1 Kapitel 6

Die Kopfschmerzen waren zwar nicht so schlimm, wie er es verdient hatte, aber doch sehr lästig, als Irvine Kinneas erwachte, wogegen sein Bauch beinahe nicht mehr wehtat. Stöhnend hob er seine Hand an die Stirn und brummte etwas Unverständliches, wahrscheinlich aber einen Fluch. Jemand war zwar so umsichtig gewesen, die Vorhänge in seinem Zimmer vorzuziehen, doch das Licht war immer noch zu hell für ihn. Seine Zunge fühlte sich an, als wäre ein Elefant darübergelatscht, so gefühllos war sie. Beiläufig schwor sich der Scharfschütze, niemals wieder solche Drinks anzurühren.

Erst jetzt bemerkte er, dass jemand ihn ausgezogen und seine Sachen zum Trocknen aufgehängt hatte. Danke, Xell, dachte er im Stillen. Aber er hatte dem Faustkämpfer weit mehr als das zu verdanken. Seinem Verhalten nach würde es ihn nicht wundern, wenn er des Gardens verwiesen wurde, aber immerhin hatte er niemanden getötet... jedenfalls, soweit er sich erinnern konnte. Er schauderte, als er an die ungläubigen Gesichter von Selphie und Crys dachte, auf die er losgegangen war. Herrgott, hatte er wirklich so viel getrunken? Er musste wirklich völlig den Verstand verloren haben! Xell hatte ihn bei weitem nicht fest genug geschlagen!

Er seufzte kurz und wartete, bis sich seine Augen an das Halblicht gewöhnt hatten. Dann setzte er sich auf und rieb sich die Stirn. Was war eigentlich noch geschehen? Einiges wusste er mit unnatürlicher Klarheit, aber andere Dinge lagen hinter so dichten Nebeln, dass er Scheinwerfer gebraucht hätte, um sie zu erkennen. Hatte er jemanden ernsthaft verletzt? Nein, wahrscheinlich nicht. Xell war schließlich sofort auf ihn losgegangen, er hätte das nicht zugelassen.

Dann stöhnte er, als ihm Niida einfiel. Er kannte den Jungen nicht sonderlich gut, auch wenn er in Xells und Squalls Klasse gewesen war. Aber dass er ihn geschlagen hatte... noch dazu mit seiner vollständigen Stärke- Kopplung! Jetzt wusste er, wieso ihm seine Freunde auf der Feier nach dem Angriff des Monsterbeschwörers geraten hatten, nicht so viel zu trinken. Dort allerdings hatte er das schönste Erlebnis seines Lebens bis dahin gehabt. Er hatte Selphie gestanden, dass er sie liebte... und sie ihm, dass sie dasselbe empfand.

Fluchend stand er auf und ging unsicher zu seinen Klamotten hin. Fahrig zog er sich an. Wahrscheinlich wartete draußen schon ein SEED, der ihn zum Direktor bringen würde. Egal, das musste er ohnehin früher oder später durchstehen. Aber die Bestrafung war ihm eigentlich egal. Er war nur wütend auf sich selbst, und das nagte an ihm wie ein tollwütiger Biber. Crys und Selphie hatten ihn doch nur ein bisschen ärgern wollen, na und? Sicher, ein bisschen weit waren sie schon gegangen, aber er hätte das auch viel lockerer nehmen sollen. Schließlich hatte er Erfahrung darin, dass Mädchen über ihn lästerten. Aber tief ihm Herzen wusste er, dass er so etwas von Selphie einfach nicht ertragen konnte.

Was würde sie wohl von ihm denken? Würde sie überhaupt noch mit ihm reden wollen? Und sollte er überhaupt noch mit ihr reden? Sie hatte sich, nüchtern betrachtet, ebenso blöd aufgeführt wie er. Zumindest sollten sie sich wohl eine Weile aus dem Weg gehen. Aber wenn Cid ihn tatsächlich des Gardens verwies... was würde dann aus ihnen beiden werden?

Seufzend setzte er seinen Cowboyhut auf und überprüfte die Exetor. Er war sich zwar ziemlich sicher, dass er nicht geschossen hatte, aber er fühlte sich sofort etwas besser, als er alle Kugeln noch darin fand. Erst jetzt, als er jemanden hinter sich aufatmen hörte, merkte er, dass er nicht allein im Zimmer war. Im ersten Moment war er versucht, die Waffe auf den Eindringling zu richten, aber er beherrschte sich. Er hatte schon genug Ärger auf dem Hals. Erzwungen ruhig drehte er sich um.

„Was ist?", fragte er. „Sollst du mich zu Direktor Cid bringen?" Er lachte bitter. „Oder willst du gegen mich kämpfen, um die Ehre des Gardens zu schützen?"

„Keines von beiden", flüsterte ihm eine nur zu bekannte Stimme zu. Die schlanke Silhouette eines Mädchens trat aus den Schatten neben seiner Tür. „Ich wollte mit dir reden."

„Selphie!", rief er erschrocken aus. „Wie... wie lange bist du schon hier?"

Fast panikerfüllt sah sie ihn an. „Ich... ich haaaaab dir wirklich nicht beim Anziehen zugesehen, sicher nicht", versicherte sie. Sie wurde rot. „Ich muss dir was von Direktor Cid sagen."

„Ach ja?", fragte er, fast enttäuscht. „Und was?"

Selphie schluckte hart. Irvine bemerkte erst jetzt, dass das Mädchen geweint hatte, und das anscheinend nicht zu knapp. Aber er behielt seine Unerschütterlichkeit aufrecht.

„Wir... wir sollen zur Forschungsinsel fliegen", erklärte sie. „Und wenn wir es nicht schaffen, das Rätsel aufzuklären, warum sie die Zauber absaugt, dann dürfen wir nicht bei der Hochzeit anwesend sein."

Irvine gefror innerlich zu Eis, aber er ließ sich nichts anmerken. „Gut", erwiderte er scheinbar gleichmütig und drehte sich von ihr weg, um sein vor Schreck verzerrtes Gesicht vor ihr zu verbergen. Nicht an Squalls und Rinoas Hochzeit teilnehmen zu können... das war ein schrecklicher Gedanke. Jeder von ihnen hatte sich für die beiden gefreut, als sie ihren Entschluss bekannt gegeben hatten. Sie hatten sich Mühe gegeben, Laguna unter die Arme zu greifen, ein würdiges Geschenk aufzutreiben und, nicht zu letzt, die beiden aus Esthar fernzuhalten, damit sie nichts zu früh sahen. „Solange ich nicht vom Garden geschmissen werde. Ich hätte ja ohnehin niemanden, mit dem ich gehen könnte." Seine Stimme klang so bitter, dass sie ihm fremd vorkam.

Selphie gab hinter ihm ein seltsam würgendes Geräusch von sich. Würden Tränen ein Geräusch machen, er war sich sicher, er hätte es gehört. „Irvine", sagte sie mit zitternder Stimme, die sich wie ein glühender Dolch in sein Innerstes bohrte. „Bitte... hör mir zu. Ich muss dir noch was sagen."

„Nicht nötig", erwiderte er, obwohl er sich auf die Lippen beißen musste, um seine eigenen Tränen zurückhalten zu können. „Ich kann verstehen, dass du mich nicht mehr sehen willst. Glaub mir, das ist nichts Neues für mich." Er schluckte. „Aber ich bitte dich, mir zu verzeihen. Ich weiß, dass ich mich wie ein Verrückter benommen habe. Und dass du jetzt Angst vor mir hast. Vielleicht gibst du mir ja irgendwann noch eine Chance, auch wenn ich dich enttäuscht habe." Seine Hand umklammerte die Exetor so fest, dass er fürchtete, die Waffe würde brechen. Er konnte das Zittern am Körper nicht verhindern, sosehr er sich auch bemühte.

Einen Moment lang war es hinter ihm völlig still. Dann tappte Selphie mit leichten Schritten an ihn heran. Er konnte förmlich fühlen, dass sie ihn anstarrte. Sag es, dachte er. Sag, dass du mich in ein paar Minuten zur Mission erwartest. Dann ist dieser Alptraum endlich vorbei. Aber er wusste, dass damit ein wunderschöner Teil seines Lebens endgültig Vergangenheit sein würde.

Statt dessen fühlte er plötzlich Selphies zarten Körper an seinem Rücken. Er atmete erschrocken ein, als ihre Hände sich vor seiner Brust kreuzten. Er hörte, wie das Mädchen nun wirklich zu weinen anfing. „Bitte, Selphie", flehte er. „Mach es doch nicht so schwer."

