1 Kapitel 4

Der erste, der am Morgen in ihr Zimmer gestürmt kam, war Aniery. Nicht wirklich überraschend, fand sie.

„Tante!", rief er aufgeregt und rüttelte an ihrer Schulter, bis sie sich zu ihm herumgedreht hatte. „Eclisa hat uns erzählt, dass du gestern ganz allein ein Monster besiegt hast. Stimmt das wirklich?"

Quistis seufzte leise und tastete nach ihrer Brille. Sie brauchte sie nicht wirklich, aber es konnte in diesem Haus nie schaden, wenn sie etwas strenger wirkte, besonders Aniery gegenüber.

„Glaubst du, dass ich es könnte?"

Aniery wurde etwas unsicher, fasste sich aber wieder. „Nein", vermutete er. „Zumindest keine richtigen."

„Und warum?"

„Weil..." Er musste eine Weile überlegen, wobei ihm Quistis lächelnd zusah. „Weil du so bist wie Mama", meinte er schließlich. „Mama kämpft auch nicht."

„Das heißt aber nicht, dass sie nicht kämpfen kann", verbesserte Quistis ihn. „Nur weil sie nicht kämpft, heißt das nicht, dass sie nicht imstande ist, sich zu wehren."

„Das stimmt, Aniery", warf eine dünne Stimme von der Tür her ein. Ein kleinerer Junge tappte ins Zimmer. Sein Gesicht verriet großen Ernst... was bei kleinen Kindern allerdings ziemlich komisch aussah. Quistis schmunzelte. „Mama hat früher einmal gegen Squall Leonhart gekämpft."

„Quatsch", erwiderte Aniery herablassend.

„Nein, Tinill hat es geschworen", beharrte Veshore, während er sich dem Bett näherte. „Ihre Eltern haben ihr die Geschichte immer erzählt, bevor sie hierher gekommen ist. Die SEEDs haben gegen Mama Edea gekämpft und sie gut gemacht, dann haben sie Rinoa gut gemacht und dann haben sie gegen die bösen Hexen gekämpft!"

„Er hat Recht, Aniery", bekräftigte Quistis. „Auch wenn ich es anders erzählt hätte. Mama hat früher auch gekämpft, auch wenn sie es nicht mag."

„Und du?", beharrte der Junge. „Hast du gekämpft?"

Quistis seufzte. „Ich muss es euch ja wohl sagen. Ja, ich habe gestern gekämpft. Und nicht nur gestern. Mein voller Name ist Quistis Trepe."

„Dann bist du ja Squalls und Rinoas Freundin", bemerkte Veshore mit großen Augen.

„Aber wieso hast du uns das nicht gesagt?", wollte Aniery wissen.

„Damit sie nicht solche dummen Fragen beantworten musste!" Edea stand im Türrahmen und klatschte in die Hände. „Schluss jetzt, kommt alle zum Frühstück! Dann könnt ihr eure Fragen auch gleich vor den anderen stellen."

„Warum nicht jetzt?"

„Weil man als angehender SEED nicht Frauen beim Anziehen zusieht, deswegen!" Edeas Blick war streng, während sich Quistis mühsam ein Lachen verbeißen musste. „Das könnte böse Folgen für euch haben, wenn die Frau stärker ist als ihr. Marsch jetzt, Quistis kommt gleich nach!"

Veshore beeilte sich tatsächlich, aus dem Zimmer hinauszukommen (Quistis entging auch sein ehrfurchtsvoller Blick in Edeas Richtung nicht), während Aniery sie trotzig anstarrte. Aber die ehemalige Hexe hatte mit Squall viel Erfahrung mit schwierigen Kindern sammeln können. Sie murmelte „Levitas!" und der Junge keuchte auf einmal erschrocken, als er den Boden unter den Füßen verlor.

„Mama! Lass mich wieder runter! Ich geh auch aus dem Zimmer raus, versprochen!", rief er.

„Gut. Anti-Z!"

Er landete unsicher wieder auf seinen Beinen. Kaum war er wieder gelandet, rannte er auch schon aus dem Zimmer. Er bemerkte das glückliche Lächeln Edeas nicht, nur ihre drohend ausgestreckten Finger, die in seine Richtung wiesen.

„Ein guter Junge", sagte sie an Quistis gewandt. „Ein bisschen übermütig, aber liebenswert."

„Genau wie Squall", bemerkte diese und schlug die Decke zurück.

„Ja, genau wie Squall", bestätigte die Hexe. „Lass dir nicht zuviel Zeit. Ich habe nach Esthar geschickt, sie kommen heute Mittag mit einem Fahrzeug und holen uns ab." Sie schloss die Tür und ihre Schritte entfernten sich.

Quistis zog wie meistens ihre orange Kampfkleidung an, die schwarzen Stiefel und die bis zur Schulter reichenden Armschützer. Sie zögerte kurz, als sie an ihre Peitsche dachte und entschloss sich, sie auch mitzunehmen. Heute war es ohnehin schon egal. Es war ein seltsames Gefühl, die Waffe wieder zu tragen, aber nicht unangenehm. Sie hatte es vermisst, auch wenn es besser gewesen war, den Kindern nicht gleich die Wahrheit zu sagen.

Als sie die Tür öffnete, sprangen einige der kleinen Rangen vom Tisch auf und rannten auf sie zu, was Edea zu einem Wutschrei veranlasste. Die meisten hatten noch gar nicht fertig gegessen und an vielen Mündern konnte man die Speisenfolge noch ablesen, was sie aber nicht hinderte, sich an Quistis festzuhalten und sie mit Fragen zu bestürmen.

„Ist es wahr, Tante Quistie?"

„Ist das deine Peitsche? Darf ich sie mal halten?"

„Nein, ich hab zuerst gefragt! Ich will sie zuerst!"

„Warum hast du uns das nicht gesagt?"

„Zeigst du uns mal, wie du kämpfst, Tante?"

„Seid doch mal ruhig, ihr kleinen Quälgeister!", verlangte Quistis lachend. „Ich verstehe ja kein Wort. Hat euch Eclisa nicht gesagt, warum ich euch nichts davon erzählt habe?"

„Weil du lieber unsere Freundin sein wolltest!", verkündete Eclisa stolz. Sie kam sich sehr wichtig vor, das sah man.

„Genau. Na gut, ihr dürft die „Königinnenwache" alle mal anfassen, aber seid vorsichtig damit. Das ist kein Spielzeug, sondern eine gefährliche Waffe!"

Ehrfurchtsvoll nahm eins der Mädchen die Peitsche in die Hand. Sie war offensichtlich etwas schwer für sie, aber sie bemühte sich tapfer, die Waffe zu halten. Ein anderes Mädchen betrachtete bewundernd die Muster auf der Oberfläche und einer der Jungen versuchte, den Griff zu erhalten. Als alle genug Zeit gehabt hatten, sie zu studieren, nahm Quistis sie ihnen wieder aus der Hand. Sie konnte es nicht lassen, ein bisschen anzugeben und schwang sie leicht über den Kopf, bevor sie sie zusammenfaltete und an ihrem Gürtel befestigte.

„Schluss damit! Habt ihr überhaupt schon zu Ende gegessen?", fragte sie streng. „Dass ich da bin, heißt nicht, dass Mama heute alles allein essen und wegtragen muss."

So folgsam wie noch nie setzten sich daraufhin alle an den Tisch und begannen zu essen. Quistis war dieser Gehorsam etwas unheimlich und sie befahl sich im Stillen, ihre neugewonnene Autorität nicht auszunützen. Sie wollte keine treuen Fans, sondern liebende Freunde. Sie setzte sich und aß ebenfalls, obwohl sie keinen großen Hunger verspürte. Wer wusste schon, ob alle Kinder sie so wie Eclisa als große Schwester akzeptieren würden, jetzt, nachdem sie alles wussten?

„So, Kinder", verkündete Edea schließlich, nachdem alle fertig gegessen hatte. Sofort drehten sich alle Köpfe zu ihr um. „Heute werdet ihr einmal nicht am Strand spielen können. Kein Murren jetzt, hört mir erst einmal zu: Wir werden heute alle nach Esthar fahren, weil Quistis und ich dort jemanden besuchen müssen."

„Nach Esthar?"

„Wen müsst ihr denn besuchen?"

„Präsident Laguna Loire", erklärte Quistis. „Er war schon einmal da, um mit euch zu plaudern, wisst ihr noch?"

„War das der witzige Mann mit der komischen Frisur?"

Quistis konnte sich gerade noch beherrschen und schaffte es, nicht laut herauszuplatzen. So hatte in der Tat noch niemand Laguna beschrieben, auch wenn es zutraf. „Ja, genau der", bestätigte sie. „Aber lass ihn das lieber nicht hören."

„Ist das nicht der Vater von deinem Freund Squall?"

„Ja, wir glauben, dass er Squalls Vater ist", gab Quistis zu. „Und wir nennen ihn auch so. Aber wir wissen es nicht ganz sicher."

