1 Kapitel 5

„Sag mal, Cifer", flüsterte Rai-jin ihm zu. „Willst du mal wirklich die Menschen opfern, um die SEEDs zu besiegen?"

Cifer sah ihn kalt an. „Was würdest du tun, wenn ich ja sagen würde?", fragte er. Als Rai-jin zusammenzuckte, lachte er leise. Seine Gesichtsmuskeln entspannten sich. „Ruhig, Rai-jin, ruhig. Ich hab nicht vor, das Spielchen dieser GF bis zum Ende durchzuziehen."

„Betrug?" Selbst dieses negative Wort klang hoffnungsvoll aus Fu-jins Mund. Auch ihr war die Erleichterung anzusehen, und das war äußerst selten der Fall.

„Was soll es mir bringen, wenn ich Squall besiege und es nachher niemandem sagen kann?" Cifer grinste. „Darauf hättet ihr ruhig selbst kommen können?" Er blickte rasch zu Condenos hin, aber die abtrünnige GF war noch immer mit dem Drawen der Zauber des Kontinents beschäftigt.

Er und die beiden anderen hatten sich das Spektakel ein paar Minuten angesehen, aber der Centra-Kontinent war dermaßen zerstört, dass nur alle halben Minuten eine einzige Zauber-Kugel zur Insel flog und mit der Säule verschmolz, die jedes Mal hell aufstrahlte. Wenn etwas so im Schneckentempo dahinging, wurde es schnell langweilig, darum hatten sie sich wieder ins Innere der Insel zurückgezogen.

„Vorhaben?", wollte Fu-jin wissen. Man musste schon Jahre mit ihr zusammengewesen sein, wenn man aus ihren kargen Vorgaben etwas Verständliches herauslesen wollte.

Der blonde Junge zuckte mit den Schultern. „Was wohl? Wir werden warten, bis Squall hier irgendwann eintrudelt... denn das wird er, darauf könnt ihr euch gefasst machen. Dann werden wir ihn und die anderen SEEDs besiegen... und zum Schluss machen wir diese GF dort fertig. Dann haben wir's endlich jedem gezeigt, dass die SEEDs nicht unschlagbar sind."

„Puuuh. Ich bin mal echt froh, Cifer, dass du die Menschen nicht opfern willst. Denn bei wem sollten wir sonst unser restliches Geld ausgeben?"

Einen Moment sah Cifer den stämmigen Jungen verdutzt an, bis er das Glitzern in dessen Augen sah. Dann begannen beide wie auf Kommando schallend zu lachen. Fu-jin zog es vor, mit den Augen zu rollen, aber als sie den Kopf wegdrehte, verzog sich auch ihr Mund zu einem Lächeln. Sie kicherten noch eine ganze Weile, bis sie dann wieder still wurden und jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Plötzlich hörten sie ein Sirren in der Luft, wie sonst auch, wenn ein neuer Zauber reinschneite. Aber diesmal war es wie die Flügelschläge einer Armee von Vögeln: beim Einzelnen kaum wahrzunehmen, aber in der Masse unüberhörbar.

„Was?", verlangte Fu-jin zu wissen und sah scharf zum Eingang hin.

„Wahrscheinlich haben sich ein paar Zauber unterwegs getroffen und haben beschlossen, gemeinsam hierher zu fliegen", scherzte Cifer, aber auch er lächelte nicht. Das war beileibe nicht die normale Anzahl von Zaubern, die sich in einem Lebewesen befand.

„Sollen wir mal nachsehen?", fragte Rai-jin, der den Kampfstab fest gepackt hielt. Als ob das etwas gegen derartig geballte Magie helfen würde!

„Kannst du's mit derart vielen Geschossen gleichzeitig aufnehmen?", fragte Cifer. „Ich glaube nicht. Also bleib lieber da. Wir haben schließlich keinen Erzengel-Spruch da, mit dem wir dich wieder aufwecken können, und die Phönix-Federn werden auch schon kna..."

Bevor er das Wort vollenden konnte, fegte ein wahrer Sturm von Lichtkugeln durch den schmalen Eingang und blendete sie. Allerdings bei weitem nicht so sehr wie die Lichtsäule, die beim Kontakt mit den Zauberkugeln jedes Mal aufleuchtete und den ganzen Raum in strahlende Helligkeit tauchte. Fu-jin stieß eine Reihe von Flüchen aus, die Cifer erstaunten und Rai-jin knurrte wütend. Der Gunblade-Kämpfer selbst beobachtete durch die Handfläche vor Augen, wie Dutzende von unterschiedlichsten Magien auf die Lichtsäule trafen, in ganzen Hunderterpacks. Niemand besaß so viele Zauber auf einmal... ausgenommen die SEEDs!

Nach einer Minute Dauerbombardement hörte der Zustrom an Zauberformeln schließlich auf und die Helligkeit im Raum normalisierte sich wieder. Cifer nahm die Hand wieder von den Augen und zischte wütend.

„Was ist mal?", fragte Rai-jin verwundert. „Was hast du?"

„Kapiert ihr nicht? Was glaubt ihr, wer eine solche Menge an Kopplungszaubern bei sich hat? Die paar Doppel-Hacker, die hier rumschwirren?"

„SEEDs?", vermutete Fu-jin grimmig.

„Genau. Ich weiß nicht wie, aber Squall hat uns aufgespürt. Wir müssen jetzt sofort gegen ihn kämpfen." Cifer erhob sich und schwang die Gunblade. „Gar nicht schlecht. So ist unser verehrter Verbündeter noch nicht fertig mit seinem Teufelswerk."

„Äh, Cifer? Ich glaube, das sind mal gar nicht die SEEDs."

„Wer denn sonst?"

„Weißt du nicht mehr? Edea hat doch mal auf der Feier in Esthar verkündet, dass Quistis Trepe zu ihr ziehen wird. Glaubst du denn mal, die wäre ohne ihre Kopplungen gegangen?"

„Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht", gab Cifer zu. „Und für fünf Leute hätte die Menge an Zaubern nicht ausgereicht. Du hast wahrscheinlich Recht." Der Junge setzte sich wieder.

„Was jetzt?", fragte Fu-jin, wobei sie eine unüblich hohe Zahl von Worten verwendete.

„Ich denke mal, ich werde unseren Gastgeber fragen, wie lange seine Lichtshow noch dauert." Cifer stand auf und ging zu Condenos hinüber, der inzwischen wieder ruhig atmete. Die Kanonade von Zaubern vorhin hatte ihn gewaltig angestrengt, das bewiesen die Schweißtropfen an seiner Stirn, aber jetzt schien er wieder alles unter Kontrolle zu haben.

„He, Meister", wandte sich Cifer an ihn. Das Wesen öffnete die Augen und sah ihn an, nahm jedoch noch nicht die Hände von der Säule. „Dürfen wir mal erfahren, wie lange das noch dauert? Inzwischen müsstest du doch jeden Zauber dieses verdammten Kontinents abgesaugt haben, oder?"

„Nein", knurrte das riesige Wesen. „Nicht ganz. Die Monster, die ich losgeschickt hatte, sollten eigentlich die Draw-Punkte des Kontinents leeren, aber bis jetzt kann ich die neuen Zauber nicht spüren. Dabei müssten sie die Punkte schon längst erreicht haben."

„Wenn ich du wäre, würde ich nicht auf die Viecher warten", empfahl Cifer. „Sind sie zufällig zum Waisenhaus geflogen? Das einzige intakte Gebäude auf dem ganzen Landstrich?" Als die GF mit zusammengekniffenen Augen nickte, fuhr er fort: „Dann sind sie wahrscheinlich tot. Dort lebt eine von den SEEDs, von denen wir dir erzählt haben. Für die sind deine stärksten Monster nur Frühmorgensport, wenn überhaupt."

„Auch, wenn ich ihr sämtliche Zauber gezogen habe?" Condenos hob die Augenbrauen. „Dann müssen sie wirklich unglaublich stark sein."

„Mit den GF sind die Monster auch ohne Zauber mal kein Problem", meldete Rai-jin.

„Ah ja, meine verehrte Familie", meinte Condenos nickend. „Nun, für uns sind die Monster natürlich kein Problem. Gut, dann sollten wir wohl verschwinden. Von welchen Teilen der Welt droht noch Gefahr? Außer dem Kontinent, von dem wir gerade gekommen sind und Centra?"

„Esthar", entschied Fu-jin wie aus der Pistole geschossen.

„Der Erdhaufen, der in Sicht kommt, wenn du dieses Gebirge entlang fährst und die Kashukbaar-Wüste umrundest", half Cifer weiter. „Angeblich sind in Esthar die letzten Überlebenden deines Infernos von früher gelandet."

„Dann wird es mir eine größere Freude sein, mein Werk nun zu vollenden", entgegnete die GF. „Wollt ihr euch des SEEDs hier annehmen oder besuchen wir Esthar?"

Cifer sah zu seinen Freunden hin. Die beiden zuckten mit den Schultern. „Nein, Quistis kommt später dran", bestimmte er. „Sehen wir lieber zu, dass es keine Zauber mehr auf der Welt gibt, der die SEEDs stärker machen könnte, dann können sie kommen."

„So soll es sein", stimmte Condenos zu. „Dann auf nach Esthar. Ich bin gespannt, ob die alte Rasse etwas aus sich machen konnte."

Langsam nahm die Forschungsinsel wieder Fahrt auf.

„Ist das waaaahr?", staunte Selphie. „Irvie hat neben dir noch dreeeei weitere Freundinnen gehabt?"

Crys nickte. „Ja. Damals war ich so verliebt in ihn, dass ich ihn gewähren ließ. Wenn er heute auch noch mein Freund wäre, hätte ich ihn wohl schon längst zum Duell gefordert."

„Ja, ja", knurrte Irvine. Der Scharfschütze hatte bereits drei hochprozentige Cocktails intus, und sie waren erst seit zwanzig Minuten hier. „Gebt es mir ruhig. Immer weiter, ich bin es schließlich gewöhnt, dass meine besten Freunde über mich herziehen."

