: Manche tobten, manche versuchten sich oder sie umzubringen, manche gaben ihr die Schuld an allem Unglück dieser Erde - aber das Schweigen war am schlimmsten. Denn in diesem Fall konnte Mara nie sagen, was als nächstes geschehen würde.

Entweder sie würden es verkraften oder letztendlich doch verrückt werden. Würden sie es irgendjemandem sagen? Doch das konnte Mara zumindest mit großer Sicherheit ausschließen. Ezra vertraute ihr - oder hatte es jedenfalls vorher. Wenn sie ihn um Schweigen bat würde er ihren Wunsch erfüllen. /Hoffentlich./

Und JD? Das Kind hatte wahrscheinlich die größten Schwierigkeiten, alles zu verkraften. Oder vielleicht unterschätzte Mara ihn auch. Immerhin war er der Sheriff in Four Corners. Er war erwachsener als andere in seinem Alter. Und vielleicht auch vernünftiger. Er würde es vielleicht nicht verstehen, aber glauben.

Mara lachte trocken. Hatte er denn eine Wahl? Selbst wenn er es nicht glauben wollte - das Blut der nicht mehr vorhandenen Schusswunde war Beweis genug. Und Ezra hatte die Wunde mit eigenen Augen gesehen.

Mara lehnte sich einen Augenblick zurück und schloss erschöpft die Augen. Sie seufzte leise. Nicht einmal Unsterblichkeit schützte vor Müdigkeit. Der Schmerz mochte vergangen sein, aber ihre Bewusstlosigkeit war nicht gerade erholsam gewesen. Leider würde man ihnen nicht die Gelegenheit geben, in Ruhe zu schlafen.

Wie um ihre Gedanken zu unterstreichen näherten sich wieder die zwei Männer, die Ezra hergeschafft hatten. Sergeant Osborne - Ozzi - folgte ihnen. Die Beiden drehten Ezra nicht gerade sanft auf den Rücken und verschnürten seine Hände und Füße so fest, dass das Seil ins Fleisch schnitt. Ezra verkniff sich jeden Laut, aber Mara konnte sehen, dass die Fesseln ihm Schmerzen bereiteten.

Ozzi kam auf Mara zu und riss sie an den Haaren unsanft in die Höhe. Mara stöhnte leise. Dafür würde dieser Kerl bezahlen. Wäre sie nicht gefesselt, wäre er schon jetzt Brei gewesen, aber so begnügte Mara sich mit einem drohenden Blick. Doch Ozzi war zu dumm, die Drohung ernst zu nehmen. Er lachte nur lauthals und zog sie vollends auf die Beine.

"Der Boss will dich sehen, Kleine.", meinte er mit krächzender Stimme. Sein heißer stinkender Atem strich über Mara's Gesicht und sie rümpfte die Nase. Der andere Mann schnitt ihre Fußfesseln durch und sie wurde unsanft nach vorne gestoßen. Fast wäre sie zusammengebrochen doch im allerletzten Moment fing sie sich wieder und blieb einige Sekunden stehen, bis sie sich auf den Beinen halten konnte. Die Fesseln waren sehr fest gewesen und fast alles Blut war aus ihren Knöcheln gewichen.

Sie warf einen kurzen Blick zurück zu Ezra und JD. Sie sahen ihr unruhig hinterher. Wenigstens wussten sie jetzt, dass sie sich keine großen Sorgen um Mara machen mussten. Das war der kleine Vorteil der Unsterblichkeit. Mara mochte Schmerzen deswegen nicht mehr als andere Menschen, aber sie hatte die Gewissheit, dass sie nicht lange andauern würden. Und da weder Johnson noch McQuinn etwas über Unsterbliche wussten, hatten sie auch keine Ahnung, wie sie ihr wirklich Schmerzen zufügen konnten.

Doch im Moment hatte Mara keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, denn sie erkannte Johnson's und McQuinn's Gestalten vor sich. Die Beiden standen am Feuer, dass nur noch aus der rotflimmernden Glut bestand. Mara bemerkte, dass die meisten Männer vor der Höhle waren. Vielleicht war das ein Vorteil für sie. /Wenn diese Fesseln bloß nicht wären/

Ozzi, der sie vorangetrieben hatte, versetzte ihr so plötzlich einen Schlag zwischen die Schulterblätter, dass ihr die Luft wegblieb. Mara taumelte nach vorne und sank auf ein Knie. Alles verschwamm für einen kurzen Augenblick vor ihren Augen und als sich ihr Blick wieder geklärt hatte, kniete Johnson vor ihr - die blitzende Klinge eines Messers gegen ihre Kehle gedrückt. Mara spürte wie das scharfe Metall ihre Haut leicht ritzte und ein einzelner Tropfen Blut lief die Klinge langsam hinunter.

