1 Kapitel 3

„Was Sie mir da erzählen, ist ungeheuerlich, Squall!"

Der junge Anführer hatte Direktor Cid noch nie so aufgeregt gesehen. Aber ihm ging es selbst nicht viel besser.

„Direktor, mäßigen Sie Ihre Lautstärke etwas", rügte Dr. Kadowaki, die Ärztin des Balamb-Garden ihren Vorgesetzten. „Wenn ich die beiden untersuchen soll, dann müssen Sie Ihre Fragen etwas zurückstellen!"

„Entschuldigung."

Der etwas untersetzte Mann trat zurück und ließ die Doktorin ihre Arbeit tun, obwohl man ihm ansehen konnte, dass er am liebsten hundert Fragen auf einmal gestellt hätte. Squall wusste auch nicht, was diese Untersuchung überhaupt sollte, auch wenn er so seine Gedanken etwas ordnen konnte. Rinoa und er waren auf der Rückreise zum Garden wieder zu Kräften gekommen und seitdem spürte er nichts Ungewöhnliches. Er bezweifelte, dass Dr. Kadowaki etwas finden würde, denn dieses mysteriöse Ereignis, als Rinoas und seine Kräfte sich vereinten, hatte sich im Kampf zugetragen. Und für den Kampf galten besondere Regeln.

Vor vielen hundert Jahren, wenn man den alten Sagen Glauben schenken durfte, war die Göttin Hyne von den Sternen auf diese Welt herabgestiegen. Wo sie gelebt hatte, wusste niemand so genau (Anm. des Autors: diejenigen, die den Fanfic „Nur geträumt" gelesen haben, wissen es doch), aber dass sie prägend auf die Zivilisation der Menschen eingewirkt hatte, stand außer Frage. Das wichtigste, das Hyne geleistet hatte, war die Tatsache, dass sich jedes Mal, wenn Mensch und Monster aufeinander trafen, die Begegnung durch ein magisches Feld von der Außenwelt abgeschnitten wurde. Nur drei Menschen und fünf Monster konnten gegeneinander kämpfen, Magie einsetzen und sogar wiederbelebt werden, damit hatte die Göttin den Menschen eine Chance gegen die Übermacht der Bestien dieses Planeten gegeben.

Bald darauf hatten die Menschen die Magie entdeckt, mit der sie erstmals wirklich gegen die Monster vorgehen konnten. Städte wurden auf der Oberfläche der Welt gebaut, und die Menschen vermehrten sich und entwickelten sich weiter. Neue Waffen wurden entdeckt, schwache wurde durch mächtige Magie ersetzt, wie „Feuer" und „Feuga", und als letztes wurden die GF entdeckt. Diese mächtigen Wesen waren Hynes letztes Vermächtnis an die Menschheit gewesen, denn seit Jahrhunderten hatte niemand mehr von der Göttin gehört. Aber die Regeln, die sie aufgestellt hatte, und an die sich sogar die dümmsten Monster instinktiv halten mussten, galten noch heute. Und niemand, der nicht selbst kämpfte, verstand, was sich in einem Kampf auf Leben und Tod abspielte.

Deshalb glaubte Squall nicht, dass die Ärztin etwas finden würde. Rinoa und Squall hatten etwas völlig Neues erlebt, vielleicht war es noch nie in der Geschichte dieser Welt geschehen, aber es war im Kampf passiert, und deshalb nicht mit der normalen Welt vergleichbar. Rinoa allerdings schien die Sache nicht so ruhig zu lassen wie ihn.

„Lassen Sie mich in Ruhe, Doktor!", verlangte sie lautstark. „Was sollen die Leute denn auf unserer Hochzeit denken, wenn sie erfahren, dass ich ein paar Tage vorher wie ein Todkranker hier untersucht wurde?"

„Meine Liebe, wenn es nach mir geht, können Sie den Direktor um Hilfe anflehen, die Staatsoberhäupter von Galbadia und Esthar oder auch Ihre GF... aber diese Heirat wird nicht stattfinden, bevor ich es nicht erlaubt habe! Aber mit Ihnen bin ich auch schon fertig. Wenn Sie sich sofort an mich wenden, sobald Sie etwas Ungewöhnliches spüren, können Sie meinetwegen gehen."

„Und Squall? Was soll ich ohne Bräutigam in der Kirche?"

„Mir egal! Erzählen Sie Witze oder veranstalten Sie eine Quizshow, aber er kommt hier nicht raus, bevor ich ihn durchgecheckt habe!"

Vom Wartezimmer her hörte Squall ein unterdrücktes Kichern. Er drehte den Kopf und bemerkte Xell, Selphie und Irvine, die sich offenbar köstlich über das Streitgespräch amüsierten. Als Selphie bemerkte, dass er auf sie aufmerksam geworden war, zwinkerte sie ihm zu.

„Rinoa, lass Dr. Kadowaki ihre Arbeit tun", mischte er sich in die Diskussion. Beide Frauen wandten ihm den Kopf zu. Plötzlich fühlte er sich unwohl. „Wenn ihr hier herumstreitet, dauert es nur länger, bis ich hier rauskomme. Bei Irvine war's doch auch nach fünf Minuten vorbei und so anders als er bin ich auch nicht gebaut."

Hinter ihm prustete wieder jemand los, aber er hörte nicht hin. Auch der Direktor hatte sichtlich Mühe, seine ernste Miene zu bewahren. Nur die Doktorin und Rinoa funkelten sich immer noch an. Er lächelte, als ihm plötzlich der Vergleich zu einer Tiermutter einfiel, die ihr Baby gegen Nesträuber verteidigte.

„Ich finde es sehr zu schätzen, dass du dich so sehr für mich einsetzt, aber spar dir deine Energie bitte auf später. Ich verspreche dir, dass ich mich notfalls mit meiner Waffe hier freikämpfe, den Garden entführe und nach Esthar fahre, wenn ich nicht schnell genug rauskomme. Einverstanden?"

„Sag ja, Rinoa", warf Xell belustigt ein. „So ein höchst gesetzwidriges Angebot bekommst du nur einmal im Leben von ihm."

„Aber es war seeeehr romantisch, das musst du zugeben!" Selphie lebte wie immer auf, wenn es um hitzige Diskussionen ging. „Stell dir vor, wir müssten uns gegen ihn steeeellen, und er besiegt uns, weil die Liebe ihm übermenschliche Kräfte verleiht..."

„Lieber nehme ich's mit der ganzen Armee des Monsterbeschwörers auf als mit Squall, wenn man ihn von dieser Hochzeit fernhalten will!" Auch Irvine schien sich das Lachen kaum mehr verkneifen zu können.

„Muss Liebe schöööööön sein", seufzte Selphie. „Nicht wahr, Irvie?"

„Schluss jetzt!", gellte Dr. Kadowakis Stimme durch den Raum. „Bitte verlassen Sie alle auf der Stelle das Krankenzimmer, sonst wird das hier noch ein Tollhaus! Direktor, sagen Sie doch auch mal was!"

„Schon gut, schon gut", brachte Cid zwischen zwei Lachanfällen hervor. „Bitte kommen Sie alle hinaus in mein Büro, auch Sie Rinoa, darauf bestehe ich. Sie auch, wenn Sie hier fertig sind, Squall. Ich erwarte einen genauen Bericht von den Ereignissen!"

Squall atmete resignierend aus. „Jawohl, Direktor."

„Squall, ich warne dich, wenn sie irgendetwas findet, um dich hier zu behalten, dann komm ich wieder und schleife dich höchstpersönlich nach Esthar!" Rinoa klang sehr bestimmt.