„Ach, Irvie, du nimmst das viel zu eeeernst!", verkündete Selphie aufmunternd. Ihre immerwährend gute Laune stand momentan in starkem Kontrast mit Irvines Weltuntergangsmiene. Dann runzelte sie geschauspielert die Stirn. „Es sei denn, du hast jetzt auch mehrere Freundinnen. Raaaaaus mit der Sprache! Was war denn gestern, als du mit Xelllll so lange in der Bibliothek warst?"

Das riss den Jungen aus dem Sessel. Xell nahm sich vor, diesen Tag rot im Kalender anzustreichen, weil Irvine tatsächlich verlegen aussah.

„Keine Sorge, Selphie", beruhigte Xell sie. „Er war ganz brav. Hat nur einmal mit der zweiten Bibliothekarin geredet, als ich mit Reeval beschäftigt war."

„Ach, tatsächlich?" Selphie kniff die Augen zusammen. „Sollen wir jetzt gleich in die Bücherei gehen, Irvine Kinneas?" Sie war tatsächlich im Begriff aufzustehen.

„Das war doch nur harmloses Getratsche", versicherte Irvine mit resigniertem Blick. „Wir haben uns über Squalls und Rinoas Hochzeit unterhalten, weiter nichts."

„Nuuuuun, ich werde bei Gelegenheit noch mal darauf zurückkommen." Selphies Kopf ruckte wieder zu Crys, die anscheinend großen Spaß hatte. „Also, wo waren wir?"

„Ich wollte gerade erzählen, was passierte, als ich Irvine einmal in flagranti mit einer anderen außerhalb des Gardens ertappt habe."

„Grundgütiger", murmelte Irvine, trank sein halbvolles Glas leer und hielt es dann Xell hin. „Hol mir noch einen."

„Ich weiß nicht, Mann", wehrte Xell ab. „Du siehst gar nicht gut aus, weißt du das?"

„Ich würde noch viel schlechter aussehen, wenn ich nicht alles, was heute schon über mich ans Licht gezerrt wurde, ertränkt hätte", blaffte Irvine ihn an. „Hol mir noch einen!"

„Schön, ist ja deine Gesundheit. Aber mach nicht mich dafür verantwortlich, wenn du auf der Hochzeit noch immer nicht nüchtern bist."

„War Irvine denn nicht ein einziges Mal treu?", wunderte sich Niida, der bis jetzt still gelauscht hatte. „Warum hatte er dann so viele Freundinnen?"

„Das ist Teil meines umwerfenden Charmes", verkündete Irvine. Offenbar zeigte der Alkohol langsam seine Wirkung, denn seine Augen glänzten bereits. „Die Mädchen haben sich damals förmlich um mich gerissen."

„Uuuund wirkt dieser Charme auch jetzt noch?", fragte Selphie zuckersüß.

Irvine sah durch den Alkoholschleier vor seinen Augen die Falle nicht kommen. „Natürlich!"

„Ahaaaaa!"

Erst jetzt kam dem Scharfschützen in den Sinn, was er grade gesagt hatte. „Nein, so war das nicht gemeint. Ich würde dich doch niemals..."

„Erzähl weiter, Crys!", unterbrach ihn das braunhaarige Mädchen. Einen Augenblick lang sah Irvine sie noch flehend an, dann sank er wieder brummelnd zusammen.

„Ja, ich muss zugeben, ich hätte ihn wohl zur Rede stellen sollen", gab Crys zu. „Aber stattdessen versuchte ich, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Aber ich war jünger als er, unerfahren, also langweilte er sich schnell und wandte sich der nächsten zu."

„Uuuund du hast das einfach toleriert?" Selphie war fassungslos.

„Du musst ihn wirklich sehr geliebt haben", flüsterte Niida. Sein Ton war ziemlich bissig. Als Crys ihn erstaunt ansah, bemerkte sie, dass er Irvine böse Blicke zuwarf.

Sie legte unter dem Tisch ihre Hand auf die des Garden-Steuermanns. Als er aufschreckte, lächelte sie ihn verschmitzt an. „Das ist lange her", versicherte sie. „Wir sind trotz alldem Freunde geblieben, obwohl mir das oft genug schlaflose Nächte bereitet hat. Aber ich habe eingesehen, dass ich nicht die richtige für ihn bin."

Niida erwiderte ihr Lächeln nervös. Selphie, die von dem stummen Gespräch der beiden nichts mitbekommen hatte, knuffte Irvine an. „Was bist du doch für ein heeeerzloser Klotz gewesen, Irvine", schimpfte sie. „Unsere Mama müsste sich für dich schääääämen!"

„Unsere Mama wusste wahrscheinlich schon, was für ein gefühlloses Monster aus mir werden würde, als wir beide noch mit Rasseln spielten", nuschelte der Scharfschütze tonlos. „Darum hat sie mich nach Galbadia geschickt, um mich von euch fernzuhalten. Danke."

Xell setzte sich, als er den neuen Drink vor Irvine abgestellt hatte. Besorgt musterte er das gleichgültige Gesicht Irvines, das auf dem Plastiktisch lag. „Nun macht ihn doch nicht alle derartig nieder, Leute", versuchte er ein gutes Wort einzulegen. „Glaubst du wirklich, er würde dich betrügen, Selphie?"

„Das versuuuuchen wir ja gerade herauszufinden", erwiderte diese ungerührt. „Und wie du siehst, ist sein Lebenslauf ja nicht gerade fehlerfrei."

„Lasst nur kein gutes Haar an mir", lallte Irvine zynisch, nachdem er das Viertelglas beinahe in einem Zug geleert hatte. „Vergesst nur nicht, dass ich auch Rinoa bei unserer ersten Begegnung angemacht habe."

„Hat er das tatsächlich?", fragte Crys amüsiert.

„Oh ja", versicherte Selphie, sichtlich froh über dieses neue Gesprächsthema. „Und zwar ganz offen vor uns allen. Und davor ist er über mich hergezogen, bis Squall ihn von mir weggeholt haaaaat!" Irvines leises Stöhnen ignorierte sie völlig. „Und nachher hat er uns offen erklärt, dass er das alles nur tut, weil auf ihm die Veraaaaantwortung des einsamen Schützen läge!"

„Mit diesem Quatsch hast du auch einige im Galbadia-Garden eingewickelt, Irvine", stellte Crys fest. „Hast du dir noch immer nichts Neues ausgedacht?"

„Was hassst du überhaupt für ein Recht, dich in meine Priw... Privatangelechenheiten zu mischen?", fuhr Irvine sie kraftlos an und leerte das Glas. „Sind wir nun getrennt oder nicht?"

„Irvine, lass sie in Ruhe", mischte Niida sich ein, ohne auf Xells warnende Blicke zu achten. Irvine war auch ohne Kopplungen einer der stärksten Menschen dieser Welt, und in seinem Zustand momentan daher mehr als gefährlich. „Du hast ihr schließlich das Herz gebrochen! Sie hat ein Recht, dir das zu sagen!"

„Ach, unser großer Held", höhnte Irvine und schwenkte sein Glas. „Und weil ich sie mal enttäuscht habe, darf sie ungestraft mein Leben hier rue... ruinieren?" Schwankend stand er auf. „Warum musssest du bloß auftauchen?", fragte er düster, an seine ehemalige Freundin gewandt. „Alles war gut, bevor du hier reinscheschneit bist! Und jetzzz hassen mich alle..."

„Irvine, nimm das zurück!", verlangte Niida und stand ebenfalls auf.

„Setz dich hin, du Idiot!", zischte Xell ihm zu, während er nervös zu Irvine sah und die Muskeln spannte. Wenn das hier so weiterging... „Provozier ihn nicht!"

Niida ignorierte ihn. „Entschuldige dich bei Crys! Sie ist unser Gast und ich dulde nicht, dass du sie beleidigst!"

Auch Crys sah nun sehr angespannt aus. „Niida, ich glaube auch, dass du dich besser setzen solltest", flüsterte sie, aber der Junge blieb stehen.

„Ach, unser Gast?" Irvines schlechte Laune war auf dem Höhepunkt. „Seit wann hat ein Gast das Recht, den Gastgeber zu beleidigen? Ich sag dir mal was: Wenn sich der Gassst schlecht benimmt, dann darf der Gastgeber ihn rausschmeißen!"

Die nächsten Dinge geschahen innerhalb von Sekunden. Irvine machte einen drohenden Schritt auf Crys zu, die nun käsebleich war und Niida stellte sich ihm entgegen und packte den Scharfschützen an der Schulter. Der betrunkene Junge ließ seine ganze Wut in einem lauten Schrei heraus und schleuderte Niida mit so viel Kraft von sich, dass der Garden-Steuermann gegen den nächsten Tisch geschleudert wurde, wo gottseidank niemand saß. Dann, als er sich wieder Crys zuwenden wollte, krümmte er sich plötzlich, verdrehte die Augen und sackte zusammen.

„Ich sorg schon dafür, dass du dich nicht unglücklich machst, Mann", meinte Xell und zog seine Faust aus Irvines Magengegend. „Du schläfst dich jetzt erst mal aus, und dann sehen wir, was wir dem Direktor erzählen." Dann funkelte er Niida an, der wieder heranwankte, immer noch mit einem kampflustigen Ausdruck in den Augen. „Und du", fuhr er ihn an, sodass der braunhaarige Junge zusammenzuckte. „Was denkst du dir eigentlich dabei? Wenn Irvine noch etwas mehr Zeit und Alkohol intus gehabt hätte, hätte er dich vielleicht erschossen! Du hast überhaupt Glück gehabt, dass Selphie und ich da waren. Weißt du überhaupt, wie viel stärker Irvine ist als du?"

Niida war etwas zusammengeschrumpft unter Xells wütendem Wortschwall, aber ein trotziger Zug war noch immer auf seinem Gesicht. „Er hätte Crys nicht angreifen dürfen", verteidigte er sein Handeln und deutete auf den Jungen, der stöhnend auf dem Boden lag. „Hätte ich ihn vielleicht gewähren lassen sollen, wenn er einen Gast des Gardens bedroht?"

„Nein", gab Xell zu. „Aber das hättest du uns überlassen sollen. Wenn du das nächste Mal den Wunsch verspürst, jemanden zu verteidigen, dann tu mir einen Gefallen: Schalt deine Hormone vorher aus und dein Gehirn ein!"