„Sind die SEEDs auch bei ihm?"

„Das weiß ich nicht", meinte Quistis schulterzuckend.

„Du musst sie uns unbedingt vorstellen, Tante Quistie!", verlangte Tinill.

Darauf konnte die junge Frau momentan nicht antworten. Sie wusste, dass die Kinder ein Ja verlangten, aber sie war sich ja noch nicht einmal sicher, ob sie den anderen schon ins Gesicht sehen konnte. Zum Glück sprang Edea für sie ein.

„Das werden wir sehen, wenn wir da sind", bestimmte sie. „Jetzt räumt einmal den Tisch ab und zieht euch warm an für den Ausflug. Wir werden abgeholt, und der Fahrtwind ist ziemlich kalt. Wir treffen uns in einer halben Stunde wieder hier."

Während die Kinder mit Feuereifer damit begannen, das Geschirr in die Küche zurück zu tragen, kam Edea auf Quistis zu und beugte sich über sie. „Mach dir nicht zu viele Sorgen", flüsterte sie. „Es wird schon alles gut gehen, du wirst sehen."

„Ja, wahrscheinlich", murmelte Quistis und stand auf. Sie ging in die Küche und begann mit dem Abwasch, um sich abzulenken. Der Besuch in Esthar verursachte bei ihr viel mehr Herzklopfen als der Kampf gestern. Mama hat Recht, dachte sie, ich darf mich nicht so sehr verkrampfen, wenn ich an die anderen denke. Aber Denken und Fühlen waren zwei verschiedene Dinge.

In Gedanken stieß sie mit einer Tasse an den Rand des Tisches. Sie entglitt ihren Fingern und zersplitterte am Boden. Leise fluchend bückte sie sich danach, aber kleine Hände kamen ihr zuvor.

„Ich räum die Scherben weg, Tante Quistie", erbot sich Tinill. „Deine Hände zittern. Du würdest dich schneiden."

„Danke", erwiderte die Kämpferin unsicher lächelnd.

„Wieso zitterst du, Tante?", wollte das Mädchen wissen. „Hast du Angst vor den Monstern?"

„Nein."

„Wovor denn dann?"

Quistis zögerte ein wenig. Konnte ein zehnjähriges Mädchen überhaupt verstehen, was sie fürchtete? Aber die großen Augen, die sie fragend anblickten, lockten die Worte förmlich aus ihr heraus.

„Weißt du, ich bin ein bisschen nervös wegen Squall und den anderen", gab sie zu. „Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen und weiß nicht,... ob sie mich jetzt noch mögen. Vielleicht wollen sie nichts mehr mit mir zu tun haben."

„Wenn sie deine Freunde sind, werden sie dich mögen", verkündete Tinill bestimmt.

„Und wenn nicht", schaltete sich Aniery, der das Gespräch mitgehört hatte, ein, „dann wird Mama sie auch verzaubern, bis sie dich wieder mögen!"

„Du musst keine Angst haben, Tante Quistie", erklärte ihr schließlich Eclisa. „Ich bin immer deine Freundin, und wenn Squall und die anderen dich nicht mehr mögen, dann mag ich sie auch nicht mehr!"

„Genau!"

„Wenn Squall dich nicht mehr mag, dann kämpfe ich gegen ihn!"

„Du weißt ja noch nicht mal, wie du das Schwert halten musst, Veshore!"

„Hört auf, hört auf", bat Quistis. Tränen rannen ihr aus den Augen, aber sie machte keine Anstalt, sie wegzuwischen. „Ich habe keine Angst mehr vor Esthar, wirklich nicht." Das stimmte tatsächlich. Das Glücksgefühl, das sie momentan empfand, hatte alle Nervosität weggespült. „Ich finde es schön, dass ihr noch immer meine Freunde seid." Sie umarmte Eclisa und Veshore, die ihr am nächsten standen. Dann erinnerte sie sich erst wieder an ihre Aufgabe, stand rasch auf und wischte die Tränen weg.

„Und jetzt etwas schneller, ihr kleinen Rotzlöffel!", befahl sie und blickte die Kinder mit ihrem besten Ausbilderblick an. „Wenn wir heute noch nach Esthar kommen wollen, müssen wir bald fertig sein!"

„Rinoa, du weißt, dass der Direktor es nicht aussprechen wollte."

„Und du weißt, dass er damit Recht hatte", entgegnete das schwarzhaarige Mädchen heftig und riss sich aus den stützenden Händen des Schulsprechers frei. „Wir sind eine Gefahr für alle, die um uns herum sind."

„Rinoa, bitte beruhige dich. Ich gebe zu, dass das jetzt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt passiert ist, aber..."

„Ungünstigster Zeitpunkt?" Die junge Hexe lachte gequält auf. „Jedes Mal, wenn wir uns nähergekommen sind, ist irgendetwas dazwischengekommen! Erst Artemisia, die wir besiegen mussten, dann der Monsterbeschwörer, der Esthar vernichten wollte und jetzt, so kurz vor unserer Hochzeit, das! Es scheint so, als hätte der Himmel beschlossen, dass wir niemals Frieden finden sollen..."

Weiter konnte sie nicht sprechen, als Squall hart ihren Arm packte und sie fest an sich heranzog. Sie schrie auf und sah ihn verstört an. Sein Blick war eisig, härter als seine Gunblade. Im ersten Moment fürchtete sie sich vor ihm.

„Wenn du noch ein Wort in diese Richtung sagst, gebe ich dir eine Ohrfeige!", drohte er. „Schön, unser Leben war sehr ereignisreich. Und wir haben einen Beruf, in dem man auf Überraschungen trifft. Aber nach jeder bösen Überraschung sind wir uns näher gekommen. Haben wir uns nicht nach Artemisia zum ersten Mal geküsst? Leben wir nicht seit dem Kampf mit Feyjar Trepe zusammen?" Er machte eine Pause, in der er seinen Griff lockerte, sodass er nicht mehr schmerzte, aber noch immer fest genug war, um sie hier zu halten, bis er fertig war. Sein Blick wurde weicher, und Rinoa sah jetzt erst, dass auch in seinem Schmerz lag.

„Glaubst du, ich fühle mich gut, weil das ausgerechnet jetzt passiert ist?", fragte er leise. „Bei dem Gedanken, unsere Hochzeit verschieben zu müssen, möchte ich am liebsten losschreien und die nächstbeste Wand einschlagen. Aber ich schwöre dir, und wenn ich gegen Hyne persönlich antreten muss: Ich werde dich zur Frau nehmen, Rinoa! Und nichts auf der Welt, kein Monster, keine seltsamen Kräfte oder sogar dein Vater, kann mich davon abhalten!"

Rinoa hatte dem ungewohnten Wortschwall sprachlos gelauscht. Impulsiv schmiegte sie sich an Squalls Brust und drückte sich so fest an ihn, wie sie nur konnte. Der Junge war selbst etwas überrascht über seinen Wutausbruch, aber er ließ sich nichts anmerken und legte ebenfalls seine Arme um seine geliebte Hexe. Sein Kinn lag auf ihrem Kopf und seine Hand strich behutsam über ihren Rücken.

„Squall", flüsterte Rinoa nach einer Weile. „Du hast Recht, ich darf mich nicht so gehen lassen. Wir werden zu Professor Odyne fliegen, und er wird wissen, was in diesem Fall zu tun ist. Dann werden wir diesen blöden Fall mit der Forschungsinsel den anderen überlassen und uns nur noch auf die Heirat konzentrieren. Und wenn uns jemand dreinreden will, dann nehmen wir die Ragnarok, ernennen einen unserer Freunde zum Captain und lassen uns von ihm trauen!"

„Na eben", meinte Squall. „Jetzt bist du endlich wieder die dickköpfige, sture Rebellin, die aus meiner freundlosen Existenz ein Leben gemacht hat."

Rinoa lächelte ihn glücklich an, zog seinen Kopf herunter und küsste ihn sanft auf den Mund. Der Kuss war nicht so fordernd wie sonst meistens, aber Squall war mehr als bereit, sämtliche Küsse der Welt mit diesem Mädchen durchzuprobieren. Als sie sich schließlich voneinander lösten, grinste er kurz.

„Wenn ein paar Worte solchen Lohn einbringen, sollte ich vielleicht ab jetzt mehr reden."

„Und ich sollte mir vielleicht angewöhnen, nachzudenken, bevor ich mich in eine meiner Launen hineinsteigere, mein grüblerischer, mutiger Ritter", bemerkte Rinoa. Sie gab ihm noch einen kurzen Kuss, der jedoch nicht weniger zärtlich war wie der vorige und löste sich von ihm. Von irgendwoher hatte sie plötzlich wieder eine spitzbübische Miene hervorgezaubert.

„Also, fliegen wir jetzt nach Esthar? Ich möchte so bald wie möglich Klarheit über diese blöde Kraft haben! Ich denke nicht daran, auch nur eine Sekunde unserer Hochzeitsfeier dafür zu opfern!"