„Ich werd's mir merken", erwiderte er, während er sich zurücksinken ließ.

Der Sand knirschte unter seinen Stiefeln, als Cifer den steinigen Boden der Insel betrat und sich mit ausdrucksloser Miene umsah. Er war noch nie hier gewesen, aber wie er beobachtet hatte, Squall und seine SEED-Bande sehr wohl. Hinter ihm vertäuten Fu-jin und Rai-jin das Motorboot, mit dem sie hier angelegt hatten. Die Forschungsinsel lag noch immer vor Dollet, als warte sie auf etwas.

Langsam zog Cifer seine Gunblade hervor. Sie war kein Spitzenmodell, im Gegensatz zu Squall vertraute er mehr auf seine eigenen Kräfte als auf die Waffe. Die „Löwenherz" seines ehemaligen Trainingspartners mochte sehr beeindruckend aussehen, aber Cifer kam auch gut ohne sie aus. Am Rascheln von Stoff bemerkte er, dass Fu-jin ihren Wurfstern hervorzog. Auch Rai-jins Schritte kamen etwas aus dem Takt, als er seinen riesigen Kampfstab hervorzauberte und ein paar Mal probeweise herumschwang.

„Kommt", eröffnete er, als die beiden bei ihm angekommen waren. „Stehen wir hier nicht rum. Wenn es etwas zu entdecken gibt, dann da drin." Er deutete mit der Waffe auf den Eingang zum Forschungslabor, aus dem wieder das blau- weiße Licht pulsierte.

„Sei mal vorsichtig, Cifer!", warnte Rai-jin, aber man konnte seiner Stimme anhören, dass auch er aufgeregt war. „Wir wissen mal nicht, was uns da drin erwartet!"

„Schatten!", erinnerte Fu-jin an die Beschreibung Xells. Da sie hinter der Insel geankert hatten, bis die SEEDs abgeflogen waren, hatten sie jedes Wort mithören können, auch den Kampf hatten sie nicht verpasst. „Zauber!"

„Egal. Wir sind nicht auf Zauber oder GF angewiesen", entgegnete Cifer selbstsicher. „Wir gehen rein. Entweder wir finden etwas Nützliches... oder wir schlagen diese blöde Säule zu Glasmehl! Das Blinken macht mich wahnsinnig! Los jetzt!"

Langsam, da er die Warnungen seiner Kameraden mehr ernstnahm, als er zugab, näherte er sich dem Eingang. Er kam sich beinahe so vor wie vor einem halben Jahr, als sie den Eingang zur Höhle des Monsterbeschwörers Feyjar Trepe gesucht hatten. Auch damals hatten sie einen Verbündeten im Kampf gegen Squall gesucht... und einen Wahnsinnigen gefunden. Ein Irrer, dessen Pläne zwar Aussicht auf Erfolg gehabt hatten, aber nichtsdestotrotz ein Irrer. Heute, schwor sich Cifer, würde er sofort feststellen, wie es um die geistige Gesundheit seines Mitstreiters, den er zu finden hoffte, bestellt war.

Vorsichtig lugte er durch das steinerne Portal. Nichts außer einigen Gerätschaften und dieser komisch blinkenden Säule war zu sehen. Anscheinend hatten Squall und seine Leute alle Monster von hier vertrieben. Sie hatten zwar noch von einem Rubrum-Drachen und ein paar Heckenschlangen gesprochen, aber die waren nirgends zu sehen. Jedenfalls dort nicht, wo seine Sicht nicht von diesem unnatürlichen Licht behindert wurde.

„Okay, nichts zu sehen", meldete er. „Wir sollten uns jetzt nach diesem komischen Schatten umsehen. Gehen wir rein."

Seine Schritte hallten laut, als er mit wehendem Mantel den Raum betrat. Er kam sich fast so vor wie ein Held in einem kitschigen Film. Fu-jins Gang war kaum zu hören, weil sie fast so leise wie ein Raubtier aufsetzte, aber Rai-jin verstärkte die Geräuschkulisse lautstark. Vor der Säule hielt Cifer an. Er musste eine Hand vor die Augen halten, weil sie so hell leuchtete. Aber er konnte den Schatten, von dem der Angsthase gesprochen hatte, nicht erkennen, beim besten Willen nicht.

„Hier ist nichts", entschied er. „Sehen wir uns noch im restlichen Raum um, wenn wir nichts finden, verschwinden wir. Ich hab den Eindruck, Squall und seine Kumpels haben sich umsonst aufgeregt."

„Achtung!"

Auf Fu-jins Befehl hin fuhr er sofort herum und streckte die Gunblade nach vorn. Im ersten Moment erkannte er nichts, weil er zu lange auf das helle Licht geschaut hatte, aber er entnahm Rai-jins erschrockenem Keuchen, dass es eine unangenehme Überraschung war. Nachdem er zweimal geblinzelt hatte, konnte er auch einigermaßen erkennen, was die beiden erschreckt hatte. Vor ihnen standen oder krochen vier zischende Heckenschlangen, und hinter ihnen wie ein großer Bruder, ein Rubrum-Drache, dessen Knurren wie eine Einladung aus der Hölle klang.

Cifer fluchte ausgiebig, dann ging er in Kampfstellung. Auch Rai-jin und Fu- jin nahmen ihre Positionen ein. „Räumt zuerst die Blindschleichen weg!", befahl er. „Um den Riesenlurch kümmern wir uns später!"

Statt einer Antwort sprang Rai-jin vor, schwang seinen Kampfstab und brach einer der Heckenschlangen fast das Genick. Dennoch blieb das Vieh aufrecht und zischelte den braungebrannten Hünen wütend an. Als nächster kam Cifer selbst an die Reihe. Er nahm die Schlange ins Visier, rannte auf sie zu und schnitt sie in der Mitte durch. Er wartete nicht ab, um zu sehen, wie sie verschwand, sondern sprang wieder auf seinen Platz zurück. Der Gegenangriff würde nicht lange auf sich warten lassen.

Eine der Heckenschlangen, die den Tod ihrer Kollegin offenbar nicht lustig fand, kroch an Cifer heran, umringte ihn schnell und drückte mit einer Kraft zu, die einem normalen Menschen wohl alle Knochen gebrochen hätte. Cifer stieß nicht einmal Luft aus. Solche Angriffe waren ja fast unter seiner Würde!

Fu-jin sprang vor und hielt ihre Hand vor sich gestreckt, während sie die Monster kalt musterte. „Tornado!", rief sie aus. Der Wirbelwind hob alle Monster mühelos bis zur Decke und ließ sie mit furchtbarer Wucht wieder herunterkrachen. Die Heckenschlangen wanden sich vor Schmerz, nur der Rubrum-Drache schien zu grinsen. Ihm machte Wind nichts aus, aber sie hatten ihm zum Glück auch noch nichts abgezogen, als dass er sich jetzt hätte regenerieren können.

Eine zweite Heckenschlange ließ ihren Schädel auf Rai-jin herunterkrachen, was dieser lässig mit einer Hand abwehrte. Er machte sich nicht mal die Mühe zu grinsen, statt dessen attackierte er die vorwitzige Echse und schickte sie mit einem gezielten Hieb zu Boden. Eine Sekunde später verschwand sie.

Nun aber wurde der Drache aktiv. Er bäumte seinen mächtigen Leib auf, holte tief Luft und ließ die drei Menschen seinen „Hauch" spüren. Cifer ignorierte die paar neuen Brandflecken auf seinem Mantel, funkelte den Drachen aber grimmig an. Dieser freche Lindwurm würde noch bereuen, dass er sich mit ihnen angelegt hatte! Die dritte verbleibende Heckenschlange ringelte sich vor und griff ihn an, aber er scherte sich nicht darum, auch wenn der Angriff wieder einige hundert Lebenspunkte kostete.