Dann drehte sich der blonde Faustkämpfer zu Selphie und Crys um, die seine Rede mit Staunen verfolgt hatten. Derartig in Rage hatten sie den fröhlichen Jungen noch nie gesehen. „Und jetzt zu euch: Ich hab ja nichts dagegen, wenn Irvine mal ein bisschen zurechtgestutzt wird, mir geht er oft genug auf den Wecker. Aber dass ich ihn deinetwegen niederschlagen musste, verzeihe ich dir nie, Selphie!"

„Es tut mir Leid", versicherte das Mädchen, dem die Tränen in den Augen standen. „Ich wollte doch nur..."

„Ich kann mir ziemlich genau vorstellen, was du wolltest", entgegnete Xell. „Aber ihr habt ihn bis aufs Blut gereizt, und das, obwohl er schon ziemlich aggressiv war! So, ich bring ihn jetzt mal auf sein Zimmer und schließ ihn ein. Aber wir alle werden uns noch vor dem Direktor verantworten müssen, das kann ich euch versichern." Xell nahm Irvines Arm und legte ihn sich über die Schulter. Dann stemmte er den etwas größeren Jungen unter unfeinen Bemerkungen hoch und schleifte ihn Richtung Ausgang davon. Niida setzte sich wieder auf seinen Platz.

„Es tuuuut mir Leid", wiederholte Sephie schluchzend. „Ich hätte wissen müssen, dass er so reagiert. Ich weiß, dass Irvine mir treu ist, aber ich wollte ihn ein wenig provozieren..."

„Das muss dir nicht Leid tun", begehrte Niida wütend auf. „Wenn Irvine so wenig vertragen kann, dann hätte er nicht mitgehen sollen!"

„Nein, Niida", wiedersprach Crys leise. „Irvine hat es verletzt, wie abfällig wir über ihn geredet haben. Er hat für Selphie alle anderen Mädchen aufgegeben, das weiß ich seit dem letzten Mal, an dem wir uns getroffen haben. Dass wir seine echten Gefühle so in den Schmutz ziehen, wie er glaubt, hat ihn ausrasten lassen, nicht deine Worte."

Niida sah sie hilflos an. „Aber er hätte dich vielleicht angegriffen!", sagte er. „Das konnte ich doch nicht zulassen!"

Jetzt lächelte ihn Crys an. Sie legte ihre Hände auf die seinen und antwortete sanft: „Das war sehr ritterlich von dir, Niida. Aber du hättest mir nicht geholfen, wenn Irvine dich im Vollrausch getötet hätte. Bitte, versprich mir, dass du das nicht wieder tust." Nun stahl sich eine verlegene Röte auf ihre Wangen. „Ich hab einen Mordsschreck bekommen, als Irvine dich weggeschleudert hat", flüsterte sie.

„Ich... ich geh jetzt mal besser", bemerkte Selphie, die sich gerade ihre Tränen von den Wangen wischte, dabei jedoch die beginnende Romanze zu beobachten versuchte. Sie war momentan zwischen Heulen und wissendem Lächeln. „Ich möchte bei Irvie sein, wenn er aufwacht. Ich muss mich bei ihm entschuldigen. Nein, Niida, sag nichts! Du hast ohnehin schon erreicht, was du woooolltest!"

Sie wartete nicht mehr ab, bis dem Jungen die Röte ins Gesicht gestiegen war, sondern hastete aus dem Lokal. Einige Augenblicke lang sagte keiner von beiden was, dann brach Crys das verlegene Schweigen.

„Sie sind trotzdem ein schönes Paar", versicherte sie Niida. „Auch nach diesem Zwischenfall. Außerdem kriselt es in jeder Beziehung einmal."

„Ich möchte jetzt ehrlich gesagt nicht über die beiden reden", entgegnete Niida und sah sie aufmerksam an. „Hast du vorhin echt... um mich Angst gehabt?"

Crys brachte diese Antwort nicht heraus. Das Blut schoss ihr in die Ohren, als sie nickte. Sie kam sich vor wie eine Jungfrau, der gerade von Casanova erklärt wurde, woher die kleinen Babys wirklich kamen. „Ja", murmelte sie beinahe unhörbar. Nun wurde Niida auch wieder rot.

„Scheint so, als hätten deine Kameraden aus Galbadia Erfolg gehabt, was?", bemerkte er völlig verlegen. Verdammt, wieso fühlte er sich auf einmal wie ein Opernsänger auf der Bühne, dem gerade eingefallen war, dass er den falschen Text gelernt hatte? „Jetzt haben sie's wirklich geschafft, dich zu verkuppeln."

„Ja." Crys sah sich verstohlen um. Nein, zum Glück war keiner von ihren Kollegen da. Die Röte in ihrem Gesicht nahm ein bisschen ab, von blühende Rose auf Sonnenuntergang. „Scheint wirklich so. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, das nicht zuzulassen." Ihr Lächeln wirkte ein bisschen gequält. „Ich hab anscheinend immer Pech."

„Wie kannst du das sagen?", empörte sich Niida theatralisch. „Wo du doch an mich geraten bist, den Herausforderer wildgewordener Übermenschen?"

Diesmal wirkte ihr Lachen echt und befreiend. „Tja, da es nun einmal geschehen ist... möchtest du mich jetzt nicht auf ein Getränk einladen?"

Seine Lippen verzogen sich gequält. „Reicht es denn nicht, dass ich dich vor allem Übel beschützt habe?", fragte er.

„Nein. Schließlich werde ich bald das blöde Gekicher meiner Kollegen überall hören... also möchte ich wenigstens, dass es sich lohnt."

„Aufwachen, Quistis! Aufwachen, wir sind da!"

Nach einigen nicht ernst gemeinten Ohrfeigen kam Quistis wieder zu sich. Brummend versuchte sie die angreifende Hand von sich fernzuhalten, aber diese ließ nicht locker, bis sie die Augen wieder aufschlug.

„Na, hast du gut geschlafen, Liebes?", fragte Edea. Quistis' Kopf ruhte auf dem Schoß ihrer Mutter und das offenbar schon ziemlich lange. „War es denn so ein Schock?"

„Mama", murmelte Quistis verlegen und setzte sich rasch auf. „Was sollen denn die Kinder von mir denken, wenn du mich behandelst wie ein Baby?"

„Kiros hat ihnen schon erklärt, was dich so umgehauen hat", entgegnete Edea ungerührt. „Und außerdem bist du wie sie mein Kind, das ich großgezogen habe. Also ist das nichts Unanständiges."

„Schon gut", gab Quistis nach und sah sich nach den anderen um. Ward hatte das Hovercraft bei einem neuen Händler abgestellt, der diese Dinger offenbar mit großem Erfolg vermietete. Momentan waren er und Kiros gerade dabei, die Kinder daran zu hindern, sich sofort in das Leben der Großstadt zu stürzen. „Es war schön, ich gebe es ja zu... aber es ist ein wenig peinlich, Mama."

„Schade", meinte Edea schulterzuckend und stand auf. „Na schön, steigen wir aus. Laguna erwartet uns bereits. War es übrigens wirklich so schlimm?"

„Es war furchtbar", bestätigte Quistis und schauderte. „Noch viel schlimmer als damals im Kampf gegen Griever. Der hat uns ja wenigstens nur einen Zauber vollständig gezogen, und das war schon unangenehm. Aber den gesamten Magievorrat auf einmal zu verlieren... dagegen war Griever sanft wie ein Lamm."

„Vielleicht weiß Laguna ja mehr darüber", tröstete Edea sie. „Kiros und Ward sind ja verdächtig verschwiegen."

Es dauerte diesmal etwas länger, um zur Residenz zu gelangen, da die Kinder natürlich alles bestaunen mussten, aber schließlich standen sie doch vor der imposanten Tür, hinter der sich der Präsident von Esthar verbarg.

„Seid auf jeden Fall höflich", mahnte Quistis die Kinder. „Vor allem du, Aniery! Dass du Laguna ja nicht so anpflaumst wie Kiros und Ward vorhin!"

„Das macht doch nichts", stellte Kiros trocken fest. „Laguna ist das gewöhnt. Immerhin ist er Präsident." Mit diesen Worten öffnete er die Tür. „He, Laguna", rief er in den Raum. „Hier sind ein paar Leute, die dich was fragen wollen!"

„Lass sie draußen warten, Kiros", klang eine Mädchenstimme zu ihnen heraus. „Onkel Laguna hat gerade Wichtigeres zu tun!"

„Wer ist das denn?", fragte Eclisa leise. „Kennst du die, Tante Quistie?"

„Das ist eine sehr alte Freundin, Eclisa", entgegnete Quistis lächelnd. „Beleidige sie nicht."

„Wie ich sehe, haben deine Manieren gelitten, seit du hier bei deinem sauberen Herrn Onkel wohnst, Ellione", rief Edea mit strenger Stimme zurück und trat durch die Tür. „Vielleicht wäre es doch besser gewesen, du wärest im Waisenhaus geblieben. Dann wärest du nicht so missraten wie jetzt!"

„Edea!" Elliones Stimme war freudig, als sie auf die Hexe zurannte und sie stürmisch umarmte. „Tut mir Leid, tut mir soooo Leid, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Was machst du denn hier?"

Edea ließ die Umarmung des Mädchens eine Weile über sich ergehen, dann löste sie sich. „Ich bin hier, um deinem Onkel die Meinung zu sagen. Inzwischen könntest du ja die Kinder hier übernehmen. Quistis macht sich zwar ganz gut, aber du hast mehr Erfahrung als sie."

„Quistis?" Als diese hinter Edea hervortrat, wurde auch sie von Ellione umarmt. „Wie schön, dich endlich einmal wiederzusehen! Warum bist du bloß nie gekommen, um uns zu besuchen? Du hast uns gefehlt, wenn Squall und die anderen gekommen sind."

Quistis schluckte hart. „Ich glaube, du weißt, warum ich nicht gekommen bin", flüsterte sie Ell zu. „Reden wir jetzt bitte nicht darüber."

„Natürlich", stimmte Ell zu. „Hauptsache, du bist da und hilfst uns bei den Hochzeitsvorbereitungen. Onkel Laguna ist hoffnungslos damit überfordert und ich bin nicht immer da, um ihm zu helfen."