„Die Ragnarok steht schon bereit", erklärte Squall und nahm sie bei der Hand. „Und Professor Odyne erwartet uns bereits."

„Worauf warten wir dann noch?"

Cifer polierte gerade gelangweilt seine Gunblade, als sich die riesige Gestalt der GF schließlich wieder regte. Sofort sah er auf.

„Das ist weit genug", erklärte Condenos, der sich ihnen als GF zu erkennen gegeben hatte. „Wartet noch einen Augenblick."

Während die halb tierisch, halb menschlich anmutende Gestalt noch einige ihnen unbekannte Maschinen bediente, stand Rai-jin auf und sah kurz hinaus. „Wir haben irgendwo an einem Strand angelegt", meldete er, als er zurückkam. „Ich schätze, dass es mal Centra ist, wie er gesagt hat, aber es kann natürlich auch woanders sein."

„Es ist Centra", knurrte die GF, ohne von den Kontrollen aufzusehen. „Das ist der nächste wichtige Kontinent auf meiner Liste."

„Willst du alle Kontinente abklappern?", fragte Cifer, immer noch polierend. Er gab sich ebenso desinteressiert wie ihr mysteriöser Gastgeber selbst.

„Ja", erwiderte dieser kurz abgebunden. Nach einigen weiteren Eingaben richtete er sich schließlich auf. „Fertig."

„Womit?", wollte Fu-jin wissen.

„Das behalte ich vorläufig für mich." Condenos drehte sich um und musterte die drei Kämpfer finster. Cifer stand langsam auf, schwang seine Gunblade probeweise durch die Luft und erwiderte den Blick kalt. Rai-jin und Fu-jin nahmen hinter ihm Aufstellung.

„Sehen wir uns einmal die Fakten an." Die GF zeigte ein düsteres Lächeln. „Ich kann euch vermutlich nicht besiegen, da eure immense Stärke nicht von Zaubern herrührt, das heißt, ich kann euch nicht schwächen. Und alle drei zusammen seid ihr mir auf jeden Fall überlegen. Andererseits werdet ihr mich nicht töten."

„Warum sollten wir nicht?" Cifer grinste und ließ seine Gunblade in der Hand hin- und herschwingen.

„Weil ihr jemanden gesucht habt, als ihr die Forschungsinsel betreten habt. Jemanden, der euch bei etwas hilft, was ihr allein nicht schafft."

„Richtig", gab Fu-jin zu. Ihr Wurfstern blieb allerdings drohend erhoben.

„Gut. Da ihr ja im Vorteil seid, schlage ich vor, dass ihr mir erklärt, wobei ihr Hilfe braucht. Und nebenbei auch, wieso ihr so unnatürlich stark seid."

Als Rai-jin seinen Kampfstab fester packte, hielt Cifer ihn mit der Hand zurück und trat einen Schritt vor. „Na schön", sagte er. „Einer muss ja anfangen, sonst sitzen wir in einem Jahr noch hier. Aber wenn ich mit dem Erklären fertig bin, erwarte ich deinerseits auch einige Antworten, denn wie schon gesagt:" Sein Grinsen wuchs. „Wir sind stärker als du!"

Condenos' Miene blieb unbewegt, aber er machte mit seiner Pranke eine auffordernde Geste und forderte: „Beginnt!"

Cifer begann zu reden, wobei er immer wieder von Rai-jin und Fu-jin ergänzt wurde. Er gab zunächst eine Zusammenfassung dessen wider, wie die Welt heute aussah. Dass einige wenige Menschen die Kräfte der GF nutzten, um wirksam gegen die Monster des Planeten und gefährliche Menschen vorgehen zu können. Dass diese SEEDs mächtig genug waren, um Hexen wie Artemisia und Monster wie Ultima Weapon zu besiegen. Und dass der Rest der Menschheit statt dessen auf normale Magie und hochtechnische Waffen angewiesen war, die jedoch nichts gegen die Kräfte der SEEDs waren.

Dann schilderte er, wie Squall und seine Freunde immer mehr GF und immer stärkere Zauber gesammelt hatten, um gegen Artemisia vorgehen zu können. Dass er, Cifer, zusammen mit Fu-jin und Rai-jin der Hexe gedient hatten und von ihr gewaltige Kräfte verliehen bekamen. Des weiteren erzählte er, dass sie dennoch wieder und wieder von den SEEDs geschlagen wurden, weil diese dank der Kopplungen und Fähigkeiten der GF zu stark geworden waren.

Zähneknirschend berichtete er, wie er nach dem Ende von Artemisia dem Monsterbeschwörer seine Hilfe anbot. Dass der Mann ihn hintergangen hatte und dass sie schließlich zusammen mit den SEEDs gegen eine tausendfache Übermacht von Monstern angetreten waren. Und dass sie nur durch ihre geballten Kräfte die gesamte Monsterhorde vom Antlitz dieser Erde gefegt hatten.

Condenos sah sehr nachdenklich aus, als Cifer geendet hatte, allerdings war seiner Miene immer noch nichts zu entnehmen, ob diese Nachrichten gut oder schlecht für ihn waren. „Wenn ich recht verstehe", ergänzte er schließlich, „wollt ihr, dass ich euch dabei helfe, diese SEEDs zu töten, ist das richtig?"

„Nicht ganz", verneinte Cifer. Er überkreuzte die Arme. „Alles, was ich will, ist, dass Squall Leonhart mir einen fairen Kampf liefert. Meinetwegen mit GF, aber ohne seine Kopplungen, die ihn derart mächtig machen. Ich will, dass jeder sieht, dass der große Held ohne seine Zauberkopplungen ein Nichts ist. Ich will ihn besiegen und damit alle Demütigungen rächen!"

„Ah ja, ich habe begriffen." Als Condenos lächelte, funkelte sein Raubtiergebiss im Schein der Lichtsäule. „Wenn das alles ist, was ihr von mir wollt, dann sollten wir keine Schwierigkeiten bekommen. Da sich die SEEDs mir vermutlich entgegenstellen werden, ist es natürlich auch mein Ziel, sie zu schwächen und zu besiegen."

„Schön, das zu hören." Cifer nickte. „Aber jetzt beantworte DU uns doch einmal ein paar Fragen. Erstens: Warum sammelst du überall die Magie der Welt ein?"

Die GF hob die Pranke und tätschelte die Außenhülle der Lichtsäule. „Weil ich eure Rasse zutiefst verabscheue", gestand das Wesen unverblümt. „Als unsere Mutter Hyne..."

„Hyne?" Fu-jin riss die Augen auf.

Condenos funkelte sie an, sprach aber weiter. „Ja, Hyne, die ihr Menschen als Göttin verehrt. Sie war die Schöpferin der GF. Wir liebten und verehrten sie als unsere Mutter... bis sie uns befahl, den Menschen zu dienen und ihnen im Kampf gegen die Monster zu helfen." Er ballte vor Wut die Fäuste. „Meine Geschwister ordneten sich ihrem Wunsch unter. Alle, Eden, Leviathan, Shiva, Doomtrain, selbst Odin und der kleine Boko befolgten ihren Willen! Aber ich nicht. Mir war als einzigem von uns klar, dass wir in den Lauf der Natur eingriffen! Die Menschen waren schwach und wären bald von der Erde verschwunden, von stärkeren Gegnern ausgemerzt worden... aber Mutter ließ sich von ihren Bitten und Wehklagen rühren und schickte uns, um eurem Geschlecht beizustehen."

Ein furchterregendes Knurren kam aus der Kehle der GF und ihre Muskeln spannten sich. Die drei Kämpfer hoben ihre Waffen höher und machten sich auf einen Angriff gefasst, aber er kam nicht. Statt dessen gewann Condenos die Ruhe wieder zurück und sprach weiter.

„Wie lange habe ich versucht, Hyne umzustimmen", sinnierte er. „Sicher Jahrzehnte lang. Ich sprach auch mit meinen Brüdern und Schwestern, aber niemand hörte auf mich. Schließlich hatte ich genug, und ich versuchte, die Geschichte allein in Ordnung zu bringen. Ich sammelte in aller Heimlichkeit Zauber in aller Welt, mit denen ich schließlich den Kontinent Centra angriff, auf dem die Menschen damals wohnten."

Sein Blick wurde hellrot. „Ah, damals war ich wie ein Racheengel! Städte entflammten, Felder wurden verwüstet, fruchtbarer Boden in Steinwüste verwandelt! Mir war klar, dass ich dafür würde büßen müssen, aber ich hoffte, Mutter Hyne würde ihren Fehler einsehen, wenn die Menschheit erst ausgelöscht war und die Natur wieder ihren normalen Lauf nahm. Aber ich war zu langsam. Meine Geschwister fanden und bändigten mich in dem Moment, als ich die letzten Reste des Menschenvolkes gerade zur Küste jagte! Sie brachten mich zurück und Hyne verurteilte mich dazu, auf ewig in einer Höhle unter dem Meer gefangen zu sein, bewacht von einem unsagbar starken und wilden Monster und meiner eigenen Schwester, Eden!