Cifer sprang vor und hieb die Heckenschlange in zwei Teile. Damit blieb nur noch eine übrig. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er geschworen, dass das Vieh Angst hatte. Was sie jedoch nicht daran hinderte, Bio auf Fu-jin zu sprechen. Die grauhaarige Frau verzog kurz ärgerlich die Lippen, ließ jedoch keinen Schmerz erkennen. Statt dessen ließ sie ihren Wurfstern fliegen und traf die Schlange voll. Cifer runzelte die Stirn, als sich das Biest dennoch aufrecht hielt. Sie schien etwas stärker zu sein als ihre Freunde. Egal.

Rai-jin hielt seinen Kampfstab hinter sich und konzentrierte sich kurz. „Eisga!", rief er mit triumphierender Stimme. Der Eis-Zauber traf die Heckenschlange, entzog ihr das letzte Leben und schickte sie einen Augenblick später ins Jenseits. Nun war nur noch der Drache übrig.

Und der war wütend. Er tappte vorwärts und schnappte nach Fu-jin, die sich einen schmerzhaften Biss zuzog. Sie unterdrückte den Schmerz, aber ihr Zusammenzucken sagte genug. Cifer verzichtete schweren Herzens auf seinen Angriff und warf ein Mega-Potion in die Luft. Ziemlich viel ihrer Honorare ging für solche Heiltränke drauf, fand er. Manchmal wären GF mit ihren fast unbegrenzten Zauberlagern doch nützlich.

Fu-jin nickte ihm kurz dankbar zu und klemmte dann ihren Wurfstern unter den Arm. Sie hielt beide Arme vor sich und rief: „Melton!" Die Schockwirkung des Zaubers riss die letzten Reste von natürlicher Verteidigung des Drachens weg. Das Biest taumelte kurz und blickte die drei kleinen Gestalten vor sich verwundert an. Sie machten ihm mehr zu schaffen als andere dieser Art für gewöhnlich, fand er.

Rai-jin stieß einen Kampfschrei aus und schlug dem Drachen so fest er konnte gegen die rote Tatze. Das Untier brüllte auf und verlagerte ihr Gewicht, noch war sie aber nicht bereit zurückzuschlagen. Cifer hatte auch nicht vor, ihr diese Zeit zu lassen.

„Holy!"

Der heilige Zauber setzte dem Monster schwer zu, aber es war noch lange nicht besiegt. Cifer begab sich wortlos wieder in Kampfstellung. Er hatte nicht erwartet, dass ein so riesiger Drache schon nach drei Angriffen zusammenbrach. Diesmal verzichtete Fu-jin auf ihren Angriff und wandte statt dessen noch ein Elixier an, welches ihre HP wieder völlig herstellte.

Der Drache verließ sich ein weiteres Mal auf sein gutes Gebiss, diesmal bei Rai-jin. Aber damit war auch bei dem muskulösen Jungen das Limit noch lange nicht erreicht. Er grinste und schmetterte dem verblüfften Drachen seine harte Waffe auf die Schnauze. Dieser heulte auf und zog sie zurück. Cifer sprang vor, während der Drache abgelenkt war und versetzte ihm einen weiteren tiefen Schnitt. Als das Untier mordlüstern nach ihm sah, war er bereits wieder auf seinem Platz. Fu-jin kramte in ihrer Tasche und warf dem Monster einen Meteor-Stein vor die Tatzen, dessen (ein-)schlagende Argumente dem Drachen ziemlich zusetzten.

Cifer erlaubte sich grade ein Grinsen, als es passierte. Es begann als Kribbeln, dann lösten sich einige Lichtkugeln von ihm und schossen über ihn hinweg nach hinten. Er musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Fu-jin und Rai-jin dasselbe passiert war. Nun, immerhin waren sie vorbereitet gewesen, Squalls Truppe war ziemlich überrascht worden. Aber ihnen machten die paar verlorenen Zauber bei weitem nicht so viel aus wie den SEEDs. Ein großer Vorteil, vor allem jetzt.

„Das... das ist alles?", erklang plötzlich eine verzerrte Stimme hinter ihnen. „Wie ist das möglich? Die anderen waren ebenso stark wie ihr und hatten zehnmal mehr und stärkere Zauber bei sich!"

„Da staunst du, was?", rief Cifer, ohne den Drachen aus den Augen zu lassen. Rai-jin griff inzwischen wieder an, was das Vieh taumeln ließ. Lange machte er nicht mehr. „Wir sind von uns selbst aus stark, nicht wegen unserer GF! Uns machen ein paar Zauber mehr oder weniger nichts aus, wie du siehst!" Wie zum Beweis rannte er nach vorn, ließ seine Klinge durch den Leib des Drachen gleiten und sprang elegant zurück auf seinen Platz. Vor ihnen brach die gewaltige Masse der Bestie heulend zusammen und verschwand.

Cifer ließ triumphierend seine Klinge durch die Luft wirbeln, steckte sie aber diesmal nicht weg. Vielleicht erwartete sie noch ein weiterer Kampf. Rai-jin leerte gerade eine Hi-Potion, er hatte offenbar den selben Gedanken gehabt. Fu-jin hingegen sah sich bereits wortlos im Raum um. Auf seinen fragenden Blick antwortete sie allerdings gewohnt wortkarg mit einem Schulterzucken. Auch sie wusste nicht, wo die Quelle der Stimme sich befand.

Nachdenklich zog Cifer ebenfalls eine Hi-Potion hervor und leerte sie. Bei seiner ungeheuren Anzahl von Lebenspunkte, die er der Hexe Artemisia verdankte, die Kräfte in ihm geweckt hatte, von denen er bis dahin nur hatte träumen können, machte eine Flasche zwar nicht viel aus, aber sie konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Er blickte die Säule an, die nun nicht mehr so stark pulsierte. Ob sich darin die Antwort auf seine Fragen befand? Wie hatte Xell, der Angsthase, gesagt? In der Säule, in der Bahamut war, oder so ähnlich. Bahamut war ohne Zweifel eine ihrer GF, und wenn er in dieser Säule gewesen war, warum dann nicht auch anderes?

„Cifer!", meldete sich Fu-jin plötzlich aus dem hinteren Teil des Raumes.

„Fu-jin hat mal was gefunden, Cifer!", ergänzte Rai-jin überflüssigerweise. „Sieh es dir mal an. Ich weiß nicht recht, was es mal sein soll."

Der Gunblade-Kämpfer behielt seine Waffe in der Hand, als er um die Säule herum auf seine Freunde zuging. Man wusste ja nie. Aber kein Monster stellte sich ihm in den Weg. Fu-jin und Rai-jin standen neben einer Art Deckel, der irgendetwas verschloss. Stirnrunzelnd kam er näher. So ein Ding hatte er auch noch nie gesehen, aber wenn es so stabil war, wie es aussah, dann musste es etwas Wichtiges verbergen.

„Geht mal zur Seite", wies er die beiden an und stellte sich breitbeinig hin. „Wir werden ja sehen, was das für ein Ding ist, wenn ich es aufgesprengt habe." Damit hob er die Gunblade über den Kopf.

„Das würde ich an eurer Stelle lassen."

Cifers Kopf ruckte herum und auch Fu-jin und Rai-jin zuckten zusammen. Dennoch gingen alle drei sofort in Kampfstellung. Mehrere Jahre Drill in einer Kampfschule zahlten sich eben doch aus. Vor ihnen stand eins der absonderlichsten Geschöpfe, die er jemals gesehen hatte, und das wollte in dieser Welt schon etwas heißen. Was nicht hieß, dass es hässlich war. Das... was auch immer es war, hatte eine animalische Grazie, fast so wie Artemisias Haustier, der Löwe Griever, den Squall besiegt hatte.

