Disclaimer: Siehe Prolog, oder Kapitel I.
A/N: Happy birthday, Desirée, alles gute...hoffe, es gefällt dir noch?? Review!!!

Kapitel II

Es war schon dunkel, aber Pater Liam Riley stand noch immer auf dem Basketballfeld und spielte. Nick hatte ihm einige gute Tipps gegeben, und obwohl der junge Unsterbliche in vielen Dingen nicht mit seiner Lehrerin Amanda oder mit ihm übereinstimmte, war Liam doch eher bereit als Amanda, diese Differenzen zu akzeptieren.
Er setzte gerade zu einem Wurf an, als er plötzlich etwas spürte.
Die Anwesenheit eines anderen Unsterblichen.
Der Ball prallte ab und flog in die entgegengesetzte Richtung in die Dunkelheit davon.
Liam spürte, wie sein Herz raste. Mit Gewalt erinnerte er sich daran, dass er sich auf heiligem Boden befand.
Langsam drehte er sich um.
Vor ihm stand ein Mann. Er drückte die rechte Hand auf die linke Schulter. Seine Kleidung war schmutzig, blutverkrustet und zerrissen. Die Gesichtszüge des Fremden lagen im Dunklen, Liam konnte sie nicht erkennen.
Erst jetzt erblickte er das Schwert, dass der Unbekannte fest an den Unterarm presste. An diesem Schwert, diesem Ivanhoe, daran erkannte er den Mann.
Der Mann trat nun in den Lichtkreis und lächelte mühsam. "Gott zum Gruße, Pater." Mit diesen Worten warf er ihm den Basketball zu.

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1891 n. Chr.
Sibirien
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Pater Liam Riley war gerade auf dem Weg in ein abgelegenes Kloster in Sibirien. Er hatte sich geschworen, nie wieder zu kämpfen, und dieser Beschluss war es, der ihn dazu brachte, mitten im strengsten Winter dieses Kloster aufzusuchen. Er brauchte etwas Ruhe und Abgeschiedenheit, um seine Gedanken zu ordnen, und Darius hatte ihm dieses Fleckchen Erde empfohlen. Dankbar war Liam diesem Ratschlag gefolgt, und jetzt ritt er durch eisige, unendliche Eis- und Schneeflecken, auf der letzten Etappe seiner langen Reise, die ihn von der Neuen Welt bis in die barbarischste Gegend der Alten Welt führte.
Er hoffte, das Kloster bald zu erreichen, denn es sah schon wieder aus, als ob es jeden Moment anfangen würde zu schneien, und da seine Reise schon mehrmals durch heftigen Schneefall aufgehalten oder verzögert worden war, spornte er sein Pferd zu einer möglichst hohen Geschwindigkeit an. Aber die unversehrte Schneedecke barg auch viele Gefahren. Spiegelglatte Eisflächen, tiefe Verwehungen und Unebenheiten im Boden konnten dazu führen, dass das Pferd ausrutschte und sich ein Bein brach, etwas, was er nicht riskieren wollte. Er würde zwar nur erfrieren, aber der Gedanke, monatelang steifgefroren mitten in der Tundra zu liegen, behagte ihm trotzdem nicht.
Geleitet von diesen Überlegungen zügelte er sein Pferd ein wenig und setzte seine Reise weniger gefahrenvoll fort.
Gedankenverloren ritt er durch die vereiste Landschaft, als er plötzlich dieses gutbekannte, seltsame Gefühl verspürte. Sofort wusste er, was das bedeutete: Die Anwesenheit eines anderen Unsterblichen. Er war entweder sehr jung oder sehr schwach, denn die Empfindung war nicht sehr stark.
Liam zügelte sein Pferd und sah sich alarmiert um, aber er konnte niemanden sehen, so sehr er seine Augen auch anstrengte. Die weißen Schneeflächen reflektierten das wenige Sonnenlicht so sehr, dass er die Augen schließen musste.
Auf einmal scheute sein Pferd zurück und riss ihn damit aus seinen Gedanken und beinahe auch aus dem Sattel.
"Ruhig, ganz ruhig", murmelte er und tätschelte dem Tier den gebogenen Hals. Das Pferd tänzelte nervös hin und her, blähte die Nüstern und weigerte sich beharrlich, weiterzugehen.
Wieder sah Liam sich beunruhigt um. Es musste einen Grund für dieses seltsame Verhalten geben, aber erst nach einigen Momenten, in denen er wieder angestrengt in das strahlende Weiß starrte, erkannte er ihn.
Vor ihm, auf dem imaginären Weg, bedeckt mit einer dicken Schneeschicht, lag ein Mann. Direkt daneben lag der Kadaver eines Pferdes. Die steife Hand des Mannes umklammerte eine blutverschmierte Klinge, und nachdem Liam die Leiche von Schnee befreit hatte, konnte er erkennen, dass er in ein riesiges Wolfsfell eingewickelt war.
Das Gerippe des dazugehörigen Wolfes entdeckte er einige Schritte entfernt. Es war wirklich ein riesiges Tier gewesen. Liam spitzte die Lippen und pfiff bewundernd. Mit so einem Tier nahm es nur ein Mann auf, der keine Angst vor dem Tod hatte.
Weil er wusste, dass er nicht durch den Angriff eines Wolfes sterben würde.
Liam stieg von seinem Pferd und untersuchte den Mann flüchtig. Er war eindeutig erfroren, aber Liam wusste, dass er wieder aufwachen würde.
Behutsam wand er das Schwert aus den kalten, starren Fingern des Fremden und zog ihn in die Höhe. Hier liegen lassen konnte er ihn schlecht, das wiedersprach allen Geboten der Nächstenliebe, und Liam richtete sich streng an diese von Gott gegebenen Gesetze.
Überrascht bemerkte er, dass der Fremde erstaunlich leicht war. Er wickelte den Fremden in seinen langen, gefütterten Ersatzmantel und legte ihn quer vor sich über den Rücken des noch immer scheuenden Pferdes und setzte eilig seinen Weg fort.