„Denkst du denn wirklich, dass ich gekommen bin, um Schluss zu machen, du blöder Idiot?", schluchzte das Mädchen. Sie hämmerte mit ihrem Kopf gegen seine Wirbelsäule und stieß seltsame, lachend-weinende Laute aus. „Ich wollte DICH um Verzeihung bitten, Irvine. Für alles, was Crys und ich dir an den Kopf geworfen haben. Weil ich deinen Glauben an mich zerstört habe. Und weil ich deine Gefühle verletzt habe."

Der letzte Satz war so leise, dass er ihn kaum mehr verstehen konnte. Fast hätte Irvine das Ausatmen vergessen. Er war so völlig überrascht von dieser Wendung der Geschehnisse, dass er wie ein Baumstumpf dastand, während Selphie seinen Mantel mit ihren Tränen durchnässte. „Du... wolltest mich um Verzeihung bitten?", fragte er ungläubig. Noch nie, seit er seine erste Freundin sitzengelassen hatte, war ein Mädchen zu ihm zurückgekommen und hatte IHN um Verzeihung gebeten, weil sie die Beziehung versaut hatte. „Aber warum? ICH war es doch, der euch angegriffen hat. Der euch in Lebensgefahr gebracht hat."

„Weil ich dich liebe, du Hornochse!!!", schrie Selphie und klammerte sich an ihm fest, als würde er ihr davonfliegen. „Weil ich dich nicht verlieren will! Und weil ich nicht will, dass du dir wegen mir das Leben zur Höööölle machst!"

Irvine ließ diese Worte einen Moment lang auf sich einwirken, dann löste er mit sanfter Gewalt Selphies Arme und drehte sich zu ihr um. Ihre Augen waren rotgeweint, aber dennoch kam ihm ihr Gesicht in diesem Moment schöner vor als in all den Monaten zuvor. Muss was dran sein, dachte er wie betäubt, an dem, was Mama gesagt hat. Dass wir die Dinge erst zu schätzen lernen, wenn wir in Gefahr laufen, sie zu verlieren.

Sanft strich er über ihr Gesicht und wischte die Tränen weg. Sie ließ es stumm über sich ergehen und sah ihn flehend an. Natürlich, er hatte seinen Teil ja noch nicht erfüllt. Mit einer Wildheit, die seine ganzen Gewissensbisse austrieb, umarmte er das kleinere Mädchen und vergrub sein Gesicht in ihren langen Haaren. Jetzt, zum ersten Mal vor einem Mädchen, mit dem er ging, konnte Irvine Kinneas, der Scharfschütze die Tränen nicht mehr zurückhalten.

„Ich liebe dich doch auch, Selphie", flüsterte er schluchzend. „So sehr. Ich möchte lieber sterben, als dich zu verlassen, das musst du mir glauben."

Das Mädchen strich beruhigend über seinen Rücken, auch wenn ihr nicht wohl war. Irvine war ihr gegenüber noch nie so schutzbedürftig gewesen. Das war etwas Neues. „Dann höööören wir am besten mit diesen überflüssigen Beteuerungen auf!", rief sie mit gespielt strenger Stimme. Sie schob Irvine von sich weg und sah ihn bestimmt an. „Du benimmst dich ja wie ein Vierjähriger, Irvie! Versprich mir lieber, dass so etwas niiiiiiie wieder passiert!"

„Einverstanden", versicherte Irvine grinsend. Er wischte die Tränen aus seinen Augen und drückte Selphies Hand. „Nie wieder. Und keiner ist mehr auf den anderen böse."

Selphie nickte. „Uuuuund wir werden das Geheimnis der Forschungsinsel aufklären, damit wir noch rechtzeitig auf die Hochzeit kommen", verlängerte sie den Pakt. Dann warf sie sich urplötzlich an Irvines Hals und riss ihn nach hinten, sodass sie auf dem Bett landeten. „Weißt du", gab sie zu, „ich habe dich vorhin angelogen."

„Ach ja?" Irvines Laune sank. „Wobei denn?"

„Ich hab dich doch beim Anziehen geseeeehen! War echt ein schöner Anblick!"

Bevor der Junge seiner Empörung Luft machen konnte, verschloss ihm Selphie die Lippen mit einem fast aggressiven Kuss. Schließlich gab er resigniert nach und erwiderte ihn. Er war diesem Mädchen einfach nicht gewachsen, dachte er. Aber es war ihm völlig egal.

„BEI HYNE UND ALLEN GF!!!!", schrie vor dem Zimmer plötzlich eine Jungenstimme Zeter und Mordio. „Kann ich denn nicht einmal, nur EINMAL zu euch kommen, ohne dass ihr grade beim Knutschen seid?"

„Ach, Xell, du Spielverderber." Selphie streichelte Irvine neckisch über die Wange und sah dann zu dem auf 100 stehenden Faustkämpfer hin. „Wir müssen uns doch auf unsere Mission gewissenhaft vooooorbereiten, oder nicht? Schließlich hängt auch dein Glück von uns ab."

Xell gab eine Reihe von nicht jugendfreien Flüchen ab. „Glaubt ihr nicht, dass euch so was eher von der Mission ablenkt?", fragte er zynisch. „Man möchte meinen, gewisse... Praktiken wären eher erschöpfend."

Irvine hob den Kopf und sah seinen Freund ernst an. „Xell, ich bin dir äußerst dankbar für das, was du vorher für mich getan hast, wirklich. Ich schulde dir mehr, als ich je wiedergutmachen kann. Aber wenn du jetzt nicht SOFORT verschwindest, dann geb ich dir den Schlag von vorhin zurück!"

Xell sah aus, als ob er gleich hochgehen würde, aber beide bemerkten, dass die Mundwinkel des Jungen verdächtig in die Höhe zuckten. „Na schön", sagte er ruhig, aber es fehlte nicht viel zu einem lauten Lachen. „Dann habe die Ehre. Wenn ihr FERTIG seid, dann meldet euch. Der Garden fährt gleich los und landet in ein paar Stunden in Esthar, dort sind Squall und Rinoa glaub ich schon wieder angekommen. Viel... Spaß. Und macht nicht zu viel Krach."

„Tür zu", murmelte Selphie, als Irvine ihren Kopf nahm und zu sich herunterzog. An ihren Liebsten gewandt flüsterte sie: „Weißt du... eigentlich bin ich ganz froh, dass du vorhin so ausgerastet bist. Sonst wären wir sicher nicht so bald so weit gekommen."

Irvine löste seine Lippen von ihrem Hals. „Willst du das wirklich, Selphie?", fragte er beinahe feierlich. „Das ist nicht mehr rückgängig zu machen, wie du hoffentlich weißt."

Einen Moment lang überlegte das Mädchen wirklich. Vieles würde sich ändern, wenn das hier vollzogen wurde. Ihre Kindheit würde dann endgültig vorbei sein... auch wenn viele das wahrscheinlich nicht sehen würden. Aber die Unsicherheit wurde sofort weggefegt, als Irvine ihr das Haar zurückstrich. Sie wollte es. Sie liebte ihn, schon im Waisenhaus wie ihren teuersten Bruder, dann als charmanten Kollegen und schließlich mit aller Inbrunst, mit der ein Mädchen einen Jungen lieben konnte.

„Ja", hauchte sie, als er ihre Haut sanft streichelte. „Ich will. Mit dir. Jetzt. Ich liebe dich, Irvie."

„Ich dich auch, Sephie. Du bist das erste Mädchen, das ich wirklich liebe."

Als der Garden in Esthar ankam und Irvine und Selphie von Bord gingen, um sich mit Laguna zu beraten, wunderten sich viele, dass die beiden sich immer wieder bedeutungsvolle Blicke zuwarfen und dann zu kichern begannen. Außerdem schienen die beiden einen ziemlich harten Kampf in der Trainingshalle hinter sich zu haben, ihrem zerzausten Aussehen nach zu urteilen. Aber da die meisten Schüler nur noch an die Hochzeit ihres Schulsprechers dachten, achtete beinahe niemand darauf.

Quistis achtete zuerst nicht auf den Lärm, der unterhalb der Residenz erschallte. Es war Esthar, es waren einige Tage vor dem größten gesellschaftlichen Ereignis seit der Feier nach dem Kampf gegen ihren Vater. Die Leute hatten Gründe, sich lauthals darüber zu äußern. Aber als die Tür von Lagunas Arbeitszimmer schließlich energisch aufgestoßen wurde, fuhr sie von dem Brief, den sie gerade gelesen hatte, auf.

Ungefähr zwei Dutzend Männer, vereinzelt auch Frauen waren eingedrungen, Kiros und Ward vor sich herschiebend. Wenn die beiden wirklich gewollt hätten, wären die Leute nie so weit gekommen, aber sie zögerten, ihre Waffen gegen Bürger von Esthar einzusetzen. Quistis sprang auf und ließ ihre „Königinnenwache" erscheinen. Die Waffe erzeugte einen lauten Knall, der durch den gesamten Raum hallte und ließ in einem Moment alle verstummen. Die SEED blickte die Leute herausfordernd an, aber Edea schüttelte kurz den Kopf.