Es besaß graues, an manchen Stellen nachtschwarzes Fell, welches seinen ganzen Körper bedeckte. Unter dem Fell konnte man die Konturen starker Muskeln erkennen, die momentan angespannt waren. Obwohl die Körperbehaarung auf ein Tier schließen ließ, stand es gerade und hochaufgerichtet, wobei es beinahe die Decke erreichte. Die beiden Füße endeten allerdings in Krallen, die kreischend über den Metallboden schliffen, und die Hände glichen den Klauen eines Quals, nur größer. Aus den Schultern wuchsen ihm je drei Stacheln, die gefährlich massiv und scharf aussahen. Auf dem Kopf war die Farbe seines Fells weiß und es war länger, was es wohl menschenähnlicher erscheinen lassen sollte. Die Schnauze im Gesicht, aus der den drei Kämpfern nadelspitze Reißzähne entgegenblitzten und vor allem die dämonisch rot brennenden Augen ruinierten diesen Effekt gründlich.

„Große Hyne", murmelte Rai-jin erschrocken. Seine Finger umschlossen den Kampfstab so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Was bist du?"

„Ah, eine sehr direkte Frage", entgegnete das Wesen, während die rote Farbe in den Augen nachließ und einem intensiven Gelb wich. „Nicht wer, sondern was! Nun, ihr Menschen würdet mich wohl eine GF nennen, obwohl ich noch niemals gekoppelt war, und mein Name lautet Condenos."

„Woher?" Natürlich stammte diese direkte Frage von Fu-jin.

„Das hättet ihr doch wohl selbst erraten können." Die GF stieß ein heiseres Bellen aus, das wohl ein Lachen sein sollte. „Ich komme aus der Wachstumskammer." Er deutete mit der rechten Kralle auf die Lichtsäule. „Dort drin kann sich eine GF nach einem Kampf regenerieren und neue Kräfte sammeln."

„Und wieso haben dich Squall und seine Kumpane dann bei ihrem ersten Besuch nicht gefunden?", wollte Cifer wissen. Er hielt die Gunblade noch immer erhoben. „Immerhin haben sie Bahamut eingefangen, wer auch immer das sein mag."

„Bahamut? Jemand hat meinen Bruder besiegt?" Die Miene von Condenos wurde ernst. „Er ist einer der mächtigsten von uns. Er würde sich nur denen anschließen, die ihn im Kampf besiegen. Die Menschen sind sehr stark geworden."

„Nicht alle", gab Cifer zu. „Aber dazu später. Wo bist du früher gewesen, wenn Squall dich nicht gefunden hat?"

„Früher." Die Muskeln der GF spannten sich und einen Moment lang hatte Cifer das Gefühl, sie würde angreifen. Aber dann beruhigte sie sich wieder. „Sagen wir, ich war... unter Bewachung. Die Herrin über unser Volk sperrte mich tief unten im Ozean ein, weil ich wagte, ihr meine Meinung zu sagen. Dann schuf sie ein grauenvolles Monster und gab ihm den Befehl, den einzigen Ausgang von diesem Ort zu bewachen. Um sicher zu gehen, dass ich niemals würde fliehen können, verlieh sie dem Monster zusätzliche Kraft, indem sie meine stärkste Schwester anwies, es zu unterstützen. Vielleicht kennt ihr ihren Namen... Eden... oder den des Monsters, der Ultima Weapon lautete."

„Cifer, Eden ist mal eine GF von Squall", warf Rai-jin aufgeregt ein. „Er hat sie mal nach der Schlacht von Esthar Edea geborgt und als ich ihn darauf ansprach, sagte er mal, er habe diese GF von einem äußerst starken Monster an einem gefährlichen Ort erhalten."

„Gefährlicher Ort? Dann hat euer Freund nicht übertrieben." Condenos lachte kurz auf, aber Bitterkeit schwang darin mit. „Kein normaler Mensch hätte Ultima Weapon besiegen können. Auch meine Kräfte reichten dazu nicht aus. Wenn die Menschen wirklich schon so stark sind, dann bezweifle ich, dass ich meine Mission zu Ende führen kann."

„Mission?" Fu-jin war noch immer misstrauisch, wurde aber schön langsam neugierig.

Die GF hob abwehrend eine Pranke und seine Augen färbten sich orange. „Darüber werde ich euch jetzt noch nichts sagen. Erst müsst ihr mir verraten, warum ihr mich gesucht habt."

„Das kommt später", erwiderte Cifer und zeigte damit wieder einen Teil seiner natürlichen Arroganz. „Erst mal verrätst DU uns, wieso wir diese Luke da nicht öffnen dürfen. Ich halte nichts von Verboten, die ich nicht erklärt bekomme."

Ein Raubtiergrinsen stahl sich in die Züge des Riesen. „Brich das Siegel ruhig auf, wenn du schwimmen kannst", antwortete er höhnisch. „Dieses Schott verschließt den Riss, durch den man früher zu dem gefährlichen Ort kam, an dem ich gefangen war. Jetzt, da ich diese Insel mobil gemacht habe, muss sie natürlich geschlossen bleiben, damit sie nicht absäuft."

„Mobil?", fragte Cifer interessiert. „Heißt das, du kannst diesen Steinklotz überall hin steuern, wo du willst?"

„Solange es einen Seeweg gibt, ja. Das ist Bestandteil meiner Mission."

Cifer steckte die Gunblade ein. „Dann schlage ich vor, wir entfernen uns von Dollet. Squalls Bande wird garantiert zurückkommen, wahrscheinlich gewappnet gegen deine Spielereien. Und dann möchte ich nicht hier sein. Wir können uns irgendwo im Meer ebenso gut unterhalten wie hier."

Unwillkürlich ballte das Wesen die Fäuste. Es schien nicht gern Befehle entgegenzunehmen. Nun, das galt für Cifer genauso. Dann jedoch entspannte es sich wieder, obwohl seine Pupillen schon Anfänge von Rot aufwiesen. „Wenn du denjenigen meinst, der Ultima Weapon bezwang, dann hast du vermutlich Recht", knurrte Condenos. „Ich werde uns irgendwo in der Nähe des Centra-Kontinents verstecken. Danach werden wir weiterreden. Und dann werden wir sehen, was mit euch geschieht."

Die GF drehte sich zu der Lichtsäule um und tauchte mit den Händen in das Licht ein. Sofort begann es wieder zu pulsieren, nicht mehr so stark wie vorhin, aber doch. Und im selben Moment spürten die drei Kämpfer, wie sich die so massiv wirkende Forschungsinsel von unsichtbaren Kräften gelenkt zu bewegen begann. Erst nur langsam, aber bald so schnell wie ihr Boot bewegte sich die geheimnisvolle Insel auf ihr unbekanntes Ziel zu.

„Das ist mal echt krass", rief Rai-jin aus, der sich an einer Wand abstützte und überrascht zu der GF hinsah. „Wie macht der Kerl das?"

„Vorsicht!", mahnte Fu-jin, die in die Knie gegangen war, ihren Wurfstern jedoch noch immer in der Hand hielt.