Liam sah auf den Fremden, der auf dem harten Lager, eingewickelt in Felle und Decken, lag, herab. Der Mann schien lange in der Kälte gelegen zu haben, denn er war noch immer ohne Bewusstsein, obwohl sie schon vor einigen Stunden das Kloster erreicht hatten. Liam rechnete aber trotzdem jeden Moment damit, dass er zu neuem Leben erwachte und die Augen aufschlug.
Er lächelte leicht und musterte den Mann zum ersten Mal richtig.
Er hatte dunkles Haar, das unkonventionell kurz geschnitten war, und sehr helle Haut. Das er keiner der hiesigen Anwohner war, hatte Liam in dem Moment erkannt, als er den Mann vorsichtig von dem schützenden Wolfsfell befreit hatte. Er trug die Uniform eines Boten des Zaren. Oder zumindest das, was davon übriggeblieben war. Der Wolf hatte ihm ganz schön zugesetzt gehabt.
Etwas anderes, was Liam sofort aufgefallen war, war, dass der Mann sehr mager war, als ob er lange Zeit mit sehr wenigen Nahrungsmitteln hatte auskommen müssen.
Liam trat einen Schritt zurück und lauschte auf die Geräusche des Schneesturms, der um das Kloster heulte und pfiff. Sie hatten es in letzter Sekunde erreicht, bevor die Natur mit aller Macht zuschlug.
Als er nach einigen Minuten wieder näher trat, sah er erstaunt, dass der andere die Augen aufgeschlagen hatte. Er war anscheinend doch kräftiger, als Liam geglaubt und aus dem körperlichen Zustand des Mannes geschlossen hatte.
Obwohl der Mann selbst nicht älter als Anfang Dreißig aussah, erkannte Liam an seinen Augen, dass er schon sehr alt war. Diese Augen hatten schon viel gesehen.
Er war zwar sehr dünn und mager, seine Knochen standen spitz hervor und er wirkte, wie Liam schon festgestellt hatte, mangelernährt, aber er sah nicht so aus wie einige der Gestalten, die Liam in den letzten Tagen und Wochen zu Gesicht bekommen hatte. Der Zar kümmerte sich doch ein wenig um seine Boten, die oft monatelang in seinem Land unterwegs waren und teils gefährliche Aufträge für ihn ausführten. Nein, daran konnte die Erscheinung des Mannes nicht liegen. Es lag wahrscheinlich weit in der Vergangenheit.
Flüchtig fragte Liam sich, wie alt dieser Unsterbliche wirklich war.
"Ganz ruhig, mein Freund", sagte er beruhigend auf russisch und lächelte. "Sie sind in Sicherheit. Dies ist heiliger Boden. Ihnen wird nichts mehr zustoßen."
Der Fremde sah ihn einen Moment lang verständnislos an, so dass Liam sich bereits fragte, ob der andere kein Russisch verstand. Doch dann antwortete er mit einem schwachen Nicken.
"Mein Name ist Liam Riley.", stellte Liam sich vor. Der Fremde hustete qualvoll. "Ich heiße Benjamin Alexander Stoganov. Pater, mein Schwert..." Liam sah ihn belustigt an. "Es ist in Sicherheit. Bei ihren übrigen Sachen, sofern sie nicht zerrissen ist. Der Wolf hat ihnen ganz schön zugesetzt." Stoganov lächelte. "Ja, aber es hat ihm nichts eingebracht." Liam nickte. "Ja. Aber jetzt sollten Sie sich ein wenig ausruhen. Sie waren immerhin erfroren, aber morgen sollten Sie sich schon besser fühlen. Glauben Sie mir. Ich weiß, wie es ist, zu erfrieren." Der Andere nickte, schloss gehorsam die Augen und rührte sich nicht mehr.