Ich lebte Jahrhunderte in diesem Gefängnis, während sich eure Rasse immer weiter ausbreitete und sich die Welt untertan machte. Erst vor etwa einem Jahr bemerkte ich plötzlich, dass Ultima Weapon getötet worden und Eden verschwunden war. Ich erforschte diese Insel, die irgendwelche Menschen einmal gebaut hatten und bemerkte, dass sie für mich wie geschaffen war... denn sie gab mir die Möglichkeit, eine schier unendliche Menge von Zaubern zu lagern und mich gleichzeitig unerkannt durch die Welt zu bewegen. Da ich Mutter nirgends mehr spüren konnte, dachte ich, es wäre ein Leichtes, die Menschen auszurotten. Bis diese SEEDs und dann ihr aufgetaucht seid."

„Du hast mal den gesamten Centra-Kontinent ausgerottet?", fragte Rai-jin ungläubig. „Wieso bist du dann trotzdem schwächer als wir?"

Die GF schnaubte. „Weil mir die Menschen damals nichts entgegenzusetzen hatten", erklärte er. „Sie lebten in Steinhäusern und kannten nur Äxte und primitive Zauber. Sie waren keine echten Gegner. Außerdem war ich damals stärker... ich besaß Hunderte mächtiger Zauber, mit denen ich ihnen den Garaus machte!"

„Okay, soviel zu deiner Geschichte", meldete sich Cifer wieder zu Wort. „War sehr unterhaltsam, wirklich. Aber verrate uns doch jetzt mal, was du heute vorhast."

„Dasselbe wie früher", behauptete Condenos. „Ich will, dass das natürliche Gleichgewicht wiederhergestellt wird! Ohne uns ist die Menschheit schwach. Die Natur duldet keine Fehler. Also werde ich ihr die Magie nehmen und den Rest den Monstern überlassen. Nur die Stärksten werden überleben!"

„Und wir?", wollte Fu-jin wissen.

„Darüber habe ich bereits die ganze Zeit nachgedacht", gestand die GF. „Ihr seid Menschen... allerdings seid ihr auch ohne Hilfe so stark, dass ihr allein überleben könnt. Meine Mission ist es, die Welt von den Schwachen zu befreien. Jeder Mensch, der aus eigener Kraft zu überleben vermag, soll auch überleben. Ich werde mich nicht einmischen. Die anderen werden aber sterben müssen, wenn sie den Behemoths, Drachen, Morbolen und Qualen dieser Welt nichts entgegenzusetzen haben."

„Du bist mal total durchgeknallt!", behauptete Rai-jin. „Die Menschen haben inzwischen mächtige Waffen, die sie einsetzen können. Es werden sehr viele von uns überleben, auch ohne Magie!"

Condenos zuckte mit den Schultern. „Wenn es tatsächlich so ist, werde ich es akzeptieren", verkündete er. „Dann habt ihr euch euren Platz auf dieser Welt redlich verdient. Aber ich werde keine Einmischung in den natürlichen Lauf der Dinge dulden."

Cifer stützte sich auf seine Gunblade und überlegte. „Und dafür musst du die SEEDs aus dem Weg schaffen", vermutete er. „Weil sie sich dir entgegenstellen werden. Und du wärst wahrscheinlich froh, wenn wir dir diese Sorge abnehmen würden."

„Richtig", stimmte die GF zu. In ihrer Stimme schwang Anspannung mit, was darauf schließen ließ, dass sie auch die Möglichkeit in Betracht zog, dass Cifer ablehnte und sie angriff. Und das hieß ebenfalls, dass sie kein Besessener war wie dieser Trepe. Condenos war überzeugt von der Richtigkeit seines Tuns... aber er behielt einen klaren Kopf.

„Wenn du mir Squall und seine Bande hierher bringst", verkündete Cifer schließlich und richtete sich auf, „dann werden wir für dich mit ihnen kämpfen."

„Cifer!", rief Fu-jin erschrocken.

„Willst du wirklich mal mit dem gemeinsame Sache machen?" Auch Rai-jin war fassungslos. „Er will die Menschen ausrotten!"

„Ich will nur Squall!", erwiderte Cifer eisig. „Wenn ich gegen ihn gekämpft und ihn besiegt habe, dann werde ich weitersehen... aber bis dahin bin ich auf seiner Seite, ja!"

„Das klingt fair." Condenos nickte. „Aber ich versichere euch: Sollten sich die Menschen wirklich gegen die Monster erfolgreich verteidigen können, werde ich nie wieder versuchen, ihnen zu schaden. Ich werde dann zu meinen Artgenossen zurückkehren und wieder wie früher mit ihnen leben."

„Rai-jin! Fu-jin!" Cifer hatte die Augen geschlossen. „Wenn ihr gehen wollt, dann geht. Ich halte euch nicht zurück und trage es euch nicht nach, was auch passiert. Vielleicht ist mein Wunsch, Squall zu besiegen, wirklich Besessenheit... aber ihr müsst eins bedenken: Selbst wenn alle Magie der Welt abgesaugt wird, hat die Menschheit starke Bastionen und mutige Kämpfer, um sich den Monstern entgegenzustellen. Denkt nur an die Gardens! Selbst ohne Zauber nehmen sie es mit vielen Monstern auf! Wenn ihr jetzt geht, dann wünsche ich euch viel Glück... aber ich beschwöre euch: Habt Vertrauen in die Menschen!"

Das einsilbige Mädchen und der muskulöse Junge sahen sich lange an, aber dann steckten sie beinahe synchron ihre Waffen weg. Fu-jin sagte nichts, sondern sah Cifer nur ernst an, aber Rai-jin kratzte sich am Kopf und sagte: „Ich schätze mal, du hast Recht, Cifer", meinte er. „Du bist unser bester Freund. Solange, bis wir Squall besiegt haben, bleiben wir mit dir hier. Aber danach werden wir mal selbst entscheiden, ob wir hier bleiben oder gehen!"

Der blonde Gunblade-Kämpfer nickte. „Ich habe nichts anderes von euch erwartet. Danke, Rai-jin und Fu-jin." Er drehte den Kopf zu Condenos, der noch immer dastand und sie beobachtete und verengte die Augen. „Gut, dann zeig uns doch mal, wie du alle Magie der Welt hier hereinbringen willst!", forderte er den Nicht-Menschen auf.

Dieser grinste. „Das hat bereits begonnen", entgegnete er, während er zur Lichtsäule trat. „Vorhin habe ich einige Monster losgeschickt, die ich dank dieser wundervollen Insel mit ihren Apparaten hier kontrolliere. Sie haben die Macht, alle Draw-Punkte der Insel zu leeren. Aber die Magie, die in den Lebewesen der Welt selbst steckt, kann mit diesem Wunderwerk der Technik gesammelt werden." Er deutete auf die Säule, die wieder zu pulsieren begann. „Diese ganze Insel ist ein einziges, riesiges Draw-System! Wenn ich es befehle, kann ich jeglichen Zauber, außer den in Draw-Punkten gespeicherten, mit Hilfe dieser Säule drawen und in ihr speichern. Vorher in Dollet habe ich die gesamte Magie der Umgebung abgesaugt, während meine Monster Verwirrung stifteten... und bei den anderen Kontinenten wird es nicht anders sein."

„Wirklich raffiniert", murmelte Cifer, während er seinen Blick schweifen ließ. „Kannst du uns das mal demonstrieren?"

„Natürlich." Condenos bleckte sein Reißzahngebiss. „Begebt euch hinaus und seht zu. Ich werde die Magie des gesamten Centra-Kontinents absaugen. Ihr seid die ersten und einzigen Menschen, die dieses Wunder zu Gesicht bekommen."

„Wir werden's genießen. Kommt, ihr beiden! Sehen wir uns die Show an."

„Wo bleiben die denn so lange?" Edea kickte ärgerlich einen Stein weg, der das Pech hatte, neben ihrem Schuh gelegen zu haben. „Man hat mir versichert, dass wir um elf Uhr hier abgeholt würden!"

„Nur die Ruhe, Mama", beruhigte Quistis sie. Die Kämpferin saß auf einem der Steine, die noch immer überall um das Waisenhaus verstreut lagen und entspannte sich. „Sie werden schon noch kommen. Laguna würde es nie wagen, die Ziehmutter seines eigenen Sohnes warten zu lassen."

„Fürchtet sich der Präsident von Esthar wirklich vor Mama?", fragte eins der Kinder, die sich ebenfalls hingesetzt hatten.

„Er sollte es jedenfalls", antwortete Edea grimmig. „Denn wenn wir noch sehr lange hier warten müssen, wird er mich kennen lernen!"

„Bist du stärker als der Präsident?" Aniery interessierte sich in letzter Zeit anscheinend nur noch dafür, wie kampfstark Menschen waren.