„Schon gut, ihr beiden", beruhigte Cifer sie. Er verspürte ein Gefühl von Macht, und das genoss er in vollen Zügen. „Ich vertraue diesem Vieh auch nicht. Aber seine Geschichte interessiert mich, deshalb bleiben wir hier. Es könnte sich hier einiges ergeben." Damit setzte er sich und sah zur Silhouette Condenos' hin, der noch immer unbeweglich die Insel steuerte. Sein erster Eindruck war nicht schlecht... die GF mochte misstrauisch sein, aber sie wirkte nicht so fanatisch wie Feyjar Trepe. Obwohl sie kein Mensch war, spürte Cifer, dass sie ein zwar ein festes Ziel hatte, ihre „Mission", aber durchaus bereit war, sich beraten zu lassen. Das war eine gute Basis, auf der er aufbauen konnte. Vielleicht rückte sein Traum von einem Duell mit Squall doch schon etwas näher...

„Eclisa! Wie oft soll ich es dir denn noch sagen? Komm ins Haus, es ist schon spät!"

„Ach, Mama Edea", maulte die Kleine. „Warum darf ich meine Burg denn nicht fertig bauen?"

Edea seufzte hingebungsvoll. „Weil du heute bereits vier Sandburgen gebaut hast", entgegnete sie mit gebotener Strenge. „Du hast sogar Quistis dazu gebracht, entnervt das Weite zu suchen. Wieso willst du jetzt überhaupt so gern heraußen bleiben? Früher gefiel es dir im Haus doch viel besser."

„Das war, bevor ich Burgbauer werden wollte", gab die Kleine trotzig zurück. „Ich gehe hier nicht weg, bis ich mit meinem Schloss fertig bin!"

„Aber es ist nachts nicht ungefährlich hier heraußen", versuchte es Edea noch einmal. „Was ist, wenn ein böses Monster kommt und dich holen will?"

„Dann wachen Mama und Papa über mich." Es half nichts, Eclisa blieb stur. „Sie sind immer bei mir und beschützen mich."

Edea gab nach, schon deshalb, weil die anderen Kinder im Haus offenbar gerade wieder Ärger machten. Sie hörte lautes Gelächter und Quistis empörte Stimme. Kurz blieb sie noch stehen, dann drehte sie sich um und lief zurück ins Waisenhaus. Bei diesem sturen Fall konnte sie nichts tun. Besser, wenn sie sich den anderen zuwandte.

„Schluss jetzt, Kinder", befahl sie und klatschte in die Hände, nachdem sie im Haus angelangt war. „Lasst Tante Quistis in Ruhe und seid brav. Wer nicht gleich im Bett ist, der darf morgen nicht an den Strand gehen!"

Protestierende Stimmen wurden laut, aber Edea war unerbittlich. „Keine Widerrede! Es ist schon spät und Squall ist bei mir immer pünktlich im Bett gewesen! Also nehmt euch an ihm ein Beispiel!"

Das wirkte. Erst die meisten Jungen, dann zögernd auch die Mädchen wandten sich um und schlichen in ihre Zimmer. Quistis, die erschöpft auf dem Boden saß, atmete erleichtert auf.

„Hyne sei dank", brachte sie hervor, „dass du gekommen bist, Mama. Diese Rangen wollten doch tatsächlich schon wieder, dass ich ihnen erzähle, wie Squall und wir anderen damals zu Artemisia vorgedrungen sind."

„Man möchte meinen, sie würden dieser Geschichte langsam müde", stimmte Edea mit einem leichten Lächeln zu. „Aber ihr seid nun mal Legenden, da kann man nichts machen."

„Wieso wird eine Legende dann von einem Dutzend Halbwüchsigen in die Knie gezwungen?", wollte Quistis wissen, als sie aufstand. „Das passt nicht unbedingt in die glorreiche Heldengeschichte."

„Monster bekämpfen und Kinder hüten sind zwei verschiedene Paar Schuhe", entgegnete Edea dramatisch. „Könntest du mir einen Gefallen tun und Eclisa vom Strand heraufholen? Sie will unbedingt ihre Burg fertig stellen, aber ich habe immerzu Angst, ihr könnte etwas zustoßen."

„Aber Mama! Uns ist doch am Strand auch nie etwas passiert, als wir noch klein waren. Wieso hast du jetzt auf einmal davor Angst?"

„Ich weiß es nicht." Edea zuckte mit den Schultern. „Es ist nur so ein Gefühl."

„Schon gut, ich gehe", meinte Quistis. „Aber du solltest die Kinder nicht anschwindeln."

„Wie meinst du das?"

„Squall war tatsächlich der erste von uns, der ins Bett ging... aber nur, weil er später wieder aufstehen und nach Ell suchen wollte!", erklärte Quistis grinsend.

„Tatsächlich?" Die ehemalige Hexe tat erstaunt. „Das muss ich wohl vergessen haben."

Noch immer grinsend schloss Quistis die Haustür und blinzelte einmal, um sich an die geänderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Zwar schien ein fast voller Mond und beleuchtete das Meer, aber dennoch war es viel dunkler als im Haus.

„Eclisa!", rief sie laut. „Ich komme dich jetzt holen. Befehl von Mama."

„Tante Quistie, du musst dir aber vorher noch meine Burg ansehen, sonst bleibe ich die ganze Nacht hier draußen!"

„Na gut." Sie setzte sich in Bewegung, die Steintreppe hinunter. „Aber nur ein kurzer Blick, dann gehen wir rein. Und keine Widerrede."

Statt einer Antwort hallte ein heller Schrei durch die Nacht. Einen Moment lang erstarrte Quistis ungläubig, aber dann rannte sie ohne Rücksicht auf ihr beschränktes Sichtfeld die Treppe hinunter. Eclisa kam ihr am unteren Ende entgegen und warf sich ihr an die Beine. Zitternd klammerte sie sich fest.

„I-ich hab Angst, Tante Quistie. Da war w-was im Wasser, das mich beobachtet hat und rausgekommen ist. Bitte gehen wir wieder rein." Tränen rannen ihr über das kleine Gesicht. Quistis hatte das Mädchen noch nie so aufgewühlt erlebt.

„Beruhige dich, Eclisa", murmelte sie, während sie geistig ihre Kopplungen erneuerte. Sie hoffte, das Kind würde davon nichts merken. „Ich bin ja bei dir. Du hast dich wahrscheinlich nur getäuscht." Analyse!, sprach sie in Gedanken.

„Nein, nein, ich hab mich nicht getäuscht, Tante!", widersprach das Mädchen und versuchte, Quistis zum Haus zu ziehen, was nicht sehr gut gelang. „Bitte gehen wir rein, bevor das böse Monster uns holt."

„Wenn uns ein Monster holen will, sind wir im Haus auch nicht sicher, Eclisa", widersprach Quistis angespannt. „Lauf sofort rein und sag Mama Edea, dass ich meine Waffe brauche. Schnell! Das Biest kommt näher!"

„Deine Waffe, Tante?" Sie konnte Eclisas erstaunten Gesichtsausdruck förmlich spüren.

„Eclisa, lauf! Tu, was ich dir gesagt habe, sonst kann ich dich nicht beschützen!"

Einige Momente lang starrte sie in die Leere, ohne dass etwas geschah, aber dann hörte sie, wie Eclisa zögernd loslief. Gut, denn was da gerade aus dem Wasser gekrochen war, wo sich noch nie vorher ein Monster gezeigt hatte, war ein Adaman Tamai!

„Mama! Mama!", rief Eclisa, als sie die Haustür aufriss. „Mama! Du musst Tante Quistie helfen! Sie ist da draußen und ein Monster ist auch da und…"

„Eclisa, beruhige dich!" Edea kam aus ihrem Zimmer und blickte das Kind voll Sorge an. Sie ging vor ihm auf die Knie und fasste das Mädchen an den Schultern. „Was hast du gesagt? Ein Monster ist da draußen?"