"Pater, dieses Schwert ist sehr sorgfältig gearbeitet. Es muss sehr wertvoll sein." Bewundernd musterte Frater Nikolai die Waffe. Liam musste unwillkürlich lächeln. "Ja, du hast recht. Dieses Ivanhoe ist sehr wertvoll." "Es muss ein mutiger Mann sein, der sich mit dem Grauen und der Winterkälte anlegt. Oder jemand, der besonders dumm ist." Frater Nikolai schüttelte den Kopf. "Die Bauern werden ihm sehr dankbar sein. Der Graue hat viele Ziegen und Schafe in der Gegend gerissen, und man sagt, auch einige Menschen." "Ja, der Wolf war sehr groß. Immerhin war sein Fell groß genug, dass er sich hineinwickeln und sich so vor dem Erfrieren retten konnte."
Liam verschwieg, dass der Mann erfroren gewesen war, aber er konnte den einfachen Leuten hier nicht einfach die Wahrheit sagen. Es war schwierig genug gewesen, den Mönchen klarzumachen, dass der Mann, der immerhin ausgesehen hatte, als ob er tot wäre, noch immer lebte - oder wieder, um genauer zu sein.
Er seufzte. "Ich werde ihm jetzt einen Besuch abstatten, unserem Wolfstöter", meinte er und erhob sich. Frater Nikolais Blick folgte ihm. "Pater? Habt Ihr bereits seinen Namen herausgefunden?" "Seinen Namen? Ja, er sagte ihn mir. Warte. Benjamin Alexander Stoganov."
Das überraschte Keuchen, das Frater Nikolai ausstieß, brachte ihn dazu, sich noch einmal umzuwenden. Der Mönch starrte ihn mit offenem Mund an. "Alexander Stoganov? Man sagt, er sei der Lehrmeister und engste Vertraute des Zaren." "So?" Wider seines Willens war Liams Neugierde geweckt. "Ja. Von seinen Heldentaten wird in ganz Russland berichtet. Ich wundere mich, dass Ihr noch nie etwas von ihm gehört habt." Liam nickte leicht und setzte seinen Weg fort.

Er betrat die kleine Zelle des Fremden vorsichtig. Der Mann hatte nach der kurzen Auskunft, die er Liam am ersten Tag gegeben hatte, nicht mehr gesprochen und die ganze Zeit an die Wand gestarrt, so dass Liam jetzt doppelt überrascht war, den Mann am Tisch sitzend und lesend zu sehen. Seine Überraschung steigerte sich noch einmal ins Unermessliche, als er erkannte, was für eine Lektüre er sich ausgesucht hatte: MacBeth von William Shakespeare.
"Sie sprechen Englisch?", fragte er verdutzt, wobei er unwillkürlich in seine Muttersprache zurückverfiel. "Durchaus", entgegnete der andere ruhig. Liam nickte.
"Pater...", fing Stoganov nach einer Weile wieder an, "Ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Immerhin haben Sie mir anscheinend das Leben gerettet." Der Priester grinste.