„Tante Quistie?", verlangte Tinill zu wissen. „Wer ist das?"

„Tante?", fragte Ellione grinsend. Dann ging sie vor dem Mädchen in die Knie. „Wie heißt du denn, Kleine?"

„Ich bin Tinill und bin nicht klein", gab diese zurück.

„Na gut", erwiderte Ell immer noch freundlich. „Weißt du, ich war auch mal Tante in Edeas Waisenhaus, so wie Quistis jetzt. Als Squall, Xell, Selphie, Irvine und Cifer zusammen mit ihr dort wohnten, war ich ihre große Schwester, an die sie sich immer wenden konnten... was sie auch reichlich oft taten." Auf ihren Seitenblick reagierte Quistis nur mit einem verärgerten Schnauben. „Ist Quistis eine gute Tante?"

„Sie hat ganz allein fünf Monster besiegt", warf Aniery ein. Er wirkte stolz, als habe er es selbst vollbracht. „Sie ist eine große Kriegerin."

„Danach habe ich aber nicht gefragt", tadelte Ell ihn. „Ich wollte wissen, ob sie eine gute Tante ist, nicht ob sie eine gute Kämpferin ist. Das weiß ich schon viel länger als ihr."

Eclisa hängte sich an Quistis' Fuß und sah Ell herausfordernd an. „Tante Quistie ist die beste Freundin der Welt", verkündete sie. „Sie ist immer nett zu uns, auch wenn wir frech sind. Und sie sieht sich meine Zeichnungen an, auch wenn sie zu tun hat. Sie mag uns genau so gern wie Mama Edea!"

„Stimmt das?", fragte Ell mit hochgezogener Augenbraue.

„Tante Quistie ist immer gerecht", antwortete Veshore leise. „Sie hat Aniery dazu gebracht, mir mein Schwert zurückzugeben."

„Du hast ihm sein Schwert weggenommen?"

Aniery murmelte etwas Unverständliches, dann wich er aus: „Willst du etwa behaupten, du wärst eine bessere Tante als Quistis?"

„Nein." Ell stand auf. „Gratuliere, Quistis. Diese Kinder haben dich ganz in ihr Herz geschlossen. Ich weiß wirklich nicht, warum Edea an dir herummeckert."

„Ach, hört schon auf", rief Quistis, die ein bisschen rot geworden war. „Das sagt ihr doch alle nur, damit ihr euch zuhause mehr erlauben könnt!"

„Nein", tönte es aus mehreren Kinderkehlen zurück.

„Komm, ich nehme dir die kleinen Quälgeister ab, bevor sie dich noch verlegener machen", bot Ellione grinsend an. „Ich zeige ihnen Esthar, bis ihr hier mit Onkel Laguna fertig seid."

„Danke", sagte Quistis dankbar. So rührend die offenen Liebesbezeugungen der Kinder auch waren... etwas peinlich war es vor Ellione schon. Sie winkte den Kindern kurz zu und ging dann zu Edea und Laguna hinüber. Die Hexe stand vor dem Schreibtisch des Präsidenten und hörte sich offenbar gerade die Neuigkeiten aus aller Welt an.

„... also können wir vorläufig keine Leute zu euch schicken, Edea", verkündete Laguna gerade. Es klang wirklich bedauernd. „Es tut mir Leid, aber die Sicherheit meiner Stadt hat Vorrang."

„Was hab ich denn verpasst?", schaltete sich Quistis ein.

„Hallo, Quistis", antwortete Laguna und zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. „Lange nicht gesehen. Ich habe deiner Mutter gerade erklärt, dass nicht nur dir auf einen Schlag sämtliche Zauber abhanden gekommen sind. Offenbar ist dieses Phänomen in Galbadia, Dollet, Winhill und dem gesamten Centra-Kontinent aufgetreten."

„Was? Das ist ja die halbe Welt?"

„Richtig. Überall wurde die Armee mobilisiert, denn wenn die Monster bemerken, dass nirgends mehr Zauber ausgeübt werden kann, werden sie die Städte stürmen! Und Direktor Cid hat mich davon in Kenntnis gesetzt, dass Squall und die anderen etwas entdeckt haben, das anscheinend was damit zu tun hat. Aber ich weiß selbst nicht halb so viel, wie es mir Recht wäre. Der Balamb Garden kommt ohnehin wegen der Hochzeit her, bei der Gelegenheit können sie es uns gleich erklären."

„Sind Rinoa und Squall denn nicht hier?", wunderte sich Edea. „Ich dachte, Kiros und Ward hätten so was gesagt. Nicht wahr?", wandte sie sich an die beiden Berater des Präsidenten.

„Ja, die beiden sind heute angekommen und gleich nach der Begrüßung zu Professor Odyne marschiert. Haben irgendwas von einer unbekannten Kraft gefaselt. Ich und Ward sind jedenfalls nicht draus schlau geworden." Ward nickte zustimmend.

„Ich auch nicht", gab Laguna zu. Sein Gesicht war ungewohnt düster. „Die beiden sagten irgendetwas davon, dass sie sich eine Weile von uns fernhalten würden, weil sie auf etwas gestoßen sind, das niemand kennt. Jedenfalls haben sie sich sofort zurückgezogen, als hätten sie Angst, sie würden uns Unglück bringen. Ich habe ihnen den Schmerz ansehen können, Edea."

Quistis krampfte sich einerseits das Herz zusammen, als sie Laguna so über ihre Freunde reden hörte, andererseits war sie dennoch ein wenig erleichtert, dass sie den beiden nicht sofort gegenübertreten musste. „Wo sind sie denn jetzt?", wollte sie wissen.

„Sie haben die Ragnarok genommen und sind abgehauen", antwortete der Präsident und lehnte sich zurück. „Ich habe keine Ahnung, wo sie momentan sind. Ich hoffe nur, sie vergessen nicht ihre eigene Hochzeit. Immerhin mühe ich mich hier bis zum Exitus für sie ab!"

„Ich bin sicher, sie werden es dir danken", erwiderte Edea lächelnd. „Spätestens, wenn sie deinem ersten Enkel deinen Namen geben."

„Gott bewahre", rief Laguna aus. „Ich bin noch zu jung für Enkel! Verschont mich bitte mit diesem Thema!"

„Na schön. Da wir jetzt ohnehin nicht wegkönnen, kannst du uns ruhig sagen, was für die Hochzeit noch zu erledigen ist." Edea klang sehr bestimmt. „Immerhin geht es auch um meinen Sohn, nicht nur um deinen."

„In Ordnung", seufzte Laguna. „Ich bin heute nicht mehr kräftig genug für eine Diskussion. Kommt her."

„Was ist das denn?", fragte Quistis, als sie einen geöffneten und zerrissenen Briefumschlag sah, der zuoberst auf dem Schreibtisch lag.

Lagunas Gesicht verdüsterte sich. „Das ist der Grund, warum ich vermutlich ein Magengeschwür bekommen werde", entgegnete er. „Ein Wichtigtuer, der jedes Ereignis nutzt, um politische Macht zu erlangen. Er heißt Crannox Jeed und trat zum ersten Mal kurz nach eurem Kampf gegen – Entschuldigung, Quistis – den Monsterbeschwörer auf. Er möchte unbedingt Präsident von Esthar werden, egal wie."

„Ich dachte, dir ist der Job zuwider?", erkundigte sich Edea. „Wieso lässt du ihn dann nicht ran? Ich wette, in ein paar Tagen würde er dich anflehen, ihn wieder abzulösen."

Laguna schnaubte. „Wenn ich dem Kerl auch nur ein bisschen politisches Rückgrat zutrauen würde, wäre ich schon längst draußen und würde Fotoreportagen machen!", erwiderte er. „Aber alles, was Jeed bis jetzt verlautbaren ließ, waren Verleumdungen und unbewiesene Anklagen. Einem solchen Typen will ich Esthar nicht überlassen."

„Da hast du Recht", pflichtete ihm Quistis bei. „Aber was hat er geschrieben?"

„Dass ich Squalls und Rinoas Hochzeit nur als Vorwand benütze, um einen Pakt mit Galbadia zu schließen und einen Eroberungskrieg gegen die Welt zu beginnen. Natürlich etwas freundlicher formuliert."

„Aber das ist doch völlig absurd!", protestierte die blonde Frau. „Du bist einer der friedliebendsten Menschen, die ich kenne!"

Laguna lächelte kurz. „Vielen Dank. Aber noch ist dieser Idiot kein Problem. Gefährlich wird es erst, wenn auch auf dem Esthar-Kontinent die Magie verschwindet... denn gerade dann bräuchte ich Einigkeit in Esthar, um die Stadt im Notfall verteidigen zu können!"

„Glaubst du denn wirklich, die Menschen würden auf diese Verleumdungen hören?", fragte Edea ungläubig.

„Gerade du müsstest eigentlich aus Galbadia wissen, worauf die Menschen hören, wenn sie vor etwas Angst haben." Laguna schüttelte den Kopf. „Wenn du ihnen einen Sündenbock präsentierst, glauben sie dir alles."

„Laguna, du darfst verdammt noch mal nicht einfach aufgeben", schimpfte Quistis. „Wenn unsere Freunde erst hier sind, dann hast du starke Verbündete, um die Stadt notfalls auch allein verteidigen zu können! Und wenn die Gefahr erst mal vorüber ist, werden sich die Leute schon wieder beruhigen."

Laguna blickte sie erstaunt an. „Ja, du hast Recht", gestand er schließlich. „Wir sollten uns jetzt wichtigeren Themen zuwenden. Was haltet ihr davon, wenn Rinoa Flügel an ihr Hochzeitskleid genäht bekommt?" Auf die verdutzten Blicke der beiden Frauen versicherte er schnell: „Das war Ells Idee!"

„Was ist nur in Sie gefahren?" Xell hatte Direktor Cid noch niemals so wütend erlebt. Der unscheinbare Mann wuchs gerade über sich selbst hinaus. „Kaum haben wir die anderen Gardens so weit, dass sie ihre Kadetten mit uns nach Esthar fahren lassen, haben Sie nichts besseres zu tun, als sich in Lebensgefahr zu bringen?"