„Ja", stammelte die Kleine unter Tränen. „Und Tante Quistie hat mir gesagt, ich soll dir sagen, sie braucht ihre Waffe. Aber wir haben hier keine Waffen, oder? Du musst ihr helfen, Mama!"

„Oh nein!", murmelte Edea und stand auf. Sie lief in Quistis' Zimmer und langte unter das schlecht gemachte Bett. Dort, zwischen Matratze und Rost eingeklemmt steckte dort die „Königinnenwache", Quistis' mörderische Waffe, mit der sie zahlreiche Monster besiegt hatte. Edea hatte ihrer Ziehtochter so sehr gewünscht, dass Quistis sie nicht brauchen würde, bis sie die Waffe aus eigenem Willen wieder aufnahm. „Aber das ist jetzt hinfällig", flüsterte sie, während sie die goldgelbe Farbe der Peitsche im Lampenschein ansah.

Sie packte die Waffe und rannte hinaus auf den Gang, so schnell es ihr Nachthemd zuließ. „Komm mit, Eclisa", forderte sie und ergriff das Mädchen an der Hand. „Du sollst jetzt selbst sehen, wozu Quistis diese Waffe braucht."

Sie achtete nicht auf den staunenden Blick Eclisas im Angesicht der geschmeidigen und doch starken Peitsche, sondern machte die Tür auf und zerrte sie hinaus. Quistis stand bereits am obersten Ende der Treppe und warf gerade einen kopfgroßen Stein auf ein Monster, das aussah wie eine übergroße Schildkröte. Ein Adaman Tamai!, dachte Edea erschrocken. Aber wieso hier?

„Quistis!", rief sie und warf gleichzeitig die „Königinnenwache" auf die SEED zu. „Fang!"

Quistis hatte ihre Kampfreflexe noch nicht verloren, wie sie bewies. Sie drehte sich um, fing die Peitsche mit einer Hand auf, drehte sich sofort wieder zurück und ließ in der gleichen Bewegung die Waffe gegen das Monster schnellen. Es wich zurück. „So, du Biest", erklärte sie mit kalter Stimme, „gleich wirst du bereuen, dass du jemals diesen Ort gefunden hast!"

„Mama, was geschieht da?", fragte Eclisa mit erstickter Stimme. „Wie... wieso kann Tante Quistie mit der Peitsche so gut kämpfen?"

Edea drückte das kleine Mädchen an sich, hielt ihren Blick aber weiterhin auf Quistis gerichtet. „Weil sie ein SEED ist, Eclisa", erwiderte sie mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme. „Weil sie einmal zusammen mit Squall Leonhart gekämpft hat."

Aus Quistis' Augen sprühten förmlich Funken, als sie vorsprang und dem Adaman Tamai einen heftigen Schlag mit der „Königinnenwache" versetzte. Die Peitsche war das beste Modell, das es bis jetzt gab. Sie ließ den harten Panzer des Schildkrötenmonsters erbeben, aber Quistis ließ sich nicht täuschen. Diese Biester waren äußerst harte Gegner.

Wie zur Bestätigung ihrer Gedanken fauchte es und sprach „Blenden" auf ihre Gegnerin. Quistis fluchte kurz und schluckte eine Mega-Pille. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder genug sah, aber dann sprang sie vor und rief laut: „Gravit!" Der Schwerkraftzauber zog dem Monster ein Viertel seiner Lebenskraft ab, aber besiegt war es deshalb noch lange nicht. Es zischte und beschwor einen Sandsturm, der Quistis dank ihres hohen Geist-Wertes aber wenig anhaben konnte. Wiederum sprang sie vor und ließ die Peitsche auf den Panzer der Riesenschildkröte niederfahren.

Sie hoffte insgeheim, der versteckte Zauber „Schlaf" in ihrer Waffe würde etwas ausrichten, aber das Ungeheuer war ebenfalls gut gegen Magie geschützt. Sie biss die Zähne zusammen und überlegte, was sie als nächstes machen sollte, als das Monster plötzlich den „Weißen Wind" beschwor, einen heilenden Balsam, der es sofort regenerierte. Beinahe hätte Quistis vor Enttäuschung aufgeschrieen, aber sie beherrschte sich. Sie tat vor.

„Schlaf!"

Diesmal zeigte der Zauber Wirkung und der Adaman Tamai schlief sofort ein. Quistis beschloss, ihn nicht so bald aufzuwecken und rief Tombery an. Nach ein paar Sekunden war die kleine GF bereit und nahm Quistis' Platz ein. Eclisa zuckte kurz zusammen, als das kleine grüne Männchen auf einmal auftauchte, aber Edea beruhigte sie. Tomberys Messerangriff zog dem Monster 8000 HP ab, aber es besaß noch genug davon. Quistis wartete, bis sie wieder bereit war und sprach „Blitzga" auf das Wesen. Es zuckte, wachte aber glücklicherweise nicht auf. Auch das nächste Mal, als Quistis wiederum den Blitzzauber anwandte, ließ die Schildkröte sich nicht in ihrer Siesta stören.

Die ehemalige SEED-Ausbilderin schürzte die Lippen. Sie wollte nicht, dass diese Kampf noch viel länger dauerte, am Ende wachten noch alle Kinder im Haus auf. Sie beschloss kurzerhand, eine physische Attacke zu riskieren. Sie schlug mit maximaler Kraft zu, aber leider reichte es nicht und weckte zudem das Monster auf. Dieses war jedoch glücklicherweise zu wütend, um sich zu heilen und sprach statt dessen „Protes" auf sich selbst. Quistis lächelte abfällig. Wenn sie richtig gezählt hatte, besaß der Adaman Tamai nur noch höchstens 2000 Lebenspunkte. Triumphierend holte sie mit der „Königinnenwache" aus und griff das Vieh damit ein letztes Mal an. Das Monster fauchte noch einmal, dann ließ es den Kopf hängen und verschwand für immer. Quistis genoss ihre Siegespose. Sie fühlte sich auf einmal wieder richtig lebendig.

„Ich sehe, du hast nichts verlernt", ließ Edea hinter ihr verlautbaren. „Ein Glück für uns."

Quistis drehte sich herum. Ihre Mutter sah sie mit einer Mischung aus Stolz und Traurigkeit an, aber in Eclisas Augen spiegelte sich der pure Unglaube. Quistis' Hochstimmung sank, als sie das sah, und sie ging neben dem Mädchen in die Knie.

„Wieso siehst du mich so an, Eclisa", fragte sie sanft. „Bin ich denn auf einmal so anders als vorhin, nur weil ich dir gezeigt habe, dass ich kämpfen kann?"

„A-aber wieso", stotterte das Mädchen, „wieso hast du uns das nicht gesagt?"

„Weil ich nicht mehr kämpfen wollte", gab Quistis zu. Sie versuchte, das Mädchen an der Wange zu streicheln, ließ es aber, als dieses zurückzuckte. „Ich habe... etwas sehr Schlimmes mit meiner Kraft gemacht, Eclisa. Ich habe meinem Vater damit wehgetan. Und deshalb wollte ich nicht, dass ihr in mir eine hartherzige Kriegerin seht."

„Eclisa", schaltete sich nun auch Edea ein. „Quistie war früher auch hier in diesem Waisenhaus, genau wie Squall Leonhart und die anderen Helden. Sie wollte aber nicht, dass ihr sie wie eine Göttin behandelt. Sie wollte nur eure Freundin sein. Magst du sie etwa jetzt nicht mehr, nur weil sie dir nicht gesagt hat, wer sie ist?"