Denn Laguna stand gerade auf. Er musterte die Meute, die in sein Zimmer eingedrungen war, ruhig. „Was hat dieses... unerwünschte Erscheinen zu bedeuten?", verlangte er zu wissen. „Warum haben Sie mich nicht um einen Termin gebeten, wenn Sie unbedingt mit mir sprechen wollten?"

„Wir brauchen keinen Termin, Loire!", verkündete eine mit Triumph gewürzte Stimme aus der Menge. „Sie haben uns lange genug mit Ihren Lügen hingehalten."

„Crannox Jeed", meinte der Präsident von Esthar kopfschüttelnd. „Lasst die Leute rein", befahl er Kiros und Ward. „Sie sollen sagen, was sie mir sagen wollen. Aber bleibt im Raum, damit sich niemand hier unglücklich macht. Was wollen Sie, Jeed? Wieder ein bisschen Unfrieden stiften?"

Als Kiros und Ward zögernd bis zum Schreibtisch Lagunas zurückwichen, trat ein ungefähr 40-jähriger Mann aus der Menge. Seine Augen waren stechend und er hatte ein schadenfrohes Lächeln aufgesetzt, das sein fettes Gesicht nicht unbedingt verschönerte. „Sie sind der Unruhestifter, Loire", behauptete er. Man sah, wie er seine Macht genoss. „Oder wollen Sie leugnen, was Sie zu tun beabsichtigten?" Er sah Laguna herausfordernd an.

„Oh, ich beabsichtige eine Menge Dinge zu tun", entgegnete Laguna ruhig. „Zum Beispiel richte ich gerade eine Hochzeit aus. Die Hochzeit meines Sohnes, über die Sie so nett schreiben, dass sie nur eine Farce sei. Wollen Sie nicht kommen und sie sich ansehen?"

Quistis hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken, aber Edea, Ward und Kiros war nicht nach Lachen zumute. Sie fanden diese Eindringlinge offenbar nicht so harmlos wie Quistis. Sie besah die Meute noch mal genauer. Sie wirkte entschlossen, ja. Aber Entschlossenheit konnte mit Ruhe und sachlichen Argumenten zerschlagen werden, und das machte Laguna gerade. Und auf sie losgehen würden diese verhinderten Revolutionäre auch nicht. Was also befürchteten sie?

„Lassen Sie Ihre Anschuldigungen, Präsident!" Er betonte das letzte Wort wie eine Beleidigung. „Wir wissen ganz genau, was Sie vorhaben!"

„Schön", kommentierte Laguna. „Ich nämlich nicht. Erklären Sie's mir doch!"

Der ältere Mann sah aus, als würde er sich nur noch mit äußerster Mühe beherrschen. Einer seiner Anhänger machte einen Schritt auf Laguna zu, trat aber erschrocken wieder zurück, als Kiros ihn drohend anblickte. Dann begann Crannox Jeed wieder süffisant zu grinsen.

„Nun, dann will ich Ihr Gedächtnis mal etwas auffrischen, Loire. Sagen Sie uns, was Sie mit dieser Insel vorhaben, die gerade an der Küste unseres Kontinents geankert hat. Sagen Sie uns, wieso sie Esthar vernichten will."

„Vernichten?" Quistis runzelte die Stirn. „Was meinen Sie damit?"

Der Politiker sah sie hasserfüllt an. „Oh, noch eine weitere Verschwörerin", behauptete er, als hätte er sie erst jetzt bemerkt. „Sind Sie nicht die junge Dame, die noch vor einem halben Jahr Esthar angegriffen hat? Zusammen mit diesem Verrückten, Feyjar Trepe?"

Quistis biss sich auf die Lippen und hob unwillkürlich die Peitsche. Am liebsten hätte sie sich sofort auf diesen aufgeblasenen Wichtigtuer gestürzt, aber Ward legte ihr die Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf. Sie nickte und atmete aus. Ihr Zorn war noch immer da, aber sie musste sich unter Kontrolle halten, sonst schadete sie Laguna.

„Das ist lange vorbei, Jeed", erwiderte Laguna eisig. Auch ihn hatte diese Anschuldigung aufs Höchste erzürnt. „Und falls Sie es vergessen haben, Quistis war es, die dieses Monster von einem Rubrum-Drachen erledigt hat... mitsamt ihrem Vater!"

„Aber sie ist schon einmal gegen Esthar gezogen!", beharrte der ältere Mann stur. Er schien gar nicht zu wissen, in welcher Gefahr er schwebte. „Und just jetzt, wo sich Esthar einer weiteren Gefahr gegenübersieht, finde ich sie hier bei Ihnen. Welch ein ZUFALL!" Die Anhänger des Mannes murmelten zustimmend, aber niemand traute sich, laut etwas zu sagen.

„Dann erklären Sie uns endlich, womit Esthar angeblich bedroht wird, Jeed!", verlangte Kiros, dem offensichtlich die Geduld ausging. „Wir haben nicht ewig Zeit für Sie!"

„Werden Sie nicht unverschämt!", polterte Jeed. Dann beruhigte er sich wieder und verschränkte die Arme vor der Brust. „Vor ziemlich genau einer Stunde landete diese seltsame Insel vor der Küste von Esthar. Als einige Abenteurer sie genauer in Anschein nehmen wollten, wurden ihnen auf einmal die gekauften Zauber entzogen. Sie schafften es mit Müh und Not hierher zurück, weil auf einmal Monster sie von überall her bedrängten, aber sie brachten keine Neuigkeiten: Denn auch in der gesamten Stadt, Loire, ist jeder einzelne Zauber, mit denen wir die Kreaturen dieses Planeten bis jetzt ferngehalten haben, verschwunden!" Er blickte die Freunde eine Sekunde lang triumphierend an, dann fügte er hinzu: „Und erschwerend kommt noch die Botschaft dazu."

„Botschaft? Welche Botschaft?"

„Tun Sie nicht so dumm! Schalten Sie ihren Computer ein und lesen Sie die E- Mail. Sie kam vor einer halben Stunde in jede Mailbox von ganz Esthar. Und sie bestätigt Ihre Schuld!"

Laguna sah ihn wütend an, öffnete jedoch demonstrativ ruhig den Laptop auf seinem Tisch und tippte einige Male darin herum. Er las ein paar Sekunden, in denen Jeeds Anhänger aufgeregt zu murmeln begannen, dann wurde er käsebleich. Edea trat sofort zu ihm hin und las ebenfalls. Auch sie begann zu schlucken und las für Quistis, Kiros und Ward vor:

Bürger von Esthar!

Meine Freunde und ich haben Kontrolle über die Forschungsinsel, die ihr inzwischen sicher bemerkt habt. Mit ihr war es uns möglich, sämtliche Zauber eures gesamten Kontinents abzusaugen und zu speichern. Ihr seid nun wie beinahe alle Kontinente hilflos den Monstern ausgesetzt. Aber wir wollen nicht euren Tod.

Wir bieten euch eine Chance, allen Schutz wiederzuerlangen. Alles, was ich will, ist Squall Leonhart, euer Nationalheld! Ich will mit ihm kämpfen und ihn besiegen, auf dass ein für alle Mal geklärt ist, wer der Stärkere von uns ist. Ich weiß, dass er bei euch ist. Squall, wenn du das hier liest... komm und lass es uns ein letztes Mal austragen! Ohne Zauber wird unser Kampf endlich so fair sein, wie ich es mir wünsche.

Ich bin sicher, du wirst bald kommen. Ich erwarte dich in Balamb.

Cifer Almasy

P.S. Bring ruhig deine Freunde mit. Fu-jin und Rai-jin werden sie beschäftigen, während wir beide unseren Kampf austragen.

„Cifer?", flüsterte Quistis entsetzt. „Wieso um alles in der Welt tut er das?"

„Verkaufen Sie uns nicht für dumm!", fiel ihr Jeed ins Wort. Der Mann wurde ihr von Sekunde zu Sekunde unsympathischer. „Wir wissen, dass diese Aufforderung nur ein Trick ist. Dieser Cifer hat doch in Ihrem Auftrag gegen den Monsterbeschwörer gekämpft?"

Da Laguna die Nachricht offensichtlich immer noch nicht glauben konnte, antwortete Edea, obwohl auch ihr der Schreck ins Gesicht geschrieben stand. „Und was soll das beweisen?", fragte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme. „Squall ist Lagunas Sohn. Was sollte er davon haben, ihn zu opfern?"