Mara fluchte innerlich. Hoffentlich bemerkte keiner, dass sich die kleine Wunde ebenso schnell wieder schloss, wie sie sich geöffnet hatte. Doch als sie in Johnson's kalte blitzende Augen sah, war sie sicher, dass er diesem kleinen Kratzer keine Aufmerksamkeit schenken würde. Seine Augen funkelten mit einem inneren Feuer, das fast an Wahnsinn grenzte. /Nicht nur fast./

Jetzt grinste Johnson und seine Zähne schimmerten weiß im Halbdunkel der Höhle. "Ozzi hat gesagt du bist schwer verwundet. Anscheinend hat er übertrieben." Johnson musterte sie kurz, dann zog er das Messer zurück, wobei die Klinge die eben geheilte Haut erneut ritzte. Er stand auf und warf McQuinn, der neben ihm stand, einen beruhigenden Blick zu.

"Wenn ich mit ihr fertig bin, gehört sie dir.", versicherte er McQuinn. Dessen Augen durchbohrten Mara mit einem durchdringenden Blick, den diese allerdings völlig ignorierte. Seine Stimme war heiser vor Hass und Vorfreude.

"Ich brauche sie lebend.", erwiderte er, wagte es aber nicht, Johnson nochmals auf ihre Vereinbarung hinzuweisen. Es hätte sowieso nichts mehr gebracht, denn dieser war schon wieder mit Mara beschäftigt.

"Ich hab gehört, du bist Terrik's Partnerin.", meinte Johnson. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und sie überraschte Mara. Sie hatte zwar angenommen, dass McQuinn Johnson irgendetwas angeboten hatte, doch dass es Mirax war? Und überhaupt: Was hatte Mirax mit Johnson zu tun?

Mara hatte keine Ahnung, aber das hatte nicht viel zu sagen. Sie war nicht immer mit Mirax unterwegs gewesen. Selbst in der Zeit als Kopfgeldjägerinnen hatten sich ihre Wege manchmal getrennt. Es konnte viel geschehen sein, von dem Mara nichts wusste. Und Mirax machte sich leicht Feinde - genauso wie Mara selbst.

Johnson wartete anscheinend auf eine Antwort und als er keine bekam verpasste er Mara mit dem Handrücken einen Schlag ins Gesicht. Mara versuchte ruhig zu bleiben, obwohl sie Mühe damit hatte.

"Und was, wenn?"

Johnson lächelte verschwörerisch. "Dann hast du noch eine Chance, Kleine." Mara hätte gelacht, wenn es witzig gewesen wäre. Chance? Selbst wenn sie Johnson ihre ganze Lebensgeschichte erzählen würde - er hatte sie immer noch McQuinn versprochen. Und sie konnte sich denken, was dieser mit ihr vorhatte. Von einer Chance konnte man in diesem Fall wirklich nicht sprechen.

Johnson hatte anscheinend ihre Gedanken erraten, denn sein Gesicht verfinsterte sich. "Ich will Terrik.", zischte er drohend. "Und du wirst mir helfen, sie zu schnappen."

Mara starrte ihn kalt an. "Vergiss es!", erwiderte sie ruhig. Sie würde ihn höchstens zu Mirax führen, damit diese ihn töten konnte. Aber das war wohl gar nicht nötig, denn Mara zweifelte nicht daran, dass Mirax und die anderen bald hier sein würden. Und dann konnte Johnson selbst herausfinden, dass er lieber nicht in Mirax Nähe sein wollte.

Johnson merkte, dass er aus ihr nicht mehr herausbekommen würde. Ein wütender Schrei entfuhr ihm und er schlug noch einmal zu. Mara schmeckte Blut und hustete. Sie warf Johnson einen vernichtenden Blick zu und kniff die Augen zusammen. Johnson starrte sie finster an, dann schien er sich entschieden zu haben.

"Sie gehört dir.", meinte er an McQuinn gewandt. "Und sorg' dafür, dass sie leidet!", fügte er mit zorniger Stimme hinzu. McQuinn lächelte hämisch.

"Keine Sorge. Ich hatte nicht vor, es ihr bequem zu machen.", versprach er und zog Mara in die Höhe. Er stieß sie Ozzi, der immer noch hinter ihr stand, in die Arme und als Johnson sich entfernte, zog er sein Messer und strich mit der Spitze leicht über Mara's Wange.

"Falls du die Hoffnung hast, ich hätte irgendetwas von dem vergessen, was du mir angetan hast - vergiss es schnellstens!", fauchte er leise. Der Zorn in seinen Augen hatte sich in heiße Glut verwandelt. Natürlich hatte sich Mara keine Hoffnungen gemacht. Warum auch? Immerhin war es damals ihre Absicht gewesen, dass er sich an alles erinnerte - für immer.

Und das würde er auch. Denn wenn Mara in einem gut war, dann war es ihre Fähigkeit, Schmerzen zu bereiten. Höllische Schmerzen.

Und nach McQuinn's Gefangennahme hatte sie genügend Zeit gehabt, ihre Fähigkeiten ausgiebig zu testen. Was dieser ihr anscheinend übel genommen hatte. Naja, Mara konnte es ihm nicht verdenken. /Nicht im geringsten./

Sie lächelte, was McQuinn nur noch wütender machte.

TBC...