In Eclisas Augen schimmerten Tränen. „Ich mag dich, Tante Quistie!", rief sie laut und warf sich der völlig überraschten SEED um den Hals. „Ich will deine Freundin bleiben, egal, was du gemacht hast. Bitte sei mir nicht böse."

Quistis spürte ein warmes Gefühl im Bauch. Sie umarmte das heulende kleine Mädchen zärtlich und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich bin dir nicht böse, Eclisa, wirklich nicht. Schau, zum Beweis schenke ich dir etwas." Sie ließ das Mädchen los und öffnete die Faust, in der sie die Peitsche gehalten hatte. Zwischen den Schnüren der Waffe lag etwas, das wie eine seltsam geformte Muschel aussah. Quistis hob es hoch und wartete auf einen Windstoß. Als die Bö durch die Gänge des Objekts blies, entstanden leise Töne, die sich immer veränderten, wenn sie das Ding anders hielt.

„Das ist ein Windgeflüster", erklärte sie dem staunenden Mädchen. „Ich habe es dem Adaman Tamai aus dem Panzer geschlagen. Wenn du es gegen den Wind hältst, dann spielt es dir Töne vor. Du kannst sogar eine Melodie erklingen lassen, wenn du die Löcher zuhältst!"

„Danke, Tante!", jauchzte die Kleine und riss Quistis das Kleinod förmlich aus den Händen. „Das muss ich sofort den anderen zeigen! Gute Nacht, Tante Quistie und Mama Edea!"

Und weg war sie. Quistis seufzte und ließ sich nach hinten fallen. Morgen würden alle Kinder sie fragen, ob es stimmte, ob sie die berühmte Quistis Trepe war. Sie wusste nicht, ob es gut war, dass sie es so bald erfuhren, aber geschehen war geschehen. Es konnte nicht rückgängig gemacht werden.

„Mach dir keine Sorgen, Quistis", ermutigte sie Edea, die sich ebenfalls hingesetzt hatte. „Ich bin sicher, sie werden es verstehen. Wenn nicht gleich, dann doch in absehbarer Zeit."

„Ja, das hoffe ich", antwortete die liegende Kämpferin. „Aber das ist momentan nicht so wichtig. Bis jetzt hat noch nie ein Monster zu diesem Strand gefunden. Ich finde, wir sollten die Kinder bis auf weiteres nach Esthar bringen. Zumindest, bis Laguna festgestellt hat, dass keine Gefahr mehr besteht."

„Wollen wir uns bei der Gelegenheit auch gleich Squalls und Rinoas Hochzeit ansehen?"

„Mama!", rügte Quistis vorwurfsvoll und setzte sich auf. „Das ist nicht fair! Ständig manipulierst du die Dinge so, dass sie dir in den Kram passen!"

„Das ist das Kennzeichen einer guten Hexe, Quistis", erwiderte Edea lächelnd. „Komm, gehen wir rein. Morgen hast du einen anstrengenden Tag vor dir."

„... tja, und nachdem Dr. Kadowaki uns bis zu den Haarwurzeln untersucht hat, wissen wir noch immer nicht, was mit Rinoa und mir passiert ist", schloss Squall seinen Bericht. Rinoa warf ihm einen Seitenblick zu, den er jedoch nicht bemerkte. Er hatte sich geändert, ihr Squall Leonhart, ihr Hexenritter, seit sie Artemisia besiegt hatten. Ausdrücke wie „bis zu den Haarwurzeln untersucht" wären in seinen Berichten bis vor einem Jahr niemals vorgekommen. Ihr gefiel das, denn es verhieß, dass Squall das Leben endlich etwas lockerer nahm, auch wenn er dem Direktor gegenüber seine unnachgiebige Ernsthaftigkeit im Gesicht aufrechterhielt.

„Hmmm", machte Direktor Cid und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Ich muss gestehen, ich bin auch völlig ratlos. Ich bilde hier in diesem Institut nun schon so lange Kämpfer wie Sie alle aus... aber so etwas ist mir noch nie untergekommen. Wobei natürlich gesagt werden muss, dass wir vor Ihnen auch noch nie solche begabten Studenten hatten."

Die fünf Kämpfer lächelten kurz über die Schmeichelei, wurden aber sofort wieder ernst, als der Direktor mit den Fingern auf die Schreibtischplatte klopfte.

„Und was machen wir jetzt, Direktor?", fragte Rinoa unbehaglich. „Ist es überhaupt möglich, dass Squall und ich heiraten, solange wir diese... Kraft nicht kontrollieren können?"

„Redet keinen Stuuuuuss!", wandte Selphie energisch ein. „Wir alle haben uns so sehr auf die Hochzeit gefreut und vor allem Laguuuna hat sich riesig angestrengt, um die Feier unvergesslich werden zu lassen! Stellt euch vor, wie enttäääääuscht er wäre!"

„Ja, sie hat Recht", stimmte Irvine zu. Er grinste unverschämt. „Außerdem würde er beim zweiten Versuch wahrscheinlich gleich einen Enkel als Schadensersatz fordern." Als er merkte, dass Rinoa und Squall beide etwas an Röte gewannen, wuchs sein Grinsen noch mehr in die Breite. „Oder wollte er schon dieses Mal einen?"

„Lass die beiden doch in Ruhe, Irvine", bestimmte Xell. Plötzlich fing auch er an zu schmunzeln. „Sonst bringst du Selphie noch auf komische Ideen." Als Irvine daraufhin rot wurde, lachte er los, nur Selphie hatte den Witz nicht kapiert.

„Waaaas ist denn, Irvie?", fragte sie ahnungslos. „Haaab ich was verpasst?"

„Kaum der Rede wert, Sephie, kaum der Rede wert", behauptete Irvine weiterhin errötend.

„Leute, ich sag's nur ungern, aber es geht hier eigentlich um meine und Rinoas Hochzeit", meldete sich Squall wieder zu Wort. „Nun, Direktor, was meinen Sie?"

„Nun... ich wüsste nicht, wieso man die Hochzeit abblasen sollte", entschied Cid. „Ihre Verschmelzung, oder wie auch immer man es nennen will, fand im Kampf statt, und ein solcher ist bei dieser Feier doch nicht eingeplant, oder? Gut. Dann würde ich vorschlagen, fahren wir sofort nach Esthar, nicht erst in ein paar Tagen. Sollte doch etwas Unvorhergesehenes passieren, können wir so gleich eingreifen."

„Sie meinen, falls meine und Squalls Kräfte gefährlich für unsere Mitmenschen sind", mutmaßte Rinoa leise.

Cid wirkte bestürzt. „Das wollte ich damit nicht sagen, Miss Heartilly..."

„Aber es klang trotzdem durch", entgegnete Squall. „Sie haben Recht, Direktor. Rinoa und ich werden uns in Esthar von Professor Odyne untersuchen lassen. Wenn jemand etwas darüber wissen könnte, dann er. Ansonsten... können wir nur auf das Beste hoffen."

Einen Moment lang herrschte absolute Stille im Raum.

„Würden... Sie uns bitte entschuldigen, Direktor?", brachte Rinoa mühsam hervor. Sie schien mit Tränen zu kämpfen haben. „Squall, komm bitte mit. Ich möchte mit dir einen Augenblick allein sein."

Erschrocken trat der junge Gunblade-Kämpfer an ihre Seite. Eine einzelne Träne lief über Rinoas Wange, aber nur er konnte sie sehen, weil sie das Gesicht wegdrehte. Er legte seinen Arm um ihre Schultern, sodass sie ihren Kopf an seiner abstützen konnte und nickte dem Direktor zum Abschied kurz zu. Dann gingen die Hexe und ihr geliebter Ritter langsam aus dem Raum. Hinter ihnen schloss sich die Tür mit einem Geräusch wie von tausend zufallenden Grabkammertüren.