„Seien Sie still!", rief der Mann aus und deutete wie wild mit seinem Finger auf sie. „Sie haben schon früher ganze Staaten manipuliert, um Macht zu bekommen! Ich bin sicher, dass Sie auch hier mit drin stecken! Vielleicht kontrollieren ja auch Sie die Monster, die in diesem Moment schon auf Esthar zusteuern..."

„Das reicht!", schrie Quistis und erhob ihre Peitsche zum Schlag. Crannox Jeed zuckte rückwärts, als ein Probeschlag haarscharf über seinem Kopf hinwegzischte. „Wagen Sie es noch einmal, meine Mutter zu beschuldigen und von Ihnen bleibt nicht genug übrig, um eine Urne zu füllen! Edea war damals vom Geist Artemisias besessen und wusste nicht, was sie tat! Seitdem hat sie sich bemüht, ihre Fehler, die nicht mal ihre eigenen waren, wieder gut zu machen, indem sie Waisenkinder bei sich aufnahm, sehr viele davon übrigens aus Esthar! Also hüten Sie Ihre Zunge!"

„Habt ihr das gesehen?", wandte sich Jeed zitternd an seine Anhänger. „Sie hat mich angegriffen! Sie wollte mich töten!"

„Wenn Quistis Sie hätte töten wollen, wären Sie es jetzt, zusammen mit all diesen Leuten hier", berichtigte Kiros eisig. Für den Blick, mit dem er den Politiker bedachte, hätte ihm Shiva Respekt gezollt.

„Und Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet", schloss sich Edea ihm an.

Jeed zitterte noch immer, sah die Hexe jedoch trotzig an. „Das ist doch sonnenklar", behauptete er. „Dieser Cifer steht in Ihrem Dienst! Er saugt die Zauber der Welt doch nur ab, damit Sie und Ihre SEEDs den anderen Staaten den Krieg erklären können. Niemand kann Ihnen dann widerstehen! Und Sie können sich endlich an Galbadia rächen! Schließlich hassen Sie das dortige Militär, jeder weiß das!"

Laguna schüttelte den Kopf. „Das ist das Dümmste, was ich seit langen Jahren gehört habe", behauptete er. „Sie behaupten also, ich würde die Zauber stehlen, um die SEEDs zu stärken? Jeder Garden-Ausbilder oder Magie- Forscher wird Ihnen bestätigen, dass Zauber die Quelle der Macht eines jeden SEED sind! Nein, manövrieren Sie sich nicht noch tiefer in den Dreck, Jeed", wehrte er ab, als der Mann etwas erwidern wollte. „Es gibt noch andere Beweise dafür, dass diese Theorie nicht stimmt. Zum Beispiel dieser Brief von Ihnen, den Sie mir vor einer Woche geschickt haben." Er hielt das Schriftstück hoch, das sich Quistis vorhin durchgelesen hatte. „Darin behaupten Sie, dass ich einen Pakt mit Galbadia schließen will... und gerade jetzt haben Sie mir ins Gesicht gesagt, dass ich Galbadia angreifen will. Was stimmt nun also?" Er sah den älteren Mann so zornig an, dass dieser einen Schritt zurücktrat. Hinter dem Politiker entstand verwirrtes Gemurmel. Offenbar begannen selbst die Anhänger dieses Marktschreiers langsam nachzudenken.

„Ich bitte Sie, ersparen Sie uns weitere Hirngespinste von Ihnen", verkündete Laguna, ohne dem Mann eine Chance auf Gegenwehr zu bieten. „Sonst werde ich Sie wegen übler Nachrede verklagen. Und mein Sohn wird wohl auch ein Wörtchen mit ihm reden wollen, dafür, dass Sie sein wichtigstes Fest für ein politisches Manöver halten. Jeder, der Rinoa und ihn auch nur ein bisschen kennt, weiß, wie sehr sie sich lieben."

Als Jeed ihn nur anstarren konnte, wandte Laguna sich an dessen Anhänger. „Ich hoffe, ich habe euch die Glaubwürdigkeit eures Anführers zur Genüge demonstriert. Wer aber noch an mir zweifelt, dem sei gesagt: Ich hätte die militärische Kontrolle über Esthar jederzeit ausüben können! Das Militär rühmt die Erfolge meines Sohnes und seiner tapferen Freunde. Und auch ich, Kiros und Ward werden hochgeachtet, weil wir es gewagt haben, gegen Adell zu kämpfen! Ich bin sicher, dass die meisten Soldaten Esthars mir bereitwillig gefolgt wären, wenn ich sie dazu aufgefordert hätte, Esthar für mich zu sichern. Ich habe dort immer noch Freunde aus der Zeit mit Adell. Und wenn nicht sie, dann hätten mich die SEEDs auch an der Spitze der Stadt halten können. Aber das wollte ich nicht. Bitte denkt darüber nach. Und jetzt... auf Wiedersehen!"

Die meisten Leute bemerkten gar nicht, dass Kiros und Ward sie aus dem Raum hinausdrängten. Selbst Crannox Jeed verbiss sich jedes Kommentar und sandte Laguna lediglich einen vernichtenden Blick zu. Dieser lächelte dem Mann nach, bis sich die Türen geschlossen hatten. Dann fiel die Befehlsgewalt von ihm ab und er ließ sich in seinen Sessel fallen.

„Puuuuh", machte er. „So was will ich nie wieder durchmachen müssen."

„Das war wirklich beeindruckend, Laguna", erklärte Edea verwundert. „Eine solch eindringliche Rede hätte ich dir ehrlich gesagt niemals zugetraut."

„Ach, tatsächlich?", erwiderte er schief grinsend.

„Nein, im Ernst", schloss sich Quistis ihm an. „Das war echt super. Du hast diesen Kerl förmlich in den Boden gestampft!"

„Ich glaube nicht, dass wir mit ihm in nächster Zeit noch rechnen können", stimmte Kiros grinsend zu. „Er wird jetzt eine Weile lang damit beschäftigt sein, sein angeschlagenes Image wieder aufzupolieren. Und nach dieser Schlappe wird das wahrscheinlich lange dauern." Ward nickte zustimmend, deutete dann aber etwas in seiner Zeichensprache an. Kiros wurde wieder ernst. „Ach ja. Ward hat eben angedeutet, dass dieser Idiot ja gesagt hat, dass Monster auf uns zumarschieren. Hat er das auch gelogen oder ist das ausnahmsweise die Wahrheit?"

Edea und Quistis wechselten einen Blick. „Nein, ich fürchte, das könnte stimmen", gab die Hexe zu. „Quistis, erzähl ihnen, weshalb wir überhaupt nach Esthar gekommen sind."

Quistis gab knapp wieder, wie der Adaman Tamai sie plötzlich angegriffen hatte und sie beschlossen hatten, Laguna aufzusuchen. Dass sie dann von mehreren Monstern belagert worden waren, die sich seltsam verhalten hatten und dass ihr am Ende wie hier in Esthar sämtliche Zauber gedrawt worden waren. Laguna wirkte immer besorgter.

„Weißt du, dass Squall und den anderen etwas ganz Ähnliches passiert ist?", fragte er, als sie geendet hatte. Auf ihren fragenden Blick erklärte er: „Ich weiß auch nicht alle Einzelheiten, aber anscheinend sind überall dort sämtliche Zauber abhanden gekommen, wo diese seltsame Forschungsinsel war. Squall hat als erster den Verdacht geäußert, dass sie etwas damit zu tun hat, aber er hatte nicht die Zeit, mir die Sache genau zu erklären."

Er überlegte eine Weile, wurde jedoch in seinen Gedankengängen unterbrochen, als das Telefon läutete. Er hob ab und lauschte dem Anrufer. Plötzlich erhellte sich sein Gesicht. Er bedankte sich, legte auf und sah die Anwesenden mit glänzenden Augen an.

„Gute Neuigkeiten", verkündete er. „Der Balamb Garden ist soeben eingetroffen! Selphie und Irvine befinden sich bereits auf dem Weg zu uns, weil sie uns irgendwas von Direktor Cid ausrichten müssen." Edeas Miene entspannte sich. „Außerdem hat man mir mitgeteilt, dass Rinoa und Squall auch wieder mit der Ragnarok im Anflug sind." Er stand auf.

„Kiros, Ward", wandte er sich an seine langjährigen Freunde. „Holt unsere gesamten Truppen aus ihren Betten! Anscheinend müssen wir darauf gefasst sein, dass wieder Mal Monster unsere Stadt bedrohen. Erklärt ihnen, dass wir genug Waffen haben, um auch ohne Zauber eine ganze Weile durchzuhalten. Ich komme dann bald nach."