In den nächsten Tagen kam Stoganov wieder zu Kräften. Er fand schnell Freunde unter den Mönchen und Bauern, die ihn dafür bewunderten, dass er den Grauen, den Wolf getötet hatte und dass er ein treuer Freund des Zaren und ein ebenso treuer Sohn von Mütterchen Russland war. Liam hatte manchmal den Eindruck, dass Benjamin diese Bewunderung sehr genoss.
Er beobachtete, wie sich das Verhalten des Mannes wandelte, wie aus dem stillen, in sich zurückgezogenen Menschen, mit dem man stundenlang zusammensitzen, Schachspielen und Diskutieren konnte, ein aufgeweckter Krieger wurde, der mit seinem Schwert übte und eine erstaunliche Gewandtheit an den Tag legte, und der in schnellem Russisch mit den Bauern diskutierte, bis diese entnervt aufgaben und er mit seinem unnachahmlichen Grinsen erhielt, was er haben wollte.
Aber er bemerkte auch die Unruhe des Mannes, den die Bauern inzwischen liebevoll Lupius nannten, nachdem sie herausgefunden hatten, dass er fehlerfrei das Paternoster auf lateinisch beten konnte. Aber das bedeutete nicht gezwungenermaßen, dass Lupius auch regelmäßig den Gottesdienst besuchte. Um der Wahrheit der Ehre zu geben, ließ er sich äußerst selten in der kleinen Kapelle blicken.
Als er auch nach drei Wochen Aufenthalt seine Reise nicht fortsetzen konnte, wurde er in steigendem Maße nervös. Liam sah ihn oft mit sorgengefurchter Stirn zum Himmel aufsehen, an dem sich die dicken Wolken, die immer neuen Schnee brachten, türmten. Der Schneesturm, dem Liam in letzter Sekunde entkommen konnte, tobte noch immer mit unverminderter Heftigkeit, so dass jeder Aufbruch einem Selbstmord gleichkommen würde.
Eine junge Bäuerin, die ein Kind und fast die Hälfte ihrer Schafe an den Wolf verloren hatte, hatte aus dem Wolfsfell einen Umhang für Lupius gearbeitet, den er zu seinen wenigen Habseligkeiten gelegt hatte. Ansonsten trug er die einfache Kleidung der Bauern, Hemd und Hosen aus Leinen, dazu die Stiefel, die als einziges den Angriff des Wolfes unbeschadet überstanden hatten.

Sobald der Schneesturm nachließ, traf Ben, wie Liam ihn inzwischen nannte, Vorbereitungen, das Kloster zu verlassen. Er packte seine wenigen Sachen zusammen und verabschiedete sich herzlich von den Mönchen und Bauern.
Letztendlich wandte er sich Liam zu. "Ich danke dir, Liam, für alles, was du für mich getan hast", sagte er ernst. Liam zuckte verlegen mit den Schultern. "Was habe ich denn getan, mein Freund, außer dem, was jeder andere an meiner Stelle auch getan hätte", entgegnete er. Ben lächelte knapp. "Nun, nicht jeder hätte einem Boten des Zaren sein Pferd gegeben.", entgegnete er und strich dem Tier sanft über die samtenen Nüstern. Liam lachte leise. "Nun, du solltest zusehen, dass du Land gewinnst, bevor ich es mir noch einmal anders überlege.", sagte er. Ben fiel in das Lachen ein. "Du hast vielleicht recht. Aber du wirst dein Pferd nach Möglichkeit zurückerhalten. Oder einen Ersatz. Das verspreche ich hiermit." "Nun, ich nehme dich beim Wort. Viel Glück auf deiner Reise, und möge Gott mit dir sein." Die beiden schüttelten sich noch einmal die Hand, dann bestieg Ben das Pferd und ritt im gestreckten Galopp davon.