„Zu unserer Verteidigung, Direktor Cid: Selphie und ich hätten Irvine..."

„Schweigen Sie, Xell!", unterbrach ihn Cid. „Mit Ihnen rede ich später. Also, wer von Ihnen hat Kinneas provoziert?"

Als Niida vortreten wollte, hielten ihn beide Mädchen zurück. Erstaunt blickte er sie an. Crys schüttelte den Kopf und trat selbst vor. Selphie ebenfalls.

„Sie beide?" Cid runzelte die Stirn. „Wieso ausgerechnet Sie, Selphie? Ich dachte, Sie wären mit Irvine befreundet?"

Selphie schluckte. Sie spürte, wie abermals Tränen in ihr emporstiegen. „Das stimmt, Direktor", bestätigte sie ohne ihren gewöhnlichen Sprachfehler. Wenn sie sehr niedergeschlagen war, verschwand dieses lustige Erkennungsmerkmal des Mädchens, so wie damals, als sie Irvine nach der Schlacht um Esthar für tot gehalten hatte. „Aber... ich wollte ihn eifersüchtig machen. Es sollte nur so aussehen, als wollte ich nichts mehr von ihm wissen, damit er mir dann wieder seine volle Aufmerksamkeit widmet."

„Eifersüchtig?"

„Wegen mir, Direktor", gab Crys mit gesenktem Kopf zu. „Irvine und ich waren früher einmal ein Paar. Als Selphie zu erkennen gab, dass sie ihn necken wollte, sah ich meine Chance, ihm auch einmal die Meinung zu sagen."

„Und was haben Sie mit der Sache zu tun, Niida?", fragte Cid. „Ich habe nicht übersehen, dass Sie vortreten wollten."

„Irvine beleidigte Crys im Rausch, Herr Direktor", antwortete der Junge. Die Nervosität war ihm anzusehen. „Ich fuhr ihn an, er solle sich entschuldigen und stellte mich ihm in den Weg. Er schleuderte mich davon, und im nächsten Moment wurde er von Xell niedergeschlagen."

Cids Augenbrauen fuhren in die Höhe und er sah Xell erwartungsvoll an.

„Nicht ernsthaft, Direktor", versicherte der Faustkämpfer. „Ich habe ihn nur bewusstlos geschlagen. Wenn er aufwacht, wird er zwar noch Bauchschmerzen haben, aber ich habe ihn nicht ernsthaft verletzt."

„Hmmm." Cid ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. „Was soll ich jetzt mit Ihnen machen?" Eine geschlagene Minute lang überlegte er still, während die Kadetten immer zappliger wurden. Dann richtete er sich auf. Alle vier Schüler nahmen Haltung an.

„Schön. Die Sache ist passiert. Ich hoffe, dass sie sich nicht allzu weit herumspricht, obwohl ich nicht viel Hoffnung habe. Sie brauchen nicht zu fürchten, dass Sie von der Schule fliegen oder so etwas." Bevor jemand erleichtert aufatmen konnte, fuhr er jedoch fort: „Dennoch verdienen Sie Bestrafung. Xell, Sie haben zwar verhindert, dass die Situation eskalierte, aber als Schulsprecher-Stellvertreter dieses Gardens hätten Sie erkennen müssen, wann Irvine sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Sie werden daher hier in Balamb bleiben, bis wir sicher sind, dass die Krise mit der Forschungsinsel gebannt ist. Da der Garden in Esthar sein wird und die anderen beiden Gardens in Galbadia und Dollet nach dem Rechten sehen, braucht ihre Heimatstadt jeden Schutz."

„Und was ist mit der Hochzeit,... Direktor?", brachte Xell hervor.

„Sofern diese Krise vor der Hochzeit beigelegt werden kann, werden Sie sie miterleben", versprach Cid. „Wenn nicht, können Sie nur darauf bauen, dass Squall und Rinoa auf Sie warten wollen. Verstanden?"

Xell schluckte. „Ja."

„Gut." Cid blickte Niida und Crys an, die etwas bleich geworden waren. Sie schienen zu ahnen, dass Xell noch am besten von ihnen weggekommen war. „Niida, Ihre Absichten waren sehr nobel", versicherte Cid dem Jungen. „Allerdings scheinen Sie sich nicht im Klaren zu sein, wie leichtsinnig es war, Irvine Kinneas noch weiter zu reizen. Und Sie, junge Dame, Ihnen ist hoffentlich klar, dass ich Sie, wenn Sie Schülerin meines Gardens wären, auch härter bestrafen würde! Es war unverantwortlich, wie Sie gehandelt haben. Sie beide werden während der Hochzeitsfeier hier im Garden bleiben. Meinetwegen können Sie sich die Fernsehübertragung ansehen, aber Sie werden nicht selbst bei der Hochzeit anwesend sein! Habe ich mich klar ausgedrückt?"

Nun wurden die beiden wirklich weiß. Aber sie wussten, dass Einspruch zwecklos war. Sie sahen sich mit schreckensgeweiteten Augen an. Crys war extra aus Galbadia angereist, um zur Hochzeit zu kommen und Niida war in Squalls Klasse gewesen. Es war ein harter Schlag, nun zu erfahren, dass sie nicht bei diesem Ereignis anwesend sein durften. Cid würdigte sie jedoch keines Blickes mehr und wandte sich an Selphie. Seine Miene verdüsterte sich.

„Was nun Sie und Irvine betrifft", verkündete er mit tödlicher Ruhe. „Wegen Ihres unreifen Verhaltens wurden Menschenleben in Gefahr gebracht, Ihres genauso wie die schwächerer Menschen. Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen beiden." Er machte eine Pause, als er sah, dass nun wirklich Tränen über Selphies Wange liefen. „Ich werde Squall selbstverständlich von Ihrem Fehler berichten. Er mag selbst beurteilen, was Ihrer Strafe sonst noch hinzuzufügen ist, aber... Sie werden sofort, wenn wir in Esthar angekommen sind, mit der Ragnarok die Forschungsinsel suchen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie das Geheimnis aufklären. Sollten Sie dies nicht bis zur Hochzeit schaffen, ist das Ihr Problem, aber denken Sie bitte daran, dass nicht nur Sie dann diese Feier verpassen."

Er warf einen Blick auf Xell, der fassungslos erlebte, wie ihr ehemaliger Ziehvater nun als Racheengel fungierte. „Xell hat Sie beide davor bewahrt, von der Schule zu fliegen. Wenn Sie sich nicht beeilen, wird auch er die Hochzeit verpassen, denken Sie daran, Selphie. Ach, und noch etwas: Wenn Sie von dieser Mission zurück sind, werden Sie beide unverzüglich Ihre GF abgeben! Zwei Monate Unterricht ohne sie kann Ihnen nicht schaden, auch wenn Sie so nicht mehr mit Squall überall hin fliegen können!"

„Ja, Direktor", krächzte Selphie. Das sonst so lebenslustige Mädchen sah so elend aus, dass sich selbst das Herz des wütenden Direktors zusammenkrampfte, aber er durfte nicht mehr nachgeben. Selphie, Squall, Rinoa und die anderen waren Helden. Wenn man ihnen aber deshalb alles durchgehen ließ, besonders solch einen Fehler, würden viele andere Schüler aufschreien und sie zu hassen beginnen. Es war nötig, sie zu bestrafen.

„Gut. Sie werden Irvine mitteilen, was ihn erwartet, sobald er aufwacht. Ich erwarte, dass Sie sich bei ihm für Ihr Verhalten entschuldigen, ist das klar?"

Selphie nickte lediglich. „Das hatte ich ohnehin vor", flüsterte sie so leise, dass nur sie es verstehen konnte.

Cid ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. Ihm graute vor sich selbst, wenn er sah, was er dreien der Kinder, die Edea und er aufgezogen hatten, antun musste. Manchmal hasste er seinen Job. „Niida, Sie steuern sofort den Garden nach Esthar", verkündete er. „Wenn Sie wollen, können Sie ihn begleiten, Crys. Die anderen, wegtreten!"

Niida und Crys, die sichtlich eingeschüchtert waren, beeilten sich, zum Aufzug und damit aus der Nähe des Direktors zu kommen. Xell und Selphie sahen sich immerhin noch imstande, den SEED-Gruß zu vollführen. Dann gingen sie benommen aus dem Zimmer.

„Ich kann's noch gar nicht fassen, dass er das gesagt hat", murmelte Xell, als sie in den ersten Stock fuhren. „Na schön, es wird ganz gut tun, meine Mutter mal wiederzusehen, aber wenn ich deshalb die Hochzeit versäume..."

„Bitte rede nicht davon", rief Selphie aus und hielt sich die Hände vors Gesicht. „Damit erinnerst du mich nur daran, dass ich auch für dich verantwortlich bin!" Das Mädchen zitterte, als es wieder zu weinen begann.

„Nicht doch, nicht doch, Sephie", sagte Xell bestürzt. Zögernd legte er seine Arme um das Mädchen und drückte es leicht an sich. „Red dir nicht ein, dass es nur deine Schuld war. Ich hätte auch früher merken müssen, dass Irvine nicht mehr ertragen kann."

„Xell", schniefte Selphie leise. „Bist du böse auf mich?"

„Nicht wirklich", murmelte der Junge. Es war komisch, Selphie im Arm zu halten. Sie war wie eine kleine, verspielte Schwester für ihn... deshalb konnte man ihr eigentlich auch nicht lange böse sein. „Du hast zwar Mist gebaut, aber irgendwann musstest du dich mit Irvine auch mal in die Haare kriegen. Wenn du dich jetzt bei ihm entschuldigst und ihm alles beichtest, dann wird das Vertrauen zwischen euch noch stärker werden."

„Bist duuu dir sicher?", fragte sie mit einem Ansatz von Hoffnung (und Sprachfehler).

„Ja. Squall und Rinoa haben auch schon den einen oder anderen Streit hinter sich. Zwar keinen so ernsten wie ihr, aber trotzdem haben sie nachher nur noch mehr geknutscht. Aber bitte lass mich nicht dabei sein, wenn das mit Irvine passiert, ja?"