„Ich glaube nicht", gab Edea zu. „So groß sind die wenigen Hexenkräfte, die ich noch besitze, nicht. Aber das weiß er ja nicht."

„Tante Quistie!", sagte Tinill und zupfte am Kleid der jungen Frau. „Ist das da drüben das Fahrzeug, das uns abholt?"

Quistis sah stirnrunzelnd in die Richtung. Der Staub, der gerade in Sichtweite war, kam aus der falschen Richtung, nämlich vom Strand Kap von Goodhope, die einzige Stelle des gesamten Kontinents, wo man mit einem Schiff anlegen konnte. Aber wer sollte das tun? Ihren Freunden aus Esthar standen schwebefähige Hovercrafts zur Verfügung und den SEEDs ohnehin die Ragnarok. Sie strengte ihre Augen an. Langsam konnte sie erkennen, wer sich von dort näherte...

„Oh nein!"

„Was ist denn, Tante?", fragte Tinill beunruhigt. „Wer ist das?"

„Das sind Monster! Ungefähr 10, schätze ich. Mama, du musst mit den Kindern wieder ins Haus zurück! Schnell!"

„Sind es gefährliche Ungeheuer, Quistis?"

„Nein, nicht für mich, glaube ich. Aber für euch auf jeden Fall!"

„Können wir dir helfen, Tante?", fragte Aniery aufgeregt. „Veshore hat sogar sein Schwert dabei. Damit können wir dir beistehen."

„Nein, das werdet ihr nicht", fauchte Quistis ungewohnt schroff. Ihr lief die Zeit weg! „Geht rein und seht euch den Kampf durchs Fenster an! Hier draußen werdet ihr bestenfalls schwer verletzt, wenn nicht getötet!"

„Aber kannst du allein so viele Monster töten?", fragte Veshore zweifelnd. Der Kleine hielt bereits sein Spielzeugschwert in der Hand und war sich der Gefahr immer noch nicht bewusst.

„Tante Quistie wird mit jedem Biest fertig!", erwiderte Eclisa überzeugt. „Sie ist sehr stark. Wir müssen rein, Veshore, sonst wird sie böse auf uns."

Der Junge aus Esthar sah nicht ganz überzeugt aus, aber als ihm Edea die Hand auf die Schulter legte, gab er doch nach. „Viel Glück, Quistis. Und flieh, wenn sie zu stark sind, hörst du?", empfahl die Hexe.

„Sicher, Mama."

Die Waisenhaustür schloss sich. Es war auch höchste Zeit, denn die Monsteransammlung war inzwischen fast da. Sie konnte nun erkennen, um welche Gattungen es sich handelte: Drei Blitzer, vier Doppel-Hacker und ein Grande Arlo. Zu dritt kein Problem, da Monster ohnehin höchstens zu viert oder fünft angriffen, aber allein war das eine Herausforderung. Quistis knallte einmal mit der Peitsche, um sich wieder an das Gewicht der Waffe zu gewöhnen und wartete, bis die Horde sie erreicht hatte. Sie ging in Kampfstellung.

„Na, kommt schon", lockte sie. „Wer will der erste sein?"

Die Bestien schienen einen Augenblick lang unentschlossen, dann trat knarrend ein Blitzer vor. Drei der Doppel-Hacker schwebten neben ihm und der Grande Arlo blieb hinter ihnen stehen, Quistis mit unmenschlichen Blicken musternd. Sie ließ sich davon nicht beeindrucken, und verfolgte lieber, wohin die anderen Monster verschwanden. Die beiden Blitzer hoben noch einmal drohend ihre Waffen, dann bewegten sie sich mit erstaunlicher Schnelligkeit Richtung Wüste davon. Quistis runzelte die Stirn. Was sollte das? In der Wüste gab es nichts, bis auf lediglich zwei Draw-Punkte und viele starke Monster. Der Doppel-Hacker jedoch wich zurück und flog direkt auf das Waisenhaus zu!

Die SEED fluchte. Das war doch nicht möglich! Bis jetzt hatte es niemals ein Monster geschafft, in ein abgeschlossenes Gebäude zu gelangen! Nie, in den ganzen letzten hundert Jahren nicht! Was war hier nur los? Weiter kam sie mit ihren Überlegungen allerdings nicht, als sie vom Blitzga-Zauber eines Doppelhackers getroffen wurde. Kommentarlos nahm sie ihn zur Kenntnis und konterte derartig stark, dass das Monster zu Boden geschmettert wurde. Allerdings schwebte es wieder hoch, wenn auch vorsichtig.

Der zweite Doppel-Hacker drehte sich nach dem Blitzer um und wirkte den selben Zauber auf das Blechmonster, welches nun aufgeladen war. Quistis schürzte ärgerlich die Lippen. Diese Truppe konnte ihr ungemütlich werden, wenn sie nicht bald etwas unternahm. Sie warf einen kurzen Blick zum Haus und stellte erleichtert fest, dass einige Kinder sie durch ein Fenster beobachteten. Gut, offenbar hatte Edea den Doppel-Hacker aufhalten können. Sie beschloss, die Anzahl der Monster etwas zu verringern. Auf Experimente wollte sie sich nicht einlassen.

„Ultima!"

Die gigantische Explosion nahm ihr für eine Sekunde die Sicht, aber nach ein wenig Blinzeln stellte sie mit Befriedigung fest, dass zwei der Doppel- Hacker sie nicht überlebt hatten. Damit waren die meisten Zauberer einmal ausgeschaltet. Aber der Grande Arlo hatte offenbar bemerkt, dass ihm und seinen Kumpels Gefahr drohte und wob seinen angeborenen „Schweigen"-Zauber. Wütend bemerkte Quistis, dass sich ihre Möglichkeiten zu kämpfen einschränkten. Als sie den Mund aufmachte, kam nur ein leises Flüstern heraus.

Der Blitzer schien sie triumphierend anzugrinsen, als er vorsprang und ihr seine geladene Waffe entgegenhieb. Quistis funkelte ihn an und zahlte ihm die Unverschämtheit mittels Konter zurück. Der Blechmann klirrte, als er zusammenbrach.

Nun waren nur noch der letzte Doppel-Hacker und der Grande Arlo übrig, beide schon angeschlagen. Nein, korrigierte sie sich, als das zweite Flugwesen wieder aus dem Haus herauskam. Wieso hatte Edea den Doppel-Hacker leben lassen? Aber sie verschob den Gedanken auf später und sprang vor. Sie schwang die Peitsche über dem Kopf und ließ sie dem Doppel-Hacker auf den Ko... das obere Ende krachen. Er taumelte kurz in der Luft und sackte dann tot zu Boden. Hätte Quistis momentan reden können, hätte sie dem Grande Arlo „Und nun zu uns beiden" zugerufen, auch wenn es theatralisch war. Aber schließlich hatte sie ja auch Publikum, wie ihr einfiel. Sie lächelte.

Das Wassermonster schien zu begreifen, dass Quistis ihm überlegen war, aber es gab dennoch nicht auf. Als es die junge Frau mittels Aqua-Zauber in die Luft hob und auf den Boden krachen ließ, waren vereinzelte Angstschreie aus dem Haus zu hören, aber Quistis stand sofort wieder auf und grinste. Der Wasserangriff hatte ihr nicht nur nichts ausgemacht, er hatte sie sogar geheilt. Als sie wieder zu handeln in der Lage war, gestatte sie sich rasch eine Mega-Pille und seufzte erleichtert auf, als sie ihre Sprache wiederfand. Der Grande Arlo wurde nun anscheinend wütend, denn er sprang sie an und versetzte ihr einen harten Schlag mit seinen Klauen. Quistis ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie wartete seelenruhig auf ihren Zug und ließ das Monster noch ein letztes Mal ihre Peitsche kosten, bevor es starb und verschwand.

Etwas außer Atem fuhr sich die SEED durchs blonde Haar und faltete die Peitsche zusammen. Dann hielt sie nach dem letzten hier verbliebenen Monster Ausschau, dem Doppel-Hacker. Sie konnte nur mit Mühe ihre Kinnlade vom Boden fernhalten, als sie sah, was der gerade tat. Das Monster, dem auch nur die elementarsten Kenntnisse vom Drawen fehlten, leerte gerade den Holy-Drawpunkt, der hier auf freiem Feld entstanden war! Danach blickte der Doppel-Hacker sich nach seinen Kollegen um und zischte, als er merkte, dass sie nicht mehr unter den Lebenden weilten. Aber statt sich auf Quistis zu stürzen, trat er den Rückzug zum Stand an!

„He, du!", schrie das blonde Mädchen. „Stop!"