„Und was willst du bis dahin machen?" Kiros sah ihn argwöhnisch an. „Sicher irgendwas Verrücktes, wie ich dich kenne."

„Keine Sorge", meinte Laguna abwertend. „Ich werde mich lediglich mit Squall treffen. Seine gute Laune verschwand. „Jetzt, wo wir wissen, dass Cifer hinter dieser Sache steckt, wissen wir auch, wen wir bekämpfen müssen. Ich werde sie informieren, was sie erwartet."

„Du willst, dass Squall und Rinoa Cifer bekämpfen?", empörte sich Edea. „Vor ihrer Hochzeit? Ist das dein Ernst?"

„Glaubst du denn, ich könnte ihn aufhalten?" Auf das Gesicht des Präsidenten schlich sich ein wehmütiger Ausdruck. „Ich konnte den beiden noch nie was entgegensetzen. Natürlich werden sie kämpfen. Keine Sorge, wenn alle sechs gegen Cifer und seine Kumpane stehen, hat er keine Chance."

„Alle sechs?", fragte Quistis leise.

„Natürlich. Oder willst du sie etwa allein lassen?"

„Nein", wehrte sie ab. „Aber..."

„Na also." Laguna wirkte zufrieden. „Es wird schon gut gehen, Edea. Wenn sie schnell genug angreifen, dann wird Cifer sein blaues Wunder erleben, du wirst sehen."

„Aber was ist, wenn er ihnen die Zauber absaugt?", erkundigte sich die Hexe besorgt. „Hast du daran schon gedacht?"

„Oh." Nun klang Laguna bestürzt. Aber er antwortete sofort: „Nun, dann werden wir ihn und Rinoa eben entscheiden lassen. Wenn sie nicht kämpfen wollen, dann müssen sie auch nicht. Dann werde ich die anderen Staaten auf die Bedrohung aufmerksam machen. Wenn alle Heere der Welt gegen ihn marschieren, kann auch Cifer nichts dagegen tun."

„Na schön", seufzte Edea. „Aber ich ahne doch schon, wie das ausgehen wird."

„Squall wird diesem Kampf niemals ausweichen", prophezeite Quistis düster. „Er wird sich schuldig fühlen, weil er Cifer nicht schon früher aus dem Verkehr gezogen hat."

„Ich vertraue ihm", entgegnete Laguna. „Ich glaube nicht, dass er sich und Rinoa einer sinnlosen Gefahr aussetzen würde. Aber das soll er selbst entscheiden. Edea, Quistis, kommt mit mir. Kiros, Ward, holt unsere Männer. Ich komme dann wieder zur Residenz."

„Na ja", murmelte der dunkelhäutige Kämpfer seinem stummen Freund zu. „Im Grunde haben wir uns etwas Aufregung ja auch gewünscht, oder?"

Ward zog es vor, mit den Augen zu rollen.

Es war still, als Xell die vertrauten Straßen von Balamb betrat. Das letzte Mal, als seine Heimatstadt so düster gewirkt hatte, war sie gerade von Galbadianern besetzt gewesen. Aber selbst zu diesem Zeitpunkt waren einige Leute auf der Straße gewesen. Jetzt allerdings... nichts. Balamb wirkte wie eine Geisterstadt. Die Fenster der kleinen Häuser waren verriegelt, die Türen fest verschlossen und verbarrikadiert.

Ist es etwa schon soweit?, fragte sich der Kämpfer. Bin ich zu spät gekommen?

„Mama!", schrie er mit vollem Kraftaufwand. „Ich bin's, Xell! He, Leute!"

Aber niemand antwortete. Xell begann zu laufen. Es konnte doch nicht sein, dass alle Leute, die er gekannt hatte... Nein! So etwas durfte er nicht einmal denken! Das hatte ihm sein Großvater einmal gesagt: Wenn du einen Kampf im Kopf schon aufgegeben hast, kannst du ihn unmöglich noch gewinnen. Er musste daran glauben, dass die Menschen noch lebten. Das hämmerte er sich ein, als er um die Ecke bog.

Und sich einem Archeodinos gegenübersah. Er war so überrascht, dass er dem Monster beinahe reingerannt wäre, aber er konnte noch rechtzeitig abbremsen. Sofort ging der Junge in Kampfstellung, doch das Monster schien ihn gar nicht zu bemerken. Es war auf etwas fixiert, das direkt vor ihm lag und zitterte. Es war Yarrek, der Sohn von Xells Nachbarin, der ihn immer verehrt hatte und versuchte, Xells Nachfolger zu werden.

„He, Yarrek!", rief Xell, als er sich von seiner Überraschung erholt hatte. „Lauf weg! Ich halte dieses Biest auf! Dreh dich um, du Mistvieh!"

Er verpasste dem Archeodinos einen Sonic-Kick, der das Monster aufbrüllen und herumfahren ließ. Dass es dabei ein Hausdach schwer in Mitleidenschaft zog, schien es gar nicht zu bemerken. Aber den blonden Winzling, der vor ihm stand und es abschätzend musterte, sah es sehr wohl. Und es war sehr wütend auf ihn. Der Dino schnappte nach Xell, aber der wich der Attacke aus.

„Lauf jetzt endlich, Yarrek!", brüllte der Kämpfer, als er bemerkte, dass der Junge noch immer zitternd hinter dem Archeodinos lag. „Sonst zertrampelt er dich!"

Gleich darauf sprang er vor und verpasste dem Monster einen Magenboxer. Der Dino stöhnte, wankte aber nicht. Die Viecher hielten was aus. Der Junge war nun aus seiner Starre erwacht und kroch zitternd, um nicht die Aufmerksamkeit des Biests auf sich zu ziehen, davon. Xell bedeutete ihm, schnell zu machen. Das war auch nötig, denn diesmal vollführte der Archeodinos seine Schwanzattacke, die Yarrek beinahe und Xell voll traf.

„Autsch", presste der junge Kämpfer hervor. Kampfeslust funkelte in seinen Augen. „Na schön, du willst es also auf die harte Tour, wie? Das kannst du haben! Shiva!" Wenige Sekunden später verschwand Xell und die Eiskönigin nahm seinen Platz ein. Sie blickte das Monster im wahrsten Sinn des Wortes eiskalt an und schleuderte ihm ihren „Diamantenstaub" um das gefräßige Maul. Der Archeodinos zuckte schmerzvoll zusammen, aber noch war er nicht besiegt. Wütend knurrte er Xell, der wieder aufgetaucht war, an.

Wieder schnappte er nach dem Jungen und diesmal traf er ihn. Xell nahm den Schmerz hin und analysierte das Monster. Noch 5000 Lebenspunkte. Gut. Im Stillen dankte Xell seiner Auto-Hast-Ability, die es ihm ermöglichte, schneller zu sein als der Dino. Darum kam er noch vor dem überraschten Biest an die Reihe und schlug es mit seiner gesamten Kraft zu Boden. Er war froh, dass das Monster verschwand, bevor es ein Haus zum Einsturz bringen konnte.

Dann sah er sich nach Yarrek um. Wie er erwartet hatte, war der Junge nicht nach Hause gelaufen, sondern hatte dem Kampf gebannt zugesehen. Aber er hatte keine Lust, den Jungen deswegen zu schimpfen. Dazu fehlte einfach die Zeit.

„Alles okay?", fragte er, obwohl er selbst sah, dass der Junge offenbar nur einen leichten Schock abbekommen hatte. „Wo sind die ganzen Leute hin? Geht's ihnen gut?"

„Ja", erwiderte der Junge, der seine Fassung wiedergewann. Er vollführte den SEED-Gruß, den Xell ihm hatte beibringen müssen. „Sie haben sich zum Hafen zurückgezogen, weil dort mehr Platz und Verstecke vorhanden sind. Aber nur ich habe es gewagt zu kundschaften!"

„Wofür ich dir eigentlich eine runterhauen sollte. Weiß deine Mutter überhaupt, dass du... kundschaftest? Nein? Dachte ich mir", wandte Xell ein. Aber er lächelte den Jungen, dessen Wangen sich sanft rot färbten, beruhigend an. „Schon gut. Führ mich zu ihnen. Irgendeiner muss ja wohl Balambs Verteidigung übernehmen, nicht wahr?"

„Jawohl!" Die Augen Yarreks leuchteten. Schnurstracks drehte er sich um und rannte die abfallende Straße entlang. Nach einigen Sekunden Dauerlauf waren die beiden im Hafen angekommen. Hier schien nichts beschädigt zu sein, stellte Xell fest. Wenn hier Monster durchgekommen waren, dann nur Beißkäfer und Stichraupen, die man zur Not auch als Anfänger besiegen konnte. Xell schüttelte sich bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn es der Archeodinos bis hierher geschafft hätte. Aber die Leute aus Balamb sah man auch hier nicht.