Einige Monate später, als der Schnee endgültig geschmolzen war und der Frühling gekommen war, erreichte ein anderer Bote des Zaren das abgelegene Kloster. Er führte Liams Pferd bei sich, und eine Anzahl der Waren, welche die Mönche dringend benötigten, und für die das Geld fehlte. "Dies ist der Lohn des Zaren dafür, dass Ihr seinem wichtigsten Boten Zuflucht geboten habt.", sagte der Mann.
Am Abend überreichte der Bote Liam einen Brief, versiegelt mit einem Siegel, dass ihm gänzlich unbekannt war. Es war das Abbild eines Wolfes, verbunden mit dem eines Schwertes und einer Feder.
Liam erbrach vorsichtig das Siegel und las den Brief. Er war mit schwarzer Tinte auf teurem Papier geschrieben, in einer klaren und sauberen Handschrift.

"Mein lieber Freund,
wie gerne hätte ich Dir Dein Pferd persönlich zurückgebracht, aber ein wichtiger Auftrag hinderte mich daran. Der Zar schickt mich ins Krisengebiet, ich weiß nicht, ob Du davon gehört hast. Es ist nicht mehr zu verbergen, dass das Reich des Zaren langsam seinem Ende zugeht, und als Freund empfehle ich Dir, dass Du Dein Schwert herausholst oder auf schnellstem Wege in Deine Heimat zurückkehrst - wo auch immer diese liegen mag.
Ich hoffe, ich kann eines Tages den Dienst, den Du mir erwiesen hast, erwidern, und verbleibe hochachtungsvoll,
Benjamin Alexander Stoganov, treuer Bote des Zaren"

Liam hielt sich an den Rat, den ihn Ben gegeben hatte, und verließ Sibirien nach einigen Monaten wieder, auch wenn er später, als er sich an diese Zeit zurückerinnerte, unweigerlich daran denken musste, dass das russische Zarenreich erst gute zwanzig Jahre später unterging.

Das war das letzte gewesen, das er von Ben gehört hatte, abgesehen von der Nachricht, dass der treue Untertan des Zaren, Alexander Stoganov, bei einem Attentat auf den russischen Zaren ums Leben gekommen war. Und jetzt, genau einhundertzehn Jahre später, stand dieser Mann vor seiner Kirche inmitten von Paris und bat ihn um Hilfe.

"Ben! Du bist es wirklich!" Liam musterte die blasse Gestalt ungläubig. Ben zog nur auf eine Liam gutbekannte Art und Weise die Augenbrauen hoch. "Gottes Wege sind unergründlich.", sagte er nur. Dann hob er ungelenk die linke Hand, während er die rechte noch immer auf die Schulter presste. "Kannst du mir einen Gefallen tun?", fragte er noch einmal. "Ich habe ein abgebrochenes Messer in der Schulter - das tut weh." Liam verzog das Gesicht. "Ich verstehe. Na gut, dann komm mit. Ich werde sehen, was ich für dich tun kann." Er lächelte. "Wir können dabei ja von den guten alten Tagen schwärmen. Heißt du eigentlich immer noch Benjamin Alexander Stoganov?"


"Und, wir haben die ganze Nacht Zeit. Was machen wir jetzt?" Amanda sah erwartungsvoll von Nick zu Duncan und zurück. Joe lächelte. "Ist doch logisch. Ihr werdet euch einen schönen Abend machen." "Was wirst du tun?", fragte Amanda ihn beiläufig. Joe lächelte müde. "Ich werde noch ein wenig arbeiten, und dann werde ich ins Bett gehen. Ich bin ein alter Mann." Duncan und Amanda lachten. "Beschwer dich nicht, Joe. Gegen uns bist du kein alter Mann.", sagte Duncan, und Amanda nickte bestätigend.
Joe beobachtete die Unsterblichen bereits den ganzen Abend lang unauffällig. Es war klar ersichtlich, dass Duncan und Nick nicht die besten Freunde waren. Aber er nahm an, dass Amanda ihre beiden liebsten Verehrer unter Kontrolle halten konnte. "Ich habe eine sehr gute Idee." Amanda lächelte triumphierend, während Duncan und Nick beide die Augen verdrehten. Sie schienen sich zwar nicht sonderlich gut leiden zu können, aber sie waren sich sehr ähnlich. "Duncan, ich wollte dir doch schon immer mal Liam vorstellen. Wir fragen ihn einfach, ob er mitkommen will, und dann werden wir uns noch ein bisschen amüsieren, ja?" Sie schien in ihrem Enthusiasmus nicht die mangelnde Begeisterung ihrer Begleiter zu bemerken, sondern stand bereits auf.