„Geeeeeht klar!", rief Selphie, umarmte ihn impulsiv und wischte ihre Tränen in sein Hemd. „Ich weiß ja, was du von übertriebenem Küssen hältst. Daaaaanke, Xell!"

Schon war sie aus dem Aufzug raus und rannte in Richtung Quartiere. Kopfschüttelnd stieg Xell ebenfalls aus und seufzte. Dann sollte er wohl auch seine Sachen packen, schließlich wusste er nicht, wie lange Selphie und Irvine tatsächlich brauchen würden, obwohl er sich sicher war, dass sie sich beeilen würden. Andererseits... wenn Balamb völlig ohne Schutz wäre, während er in Esthar war, das hätte er sich auch nicht verziehen. Das Leben war voller ungerechter Zufälle!

„Worauf warten wir hier eigentlich, Squall?", fragte Rinoa ungeduldig. „Wir stehen jetzt schon seit fünf Minuten rum. Sagst du mir endlich, wieso?"

„Entschuldige", meinte Squall. „Aber weißt du nicht mehr, was in dieser Legende über das Wiederbeleben von GF stand?"

„Ich weiß nur, dass wir einen Haufen G-Returner bei uns haben", begehrte sie hitzig auf. „Wieso versuchen wirs nicht erst damit?"

„Wie denn?", verlangte der Junge zu wissen. „Odin ist nicht gekoppelt. Womit willst du einen G-Returner benutzen?"

„Weißt du, dass kein Mensch Klugscheißer mag?", brummte Rinoa.

„Außer du einen ganz bestimmten Klugscheißer, oder?", entgegnete er ruhig und starrte wieder in die Wüste. Wieso ließ sich heute nur kein einziges Monster blicken? „Laufen wir ein bisschen", schlug er vor. „Sonst warten wir hier noch ewig."

„Glaubst du wirklich an das, was in diesem Papier steht, Squall?", erkundigte sich Rinoa nach einer Weile. „Dieses Die freien Geister zu töten, ist nahezu unmöglich, da sie nur den kurzen Augenblick ihres Angriffs in unsere Welt wechseln? Oder Sollte eine dieser GF jedoch den Tod finden, ist es nahezu unmöglich, sie wiederzubeleben. Während für die koppelbaren GF schon seit Jahren die Möglichkeit der G-Returner besteht, gab es noch nie in der Geschichte einen Fall, in dem ein unkoppelbarer Geist zurückgerufen werden musste?"

„Die einzige Quelle in dieser Richtung sind bis jetzt die seltsamen Zeichen in einer geheimen Kammer in den Centra-Ruinen, die der Wissenschaft durch 6 junge SEEDs zugänglich gemacht wurde", zitierte Squall weiter. „Es ist zumindest die einzige Möglichkeit, die wir haben, Rinoa. Wie sollten wir Odin sonst zurückrufen können?"

„Ich weiß es... Obacht, Squall!", rief sie plötzlich. „Dort ist ein Qual! Aber wieso ist das Vieh so eingeschüchtert?"

„Vermutlich, weil ihm jeglicher Zauber gezogen worden ist", vermutete Squall. „So was verunsichert. Na schön, dann werden wir eben angreifen. Los!"

Es war seltsam, aber das Monster tat Squall fast Leid. Ohne seine Tod- Zauber und war es zwar lästig, aber kein wirklich gefährlicher Gegner für die beiden Kämpfer. Squall und Rinoa schläferten es ein und beschworen einige GF, bis es nur noch einen Hauch Leben besaß.

„Nicht, Rinoa", bat Squall seine Gefährtin, als diese dem Monster den Rest geben wollte. Sie sah ihn verwundert an, ließ den Angriff jedoch ruhen. Squall griff in seine Tasche, nahm eine Handvoll Grünzeug heraus und warf sie vor dem Qual auf den Boden. Bevor sich Rinoa noch wundern konnte, was das sollte, erschien Boko, die kleine Chocobo-GF, die sie vor langer Zeit in einem der Chocobo-Wälder bekommen hatten. Sein drollig aussehender Flammen-Angriff brannte die letzten Lebensfunken des Monsters weg.

„Warte!", rief Squall, als das kleine Tier wieder verschwinden wollte. Es drehte verwundert den Kopf zu ihm und starrte ihn an. „Wir müssen mit Gilgamesh sprechen", bat der Junge schnell, schließlich wusste er nicht, wie lange sich der junge Chocobo aufhalten lassen würde. „Weißt du, wie wir ihn erreichen können?"

„Das war dein Plan?" Rinoas Stimme war bewundernd. „Darauf wäre ich nicht gekommen."

Boko stieß eine Reihe von fragenden Lauten aus, die keiner von ihnen verstand. „Es ist sehr wichtig, dass wir mit Gilgamesh sprechen", bat Squall noch einmal. „Wenn du weißt, wo er ist, dann hol ihn bitte her."

Boko sah ihn eine Zeitlang an, dann nickte er, sprang einige Male hin und her und hüpfte Squall schließlich auf den Kopf. Bevor sich der Junge wundern konnte, flog der kleine Chocobo bereits wieder in den Himmel. Squall glaubte fast, dass die Laute jetzt spöttisch klangen. Plötzlich kam ihm eine Eingebung und er durchsuchte fluchend seine Taschen.

„Das kleine Biest hat mir mein ganzes Geld geklaut!", heulte er. „Wie damals im Wald, nur noch viel gieriger!"

Rinoas Lachen war hell, aber momentan freute sich Squall nicht darüber. „Mach dir nichts draus, Squall", kicherte sie. „Ich leih dir was, wenn du was brauchst. Dafür bist du mir dann was schuldig."

Bevor Squall etwas Giftiges erwidern konnte, glühte plötzlich der Himmel über ihm auf. Er konnte nicht vermeiden, dass er zusammenzuckte, als vier Schwerter plötzlich herabfielen und sich mit einem knirschenden Geräusch in den steinharten Boden bohrten. Dann wuchs aus diesem Boden die rotgewandete Gestalt Gilgameshs empor. Der riesige Krieger blickte sich einmal um und fixierte seinen Blick dann auf die beiden Menschen vor ihm.

„Wieso habt ihr mich gerufen?", donnerte er. „Es war mein Wille, nur aus eigenen Stücken zu euch zu kommen!"

„Der macht eine ziemliche Schau, findest du nicht?", flüsterte Rinoa ihrem Freund zu. Squall nickte kurz und trat dann vor.

„Wir haben dich gerufen, weil wir deine Hilfe brauchen, Gilgamesh!", rief er.

„Hilfe?" Die GF kniff die strahlenden Augen zusammen. „Du und deine Gefährtin, ihr seid sehr stark. Noch dazu kenne ich diese Welt nicht. Was sollte ich tun?"

„Nicht im Kampf", versicherte Squall. Allmählich bekam er einen steifen Hals. „Erinnerst du dich noch, als du Odins Axt bekamst?"

„Ah", erinnerte sich Gilgamesh. Seine Hand strich über den Griff der Waffe. „Eine hervorragende Klinge, fürwahr! Das tödlichste Eisen, welches ich je führen durfte!"

„Odin wurde von dem Kämpfer getötet, den du in unserer Welt als ersten bezwungen hast", erklärte Squall. „Aber wir benötigen dringend Odins Rat. Es geht um die Regeln des Kampfes unserer Welt."

Gilgameshs Augen wurden schmal. „Wie?", schrie er. „Ein schwächlicher Menschenwurm hat es gewagt, den Wächter eurer Welt zu töten? Welch ein Dummkopf! Ist er tot?"

„Nein", gab Rinoa zu, die an die Seite ihres Freundes trat. „Aber wir haben ihm und seiner Herrin ganz schön Feuer unterm Hintern gemacht."

„Wir haben ihn und seine Gebieterin besiegt und gedemütigt", übersetzte Squall auf den fragenden Blick der GF hin.

„Das ist gut." Gilgamesh hob den „Eisenschneider" hoch und wog ihn in seiner gewaltigen Faust, als wäre er ein Spielzeug. Er wirkte nachdenklich, soweit man das seinem steinernen Gesicht ablesen konnte. „Wobei benötigt ihr mich?"

„Wir wollen versuchen, Odin wiederzuerwecken", erklärte Squall. Sein Puls begann zu rasen. Was war, wenn Gilgamesh nicht mitmachte? Er wollte nicht gegen diese unberechenbare GF kämpfen. Und noch weniger wollte er Rinoa in Gefahr wissen. „In einer alten Legende haben wir eine Möglichkeit gefunden. Dazu müssen wir an Odins Heimatort sein Bildnis, einen G-Returner und seinen wertvollsten Besitz platzieren und einen Wiederbelebungszauber darauf sprechen. Und der „Eisenschneider" ist Odins unschlagbare Waffe – sein wichtigster Besitz."

„Ich verstehe." Gilgamesh blickte zunächst Squall, dann die Axt, dann Rinoa an. Er seufzte. „So muss ich denn wieder weitersuchen. Führt mich, kleine Kämpfer! Wo wollt ihr euren Wächter wiedererwecken?"

„Diabolos!", murmelte Rinoa. „Bitte keine Gegner jetzt, ja?" Die höllische GF fauchte aus ihrer Welt, gab die „Gegner 0%"-Ability jedoch frei. Sie schien in den letzten Tagen noch gereizter zu sein als sonst. Dann schloss sich das Mädchen Squall an, der in die Centra-Ruinen hineinrannte. Sie sah nicht nach hinten, aber gelegentlich hörte sie schwere Schritte, die auf Gilgamesh hindeuteten. Allerdings hörte sie keinen Atem. Das beunruhigte sie etwas.

Squall führte sie in Odins Kammer. Zum Glück war die geheime Tür noch immer geöffnet, seit Odin diesen Wohnsitz mit ihnen verlassen hatte. Vor dem riesigen Thron der mächtigen GF legte Squall die Triple-Triad-Karte von Odin und einen G-Returner ab, dann trat er zurück. Wortlos kam Gilgamesh herein, sah sich eine Weile lang um und legte dann ohne ein Wort den „Eisenschneider" zu den beiden Dingen. Dann sah er Squall fragend an. Dieser gab Rinoa einen Wink. Das Mädchen grinste und hob gebieterisch die Hand.