„Mama, ich bin zurück!", schrie Yarrek unbekümmert. Für ihn war das wohl trotz allem noch immer ein großes Abenteuer. „Ich hab Xell mitgebracht!"

Es begann als leises Murmeln. Dann tauchte hier ein Kopf, da eine dunkle Silhouette aus den unzähligen Verstecken, die ein Hafen bot, auf. Überall hörte man leise das Wort „Xell". Als schließlich einige Leute ganz heraustraten, bemerkte Xell erleichtert, dass offenbar keinem etwas fehlte. Aber eine Person vermisste er noch...

„Xell, mein Junge", erschallte plötzlich die kräftige Stimme seiner Mutter von der Seite. „Wieso hast du dich so lang nicht mehr blicken lassen?"

„Mutter", rief er glücklich. Er drehte sich um und ging zu der bereits im Alter etwas rundlich gewordenen Frau hin. „Ein Glück, dass euch nichts passiert ist." Er schloss sie in die Arme.

„Du glaubst wohl, nur du könntest kämpfen, was?", fragte die resolute Frau, während sie ihm auf den Rücken klopfte. „Die paar Beißkäfer auf Balamb schaffen wir auch ohne dich, Sohn! Aber trotzdem ist es schön, dass du da bist."

„Oben in der Stadt war ein Archeodinos, Mutter", flüsterte er ihr belehrend zu. Er fühlte, wie sie sich versteifte. „Er hat zwar nicht viel Schaden angerichtet, aber Yarrek wär fast draufgegangen. Und ich glaube, dass bald auch die anderen Monster Balambs merken werden, dass die Magie um die Stadt erlischt."

Seine Mutter ließ ihn wieder los und sah ihn erstaunt an. „Woher weißt du das?"

„Weil überall auf der Welt dasselbe passiert", antwortete er ihr nun in einer Lautstärke, die alle hören konnten. „In Galbadia, Winhill, Trabia und Dollet sind alle Zauber verschwunden. Die Monster spüren das und nehmen es natürlich als Anlass, die Städte anzugreifen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, dass die Forschungsinsel auch schon auf Centra war..."

„Die Forschungsinsel?", meldete sich Xells Nachbar zu Wort. Er schien offenbar das Kommando über die Leute übernommen zu haben. „Was meinst du damit?"

„Das ist ein Labor, in dem weit draußen im Ozean mit Zaubern und GF experimentiert wurde", erklärte Xell. „Wir haben sie in Dollet gesehen und sie hat uns sämtliche Zauber geklaut. Es gibt noch Zauber hier, oder?"

Der Mann nickte. „Ja, aber was nützt uns das?", fragte er. „Wir können nicht damit umgehen, Xell."

„Die Insel kann alle gekoppelten und gelagerten Zauber der Insel ziehen, aber keine in Draw-Punkten", meinte der Junge und kratzte sich am Kopf. „Wenn wir die verteidigen, kann ich euch wenigstens mit den Vita-Zaubern unterstützen, wenn meine eigene Magie flöten geht."

„Aber wenn das passiert, verlierst du deine Kraft, Xell!", verkündete seine Nachbarin erschrocken. Sie hielt Yarrek umklammert. „Dann haben wir keine Chance mehr gegen die Monster. Glaubst du wirklich, sie werden kommen?"

„Ja, ich denke schon", gestand der Junge, obwohl ihm unwohl dabei war. „Sie werden sich eine ungeschützte Stadt nicht entgehen lassen. Und in Dollet konnten die Monster auch eindringen, als die Zauber gedrawt waren."

„Was sollen wir dann tun?", fragte Xells Mutter ihren Sohn. Sie blickte ihn erwartungsvoll an. „Sollen wir versuchen, durch die Eisenbahntunnel woanders hin zu kommen?"

Xell überlegte eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. „Nein. Es ist besser, wenn wir hier bleiben, wo wir uns auskennen. Hier haben wir mehr Verteidigungsmöglichkeiten." Er griff in seine Tasche und förderte einige kleine Flaschen hervor. „Hier sind ein paar Hi-Potions und Phönix-Federn. Einige von uns werden, sollte es zum Kampf kommen, sich nur darauf beschränken, die anderen am Leben zu erhalten. Ich will hier keine Toten sehen, klar?"

Überall wurde eifrig genickt. „Jetzt redest du genau wie dein Großvater, Xell", flüsterte ihm seine Mutter zu und drückte ihm die Hand. „Genau so befehlsgewohnt. Und so feinfühlig."

Xell grinste kurz. „Gut. Momentan sind keine Monster in der Stadt. Ich werde mal rausgehen und jedes Vieh, dass mir über den Weg läuft, töten. Wenn die Forschungsinsel da ist, wird's deutlich schwerer, dann komm ich zurück und wir verbarrikadieren uns. Die SEEDs werden bald kommen und herausfinden, was hier im Gange ist. Wir müssen nur bis dahin durchhalten. Wer ist dabei, Balamb zu verteidigen?"

Alle Leute schrieen auf. Xell nickte zufrieden und vollführte den SEED- Gruß. „Dann empfehle ich mich mal", rief er über den Lärm hinweg. „Und wenn eins der Monster eine Spielkarte hinterlässt... die gehört mir, ja?"

„... das ist die Situation, Squall", beendete Laguna seinen Bericht. „Cifer wird euch natürlich alle Zauber ziehen, wenn ihr euch der Insel nähert. Als dein Vater rate ich dir also, dich unbemerkt auf die Insel zu schleichen und ihn zu überraschen."

„Wir sind SEEDs", entgegnete der Junge. „Du weißt, dass wir uns nicht wie Diebe wo einschleichen werden. Natürlich werde ich Cifer entgegentreten. Aber nicht versteckt, sondern mit Würde. Sonst wird er es wieder und wieder versuchen."

„Nicht, wenn wir ihn diesmal töten", wandte Irvine grimmig ein. Er wirkte sehr entschlossen. „Ich finde, diesmal ist er zu weit gegangen. Du solltest dich mit dem Gedanken anfreunden, Squall. Was sagst du dazu, Mama?"

Edea seufzte. „Cifer war schon immer schwierig", gab sie zu. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass er Menschenleben in Gefahr bringt, um Squall zu bekommen. Ihr seid SEEDs. Ihr werdet auch ohne meinen Rat tun, was ihr tun müsst." Sie sah auf den Boden.

„Tuuuut uns Leid, Mama", entschuldigte sich Selphie, die sich an Irvine gehängt hatte. Obwohl es um einen harten Kampf ging, wirkte sie auf Squall noch aufgekratzter als sonst auch. Und auch Irvine war nicht immer bei der Sache, obwohl er sich des Ernstes bewusst war. Sein Blick irrte immer wieder wie eine lichtsuchende Motte zu Selphie hin. Squall nahm sich vor, den beiden noch mal ins Gewissen zu reden, bevor sie die Forschungsinsel betraten. „Also, wann fliegen wir loooos?", wollte das Mädchen wissen. „Wir müssen doch rechtzeitig zur Hochzeit wieder zurück sein!"

„Stimmt", bestätigte Irvine. „Und wenn du jetzt was erwidern willst, Squall: Wir haben von Direktor Cid einen ausdrücklichen Befehl erhalten, zur Forschungsinsel zu fliegen. Du wirst also keine Einzelkämpfernummer abziehen können!" Er grinste.

„Was heißt hier Einzelkämpfer?", fragte Rinoa misstrauisch. „Squall, du hast doch nicht etwa einen einzigen Augenblick lang daran gedacht, mich hier zurückzulassen, oder?"

Der Junge seufzte. „Rinoa, bitte..."

„Also doch!" Das schwarzhaarige Mädchen war empört. „Du spinnst wohl! Glaubst du, ich lasse einfach zu, dass Cifer mir mit allen unfairen Tricks meinen Bräutigam entführt? Selbstverständlich komme ich mit! Damit kannst du mich nicht mal abbringen, wenn du mich fesselst und angebunden hier zurücklässt!"

Squall schlug sich an die Stirn. „Laguna, kannst du sie nicht zur Vernunft bringen?", bat er seinen Vater. „Oder ihr anderen?"

Laguna wehrte ab. „Ich konnte noch nie was gegen sie ausrichten, das weißt du doch. Ich habe dieser Heirat nur zugestimmt, weil sie mich sonst nicht in Ruhe gelassen hätte."

Edea und Quistis schüttelten lediglich den Kopf und Irvine suchte offenbar Selphies Haare nach etwas Interessantem ab. Das Mädchen selbst grinste und sagte: „Keine Chance, Cheeef! Ich werde mich doch nicht mit meiner zukünftigen Vorgesetzten anleeeeegen!"