Der etwas unzuverlässige Zeit-Zauber tat zum Glück seine Wirkung und ließ das fliegende Biest erstarren. Quistis rannte los und holte ihre Peitsche wieder hervor, aber bevor sie es erreichen konnte, flog plötzlich etwas Großes und Langes an ihr vorbei und traf das wehrlose Monster. Die SEED drehte sich verwundert um, aber in dem Moment rasten schon zwei Gestalten an ihr vorbei. Die eine wirkte ziemlich massig und holte sich lediglich ihre Harpune zurück, mit der man locker auf Walfang hätte gehen können, die zweite, geschmeidigere ließ ihre Klingenwaffen an den Händen einige Male auf den Doppel-Hacker niedersausen, bis er tot zu Boden sank.

„Kiros!", rief Quistis überrascht aus. „Ward! Sollt IHR uns etwa abholen?"

„Sicher." Kiros, der braunhäutige, schlaksige Mann grinste. „Wem, glaubst du, würde Laguna denn sonst solch hohen Besuch anvertrauen?"

Ward bemühte sich nach Kräften, nicht Quistis oder seinen Freund anzusehen, was auf den Wahrheitsgrad dieser Meldung schließen ließ. Da er bei einem Gespräch ohnehin nicht viel beitragen konnte, seitdem ihm ein Klingenhieb den Kehlkopf verletzt hatte, verstaute er lieber wieder die Waffen in dem geräumigen Hovercraft, mit dem er und Kiros gelandet waren. Vermutlich war Quistis zu sehr mit dem Kampf beschäftigt gewesen, um sie zu hören.

„Könnte es nicht viel eher sein, dass ihr euch aus dem Palast davonstehlen wolltet, weil euch Laguna schon wieder Arbeit aufhalsen will?", fragte eine strenge Stimme hinter ihnen.

Kiros blickte geschauspielert schuldbewusst drein. „Verzeihen Sie uns, Madame Kramer", entschuldigte er sich bei Edea, die gerade mit den Kindern herauskam. „Aber Esthars Präsident ist ein furchtbarer Sklaventreiber geworden, seitdem er mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt ist."

„Warum habt ihr nicht Mama geholt?", fragte Aniery keck. Er war mit Tinill das einzige der Kinder, das sich nicht unmittelbar bei Edea oder Quistis aufhielt. Alle anderen blickten die beiden etwas wild aussehenden Gestalten ängstlich an. „Sie sagt, dass der Präsident Angst vor ihr hat."

„Das wollten wir ihm nun auch wieder nicht antun, nicht wahr, Ward?" Der stumme Riese nickte verhalten grinsend. „Schließlich sind wir ja seine Freunde, jedenfalls solange er uns keine Arbeit aufbrummt."

„Wieso habt ihr so lange gebraucht, um hierher zu kommen?", hakte Edea nach. Sie wirkte noch immer etwas verstimmt. Nun wurde auch Kiros ernst.

„Tut uns Leid", bekannte er. „Aber uns sind mitten auf dem Weg zwei Blitzer entgegengekommen, die uns angegriffen haben, obwohl wir im Auto saßen. Zum Glück hatten wir unsere Waffen dabei, ich bin mir nämlich nicht sicher, ob wir die Typen abhängen hätten können. Seltsam, oder?"

„Ja, stimmt. Habt ihr gesehen, wie der Doppel-Hacker vorhin den Draw-Punkt geleert hat?", fragte Quistis.

Ward zuckte zusammen und Kiros war ihm einen schnellen Blick zu. „Nein, haben wir nicht. Aber wir dachten uns schon so was. Squall und Rinoa sind vorhin auch mit so einer ähnlichen Geschichte aufgetaucht. Sie haben sich nicht mal Zeit genommen, auf Ell zu warten, sondern sind gleich zu Odyne gerannt, wegen irgendeinem komischen Phänomen. Haben nur gesagt, dass sich diesmal Xell und die anderen um die Sache annehmen, nicht sie."

„Squall und Rinoa sind in Esthar?", fragte Quistis etwas unsicher.

„Klar. Wieso bist du eigentlich in letzter Zeit nie aufgetaucht? Ich bin sicher, die anderen..."

„Lassen wir das Thema", bemerkte Edea bestimmt, als sie merkte, dass Quistis unwohl war. „Wir sollten doch besser einsteigen, bevor noch mehr Monster kommen, nicht wahr?"

Kiros sah nun wirklich schuldbewusst aus. „Äh, sicher. Steigt ein, Leute. In einer Stunde sind wir in Esthar, da können wir uns weiterlöchern. Ward, starte schon mal! Will einer von euch vorne sitzen?"

Beinahe alle Kinder verloren bei diesem Angebot ihre Scheu vor den beiden Ex-Soldaten und drängelten sich in die vordere Seite des solarbetriebenen Gefährts. Nur Eclisa und ein Junge in Veshores Alter zogen es vor, bei Quistis und Edea im hinteren Teil des Fahrzeugs zu sitzen. Ward wartete seelenruhig ab, bis Kiros sich fluchend einen Platz zwischen den wuselnden Kindern gesucht hatte, dann glitt der Wagen immer schneller werdend über die Landschaft. Die Kleinen kreischten vor Freude, nur dem kleinen Jungen bei Edea schien es etwas zu schnell zu sein. Er und Eclisa waren noch nie in einem von Esthars futuristischen Gefährten unterwegs gewesen, deshalb war ihnen etwas unwohl. Edea legte dem Jungen mütterlich lächelnd ihre Hand über die Schultern und hielt ihn fest, bis er sich etwas entspannte. Zögernd machte Quistis dasselbe bei Eclisa.

„Tante Quistie", flüsterte die Kleine plötzlich. „Ist die Hexe in Esthar wirklich tot?"

„Ja", versicherte ihr diese. „Squall und wir anderen haben sie besiegt. Keine Sorge, Präsident Laguna ist bei weitem nicht so furchterregend wie sie."

Eclisa nickte. „Sind die beiden da wirklich seine Freunde?", wollte sie wissen. Da sie im Trabia Garden vor seiner Zerstörung aufgewachsen war, wusste sie nicht viel über Esthar. „Sie sehen nicht aus wie Freunde eines Präsidenten."

Quistis kicherte kurz. „Sie waren früher mal Soldaten", gestand sie dem Mädchen. „Dann kamen sie nach Esthar, um ein kleines Mädchen vor Adell zu retten. Dieses kleine Mädchen, Ellione, war früher wie ich und die anderen im Waisenhaus, als unsere große Schwester. Jedenfalls wurde Laguna zum Präsidenten gewählt, obwohl er eigentlich gar nicht wollte. Kiros, Ward und er waren eigentlich viel zu freiheitsliebend für einen solchen Job. Aber um die Leute in Esthar nicht zu enttäuschen, blieben sie dort."

„Also gibt es keine bösen Zauberer in Esthar?"

„Nein." An diesem Punkt erinnerte sich Quistis an etwas. „Mama", wandte sie sich an Edea. „Was hat der Doppel-Hacker eigentlich im Haus gemacht?"

„Er hat meine Lampe kaputtgemacht!", beklagte sich auf einmal der kleine Junge. „Jetzt strahlt sie kein Licht mehr ab."

„Deine Lampe?", wiederholte Quistis verwirrt.

„Der Vigra-Draw-Punkt im Keller, Quistis", erklärte Edea. „Er benutzt ihn als Leselampe, und da wir den Punkt nicht brauchten, habe ich ihn gelassen. Das Monster hat alle Zauber gezogen und ist dann wieder abgehauen."

„So was Ähnliches hab ich mir schon gedacht", brummte Quistis. „Die anderen SEEDs haben offenbar auch so etwas erlebt. Squall und Rinoa haben ja schon drüber gesprochen."

Edea lächelte plötzlich und fuhr Quistis mit einer Hand über die Wange. „Siehst du", flüsterte sie. „Jetzt hast du einen offiziellen Grund, um mit ihnen zu reden. Jetzt brauchst du dich nicht mehr davor fürchten, Liebes."

„Mama..."

„Ähem, ich störe ja nur ungern", meldete sich Kiros plötzlich zu Wort. „Aber könntest du deine verzogenen Bälger nicht von Wards Harpune fernhalten, Frau Aufpasserin? Ich hab den Eindruck, sie wollen damit bei voller Fahrt Jagd auf Monster machen."

Grinsend stand Quistis auf, fuhr Eclisa noch einmal aufmunternd durchs Haar und ging nach vorne, um Ordnung zu schaffen. Das blieb wohl immer ihr überlassen. Und im nächsten Moment spürte sie das Ziehen. Bevor sie reagieren konnte, lösten sich ihre gekoppelten Zauber und flogen wie eine Wolke aus Licht Richtung Strand davon. Sie hörte nur noch die überraschten Aufschreie der Kinder, bevor sie der Schock einknicken und das Bewusstsein verlieren ließ.

„Das sei eine noch nie da gewesene Situation, oder?" Dieser unverkennbare Satzbau stammte von Professor Odyne, der gerade wie verrückt auf eine Computertastatur einhieb. Die Begeisterung des Forschers schien ihn wie schon so oft völlig gepackt zu haben. „Das werde eine Pioniertat auf dem Felde der Magie-Wissenschaft, oder?"