„Erzengel!", rief sie laut aus.

Göttliches Licht erstrahlte, als drei Federn auf die drei Dinge herabschwebten. Die Spielkarte begann zu leuchten und der G-Returner pulsierte in blauem Licht. Der „Eisenschneider" fing plötzlich an, einem Meter über dem Boden zu schweben. Und dann, von einem Moment auf den anderen, verschwanden die Karte und der G-Returner und eine gepanzerte Hand griff nach der mächtigen Waffe. Squall blinzelte. Er hätte schwören können, dass vor einer Sekunde noch nichts an dieser Stelle gewesen war, wo jetzt Odins Pferd mit den Hufen scharrte. Auf ihm thronte mit steinerner Miene der Wächter selbst, die wiederbelebte GF Odin!

„Was ist geschehen?", verlangte er zu wissen. Er blickte Rinoa und Squall fragend an, erst nach einigen Sekunden glomm Erkennen in seinen uralten Augen. „Ihr... ihr seid die nicht ganz so schwachen Menschen, denen ich mein Schwert darbot", erkannte er. „Habt ihr mich hierher zurückgerufen?" Dann erst bemerkte er Gilgamesh, der hinter ihm stand. „Und du?", verlangte er zu wissen. „Du scheinst ein Wesen wie ich zu sein... und dennoch weiß ich, dass du nicht mein Bruder bist. Wer bist du?"

„Mein Name ist Gilgamesh", sprach die GF so würdevoll wie möglich. Es schien ihr schwer zu fallen, mit jemandem zu sprechen, der mächtiger war als sie selbst. „Ich habe dein Schwert verwahrt."

Odin sah ihn prüfend an. „Ich danke dir", bekannte er schließlich. „Es fiel mir schwer genug im Jenseits zu akzeptieren, dass ein Mensch mich besiegte, aber der Gedanke, jemand könnte in meiner Abwesenheit die Regeln brechen, war mir unerträglich. Meine Herrin und ich schulden dir viel,... Gilgamesh."

„Ihr könnt mir aber nichts geben", entgegnete der Krieger düster. „Wenn ich nicht vier Schwerter sammle, darf ich nicht in einer Welt bleiben. Nun fehlt aber wieder eines. Ich muss weiterziehen und ein neues suchen."

„Nur Schwerter?", fragte Rinoa. „Schwerter gibt's doch wie Sand am Meer, oder nicht?"

„Es muss das Schwert eines wahren Kämpfers sein", belehrte sie Gilgamesh. „Diese zwei Klingen gehören mir", erklärte er, während er auf Excalibur und Excalipoor deutete, „diese hier fiel mir zu, als ein starker, aber fehlgeleiteter Krieger in einer noch seltsameren Welt als der euren starb", sagte er und deutete auf Masamune. „Aber das vierte Schwert wurde zurückgegeben. Nun muss ich wieder mit meiner Suche beginnen."

„Solltest du das vierte Schwert finden, Bruder", verkündete Odin mit seiner volltönenden Stimme, „dann gewährt dir meine Herrin das Recht, hier zu leben. Leb wohl."

Im selben Moment löste sich Gilgamesh in Luft auf, genau so schnell, wie Odin vorher aufgetaucht war. Einen Moment lang starrte die GF noch auf die Stelle, wo der unglückliche Krieger verschwunden war, dann wendete er das Pferd und sah wieder Squall und Rinoa an. In seiner Stimme lag nicht das kleinste bisschen Demut.

„Weshalb habt ihr mich wiedererweckt, Menschenkrieger?", verlangte er zu wissen.

Beinahe wäre Squall bei diesem stählernen Befehlston zusammengezuckt, aber er beherrschte sich. „Rinoa... meine Gefährtin und ich haben etwas entdeckt, das uns kein Mensch erklären kann", fing er an, den schrägen Blick Rinoas ignorierend. „In einem unserer Kämpfe erreichte sie ihr Limit. Bevor sie es jedoch anwenden konnte, verband uns plötzlich ein weißes Band. Meine Waffe wurde mit starken Zaubern aufgeladen und meine eigene Spezialtechnik dadurch enorm verstärkt. Diese Kraft war so immens wie nichts anderes, das wir kennen."

Odin ließ den starren Blick seiner alten Augen lange auf Squall ruhen, bevor er sprach: „Ist dies Menschenmädchen deine Erwählte?"

Rinoa griff nach Squalls Arm und hängte sich demonstrativ daran. „Wir lieben uns", rief sie. „Ich würde Squall um nichts in der Welt verlieren wollen!"

„Ist es möglich, Herrin?", fragte die GF scheinbar zu niemandem. „Kann es sein, dass diese unscheinbaren Menschen dieses Geheimnis des Kampfes schon so früh gelöst haben?"

„Redest du etwa... mit der Göttin Hyne?", fragte Squall vorsichtig.

„Göttin?" Odin runzelte die Stirn. „Ja, für euch ist sie das wohl. Für mich ist sie die Herrin, denn sie hat mich und meine Geschwister erschaffen. Sie beobachtet euch schon lange, kleiner Mensch, wusstest du das nicht? Dich und deine Gefährten. Sie sagt, dass ihr Vertrauen, die Menschen würden eines Tages alle Geheimnisse des Kampfes beherrschen, durch euch wieder gestärkt wurde." Odins Augen strahlten das erste Mal nicht überheblich, sondern erstaunt, ja, sogar respektvoll. „Ja, ihr habt wahre Großtaten vollbracht, wie ich höre."

„Odin", wandte sich Squall wieder an die GF. „Dieses Geheimnis... wir wissen, dass unsere Kräfte verschmolzen, als einer von uns in Gefahr war. Aber warum passierte das ausgerechnet uns? Und warum jetzt?"

„Was ihr mir beschrieben habt, war die KI-Fusion", erwiderte Odin gewichtig. „Es bedarf einiger Voraussetzungen, damit sie geschehen kann. Als erstes müssen diese beiden Menschen große magische und körperliche Kräfte verfügen. Sehr mächtige Magie ist vonnöten, um die Regeln der Herrin beugen zu können und zwei Kräfte zu vereinen. Es kann weiters nur dann gelingen, wenn zwei Menschen einander so sehr vertrauen, dass sie alles miteinander teilen... ja, alles", bestätigte er, als Rinoa und Squall beide erröteten. „Auch die Körper. Eure Art der körperlichen Vereinigung ist doch auch ein Vertrauensbeweis, oder?"

Squall glaubte nicht, dass er schon jemals so verlegen gewesen war. Er nickte.

Odin fuhr fort, als ob er nicht wüsste, welch heikles Thema er für die beiden Menschen gestreift hatte: „Ich glaube, bei euch nennt man dieses Gefühl... Liebe. Wenn die Seelen dieser zwei Kämpfer sich so nahe sind, dann kann ihre Limitkraft das Gefängnis des Körpers auf kurze Distanz verlassen und dem geliebten Menschen zu Hilfe eilen, wenn er in Gefahr ist. Dieser wird dann fähig, schier unglaubliche Leistungen zu erzielen. Noch nie in der Geschichte eures Volkes gab es ein solches Ereignis!"

„Odin", fragte Rinoa laut. Am leichten Zittern ihrer Stimme merkte Squall schon im Vorhinein, welche Frage sie stellen wollte. „Squall und ich... wir wollen heiraten." Auf den fragenden Blick der GF fügte sie rasch ein: „Wir wollen vor vielen Menschen den Eid schwören, immer zusammen zu bleiben und dem anderen beizustehen. Ist es möglich, dass die Kräfte unserer Verbindung auch ohne Kampf frei werden und unsere Freunde verletzen?"

„Habt ihr mich etwa deshalb zum Leben erweckt?" Odin zog eine Augenbraue hoch. „Meine Meinung war es immer, dass euer Volk gerne seine Macht vor anderen demonstriert."

„Nicht alle Menschen wollen über andere herrschen", widersprach Squall. „Und wenn wir jemanden verletzen wollen, dann nur durch die Kraft in uns, die wir kontrollieren können!"

„Wie konntet Ihr nur ein derartig schwieriges Volk auswählen, Herrin?", beklagte sich Odin. Sein Blick war wieder in die Ferne gerichtet. „Nach einigen Jahrhunderten glaubt man, alles über sie zu wissen... und dann kommen zwei Kinder und demonstrieren mir meine Torheit!"

Zwei Sekunden schien er einer fremden Stimme zu lauschen, die nur er hören konnte, dann sah er Rinoa nachdenklich an. „Um deine Frage zu beantworten, Menschenmädchen", redete er schließlich weiter. „Nein. Die KI-Fusion kann, wie der Name schon sagt, nur in einer Fehde eingegangen werden, bei der die Regeln der Herrin über die Kräfte der Kontrahenten gelten."

Squall fühlte unbeschreibliche Erleichterung in sich aufsteigen, aber er kam nicht dazu, sie zu zeigen, weil sich Rinoa um seinen Hals warf. Dann nahm sie ihn bei den Händen und drehte sich wie ein Kreisel an ihm herum. Squall konnte ansatzweise die Verwunderung in Odins Augen erkennen, aber gleich wurde er weitergewirbelt. Als sie schließlich stehen blieb, standen Rinoa Freudentränen in den Augen. Sie fasste mit der Hand um die beiden Ringe an ihrem Halsband.

„Jetzt können wir endlich heiraten, Squall. Nichts steht mehr zwischen uns."

„Ja", bestätigte der Junge, trat auf sie zu und legte seine Stirn auf die ihre. Einige Sekunden lang genossen sie das Gefühl der Zweisamkeit, dann flüsterte der Gunblade-Kämpfer: „Aber wenn du jemals etwas darüber verlauten lässt, dass du uns vor Odin lächerlich gemacht hast, verschwinde ich auf Niemehrwiedersehen!"

„Das schaffst du nicht", widersprach Rinoa und legte ihre Hände um Squalls Schultern. Ihre Augen blickten zugleich sanft und doch neckisch. „Und du weißt das, mein Hexenritter, mein Liebster, mein Squall." Sie zog ihn zu sich herunter und küsste ihn.