„Da hörst du's!" Rinoa war sichtlich zufrieden. „Du hast gar keine Wahl. Und denk außerdem daran, was Odin uns gesagt hat! Vielleicht können wir diesen Kampf nur durch die KI-Fusion gewinnen." Sie klammerte sich an Squalls Arm und sah ihn herausfordernd an. Er verdrehte die Augen zum Himmel.

„Odin? KI-Fusion?", fragte Quistis. „Hab ich irgendwas verpasst?"

„Wollte ich auch grade fragen. Odin ist doch tot."

„Nicht mehr", entgegnete Squall. Dann gab er kurz wieder, was in den Centra- Ruinen geschehen war. Bei der Erwähnung, dass Boko Squall das gesamte Geld geklaut hatte, mussten sich alle das Lachen verbeißen, aber der Junge redete unbeirrt weiter. Beim Teil, als sie Odin wiederbelebten und dieser mit Hyne und Gilgamesh sprach, hielten sie den Atem an. Und als Squall bestätigte, dass Odin sie wieder begleitete, brach Jubel los.

„Na großartig", strahlte Selphie. „Wenn sogar Odin uns begleitet, haben wir doch die besten Chancen, oooooder?"

„Mit Cifer, Rai-jin und Fu-jin werden wir auch fertig, wenn sie uns alle Zauber ziehen, verkündete Irvine überzeugt und drückte das Mädchen an sich. „Wir haben sie bisher besiegt, und ich werde nicht zulassen, dass sie Squall und Rinoa vor ihrer Hochzeit ungestraft belästigen! Außerdem sind wir fünf gegen drei, und in Balamb wartet Xell."

„Und was ist mit dieser GF, Condenos?", fragte Edea leise. „Was Odin gesagt hat, hört sich sehr gefährlich an."

„Er ist nur eine GF", widersprach Rinoa. „Wir haben viele zu unserer Unterstützung. Die wirklich gefährlichen Gegner sind Cifer und seine Freunde."

„Unterschätze Condenos nicht", korrigierte sie Squall ernst. „Vergiss nicht, er hat den Centra-Kontinent verwüstet. Auch er ist gefährlich."

„Alter Miesmacher", schimpfte ihn Rinoa. „Ich bin wirklich am Überlegen, ob ich mir nicht einen anderen Bräutigam suche!"

„Das wäre ja die Höhe!", protestierte Laguna entschieden. Er funkelte sie an. „Wo ich mir so viel Mühe mit der Organisation gegeben habe! Wenn du Squall nicht heiratest, dann schicke ich die Rechnung deinem Vater, verstanden?"

Rinoa grinste frech. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass er sie zahlen wird, oder?", fragte sie. „Schließlich ist er ein genauso großer Dickkopf wie ich!"

Laguna fluchte und ballte geschauspielert die Hände. „Was für eine Familie! Squall, willst du nicht als Unterstützung einige Soldaten? Ich weiß natürlich, dass du mit Cifer fertig wirst, aber vielleicht brauchst du sie gegen deine Zukünftige?"

Squall lächelte, während Rinoa empört nach Luft schnappte. Aber bevor sie seinen Vater beschimpfen konnte, warf er schnell ein: „Nein, danke. Ich glaube nicht, dass unsere Ehe sehr glücklich wäre, wenn ich schon am Anfang solche Maßnahmen ergreifen müsste. Vielleicht komme ich später noch mal darauf zurück." Er zuckte zusammen, als Rinoa ihm einen Rippenstoß gab und ihn böse ansah. „War doch nur ein Scherz. Nein, wir brauchen niemanden. Es wird uns auch so nichts passieren."

„Wie du meinst."

„Sag Ell schöne Grüße von uns", verkündete Irvine. „Sonst macht sie uns nachher wieder die Hölle heiß. Und versichere ihr, dass wir zur Hochzeit wieder zurück sind."

„Okay."

„Nun, dann wird es doch Zeit, dass ihr FÜNF endlich losfliegt, nicht wahr?", meinte Edea und warf Quistis einen Seitenblick zu. Die Peitschenkämpferin biss sich auf die Lippen und sah zu Boden, sagte aber nichts.

Rinoa, die als einzige Edeas Bemerkung richtig gedeutet hatte, löste sich von Squall, ging auf Quistis zu und nahm deren Hände in ihre. „Du musst nicht mit uns mitkommen, Quistis", versicherte sie, während sie die zitternden Hände sanft drückte. „Aber du wärst uns willkommen, und das nicht nur wegen deiner Kampfkunst."

Auch Squall trat nun heran und legte seiner ehemaligen Ausbilderin die Hand auf die Schulter. „Es wird Zeit, dass du endlich einsiehst, dass niemand von uns dich wegen deiner Vergangenheit verurteilt, Schwester", verkündete er ernst. „Nur du selbst. Ich könnte dir immer noch befehlen, mit uns zu kommen, statt dessen bitte ich dich: Hilf uns in dieser gefährlichen Lage, um unserer langen Freundschaft Willen."

Eine einzelne Träne rann über Quistis' Gesicht, aber sie lächelte glücklich. „Natürlich komme ich mit", erklärte sie, und große Befreiung klang in ihrer Stimme. „Ich kann euch doch nicht allein lassen. Schließlich war auch Cifer mein Schüler und ich bin für ihn verantwortlich! Ich glaube, ich habe ihn nicht oft genug in seine Schranken verwiesen!"

„Suuuuuuper!", rief Selphie und klatschte in die Hände. „Dann alle an Booord! Ich fliege das Ding."

„Aye, aye, Captain", stimmte Irvine zu. „Los, reißt euch voneinander los! Wir müssen jemandem kräftig in den A**** treten!"

„Ist es nicht erstaunlich", wandte sich Laguna an die gerührt zusehende Edea, „dass man den jungen Leute nachsagt, sie würden kein Pflichtgefühl und keine echte Freundschaft mehr kennen? Und dass sie einen dann immer wieder überraschen? Meinst du, das könnte an den Genen liegen?"

„Nein", sagte Edea todernst. „Sie haben einfach eine gute Erziehung genossen."

Laguna brummte etwas Undefinierbares, winkte den SEEDs, die im Inneren der Ragnarok verschwanden, noch einmal zu und nickte dann in Richtung Stadt. „Los jetzt", forderte er Edea auf. „Unsere Sprösslinge haben zwar wieder mal den Löwenanteil, aber wir haben auch was zu tun. Eine Stadt will verteidigt werden!"

„Ich nicht", lehnte Edea bedauernd ab. „Ich glaube, ich suche lieber nach Ell und den Kindern. Sie wissen noch nichts von der Lage."

„Na schön", räumte Laguna ein. „Du musst selbst wissen, was du tust. Sobald wir alle Soldaten beisammen haben, schicke ich euch ein paar Leute. Viel Glück."

„Dir auch."

„Bist du dir auch sicher, dass dieser Squall Leonhart kommen wird?", fragte Condenos misstrauisch. Die riesenhafte GF blickte zur Lichtsäule, mit der sie gerade die letzten Zauber der Welt, die von Balamb, eingesaugt hatte. Sie schien zufrieden mit ihrem Werk zu sein. „Ich finde, es war sehr unvorsichtig, ihn vorzuwarnen."

Die drei Kämpfer hingegen hielten Respektabstand ein. Alle drei spürten die Macht, die von diesem leuchtenden Ding ausging, überdeutlich. Cifer verließ sich für gewöhnlich eher auf seine Stärke und Schnelligkeit, aber auch er musste zugeben, dass er den vereinten Zaubern der Welt nichts entgegenzusetzen hatte. Nur ein Bruchteil der komprimierten Magie in der Lichtsäule würde ausreichen, um ihn so gründlich auszulöschen, dass man nicht einmal mehr ein Grab für ihn auszuheben brauchte.

„Natürlich wird er kommen", erwiderte er ärgerlich. Trotz allem, was sie ihm einbrachte, war die GF nicht unbedingt der perfekte Gesprächspartner. „Du kennst Squall nicht. Er betrachtet es als seine alleinige Pflicht, mich zur Strecke zu bringen. Vielleicht werden ihn seine Freunde begleiten, aber das ist auch schon alles. Und ohne Zauber sind sie hilflos." Er ließ seine Gunblade im Licht schimmern. Seine Augenbrauen zuckten. „Wir werden sie endlich besiegen."

„Wenn du es sagst." Condenos blickte Cifer mit orangefarbenen Augen an. Er schien nicht so überzeugt von den Fähigkeiten des Kämpfers zu sein. „Ich hoffe, du hast dich nicht geirrt."