„Aaaaaber Direktor!", protestierte Selphie, nachdem sie sich als erste von diesem Schreck erholt hatte. „Squall und Rinoa würden doch niiiiiie jemandem wehtun! Und schon gar nicht auf ihrer eigenen Hochzeit!"

„Genau!", schloss sich Xell ihr an. „Die beiden werden doch nicht mitten in Esthar in einen Kampf verwickelt werden, wo ist also das Problem?"

„Das Problem ist, Xell", warf Irvine ruhig ein, „dass wir nicht wissen, ob diese Energie nicht auch frei werden kann, wenn Rinoa und Squall gerade nicht kämpfen. Was wäre, wenn sie zum Beispiel auch herauskommt, wenn die beiden großes Glück empfinden? Dann wären alle Hochzeitsgäste arg gefährdet."

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder?" Xells Blick war der eines gehetzten Tiers.

„Darum geht es aber nicht, Xell", ließ Direktor Cid leise von sich vernehmen. „Das Risiko besteht nun mal, so klein es auch sein mag. Und die beiden wissen das. Sie müssen für sich selbst entscheiden, ob sie es auf sich nehmen wollen oder nicht."

„Welch rührende Rede!", höhnte Xell aufgebracht und schlug eine Delle in den Tisch. Er bemerkte es nicht einmal. „Die beiden lieben sich so sehr, dass es schmerzt! Wollt ihr ihnen etwa wirklich das größte Glück in ihrem Leben vorenthalten?"

„Wer spricht denn von vorenthalten?" Irvine blieb noch immer ruhig. „Wir wollen diese Kraft nur eine Weile untersuchen, bis wir sicher sind, dass sie niemandem in ihrem Umfeld schaden kann. Deine Mutter ist auch unter den Gästen, Xell. Willst du etwa, dass ihr etwas passiert?"

Xells betroffener Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er verstanden hatte. Dafür stapfte Selphie mit dem Fuß auf.

„Aber das ist nicht faaaair!", begehrte sie auf. „Wir alle haben uns so sehr darauf gefreut! Du bist kein bisschen romantisch, Irvine!"

„Und dennoch hat er Recht."

Alle Köpfe flogen herum.

„Ähem, Entschuldigung, Direktor", hüstelte Niida verlegen. „Ich habe unserem Gast angeboten, die Brücke des Gardens zu besichtigen. Wir wollten wirklich nicht lauschen, aber wir kamen in dem Moment hier herunter, als Squall und Rinoa uns verließen."

„Du hast dich wirklich sehr verändert, Irvine", stellte Crys fest. Sie sah ihren Ex-Freund mit klarem Blick an und ging langsam auf ihn zu. „Früher war es dir ziemlich egal, wie es anderen Leuten ging. Was ist mit dir passiert?"

„Crys?", fragte Irvine fassungslos. Sein Gesicht hatte fast all seine Farbe verloren. „Aber was machst du denn hier?"

Sie zuckte mit den Schultern. „Mir die Hochzeit ansehen, was sonst? Dachtest du, ich wäre wegen dir gekommen?"

„Was soll das?", wollte Selphie misstrauisch wissen. „Wer bist du, und wieso kennst du Irvine so guuuuut?"

„Bist du Selphie Tilmitt?" Crys beäugte sie kritisch. „Komisch. Du siehst überhaupt nicht wie Irvines normaler Typ Mädchen aus."

Bevor Selphie Gelegenheit bekam, lauthals Stellung dazu zu nehmen, hob Irvine die Hand. Der Scharfschütze schien seine Fassung wiedergewonnen zu haben, wenigstens äußerlich.

„Lass das, Crys", verlangte er. „Du weißt genau, was ich für sie empfinde. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann bitte direkt."

Crys drehte ihm den Kopf zu und sah ihn eine Weile lang an. Dann verschwand der kalte Ausdruck aus ihrem Gesicht. „Tut mir Leid, aber das musste sein", stellte sie fest. „Das war ich dir schuldig, weil du mich so einfach sitzen gelassen hast!"

Irvine stöhnte leise. „Das wirst du mir wohl nie verzeihen, wie? Ich hab mich doch vor einem halben Jahr dafür entschuldigt."

„Aber ich wollte sehen, ob du das auch ernst gemeint hast." Dann wandte sie sich wieder an die ziemlich verdatterte Selphie – und verneigte sich kurz. „Es tut mir Leid, wenn du einen falschen Eindruck von mir gewonnen hast. Ich möchte nicht, dass du böse auf mich bist, nur wegen dieser Szene vorhin. Das war eine Sache zwischen Irvine und mir."

„Wieso kennst du ihn so gut?", wiederholte das braunhaarige Mädchen die Frage. Sogar ohne Vokalverlängerung, was auf große Anspannung hinwies. „Warst du mit ihm zusammen?"

„Ja, aber das ist schon lange her", versicherte Crys und schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. „Wir sind inzwischen nur noch gute Freunde."

„Finde ich nicht, so wie du mich vor meinen Leuten blamierst", brummte der Scharfschütze.

„Ach was, wenn du schon wieder bissige Kommentare abgeben kannst, bist du schon auf dem Wege der Besserung", bemerkte Xell grinsend. Ihm schien das Schauspiel zu gefallen.

„Nur Freunde?", vergewisserte sich Selphie noch einmal. Dann warf sie einen Seitenblick auf Niida, auf den Crys heimlich nickte. Und plötzlich strahlte ihr Gesicht wieder, von einem Moment auf den anderen. „Daaaann musst du mir unbedingt was über die Zeit erzählen, in der du Irvies Freundin warst", verlangte sie. „Ich wollte schon immer einmal wissen, was er früher alles angestellt hat. Aber er wurde immer so schrecklich verleeeeegen."

Crys' Grinsen wurde beinahe unverschämt. „Einverstanden. Niida und ich wollten ohnehin gerade in die Mensa gehen."

„Niida, du musst mir jetzt mal helfen", erkannte Xell, als er Irvine einen Blick zuwarf. Der Scharfschütze machte einen so elenden Eindruck, dass er beinahe laut aufgelacht hätte. „Ich glaube, Irvine schafft's nicht mehr allein. Und die beiden Damen wollen ihn doch sicher dabei haben, oder?"

„Aber siiiiiicher doch!"

„Danke, Xell." Irvines Stimme troff vor Sarkasmus. „Du bist echt ein wahrer Freund."

„Ähem, Xell", mischte sich Direktor Cid wieder ein. Manchmal war der Mann so unauffällig, dass er lieber Spion hätte werden sollen, fand Xell. „Sie sind sich hoffentlich im Klaren darüber, dass ich Ihnen meinen Schreibtisch in Rechnung stellen werde, oder?"

„Oh", machte Xell verlegen. „Tut mir Leid, Direktor, das hab ich gar nicht bemerkt. Ziehen Sie's mir vom nächsten Sold ab, ja?"

„Da können Sie sich drauf verlassen."

Xell marschierte leicht rot zu Irvine hin, der den beiden schwatzenden Mädchen mit säuerlicher Miene folgte. Auch Niida schloss sich ihnen an.

„So schlimm kann es doch gar nicht sein, Mann", behauptete der Garden- Lenker. „Immerhin hat Selphie dich doch schon wieder mit deinem Spitznamen angeredet, oder, Irvie?"

Irvine schlug eine Hand auf seine Stirn. „Fängst du auch noch an! Womit hab ich das bloß verdient?" Aber in seinem Tonfall schwang wieder ein bisschen Hoffnung mit, fand Xell.