„Professor", bemühte sich Squall den Mann am Boden zu halten. „Wenn ich Sie darauf hinweisen darf, Rinoa und ich wollen in Kürze heiraten. Wir haben nicht sehr viel Zeit, um herauszufinden, was mit uns geschieht."

„Natürlich, natürlich." Der kleine Mann riss sich sichtlich zusammen. „Ich denke, ihr beide solltet vorführen, wie die Verschmelzung geschehen ist, oder?"

„Sofort", antwortete Rinoa sarkastisch. „Haben Sie zufällig einen Rubrum- Drachen im Haus? Oder einen Klon von Ultima Weapon?"

„Durchaus nicht", wehrte der geschäftige Wissenschaftler ab und bediente einige weitere Kontrollen. Squall hatte, obwohl er wohl mit seinen Freunden die meiste Kampferfahrung auf dieser Welt hatte, keinen blassen Schimmer, was der Professor vorhatte, um Rinoa und ihn in den Limit-Status zu versetzen. „Ich bitte euch, mir zu folgen, oder?"

Die drei durchquerten den Vorraum des riesigen Magie-Forschungszentrums und gelangten in eine nicht ganz so große Kammer, die Squall verdächtig an das Hexen-Mausoleum außerhalb von Esthar erinnerte. Überall standen technische Geräte und in der Mitte des Raumes war eine Vorrichtung, die so ähnlich aussah wie die, in die Adell gebannt worden war und die ihn auch beinahe Rinoa gekostet hätte. Allerdings war sie etwas größer und schien sehr viel stabiler zu sein. Auch Rinoa war sichtlich nicht wohl bei diesem Anblick. Sie fasste nach Squalls Arm.

„Was soll das, Professor?", fragte sie argwöhnisch. „Wollen Sie mich etwa versiegeln und Squall so dazu bringen, seine Kräfte hier einzusetzen?"

„Das sei Unsinn", erwiderte Odyne. „Dies sei früher wirklich das Versuchsszenario einer Hexen-Versieglungsanlage gewesen, aber ich habe sie umgebaut. Ich kann hier in der Mitte des Raumes ein starkes Kraftfeld erzeugen, oder? Wenn ihr euch diesem Feld aussetzt, eure Körper werden vermuten, sie seien starken Magien oder Druck ausgesetzt, oder?"

„Und Sie glauben, dass dadurch unsere Spezialtechniken verfügbar werden?", erkundigte sich Squall. Er fühlte sich äußerst unwohl bei dem Gedanken, in diese Höllenmaschinerie zu steigen. „Aber was ist, wenn das nicht passiert?"

„Oder wenn wir hier einfach nicht... verschmelzen?", fragte Rinoa.

„Es keine andere Möglichkeit gibt, um Daten zu bekommen, oder?" Der Professor machte eine einladende Geste. „Nur hier wir können erforschen, was mit euch geschieht, oder?"

„Wenn Sie meinen", stimmte Squall skeptisch zu. „Aber wenn es lebensgefährlich wird, drehen Sie das Ding sofort ab, verstanden?"

„So sei es. Bitte steigt nun in die Mitte des Raumes, oder? Ich dann baue auf das Kraftfeld."

„Los, Squall", sagte Rinoa mit rauer Stimme. „Bringen wir das hinter uns."

Sie balancierten zwischen den hochempfindlichen Apparaten hindurch, bis sie die Plattform erreichten und stiegen hinauf. Squall war nervös. Einen Kampf unter freiem Himmel, Gegner, die er sehen konnte, dagegen hatte er nichts. Aber das hier. Auch Rinoa war zappelig. Dauernd strich sie ihr Haar zurück.

„Ich nehme an, wir müssen unsere Waffen dabei haben", vermutete er und ließ seine Löwenherz in der Hand erscheinen. Das vertraute Gefühl in der Hand beruhigte ein wenig. Auch Rinoas Shooting Star saß gleich darauf an ihrem Arm, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass sie ihre Waffe für dieses Experiment brauchte. Aber es musste so sein wie im letzten Kampf.

„Squall... ich habe Angst", gestand Rinoa. „Das alles hier sieht genau so aus wie das Mausoleum, obwohl ich weiß, dass ich hier nicht versiegelt werde. Aber trotzdem..."

„Ganz ruhig", murmelte er, während er zum Eingang sah. Wieso dauerte das so lange? „Denk an unsere Hochzeit, Rinoa. Fass die Ringe an."

Das Mädchen atmete tief durch und ballte ihre Faust um die beiden Verlobungsringe. Squalls Ring, den sie sich hatte nachbilden lassen, um einen Teil von ihm immer bei sich zu haben.

„Ihr seid fertig?", rief Professor Odyne plötzlich über Lautsprecher. „Dann wir beginnen, oder? Gravitation 2... 3..."

Squall keuchte, als sich sein Brustkorb zusammenquetschte. Die viel stärkere Schwerkraft, die von überall auf ihn einwirkte, presste ihm die Luft aus dem Körper und ließ seine Muskeln schmerzen. Obwohl er schwankte, hielt er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aufrecht, die Löwenherz vor sich gestreckt. Kein Laut, dachte er. Wenn Rinoa stark sein soll, muss ich ein starkes Vorbild sein. Auch von dem Mädchen war nur ein leises Stöhnen zu hören, als ihre Muskeln überanstrengt wurden.

„4... 5..."

Squall wollte schreien, aber er konnte es nicht. Sein Blick verschleierte sich. Die ungeheuren Kräfte zerrten an ihm wie an einer Marionette, die an Millionen Fäden hing. Er spürte, wie sein Leben immer schneller von ihm fortfloss, aus ihm gequetscht vom Gewicht mindestens eines Berges. Stop!, dachte er in wilder Verzweiflung. Stop! Neben ihm konnte er kurze Schluchzlaute von Rinoa hören.

„6..."

Kalte Wut stieg in ihm auf. Odyne musste sie doch verdammt noch mal sehen! Sie starben, wenn er die Schwerkraft noch mehr erhöhte! Seine Lebenskraft sank in den kritischen Bereich und dieser Wahnsinnige machte immer noch weiter. Squall spürte, wie der Zorn die Energien freisetzte, die seine Spezialtechniken benötigten. Gelbe Lichtblitze zuckten auf und plötzlich schien der unglaubliche Druck zumindest erträglich. Nicht weg, aber erträglich. Er wollte gerade losstürmen, um irgendeine Maschine zu zerstören, als er Rinoas Schmerzenslaut hörte. Er war kaum lauter als ein Vogeltrillern.

Seine Freundin, seine Hexe, seine Geliebte hing nur noch in der Luft, weil die Schwerkraft von überall her gleich stark einwirkte. Unerträglicher Kummer und unauslöschlicher Zorn stritten sich um seine Seele, als er den besiegten Ausdruck in ihrem Gesicht wahrnahm. Sie hatte den Kräften nicht trotzen können. Sie war am Ende.

„Rinoa!", schrie er mit vollem Kraftaufwand. Er konnte nicht zu ihr gelangen, so viel Kraft hatte er nicht, nur ansehen konnte er sie. Darum bemerkte er den Lichtfaden, der sich von seiner Gunblade in ihre Richtung bewegte, erst in dem Moment, da Angel auftauchte. Rinoas Hündin schien von der Schwerkraft auch nicht sonderlich beeinflusst zu sein. Sie blickte Squall mit einem undeutbaren Blick an, nahm den Faden ins Maul und berührte Rinoas Körper damit.

Im selben Augenblick wallte ein gelber Flammenring um das Mädchen auf, als es sein Limit erreichte. Rinoa stand auf und gab Angel einen Befehl. Diese stellte sich an Squalls Seite und sah ihn eindringlich an. Dann lief sie los. Und Squall folgte ihr. Wie eine Sternschnuppe krachte Angel in eine der riesigen und massiven Maschinen. Squall verpasste dem eingedellten Ding einige gewaltige Hiebe seines Limits, bis Angel zurückkam. Wieder und wieder rammte sie die vollkommen demolierte Maschine, während Squall zwischendurch mit der Gunblade darauf einschlug. Als die Hündin das letzte Mal hindurchgerast war, wodurch wieder einige Metallteile davonflogen, rannte Squall noch einmal auf den verbliebenen Rest zu und vollführte seinen „Grobspalter", der das Ding endgültig explodieren ließ.

Als Squall auf seinen Platz zurückkehrte, verschwand Angel gerade wieder und die Strahlenkränze um Rinoa und ihn erloschen. Eine Sekunde lang verspürte er wieder den unglaublichen Druck der 6-fachen Schwerkraft. Wäre seine Körper-Kopplung nicht so hoch, hätte es ihn schon längst zerquetscht.