Unterbrochen wurden sie erst, als sie Odin erschrocken keuchen hörten. Verwundert sahen die beiden zu der GF hin, die anscheinend schon wieder mit Hyne kommunizierte (wenigstens hatte sie den Anstand gehabt, ihnen nicht zuzusehen). „Wie konnte das geschehen, Herrin?", fragte Odin mit weit aufgerissenen Augen. „Es ist doch unmöglich, dass jemand Ultima Weapon und Eden besiegte. Außer..." Seine Augen wanderten zu Squall und Rinoa.

Die beiden sahen sich an und nickten. Die GF erklärte ihnen jedoch nichts, sondern murmelte nur: „Also doch." Dann lauschte sie weiterhin ihrer Herrin. „Ich verstehe. Ich werde tun, was Ihr gesagt habt, Mutter."

„Mutter?", wisperte Rinoa Squall zu, aber der konnte nur mit den Schultern zucken. Wer wusste schon, wie die GF wirklich entstanden waren, ob Hyne sie erschaffen hatte wie der Monsterbeschwörer seine „Kleinen" oder ob sie... Squall verdrängte den Gedanken.

Einen Moment lang sah Odin die beiden Menschen streng an, dann steckte er das erste Mal, seit Squall ihn kannte, den „Eisenschneider" weg und ritt zu ihnen heran. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte Squall geschworen, dass die GF verlegen wirkte.

„Stellt euch bitte neben mich, Menschenkämpfer", bat er mehr, als er befahl. „Ich möchte mit meinen Brüdern und Schwestern reden", erklärte er, als die beiden sich nicht rührten. „Dazu muss ich euch berühren, denn ihr seid ihre Gebieter."

Squall trat zögernd einen Schritt nach vor und hielt Odin seine Faust hin. Auch Rinoa folgte ihm nach, aber sie bot ihm den Kopf an. Die erste GF legte seine mächtigen Pranken auf beides und schloss die Augen. Squall wusste nicht, was er erwartet hatte... aber dass er nichts spüren würde, sicher nicht. Er kam sich wie ein Zuhörer bei einer Konversation in einer fremden Sprache vor. Nach einer Minute nahm Odin seine Hände wieder weg.

„Eden ist nicht bei euch", stellte sie fest. „Haben die anderen Krieger sie gekoppelt?"

„Ja, Selphie, glaub ich", antwortete Rinoa, mehr an Squall gewandt als an die GF. „Wieso?"

Odin blickte streng. „Weil sie sich verantworten muss", antwortete er. „Es war ihre Aufgabe, Ultima Weapon bei einer wichtigen Mission zu unterstützen, obwohl die Weapon ein blutrünstiges Monster war. Sie hat versagt, trotz ihrer ungeheuren Kräfte."

„Aber sie konnte nichts dafür", begehrte Squall auf. Er war selbst überrascht darüber, dass er ein Wesen, das er nicht annähernd verstand, verteidigte. Und die anderen GF auch, aber anscheinend stieg ihre Freundschaft ihm gegenüber etwas. „Wir haben sie gedrawt!"

„Das ist nicht eure Angelegenheit, Menschenkrieger", entschied Odin. „Nicht einmal meine. Die Göttin Hyne wird entscheiden, was mit ihr geschehen soll. Aber sie ist eine gnädigere Herrin als ich." Die Andeutung eines Lächelns huschte über seine versteinerten Züge. „Aber genug damit. Ich muss euch vor einer großen Gefahr für die Welt warnen. Eine Gefahr, die wir eigentlich sicher gebannt glaubten."

„Hat das vielleicht etwas mit den Monstern in Dollet und den verschwundenen Zaubern zu tun?", fragte Rinoa. Sie sah interessiert aus.

„Rinoa, vergiss nicht, dass wir heiraten wollen", erinnerte Squall sie nachdrücklich. „Ich werde nicht zulassen, dass du dich vorher wieder in ein Abenteuer stürzt."

Sie winkte ab. „Ist ja gut, du Spielverderber. Aber wir müssen die anderen warnen, schon vergessen? Und die können jede Info brauchen."

„Zauber?", fragte Odin dazwischen. Er wirkte verwirrt. „Was meint ihr damit?"

Squall erzählte in kurzen Worten, was ihnen in Dollet widerfahren war. Auch die Tatsache, dass sie den Kampf nur mit der KI-Fusion hatten gewinnen können, ließ er nicht aus. Aber Odin schien eher an der Forschungsinsel interessiert zu sein. Squall erklärte ihm, dass die Insel ein riesiger Draw- Punkt war, der früher weit draußen im Meer gewesen war und jetzt in der Welt umherschipperte. Rinoa machte einige Zwischenbemerkungen, wenn sie fand, dass er zu trocken erzählte. Odin lächelte jedoch nicht.

„Dann besitzt er noch mehr Macht, als wir glaubten", meinte Odin am Ende. Er sah betroffen aus. Squall hätte gewettet, dass die GF keine solche Miene beherrschte. „Wie konnte es nur dazu kommen? Nun, jetzt ist es geschehen." Die Gestalt straffte sich wieder sichtbar. „Jetzt müsst ihr von meinem kleinen Bruder erfahren... der möglicherweise das Verhängnis eurer Welt sein wird."

„Kleiner Bruder?" Rinoa blinzelte. „Weißt du, wie lächerlich sich das anhört?"

Odin sah sie kalt an. „Wenn du jemanden lächerlich nennst, der aus eigener Kraft den Centra-Kontinent entvölkerte, dann bitte."

„WAS? Das war eine GF?", entfuhr es Squall. „Wieso habt ihr ihn nicht aufgehalten?"

„Haben wir", entgegnete Odin. Sein Pferd scharrte nervös. „Aber es war schon fast zu spät. Condenos hatte bereits fast alle menschlichen Siedlungen zerstört. Die Herrin konnte es zuerst nicht glauben, deshalb rief sie uns sehr spät. Daher war der Kontinent schon verwüstet, als wir ihn bändigen konnten. Nur wenige Menschen schafften es, in Esthar eine neue Heimat aufzubauen. Nun, Hyne verurteilte Condenos natürlich auf das Schärfste, aber sie hätte ihn gehen lassen. Ich war es, der beschloss, unseren Bruder unter dieser... Forschungsinsel einzusperren, bewacht von einem starken Wächter."

„Und wir haben ihn erlöst. Das wolltest du doch damit sagen, oder?", fragte Rinoa. Ihr Blick war angriffslustig.

„Das war verhängnisvoll", stimmte Odin zu. „Aber ihr wusstet nichts davon. Ich hätte euch damals aufhalten müssen, aber ihr hattet mich noch nicht besiegt. Wäre ich bei euch gewesen, hätte ich euch gewarnt. Und nun zieht Condenos in der Welt umher, zusammen mit dieser Insel, und saugt die Zauber der Welt ab."

„Aber warum tut er das?" Squall hatte sich wieder beruhigt. Diese Sache war die eines Kämpfers, und der musste Ruhe bewahren. „Was hat er davon?"

Odin schloss die Augen. „Was er immer vorhatte. Er will eure Rasse vernichten, weil Hyne uns erschuf, um euch zu dienen." Er beachtete das Keuchen der beiden Menschen nicht, sondern sprach weiter. Es war ihm augenscheinlich unangenehm, so etwas zuzugeben. „Condenos hat niemals akzeptiert, dass es nur deshalb GF gibt, um den Menschen ein Überleben zu garantieren. Er bildet sich ein, weil wir schon vor euch existierten, sei es nicht recht, dass wir euch helfen und damit den Lauf der Natur stören."

„Du meinst also, er will die Menschheit auslöschen, indem er sämtliche Zauber drawt?", fragte Squall ungläubig. „Das ist doch Irrsinn! Tausende werden sterben und ihm ist das egal?"

„Es ist seine Weltanschauung", erklärte Odin. Seine Stimme war fest wie gewohnt, aber ein Unterton von Trauer schwang darin mit. „Er hält es für das Richtige. Und das macht ihn noch gefährlicher, als seine Kräfte und Zauber ihn machen. Er wird bis zum Ende kämpfen."

„Stimmst du ihm zu, Odin?", fragte Rinoa leise. Beide Köpfe, Squalls und Odins, ruckten zu ihr herum. Beide verwundert. Sie jedoch sah die GF unbeirrt an. „Glaubst du auch, dass wir nur eine Missgeburt sind?"

Odin war einen Moment lang sprachlos. Dann fing er sich wieder. „Noch vor einem Jahrzehnt hätte ich nicht gewusst, was ich darauf antworten sollte", gestand er. „Aber jetzt, wo es starke Krieger wie euch gibt... nein. Ihr habt bestätigt, was die Herrin vorhersagte: Irgendwann wird die Menschheit in der Lage sein, sich ohne unsere Hilfe gegen ihre natürlichen Gegner zu behaupten. Ich glaube, ihr seid die Hoffnung eures Volkes, kleine Menschenkrieger." Squall glaubte nicht recht zu sehen, als Odin ihnen einen Moment lang ein ehrliches Lächeln zeigte. Dann zog er den Eisenschneider wieder. „Geht jetzt, Krieger der neuen Menschengeneration", befahl er. „Unser Bruder muss aufgehalten werden, um jeden Preis. Und diesmal wird nicht einmal die Herrin ihn vor seinem Tod bewahren können." Sein Gesicht war stählern, die Augen funkelten. „Diesmal wird Condenos nicht überleben!"

„Odin... wirst du uns wieder begleiten?", fragte Squall. Er versuchte, so selbstbewusst wie möglich auszusehen, aber das war nicht einfach. „Oder müssen wir wieder kämpfen?" Er legte die Hand auf die „Löwenherz".

„Kämpfen? In einem solchen Augenblick soll ich die letzte Hoffnung der Menschen gefährden?" Odin schnaubte und sein Pferd tat das Gleiche. Rinoa kicherte leise. „Du scherzt wohl. Natürlich werde ich euch wieder begleiten, schließlich ist es einer der unseren, den ihr bekämpfen müsst." Kurz lächelte er wieder. „Ich kann euch schwächliche Menschen doch nicht unbeschützt einer solchen Gefahr entgegenschicken!" Sein Pferd bäumte sich auf und der „Eisenschneider" blitzte einmal auf, bevor die oberste GF verschwand.