"Das wird jetzt ein bisschen wehtun, aber gleich ist die Klinge draußen", murmelte Liam mit zusammengebissenen Zähnen. Der andere schnaubte nur, also ergriff Liam vorsichtig die scharfe Kante, die nur einen knappen Zentimeter aus der Wunde ragte, und zog kräftig daran.
Die Klinge löste sich langsam, aber stetig, begleitet von Strömen von Blut aus dem Fleisch. Mit einem erstickten Laut brach Ben neben Liam zusammen.
Grimmig musterte der Priester die Tatwaffe, die er unter laufendem Wasser reinigte. "Das ist gute Arbeit, mein Freund.", rief er. "Ja, ich weiß. Ich erkenne das, wenn ich es zu spüren bekomme." Ein schwaches Lächeln überzog sein Gesicht. "Übrigens ist Benjamin Alexander Stoganov seit ungefähr siebzig Jahren tot." "Ja? Und mit wem hab ich dann jetzt die Ehre?" Neugierig wandte sich Liam zu seinem Gast um. Dessen Lächeln wurde eine Spur gefährlicher. "Adam Pierson", entgegnete er schlicht.
Liam wusste, dass der Andere alt war, älter als er selbst. Er war überraschend friedliebend, und er hielt sich, soweit der Priester wusste, aus dem Leben der Unsterblichen zurück. Er war geschickt darin, jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen, und Liam wusste, dass er sich in Sibirien vor den anderen Unsterblichen verborgen hatte, bis der Zar auf ihn gestoßen war und ihn zurück ins Leben gezogen hatte. Aber selbst dann hielt er sich zurück und betätigte sich nur als Bote - eine Tätigkeit, die zwar nicht ungefährlich war, aber genug Anonymität bieten sollte.
"Wenn du möchtest, kann ich dir ein paar Klamotten von mir leihen, damit du wenigstens nach Hause kommst.", schlug der Geistliche vor.
In diesem Moment wurde die Türklingel betätigt.


"Amanda! Welch eine Überraschung! Was führt dich zu mir?"
Obwohl Liam freudig überrascht klang, spürte Amanda genau, dass etwas nicht stimmte. Genauer gesagt spürte sie die Anwesenheit eines anderen Unsterblichen. Ohne sich umzudrehen, wusste sie, dass ihre beiden Begleiter das gleiche spürten, obwohl sie ein Stück zurückgeblieben waren. Duncans erster Gedanke war Kämpfen, das wusste sie, und Nick kämpfte gegen die Alternativen Kampf oder Flucht.
Liam verbarg offensichtlich etwas vor ihr. Und sie wollte herausfinden, was es war. Natürlich nur zu seinem Schutz. Immerhin hatte Liam sich schon einmal beinahe von einem anderen Unsterblichen töten lassen, und er hatte sich geweigert, zu kämpfen. Wenn es nach ihr ginge, könnte sie auf solche Abenteuer in Zukunft liebend gerne verzichten.
"Ein Freund", entgegnete sie vorsichtig. "Ich wollte ihn dir vorstellen, und dann wollten wir ein bisschen ausgehen, weißt du, und ich wollte dich fragen, ob du mitkommen möchtest..." Sie sah ihn treuherzig an. "Aber wenn du beschäftigt bist..." Schnell biss sie sich auf die Zunge. Das letzte, was sie wollte, war, dass Liam sie wieder wegschickte. "Nein, nein, ist schon gut.", murmelte er abwesend. "Ich habe nur überraschend Besuch von einem alten Bekannten bekommen - du weißt schon, damals in Russland, habe ich ihn getroffen." Amanda nickte langsam. "Also willst du nicht mitkommen. Schade. Oder..." Ihr Gesicht hellte sich wieder auf, als ob ihr gerade eine Idee gekommen war. "Oder spricht dein Freund auch andere Sprachen außer Russisch? Dann kannst du ihn ja mitnehmen." Sie wollte diesen mysteriösen Freund kennen lernen. Vielleicht war er eine Gefahr für Liam.
"Hallo, Amanda.", erklang plötzlich eine trügerisch ruhige Stimme. Amanda dachte einen Moment, ihr Herz würde stehen bleiben. "Du???", fragte sie schließlich ungläubig. Sie schüttelte den Kopf. "Liam, den bezeichnest du als deinen Freund? Also, du täuschst dich wahnsinnig in ihm, wetten?"
"Ich sehe, ihr kennt euch. Prima." Liam lächelte. Adam zuckte mit den Schultern. "Es ist so schwer, gute Freunde zu finden...", philosophierte er. In diesem Moment erblickte er Nick und Duncan. "MacLeod! Schön dich mal wieder zu sehen!", rief er aus.
Amanda sah Liam um Verzeihung bittend an. "Ich sagte doch, du wirst dich wahnsinnig in ihm täuschen, nicht wahr? Aber jetzt will ich dir meinen Freund Duncan MacLeod vorstellen. Duncan, dass ist Pater Liam Riley. Liam, dass ist mein guter alter Freund Duncan MacLeod." Duncan und Liam gaben sich die Hand, und Amanda lächelte triumphierend. Ein Teil ihres Ausgehplans war schon einmal gelungen. Dann konnte ja nicht mehr allzu viel schief gehen.