„Schwerkraft 1, oder?", erklang Odynes Stimme wieder. Als der Wissenschaftler kurze Zeit später selbst im Raum erschien, war er völlig außer Atem und aus dem Häuschen. „Fantastisch", japste er, während er sich einen Weg durch die Metallteile bahnte, die überall herumlagen. „Absolut unglaublich sei das! Ihr habt alle meine Erwartungen übertroffen, oder?"

Er flößte Squall etwas ein, das wohl ein Elixier sein musste, denn die Kräfte des Jungen regenerierten sich wieder völlig. Auch Rinoa ließ ein erleichtertes Seufzen ertönen, stand aber noch nicht auf. Sie war erschöpft.

„Sind Sie wahnsinnig, Mann?", fuhr Squall den Wissenschaftler an, während er sich in die Höhe arbeitete. Seine Lebenskraft war wieder da, aber den Muskelkater würde er vermutlich übermorgen auch noch spüren, auch wenn er nun wieder erträglich war. „Sie hätten uns beinahe mit diesem Apparat umgebracht! Glauben Sie nicht, dass wir das hier noch einmal machen!"

„Das sei auch nicht mehr möglich", bemerkte Odyne. „Die Maschine, die ihr zerstört habt, war eines der Kontrollorgane, oder? Ohne sie ist ein weiterer Versuch nicht mehr möglich. Aber alle nötigen Daten haben wir, oder?"

„Schön für Sie", stieß Rinoa hervor. „War's wenigstens spannend, uns beim Sterben zuzusehen? Hat es was genützt?"

„Durchaus, durchaus", antwortete der Wissenschaftler, ohne auf Rinoas Zynismus einzugehen. „Folgt mir bitte wieder in die Vorhalle, oder?"

Squall stand auf. Er zuckte kurz zusammen, als seine Beine zu schmerzen begannen, aber er hielt sich aufrecht. Er bot Rinoa seine Hand an und verzog keine Miene, als ihm wegen ihres Gewichts beim Aufhelfen sein Rücken anfühlte, als würde er fast auseinandergerissen. Die beiden stützten sich gegenseitig in den Vorraum hinein, wo sie sich hinsetzten.

„Mir ging's nicht mehr so schlecht, seit Papa mir mit 7 Jahren so heftig den Hintern versohlt hat, dass ich den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr sitzen konnte", gestand Rinoa. Wenigstens kam ihr Sinn für Unterhaltung wieder zurück.

„Erinnere mich daran, ihn zum Duell zu fordern, sobald es mir wieder besser geht", entgegnete Squall und massierte seine Armmuskulatur.

„Hattest du auch schon mal solche Schmerzen?"

„Ja, einmal", gab er zu. Er sah sie an. „Als du leblos im Garden lagst und ich nichts tun konnte, um dir zu helfen."

„Squall, du musst mir nicht beweisen, dass du mich liebst", meinte Rinoa gequält lächelnd. „Das weiß ich auch so. Wenn ich könnte, würde ich dich jetzt küssen, aber ich glaube, ich würde mir die Zunge vor Schmerz abbeißen."

„Aber es stimmt trotzdem", beharrte er.

Bevor Rinoa noch etwas erwidern konnte, kam Professor Odyne zu ihnen herüber. „Das sei erstaunlich", fing er an, als er sich zu ihnen setzte. Er blickte auf einen Computerausdruck. „Die Messungen und das Auftauchen der Hündin besagen, dass die Hexenkraft dieser jungen Dame absolut nichts mit dem Phänomen zu tun hat, oder?"

„Ist das jetzt gut oder schlecht?", wollte Rinoa wissen.

„Das sei nicht leicht zu beantworten." Der Wissenschaftler kratzte sich am Kopf. „Wenn Hexenmacht verantwortlich gewesen wäre, wir müssten versiegeln die junge Dame, wüssten aber die Ursache der Geschichte, oder?" Er achtete nicht auf das empörte Keuchen von Rinoa und Squall. „Nun wir keinen Grund haben, sie zu versiegeln, aber nicht kennen die Ursache."

Squall zwang sich unter Kontrolle. „Wissen Sie denn wenigstens, was überhaupt passiert ist, von der Ursache mal abgesehen?"

„Nun, es sei wie Verbindung eurer beiden Kampfkräfte zu einem neuen Ganzen", erklärte Odyne, nun wieder eifrig bei der Sache. „Wenn ihr seid nahe beieinander und einer von euch Limitzustand erreicht, seine Kampfkraft fließt zum anderen und verschmilzt mit dessen Kraft. Die neue Kraft dann kann genutzt werden für einen Angriff, der die Kraft beider Spezialtechniken beinhaltet, oder? Das verständlich war, oder?"

„Wollen Sie damit sagen, dass jedes Mal, wenn einer von uns seine Spezialtechnik anwendet, der andere seine Kraft spendet, um den Angriff noch zu verstärken?" Rinoa sah ihn ungläubig an. „Das klingt aber ziemlich fantastisch."

„Meine Ergebnisse lassen aber keinen anderen Schluss zu, oder?"

„Und ist diese... gebündelte Kraft nun auch im normalen Leben gefährlich?", drängte Squall zum Wesentlichen.

Der Professor schüttelte den Kopf. „Nein, ich sei mir ziemlich sicher, nicht. Aber solange wir nicht kennen die Ursache, wir können nie völlig sicher sein, oder?"

„Also sind wir im Grunde auch nicht weitergekommen", folgerte Rinoa frustriert. „Wir haben uns umsonst fast umbringen lassen."

„Bitte, Professor", bat Squall. „Gibt es denn nichts, was Sie tun können, um zu beweisen, dass diese vereinte Kraft ungefährlich für andere Menschen in unserer Nähe ist?"

„Nicht, leider." Der Professor dachte konzentriert nach. „Ich kann mich nur erinnern an etwas, das ich einmal gelesen habe, oder?"

Rinoa wurde hellhörig. „Und was?"

Odyne lachte verlegen. „Es sei nur eine alte Legende", wehrte er ab.

„Heraus damit!" Rinoa sah ihn gefährlich an.

„Aber es sei nicht bewiesen! Es sei nur ein Mythos, ein Hirngespinst unterentwickelter..."

„Erzählen Sie, Professor", warnte ihn Rinoa. „Sofort!"

„Na schön", seufzte Odyne und schloss kurz die Augen. „Es heißt, vor langer Zeit, als die Göttin Hyne kam zur Erde, sie fand die Menschen im ständigen Kampf mit den Monstern, oder? Aber sie sah, dass wir fast immer unterlagen. Sie erschuf die GF, um den Menschen im Kampf zu helfen und sie vor allem den Umgang mit Magie zu lernen, oder?" Odyne machte eine kleine Pause. „Die erste GF, die Hyne schuf, war ihr Meisterwerk. Sie stellte die Regeln des Kampfes auf und befahl der GF, als Hüter des Kampfes über die Einhaltung zu wachen. Die GF kannte alle Geheimnisse der Kampfkunst, sei also nahezu unbezwingbar, oder? Nun, diese GF müsste doch wissen, wie es sei mit eurer Kraft, oder?"

„Das könnte die Lösung sein", stimmte Squall zu. Auch er war gespannt wie ein Flitzebogen. „Wie heißt die GF? Wenn wir sie nicht haben, hat sie sicher irgendein anderer SEED, den man ausfindig machen kann. Reden Sie!"

Odyne wand sich unbehaglich. „Der Name der Ur-GF sei... Odin."

Totenstille trat ein, bis Rinoa wieder sprach: „Professor, Odin ist tot. Er wurde von Cifer getötet, als wir das letzte Mal gegen ihn kämpften."

„Ich wissen, wie es sei, Miss Rinoa", entgegnete Odyne. „Aber es steht so geschrieben in der Legende: Odin war die legendäre GF, die über die Regeln des Kampfes wachte und jedes Geheimnis der Kampfkunst kannte, oder?"

„Und wieso gelten dann die Kampfregeln immer noch?", wollte Rinoa wissen.

„Vielleicht, weil Gilgamesh seine Stelle eingenommen hat", vermutete Squall. „Gilgamesh hat Odins Waffe... vielleicht wacht deswegen er jetzt über die Regeln."

„Mal angenommen, Squall, wir glauben diesen Unsinn", folgerte Rinoa. „Können wir uns dann an Gilgamesh wenden, um zu erfahren, was wir wissen wollen?"

„Nein, das wahrscheinlich nicht geht", warf Odyne ein. „Gilgamesh sei vermutlich ein Wesen aus einer anderen Welt. Sein Name sei nicht erwähnt in den Legenden von Hyne und den GF, oder? Er also kann euch wahrscheinlich nicht helfen, weil er die speziellen Regeln der Göttin nicht kennt."

„Und was sollen wir dann machen?", fragte Squall ratlos. „Wir können Odin doch nicht zurückholen."

„Vielleicht... doch, oder?", murmelte Odyne gedankenversunken.

„Ist das auch wieder so eine Legende?", mutmaßte Rinoa. „Na schön, raus damit?"

Der Professor erklärte es ihnen.