„Niemals!" Fu-jin sah die GF nicht einmal an. Ihre Gedanken waren offenbar schon bei ihrem nächsten Kampf, denn sie strich mit der flachen Hand über ihren Wurfstern. Ihr fiel nicht einmal auf, dass sie sich schon einige Kratzer eingehandelt hatte.

„Darf ich dich mal was fragen?", verlangte Rai-jin. Der Junge lehnte lässig an der Wand und sah nicht so aus, als würde er ein Nein akzeptieren. Als Condenos wortlos nickte, hob Rai-jin den Kopf. „Was willst du eigentlich machen, wenn wir mal versagen? Nein, Cifer, ich weiß selbst, dass wir stärker sind als Squall. Aber ich möchte es mal von ihm wissen. Schließlich werden ihm die SEEDs dann mit seinen eigenen Geschwistern gegenübertreten."

„Interessante Frage, Rai-jin", bemerkte Cifer und stand auf. „Was sagst du dazu, Condenos?"

Die GF hatte ihr Gesicht wieder der Lichtsäule zugedreht, aber er konnte dennoch an den angespannten Muskeln sehen, dass die Frage einen wunden Punkt getroffen hatte. Man hörte ein Knurren, als Condenos sein Raubtiergebiss bleckte.

„Das weiß ich nicht", gab die GF schließlich zu. Seine Muskeln entspannten sich etwas, aber er sah die Kämpfer noch immer nicht an, als hoffe er, stattdessen in der Lichtsäule Antworten zu finden. „Bisher bin ich davon ausgegangen, dass niemand sich mir stellen würde. Und selbst dann habt ihr doch behauptet, ihr könntet jeden Angreifer schlagen!"

„Richtig", versicherte Fu-jin und runzelte die Stirn, als sie die Kratzer an ihrem Handgelenk bemerkte. „Unbesiegbar."

Condenos gab einen komischen Laut von sich, der Cifer irgendwie zu sehr nach einem spöttischen Lachen klang. Er zeigte seine Zähne und umfasste den Griff seiner Gunblade fester. Warte nur, dachte er, wenn ich Squall erst besiegt, dann bist du dran. Und dann ist Schluss mit diesem überheblichen Getue!

„Wenn ihr es sagt, wird es wohl so sein", bemerkte die GF sarkastisch, bevor er etwas sagen konnte. „Aber sollte es tatsächlich dazu kommen, dass ich gegen meine Brüder und Schwestern kämpfen muss, was ich nicht hoffe, dann muss es wohl sein. Unsere Herrin kann sie schließlich wiederbeleben, wenn sie erkannt hat, dass mein Entschluss richtig war."

Er hob den Kopf und lauschte kurz. „Warum sprecht Ihr nicht mehr mit mir, Herrin?", fragte er. „Ich wollte Euch nicht wehtun. Alles, was ich wollte, war, dass Ihr erkennt, dass die Men... der Großteil der Menschen des Lebens nicht wert ist. Es ist unleugbar, dass die meisten sich nicht gegen das schwächste Monster wehren könnten." Er hörte noch eine Weile, aber anscheinend antwortete ihm niemand.

„Jetzt redet der Typ schon mit der Luft, Cifer", flüsterte Rai-jin seinem Freund zu. „Was ist, wenn er mal auf die Idee kommt, dass wir ihm im Weg stehen?"

„Dann beseitigen wir ihn", stellte Cifer kalt klar. „Squall wird auf jeden Fall herkommen. Und nur darauf kommt es an." Er blickte die GF an, die noch immer regungslos vor der Lichtsäule stand. „Kommt, gehen wir raus", entschied er. „Da die SEEDs ohnehin wissen, was sie erwartet, können sie uns auch ruhig sehen, wenn sie ankommen."

„Wartet", hielt sie Condenos plötzlich auf. Er schien aus einem Traum zurückzukommen. „Wusstet ihr eigentlich, dass sich auch hier auf Balamb eine große Magiequelle befand? Hat das mit diesem Garden-Gebäude zu tun, welches ihr erwähntet."

„Fu-jin, ist der Garden noch da? Mir war so, als hätte ich ihn vor ein paar Stunden in Esthar gesehen", wandte sich Cifer an seine Vertraute.

„Nicht hier", bestätigte Fu-jin.

„Dennoch muss sich noch einer dieser SEEDs hier befinden", beharrte Condenos. Er drehte sich nun um und blickte die drei an. „Balamb hatte schon vor ewigen Zeiten äußerst geringes Magie-Potential. Aber was ich hier gefunden habe, waren Ultima, Meteor, Seuche, Holy und Ähnliches."

„So was gibt's auf Balamb nicht", erklärte Rai-jin entschieden. „Und niemand außer Squall und den anderen besitzt mal so starke Zauber."

„Aber wieso sollte jemand von ihnen schon hier sein?", wunderte sich Cifer. „Das macht doch keinen Sinn... außer" Er kniff die Augen zusammen. „Der Hasenfuß hat doch in Balamb gelebt! Natürlich! Wahrscheinlich hat er geahnt, dass wir auch nach Balamb kommen und will nun seine Heimatstadt verteidigen." Er grinste. „Wie zuvorkommend von ihm. Das heißt, wir müssen uns nur noch mit fünf Gegnern herumschlagen."

„Denkst du denn, die Monster auf Balamb werden diesen SEED von uns fernhalten, wenn er sieht, dass seine Freunde hier sind?", fragte Condenos zweifelnd. „Das passt nicht zu dem, was ihr mir über diese Truppe erzählt habt."

„Das stimmt mal, Cifer", bestätigte Rai-jin. „Xell würde die anderen mal nicht im Stich lassen, besonders nicht in so einem Kampf."

„Dann müssen wir ihn eben festnageln", entschied Cifer. Er wandte sich direkt an Condenos: „Du musst die Monster, die du hier hast, losschicken, ausnahmslos alle! Xell muss um jeden Preis in Balamb bleiben, zumindest, bis wir mit den anderen fertig sind. Jeder SEED, den wir nicht sofort gegen uns haben, erhöht unsere Chancen auf einen schnellen Sieg."

Die GF färbte ihre Augen zu Rot. „Ich soll meinen gesamten Schutz wegschicken?", fragte sie. „Ist das dein Ernst?"

Cifer hob die Gunblade und sah Condenos herausfordernd an. „Traust du mir nicht? Solange ich Squall nicht habe, hast du vor niemandem etwas zu befürchten, glaub mir. Schick die Bestien ruhig weg, und dann beobachte unseren Kampf mit den SEEDs. Du wirst beeindruckt sein, das verspreche ich."

„Daran zweifle ich nicht", erwiderte die GF. Ihre Augenfarbe änderte sich wieder zu orange. „Na schön. Aber dann kann ich euch auch keine Unterstützung im Kampf bieten. Ich selbst werde die Zauber bewachen. Es ist gut möglich, dass meine Geschwister versuchen, sie mir abzunehmen. Sie waren schon immer sehr stur." Condenos verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß nur nicht, ob ich euch Glück im Kampf wünschen soll... schließlich wissen wir ja nicht, wie wir zueinander stehen werden, wenn dieser Kampf endet, nicht wahr?"

Mit diesen Worten sprach die GF einen Levitas-Zauber und schwebte auf die Lichtsäule zu. Das Licht steigerte sich wieder mal bis zu augenfeindlicher Helligkeit, während Condenos mit dem Bollwerk verschmolz. Einen Moment sah man noch einen Schatten in der Säule, dann hörte das Licht urplötzlich auf zu strahlen und sank wieder auf das normale Maß herab. Nichts erinnerte mehr daran, wer noch vor ein paar Sekunden hier gestanden hatte.

„Gar nicht mal so dumm, wie er aussieht, der Gute, nicht wahr?", verkündete Cifer und schulterte die Gunblade. „Fast mag ich ihn. Aber nur fast. Ich habe Idealisten noch nie getraut."

„Hast du keine Angst, er könnte vielleicht nicht doch mal einen Trumpf im Ärmel haben, Cifer?", erkundigte sich Rai-jin leise. Er wirkte sehr besorgt und sah immer wieder verstohlen zur Säule hin. „Vielleicht hat er uns noch gar nicht seine wahre Stärke gezeigt."

„Unsinn", wehrte Cifer ab, auch wenn ihn Rai-jins Vermutung nicht so kalt ließ, wie er tat. „Wir sind jetzt die Stärksten auf diesem Planeten. Kommt jetzt, hier wird's zu ungemütlich!"

Als die drei hinausgegangen waren, fing das Licht der Säule wieder sanft zu pulsieren an. Eine leise Stimme, fast nur ein unhörbares Flüstern, das vom Summen der Maschinen beinahe übertönt wurde, sagte: „Narren. Wie Recht ihr doch mit eurer Vermutung habt."