Jerry konnte hinterher nicht mehr genau sagen, in welcher Reihenfolge die Ereignisse in dieser Nacht stattgefunden hatten. Er erlebte die Ereignisse nur noch wie durch einen dichten Nebel.
Auf seinen unkontrollierten Schrei hin waren die Anwohner auf die Straße gestürzt, so viel hatte er noch mitbekommen. Irgendjemand musste dann die Polizei und den Notarzt gerufen haben und Michael alarmiert haben, denn Jerry erinnerte sich später daran, dass er gesehen hatte, wie ein leichenblasser und sichtlich geschockter Michael mit Polizeibeamten sprach. Irgendjemand redete eindringlich auf ihn ein, aber er war einfach nicht in der Lage, zu reagieren.

"Lassen Sie ihn." Das war Michaels Stimme. "Sie sehen doch, dass er unter Schock steht." Einen Moment lang dachte Jerry mit Stolz an seinen Sohn, dann erinnerte er sich schlagartig und in aller Deutlichkeit an die Geschehnisse. "Dad? Komm. Komm einfach mit." Michael ergriff ihn an der Schulter. "Komm, Dad. Gib mir einfach deinen Mantel."
Ein Teil von Jerry betrachtete die Ereignisse unbeteiligt und dieser Teil verspürte steigenden Stolz auf seinen Sohn, der die Situation anscheinend immer noch unter Kontrolle hatte, und der sich nicht von seinen Gefühlen dazu hinreißen ließ, die wichtigsten Regeln außer Acht zu lassen, so wie er es gerade tat.
Widerspruchslos gehorchte er. "Dad, die Polizei will dir einige Fragen stellen." Behutsam schüttelte Michael die Schulter seines Vaters. "Ja." Teilnahmslos ließ Jerry seinen Blick über das Szenario schweifen. Er registrierte das Blut, die Polizisten, die weißgekleideten Gestalten, die schnell festgestellt hatten, dass es hier nichts für sie zu tun gab, und die nun auf den Leichenwagen warteten, und auch die Reporter, die wie die Mäuse herumwuselten, sowie die Schaulustigen.
Langsam schloss er die Augen. Er konnte es nicht mehr aushalten. "M. Olesson?" Die Stimme eines Polizisten. Mit einer gewaltigen Anstrengung öffnete Jerry die Augen wieder. "Ja?" "Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen einige Fragen stellen." Jerry nickte. "In Ordnung." Seine Stimme klang heiser.

Ungefähr eine halbe Stunde später betrat Jerry das Haus. Es war wieder still geworden, und das Haus selbst lag dunkel und stumm da. Jerry vermutete, dass Kelly im Schlafzimmer war und auf ihn wartete, aber er fühlte sich nicht in der Lage, jetzt zu ihr zu gehen und sie zu trösten. Er konnte es einfach nicht.
Stattdessen ging er in sein Arbeitszimmer. Dieser Raum war ihm im ganzen Haus der Liebste. Er enthielt Erinnerungsstücke aus seinem langen Leben, seine Waffensammlung sowie viele andere Dinge, die ihm sehr ans Herz gewachsen waren.
Und hier konnte er endlich seinen Tränen freien Lauf lassen und um seinen Sohn trauern.